Hinterlassenschaft - Matthias Brugger - E-Book

Hinterlassenschaft E-Book

Matthias Brugger

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Beschreibung

Der Roman beginnt im Jahre 1512 in der Schreibstube des Klosters Lorch. Dort will der alte Mensch und Leiter des Skriptoriums Pater Matthäus von Spaltenfels OSB ein paar seiner persönlichen Dinge nicht seinen Mitbrüdern hinterlassen. Deshalb schickt er diese auf eine "Reise in die Zukunft", wo sie an verschiedenen Orten unterschiedliche Menschen in die Hände geraten. Der Reisebeginn liegt also im Kloster Lorch, dass "Finale" findet aber dann in einer Apotheke in Mimmenhausen in der Nähe des Klosters Salem im Jahre 1653 statt. Und was ereignet sich dazwischen ...?

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für Ursula

Inhaltsverzeichnis

Ein kleines Vorwörtchen

Persönlichkeiten

Prolog

Schreibstube des Benediktinerklosters Lorch

Pater Matthäus von Spaltenfels OSB

Die Entdeckung einer Niederschrift

Vertreibung aus Blaubeuren

Klarissenkloster Söflingen und der Weg bis Bergheim

Im Kloster Bergheim - Treffen mit Tubingius

Christian Tubingius über die Zeit in Markdorf, Blaubeuren, Hohenurach und Bebenhausen

Eugen Breinlinger und Christian Tubingius´ Tod

Eugen Breinlinger, Hermann Gälle und das Kloster Salem

Apotheke Mimmenhausen

Des Apothekers Familiengründung

Familie Gälle und der dreißigjährige Krieg

Hermann´s und Resi´s Hochzeitstag

Erläuterungen

Dank

Künstler und Autor Matthias Brugger

Ein kleinesVorwörtchen

Schön, dass Sie reinschauen….

in meinen in einer früheren Zeit spielenden Roman.

Der im Kloster Lorch spielende Teil mag Ihnen womöglich bekannt vorkommen. Denn die sich in diesem Abschnitt des Romans spielende Geschichte wurde in einer leicht abgeänderten Form schon in einem meiner früheren Bücher veröffentlicht.

Nun wurde sie in diesem Buch weitergesponnen, weiter ausgebaut, unter Einbeziehung vieler erfundener Gestalten, Namen, Wegbeschreibungen und Szenerien.

Aber es finden sich auch so manche, geschichtlich relevante Personen in dieser fiktiven Geschichte wieder, inclusive ihrer wirklichen Wohn- und Wirkungsorte!

Allerdings sind alle Dialoge dieser Personen frei erfunden, also rein der Fantasie entsprungen.

Ebenso sind die hier beschriebenen Routen, auf denen diese Personen ihre Wege zurück gelegt hatten, fiktiv und entsprechen wahrscheinlich nicht dem tatsächlichen damaligen Straßenverlauf!

Falls Sie aber auf Ihren Namen stoßen sollten, wäre das ein reiner Zufall.

Die sich an verschiedenen Stellen im Buch befindlichen Ortschafts- und Landschaftsbilder stammen natürlich nicht aus der damaligen Zeit, sondern sollen Sie zu einem Besuch dieser Stätten / Orte in der „Jetztzeit“ animieren.

Die Auflistung der realen und erfundenen Personen finden Sie im folgenden Abschnitt, die Erläuterungen der in diesem Roman erwähnten Begrifflichkeiten am Ende des Buches.

Nun lassen Sie sich überraschen und ich wünsche Ihnen viel Spaß und Freude beim Schmökern!

Ihr Autor

Matthias Brugger

PERSÖNLICHKEITEN

Reale Personen

Abt Matthäus Alber ----- Laurentius Autenrieth OSB Buchmaler Nikolaus Bertschi ----- Konventskellermeister Bernhard Bonacker OSB ----- Abt Johannes VI. Bücheler OCist -----Ioannem Danzium ----- Pedacii Dioscoridis ----- Abt Christian II. Fürst OCist Berchthold Gerst OSB ----- Martin Günter ----- Prior Blasius Hippelt OSB ----- Abt Georg II. Kaisersberger OCist ----- Kaiserlicher Vizekanzler Doktor Jakob Jonas Abt Petrus II. Miller OCist ----- Abt Vitus Nekher OCist Präzeptor Pfarrer Lucas Osiander ----- Schriftsteller Kaspar Panizza (* 1953) ----- Abt Ambrosius Rasor OSB Abt Gregor Rösch OSB ----- Abt Matthäus Rot OCist-Abt Ulrich III. Sattler O.Praem. ----- Pater Abt Sebastian Sitterich OSB ----- Blase Straws ----- Michel Schwarz ----- Johann Konrad Tachler OCist ----- Pater Christian Tubingius OSB (Tübing) ----- Sibilla Tübing Augustin Vitztum von Eckstädt ----- Abt Nikolaus von Arberg OSB Schwester Barbara von Hohenlandenberg ----- Blaubeurer Vogt von Kettenacker --- Hans Dieterich von Plieningen ----- Äbtissin Cordula von Reischach OSC Herzog Bernhard von Weimar Herzog Christoph von Württemberg ----Herzog Ulrich von Württemberg ----- Leonhard Wagner OSB Konrad Wiederholt ----- Abt Thomas I. Wunn

Fiktive Personen

Schwester Theresia Bregger OSC ----- Pater Eugen Breinlinger OCist ----- Laurenz Büchele -----Sepp Bürgelin ----- Bruder Thaddäus Burger OSB ----- Prior Titus Deschler OCist ----- Doktor Friedhold Frank Beda Gälle ----- Elisabeth Gälle ----- Eugenie Gälle Franz Gälle ----- Friedeswieda Gälle ----- Friedrich Pius Hermann Gälle ----- Apotheker Doktor Hermann Gälle Hermann jun. Gälle ----- Hildegard Gälle ----- Raphael Gälle ----- Resi Gälle, geb.Täubner ----- Rosa Amalie Gälle ----- Sophia Gälle ----- Gabriela Graf Gotthold Graf ---- Jakobus Graf ----- Roman Graf sen. Roman Graf jun. ----- Bruder Pankratius Guldin OCist Magdalena Häberlin ----- Franz Ruffer ----- Frieder Rössler ----- Pater Wendelin Saile OCist ----- Beatrice Schneckli ----- Schwester Priska Schnitter OSC Romanus aus Schorndorf ----- Bruder Bartholomäus Seifried OSB ----- Bruder Jakobus Spindler OSB Annegunde von Spaltenfels ----- Arminius von Spaltenfels ----- Pater Matthäus von Spaltenfels OSB Thaddäus von Spaltenfels -----Pius Täubner Resi Täubner ----- Apotheker Doktor Sebastian Vögelin

Prolog

Es war das Jahr 1512, ein Jahr, in welchem so mancherlei geschah, wovon einige Ereignisse hier erwähnt werden:

Frankreich zog sich trotz eines Sieges in der Schlacht bei Ravenna aus Norditalien zurück.

Maßgeblich beteiligt waren dabei die Schweizer Reisläufer, also spätmittelalterliche Schweizer Söldner.

Massimiliano Sforza wurde von diesen der Einzug in Mailand ermöglicht und in der Folge als Herzog eingesetzt.

Dafür musste dieser den Eidgenossen folgende Orte und Regionen zwangsweise abtreten: Lugano, Locarno, Mendrisio, das Valle Maggia, die Herrschaft Domodossola, das Veltlin, die Grafschaft Cläven und die Herrschaft Worms.

Unter anderem stiegen dadurch die Eidgenossen zu einer neuen regionalen Macht auf.

Im Osmanischen Reich setzte Selim I. seinen Vater Bayezid II. als Sultan ab und übernahm die Herrschaft.

Unter seiner Herrschaft setzte sein Reich den Aufstieg zur Weltmacht fort.

Außerhalb von Europa teilten Portugal und Spanien die Welt weiter untereinander auf.

So eroberten beispielsweise die Portugiesen die Molukken, eine zwischen Sulawesi und Neuguinea gelegene indonesische Inselgruppe.

Das Edikt des portugiesischen Königs Manuels I. gegen die religiöse Verfolgung der Marranen wurde verlängert, was aber nichts an der zusehends schlechten Lage dieser zwangsgetauften Juden in Portugal veränderte.

Der Herzog von Alba, Fadrique Álvarez de Toledo vertrieb im Auftrag von Ferdinand II. von Aragón und León-Kastilien in einem zweiwöchigen Feldzug König Johann III. und seine Gattin Katharina aus ihrem Königreich Navarra.

Diese mussten sich daraufhin in den verbliebenen kleinen Reichsteil nördlich der Pyrenäen zurückziehen.

Navarra wurde dem spanischen Königreich einverleibt und von einem Vizekönig verwaltet.

Die Engländer bauten Zweideckerschiffe, welche bis zu siebzig Kanonen an Bord hatten.

In diesem Jahr fand vor der bretonischen Küste die erste Seeschlacht statt, in welcher Kanonen auf speziellen Geschützdecks eingesetzt wurden.

Diese Seeschlacht zwischen einer englischen und einer französisch-bretonischen Flotte nahe Brest ging unentschieden aus, aber sie kostete knapp eintausensechshundert französischen und englischen Marinesoldaten und Matrosen das Leben.

Papst Julius II. eröffnete zur weiteren Reformation das fünfte Laterankonzil.

Während dieses Konzils hatte Papst Julius II. als kulturellen Höhepunkt des Jahres das von ihm 1508 bei Michelangelo Buonarotti in Auftrag gegebene und 1512 fertig gestellte Deckengemälde in der Sixtinischen Kapelle enthüllen lassen.

Kaiser Maximilian I. hingegen wollte für sein Reich, also das Heilige Römische Reich, eine bessere Verwaltung erreichen.

Deshalb setzte er eine Reichsreform durch, in welcher er sein Herrschaftsgebiet in zehn Reichskreise einteilte.

Als Chefs des Schwäbischen Reichskreises setzte er dazu den Bischof von Konstanz und den Herzog von Württemberg ein.

In Leipzig wurde die erste weltliche Schule eingeweiht, es war die Nikolaischule.

Wegen seines Lobgedichts auf Kaiser Maximilian I. erhielt der Schweizer Glarean von diesem die Dichterkrone als „poeta laureatus“.

In Augsburg erschien das mittelalterliche Versepos Orendel zum ersten Mal als Druckversion.

Gleichzeitig wurde davon auch eine Prosaversion veröffentlicht.

Kulturstilistisch fand sich in Italien die Hochrenaissance, im deutschsprachigen Bereich erblühte die Frührenaissance und löste mehr und mehr die Spätgotik ab.

In Portugal setzte sich der Manuelinische Stil durch, in Spanien der Isabellinische und der Plateresker Stil.

Und was passierte in der Region um das Kloster Lorch herum, welches im Mittelalter das Hauskloster der Staufer gewesen war?

Kloster Lorch

Schreibstube des Benediktinerklosters Lorch

Der Tagesablauf im Kloster Lorch war wie immer der gleiche, egal, in welchem Beruf die Menschen dort auch immer beschäftigt waren.

Aber in der Gegend brodelte es, denn die Bauern begannen sich gegen die hohen Abgaben an die Obrigkeit zu erheben.

Das Kloster selbst war aber in diesem Jahr von den Aufständen noch nicht betroffen.

Deshalb war der Alltag auch hier immer derselbe, er war bestimmt von dem vom Stundengebet bestimmten Tagesablauf.

So auch an diesem Tag:

Vater Abt Pater Sebastian Sitterich kam seinen Repräsentationspflichten nach, da gegen Mittag eine Gruppe hochrangiger geistlicher Herren im Kloster angekommen war.

Der als Camerarius beschäftigte Pater beaufsichtigte während seines Rundgangs durchs Kloster folgende Bereiche: die Mönchsküche, die Mönchsbrauerei, die Mönchsbäckerei, die Hostienbäckerei, die Krankenküche, die Novizenküche, die Gästeküche, die Pilgerbrauerei und die Pilgerbäckerei.

Heute war auch wieder der Tag, an welchem der Camerarius die Mönche wieder für den wöchentlich wechselnden Küchendienst einzuteilen hatte.

Der Novizenmeister, zuständig für die Novizenausbildung, also des Nachwuchses, brachte heute wieder einen harten Unterrichtstag hinter sich.

Und was geschah im Scriptorium, der Schreibstube des Klosters…?

Dort herrschte schon den ganzen Tag über, wie auch schon die Tage davor, rege Betriebsamkeit.

Denn die Herstellung von Büchern war immer ein Gemeinschaftswerk.

Grund: es konnten nie alle gemeinsam an einer Buchseite arbeiten, sondern immer nur nacheinander.

Deshalb waren an dieser komplizierten Arbeit verschiedene Spezialisten wie Notenmaler, Schreiber und Illuministen (Rubrikatoren und Illustratoren) beteiligt.

Um zu verdeutlichen, wie aufwändig die Buchgestaltung im Scriptorium war, soll der Ablauf am Beispiel der sich gerade in Arbeit befindlichen Chorbücher dargestellt werden:

Als erstes hatte Abt Sitterich die einzelnen Messlieder, die im Chorbuch niedergeschrieben werden sollten, sowie die Motive für die Initialen bestimmt.

Folgend wurde mit der Linierung auf dem aus dem Lager geholten und entsprechend zugeschnittenen Pergament begonnen.

Daran anschließend wurde die Zeilenhöhe und Zeilengrenze festgelegt.

Im nächsten Schritt hatte der Scriptor den zu kopierenden Text direkt von einer Vorlage abzuschreiben begonnen.

Sollte der Text, so auch hier, in mehrere Bücher kopiert werden, las der Lektor den Vorlagentext laut vor und dann schrieben mehrere Mönche, anwesend entsprechend der Zahl der bestellten Bücher, gleichzeitig an ihrem Schreibpult den diktierten Text nieder.

Der Text wurde von den Schreibern aber ohne die farbigen Initialen gestaltet.

Der Rubrikator machte sich danach ans Werk und setzte die farbigen Initialen mit gekonnten Pinselstrichen auf der jeweiligen Buchseite ein.

Im Anschluss daran wurden durch den für die malerische Ausgestaltung verantwortlichen

Kloster Lorch

Illustrator die Bordüren, Bildinitialen, Noten und Bilder (Miniaturen) gezeichnet und gemalt.

Die Motive waren Märtyrer, Kirchenfeste, Feste einzelner Heiliger, aber auch Beobachtungen aus der Welt des Klosters Lorch.

Waren die Seiten oder Manuskripte fertig, wurden diese vom Buchbinder gebunden.

Die Kosten für die verwendeten Materialien und der enorme Zeitaufwand sorgten aber dafür, dass der Wert eines einzelnen Buches gut und gerne dem eines Bauernhofes entsprechen konnte, besonders dann, wenn auch noch Blattgold verwendet wurde.

Es war jetzt die Zeit kurz vor der Vesper, des liturgischen Abendgebetes.

Wie an jedem Arbeitstag üblich, so wurde heute, da es dem Abend entgegen ging und es bald zur Vesper läuten würde, alles aufgeräumt:

Es wurden die aus zugeschnittenen, polierten und verzierten Rinderhörnern hergestellten Tintenfässer mit einem Korken verschlossen.

So sollte vermieden werden, dass die unter großem Aufwand hergestellten verschiedenen Tintenarten wie beispielsweise Silber- oder Goldtinte oder die aus Ochsengalle hergestellte und die mit Ruß, Eiweiß und Wasser vermischten Tinten austrocknen konnten.

Die frisch gemahlenen beziehungsweise geriebenen Farbpigmente wie das aus den Krapp-Pflanzenwurzeln gewonnene Krapp-Rot, das aus Schwertlilien- oder Lauchsaft hergestellte Grün oder das Gelb aus dem Safran wurden in die dafür vorgesehenen Behältnisse gegeben.

Dadurch konnten sie durch den unter den Türen und den nicht ganz dichten Pergamentfenster hindurch blasenden Wind nicht fortgeweht werden.

Genauso verfuhr man mit dem aus Kermesläusen unter Mithilfe von mit Schwefelsäure versetztem Wasser sowie Alaun und etwas Kalk hergestellten Karminrot.

Ebenso mit dem aus Mennige (Bleioxid) produzierten Pariser Rot, welches auch Bleirot, Goldsatinober oder Goldzinnober genannt wird.

Besonders behutsam wurde mit dem Lapislazuli-Blau aus den in einem Mörser zu Pulver gemahlenen kostbaren Lapislazuli-Steinen und den zu Pigment zermahlenen Gold- und Silberplättchen umgegangen.

Die Pinsel reinigte man sorgfältig von den Farb- und Tintenresten.

Die für den darauffolgenden Tag zum Schreiben benötigten Gänsekiele wurden vorbereitet, indem das harte Mittelstück der Gänsefedern mit einem scharfen Messer, dem „Federmesser“ oder „scalprum librarium“, nachgeschnitten wurden.

Grund: deren harte Spitzen waren durch die Tinte im Laufe des Tages weich geworden und wären sonst am folgenden Tag nicht mehr zum Schreiben geeignet.

Die mit Kreide geweißten und fertiggestellten Pergamente kamen in die Regale zu den übrigen Vellums, welche sich an den Innenwänden des Skriptoriums befanden.

Dort im Schatten gelegen, konnten sie so nicht durch das Sonnenlicht aufgeheizt werden und austrocknen.

Ein Teil der aus frischen Tierhäuten hergestellten Pergamentvorstufen lagerte jetzt in der Kalklösung.

Bei den anderen waren im Laufe des vergangenen Tages Tierhaare, Oberhaut und anhaftende Fleischreste abgeschabt, dann gereinigt und danach noch zum Trocknen auf einen Rahmen gespannt worden.

Die abgeschabten Reste wurden in der Latrine entsorgt.

Alte Bücher wurden wiederverwendet.

Ihnen wurden die noch verwendbaren Pergamente entnommen und die sich noch darauf befindlichen und nicht mehr benötigten Texte und Bilder abgeschabt.

Kloster Lorch

So standen sie nun für eine erneute Beschriftung beziehungsweise Bemalung oder als Bezugsstoff für die Buchbinderei zur Verfügung.

Bestellte und fertiggestellte Bücher wurden bis zur Abholung in den Regalen des Skriptoriums gelagert.

Die für die klostereigene Bibliothek vorgesehenen Exemplare brachte ein Gehilfe dorthin.

Die aus dem dünnen, aus Lumpen hergestellten Papierbrei (Stoff) und mit einem sehr feinmaschigen, flachen, rechteckigen, kupfernen Schöpfsieb abgeschöpften Papierblätter beziehungsweise Papierbögen wurden nachmittags nach dem Gautschen, also dem Aufziehen auf Filz, im trockenen Dachboden zum Trocknen aufgehängt.

Das dort schon vollständig ausgetrocknete Papier war im Scriptorium nochmals gepresst, geglättet, sortiert und soweit verpackt worden, sodass es am darauffolgenden Tag verschickt werden konnte.

Auch die Brüder, welche das als Schreibpapier verwendete Papier geleimt hatten, um die Tinte am Verlaufen zu hindern, waren mit ihrer Arbeit zu Ende.

Als alles soweit fertig war, verlies einer nach dem anderen das Scriptorium, um noch vor dem Glockenläuten, welches zur Vesperliturgie rief, eine kleine Verschnaufpause einlegen zu können.

Pater Matthäus von Spaltenfels OSB

Einzig Pater Matthäus von Spaltenfels OSB blieb noch im Scriptorium zurück.

Ein wenig melancholisch, mit in Falten gelegter Stirn und müden Augen schaute er durchs Fenster in den abendlichen Himmel und beschloss, jetzt seine Ruhepause zu nutzen, um seine Gedanken, welche ihm seit langem durch den Kopf gingen, endlich zu Papier zu bringen.

Da immer ein Stapel frisch gepresstes und geglättetes Papier in der Ecke des Scriptoriums zur Verfügung stand, entnahm er dort ein paar Bögen.

Er nahm einen der zum Schreiben auf seinem Stehpult bereitgelegten Gänsekiele in die rechte Hand, tauchte dessen frisch geschnittene Spitze ins Tintenfässchen ein und begann zu schreiben:

Lieber Mitmensch!

Es ist Samstagnachmittag am dreizehnten März im Jahre des Herrn 1512 und es ist noch Winter.

Der glutrote Feuerball namens Sonne geht gerade, die vereinzelten über den Abendhimmel ziehenden und schneegefüllten Wolken von unten orange anstrahlend, hinter dem auf der anderen Seite des Tals befindlichen bewaldeten Bergrücken unter.

Es ist bitterkalt und draußen liegt der Schnee fast kniehoch.

Seit Ende der Non, in welcher in besonderer Weise der Sterbestunde unseres Herrn Jesus Christus gedacht wird, stehe ich, der ich einer der geringsten unter den Mönchen des Klosters Lorch bin, als letzter noch im Scriptorium, also der Schreibstube des Benediktinerklosters Lorch.

Vor wenigen Augenblicken habe ich zusammen mit meinem Mitbruder Laurentius Autenrieth, dem Kalligraphen und Mitbruder Leonhard Wagner sowie dem Buchmaler Nikolaus Bertschi und ein paar weiteren Gehilfen die Kopie und Ausgestaltung der ersten drei von fünf in Auftrag gegebenen Antiphonalen fertiggestellt.

Diese wurden von Herzog Ulrich von Württemberg und weiteren Personen gestiftet und beinhalten alle für das Stundengebet vorhergesehenen gregorianischen Choräle.

Die Antiphonalen werden wir morgen früh nach mehr als zwei Jahren, begonnen hatten wir Anno 1510, unserem Auftraggeber, unserem ehrwürdigen Vater Abt Sebastian Sitterich überreichen können.

Ohne Stolz kann ich sagen, dass sie vor allem durch die Lebendigkeit der realistischen Darstellungen und durch die Leuchtkraft der darin verwendeten Farben außerordentlich prachtvoll geworden sind.

Insgesamt haben wir zur Einleitung unserer kirchlichen Feste wie Weihnachten, Ostern, Christi Himmelfahrt oder Pfingsten einhundertacht Bildinitialen und Bordürenrahmen, in welchen religiöse Szenen vorkommen, aber auch Alltägliches aus der Umgebung des Klosters in die Antiphonalen eingefügt.

Dazu haben wir gestalterisch in jedem Exemplar insgesamt dreiundsechzig ornamentale Zierinitialen an den Beginn der im Buch aufgeführten kleineren kirchlichen Festtage gestellt.

Die anderen Mitbrüder, die Textschreiber, welche auch heute wieder bis zu zweihundert Zeilen geschrieben haben, die Kalligrafen, Lektoren, Redakteure und die Maler haben vorher ihre sehr anstrengende Arbeit für heute beendet und aufgeräumt.

Nun haben sie ihren Arbeitsplatz verlassen, um vor der Vesper noch etwas ruhen zu können.

So befinde ich mich jetzt, wie oben schon festgehalten, alleine hier im Scriptorium.

Und nun habe ich etwas Zeit, meine Gedanken in folgenden Zeilen niederzuschreiben, auf die Du, lieber Leser, womöglich bald, erst nach meinem Tode oder aber vielleicht erst in ferner Zukunft stoßen wirst.

Und vielleicht wirst Du Dir die Frage stellen, von wem diese Zeilen stammen, wer ich bin oder gewesen war!

Also, mein klösterlicher Name, welchen ich bei meinem Eintritt ins Kloster vor fünfzig Jahren angenommen habe, ist der des Heiligen Apostels und Evangelisten Matthäus.

Bis zu diesem Zeitpunkt wurde ich mit dem von meinen Eltern im Säuglingsalter verliehenen Taufnamen Thaddäus gerufen.

Dieser mein Namenspatron, der heilige Judas Thaddäus, war einer der zwölf Apostel, welcher den vorderasiatischen Raum missionierte und als Märtyrer starb.

Meine Familie ist die derer von Spaltenfels und somit bin ich von fürstlicher Herkunft.

Ich habe noch fünf lebende jüngere Geschwister, drei Brüder und zwei Schwestern, wovon der Älteste, Arminius, der jetzige Besitzer der Burg und der Ländereien ist.

Die Burg meiner längst verstorbenen Eltern Thaddäus und Annegunde befindet sich nicht weit weg von Esslingen.

Meine Familie pflegte schon seit Generationen einen engen Kontakt zu dem Kloster Lorch, welches bis heute meine Heimstatt ist.

Kontakt zu meiner Familie habe ich nur sehr wenig, denn am Leben außerhalb des Klosters darf man sich als Mönch laut Klosterregel auf keinen Fall beteiligen, man ist vom Leben der Bevölkerung und dem der Familie abgeschnitten.

Deshalb war es mir auch verboten, an der Beerdigung meiner Eltern teilzunehmen.

Zuerst starb mein Vater, darüber starb vor Gram meine Mutter zwei Wochen später.

Mutters Todestag ist immerhin jetzt auch schon auf den Tag genau einunddreißig Jahre her.

Von deren Tod und Beerdigung habe ich erst erfahren, als mir mein zweitjüngster Bruder Pius die Botschaft vom Ableben der Eltern überbrachte.

Wichtig für ihn war es, den letzten Wunsch meiner Eltern zu erfüllen, denn sie wollten mir zwei Erinnerungsstücke zukommen lassen.

Deshalb überreichte er mir diese in einem kleinen Brustbeutel, den ich seither im Gedenken an meine Eltern an einem Lederband an meiner Brust trage.

Diese beiden Erinnerungsstücke sind deren Eheringe und sind damit der einzige Besitz, welcher mir neben der von meinen Eltern bei meinem Klostereintritt eingebrachten Mitgift geblieben ist.

Kurioserweise hatten meine Eltern mir diese nach ihrer beider Tod zugedacht.

Ich habe den Sinn dieser Gabe bis heute nicht so ganz verstanden, da ja mein Leben als Mönch vorbestimmt war.

Diese Hinterlassenschaft sind wie gesagt die beiden etwa zwei Querfinger breiten Ringe, welche jeweils mit einem in das Gold eingelassenen Lapislazuli-Stein verziert und links und rechts davon mit dem Spaltenfelser Wappen versehen sind.

Im Lapislazuli-Stein des größeren Ringes findet sich ein Intaglio mit dem Portrait meines Vaters, im kleineren ein Intaglio mit dem Portrait meiner Mutter.

In der Innenseite steht das Datum des siebenundzwanzigsten April 1449, es war der Tag der Hochzeit meiner Eltern.

Weiter in meiner Biografie:

Ich wurde auf unserer Burg von einem des Lesens, Schreibens und Rechnens bewanderten Lehrer namens Romanus aus Schorndorf unterrichtet und musste dieses auch täglich einüben.

Dadurch hatte ich bei meinem von den Eltern im Alter von zehn Jahren vorbestimmten Eintritt ins Kloster für den vom damaligen ehrwürdigen Vater Abt Nikolaus von Arberg vorbestimmten Platz im Scriptorium die besten Voraussetzungen.

Schon vor der Profess und dann auch während des Studiums der theologischen und klösterlichen Grundlagen wurde ich im Scriptorium und in der Bibliothek jeweils einige Stunden pro Woche eingesetzt, um dort die verschiedenen Arbeitsbereiche kennenlernen zu können.

Besonders geschickt war ich dabei unter anderem in der Buchbinderei und in der Schreiberei, aber auch die anderen Tätigkeiten bereiteten mir sehr viel Freude.

So war es eigentlich schon fast der gottgegebene Verlauf, dass ich nach meiner Priesterweihe und dem Tod des bisherigen Scriptoriumsleiters zum Vorsteher des Scriptoriums berufen wurde.

Eine Stelle, welche ich trotz meiner inzwischen angeschlagenen Gesundheit mit unter anderem sehr starken Gelenkschmerzen, bis heute gerne einnehme.

Lieber Leser dieser Zeilen, da ich nicht weiß, wohin es meine Zeilen verschlagen wird, wann und in welcher Ära Du diese in den Händen halten wirst und ob unser Kloster bis dahin noch existieren wird, möchte ich Dir kurz schildern, wo unser Kloster liegt und wer es gegründet hat.

Das Kloster Lorch liegt auf einem Bergvorsprung über dem Tal der gerade wild aufschäumenden und hochwasserführenden Rems zwischen Schorndorf und Gmünd.

Gegründet wurde es vor vierhundertzehn Jahren, also Anno 1102 von Herzog Friedrich von Schwaben, seiner Gemahlin Agnes und den Söhnen Friedrich und Konrad als Familiengrabstätte der Staufer.

Irene von Byzanz, eine Schwiegertochter von Kaiser Barbarossa, spendete unserem Kloster ein sehr kostbares Reliquiar, einen Splitter des Kreuzes Jesu.

Dieses wird bis heute nicht nur von uns Priestermönchen, sondern auch von den Laienbrüdern und der Bevölkerung sehr verehrt.

Es ist auch das Ziel vieler Wallfahrer.

Irene von Byzanz wurde auch nach ihrem Ableben in unserem damals schon blühenden Kloster zu Grabe getragen, und zwar im Jahre 1208 im Alter von achtundzwanzig oder einunddreißig Jahren; das genaue Alter weiß ich gerade nicht.

Nun stehe ich hoch über dem Remstal, von welchem jetzt erste Nebelschwaden aufzusteigen beginnen, an meinem Schreibpult im Scriptorium.

Ich beobachte die von den Kaminen der unterhalb des Klosters liegenden Häuser senkrecht in die kühle Abendluft aufsteigenden Rauchsäulen.

In den Ställen dort unten wird das Vieh von fleißigen Menschenkindern versorgt, die Kühe werden gemolken und die Hühner zurück in den Hühnerstall getrieben.

Ich fühle mich alt, mein Haarkranz um die Tonsur herum ist schlohweiß.

Und ich bin, wie man so im Volksmund sagt, „klepperdürr“ geworden, da sich der Hunger immer weniger bemerkbar macht und der Appetit mehr und mehr schwindet.

Ich sehe nicht mehr so gut, bin mit meinen sechzig Jahren sehr gebrechlich geworden und bin gesundheitlich nicht mehr in bester Verfassung

So bereitet mir beispielsweise das Treppensteigen sehr große Mühe.

Bis ich mit rasselndem Atem oben angekommen bin, bin ich so erschöpft, dass ich mich über viele Augenblicke hinweg an der Wand anlehnen und meine Arme an den Oberschenkeln abstützen muss, um wieder zu Atem und zu Kräften zu kommen.

Dieses Jahr habe ich die „Goldene Profess“ gefeiert.

Aber alle etwa zum gleichen Zeitpunkt eingetretenen und gleichaltrigen Mitbrüder leben nicht mehr.

Sie sind an den verschiedensten Krankheiten verstorben und in die Herrlichkeit Gottes eingegangen; so hoffe und wünsche ich es.

Somit bin ich schon seit Jahren der älteste Mönch dieses Klosters, habe alle guten Menschen wegsterben sehen und fühle mich allein.

Aber auch ich merke, dass ich die längste Zeit auf dieser Welt gelebt habe und dass jeder Tag der letzte sein könnte.

Deshalb ist es Zeit, Bilanz zu ziehen.

Was habe ich erreicht, wo stehe ich?

Oft kommt mir der Gedanke, dass ich, außer mühsam und mit Sorgfalt Graduale oder Antiphonale zu kopieren und zu gestalten, nicht viel für meine Mitmenschen geleistet habe.

Heilige Messen … ja … an Heiligen Messen habe ich täglich teilgenommen beziehungsweise täglich gelesen.

Andachten und schönsten Predigten habe ich gehalten, und habe an allen Chorgebeten in unserer ursprünglich romanischen, dann später mit gotischen Elementen versehenen Kirche teilgenommen.

Aber sonst, … was bleibt von mir?

Meine Lenden sind auf dem von meinen Eltern vorbestimmten Weg verdorrt.

Ich durfte mich nicht der Liebe und des Feuers eines weiblichen Ehegesponses hingeben, durfte nie die Frucht des Samens in Form eines liebenden Nachkommen in den Armen wiegen und mein Eigen nennen.

Ich bin also wie ein vertrockneter Ast an einem sonst wunderbar blühenden und reichhaltige Früchte tragenden Baum derer von Spaltenfels, wovon es inzwischen viele Nachkommen gibt.

Dafür war ich in jungen Jahren und vor allem in den ersten Jahren nach meinem Eintritt ins Kloster oft vielen der sich wie Wachhunde aufführenden Mitbrüdern ausgesetzt, welche auch vor körperlichen Züchtigungen nicht zurückschreckten.

Aber ich brauche nicht zu klagen, denn ich hätte ja gehen und das Kloster verlassen können. Dazu hätte ich aber weit in die Ferne ziehen müssen, wäre sicherlich von meiner leiblichen Familie verstoßen und unter Umständen sogar für vogelfrei erklärt worden.

Ich war halt feige und es war schon bequemer zu bleiben, trotz der Gemeinheiten, denen ich von so manchen Mitbrüdern ausgesetzt war.

Aber es gab auch ein paar wirklich gute Menschen unter den Mitbrüdern, die für mich Vorbild waren.

Zwei davon, Bruder Pius und Pater Cyrill würde ich sogar wegen ihrer vorbildlichen christlichen Haltung, ihrer großen Mitmenschlichkeit und ihres enormen Einfühlungsvermögens als Heilige bezeichnen.

Beide, obwohl schon verstorben, sind der Grund warum ich noch hier bin.

Diese predigten nicht nur die „Frohe Botschaft“, sondern lebten diese tagein, tagaus, trotz vieler Widerstände.

Hätte ich nun meiner Neigung, oder so sehe ich es jetzt, meiner Berufung im Kloster nachgehen dürfen, wäre ich Bruder Pius nachgefolgt und hätte in der Infirmerie, also der Krankenstation unseres Klosters, Schwerstkranke und Sterbende gepflegt.

Aber ich wurde ja vom damaligen ehrwürdigen Abt zum Schreiben und Kopieren im Scriptorium verpflichtet.

So stehe ich nun an der Schwelle des Todes und bitte voller Inbrunst den gnädigen Gott und Herrn darum, dass er Gevatter Tod anweist, mich nicht allzu sehr leiden zu lassen.

Sondern dass dieser mein Leben mit einem kräftigen Schnitt beendet und mich dann in die Herrlichkeit des ewigen Lebens begleitet.

Nun danke ich jeden Tag meinem Herrn und Gott, dass er es mir im Vergleich zu manch anderen Menschen innerhalb und außerhalb des Klosters immer noch gut gehen lässt.

Da so manche meiner aufs Papier gebrachten Gedanken in meinem obigen Rückblick in den Ohren meiner Mitbrüder und der Obrigkeit nicht so gut ankommen würden, werde ich diese Niederschrift meines derzeitlichen Befindens auf die Reise schicken.

Dies soll dadurch geschehen, dass ich diese Gedanken, diese Hinterlassenschaft in einem der Bücher verstecken werde, welche der Blaubeurer Mitbruder Jakob Spindler demnächst hier abholen und in Blaubeuren dem Mönch und Bibliothekar Christian Tubingius übergeben wird.

Wenn Du nun, lieber Leser, wo immer Du auch gerade bist und in welcher Zeit Du lebst, dieses Buch in die Hände bekommst und diese im Buchumschlag verborgenen Zeilen finden und in die Hände nehmen wirst, werde ich dadurch, dass Du sie liest, in Deinen Gedanken und Deinem Fühlen womöglich ein kleines bisschen weiterleben können.

Und wenn ich damit ein wenig Dein Herz rühren konnte, war mein Leben nicht umsonst.

Deshalb bitte ich den allmächtigen Gott, dass er Dir, lieber Leser, wohlgesonnen sei, Dich segne und behüte, Dir sein Antlitz zuneige, sich Deiner erbarme, für Dein weiteres Leben Dein Schutz und Schild sein möge und dass er Dir Frieden schenke.

Es schrieb dies im Jahre des Herrn 1512

Dein bis dato Dir unbekannter Mitmensch und

Mönch zu Kloster Lorch

Pater Matthäus von Spaltenfels OSB

Pater Matthäus hatte gerade seine Unterschrift auf der letzten Papierseite aufgetragen, als die Glocke zur Vesper rief.

Deshalb rollte er das Geschriebene zusammen und verbarg es hinter schon fertiggestellten Büchern im Regal.

Noch während des Schreibens der letzten Seite war er auf die Idee gekommen, dieses, wenn er übermorgen als erster wieder im Scriptorium zur Arbeit erscheinen würde, so in den Umschlag eines Buches einzufügen, so dass es von Außenstehenden nicht mehr bemerkt werden könnte.

Damit sollten seine auf Pergament aufgetragenen Gedanken, die für ihn während des Schreibens zu einer Art Testament geworden waren, zusammen mit anderen Büchern, Kodizes und Chorbüchern auf die Reise in eine unbestimmte Zeit gehen, wo dieses „Testament“ dann womöglich irgendwann von einem guten Menschen entdeckt werden würde.

Er grübelte nach, welches dazu wohl am besten geeignet wäre und dann auf die Idee, dass das vom Format her wohl das vom Kloster Blaubeuren bestellte „Kräuterbuch des uralten und in aller Welt berühmtesten griechischen Scribenten Pedacii Dioscorides Anazarbæi“ wäre. Danach machte er sich auf den Weg zum Vespergottesdienst.

In der Nacht von Sonntag auf Montag kam er auf die Idee, auch die beiden Eheringe seiner Eltern, welche er, wie im Brief erwähnt, schon über Jahrzehnte in seinem unter der Mönchskutte verborgenen Brustbeutel mit sich trug, in diesem Kräuterbuch zu verstecken und mit auf die Reise zu schicken.

Er wollte dieses kleine, aber wertvolle Erbe nicht seinen Mitbrüdern überlassen.

Der Herrgott sollte dieses Geschenk zu einem Zeitpunkt, der ihm als richtig erschien, einem guten Menschen zukommen, ihn dieses entdecken lassen.

Pater Matthäus stellte sich mit einem schelmischen Lächeln im Gesicht gerade vor, wie überrascht dieser Mensch, sei es Männlein oder Weiblein, bei der Entdeckung des kleinen Schatzes dreinblicken würde.

Vielleicht würde das dann ein Mensch sein, der dann voller Dankbarkeit seiner gedenken würde.

Es war Montag.

Seit dem Abfassen seines Briefleins auf Pergament waren gerade zwei Tage vergangen und Pater Matthäus betrat nach den morgendlichen Gottesdiensten „Vigil“, „Laudes“ und „Prim“ und einer sehr kurz gehaltenen kleinen Mahlzeit als erster das Scriptorium.

Er nahm das bestellte und sich noch im Regal an seinem Platz befindliche Kräuterbuch, legte es auf seinen Arbeitstisch, überlegte kurz, wo er die Ringe unterbringen könnte und kam auf die Idee, diese im Buchrücken zu verstecken.

Aus seinem Stehpult entnahm er ein feines Messer, einem Skalpell ähnlich und machte sich zügig an die Arbeit.

In die Rückseite der am Samstag frisch gebundenen Seiten schnitt er zwei Vertiefungen hinein, und zwar im Bereich des noch fertig zu gestaltenden Buchrückens, eine etwa fünf Querfinger breit von oben, die andere fünf Querfinger breit von unten.

Dort fügte er jeweils einen der beiden Eheringe ein.

Er nahm den ersten und stabilen Teil des Buchumschlags, legte ihn über den Buchrücken mit seinen Vertiefungen und fixierte diesen geschickt mit kräftigen Fäden und mit Knochenleim.

Zufrieden betrachtete er sein Werk, denn das Versteck war jetzt von außen nicht mehr zu sehen.

Dann holte er dieses Brieflein, oder was es ja eigentlich war, sein „Testament“, hinter dem Regal hervor, und fügte den Brief sehr geschickt in die Innenseite des hinteren Umschlagdeckels ein.

Als er mit dem Einpassen gerade fertig geworden war, kam einer nach dem anderen der ebenfalls im Scriptorium tätigen und ihm unterstellten Mitbrüder zur Arbeit.

Sie begrüßten sich mit dem im Klosteralltag üblichen „Ave“ und einem Kopfnicken und ein jeder ging an seine Tätigkeit.

Pater Matthäus dachte sich: „Gott sei Dank war ich der erste! Sonst hätten es die anderen wohl bemerkt, dass ich da etwas nicht Hineingehörendes in den Umschlag eingepasst habe. Aber, … es hat ja Gott sei Dank geklappt!“.

Nun überzog er den Umschlag vorsichtig mit mehreren Schichten Pergament, welches er mit Knochenleim fixierte.

Darüber folgte als letzte Schicht ein Überzug aus Hirschleder.

Dieses hatte er schon in den vorhergehenden Tagen hergerichtet, indem er es entsprechend zugeschnitten und die Bildmotive und die Beschriftung eingeprägt hatte.

Voller Freude begutachtete er nun sein Werk, fand keinen Fehler und legte es in das Trocknungsregal, so dass der Leim trocknen konnte.

Kurz danach rief das Glockenläuten zur Heiligen Messe.

Das Buch wurde von ihm immer wieder während des Tages und auch an den darauf folgenden Tagen gewendet, so dass von allen Seiten die Feuchtigkeit des Leims entweichen konnte.

Als es fertig ausgetrocknet war, wurde das Buch zu den anderen vom Kloster Blaubeuren bestellten Büchern gestellt.

Ende März war es soweit.

Das Wetter war soweit stabil, so dass sich allerorts die Reisenden auf den Weg machen konnten, um die von ihnen vorgesehenen Dinge zu erledigen.

So auch Bruder Thaddäus Burger OSB und Bruder Jakobus Spindler OSB vom Kloster Blaubeuren.

Beide hatten den Auftrag, die schon letztes Jahr bestellten Bücher abzuholen und trafen eines Nachmittags im Kloster Lorch ein.

Nach einem eingelegten Ruhetag, an dem sie sich von den Reisestrapazen erholen konnten, kam es am darauffolgenden Morgen, dem Abreisetag zur Übergabe.

Als Pater Matthäus von Spaltenfels die einzelnen Bücher überreichte, war er besonders aufgeregt und auch ein bisschen melancholisch, besonders, als er die Kopie des „Kräuterbuch von Pedacii Dioskorides Anazarbæi“ übergab.

Denn nun war seine Hinterlassenschaft auf dem Weg in die Zukunft.

Er würde diese nun nicht mehr zurückhalten können.

Und wahrscheinlich würde er auch nichts mehr davon hören.

Irgendwann würde ein anderer Mensch das im Buch Verborgene entdecken.

Vielleicht würde die Person darüber lächeln und wäre gerührt, oder den Brief als Blödsinn ansehen und ihn zerreißen.

Würde dies schon in den nächsten Wochen oder Monaten passieren oder erst in hundert oder noch mehr Jahren?

Wäre der Entdecker weiblich oder männlich, jung oder alt?

Wäre er oder sie gebildet oder des Lesens gar nicht mächtig, so dass ihr oder ihm der Brief dann vorgelesen werden müsste?

Alles Gedanken, welche ihm durch den Kopf schossen.

Deshalb begleitete er die beiden Blaubeurer Mitbrüder nach draußen und überwachte das Einladen der Bücher.

Dann wünschte er ihnen Gottes Segen für die Reise.

Die Blaubeurer saßen auf, einer ließ die Peitsche knallen, die Pferde zogen an und die mit den Büchern beladenen Wagen nahmen langsam Fahrt auf.

Der sie begleitende Tross setzte sich ebenfalls in Bewegung und sie passierten nacheinander die Klosterpforte mit ihrem mächtigen Tor.

Pater Matthäus blickte ihnen mit ein bisschen Wehmut im Herzen so lange nach, bis sie an der Weggabelung hinter der Klosterpforte nach links Richtung Tal abbogen und im Wald verschwanden.

Danach kehrte wieder Alltag ein, es vergingen die Tage mit immer der gleichen Routine, bis zum sehr frühen Sonnenaufgang am siebzehnten Juni 1512.

Nach der „Vigil“, dem Nachtgottesdienst kurz nach Mitternacht, legte er sich nochmals auf sein Bett und schlief ein.

Zu Beginn des Sonnenaufgangs wachte er mit heftigsten Schmerzen in der Brust und mit noch nie so stark aufgetretener Atemnot auf und hatte das Gefühl, als ob sein letztes Stündlein schlagen würde.

Er kannte diesen Zustand ja schon von vor einem Jahr, als er mit derselben Symptomatik aufgewacht war und dachte sich: „Wenn ich das so Gott will überlebe, werde ich womöglich, wie beim letzten Mal auch, in einem noch schlechteren körperlichen Zustand als bisher sein“.

Deshalb folgte er auch nicht dem Glockenruf zur „Laudes“.

Sein Fehlen wurde bemerkt und Vater Abt beauftragte unmittelbar nach der Laudes Bruder Bartholomäus Seifried, den Leiter der Infirmerie, nach ihm zu schauen.

Dieser klopfte an der Türe von Pater Matthäus Klosterzelle, welcher mit einem mühsam gerufenen „Ave“ antwortete.

Bruder Bartholomäus öffnete die Türe und fand seinen alten Mitbruder mit blassfahler Haut und pfeifenden Atemgeräuschen halb aufgerichtet in seinem Bett liegend vor.

Er blickte Bruder Bartholomäus mit seinen graublauen Augen hilfesuchend an und sprach mit brodelnder, röchelnder Stimme: „Ich bekomme… keine Luft … mehr, und … habe furchtbare … Schmerzen!“

„Wo habt Ihr denn die Schmerzen?“ „Auf beiden Seiten hinter … dem Brustbein, die strahlen in den Hals und … den linken Arm aus!“

Bruder Bartholomäus reagierte blitzschnell.

Er bat Pater Matthäus ruhig zu bleiben und sagte ihm, dass er sofort Hilfe herbeiholen würde.

Und er rannte los, schnappte sich die nächsten beiden ihm gerade im Kreuzgang über den Weg laufenden Mitbrüder und kehrte mit ihnen zusammen in Pater Matthäus´ Zelle zurück.

Die Drei hoben nun gemeinsam den nach Luft schnappenden Mitbruder aus dem Bett und schleppten ihn in die Infirmerie, wo er durch einen der dort ständig anwesenden Infirmeriebrüder besser überwacht und versorgt werden konnte.

Dort legten sie ihn vorsichtig ins Bett, und polsterten es so aus, dass er in die Herzbettlagerung positioniert werden konnte.

So bekam Pater Matthäus etwas besser Luft. Ein anderer in der Infirmerie Tätiger blieb bei ihm und versuchte ihn zu beruhigen, während Bruder Bartholomäus aus der Klosterapotheke den für diesen Notfall wirksamen Auszug aus verschiedenen Kräutern wie Andorn, Benediktenwurz, Myrrhe, Lorbeerblättern, Quendel, Geißbart, Ysop, Wermut und Wein besorgte.

Diesen flößte er dann Pater Matthäus behutsam ein.

Nach ein paar Minuten ließen seine Schmerzen nach.

Aber er fühlte sich sehr sehr schwach und blieb deshalb an diesem Tag im Bett.

Kloster Lorch

In den darauffolgenden Tagen besserte sich der Zustand von Pater Matthäus etwas.

Er erlangte aber, wie er schon geahnt hatte, nicht mehr diese Kräfte zurück, die er zuvor besessen hatte.

Selbst das Sprechen fiel ihm schwer, denn er musste mindestens zweimal Luftholen, bevor er einen Satz vollenden konnte.

Vormittags konnte er noch, kurzatmig wie er war, etwas im Scriptorium arbeiten.

Aber zu mehr als nur die Aufsicht über die korrekten Abläufe zu führen, war er nicht mehr in der Lage.

Nachmittags beziehungsweise am frühen Abend benötigte er jetzt immer eine lange Ruhephase und konnte die Vesper, so leid es ihm tat, nicht mehr besuchen.

Zum Abendessen stand er immer nochmals unter großen Mühen auf und besuchte nach der Rekreation noch die Komplet, um sich dann völlig erschöpft ins Bett zu legen.

Wegen seines sehr geschwächten Herzens hatte er allabendlich vor lauter Wassereinlagerungen dick geschwollene Beine hoch bis zu den Leisten, an manchen Tagen sogar bis in die Flanken hinein.

Deshalb musste er drei bis vier Mal nachts das Bett verlassen, um zu urinieren; aber auch bis zum Morgen war meist noch nicht alle Flüssigkeit aus seinen Körpergeweben verschwunden.

So vergingen nun die Tage, Wochen und Monate.

Pater Matthäus war weiterhin im Skriptorium tätig und stand trotz seines schlechten gesundheitlichen Zustandes als Ansprechpartner und Vertrauensperson für alle Mitbrüder und auch für die vielen Klostergäste zur Verfügung.

Das ging so weiter bis zum Tag des Herrn am fünfundzwanzigsten September Anno 1513.

Den ganzen Sonntag über ging es Pater Matthäus von Spaltenfels immer schlechter, er hatte das Gefühl, dass es mit der Luft immer noch knapper würde, als es eh schon seit dem letzten Jahr war.

Aber er raffte sich unter Aufbietung der letzten Kräfte auf, um zur Komplet zu gehen.

Dort angekommen war er nicht mehr in der Lage, die Gebete auf Knien zu verrichten, sondern er wohnte der Zeremonie im Sitzen bei.

Während des zum Abschluss des abendlichen Gottesdienstes gesungenen „Salve Regina“ wurde es ihm schwarz vor den Augen, er wurde bewusstlos und sank langsam von seinen Mitbrüdern unbemerkt, in sich zusammen.

Erst als er zu Boden fiel, wurden seine Mitbrüder auf ihn aufmerksam.

Bruder Bartholomäus eilte sofort herbei und schaute nach ihm, konnte aber keinen Puls und keine Lebenszeichen mehr feststellen.

Gemeinsam mit dreien seiner Mitbrüder hoben sie den gerade Verstorbenen vorsichtig aus dem Chorgestühl heraus und brachten ihn in die Infirmerie.

Dort entkleideten sie Pater Matthäus und führten an ihm die obligatorische Leichenwaschung durch.

Dann wurde der Tote wieder angekleidet und zum Schluss noch seine Kukulle übergezogen.

Als sie mit allem fertig waren, trugen sie ihn von der Infirmerie aus wieder in die Kirche und bahrten ihn vor dem Altar auf.

Voller Respekt verneigten sich seine Mitbrüder vor ihrem verstorbenen und bei den meisten von ihnen sehr beliebten Mitbruder.

Am darauffolgenden Tag wurde vormittags die Beerdigung vorbereitet und am Nachmittag zur Zeit der Todesstunde des Herrn Jesus Christus wurde Pater Matthäus von Spaltenfels OSB auf dem Klosterfriedhof zur letzten Ruhe gebettet.

Kloster Lorch

Die Entdeckung einer Niederschrift

Sankt-Johannes-Baptista-Kloster zu Blaubeuren, Ende Februar 1520:

Vierhundertfünfunddreißig Jahre existierte nun schon das von Hirsau aus besiedelte Kloster, welches das Sankt-Johannis-Baptista-Patrozinium der Kirche am Blautopf übernahm und zum Zentrum mehrerer Wallfahrten wurde.

Der Klosterbesitz erstreckte sich über fünfzig Orte um Blaubeuren herum.

Dazu kam noch der Besitz in zwanzig Orten um den Pfleghof in Tübingen und in elf Orten um den Pfleghof in Esslingen herum.