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»Der Inbegriff eines sommerlichen Pageturner, jede Menge Spannung!« SUNDAY MIRROR
IN DIESEM SOMMER IST NICHTS, WIE ES SCHEINT
Wie weit würdest du gehen, um deine Geheimnisse zu wahren?
Es sollte der perfekte Urlaub werden – drei Familien, eine gemeinsame Woche in der Sonne. Doch Kate möchte nur eines: herausfinden, mit wem ihr Mann eine Affäre hat. Alles deutet auf eine ihrer besten Freundinnen hin. Eine von ihnen ist bereit, Jahre der Freundschaft zu opfern und Kates Familie zu zerstören. Aber welche der drei? In der drückenden Hitze des Mittelmeers kommt Kate der Wahrheit immer näher und erkennt erst viel zu spät, dass weit mehr auf dem Spiel steht, als sie je gedacht hätte ... Denn jemand in der Villa ist bereit zu töten, um sein Geheimnis zu wahren.
Mit »Holiday – Sieben Tage. Drei Familien. Ein tödliches Geheimnis.« legt der britische Sunday-Times-Bestsellerautor T.M. Logan einen Psychothriller vom Feinsten vor. In Großbritannien hat der Erfolgsautor bereits über eine Million LeserInnen begeistert, jetzt erscheinen seine Bestseller endlich auch auf Deutsch!
T.M. Logan ist der Meister des »It-could-be-you-Thrillers«: Seine Protagonisten sind ganz normale Menschen, die in ungewöhnliche Situationen geraten und plötzlich nicht mehr wissen, wem sie trauen können. Voller unerwarteter Wendungen, spannend bis zum Schluss!
Das sagt die Presse über »Holiday – Sieben Tage. Drei Familien. Ein tödliches Geheimnis.«:
»Ein packender Pageturner von Psychothriller-Gott T.M. Logan.« Chris Whitaker
»In diesem raffinierten Thriller scheinen sogar die Strandtücher ein Mordkomplott zu schmieden.« COSMOPOLITAN
»Ich bin begeistert! Da überlegt man sich zweimal, ob man mit Freunden verreisen möchte.« BA Paris
»Eine Lektüre, nach der Sie sich nicht mehr trauen werden, mit Ihren Freunden in den Urlaub zu fahren.« CLOSER
T.M. Logan war Wissenschaftsreporter bei der Daily Mail, bevor er sich voll und ganz dem Schreiben von Romanen widmete. Seine Thriller wurden zu Bestsellern und begeistern ein Millionenpublikum. Der Autor lebt mit seiner Familie in Nottinghamshire.
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Für meine Brüder, Ralph und Ollie
Deutsche Erstausgabe
© T.M. Logan 2019
Titel der englischen Originalausgabe:
»The Holiday«, Zaffre/Bonnier Books UK, London 2019
Published by Arrangement with LOGAN COMMUNICATIONS LTD.
© der deutschsprachigen Ausgabe:
Piper Verlag GmbH, München 2022
Dieses Werk wurde vermittelt durch die
Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.
Redaktion: René Stein
Covergestaltung: zero-media.net, München, nach einem Entwurf von Emma Rodgers
Covermotiv: Matthew Pugh / Arcangel und Shutterstock.com
Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence, München mit abavo vlow, Buchloe
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Cover & Impressum
Zitat
Prolog
SAMSTAG
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Zehn Monate früher
SONNTAG
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Ethan
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Jennifer
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Sean
Kapitel 24
Neun Monate früher
MONTAG
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Russ
Kapitel 28
Kapitel 29
Alistair
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Daniel
Kapitel 33
Sean
Kapitel 34
Rowan
Kapitel 35
Kapitel 36
Sechs Monate früher
DIENSTAG
Kapitel 37
Kapitel 38
Izzy
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Lucy
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Sean
Vier Monate früher
MITTWOCH
Kapitel 48
Daniel
Kapitel 49
Daniel
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Jennifer
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Russ
Kapitel 59
Kapitel 60
Daniel
Einen Monat früher
DONNERSTAG
Kapitel 61
Kapitel 62
Kapitel 63
Kapitel 64
Daniel
Kapitel 65
Kapitel 66
Odette
Kapitel 67
Kapitel 68
Kapitel 69
Kapitel 70
Kapitel 71
Kapitel 72
Kapitel 73
Kapitel 74
Kapitel 75
Kapitel 76
Kapitel 77
Daniel
Kapitel 78
Kapitel 79
Daniel
Kapitel 80
Kapitel 81
Einen Monat später
Kapitel 82
Kapitel 83
DS Foster
Danksagung
Inhaltsübersicht
Cover
Textanfang
Impressum
Es ist einfacher, einem Feind zu vergeben als einem Freund.
William Blake
Die Fliege kreist und landet.
Krabbelt ungestört über die erkaltende Haut.
Über einen ausgestreckten Finger.
Über eine blutverschmierte Hand.
Über einen gebrochenen Arm, der nach hinten gebogen auf dem schroffen Felsen liegt.
Weitere Fliegen kreisen um den Kopf, in den Bann gezogen vom Duft des Todes.
Von dem Blut, das sich schwarz um den aufgebrochenen Schädel sammelt.
Unten tropft das Rot stetig in den klaren Gebirgsbach.
Oben sticht der Felsen in den makellosen blauen Himmel.
Wir fuhren in Richtung Norden, fort von der Küste.
Durch die Vororte von Bèziers und tiefer in das Languedoc. Rechts und links erstreckten sich Weingärten mit üppigen Trauben und grünen Blättern bis zum Horizont und dem tiefblauen Himmel dahinter.
Sean saß am Steuer, die Augen hinter einer Pilotenbrille verborgen, die Kinder lümmelten sich auf dem Rücksitz, das Handgepäck zwischen sich eingeklemmt. Die Klimaanlage hielt die stickige Nachmittagshitze in Schach, Lucy döste, Daniel spielte mit seinem Handy, und ich hatte den Blick aus dem Fenster auf die vorbeiziehende Landschaft gerichtet.
Hätte ich gewusst, was auf uns zukam, hätte ich Sean gebeten, sofort umzukehren und zum Flughafen zurückzufahren.
Aber ich wusste es nicht.
Mein Instinkt sagte mir schon seit Wochen, dass etwas nicht stimmte. Sean war stets ein positiver Mensch gewesen, hatte die Kinder zum Lachen und mir einen Gin Tonic gebracht, wenn ich aufgemuntert werden musste. Der unbewussten Rollenverteilung in unserer Ehe folgend organisierte ich, stellte Regeln auf und achtete darauf, dass sich jeder daran hielt. Ich war der Schatten, Sean das Licht. Für alles offen, witzig, geduldig, der Optimist der Familie.
Doch seit Kurzem wirkte er abweisend, verschlossen, ernst. Er schien abgelenkt und legte selten das Handy aus der Hand. Vielleicht hatte er Stress im Büro, und sein neuer Vorgesetzter setzte ihn zu sehr unter Druck? Er hatte sogar vorgeschlagen, die Woche zu Hause zu bleiben und zu arbeiten. Vielleicht war es aber auch die Angst vor dem herannahenden vierzigsten Geburtstag, die stärker wurde, je näher der Tag rückte? Eine Midlife-Crisis vielleicht? Ich hatte ihn gefragt, ob ihn etwas belastete, damit wir gemeinsam nach einer Lösung suchen konnten. Doch er hatte nur abgewinkt und darauf bestanden, dass es ihm gut ginge.
Ich zuckte zusammen, als er meinen Oberschenkel berührte.
»Kate?«
»Tut mir leid.« Ich rang mir ein Lächeln ab. »Ich war mit den Gedanken woanders.«
»Wann müssen wir abbiegen?«
Ich warf einen Blick auf mein Handy.
»In etwa zehn Minuten.«
Er nahm die Hand von meinem Oberschenkel und legte sie wieder aufs Lenkrad. Die Wärme seiner Fingerspitzen hielt noch einen Augenblick vor, und ich überlegte, wann er mich zum letzten Mal berührt, wann er zum letzten Mal die Hand nach mir ausgestreckt hatte. War es Wochen her? Oder einen Monat?
Dass du überhaupt darüber nachdenkst, zeigt, dass etwas faul ist, hätte Rowan gesagt. Dieser Urlaub war ihre Idee gewesen, und ihm waren zwei Jahre der Planung vorausgegangen. Ich und meine besten Freundinnen Rowan, Jennifer und Izzy würden unsere bevorstehenden Geburtstage zusammen mit unseren Männern und Kindern in Südfrankreich feiern und eine Woche Urlaub machen.
»Super«, meinte Sean. »Ist alles okay bei dir?«
»Klar. Ich will nur endlich ankommen und auspacken.«
»Hast du etwas von Jennifer und Alistair gehört?« Er warf einen Blick in den Rückspiegel.
»Nein, aber sie sind sicher nicht weit hinter uns.«
»Ich habe ihnen doch gesagt, dass sie mir folgen sollen.«
Ich warf ihm einen Blick zu. Es war ungewöhnlich, dass er sich über Jennifer und ihren Mann Sorgen machte – er kam gut mit ihnen klar, aber er hatte kaum etwas mit ihnen gemeinsam. Außer mich.
»Du kennst Alistair ja«, sagte ich. »Er verirrt sich im eigenen Garten.«
»Ja, vermutlich hast du recht.«
Ich starrte erneut aus dem Fenster auf die vorbeiziehenden saftig grünen Weingärten und die dunklen Trauben, die in der Sommersonne reiften. In der Ferne ragten die dunklen Türme eines alten Châteaus in den Himmel.
Nach etwa fünfzehn Kilometern lotste uns Google Maps von der Landstraße und durch ein winziges Dorf nach dem anderen. Puimisson, St. Genies, Cabrerolles – verschlafene Nester an schmalen Straßen, uralte Steinhäuser, greise Männer, die regungslos im Schatten saßen und uns beim Vorbeifahren beobachteten. Wir bogen auf eine noch schmalere Straße, die sich einen Hügel nach oben schlängelte, bis die Weingärten von dunklen Kiefern abgelöst wurden. Am höchsten Punkt angekommen, lichteten sich die Bäume und gaben den Blick auf das Dorf Autignac und eine hohe, weiße Mauer frei, die entlang der Straße verlief. Die Mauer endete an einem schwarzen, mit Speerspitzen versehenen Metalltor, und mein Handy informierte uns, dass wir das Ziel erreicht hatten.
Sean wurde langsamer, und das Tor öffnete sich lautlos. Der Kies knirschte sanft unter den Reifen, als wir auf das Grundstück fuhren. Die lange Auffahrt zur Villa wurde von hohen Zypressen gesäumt. Dahinter erstreckten sich zu beiden Seiten weitläufige Rasenflächen, auf denen sich träge die Rasensprenger drehten.
Sean hielt neben Rowans Land Rover Discovery, und ich drehte mich zu Lucy um, die immer noch auf dem Rücksitz schlief. Seit sie ein Teenager war, konnte sie jederzeit und überall schlafen. Sie hatte auf dem Weg zum Flughafen und im Flugzeug geschlafen, und auch jetzt schlief sie tief und fest. Als sie ein Baby war, hatte ich es geliebt, sie beim Schlafen zu beobachten, und ich tat es noch. Sie würde für immer mein Baby bleiben, auch wenn sie mittlerweile sechzehn war – und größer als ich.
»Lucy, Liebes«, sagte ich sanft. »Wir sind da.«
Sie rührte sich nicht.
Ihr jüngerer Bruder Daniel saß mit Kopfhörern neben ihr und war in ein Spiel auf seinem Handy vertieft. Er war in vielerlei Hinsicht das genaue Gegenteil seiner Schwester – ein Energiebündel, das Schlaf nichts abgewinnen konnte, weder als Neugeborenes noch als quirliger Neunjähriger. Er nahm den Stöpsel aus einem Ohr und wagte zum ersten Mal einen Blick aus dem Fenster.
»Sind wir da?«
»Gib deiner Schwester einen Schubs«, bat ich. »Aber sachte.«
Er grinste spitzbübisch. »Wir sind da, Dornröschen.«
Als sie keine Reaktion zeigte, öffnete Sean seinen Gurt.
»Lassen wir sie noch fünf Minuten schlafen, während wir das Gepäck ins Haus bringen. Kommt schon.«
Ich stieg aus und reckte und streckte mich nach der langen Fahrt. Die Kühle im Innenraum war schlagartig verflogen, und die Julihitze breitete sich wie eine Decke über mich. Es roch nach Oliven, Kiefernholz und warmer Erde. Es war nichts zu hören – keine Autos, keine Menschen – außer dem sanften Murmeln des Windes in den Zypressen und dem Motor unseres Wagens, der gemächlich tickend abkühlte.
Wir standen blinzelnd im hellen Sonnenlicht und betrachteten die Villa. Rowan hatte nicht übertrieben. Drei Stockwerke weiß getünchter Stein mit einem roten Terrakottadach, ein von Schatten spendenden Olivenbäumen umgebener, als Parkfläche ausgewiesener Vorplatz und eine breite Steintreppe, die zu einer mit Nieten beschlagenen, doppelflügeligen Eingangstür aus dunkler Eiche führte.
»Wow«, hauchte Sean, und einen Moment lang wirkte er glücklich – so wie früher.
Ich schlang den Arm um seine Mitte und genoss den Moment körperlicher Nähe, während wir nebeneinanderstanden und die Villa bewunderten. Ich brauchte seine Wärme, das Gefühl seiner Haut auf meiner, die festen Muskeln unter seinem T-Shirt. Ich wollte einen Anker auswerfen, der uns beide verband.
Doch schon nach wenigen Sekunden trat er zur Seite. Fort von mir.
Rowan erschien am oberen Ende der Steintreppe und streckte uns zur Begrüßung die Arme entgegen.
»Willkommen in der Villa Corbières!«, rief sie mit einem Grinsen. »Ist es nicht traumhaft?«
Sie kam zu uns nach unten, und die Absätze ihrer teuren Sandalen klapperten über die Steine. Seit sie ihr eigenes Unternehmen gegründet hatte, sah sie immer makellos aus, und heute trug sie ein locker sitzendes cremefarbenes Kleid mit Spaghettiträgern und hatte sich die Cartier-Sonnenbrille in die glatten, kastanienbraunen Haare geschoben. Wie sehr sich meine etwas plumpe Uni-Freundin – die damals eine Zahnspange im Mund und ihre Wände mit einem Take-That-Poster verziert hatte – doch seit unserem Kennenlernen verändert hatte. Wir hatten uns alle weiterentwickelt, aber Rowan hatte dabei die größte Veränderung durchgemacht. Sie umarmte mich, und ich schloss einen Moment lang die Augen und ließ mich vom Duft ihres teuren Parfums einhüllen.
»Das Haus ist sogar noch größer als auf den Fotos!« Ich rang mir ein Lächeln ab und beobachtete aus dem Augenwinkel, wie Sean sich ins Auto beugte, um einen Blick auf sein Handy zu werfen.
»Warte, bis du es von innen gesehen hast«, erwiderte Rowan. »Komm, ich zeige dir alles.«
Das Innere des Hauses war von weißem Marmor und glatten Steinwänden geprägt. Die hellen Zimmer waren exquisit eingerichtet und dank der Klimaanlage auch noch angenehm kühl.
»Es gehört einem Klienten.« Rowan lächelte verschwörerisch. »Wir haben in letzter Zeit außerordentlich gut zusammengearbeitet.«
»Es ist unglaublich«, meinte ich, und das war es tatsächlich. Es sah aus wie aus einem Einrichtungsmagazin. »Hast du etwas von den anderen gehört?«
»Jennifer ist noch unterwegs – sie sind offenbar irgendwo falsch abgebogen. Und Izzy kommt morgen früh aus Bangkok. Ich hole sie vom Flughafen ab.«
Wir hatten uns an unserem ersten Tag an der Universität von Bristol kennengelernt, wo wir zuerst im Wohnheim und dann in einem gemieteten Haus zusammengewohnt und nach drei Jahren schließlich gemeinsam den Abschluss gemacht hatten.
Einen Moment lang wünschte ich mich sehnlich in diese Zeit zurück. Damals waren wir uns so ähnlich, hatten dieselben Hoffnungen und Träume. Doch nach dem Abschluss ließen wir all das zurück, häuteten uns wie Schlangen und begannen ein neues Leben.
Mehr als zehn Jahre lang trafen wir uns jeden Sommer in einer anderen europäischen Stadt und genossen ein gemeinsames verlängertes Wochenende.
Wir hielten trotz aller Widrigkeiten an der Tradition fest und schoben Babys, beruflichen Stress und andere Verpflichtungen beiseite. Doch dann kam das Jahr, in dem Rowan mit Odette schwanger war und wir keinen gemeinsamen Termin fanden und … wir damit aufhörten. Mittlerweile war unser letzter gemeinsamer Urlaub fünf Jahre her, und ich hatte keine Ahnung, warum.
Doch in diesem Jahr wollten wir die Tradition wieder aufleben lassen. Wir wollten gemeinsam etwas unternehmen, um uns später an das Jahr zu erinnern, in dem wir alle vierzig geworden waren. Es war unsere letzte Chance, wieder zusammenzufinden, und so brachen wir zum ersten Mal die Regeln und hatten auch unsere Kinder und Ehemänner dabei, um nicht nur ein Wochenende, sondern eine ganze Woche miteinander zu verbringen.
Ein halbes Leben nach unserem ersten Treffen.
Ein kleines Mädchen trat neben Rowan und streckte ihr die Arme entgegen. Ihre roten Locken waren zu zwei Zöpfen gebunden, und Sommersprossen überzogen ihre Pausbäckchen.
»Heb mich hoch, Mummy!«
Rowan setzte sich das kleine Mädchen auf die Hüfte.
»Du wirst langsam zu groß dafür, Odette.«
»Ich bin nicht zu groß.«
»Hallo, Odette«, begrüßte ich das kleine Mädchen. »Du bist ja riesig. Wie alt bist du denn schon?«
Sie musterte mich mit ihren großen, haselnussbraunen Augen und klammerte sich an die Träger ihrer Mutter. Mir fiel auf, dass Mutter und Tochter nahezu das gleiche Outfit trugen.
»Fünf.«
»Daniel ist hier irgendwo. Er spielt sicher gerne mit dir.«
»Ich mag keine Jungs«, erklärte sie bestimmt.
Wie auf ein Stichwort stürzte Daniel ins Zimmer und kam schlitternd vor uns zum Stehen. Seine blasse Haut war gerötet.
»Hast du den Fernseher gesehen?«, fragte er ehrfürchtig. »Er ist gigantisch.«
Rowan grinste. »Es gibt auch einen Fitnessraum, ein Spielezimmer, eine Sauna und einen Pool.«
»Mum, kann ich mir den Camcorder ausleihen und ein Video vom Haus machen?«
»Ja, aber frag erst noch Dad.«
»Cool. Ich suche gleich den Pool!«, erklärte er und hetzte wieder davon.
»Sei vorsichtig!«, rief ich ihm hinterher.
Rowan öffnete die Glasschiebetür und führte mich auf einen breiten Steinbalkon. Es gab einen langen Tisch mit zwölf Stühlen, mehrere Sonnenschirme und einen herrlichen Ausblick auf die Weingärten. In der Ferne erstreckten sich Felder, Wälder und weitere sanfte Hügel.
»Früher stand hier eine römische Villa«, erklärte Rowan. »Danach ein mittelalterliches Château, das langsam verfiel, und nun dieses Haus. Es zeigt nach Westen, und die Sonnenuntergänge sind grandios.«
Ich stand auf dem Balkon und betrachtete etwas wehmütig die herrliche Umgebung. Normalerweise konnten wir uns ein solches Feriendomizil nicht einmal annähernd leisten.
»Es ist absolut atemberaubend, Rowan. Danke, dass du uns alle eingeladen hast – ich will lieber nicht wissen, was es pro Woche kostet.«
Sie drückte meinen Arm und ließ den Blick ebenfalls über die perfekte Kulisse schweifen.
»An die zwanzigtausend in der Hochsaison«, meinte sie. »Aber es wird eigentlich nicht vermietet. Sie nutzen es nur für Firmenevents und um Kunden und Geschäftspartnern Honig ums Maul zu schmieren. Du weißt ja, wie das ist.«
Ich nickte, obwohl ich es nicht wusste, und mir wurde wieder einmal schmerzhaft bewusst, wie weit Rowan und ich uns voneinander entfernt hatten. Dabei liebte ich meinen Job bei der Spurensicherung der Metropolitan Police, den ich seit dreizehn Jahren machte. Vielleicht fiel mir nur deshalb auf, dass sich alle veränderten und weiterentwickelten, weil ich seit Jahren auf der Stelle trat. Im selben Job, im selben Haus, auf demselben Weg. Vielleicht war alles bloß eine Frage der Perspektive.
Vielleicht war es wegen Sean.
»Die Weingärten, die Mauer und die Parkanlage ums Haus garantieren absolute Privatsphäre«, fuhr Rowan fort. »Die Weinstöcke innerhalb der Mauer gehören zum Anwesen, von hier bis hinunter zu den Bäumen dort.« Sie stellte Odette ab und ignorierte ihr Jammern, während sie auf eine dichte Baumreihe in etwa zweihundert Metern Entfernung deutete. »Gleich hinter den Bäumen befindet sich eine spektakuläre Schlucht. Es gibt sogar einen schmalen Weg, der in die Felswand geschlagen wurde und hinunter zu mehreren kleinen, mit Wasser gefüllten Becken führt. In so reinem Wasser hast du noch nie gebadet. Es kommt direkt aus den Bergen.«
»Das klingt viel zu kalt.« Sobald die Worte heraus waren, wurde mir klar, wie undankbar ich geklungen hatte, obwohl es Rowan nicht aufzufallen schien. Was war los mit mir? Ich sollte glücklich sein. Hier in dieser bemerkenswerten Villa, mit all den Menschen, die ich liebte, und einer Woche Urlaub vor mir.
»Der Pool ist gleich dort unten«, erklärte Rowan und deutete mit ihrer perfekt manikürten Hand nach links.
Mein Blick fiel auf einen Infinitypool, auf dem sich die glatte blaue Wasseroberfläche bis zum Rand der Terrasse erstreckte und den unzählige Liegestühle und Sonnenschirme umgaben. Es sah unglaublich aus.
»Wow«, sagte ich zum gefühlt zehnten Mal an diesem Tag. »Das sieht aus wie in einem Lifestyle-Magazin.«
»Dort drüben«, fuhr sie fort und zeigte auf einen Kirchturm, »befindet sich Autignac. Zu Fuß sind es etwa zehn Minuten, und es gibt eine Bäckerei, einen kleinen Supermarché und ein putziges kleines Restaurant auf dem Dorfplatz. Jeden Mittwochvormittag findet außerdem ein Straßenmarkt statt, wo man einheimische Produkte, Lebensmittel, Getränke und Kunsthandwerk kaufen kann. Du wirst es lieben.«
Sie deutete auf einen großen, dunkelhaarigen Mann in einem weißen Leinenhemd und Chinos, der mit dem Handy am Ohr neben dem Pool auf und ab schritt.
»Sieh mal, Odette, da ist Daddy.«
»Daddy!«, rief das kleine Mädchen.
Der Mann marschierte telefonierend und rauchend weiter.
»Daddy!«, rief Odette lauter. »Daddy! Daddy!«
Er schien sie immer noch nicht zu hören, auch wenn ihre Stimme bis ins Tal hallte.
»Daddy!«, kreischte sie derart schrill, dass ich einen Schritt zurücktrat.
Endlich warf er ihr ein gedankenverlorenes Lächeln zu und hob einen Augenblick lang grüßend die Hand mit der Zigarette, bevor er weitertelefonierte.
Ich streckte instinktiv die Hand nach Odettes Arm aus, um die in ihr aufsteigende Wut im Keim zu ersticken, doch sie schubste mich beiseite und zerrte stattdessen erneut am Kleid ihrer Mutter.
»Muss er denn wirklich ständig erreichbar sein?« Ich legte die Ellbogen auf die glatte, warme Steinbrüstung.
»Mehr oder weniger rund um die Uhr«, erwiderte Rowan. »Geld schläft nicht.«
Ich hatte keine Ahnung, worin genau die Arbeit von Rowans Mann Russ bestand. Es hatte jedenfalls mit Hedgefonds und jeder Menge Geld zu tun.
Rowans Handy piepte, und sie las die eingegangene Nachricht.
»Mummy! Heb mich hoch!« Odette zog noch immer am Kleid ihrer Mutter und hinterließ schweißige Handabdrücke auf dem zarten Stoff.
Rowan tippte eine schnelle Antwort.
»Warum siehst du nicht nach, was … Daddy so macht?«
»Nein!« Odette stampfte mit ihrer pinkfarbenen Sandale auf und verzog das engelsgleiche Gesicht. »Heb mich hoch!«
»Mummy tut langsam der Arm weh.« Sie tippte weiter.
»Mummy!«
»Nur noch eine Minute, Liebling«, meinte Rowan und zog sich in das weitläufige Wohnzimmer zurück.
Odette schrie noch ein letztes Mal, dann rannte sie mit wippenden Zöpfen ihrer Mutter hinterher.
Ich unterdrückte ein Grinsen. Odette war bereits für ihre legendären Wutausbrüche bekannt gewesen, bevor sie überhaupt gehen konnte, und wie es aussah, wurde es schlimmer, je älter sie wurde.
Meine eigene Tochter trat mit dem Handy in der Hand auf den Balkon, gähnte und streckte sich.
»Du bist wach!«, rief ich. »Oh, Lucy, komm her und sieh dir diese Aussicht an. Unglaublich, nicht wahr?«
Sie hob etwa eine Sekunde lang den Blick.
»Cool. Hast du vielleicht das WLAN-Passwort?«
Es gab insgesamt zehn Schlafzimmer im Erdgeschoss und im ersten Stock, wo sich auch unser Zimmer befand. Der Boden war aus cremefarbenem Marmor, die antiken Möbel aus Holz, und das Himmelbett verfügte über hauchdünne, an den vier Stehern befestigte Moskitonetze. Sean hievte unsere Koffer auf das Bett, und wir begannen mit dem Auspacken.
Daniel trat in Badeshorts ins Zimmer, und mein Blick fiel auf seine knochigen Arme und Beine und die bleiche englische Haut. »Ich bin so weit!« Er setzte die Taucherbrille auf und streckte beide Daumen in die Höhe. »Können wir los, Dad?«
Sean schüttelte lächelnd den Kopf. »Gleich.«
»Ich will der Erste im Pool sein!«
»J’ai presque fini«, meinte Sean und legte einen Stapel T-Shirts in eine der Schubladen.
»Häh?«
»Das war Französisch für ›Ich bin gleich so weit‹.«
»Moment mal, reden die hier Französisch?«
Lucy lehnte mit verschränkten Armen im Türrahmen. »Mann!«, schnaubte sie. »Deshalb heißt es Frankreich!«
Daniel schnitt eine Grimasse. »Ich kann kein Französisch. Du, Dad?«
»Klar, wir Iren haben viel mit unseren französischen Brüdern und Schwestern gemeinsam.«
»Was denn?«
»Wir können die Engländer nicht leiden.«
Ich warf ein Handtuch nach ihm.
Er fing es auf. »War nur ein Scherz«, meinte er.
Ich musste unwillkürlich lächeln. »Daddy macht nur Spaß, Daniel. Wir verstehen uns ausgezeichnet mit den Franzosen, deshalb lernst du auch Französisch in der Schule.«
»Ich kann mich an nichts erinnern. Außer Bonjour und Pommes frites.«
Sean fand seine Badehose unter einem Stapel Hemden.
»Das bringt dich doch schon ein ganzes Stück weiter, Kumpel«, lachte er, bevor er im Badezimmer verschwand, um sich umzuziehen.
Kurz darauf kam er nur mit Badehose bekleidet zurück und warf seine Klamotten, die Geldbörse und den Autoschlüssel aufs Bett. Er ging seit einigen Monaten regelmäßig ins Fitnessstudio, und seine Brust und die Schultern waren breiter und besser definiert, seine Mitte schmaler. Er war auch vorher nicht schlecht in Form gewesen, aber er hatte definitiv einiges an Zeit in seinen Körper investiert. Eine heftige Unsicherheit – und Eifersucht – überkam mich bei dem Gedanken, dass er es vielleicht nur tat, um eine andere zu beeindrucken.
Daniel trat lachend aus dem Zimmer und winkte seinen Vater mit sich.
Als unser Sohn im Flur war, erstarb das Lächeln auf Seans Gesicht, und einen Moment lang wirkte er grimmig und ernst. Todernst.
Ich erstarrte mit einem Paar Schuhe in jeder Hand und wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Die Verwandlung kam so unerwartet und war so drastisch, dass sie mich vollkommen aus dem Konzept brachte.
Er merkte, dass ich ihn beobachtete, und pflasterte sich ein Lächeln aufs Gesicht. »Dann werde ich Aquaboy in den Pool folgen.«
»Klar. Ist alles okay, Schatz?«
»Sicher. Es ging mir nie besser.«
»Ich mache hier fertig, dusche und komme dann zu euch.«
»Tu das.«
Ich sah ihm nach, wie er sich lachend und scherzend mit unserem Sohn auf den Weg machte, dann drehte ich mich um und fuhr mit dem Auspacken fort.
Die Angst und Übelkeit, die mit einem Mal in mir hochstiegen, waren so heftig, dass ich mich aufs Bett setzen musste. Ich kannte Sean besser als irgendjemanden sonst. Ich merkte, wenn er unglücklich war, wenn er Witze riss, um seine Nervosität zu verbergen, und wenn er log. Und der Gesichtsausdruck, als er mir versichert hatte, dass es ihm noch nie besser gegangen war? Ich wusste nicht mehr, wann er das letzte Mal ein solches Gesicht gemacht hatte. Auf der Beerdigung seines Vaters vermutlich.
Mein Handy piepte, und ich holte es aus der Hosentasche und entsperrte es.
Keine neuen Nachrichten.
Ich runzelte die Stirn und steckte es wieder weg.
Ein weiteres gedämpftes Piepen erklang, aber es kam von weiter her. Vom Bett vielleicht?
Ohne groß nachzudenken, griff ich nach Seans Jeans und befühlte die Hosentaschen. Ich fand ein paar Münzen, aber kein Handy. Ich legte die Jeans zurück und horchte in die Stille hinein. Daniel planschte im Pool und kreischte vergnügt.
Es piepte zum dritten Mal, und dieses Mal kam es aus Seans Nachttischschublade.
Ich streckte die Hand danach aus, zog sie aber eilig wieder zurück. Ich setzte mich zurück aufs Bett und saß einen Moment regungslos da, dann streckte ich erneut die Hand aus und öffnete langsam die Schublade.
Sie war leer, abgesehen von Seans Handy, das mit dem Display nach unten vor mir lag. Er nahm es neuerdings überallhin mit, als wäre er mit einer unsichtbaren Nabelschnur damit verbunden. Es war so auffällig, dass ich in den letzten Tagen begonnen hatte, ihn jedes Mal heimlich zu beobachten, wenn er danach griff. Um herauszufinden, was einen so großen Teil seiner Zeit und Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Um zu sehen, wie er über den Bildschirm wischte, um ihn zu entsperren. Um zu erkennen, ob ich langsam den Verstand verlor oder ob hier tatsächlich etwas Unvorstellbares seinen Anfang nahm.
Ich sah zu, wie meine Hand nach dem Handy griff. Wie mein Daumen den Einschaltknopf betätigte. Wie ein Bild unserer Kinder aus unserem letzten gemeinsamen Familienurlaub auf dem Display erschien.
Nur ein schneller Blick, versicherte ich mir. Nur zur Beruhigung.
Bevor ich es mir anders überlegen konnte, entsperrte ich mit klopfendem Herzen das Handy.
Ich weiß, ich hätte nicht nachsehen sollen. Ich weiß es.
Aber ich habe es getan.
Und das war der Moment, von dem an alles zerbrach.
Es fühlte sich an, als hätte sich plötzlich eine Falltür unter mir geöffnet. Ich fiel von einem Moment auf den anderen in ein tiefes, schwarzes Loch. Und alles, was ich jahrelang als selbstverständlich erachtet hatte, fiel mit mir.
Ich öffnete die drei neuen Nachrichten, die Sean von einer Userin namens CoralGirl bekommen hatte.
Schreib mir, sobald du kannst.
Wir müssen diese Woche sehr vorsichtig sein.
Vergiss nicht, die Nachrichten zu löschen, sobald du sie gelesen hast.
Ich scrollte nach unten zum Beginn der gestrigen Unterhaltung zwischen Sean und CoralGirl und begann zu lesen. Seans erste Worte ließen mein Herz gefrieren.
Ich muss ständig daran denken, was du gesagt hast.
Jedes Wort war ernst gemeint.
Ich muss noch einmal mit dir reden.
Ahnt K etwas?
Sie hat keine Ahnung. Aber ich kann so nicht weitermachen.
Das entscheiden wir in Frankreich.
Ich muss es ihr sagen. Bald.
Das haben wir besprochen. Es bleibt besser unser Geheimnis.
Ich weiß, aber ich fühle mich mies, wenn ich K belüge.
Ich ertrug es kaum, aber ich konnte auch nicht aufhören zu lesen. Ich konnte den Blick nicht von den kleinen Buchstaben auf dem Display abwenden. Jedes Wort war eine Bombe, die meine Ehe erschütterte.
Ich scrollte nach oben und las sie noch einmal.
Ahnt K etwas?
Sie hat keine Ahnung, aber ich kann so nicht weitermachen.
Eine Träne landete auf dem Display.
Wir hatten ein Leben – ein gemeinsames Leben –, und von einem Moment auf den anderen war es vorbei.
Ich tippte mit zitternder Hand auf »Profil ansehen« unter CoralGirls Namen. Sie hatte kein Profilbild hinterlegt und benutzte eine Standard-E-Mail-Adresse. Wohnt in London. Weiblich. Mehr nicht.
Ich markierte eilig die letzten Nachrichten als ungelesen, sperrte das Handy und legte es zurück in die Schublade. Dann saß ich schweigend auf dem fremden Bett in dem fremden Haus in einem fremden Land und starrte an die Wand.
Mir war heiß und kalt zugleich. Ich war wütend und gleichzeitig den Tränen nahe. Der Verrat ließ Übelkeit in mir hochsteigen, bevor ich rückwärts ins Dunkel fiel. Dutzende Fragen schossen mir durch den Kopf. War es etwas Ernstes? Warum tat Sean so etwas? Wie konnte ich mich bloß so in ihm täuschen?
Doch die wichtigste Frage – Wer war diese Frau? – war bereits zur Hälfte beantwortet. Der Hinweis befand sich dort, versteckt in den winzigen Buchstaben auf seinem Handy.
Das entscheiden wir in Frankreich.
Frankreich.
Es war nur ein Wort, doch sobald mein Blick darauf gefallen war, hatte ich gewusst, was es bedeutete. Denn in dieser Woche ging es um uns vier: um Rowan, Jennifer, Izzy und mich.
Was hieß, dass mein Ehemann, mein Seelenverwandter, mein Fels eine Affäre mit einer meiner drei ältesten und besten Freundinnen hatte.
Er war nicht der Typ für eine Affäre. Nicht mein Sean. Nicht mein gutmütiger, liebevoller, witziger Ehemann, der alberne Witze riss und die Kinder auf dem Rücken herumgetragen und sie in den Schlaf gesungen hatte.
Trotzdem waren die Anzeichen in den letzten Wochen unübersehbar gewesen. Er schien verschlossen und gedankenverloren, ernst und abweisend. Hatte ständig das Handy in der Hand, lief ins Fitnessstudio und legte mehr Wert auf sein Äußeres.
Wie konnte ich nur so blind sein?
Wer war sie? Welche meiner Freundinnen tat mir das an?
Mein Herz raste, als würde eine unsichtbare Gefahr mein Leben bedrohen. Ich konnte kämpfen – oder die Flucht ergreifen.
Ich nahm mein Handy und schloss mich im Badezimmer ein, wo ich mich auf den Toilettendeckel setzte und die Bilder von unserem letzten gemeinsamen Treffen bei einer Party in Rowans und Russ’ Haus in Chiswick aufrief. Ich scrollte durch die Galerie, bis ich gefunden hatte, wonach ich suchte.
Es war ein Schnappschuss von uns vieren und eines der wenigen Fotos, die Daniel gemacht hatte. Rowan hielt sich stirnrunzelnd das Handy ans Ohr und gestikulierte mit der freien Hand. Jennifer lief ihren beiden Teenagersöhnen mit der Sonnencreme hinterher. Izzy lehnte an einer Wand und beobachtete alles mit einem schiefen Grinsen. Und ich stand am Rand des Bildes und blickte gedankenverloren in die Kamera.
Wir kannten alle unsere Geheimnisse. Wir wussten Dinge, die uns für immer aneinander binden würden – genauso wie unsere gemeinsamen Erinnerungen. Wir hatten über Dinge gesprochen, die niemand sonst wusste, nicht einmal unsere Ehemänner. Ich hatte gedacht, ich würde diese drei Frauen kennen – doch jetzt stellte sich heraus, dass mir eine vollkommen fremd war.
Fest stand nur, dass ich über die Jahre hinweg Dinge gesagt und getan hatte, die – bewusst oder unbewusst – jeder einzelnen Freundin Schmerzen, Kummer und Leid zugefügt hatten.
Vielleicht hatte ich es nicht anders verdient.
Ich fühlte mich, als wäre ich wieder fünfzehn und von Angst und Selbstzweifeln zerfressen. Ich schlüpfte wie ferngesteuert aus meinen Klamotten und trat unter die Dusche.
Das Wasser prasselte auf meinen Kopf, spülte die Tränen fort und übertönte mein Schluchzen.
Mir war klar, was zu tun war. Ich musste hinunter an den Pool und Sean mit den Nachrichten konfrontieren. Ihn fragen, was sie bedeuteten und von wem sie stammten.
Aber ich tat nichts dergleichen.
Während das Wasser meinen Nacken massierte, bekam ich das Gefühl, dass der Verdacht nicht schwer genug wog, wenn man ihn unserer zwanzigjährigen Beziehung gegenüberstellte. Es schien nicht fair, deshalb alles aufs Spiel zu setzen, was wir hatten. Unsere Ehe war keinesfalls perfekt, aber welche Ehe war das schon? Ich war ausreichend glücklich und hatte gedacht, er wäre es auch. Vielleicht sollte ich zuerst mehr herausfinden und versuchen, es wieder ins Lot zu bringen, anstatt mit einer unüberlegten Äußerung alles zu zerstören.
Außerdem hatte ich Angst, dass er mich und die Kinder für eine andere verlassen könnte. Ich wollte nicht, dass es real war, und wenn ich ihn damit konfrontierte, wurde es real.
Also entschied ich mich dagegen. Ich konnte es nicht. Ich wusste nicht einmal, wie man ein derartiges Gespräch begann.
Hör mal, Sean, ich habe mir das Entsperrmuster deines Handys gemerkt und auf einen unbeobachteten Moment gewartet. Also, wer ist diese Frau? Was zum Teufel ist hier los? Wie konntest du mir das antun? Und unserer Familie?
Es klang verrückt – sogar in meinen Ohren.
Ich hatte es vor einigen Wochen sogar gegoogelt – wie ein typischer Hypochonder des 21. Jahrhunderts, der wissen möchte, ob er unter Kopfschmerzen oder einem Gehirntumor leidet. Ich hatte herausgefunden, dass Untreue in jeder dritten Ehe vorkommt. Was statistisch gesehen bedeutete, dass einer in diesem Ferienhaus zum Opfer wurde.
Es gab aber auch eine andere Möglichkeit. Ich konnte so tun, als hätte ich die Nachrichten nie gelesen. Als wäre Sean ein guter Ehemann und ich eine gute Ehefrau, die nicht an seinem Handy herumgeschnüffelt hatte. Als hätte ich nicht gesehen, was ich nie wieder vergessen würde. Doch ich hasste jegliche Ungewissheit. Grau war mir zuwider, Schwarz und Weiß waren mir am liebsten. Ich wollte mir sicher sein, bevor ich den nächsten Schritt machte.
Es würde zwar schrecklich werden, eine Woche lang allen die glückliche Familie vorzuspielen, obwohl ich wusste, dass Sean mich mit einer meiner besten Freundinnen betrogen hatte, aber ich musste es wissen. Ich musste ihn genau beobachten. Dann würde ich mit Sicherheit herausfinden, welche meiner Freundinnen er lieber mochte als mich. Es war mein Job, Beweise zu sammeln, zu katalogisieren, zu untersuchen und die Puzzleteile zusammenzufügen. Und in diesem Fall musste ich Beweise für die Untreue meines Mannes finden und sie zu ihrem Ursprung zurückverfolgen.
Ich werde euch ausräuchern und am Ende herausfinden, wer von euch versucht, meine Familie zu zerstören.
Wenn ich erst wusste, was genau vor sich ging, konnte ich es aufhalten, bevor es zu spät war. Ich hatte eine Woche, um die Wahrheit herauszufinden und zu überlegen, ob meine Ehe noch gerettet werden konnte.
Das krankhafte, selbstzerstörerische Bedürfnis, alles bis zum letzten schmutzigen Detail zu erfahren, steckte tief in mir. Ich musste es mit eigenen Augen sehen. Doch bis dahin musste ich so tun, als wäre alles in Ordnung, und mich so normal verhalten, wie es mir möglich war.
Ich machte die Dusche aus und fühlte mich so allein wie noch nie zuvor. Ich hatte keine Ahnung, was die Zukunft bringen würde, aber ich musste mich auf diese Reise begeben – meiner geistigen Gesundheit und meiner Selbstachtung zuliebe. Also würde ich mich anziehen, ein Lächeln aufsetzen und mich bereit machen für eine Woche unter Freunden. Und ich würde die Wahrheit herausfinden.
Jemand klopfte an die Tür.
»Mummy?« Daniels aufgeregte Stimme drang durch die Tür. »Bist du da drin?«
»Ja. Ich bin gleich fertig.«
»Rowan schickt mich. Jennifer ist bald da.«
Ich schlüpfte eilig in ein einfaches, geblümtes Kleid und Sandalen, und als ich von unten hörte, wie Rowan Jennifer so lautstark und überschwänglich begrüßte wie immer, saß ich bereits am Frisiertisch und legte Make-up auf, um meine verquollenen Augen zu verdecken und mich noch einmal zu sammeln.
Verhalte dich ganz normal.
Kurz darauf stand Jennifer in der Schlafzimmertür. Sie trug ausgefranste Jeansshorts und ein pinkfarbenes, trägerloses Tubetop, hatte die Sonnenbrille in die langen blonden Haare geschoben und hielt ihr Handy in der Hand. Sie trug kein Make-up – das brauchte sie nicht – und keinen Schmuck, abgesehen von einem kleinen silbernen Kreuz an einer Halskette. Selbst barfuß war sie um einen halben Kopf größer als ich und nur wenige Zentimeter kleiner als Sean mit seinen einen Meter achtzig. Sie war auf unangestrengte Weise hübsch, wie viele sportliche Menschen es waren.
»Klopf, klopf«, sagte sie und breitete die Arme aus.
Ich stand auf, und wir umarmten uns und tauschten nichtssagendes Geplänkel über das Wetter, die Autofahrt und die Unfähigkeit ihres Mannes aus, Google Maps zu befolgen.
»Die Villa ist unglaublich, oder?«, meinte Jennifer. »Hattest du schon eine Führung?«
»Rowan hat mir alles gezeigt. Der Ausblick vom Balkon ist Wahnsinn.«
»Ja, nicht wahr?« Sie sprach leise, als würde der Besitzer des Hauses uns hören.
Ich musterte sie unauffällig.
Jennifer war in Kalifornien aufgewachsen, und auch wenn sie mehr als die Hälfte ihres Lebens in Großbritannien verbracht hatte, hörte man ihr die Herkunft immer noch an. Vor allem, wenn sie aufgeregt war – wie jetzt gerade.
»Wie gefällt es den Jungs?«, fragte ich.
»Sie sind gerade auf Erkundungstour.« Sie warf einen Blick in den Flur, lehnte sich näher heran und senkte die Stimme. »Sie haben mir immer noch nicht verziehen.«
»Was denn?«
»Wir hatten gestern Abend beim Packen eine kleine Meinungsverschiedenheit. Sie wollten die X-Box mitnehmen, Ethan hatte sie bereits in seinem Koffer verstaut. Ich habe ihn gezwungen, sie wieder auszupacken, und ihnen erklärt, dass sie ihre Zeit nicht in einem abgedunkelten Zimmer mit diesem dämlichen Call of Duty oder mit Fortnite oder was auch immer verschwenden sollen, wenn das Mittelmeer direkt vor der Haustür wartet.«
»Ich schätze, sie waren nicht gerade begeistert?«
Sie winkte ab. »Nicht wirklich. Aber ich hoffe, sie sehen es ein, wenn sie erst entdeckt haben, was es hier alles zu erleben gibt.«
Sie versuchte, es nicht zu zeigen, aber ich wusste, dass sie der Streit belastete. Sie hatte es sich zum Vorsatz gemacht, niemals die Stimme gegenüber ihren Jungen zu erheben, niemals zu brüllen oder sarkastisch zu werden und auf keinen Fall jemals Gewalt anzuwenden – nicht einmal, als Jake versehentlich mit sieben beinahe ihr Haus abgefackelt hätte. Lob, Zuspruch, Anerkennung und Akzeptanz waren die Eckpfeiler ihrer Erziehung.
Die Jungen waren ihr Projekt. Ihre Lebensaufgabe. Die beiden trennten nur elf Monate, und sie hatten vor allem zu Beginn so viel von Jennifers Zeit und Kraft eingefordert, dass sie ihren Job gekündigt hatte und nie wieder zurückgekehrt war. Sie ging mit derartiger Begeisterung in ihrer Aufgabe als Vollzeit-Mum auf, dass es beinahe an Manie grenzte, und sie war unheimlich stolz auf ihre Jungs, die sie erbittert vor allem und jedem beschützte. Nachdem auch Ethan in die Schule gekommen war, hatte sie ihren alten Job als Physiotherapeutin trotzdem nicht wieder aufgenommen, sondern eine Teilzeitstelle im Schulbüro angetreten.
Sean trat mit einem Badetuch um die Hüfte und nassen Haaren ins Zimmer. Es war das erste Mal, dass ich ihn sah, seit ich die Nachrichten auf seinem Telefon entdeckt hatte, und sofort glühten meine Wangen vor Wut und Schmerz. Mir brannten Tausende Fragen auf der Zunge. Die Entdeckung war noch so frisch, und ich hatte kaum Zeit gehabt, um mir über meine Gefühle klar zu werden. Ich musste meine Gesichtsfarbe und mein Inneres unter Kontrolle bringen, damit er nicht sofort sah, was in mir vor sich ging.
Ich ertrug es nicht, ihn anzusehen. Aber genauso wenig konnte ich den Blick von ihm abwenden.
Er begrüßte Jennifer mit einem Küsschen auf die Wange – und wirkte dabei seltsam zurückhaltend –, dann packte er weiter seinen Koffer aus.
»Es gibt ein Spielezimmer«, erklärte ich, und meine Stimme klang gezwungen. »Mit einem Billardtisch, Tischfußball und vielem mehr. Da finden deine Jungs sicher etwas.«
Jennifer nickte und schien meine Anspannung nicht zu bemerken.
»Ich hoffe, sie verbringen so viel Zeit wie möglich draußen«, meinte sie. »Die Luft hier ist um einiges frischer als in London, und sie sitzen immer viel zu lange vor der verdammten X-Box.«
Jennifers Mann Alistair trat neben sie und schien mit seinem engen, ärmellosen Shirt, der engen Badehose, den haarigen Schultern und den nackten Oberschenkeln bereits im Urlaubsmodus. Die beiden hatten – zumindest körperlich – nie wirklich zusammengepasst, und nun waren sie eines der Paare, die nicht im gleichen Tempo alterten. Denn während Jennifer dank ihrer Größe und der langen Beine immer noch kalifornische Anmut verströmte, schien der stämmige Alistair mit seinem zotteligen Vollbart und der Schildpattbrille ungepflegter denn je.
»Aha!«, meinte er. »Ich wette, es geht gerade um das X-Box-Desaster.«
Jennifer seufzte. »Hör auf, es so zu nennen. Es war viel Lärm um nichts.«
»Meinetwegen hätte sie es ihnen ruhig erlauben können«, meinte Alistair zu mir. »Irgendwann beginnt jeder, seine eigenen Entscheidungen zu treffen und Fehler zu machen. Also warum nicht jetzt? Die Jungs testen ihre Grenzen und die Grenzen der anderen. Wir sollten sie auf dem Weg ins Erwachsenenleben unterstützen. Sie sind keine kleinen Jungs mehr.«
»Sie sind immer noch meine kleinen Jungs.« Jennifer verschränkte die Arme. »Und es wäre nett, wenn du mir ab und zu den Rücken stärken würdest, anstatt mich zum Bad Cop zu machen.«
»Aber du bist doch auch als Good Cop einsame Klasse, mon Cheri.« Er zwinkerte mir verschwörerisch zu.
»Wie auch immer, es wäre nett, wenn du Jake und Ethan als unsere Kinder betrachten würdest und nicht als Patienten, die studiert und therapiert werden müssen.«
Daniel stürzte außer Atem und mit nassen Haaren ins Zimmer.
»Leihst du mir deinen Camcorder, Dad? Ich mache eine Hausführung. Wie Joe Sugg!«
Sean trat vor eine Schublade und reichte ihm die kleine Kamera. »Aber schön vorsichtig, ja?«
»Vorsicht ist mein zweiter Vorname!«, rief Daniel und rannte wieder los.
»Joe Sugg?«, fragte Jennifer. »Wer ist das?«
»Ein YouTuber mit etwa acht Millionen Followern.«
»War ja klar.«
Alistair machte eine ausladende Handbewegung. »Die Villa ist beeindruckend, nicht wahr? Kommt jemand mit in den Pool?«
»Vielleicht später«, erwiderte ich. »Wenn das Wasser dann noch warm genug ist.«
»Im Moment hat es neunundzwanzig Grad, fast wie in der Badewanne. Kommst du, Jennifer?«
»Hast du Jake gesehen?«, fragte Jennifer ihren Mann.
»Nicht, seit die beiden in ihre Zimmer verschwunden sind.«
»Könntest du nachsehen, ob er unten am Pool ist?«
»Es geht ihnen sicher gut, Darling.«
»Bitte?«
»Aber klar doch.« Er tappte mit klatschenden Flip-Flops davon.
»Sehen wir uns dann unten?«, fragte mich Jennifer.
»Sicher.«
Sean hatte die ganze Unterhaltung über kein Wort gesagt und nahm gerade die letzten Klamotten aus dem Koffer. »Vielleicht springe ich später auch noch mal rein«, sagte er. »Sobald ich hier fertig bin. Der Pool ist unglaublich.«
Jennifer hört ihn entweder nicht oder tat nur so.
Irgendetwas stimmte hier nicht. Warum tut sie so, als wäre Sean nicht da?
»Gehst du auch schwimmen, Kate?«, fragte sie.
»Später vielleicht.«
»Dann bis nachher. Ich sehe besser mal nach meinen Jungs.«
Sie verschwand in Richtung Treppe, und ich warf einen schnellen Blick auf Sean, der gerade seine Hemden in den Schrank hängte.
Gehst du nur hinunter zum Pool, weil Jennifer auch dort sein wird? Damit ihr ein paar Minuten für euch habt? Warum hat sie dich ignoriert? Warum konnte sie dich nicht einmal ansehen?
Vielleicht war die Antwort eindeutig.
Sie kann es nicht, weil sie sich nicht verraten will.
War es tatsächlich so einfach?
Ist es Jennifer?
Jennifer und Sean waren als Studenten ein paar Monate zusammen gewesen. Nach ihrer Trennung war er mit mir zusammengekommen, doch es hatte keine Überschneidung gegeben. Zumindest war das die Geschichte, bei der wir geblieben waren. Es war für alle das Beste, es so einfach wie möglich zu halten.
Und jetzt fiel mir auch das Schlimmste wieder ein, was Sean je zu mir gesagt hatte. Ich hatte es so tief in mir begraben, dass ich es beinahe vergessen hatte. Wir waren erst wenige Monate zusammen gewesen und hatten Wahrheit oder Pflicht gespielt. Sean war so betrunken gewesen, dass er kaum noch stehen konnte. Der beste Sex, den ich jemals hatte? Das war mit Jennifer. Du weißt schon, erste große Liebe und so …
Seinen Worten war ein schrecklicher Streit gefolgt, und ich hatte ihm mit Tränen im Gesicht erklärt, dass man selbst bei Wahrheit oder Pflicht nicht immer die Wahrheit sagen musste, vor allem nicht, wenn diese derart grauenhaft und verletzend war. Vor allem nicht, wenn dabei seine große, athletische Ex-Freundin eine Rolle spielte, die auch noch eine meiner besten Freundinnen war. Er hatte mich betrunken angeblinzelt, sich immer und immer wieder schwankend bei mir entschuldigt und darauf bestanden, dass es nur ein dummer Scherz gewesen wäre.
Wir hatten eine zweiwöchige Pause eingelegt, bis ich seinem Betteln nachgegeben und ihn zurückgenommen hatte. Wir hatten seither nie mehr darüber gesprochen, und es war so lange her, dass ich gehofft hatte, es würde nie wieder zur Sprache kommen. Ich hatte Jennifer und den anderen nie etwas davon erzählt.
Na, wie sieht’s aus, Jennifer? Läuft da etwas zwischen dir und Sean? Erlebt ihr einen zweiten Frühling? Immerhin war es der beste Sex, den er je hatte. Ist es die längst überfällige Rache dafür, dass ich dir vor all den Jahren den Freund geklaut habe?
Nein. Das war verrückt.
Oder doch nicht?
Ich brauchte etwas Zeit für mich, um den Kopf frei zu bekommen. Ich musste fort und einen Moment lang alleine sein – aber genau das war diese Woche unmöglich.
Ich machte mich fertig, nahm mein Handy und eine Packung Taschentücher und stieg mit klopfendem Herzen die Treppe nach unten. Ich hoffte inständig, dass ich niemandem begegnen würde, und hatte es schon fast durchs Wohnzimmer geschafft, als Rowan aus der Küche trat. Sie hatte sich umgezogen und trug nun ein ärmelloses Maxikleid, das schimmerte und wogte wie flüssige Seide. Sie hielt zwei langstielige Gläser in der Hand und streckte mir eines entgegen.
»Auf unseren Urlaub«, sagte sie, und wir stießen an. »Cheers, Kate.«
»Cheers«, erwiderte ich und rang mir ein Lächeln ab.
»Ist alles okay, Liebes?«
»Klar, ich bin nur müde von der Reise.«
»Das bringt das Blubberwasser sicher wieder in Ordnung.«
Ich nippte an dem Champagner, der seltsam bitter schmeckte.
»Auf jeden Fall.« Ich hob mein Handy hoch. »Ich gehe nur mal schnell in den Garten und rufe Mum an.«
Das war gelogen. Ich hatte Mum bereits geschrieben, dass wir gut angekommen waren. Ich brauchte einen Grund, um allein zu sein.
»Ich habe einen Tisch im Restaurant reserviert«, erinnerte mich Rowan. »Wir müssen die Meute in etwa einer Stunde zusammentrommeln.«
»Klar.«
Ich öffnete die Glasschiebetür und trat auf den Balkon, wo mich die frühabendliche Hitze wie ein Mantel umfing. Eine breite Steintreppe führte hinunter zum Pool, der momentan verlassen dalag, und ich ging weiter nach rechts, wo sich ein üppiger Rasen über die gesamte Breite des Grundstücks erstreckte. Mehrere Palmen sorgten für den nötigen Schatten, und von den Bänken darunter hatte man einen herrlichen Ausblick auf den dahinterliegenden Weingarten. Es roch berauschend nach Lilien, Eukalyptus, Kiefernholz und warmer Erde. Der Rasen wurde von einer gepflegten Hecke begrenzt, in deren Mitte ein Gusseisentor eingelassen war, das in den Weingarten dahinter führte. Ich sah zurück zum Haus und entdeckte eine kleine Gestalt auf einem der Balkone im ersten Stock. Ich hätte den dunklen Schopf überall wiedererkannt. Es war Daniel, der Seans alten Camcorder von sich streckte und dessen Lippen sich lautlos bewegten, während er den Text zu seinem Ferienfilm sprach. Ein aufstrebender Junior-YouTuber. Mein kleines Wunder, das sich unerwartet nach drei Fehlgeburten eingestellt hatte. Zu einer Zeit, als ich bereits aufgeben wollte und mich langsam damit abgefunden hatte, kein zweites Kind bekommen zu können.
Auf meinem Rücken und unter den Achseln bildeten sich die ersten Schweißtropfen, und die Luft war so heiß, dass jeder Atemzug schwerfiel. Ich nahm einen weiteren Schluck Champagner und machte mich auf den Weg zu dem Gusseisentor in den Weingarten, wo ich nach rechts bog und mich immer weiter von der Villa entfernte, sodass mich niemand mehr sehen konnte. Ich schritt am Ende der Rebzeilen entlang, und nach etwa einer Minute warf ich einen Blick über die Schulter. Ich konnte Daniel nicht mehr sehen. Und sonst auch niemanden.
Ich ging weiter. Mit wachsender Entfernung wuchs auch mein Unbehagen, und mein Herz pochte.
Ich fragte mich erneut, ob ich Sean nicht auf die Nachrichten ansprechen sollte. Ich sollte ins Haus zurückmarschieren. Ihm sagen, dass ich hinter sein Geheimnis gekommen war. Ihm drohen, dass ich meinen Koffer packen, die Kinder schnappen und verschwinden würde, wenn er mir nicht die Wahrheit sagte. Hätte ich bloß gewusst, ob das die klügste und mutigste Lösung war, oder die dümmste. Oder womöglich sogar die schlimmste? Im Grunde gab es darauf keine Antwort, denn in meiner Situation gab es kein Richtig und Falsch, nur Lösungen, die etwas weniger tragisch waren als die anderen. Es gab kein Schwarz und Weiß. Bloß Grau.
Ich hielt an und streckte die Hände aus. Sie zitterten unkontrolliert. Ich hatte noch nie eine Panikattacke erlebt, aber ich kannte die Symptome. Ich ließ mich zu Boden sinken, lehnte mich an einen Weinstock, schloss die Augen und spürte, wie mir erneut die Tränen die Wangen herabliefen.
Das sanfte Zirpen der Grillen erfüllte die Abendluft, als wir uns schließlich zu Fuß auf den Weg ins Restaurant machten. Vor uns unterhielt sich Lucy mit Rowan, Jennifer und Alistair, während Russ Odette auf den Schultern trug. Die drei Jungen waren ein paar Meter vorausgelaufen, und Daniel hastete wie ein verzweifelter Welpe hinter den beiden schlaksigen Teenagern her.
Ich hatte mein Make-up aufgefrischt und ein zweites Glas Champagner hinuntergestürzt, um die Nerven zu beruhigen. Sean und ich bildeten den Abschluss unserer kleinen Truppe, und er ging in einer nicht ganz geraden Linie neben mir her.
»Also, sagst du mir, was los ist?«, fragte er. »Oder muss ich raten?«
Er steckte die Hände in die Hosentaschen und bot mir den Ellbogen an. Ich hakte mich zögernd bei ihm unter.
»Nichts ist los.«
»Ich dachte, du wärst glücklich, hier zu sein.«
»Bin ich auch«, sagte ich, ohne ihn anzusehen. »Aber es war ein anstrengender Tag.«
»Geht es dir gut? Hat es etwas mit dem seltsamen Sandwich zu tun, das du im Flugzeug gegessen hast?«
»Mir geht es gut.«
Er dachte einen Moment lang nach.
»Jetzt mal ehrlich, Kate. Was ist los?«
Abgesehen davon, dass du gerade unsere Ehe aufs Spiel setzt?
»Nichts.«
»Ich habe dich den ganzen Nachmittag kaum zu Gesicht bekommen.«
»Ich bin einfach müde, das ist alles.«
»Vielleicht verträgst du die Hitze nicht.« Er klang unbekümmert, aber er wählte seine Worte mit Bedacht. »Es ist wie in einem Hochofen.«
»Vermutlich.«
Einen Moment lang überlegte ich, ihn augenblicklich, hier und jetzt, zur Rede zu stellen. Es hinter mich zu bringen und wie ein Pflaster mit einem Ruck abzureißen.
Wer ist es? Rowan, Jennifer oder Izzy?
Aber ich wusste, dass es nicht der richtige Zeitpunkt war. Ich hatte keine konkreten Beweise. Noch nicht. Vermutlich hatte er die Nachrichten auf seinem Handy bereits gelöscht.
Sean versuchte noch einmal, mich zum Reden zu bringen.
»Ein toller Ort, um Urlaub zu machen.«
»Perfekt.«
»Hast du dich schon mal gefragt«, meinte er wehmütig, »wie es wäre, jedes Jahr hierherzukommen? Wie unglaublich das wäre?«
»Sean, das könnten wir uns niemals leisten.«
»Genau das meine ich. Hast du nicht das Gefühl, als ob …?« Er brach ab und gestikulierte mit der freien Hand. »Ach, ich weiß auch nicht.«
»Als ob was?«
»Als ob wir es uns mittlerweile leisten können sollten. Als ob es uns möglich sein sollte, den Kindern etwas zu bieten. Einen Sommerurlaub wie diesen zum Beispiel.«
»Manchmal vielleicht.«
»Weißt du, vorhin im Pool habe ich mir die Villa angesehen. Den Balkon. Und den Weingarten. Und ich habe mir gedacht: Mann, ich werde bald vierzig, aber ohne Rowans Einladung könnte ich niemals in so einer Umgebung Urlaub machen.« Sein irischer Akzent trat stärker hervor, wenn er etwas getrunken hatte, und jetzt war er deutlich zu hören. »Ich meine, wird es für immer außerhalb meiner Möglichkeiten liegen? Es gibt Millionen Orte auf dieser Welt, die ich gerne besuchen würde, und ich habe das Gefühl, ich habe noch nicht einmal angefangen. Dabei ist meine Zeit schon zur Hälfte vorbei. Was zur Hölle habe ich mit meinem Leben gemacht?«
»Wie viele Bier hattest du schon?«
»Nicht genug«, antwortete er mit einem Seufzen.
Wir gingen einen Moment lang schweigend weiter, dann meinte ich leise: »Ich finde es einfach schön, dass wir zumindest einmal hier sein können.«
»Klar«, erwiderte er. »Das verstehe ich. Es ist nur das Wissen, dass es normalerweise außer Reichweite liegt. Bei dem Gedanken fühle ich mich wie ein Versager.«
»Du bist kein Versager.«
»Aber erfolgreich auch nicht gerade. Als Netzwerksicherheitsbeauftragter eines mittelgroßen IT-Unternehmens.« Seine Stimme hatte einen sarkastischen Unterton. »Davon träumt jeder junge Mann, nicht wahr?«
»Du schützt Leute und die Dinge, die ihnen wichtig sind.«
»Ich schütze Daten. Das ist nicht dasselbe.«
»Ja, aber wie sagt man so schön: Das Leben ist eine Reise. Und nur das Ziel im Blick zu haben, verdirbt sie dir.«
Ende der Leseprobe