Hohlbein Classics - Das Ende der Blutgötter - Wolfgang Hohlbein - E-Book

Hohlbein Classics - Das Ende der Blutgötter E-Book

Wolfgang Hohlbein

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Beschreibung

Jetzt zum ersten Mal als E-Book verfügbar: Die Reihe "Hohlbein Classics" versammelt die frühen Werke von Wolfgang Hohlbein, die seinerzeit im Romanheft erschienen sind.


Die Story: Die Blutgötter haben eine schwere Niederlage hinnehmen müssen. Aber damit ist die Gefahr keineswegs gebannt - im Gegenteil. Damona und Mike haben sich kaum wieder auf Kings Castle eingelebt, als sie einen dringenden Hilferuf empfangen. Die Sehenden Wächter rufen all ihre Verbündeten zusammen, als die fünf überlebenden Moordrohr zum Sturm auf Yor-Marataar ansetzen. Eine Schlacht der Giganten entbrennt. Eine Auseinandersetzung, die nur eines bedeuten kann: Das Ende von Yor-Marataar und einen Sieg des Bösen - oder das Ende der Blutgötter.


"Das Ende der Blutgötter" erschien erstmals am 08.02.1982 unter dem Pseudonym Henry Wolf in der Reihe "Damona King".


Der Autor: Wolfgang Hohlbein ist der erfolgreichste deutschsprachige Fantasy-Autor mit einer Gesamtauflage von über 40 Millionen Büchern weltweit.

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Seitenzahl: 146

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Inhalt

CoverHohlbein ClassicsÜber diese FolgeÜber den AutorTitelImpressumDas Ende der BlutgötterVorschau

Hohlbein Classics

Jetzt zum ersten Mal als E-Book verfügbar: Die Reihe »Hohlbein Classics« versammelt die frühen Werke von Wolfgang Hohlbein, die seinerzeit im Romanheft erschienen sind.

Über diese Folge

Das Ende der Blutgötter

Ein Damona King Roman

Die Blutgötter haben eine schwere Niederlage hinnehmen müssen. Aber damit ist die Gefahr keineswegs gebannt – im Gegenteil. Damona und Mike haben sich kaum wieder auf Kings Castle eingelebt, als sie einen dringenden Hilferuf empfangen. Die Sehenden Wächter rufen all ihre Verbündeten zusammen, als die fünf überlebenden Moordrohr zum Sturm auf Yor-Marathaar ansetzen. Eine Schlacht der Giganten entbrennt. Eine Auseinandersetzung, die nur eines bedeuten kann: Das Ende von Yor-Marathaar und einen Sieg des Bösen – oder das Ende der Blutgötter.

»Das Ende der Blutgötter« erschien erstmals am 08.02.1982 unter dem Pseudonym Henry Wolf in der Reihe »Damona King«.

Über den Autor

Wolfgang Hohlbein ist der erfolgreichste deutschsprachige Fantasy-Autor mit einer Gesamtauflage von über 40 Millionen Büchern weltweit.

WOLFGANG

HOHLBEIN

Das Ende der Blutgötter

Ein Damona King Roman

BASTEI ENTERTAINMENT

Aktualisierte Neuausgabe der im Bastei Lübbe Verlag erschienenen Romanhefte aus der Reihe Damona King

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Lektorat/Projektmanagement: Esther Madaler

Covergestaltung: Christin Wilhelm, www.grafic4u.de unter Verwendung von © shutterstock/Natykach Nataliia; shutterstock/Dmitry Natashin

E-Book-Erstellung: Dörlemann Satz, Lemförde

ISBN 978-3-7325-1443-4

Das Ende der Blutgötter

Gespensterkrimi von Henry Wolf

Der Tod schwebte unsichtbar über dem Dorf. Das Verderben war nicht zu hören, nicht zu sehen oder auf irgendeine andere Art zu erahnen, und doch ballte es sich wie eine riesige dunkle Wolke über dem halben Hundert ärmlicher Hütten zusammen. Als es schließlich über das Dorf hereinbrach, geschah dies mit der Plötzlichkeit eines Tropengewitters – eine gigantische, lodernde Feuersäule schoss aus dem Zentrum des Ortes in den Himmel, tauchte die Hänge der umliegenden Berge für Sekunden in kalkiges weißes Licht und erlosch. Augenblicke später kehrte wieder Ruhe ein. Und es blieb still. Keiner der Dorfbewohner stürzte aus dem Haus, um nach der Ursache des plötzlichen Lärms Ausschau zu halten. Es war, als hätte niemand den berstenden Donner und den höllischen Blitz bemerkt. Das Dorf lag still und friedlich da, als wäre nichts geschehen.

Die einzige Veränderung waren die fünf flachen Tümpel im Zentrum des Dorfplatzes, in denen eine dunkelrote, zähe Flüssigkeit brodelte. Und doch war etwas geschehen. Etwas, an dessen Ende die Welt anders aussehen würde als jetzt; ganz egal, wie es ausging.

Der Sturm auf Yor-Marathaar hatte begonnen!

Mike Hunter gähnte, drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus und ließ sich seufzend in den gemütlichen Kaminsessel zurücksinken. Er wirkte müde; unter seinen Augen lagen schmale dunkle Ringe, und sein Gesicht machte einen abgekämpften Eindruck. Seine Finger zitterten unmerklich, als er den Ordner zuklappte, in dem er die letzten fünfundvierzig Minuten geblättert hatte.

»Genug für heute«, murmelte er. »Man kann es mit dem Arbeiten auch übertreiben.«

Damona sah von ihrem Buch auf und lächelte flüchtig. Sie hatte es sich auf der anderen Seite des Kamins bequem gemacht, ein Buch zur Hand genommen und darin gestöbert. Aber so richtig konzentriert gelesen hatte sie nicht. Es war das erste mal seit Wochen, dass sie Zeit für sich selbst gefunden hatte; ein paar Stunden, in denen sie nicht von einem Abenteuer zum nächsten oder von einer halb erledigten Arbeit zur anderen hetzen musste. Aber jetzt, als sie endlich einmal aus dem schon fast alltäglichen Stress heraus war, wollte sich die erhoffte Entspannung nicht so recht einstellen.

»Bist du durch?«, fragte sie.

Mike tippte mit dem Zeigefinger auf den Ordner und zog fragend die Stirn kraus. »Damit?« Er lächelte wehmütig. »Mit einem Siebenundzwanzig-Millionen-Auftrag ist man nicht nach drei Tagen durch. Ich habe nicht einmal richtig angefangen.«

Damona klappte ihr Buch zu und stand auf. Das flackernde Kaminfeuer zeichnete weiche rote Lichtreflexe auf den schimmernden Seidenstoff ihres Negligés. »Du solltest Romano die Arbeit überlassen«, sagte sie.

Mike lachte leise. »Ich weiß – er ist ganz heiß darauf. Hat mich heute dreimal angerufen und gefragt, ob er mir helfen kann. Aber er wird noch mehr zu tun bekommen, als ihm lieb ist. Ist dir klar, dass das unser bisher größtes Projekt wird?«

Damona nickte, ging zu Mike hinüber und fegte den Aktenordner mit einer beiläufigen Handbewegung von seinem Schoß. »Schluss jetzt«, sagte sie streng. »Auch ein Held braucht mal Ruhe.«

Mike wollte sich nach dem Ordner bücken, aber Damona schlug ihm spielerisch auf die Hand und ließ sich dann mit ihrem ganzen Gewicht auf ihn fallen. Der Sessel ächzte vernehmlich, während Mike bloß die Augen verdrehte und wie ein Fisch auf dem Trockenen nach Luft schnappte.

»Willst du mich umbringen?«, ächzte er.

Damona schlang ihre Arme um seinen Hals, küsste ihn flüchtig auf die Stirn und kuschelte sich dann mit geschlossenen Augen an seine Schulter.

»Dich kann man gar nicht umbringen«, sagte sie schläfrig. »Das ist schon oft genug versucht worden. Ich fürchte, ich werde dich ertragen müssen, bis ich alt und grau bin. Außerdem möchte ich jetzt nicht von unangenehmen Dingen reden. Und erst recht nicht von Arbeit. Du kannst von mir aus morgen weiter deinen Flughafen planen, aber heute...«

Ein helles Klirren drang durch die geschlossene Tür der Bibliothek herein und ließ Damona mitten im Satz abbrechen. Sie öffnete die Augen, stützte sich auf der Sessellehne ab und richtete sich mit einem Ruck auf.

»Was war das?«

Mike zuckte die Achseln. »Hörte sich an, als wäre irgendwo Glas zu Bruch gegangen«, sagte er. »Vielleicht ist eines der Dienstmädchen mit einem Tablett gestürzt.« Er versuchte, Damona von seinem Schoß zu heben, ächzte und sank verblüfft zurück.

Die große, hölzerne Doppeltür der Bibliothek hatte sich wie von Geisterhänden bewegt geöffnet. Aus der Empfangshalle drang dunkelrotes, blutiges Licht herein. »Was...«, sagte er. »Was ist denn jetzt schon wieder los?«

Damona schüttelte unwillig den Kopf und stand endgültig auf. Sie warf Mike einen halb fragenden, halb ängstlichen Blick zu und ging dann mit vorsichtigen Bewegungen zur Tür. Mike folgte ihr.

Der Anblick, der sich ihnen bot, ließ sie beide verblüfft zurückprallen.

Die riesige, hohe Eingangshalle von King’s Castle war von blutig rotem Licht erfüllt. Grelle, flackernde Elmsfeuer huschten über den Boden und die Wandteppiche, züngelten über die alten Ritterrüstungen, die rechts und links des Hauptportals aufgestellt waren und leckten an den Treppenstufen empor. Aber alles dies nahmen Damona und Mike nur am Rande wahr. Ihre Aufmerksamkeit war ganz auf den hohen, goldgerahmten Spiegel an der Südwand gerichtet.

Der magische Spiegel!

Und er war zu geisterhaftem, magischem Leben erwacht. Damona sah ihr eigenes und Mikes Spiegelbild, seltsam verzerrt und von den blutroten Lichtreflexen in Flammen gebadet. Aber außer diesen Spiegelbildern waren da auch noch andere – Bilder von Gesichtern, von Händen, von Körpern, Visionen, die in irrsinnigem Tempo wechselten und den Spiegel zu einem rießengroßen Kaleidoskop werden ließen.

Damona bewegte sich wie unter einem inneren Zwang auf den Spiegel zu. Mike wollte sie am Ärmel festhalten, aber die junge Frau ging einfach weiter, als hätte sie die Berührung gar nicht gespürt. Der Stoff ihres Negligés zerriss, und Mike starrte einen Sekundenbruchteil lang verblüfft auf den Seidenfetzen in seiner Hand, ehe er seine Geistesgegenwart wiederfand und hinter ihr herstürzte.

Sie hatte den Spiegel fast erreicht, als er sie einholte.

Hinter der silberglänzenden Oberfläche begann sich langsam eine Gestalt abzuzeichnen. Die große, gebückte Gestalt eines weißhaarigen alten Mannes.

»Nikolaos!«, keuchte Mike verblüfft.

Der Blick des Sehenden Wächters bohrte sich für den Bruchteil eines Augenblickes in seinen. Der alte Mann nickte unmerklich.

»Damona King! Mike Hunter!«, sagte er leise. Seine Lippen bewegten sich nicht beim Sprechen. Die Worte schienen direkt in Damonas und Mikes Köpfen zu entstehen.

»Die Sehenden Wächter sind in Gefahr!«, sagte Triadi. »Das Böse hat zum entscheidenden Schlag gegen die Mächte der Weißen Magie angesetzt! Wir brauchen eure Hilfe!«

»Wir helfen dir!«, sagte Damona rasch. »Sag uns nur, wie, und – «

Triadi brachte sie mit einer raschen Handbewegung zum Verstummen. Seine Gestalt flackerte. Unsichtbare Wellen schienen über die gläserne Oberfläche des Spiegels zu gleiten. Triadis Gesicht verzerrte sich und wurde einer zu grinsenden Grimasse.

»Für lange Erklärungen ist keine Zeit«, sagte er hektisch. »Wenn ihr bereit seid, euer Leben für uns in die Waagschale zu werfen, dann kommt.«

Damona trat einen Schritt auf den Spiegel zu. Ihre Finger berührten seine Oberfläche und tauchten darin ein.

»Aber das Risiko ist hoch«, sagte Triadi. »Ich kann nicht garantieren, dass ihr den Kampf überleben werdet. Was ihr auch tut – ihr tut es freiwillig.«

Statt einer Antwort trat Damona vollends in den Spiegel hinein. Ihre Gestalt flackerte kurz, dann tauchte sie auf der anderen Seite des magischen Tores auf. Mike zögerte nur einen Herzschlag lang. Dann folgte er ihr.

***

Der Weg zum Dorf hinauf erschien Costa an diesem Morgen steiler und beschwerlicher als sonst. Er schleppte sich mit müden, trägen Bewegungen über den schmalen Bergpfad, blieb auf halbem Wege stehen und ließ sich auf einen Felsblock sinken, um Atem zu schöpfen. Sein Herz hämmerte. Er war am vergangenen Nachmittag aufgebrochen, um nach einer entlaufenen Ziege zu suchen. Aber er hatte keinen Erfolg gehabt. Das Tier war irgendwo in der zerklüfteten Berglandschaft am Fuße des Yor-Marathaar verschwunden, und wahrscheinlich würde er es nie wiedersehen. Ein harter Schlag für den alten Ziegenhirten und seine Familie. Sie hatten ohnehin nur neun Tiere, und der Verlust des Bocks brachte den Bestand der kleinen Herde ernsthaft in Gefahr.

Costa faltete die Hände, starrte einen Moment lang den Streifen grauer Dämmerung an, der über den Horizont emporkroch, und blinzelte dann zu der mächtigen Silhouette des Yor-Marathaar hinauf. Er war im Schatten des Berges aufgewachsen, aber all die Jahre hatten nichts daran geändert, dass ihn jedes Mal ein seltsam zwiespältiges Gefühl beschlich, wenn er an das Felsenkloster auf dem Gipfel des Berges dachte. Die Sehenden Wächter wohnten dort oben – eine kleine Gruppe alter Männer, von denen im Dorf wenig mehr als ihre Namen bekannt waren. Costa wusste, dass sie niemandem ein Leid tun würden und ganz für ihren Glauben lebten. Aber trotzdem waren sie ihm unheimlich. Die Menschen im Dorf mieden sie. Manchmal kam einer von ihnen aus seiner steinernen Festung herab, um Schafskäse, Brot und Wein zu erstehen, und selbst bei diesen seltenen Gelegenheiten behandelten die Einwohner des Dorfes sie mit einer Mischung aus Respekt und vorsichtiger Zurückhaltung.

Costa seufzte, stand auf und machte sich an die letzte Etappe des Weges. Er spürte jede Stunde, die er durch die zerklüftete Steinwüste geirrt war, wie eine Zentnerlast auf seinen Schultern. Er war aus dem Alter für solche Exkursionen längst heraus. Er würde das Tier aufgeben müssen. Irgendwie würden sie den Verlust schon verwinden.

Der Weg beschrieb eine scharfe Biegung, schlängelte sich dann zwischen zwei zyklopischen Felssäulen hindurch und stieg dann in gerader Linie zum Rand des Plateaus hinauf.

Costa blieb abermals stehen, als er den Rand des steinernen Plateaus erreicht hatte. Das Dorf lag still und einsam vor ihm; vierzig ärmliche, strohgedeckte Hütten, die sich wie Schutz suchend aneinanderdrängten und vor der gigantischen Kulisse des Yor-Marathaar unglaublich verloren wirkten. Eigentlich war es schon fast zu still.

Costa spürte, wie seine Müdigkeit verging und einem Gefühl angespannten Misstrauens wich. Das Dorf dürfte nicht so still sein. Die Häuser lagen da wie die Gebäude einer verlassenen Geisterstadt. Normalerweise war das Leben in Komoxanthi um diese Uhrzeit bereits erwacht. Die Sonne würde in weniger als einer halben Stunde über den Bergkämmen erscheinen, und eigentlich sollte der Dorfplatz jetzt schon vom Gegacker der Hühner und dem Lärmen der Kinder erfüllt sein. Normalerweise würden die anderen jetzt aus den Häusern gehen und ihre Herden auf die Bergwiesen treiben.

Nichts von alledem war der Fall. Hinter den schmalen Fenstern brannte kein Licht. Selbst die Ställe lagen still da, als hätten die Tiere darin zum ersten Mal seit ungezählten Jahren das Erwachen des Tages verschlafen.

Costa ging langsam weiter. Die verrücktesten Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Er hatte plötzlich das aberwitzige Gefühl, in eine Totenstadt zu kommen.

Aber natürlich würde es eine logische Erklärung geben.

Er versuchte, sich selbst mit diesem Gedanken zu beruhigen, und schritt schneller aus.

Der Wind drehte sich. Leichter Brandgeruch wehte zu Costa hinüber. Dann hörte er Geräusche. Schritte, eine Vielzahl von Stimmen, die sich in einer unbekannten Sprache unterhielten. Er fuhr sich nervös mit der Hand durch das Gesicht, sah sich ängstlich nach allen Seiten um und versuchte, seine Angst zurückzudrängen.

Vor ihm bewegten sich Gestalten durch das Dämmerlicht.

Männer.

Costa verhielt mitten im Schritt, als er die Gestalten genauer erkannte. Es waren keine Männer aus dem Dorf. Sie waren allesamt schlank, hochgewachsen und elegant gekleidet.

Der alte Schafhirte wusste hinterher selbst nicht mehr, was ihn dazu bewogen hatte – aber er reagierte plötzlich rein instinktiv. Er spürte einfach, dass von diesen fünf Männern eine Gefahr ausging.

Er duckte sich, warf einen raschen Blick in die Runde und huschte dann in den Schatten eines Hauses. Keiner der fünf schien etwas von seiner Annäherung bemerkt zu haben.

Costa presste sich eng gegen den rauen Putz und versuchte, so flach wie möglich zu atmen. Aber die Fremden nahmen keine Notiz von ihm. Sie schienen sich vollkommen sicher zu fühlen. So, als bestünde überhaupt keine Gefahr, dass einer der Dorfbewohner aufwachen und sie überraschen könnte. Costa hatte plötzlich den verrückten Gedanken, dass die fünf Fremden alle Dorfbewohner getötet haben könnten. Aber das war natürlich Unsinn. Komoxanthi hatte fast zweihundert Einwohner. Dagegen stellten diese fünf Männer eine geradezu lächerliche Streitmacht dar.

Wenn es überhaupt Menschen waren...

Costas Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, während er zu den fünf Fremden hinüberstarrte. Irgendetwas Dunkles und Bedrohliches umgab die fünf Gestalten. Eine Aura der Gewalt und des Bösen. Obwohl er die Sprache, in der sie sich unterhielten, nicht verstehen konnte, ließen ihn die Worte erschauern. Ihr Tonfall war dunkel, aggressiv und böse.

Er betrachtete die Männer genauer.

Drei von ihnen schienen Europäer zu sein – dunkelhaarige Männer mit streng zurückgekämmten Haaren und energischen Gesichtern, in denen Härte und Rücksichtslosigkeit geschrieben stand. Der Vierte war Asiate – Chinese, Japaner oder sonst was – das machte für Costa keinen Unterschied, während der Fünfte ein riesenhaft gebauter Schwarzer war. Sie standen eng beisammen im Zentrum des Dorfplatzes und unterhielten sich erregt. Der Schwarze deutete dabei immer wieder mit der Hand auf den Berg. Ihr Hiersein musste irgendetwas mit dem Yor-Marathaar zu tun haben.

Costa ließ sich langsam auf Hände und Knie sinken und begann rückwärts davonzukriechen. Die Sonne würde bald aufgehen und die zurückweichenden Schatten der Nacht endgültig vertreiben. Sein Versteck würde dann nicht mehr sicher sein. Und er fürchtete sich mit einem Male vor diesen fünf Männern.

Ein Geräusch ließ ihn erstarren.

Die Tür neben ihm öffnete sich, schwang knarrend nach außen und schlug mit dumpfen Knall gegen die Hauswand. Aber nicht nur diese Tür. Überall im Dorf wurden Türen und Vorhänge geöffnet, und die Bewohner der Häuser traten wie auf ein gemeinsames Kommando hin auf die Straße.

Costa verfolgte die Szene mit angehaltenem Atem. Die Menschen versammelten sich wortlos vor ihren Häusern, verharrten einen Moment und reihten sich dann in die stumme Prozession ein, die dem Marktplatz entgegenstrebte. Männer – Frauen – Kinder – Greise... das ganze Dorf schien auf den Beinen zu sein. Aber das waren nicht mehr die Menschen, die er kannte! Einige von ihnen gingen so dicht an Costa vorüber, dass er nur den Arm hätte auszustrecken brauchen, um sie zu berühren. Aber niemand schien von ihm Notiz zu nehmen. Ihre Gesichter wirken leer und schlaff, und ihre Bewegungen waren hölzern und ungelenk. Costa musste unwillkürlich an menschengroße Marionetten denken, als er die schweigende Reihe an sich vorüberziehen sah.

Sie waren nicht mehr Herr ihres Willens! Ein anderer, stärkerer Wille hatte sich ihrer Körper bemächtigt.

Costa stöhnte unterdrückt und kroch tiefer in die Dunkelheit hinein. Er musste weg, sofort. Im Grunde hatte er schon unglaubliches Glück gehabt, dass er bisher nicht entdeckt worden war.

Die Spitze der Prozession hatte mittlerweile den Dorfplatz erreicht. Die Menschen blieben stehen und bildeten einen weiten Kreis um die fünf Unheimlichen.

Einer von ihnen begann zu sprechen. Seine Stimme klang seltsam dünn und unbeholfen, und trotzdem schallte sie bis in den letzten Winkel des Dorfes.

»Ihr wisst, weshalb wir euch riefen«, sagte er in akzentfreiem Griechisch. »Ihr werdet unsere Diener sein. Die Werkzeuge, mit deren Hilfe wir unseren angestammten Platz in dieser Welt zurückerobern werden!«

Costa schauderte. Unter anderen Umständen hätte er über diese Worte gelacht, aber der Anblick der stummen, willenlosen Menschen rings um ihn sagte ihm deutlich, wie ernst der Unheimliche seine Worte meinte.

»Bevor der Tag zu Ende ist«, fuhr der Fremde fort, »wird Yor-Marathaar in unserer Hand sein. Das Felsenkloster muss fallen. Es spielt keine Rolle, wie viele von euch bei dem Versuch sterben, die Festung zu erobern. Nur der Erfolg zählt. Habt ihr das verstanden?«

Niemand antwortete, aber der Unheimliche schien mit dieser stummen Zustimmung zufrieden zu sein.

»Die, die überleben«, fuhr er nach einer sekundenlangen Pause fort, »werden reich belohnt werden. Ihr werdet die Keimzelle unserer neuen Armee werden. Die Führer des Heeres, mit dem wir diese Welt erobern werden, um sie wieder ihren rechtmäßigen Herren zurückzugeben. Ihr werdet die Unsterblichkeit als Lohn für euren Dienst erhalten. Dies – und Macht. Mehr Macht, als je ein Mensch besessen hat. Denkt immer daran, wenn ihr kämpft.« Er zögerte erneut. Der Blick seiner kleinen, schmalen Augen wanderte über die stummen Gesichter der Dorfbewohner.

»Und nun«, sagte er dann, »geht. Ihr wisst, was zu tun ist. Yor-Marathaar muss fallen, ehe die Sonne ein zweites Mal aufgeht.«