Hohlbein Classics - Der Mann, der das Grauen erbte - Wolfgang Hohlbein - E-Book

Hohlbein Classics - Der Mann, der das Grauen erbte E-Book

Wolfgang Hohlbein

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Beschreibung

Jetzt zum ersten Mal als E-Book verfügbar: Die Reihe "Hohlbein Classics" versammelt die frühen Werke von Wolfgang Hohlbein, die seinerzeit im Romanheft erschienen sind.


Die Story: Die Bücher eines H.P Lovecraft hatten es ihm angetan. Die finsteren Beschwörungen, die magischen Zauberformeln, das Spiel mit den Mächten der Hölle. Celham versuchte es. Er mietete sich ein düsteres Haus und sprach die schlimmen Formeln. Das Grauenhafte geschah. Ein Monster aus den Urtiefen der Hölle erschien, und Celham begriff, welch einen schweren Fehler er begangen hatte ...


"Der Mann, der das Grauen erbte" erschien erstmals am 11.05.1981 unter dem Pseudonym Robert Lamont in der Reihe "Professor Zamorra".


Der Autor: Wolfgang Hohlbein ist der erfolgreichste deutschsprachige Fantasy-Autor mit einer Gesamtauflage von über 40 Millionen Büchern weltweit.

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Inhalt

CoverHohlbein ClassicsÜber diese FolgeÜber den AutorTitelImpressumDer Mann, der das Grauen erbteVorschau

Hohlbein Classics

Jetzt zum ersten Mal als E-Book verfügbar: Die Reihe »Hohlbein Classics« versammelt die frühen Werke von Wolfgang Hohlbein, die seinerzeit im Romanheft erschienen sind.

Über diese Folge

Der Mann, der das Grauen erbte

Ein Professor Zamorra Roman

Die Bücher eines H.P Lovecraft hatten es ihm angetan. Die finsteren Beschwörungen, die magischen Zauberformeln, das Spiel mit den Mächten der Hölle. Celham versuchte es. Er mietete sich ein düsteres Haus und sprach die schlimmen Formeln. Das Grauenhafte geschah. Ein Monster aus den Urtiefen der Hölle erschien, und Celham begriff, welch einen schweren Fehler er begangen hatte …

»Der Mann, der das Grauen erbte« erschien erstmals am 11.05.1981 unter dem Pseudonym Robert Lamont in der Reihe »Professor Zamorra«.

Über den Autor

Wolfgang Hohlbein ist der erfolgreichste deutschsprachige Fantasy-Autor mit einer Gesamtauflage von über 40 Millionen Büchern weltweit.

WOLFGANG

HOHLBEIN

Der Mann, der das Grauen erbte

Ein Professor Zamorra Roman

BASTEI ENTERTAINMENT

Aktualisierte Neuausgabe der im Bastei Lübbe Verlag erschienenen Romanhefte aus der Reihe Professor Zamorra

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Lektorat/Projektmanagement: Esther Madaler

Covergestaltung: Christin Wilhelm, www.grafic4u.de unter Verwendung von © shutterstock/Natykach Nataliia; shutterstock/Dmitry Natashin

E-Book-Erstellung: Dörlemann Satz, Lemförde

ISBN 978-3-7325-1454-0

Der Mann, der das Grauen erbte

Ein Gespenster-Krimi von Robert Lamont

Rhylee! Chtulhu ftagn Shudde-mell rpangln

Die Worte waren nicht für menschliche Stimmbänder gedacht. Ihr Klang echote dumpf durch den kleinen Raum, hallte von den unverkleideten Steinwänden wider und schien irgendwo in der Unendlichkeit zu versickern, als hätte die verbotene Beschwörungsformel ein Tor in eine andere Welt geöffnet, eine Welt, die von Menschen weder begriffen noch beherrscht werden konnte.

Celhams Hals schmerzte. Er fror, obwohl ihm das Digitalthermometer über seinem Schreibtisch sagte, dass in dem winzigen Raum fast dreißig Grad Celsius herrschten. Er hatte jedes Zeitgefühl verloren, und seine Glieder fühlten sich seltsam taub an, als wären sie nur noch bloße Anhängsel seines Körpers, nutzlos und höchstens noch eine Belastung. Er wusste nicht mehr, wann er hier heruntergekommen war, wie lange er jetzt schon hier saß und versuchte, die Texte aus dem Nekronomikon richtig zu zitieren, ihren Worten den richtigen Klang, die richtige Betonung zu geben. Vor ein paar Stunden hatte er Durst bekommen, später hatte sich Hunger hinzugesellt, aber er hatte jetzt keine Zeit, sich um die Bedürfnisse seines Körpers zu kümmern.

Er stand kurz davor, kurz vor dem Durchbruch, dem Augenblick, auf den er die letzten fünfunddreißig Jahre seines Lebens hingearbeitet hatte.

Wieder formten seine Lippen die Worte, konzentrierte er sei ganzes Denken auf jenen winzigen Punkt an der gegenüberliegenden Wand der Kammer, wo er mit sorgfältigen Kreidestrichen das Hexagon hingezeichnet hatte. Seine Hände zitterten vor Aufregung. Er spürte, dass er kurz vor dem Erfolg stand, dass der Formel nur noch eine Winzigkeit fehlte, eine kleine Betonung hier, eine etwas stärkere Aussprache dort – Kleinigkeiten im Vergleich zu den Schwierigkeiten, die er überwunden hatte, ehe er in den Besitz des Nekronomikon gelangt war, des einzigen echten Exemplars, das jemals existiert hatte. Fünfunddreißig Jahre seines Lebens hatte er geopfert, um in den Besitz dieses Schatzes zu gelangen, Zehntausende von Meilen weit war er gereist, von einer Enttäuschung zur anderen. Und das beachtliche Vermögen, das ihm sein Vater hinterlassen hatte, hatte sich im Laufe der Jahre in einen beinahe gleich großen Berg von Schulden verwandelt.

Aber das alles zählte nicht mehr. Er hatte seinen Traum verfolgt, und es war ihm egal gewesen, wie viele Fehlschläge es gegeben hatte, dass die anderen hinter seinem Rücken zuerst zu lachen und dann zu tuscheln begannen, dass sich alle seine Freunde von ihm abwandten.

Rhylee, ch tulh u ftagn shudde ftagne shudde-mell

Er spürte, wie der Bann brach. In seinem Innern tobte für einen winzigen Moment ein Chaos, als er versuchte, seiner Aufregung Herr zu werden und jenen Grad von angespannter Gelöstheit zu erreichen, der notwendig war, um die Beschwörung korrekt durchzuführen.

Im Zentrum des Hexagons entstand Bewegung. Celham hatte für einen winzigen Augenblick den Eindruck, durch die Oberfläche eines glasklaren Flusses auf den feucht schimmernden Stein zu blicken, dann verschwand das Phänomen so plötzlich wieder, wie es aufgetaucht war.

Aber etwas hatte sich verändert.

Im Zentrum des Kreidezeichens entstand ein sanftes, grünliches Leuchten, als wäre das Feld mit einer phosphoreszierenden Farbe überzogen worden. Das Leuchten wurde intensiver, kräftiger, nahm eine giftgrüne Färbung an, und im gleichen Maße, wie der Schein stärker wurde, schien sich das Licht der nackten Glühbirne, die an einem Draht von der Decke baumelte, abzuschwächen, als sauge dieses böse Licht die Helligkeit auf.

Celham schluckte.

Er konnte nicht leugnen, dass er Angst hatte, aber das war nur natürlich. Außerdem war es zu spät. Er war viel zu weit gegangen, um jetzt noch einen Rückzieher zu machen.

Celham lächelte verzerrt. Rückzieher ... selbst wenn er es gewollt hätte, hätte er es nicht gekonnt. Fünfunddreißig Jahre lassen sich nicht einfach mit einem Schulterzucken abtun. Und er war auch zu weit gegangen. Er hatte das Tor in diese andere, verbotene Welt schon geöffnet, einen Spaltbreit zwar nur, aber weit genug, dass das Grauen seinen Fuß dazwischen stellen konnte. Und so, wie er der einzige Mensch auf der Welt war, der die Gespenster der Vergangenheit beschwören konnte, war er auch der Einzige, der sie beherrschen konnte, der einzige Mensch, der zu verhindern im Stande war, dass sich die Horden aus der anderen, dunklen Welt über die Erde ergossen und den Menschen die Herrschaft über ihren Planeten streitig machten.

Konnte er es wirklich ...?

Für einen Sekundenbruchteil wallte Panik in ihm auf. Er verscheuchte den Gedanken, aber die Frage war da, einmal ausgesprochen ließ er sich nicht mehr rückgängig machen.

Celham lächelte erneut, aber sein Gesicht glich dabei eher einer schmerzerfüllten Grimasse. Im Nekronomikon standen genug Warnungen. Und er wäre nicht der Erste, der Opfer der Dämonen wurde, die er rief. Eine Zeile aus dem Zauberlehrling fiel ihm ein:

Die Geister die ich rief, ich werd sie nicht mehr los ...

Oder so ähnlich. Das Zitat war wahrscheinlich nicht wortgetreu, aber es versinnbildlichte alles, was er im Moment fühlte.

»Unsinn«, murmelte er halblaut. Er war sicher. Er hatte alle Sicherheitsvorkehrungen getroffen, die das Buch vorschrieb, und noch ein paar mehr. Alle seine Vorgänger waren Narren gewesen. Das Buch hatte vielen das Verhängnis gebracht, aber sie trugen selbst Schuld an ihrem Schicksal. Sie waren Narren gewesen, verblendete Idioten, die nach Ruhm und Reichtum trachteten und die Gefahr, die sie heraufbeschworen, unterschätzten.

Nein – er hatte sich vorbereitet. Ein Fingerschnippen von ihm würde reichen, die Geister wieder dahin zu verbannen, wo sie herkamen, das Tor ein für alle Mal zu schließen.

Und er hatte noch ein Übriges getan. In der Brusttasche seines Hemdes befand sich ein winziger Sender, ein technisches Wunderwerk, das er für viel Geld hatte anfertigen lassen und das auf seinen Herzschlag reagierte. Solange sein Herz schlug, solange er atmete, blieb das Gerät inaktiv. Aber wenn ihm etwas zustieß, würde es einen kurzen Funkimpuls ausstrahlen, und eine Reihe von genau platzierten Sprengsätzen würden das unterirdische Gewölbe und alles, was sich darin befand, vernichten.

Nicht, dass er mit so etwas rechnete ...

Das Leuchten an der Wand wurde jetzt stärker. Von dem grünlich glühenden Punkt erstreckten sich dünne, schlangengleiche Lichtfühler nach allen Seiten, prallten gegen die unüberwindliche Barriere, die das Hexagon bildete, und flossen daran ab wie an einem unsichtbaren Schutzschirm, bis die ineinander verschlungenen Kreidestriche wie unter einem geheimnisvollen inneren Leuchten glühten.

Celhams Blick suchte die Lampe. Das Licht der Glühbirne war mittlerweile fast ganz erloschen; er konnte den gedrehten Glühfaden sehen, wenig mehr als ein schwacher Funke. Während er hinsah, verlosch er ganz.

Aber der Raum wurde nicht dunkel, im Gegenteil. Das Leuchten des Hexagons füllte ihn jetzt ganz aus, überschwemmte die Kammer mit einer Flut von hartem, grausamem Licht, das die Konturen verzerrte und die Schatten zu geheimnisvollem Leben zu erwecken schien.

Celhams Atem beschleunigte sich. Seine Finger glitten über das brüchige Pergament des Buches, legten behutsam Seite um Seite um, bis sie die gekennzeichnete Stelle gefunden hatten. Celham wagte es nicht, den Blick von der Erscheinung zu nehmen, als fürchte er, dass in dem winzigen Augenblick, in dem er die Erscheinung nicht mit Blicken fixierte, irgendetwas Schreckliches, Grauenhaftes geschehen könnte. Celham wagte nicht einmal, zu blinzeln. Seine Lippen beteten lautlos die Worte herunter, die oben auf der aufgeschlagenen Seite standen. Es war nicht nötig, dass er hinsah, er kannte sie auswendig, seit Jahren schon, und es war auch nicht notwendig, dass er sie laut aussprach, es genügte, wenn er daran dachte. Das Schreckliche war weit genug in die Welt der Realität vorgedrungen, um seinen Gedanken, seine Gefühle lesen zu können. Die Krücke der akustischen Verständigung war nicht mehr nötig.

Im Zentrum des geheimnisvollen Leuchtens entstand Bewegung, ein dunkler, wirbelnder Strudel, der mit jeder Sekunde, jedem Atemzug, jedem Wort, das Celhams Lippen formten, an Substanz gewann, als söge die Erscheinung Kraft aus der Beschwörungsformel. Gleichzeitig wurde es kälter. Die Wärme schien sich um Celham herum zu verdichten, sich zu unsichtbaren, wallenden Schwaden zu formen, die durch das geheimnisvoll glühende Tor in eine andere, verbotene Welt abfloss.

Er fror. Seine Finger wurden erst gefühllos, dann steif, bis sie schließlich wie hölzerne Imitationen einer menschlichen Hand auf dem Pergament des Buches lagen. Er versuchte sie zu bewegen; es ging nicht. Er spürte, wie seine Stimmbänder den Dienst aufgaben, wie seine Augäpfel schwer wurden, bis er sie nicht mehr bewegen konnte, wie seine Lider sich bis auf einen winzigen Spalt schlossen. Sein Gesichtsfeld verengte sich auf einen winzigen, kreisförmigen Ausschnitt, in dessen Zentrum das glühende Hexagon schwebte.

Er konnte nicht einmal schreien, als die Erscheinung Gestalt annahm. Er hatte gewusst, was er zu erwarten hatte, welcher Art die Dämonen waren, die er mit seinen Beschwörungen rief. Aber die Wirklichkeit war viel schrecklicher als jede Vorstellung, jedes Bild, das er sich gemacht hatte. Die Erscheinung glich einem ins riesenhafte vergrößerten Regenwurm: Ein langer, massiger, vielfach gegliederter Körper, der im Licht des Hexagons dunkelgrün schimmerte und von einer Art – absurd! – trockenem Schleim überzogen zu sein schien. Dort, wo Celham den Kopf erwartet hatte, befand sich ein Ring aus schenkelstarken, peitschenden Tentakeln, die scheinbar wütend gegen die unsichtbare Fessel trommelten, die das Wesen gefangen hielten. Celham wusste nicht, ob das Ding fähig war, Laute auszustoßen; aber er wäre eher erleichtert gewesen, wenn das Wesen geschrien oder getobt hätte. Die lautlose Wut, mit der es sich in dem für seinen Körper viel zu kleinen Gefängnis wand, war auf ihre Art viel schrecklicher als alles andere.

Mit großer Willensanstrengung gelang es ihm, einen Finger zu heben, dann noch einen, schließlich die ganze Hand.

Celham lächelte überlegen. Er hatte gewusst, dass er den Kampf gewinnen würde. Das Ungeheuer besaß keine Macht über ihn.

Mit einem wütenden Ruck warf er die Lähmung ab, warf den Kopf in den Nacken und begann laut und ausdauernd zu lachen. Er hatte gesiegt! Gesiegt! Gesiegt! Das Monster unterstand seinem Willen, seinem Befehl, er war sein Herr. Seine Träume, sein jahrzehntelanges zähes Ringen, hatten Erfolg gehabt. Jetzt gab es nichts mehr, was ihn noch aufhalten konnte.

Er stand auf, ging um den Schreibtisch herum und näherte sich dem riesigen Körper des Ungeheuers bis auf wenige Zentimeter. Er konnte den Schwefelgestank wahrnehmen, den die Erscheinung ausströmte, die intensive Hitze, die selbst durch die unsichtbare Barriere des Hexagons zu ihm drang, und er registrierte fast amüsiert, wie das Ding erneut mit geistiger Macht nach ihm griff, um seinen Willen zu brechen.

»Nein«, flüsterte er leise. »Nein, Shudde-mell. Du kannst mich nicht bezwingen.« In seiner Stimme flackerte der beginnende Wahnsinn. Aber Celham war schon viel zu weit gegangen, um jetzt noch zurückzukönnen. »Ich bin dein Herr«, sagte er leise. »Ich! Und ich werde dir befehlen, was du tun musst. Mit deiner Hilfe werde ich diese Welt beherrschen, Shudde-mell. Mit deiner Hilfe.«

Er trat einen Schritt zurück, wischte sich mit einer fahrigen Bewegung den Schweiß von der Stirn und öffnete den obersten Knopf seiner Jacke. »Ich würde gerne wissen, ob du mich verstehst«, sagt er. In seinen Augen war, ein irres Leuchten, und seine Hände führten kleine, nervöse Bewegungen aus. »Wir beide werden die Welt erobern, du und ich!«, kicherte er.

»Hast du nicht immer davon geträumt, Shudde-mell?«, fragte er.

Die Erscheinung reagierte auf seine Worte mit einem wütenden Schlagen der Tentakeln, aber die unsichtbare Barriere hielt.

Celham lachte laut auf. »Streng dich ruhig an, Shudde-mell«, sagte er. »Streng dich ruhig an. Umso eher wirst du einsehen, dass du machtlos bist. Hast du nicht immer davon geträumt, diese Welt zu beherrschen? Du wirst es tun, beinahe jedenfalls. Es wird nur noch ein Wesen geben, das über dir steht: Mich. Und weißt du, was das Lustige an der ganzen Sache ist, Shudde-mell?« Er lachte wieder, ein hohes, schrilles Geräusch, das von den Wänden zurückprallte und die Gläser zum Klirren brachte. »Du, ausgerechnet du, der Inbegriff des Bösen, wirst dazu beitragen, dass diese Welt so wird, wie die Menschen sie sich erträumen«, sagte er kichernd. »Ich bin nicht verrückt, wenn du das glaubst. Oh nein! Ich werde diese Welt befreien. Ich werde Regierungen und Militär abschaffen, werde die Menschen befreien. Es wird keine Unterdrückung und keine Not mehr geben, keinen Hunger und keine Kriege. Die Menschen werden frei sein, zu tun und zu lassen, was sie wollen. Zu leben, wo sie wollen, zu sagen, was sie denken. Es wird keine Angst mehr geben, keine Beherrscher und keine Beherrschten. Nur noch die Freiheit. Und alles das werden wir bewirken, Shudde-mell, du und ich. Und niemand wird etwas davon erfahren. Wir werden aus dem Verborgenen heraus operieren, wir zwei. Es wird lange dauern, aber wir haben Zeit. Alle Zeit dieser Welt.«

Als hätte das Wesen die Worte verstanden, bäumte es sich erneut auf, warf die ganze ungeheure Kraft seines zehn Meter langen Körpers gegen die Barriere aus Kreidestrichen, die seine dämonische Macht gefangen hielt, und prallte zurück.

Celham ging langsam zu seinem Schreibtisch zurück, öffnete eine Schublade und zog eine Flasche Cognac hervor. »Die habe ich mir aufgehoben«, sagte er leise. »Dir zu Ehren, Shudde-mell. Zu Ehren dieses Tages. Um ehrlich zu sein – ich habe kaum noch damit gerechnet, dass ich sie eines Tages wirklich trinken würde.« Er schenkte sich ein Glas ein, prostete dem tobenden Ungeheuer zu und leerte es mit einem Zug.

»So«, sagte er. »Jetzt werde ich dich aus deinem Gefängnis befreien. Aber vorher werde ich dich endgültig unter meinen Willen zwingen.« Er beugte sich über das aufgeschlagene Nekronomikon, blätterte darin und nickte zufrieden, als er die gesuchte Stelle gefunden hatte. Seine Lippen formten lautlose Worte, während er die abschließende Beschwörungsformel ein letztes Mal rekapitulierte. Er achtete nicht auf das Toben des Ungeheuers. Er wusste, dass es sicher war, dass keine noch so große Macht aus dem Dämonenreich die Fessel des Hexagons sprengen konnte.

Eine intensive Hitzewelle ließ ihn hochfahren.

Sein Kopf flog in den Nacken, und seine Augen weiteten sich entsetzt, als er begriff, was geschah.

Unter der ungeheuren Hitze, die der schlangenähnliche Körper des Dinges ausstrahlte, begann der massive Stein in seiner unmittelbaren Umgebung zu glühen. Zuerst war es ein dunkles, kaum auszumachendes Rot, wie bei einer Herdplatte, die man einen Augenblick zu lange angelassen hat, aber noch während Celham zusah, wurde das Rot heller, ging in ein kräftiges, leuchtendes Orange, schließlich in Gelb über. Langsam, wie zähflüssiger Sirup, begann das geschmolzene Gestein die Wand herabzufließen. Ein winziger Lavastrom durchbrach den Kreisestrich, rann Funken sprühend und zischend zu Boden und bildete einen Quell intensiver Helligkeit auf den verkohlenden Bohlen.

Celham schrie auf, als ihm klar wurde, was geschah. Shudde-mell stieß mit neuer Wut gegen die unsichtbare Wand vor, prallte zurück und griff erneut an. Wieder tropfte ein Stück der Wand herunter, wischte einen Teil seiner Fessel aus und schuf eine Öffnung, durch die zwei, drei Tentakeln der Bestie hinausgelangen konnten. Celham warf sich blitzschnell hinter seinen Schreibtisch in Deckung, als die oberschenkelstarken Fangarme der Bestie nach ihm hieben. Er spürte die ungeheure Hitzewelle, als der Tentakel nur Zentimeter über seinem Kopf durch die Luft zischte, hörte das Bersten des Holzes, als Shudde-mell in einem Anfall sinnloser Wut den Schreibtisch zertrümmerte, und spürte einen scharfen Schmerz im linken Handgelenk, als er auf dem Boden aufprallte. Seine Finger tasteten blind nach dem Nekronomikon, aber er bekam nur eine Handvoll Splitter und einen zerbrochenen Füllfederhalter zu fassen.

Wie lange konnte die Barriere noch halten? Eine Minute? Zwei?

Er versuchte verzweifelt, sich den Text der Beschwörung ins Gedächtnis zu rufen, aber in seinen Gedanken herrschte ein heilloses Chaos.

Er wusste, dass er es nicht schaffen würde.

Celham stemmte sich an den zertrümmerten Überresten des Schreibtisches hoch, wich einem unsicher geführten Schlag der wirbelnden Tentakel aus und riss mit zitternden Fingern die Schreibtischschublade auf.

Wahnsinn!, kreischten seine Gedanken. Aber er machte trotzdem weiter. Mit einem Satz brachte er sich vor einem neuen Angriff in Sicherheit, tauchte unter den wirbelnden Tentakeln hindurch und näherte sich der Wand. Von seinem Kreidezeichen war nicht mehr sehr viel übrig, aber noch reichte die Macht des Symbols, um die Bestie im Zaum zu halten. Noch ... Aber noch während Celham sich dem tobenden

Monstrum näherte, brach ein ganzes Stück der Wand heraus, wischte mehr als die Hälfte des Hexagons weg und überschüttete ihn mit einem Hagel glühender Gesteinssplitter.

Celham ignorierte den Schmerz. Ein Tentakel streifte ihn an der Schulter, schmetterte ihn mit übermenschlicher Kraft zu Boden und ließ ihn einen Atemzug lang benommen liegen bleiben.

Aber der Schlag rettete ihm gleichzeitig das Leben. Als er nach zwei, drei Sekunden wieder klar denken konnte, sah er, dass er für Sekunden in Sicherheit war. Die Wucht des Hiebes hatte ihn in den toten Winkel unterhalb der Bestie geschleudert, und die einzige Gefahr, der er im Moment ausgesetzt war, kam von der kochenden, schmelzenden Wand.

Er rollte sich herum, packte das Stück Kreide fester und kroch auf Händen und Knien auf Shudde-mell zu. Die Hitze schlug über ihm zusammen wie eine dunkle, erstickende Welle. Sein Haar und seine Wimpern und Brauen waren versengt, von seinen Fingerspitzen löste sich die Haut in Fetzen, und sein Gesicht war übersät mit Brandblasen. Aber er kroch weiter. Er wusste, dass er in den Tod kroch, aber das war ihm egal. Sein Traum von der schönen neuen Welt, vom Paradies, war zerbrochen, und es gab keinen Grund mehr für ihn, zu leben. Ja, er würde sterben, aber vorher musste er die Ungeheuer, die er gerufen hatte, wieder dorthin zurückschicken, wo sie hergekommen waren.

Langsam, Zentimeter für Zentimeter, schob er sich vorwärts, bis er mit der Schulter gegen die Wand stieß. Der Stein war so heiß, dass sein Hemd schwarz verkohlte und die Haut darunter Blasen warf. Er spürte den Schmerz wie eine Welle feuriger Lava durch seinen Körper rollen, aber er ignorierte ihn. Der Schmerz konnte ihm nichts anhaben, konnte ihn nicht einmal behindern.