Höllenjäger - Richard Kadrey - E-Book

Höllenjäger E-Book

Richard Kadrey

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Beschreibung

Und wieder ist es an ihm, die verdammte Welt zu retten – aber warum sollte er eigentlich? Der zweite Band der düsteren Urban-Fantasy-Serie über Sandman Slim.

James »Sandman Slim« Stark, seines Zeichens Magier in Los Angeles, kehrte aus der Hölle zurück, um blutige Rache an denen zu üben, die ihn dort hinschickten. Doch womit verdient man sein Geld, wenn man frisch aus dem Untergrund zurück ist? Stark wählt eine Laufbahn als Kopfgeldjäger und zählt bald sogar Luzifer höchstpersönlich zu seinen Auftraggebern. Doch als eine Zombieseuche ausbricht und Stark gebissen wird, verkompliziert sich die Sache. Seine menschliche Seite beginnt zu sterben, was ihn in eine unaufhaltsame Tötungsmaschine ohne Gefühle oder Rücksicht auf seine eigene Zukunft verwandelt. Doch das kann auch von Vorteil sein, wenn die eigenen Optionen sowieso begrenzt sind. Stark muss sich entscheiden: Will er überhaupt ein Heilmittel gegen die Zombieseuche finden?

Die »Sandman-Slim«-Reihe:
1. Höllendämmerung
2. Höllenjäger
Der nächste Band ist bereits in Vorbereitung.

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Seitenzahl: 607

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Buch

Und wieder ist es an ihm, die verdammte Welt zu retten – aber warum sollte er eigentlich? Der zweite Band der düsteren Urban-Fantasy-Serie über Sandman Slim.

James »Sandman Slim« Stark, seines Zeichens Magier in Los Angeles, kehrte aus der Hölle zurück, um blutige Rache an denen zu üben, die ihn dort hinschickten. Doch womit verdient man sein Geld, wenn man frisch aus dem Untergrund zurück ist? Stark wählt eine Laufbahn als Kopfgeldjäger und zählt bald sogar Luzifer höchstpersönlich zu seinen Auftraggebern. Doch als eine Zombieseuche ausbricht und Stark gebissen wird, verkompliziert sich die Sache. Seine menschliche Seite beginnt zu sterben, was ihn in eine unaufhaltsame Tötungsmaschine ohne Gefühle oder Rücksicht auf seine eigene Zukunft verwandelt. Doch das kann auch von Vorteil sein, wenn die eigenen Optionen sowieso begrenzt sind. Stark muss sich entscheiden: Will er überhaupt ein Heilmittel gegen die Zombieseuche finden?

Die »Sandman-Slim«-Reihe:1. Höllendämmerung2. HöllenjägerDer nächste Band ist bereits in Vorbereitung.

Der Autor

Der New-York-Times-Bestsellerautor Richard Kadrey wurde 1957 in New York geboren, lebt heute aber in San Francisco. »Höllendämmerung«, der Auftakt seiner »Sandman-Slim«-Reihe, steht auf der Amazon-Liste »100 Fantasy- und SF-Romane, die du gelesen haben musst«. Die amerikanische Buchhandelskette Barnes & Noble zählte ihn beim Erscheinen zu einem der besten Fantasy-Romane des Jahrzehnts. Seitdem hat Sandman Slim in den USA Kultstatus. 2021 erscheint der zwölfte Band der Reihe. Außerdem ist Richard Kadrey beteiligt an der Comic-Serie »Lucifer«, der Vorlage der erfolgreichen Amazon-Prime-Video-Serie.

Besuchen Sie uns auch auf www.instagram.com/blanvalet.verlag und www.facebook.com/blanvalet.

Richard Kadrey

Roman

Ins Deutsche übertragenvon Bastian Ludwig

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Kill the Dead. A Sandman Slim Novel« bei Harper Voyager, London, 2010.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright der Originalausgabe © 2010 by Richard Kadrey

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2022 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Alle Rechte an der deutschen Übersetzung bei Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

Umschlaggestaltung und -motiv: © Anke Koopmann, Designomicon

LO · Herstellung: sam

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN: 978-3-641-26621-9V001

www.blanvalet.de

Für G und K

Und alles Leben stirbt, und die NaturVerkehrtes nur erzeugt, bloß ungeheure, Abscheuliche, ganz namenlose Dinge, Wie niemals sie die Fabel wohl ersann …

– John Milton: Das verlorene Paradies,Zweiter Gesang

Ich möchte nicht durch meine Arbeit unsterblich werden,sondern dadurch, dass ich nicht sterbe.

– Woody Allen

DANKSAGUNGEN

Ich danke Ginger Clark, Diana Gill, Holly Frederick, Sarah LaPolla, Nicola Ginzler, Suzanne Stefanac, Paul Goat William und Pat Murphy vielmals.

Ich danke Lustmord, Controlled Bleeding, The Germs, Tool und Les Baxter, die den Großteil des Soundtracks für dieses Buch geliefert haben. Außerdem Zamfir für The Lonely Shepherd, das beste Italo-Western-Titellied, das niemals in einem Italo-Western eingesetzt wurde.

Außerdem danke ich den Leuten von Borderlands Books und von Mysterious Galaxy für ihre Unterstützung.

Folgendes Bild: Man schiebt einem Nashorn einen Viehstock in den Arsch, ruft »April, April!« und hofft dann, dass das Tier das witzig findet – ungefähr so viel Spaß macht es, einen Vampir zu jagen.

Ich persönlich habe nichts gegen Nackennager. Sie sind einfach nur Süchtige in einer Stadt voller Süchtiger. Da die meisten von ihnen als Zivilisten angefangen haben, ist das Verhältnis von anständigen Vampiren zu absoluten Drecksäcken ziemlich genau so wie bei normalen Leuten. Jetzt gerade jage ich aber eine Vampirin, die offenbar einen Nobelpreis dafür bekommen möchte, mir total auf die Eier zu gehen. Keine spaßige Arbeit, aber sie bezahlt zumindest die Rechnungen.

Der Name der Vampirin ist Eleanor Vance. Auf der Kopie ihres Passfotos, das mir Marshal Wells gegeben hat, sieht sie aus wie um die siebzehn. Vielleicht, weil sie siebzehn ist. Ein hübsches blondes Ding vom Typ Cheerleaderin mit großen Augen und der Art von Lächeln, die Troja bis auf die Grundmauern hat niederbrennen lassen. Schlechte Nachrichten für mich. Junge Vampire sind alle Arschlöcher. Das gehört zu ihrer Jobbeschreibung.

Ich mag ältere Vampire. Hundertfünfzig, zweihundert Jahre alt – die sind herrlich. Die Cleveren unter ihnen bleiben unsichtbar, das ist die El-Hombre-Regel, die die urbanen Monster über Jahrhunderte hinweg ausgetüftelt haben. Sie nähren sich nur, wenn sie müssen, und wenn sie nicht jagen, sind sie langweilig – zumindest für Außenstehende. Dann kommen sie rüber wie Angestellte im mittleren Management oder der Typ, der den Weinladen an der Ecke betreibt. Am meisten gefällt mir an alten Blutsaugern, dass sie sich, wenn man sie in eine Ecke gedrängt hat und sie wissen, dass sie nur noch Sargfutter sind, wie diese erhabenen Krebspatienten in Fernsehserien benehmen. Sie wollen dann nur noch ruhig und mit etwas Würde abtreten. Bei jungen Vampiren ist das ganz anders.

Die jungen sind mit Slayer-Videos, Scarface, Halloween und ungefähr einer Million Stunden japanischer Animes aufgewachsen. Sie halten sich alle für Tony Montana mit einem Lichtschwert in der einen und einer Kettensäge in der anderen Hand. Eleanor, mein untotes Traumdate des Tages, ist dafür ein gutes Beispiel. Sie hat einen selbst gebauten Flammenwerfer. Das weiß ich, weil sie mir vorhin in der Tiefgarage eine meiner Augenbrauen und den linken Ärmel meiner neuen Lederjacke abgefackelt hat. Hundertpro hat sie die Pläne dafür aus dem Internet. Warum können Vampire nicht einfach Pornos runterladen wie normale Jugendliche?

Es ist Sonntag, ungefähr Viertel vor sechs. Wir sind in der Innenstadt. Ich folge ihr die South Hill Street entlang in Richtung Pershing Square und bin etwa einen Block hinter ihr. Eleanors Bluse hat lange Ärmel zum Schutz vor der Sonne, und sie trägt zusätzlich einen Schirm. Sie schlendert fröhlich vor sich hin, als würde ihr die Luft gehören und als müsste ihr jeder fürs Atmen Gebühren zahlen. Sie ist aber nicht wirklich entspannt. Ich kann das nicht an ihrem Herzschlag oder an Veränderungen ihrer Atmung erkennen, denn Saftpressen haben keins von beidem, und sie ist zu weit entfernt, um zu sehen, ob ihre Augen geweitet sind. Aber sie bewegt ständig den Kopf. Minimale Drehungen nach links und rechts, der Versuch, sich umzuschauen, ohne sich umzuschauen, die Hoffnung, meinen Schatten oder mein Spiegelbild zu erhaschen. Eleanor weiß, dass sie mich vorhin in der Garage nicht erledigt hat. Sie ist ein schlaues Mädchen. Ich hasse schlaue tote Mädchen.

An der Ecke zur Dritten rempelt sie eine alte Dame und ein Kind an, vermutlich das Enkelkind, und stößt beide auf die Straße – direkt vor einen Tieflader, der einen Bagger transportiert. Der Fahrer geht in die Eisen. Die alte Dame liegt am Boden. Das Stichwort für die Reifen, zu schreien und zu quietschen. Das Stichwort für die Schafe, rumzustehen und zu glotzen, und für die Captain Americas, zu Hilfe zu eilen. Sie ziehen die alte Dame und das Kind zurück auf den Gehweg, was toll für die beiden ist, mir aber überhaupt nichts bringt. Eleanor ist weg.

Es ist aber nicht schwierig, sie wiederzufinden. Fünfzig Leute müssen ihre kleine Nummer beobachtet haben, und die Hälfte davon behauptet, dass sie die Dritte hinuntergerannt und dann in den Broadway abgebogen ist. Ich gehe ihr nach. Ich bin verdammt schnell, viel schneller als die plattfüßigen Zivilisten, die sie zu jagen versuchen, aber eben nicht ganz so schnell wie ein Vampir. Vor allem nicht wie einer, der gerade seinen Schirm verloren hat und jetzt schnell aus der Sonne raus möchte, bevor er sich in ein T-Bone-Steak verwandelt.

Sie ist weg, als ich am Broadway ankomme. Dieser Teil der Stadt ist sonntags nicht gerade überlaufen, und ich habe weite Sicht in beide Richtungen. Keine frechen Blondinen, die lichterloh brennend die Straße entlangrennen. Die Straße runter liegen hauptsächlich Läden und Bürogebäude, aber alle Büros und die meisten Läden haben geschlossen. Bei einigen der kleineren Geschäfte stehen die Türen offen, aber Eleanor ist zu schlau, um sich in einer von diesen Schuhschachteln in die Enge treiben zu lassen. Es gibt nur einen Ort, an den ein schlaues Mädchen gehen würde. Und Gott sprach: »Es werde Licht und billiges chinesisches Essen zum Mitnehmen« – und der Grand Central Market erschien. Das Ding gab es schon hier am South Broadway, bevor sich die Kontinente getrennt haben. Und das Fleisch, das sie für ihre Burritos und Szechuan Beefs verwenden, ist teilweise noch älter. Ich glaube, ich hab mal die Bissspuren von Fred Feuerstein auf ein paar gegrillten Rippchen entdeckt.

Ich gehe rein und sehe Tacos und Pizza. Da ist ein Schnapsladen zu meiner Linken und an der gegenüberliegenden Wand ein Eisstand. Jedes der Menschheit bekannte Gewürz mischt sich mit dem Geruch von Schweiß und kochendem Fleisch. Nicht viel los hier zu dieser Tageszeit. Einige Läden und Stände sind schon beim Kassensturz. Ich kann Eleanor weder auf dem Hauptgang noch in einem der Seitengänge entdecken.

Ich fange in der Mitte der Markthalle an, biege nach rechts ab und komme an einem Fischstand vorbei; höre, rieche, spüre die Bewegungen der Luft, versuche, jede noch so kleine Schwingung des Äthers aufzunehmen. Diese Art der Jagd beherrsche ich immer besser. Anschleichen wie ein Raubtier statt meiner früheren Tyrannosaurus-mit-’nem-Ständer-Aktionen, die in den Straßen von L. A. nicht mehr ganz so gut funktionieren wie in der Arena.

Raffiniert jagen, sich wie ein Erwachsener benehmen – manchmal vermisse ich die Hölle wirklich.

Ein Vater auf Urlaubsreise fragt mich, wie er von hier aus mit seiner Familie wieder auf den Freeway nach Hollywood kommt. Ich ignoriere ihn, und er murmelt etwas von seinen Steuergeldern und warum wir nicht mehr Polizisten haben, um diese Drogensüchtigen wegzuscheuchen. Sechs Monate nach der Silvesterparty im Avila, und ich hab mich noch immer nicht an diesen Ort gewöhnt, an diese Leute. In vielerlei Hinsicht sind Zivilisten schlimmer als Hellionen, denn Hellionen wissen wenigstens, dass sie elende Säcke voller Schlachthausscheiße sind. Mehr und mehr wünsche ich, dass einer von diesen Sterblichen mal einen Vampir, eine Jade oder einen durchgeknallten Elementardämon zu Gesicht bekommt. Nicht die Andeutung eines Geistes im Dunkeln, sondern ein tiefer Blick direkt in die roten Augen einer Bestie, die nach den Seelen der unheilbar Ahnungslosen hungert.

Sei vorsichtig mit deinen Wünschen.

Ein langer, orangefarbener Feuerstrahl faucht von oben herab, wo Eleanor auf der mit Glas und Chrom überdachten Theke eines Gewürzstandes steht. Die Mündung des Flammenwerfers ist ein schmales Teil, nicht größer als die einer .45er Halbautomatik. Ein Schlauch führt von der Pistole zu einem Astro-Boy-Rucksack, der wohl Benzin enthält.

Eleanor bewegt ihren Arm in einem weiten Bogen und fackelt dabei Waren, Preisschilder und die Rücken einiger erstarrender Marktarbeiter an. Sie lächelt von oben herab. Annie Oakleys und Charlie Mansons Dämonenbaby, aufgeputscht durch dieses süße, besondere Adrenalin, das einen direkt vor dem Abschuss durchströmt.

Im nächsten Moment ist sie am Boden und rennt mit dem übersprudelnden Lachen einer ungezogenen Sechsjährigen davon. Ich nehme die Verfolgung auf, renne tiefer in die Markthalle. Sie ist klein und schnell, und eine Sekunde später flitzt sie nach links in eine Gangreihe und macht kehrt Richtung Broadway.

Ich kann sie nicht einholen oder ihr den Weg abschneiden, aber dort bei einem Verkaufsstand steht ein verlassener Rollwagen. Ich gebe ihm einen kräftigen Tritt, und er saust durch den leeren Essbereich. Tische und Stühle werden durch die Gegend geschleudert, der Wagen knallt ihr am Ende des Gangs in die Beine und rammt sie in den Tresen von Grand Central Liquor. Es regnet Glas und Patrón Silver. Wie aufs Stichwort fangen die Leute an zu kreischen.

Bevor ich sie zu packen kriege, ist Eleanor wieder auf den Beinen. Sie lächelt nicht mehr. Ihr linker Arm ist in einem lustigen Winkel abgespreizt, und ein Knochenstück von der Größe einer Truthahnkeule ragt knapp unter ihrem Ellenbogen aus dem Fleisch. Sie hat den Flammenwerfer im Anschlag, aber ich halte mit Vollgas auf sie zu. Auf keinen Fall werde ich stoppen. Stattdessen lege ich noch einen Zahn zu. Sie drückt den Abzug, und ich werde in Flammen getaucht.

Eine Millisekunde später knall ich gegen sie. Ich kann nichts sehen, aber ich weiß, dass sie es ist, denn sie ist das Einzige im Laden, das leicht genug ist, um auf diese Weise zu fliegen. Meine Sicht wird klarer, aber diesen Anblick will nicht einmal ich sehen. Als sie den Abzug betätigt, um mich abzuspritzen, entzündet sich der ganze Schnaps auf ihrer Kleidung und auf dem Boden. Als epileptische Hauptdarstellerin eines Schattentheaters dreht sie Pirouetten in einem See aus Whiskeyfeuer.

Vampire schreien nicht wie normale Menschen. Ich weiß gar nicht, wie sie ganz ohne Lunge überhaupt schreien, aber wenn sie loslegen, klingt das, als ob sich die Geräusche eines führerlosen Zuges mit dem Kreischen einer Million kämpfender Katzen mischen. Du fühlst das in deinen Nieren und Knochen. Der Laut bringt Touristen dazu, sich einzunässen oder vollzukotzen. Scheiß drauf! Eleanor geht noch immer nicht zu Boden. Und das Feuer breitet sich aus. Das Fett auf den Grills der nahe gelegenen Imbissbuden entzündet sich ebenfalls. Eine Propangasflasche geht hoch und löst die Sprinkleranlage aus. Als ich mich umschaue, hastet Eleanor gerade aus der Markthalle und zurück auf den Broadway, noch immer eingehüllt in Flammen.

Ein brennendes Mädchen durch die Straßen einer Stadt zu verfolgen, ist viel schwieriger, als es klingt. Zivilisten neigen dazu, anzuhalten, zu starren und so zu lebenden Bowlingpins zu werden. Langsamen, jammernden Bowlingpins. Man sollte meinen, irgendwelche grundlegenden tierischen Instinkte würden sie dazu bringen, ihre Ärsche aus dem Weg zu schaffen, möglichst weit weg von einem brennenden Schulmädchen, das laut genug kreischt, um Schaufenster zum Bersten zu bringen, und dem bescheuerten Hurensohn, der sie verfolgt. Nicht, dass sie mich groß kümmern. Was ich mache, mach ich für Geld, und auch sie haben ja schließlich was davon.

Als Eleanor über die Fünfte läuft, brennt sie nicht mehr. Sie ist eine schwarze, knackig-knusprig geröstete Barbiepuppe, die auf verkohlten Insektenbeinen dahinstakst.

Vor uns befindet sich ein schon lange aufgegebenes und inzwischen völlig abgewracktes Kino namens Roxie. Der Bereich von Vordach und Lobby wurde in einen Freiluftmarkt umgewandelt. Eleanor rauscht vorbei an Regalen voll gefälschter T-Shirts und giftiger Gummisandalen und knallt direkt durch das zentimeterdicke Sperrholz, das man vor die Kinotüren genagelt hat, dort, wo früher deren Glasscheiben waren. Ich folge ihr nach innen, bleibe aber an der zertrümmerten Tür einen Moment stehen, damit sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnen können.

Ein Na’at wäre eine vernünftige Waffe für einen Ort wie diesen, aber mir ist eher danach, irgendwas zu erschießen. Außerdem würde Eleanor nicht wissen, was ein Na’at ist, also könnte ich sie damit nicht so erschrecken, wie ich das gerne möchte. Ich habe Wild Bills Colt Navy schon vor einer Weile in den Ruhestand geschickt und ihn durch einen .460er-Smith-&-Wesson-Jagdrevolver ersetzt. Das Ding ist so groß und fies, dass es nicht einmal Kugeln braucht. Stünde ich auf einem Stuhl, könnte ich damit Godzilla totprügeln. Die Waffe ist abwechselnd mit massiven .460er- und mit verkürzten .410er-Schrotflintenpatronen geladen, gut eingelegt in meine spezielle Soße aus Spiritus Dei, Silber, Knoblauch, Weihwasser und rotem Quecksilber. Sie hat nur fünf Schuss, aber sie erledigt ihren Job so gut, dass ich noch nie nachladen musste.

Wenn man völlig unvorbereitet einen Ort betritt, von dem man weder den Grundriss kennt noch eine Ahnung hat, was drinnen auf einen wartet, einen Ort, von dem man weiß, dass dort ein Schleichender abhängt, dann würde sich ein cleverer Typ zurückhalten, erst die Umgebung nach Fallen checken oder nach Möglichkeiten für einen Hinterhalt. Ich aber steh unter Strom, bin genervt und hab’s eilig, also mach ich genau das nicht. Und überhaupt, ich jag hier nur ein dummes, kleines blondes Grillhähnchen. Jetzt ist sie in die Ecke gedrängt und wird kaum noch Ärger machen. Jep, das haben wahrscheinlich auch diese ganzen FBI-Fuzzis über Bonnie Parker gesagt, bevor sie die Maschinenpistole gesehen haben.

Im Kino ist es wie in einer Sauna. Gerissene Wasserrohre in einem versiegelten Gebäude. Ich hab noch keinen Schritt gemacht und schwitz schon wie ein Anwalt vor den Himmelstoren. Es riecht, als hätten sie hier drin den Moder erfunden. Wie zum Henker ist ein Vorstadtmädchen wie Eleanor hier zur Hausbesetzerin geworden? Sie ist nicht zufällig in das Kino gerannt. Sie wusste, wohin sie geht. Unter meinen Schuhsohlen knackt das Glas von Unmengen zerbrochener Bier- und Weinflaschen. Die Saufbrüder haben den Ort wahrscheinlich erst interessant für sie gemacht. Wer steht nicht auf ein kostenloses Mittagessen? Ich hab so das Gefühl, dass es hier drin nicht mehr allzu viele Hausbesetzer gibt.

Wie es aussieht, habe ich teilweise recht.

Es gibt zwar keine Hausbesetzer, dafür aber Vampire. Freunde von ihr. Ein Kerl und ein Mädchen.

Sie springen vom Balkon, und der Kerl knallt mir einen Holzbalken zwischen die Schultern. Ich geh auf die Knie, direkt in das zerbrochene Glas, aber ich nehme den Schwung des Schlages mit, rolle mich ab und bin sofort wieder auf den Beinen, die .460er durchgeladen. In dem Moment gehen die beiden anderen Freunde von Eleanor auf mich los, zwei Kerle, die unter den Sitzen links und rechts vom Gang hervorkommen. Ich packe den kleineren an der Gurgel und schleudere ihn auf den größeren. Das Vampirmädchen erwischt mich von hinten und rammt mir eine zerbrochene Flasche in den Arm. Instinktiv öffne ich die Hand, der Revolver fliegt davon, und es ist zu dunkel, um zu sehen, wo er abbleibt.

Ich stoße mit meinem Ellenbogen nach hinten und spüre, wie die Schläfe des Mädchens knackt. Die Kleine springt auf wie eine Gazelle und stolpert schreiend über zwei Sitzreihen. Das gibt mir eine Sekunde, um den Gang runter Richtung Leinwand zu laufen und etwas Abstand zwischen Eleanors tote Freunde und mich zu bringen.

Dort wartet Eleanor. Sie ist nicht nur schlau, sie hat auch Eier aus Titan. Sogar als sie in Flammen stand und durch die zugenagelte Eingangstür gebrettert ist, hat sie den Flammenwerfer nicht losgelassen. Die Blutsauger ziehen sich zurück, als sie im wahrsten Sinne des Wortes das Feuer eröffnet.

Der Flammenstoß vorhin in der Markthalle war nur ihre Art, sich vorzustellen. Dieser hier ist ein »Fick dich und mach’s gut« nur für mich. Eleanor drückt den Abzug und lässt ihn nicht los, bis der Flammenwerfer leer ist.

Halb aufgeschlitzt und halb totgeschlagen, bin ich noch immer nicht dumm genug, einfach stehen zu bleiben. Ich tauche nach rechts hinter eine Sitzreihe. Feuer züngelt um die Lehnen herum, als ob es nach mir greifen will. Ich werde von oben und unten geröstet und dampfe in meiner Lederjacke wie eine chinesische Schweinefleischtasche. Auch als der Flammenwerfer leer ist, kochen die brennenden Sitze mich weiter, und durch den Schlag mit dem Holzbalken bin ich noch immer zu benommen, um mich schnell zu bewegen. Ich taumele rüber zur Wand und versuche, den Gang hochzurennen, aber ich stolpere über den Müll, der wie Schneewehen den Boden bedeckt, und lande, Gesicht voraus, in Bonbonpapier, Nadeln und Malzlikörflaschen.

Ich hab mich in Buster Keaton verwandelt, und Eleanor und ihre Freunde finden es mächtig geil, wie ich da auf allen vieren vor mich hinkrieche. Sie ist so verbrannt, dass man die menschliche Form dahinter kaum noch erahnen kann, aber sie ist eine Saftpresse, und die kommen ziemlich schnell über Schmerz hinweg. Ich ebenfalls, aber bei mir ist es bis dahin noch ein weiter Weg. Noch bin ich nicht mal in der gleichen Zeitzone. Ich geb auf und sinke auf den süß-klebrigen Teppich, um zu tun, was ich schon von Anfang an hätte tun sollen.

Ich drücke meine rechte Hand auf die zerbrochenen Flaschen und lege mein ganzes Gewicht darauf. Die scharfen Kanten der Scherben schneiden tief in meine Handfläche, doch ich drücke weiter, bis ich merke, wie Glas auf Knochen trifft. Für die meisten magischen Sprüche benötigt man kein Blut, aber ein Schuss des roten Safts wirkt wie ein Brandbeschleuniger, wenn die Magie schnell und hart zuschlagen soll.

Eleanor nimmt dem männlichen Blutsauger den Holzbalken ab und klopft damit einen Sitz nach dem anderen ab, während sie auf mich zuschlendert. »Hey, Speedy Gonzales. Du jagst gerne Dingen hinterher, was? Wie wär’s, wenn ich deinen Kopf quer über die Straße schlage? Dann kannst du dem hinterherjagen!«

»Schnapp ihn dir, Nellie. Schau dir dieses vernarbte Stück Scheiße an. Der ist zu hässlich zum Austrinken. Mach die Schwuchtel kalt!«

Es ist einer der Typen, der da spricht. Der, der mich mit dem Holzbalken erwischt hat. Er hat einen Akzent aus dem Süden, von irgendeinem Ort, tief, alt und heiß. Man kann fast die um seine Worte gewickelten Kudzublätter hören.

»Halt den Rand, Jed Clampett!«, sagt Eleanor. »Jethro wartet auf dem Parkplatz auf dich, damit du ihm einen bläst.«

Alle bis auf Jed lachen.

Während Eleanor eine kleine Impro-Show für ihre toten Freunde abzieht, singe ich wieder und wieder einen hellionischen Choral vor mich hin, drück meine Hand weiterhin in die Glasscherben und lass das Blut fließen. Wenigstens dieses Mal kommt mir das kehlige Gegrunze des Hellionischen zugute – die Lost Boys glauben, dass ich stöhne.

»Warum hast du mich verfolgt, Arschloch? Hat Mutti dich geschickt? Weiß Daddy davon? Sie muss nur ihre Knieschoner anziehen, und schon kann sie ihn dazu bringen, alles zu tun.«

Der Wind kommt zuerst als Brise von der Rückseite des Kinos, streicht vom Balkon herunter und bauscht die vergammelten Vorhänge links und rechts der toten Leinwand auf. Als er an Kraft gewinnt, beendet Eleanor ihre Comedy-Nummer, und die anderen verstummen. Jetzt ist es an ihnen, zittrige Knie zu bekommen.

Ich kann die Toten zwar nicht so lesen wie die Lebenden, aber dennoch haben auch Vampire einen Geist, und ich taste nach Eleanors. Ich kann zwar nicht sagen, welche Lottozahlen sie getippt hat oder wie ihr Kätzchen heißt, aber ich kann Bilder und Eindrücke auffangen. Sie ist jetzt nicht mehr angepisst, sondern nervös, verliert die Kontrolle, bekommt Angst. Sie gehört noch nicht lange genug zum schleichenden Volk, um schon mal jemandem mit echten Hoodoo-Kräften begegnet zu sein; sie weiß nicht, was hier gerade geschieht.

Auch ihre Mutter hat einen Platz in ihrem Geist, ein schwarzes Loch voller Wut und Angst. Vielleicht hat Eleanor sich sogar absichtlich beißen lassen, nur um sie zu ärgern. Sie hat auch ein Geheimnis. Sie dachte, es würde sie letzten Endes retten, aber jetzt zweifelt sie daran.

Eine Böe fegt den Gang herunter, der einer unsichtbaren Faust gleich, und schleudert die fünf mit den Ärschen voran in die Luft. Eleanor verliert den Holzbalken und landet auf mir. Durch ihre verbrannte Haut rieche ich die Angst.

Der Wind wird stärker, eben noch vom Typ Hurrikan Katrina ist er jetzt eher Marke Space-Shuttle-Auspuff.

Mit all ihrer Kraft drückt sich Eleanor von mir herunter.

»Das ist seine Schuld! Er steckt dahinter!«, schreit sie. »Was sollen wir machen?«

Jed Clampett hievt seinen Arsch vom Boden hoch und zieht sich, die Rückenlehnen der Kinosessel wie Krücken nutzend, Stück für Stück in meine Richtung. Ich hab einen neuen Choral angestimmt, aber das hat er noch nicht bemerkt.

Der Wind ändert sich, wird vom Luftstrom zum ungezähmten Wirbel. Ich stemme mich auf die Knie und entledige mich meiner Lederjacke. Der Wirbelwind reißt den Teppich vom Boden und katapultiert eine ganze Wagenladung Glasscherben in die Luft. Die Scherben umkreisen uns wie eine Million glitzernder Rasierklingen, doch Eleanor und ihre Freunde nervt das nur, und sie schlagen das Glas weg wie Fliegen. Hunderte Schnitte – und bevor ein neues Dutzend entstanden ist, ist das letzte schon verheilt. Auch ich werde geschnitten. Schon nach Sekunden gleiche ich dem Springbrunnen vor dem Hotel Bellagio, und das zerbrochene Glas tanzt Wasserballett in meinem Blut.

Die wirbelnde Luft färbt sich rosa, während ich langsam ausblute. Jed und seine Freundin finden das saukomisch, strecken ihre Zungen raus und fangen Tropfen meines Blutes auf wie Kinder Schneeflocken.

Etwa zehn Sekunden später schreien sie beide und reißen sich mit ihren Fingernägeln die Kehlen auf. Jetzt fangen die drei anderen an, es zu spüren. Sie wollen fliehen, aber der Wind und das Glas sind überall. Der ganze Raum ist ein großer Mixer, der mein verdorbenes Blut in ihre Kehlen und auf ihre Millionen Wunden spritzt.

Eleanor sieht ohnehin aus wie ein Chicken McNugget, darum lässt sich kaum sagen, was mit ihr gerade geschieht. Aber die anderen fangen an zu brutzeln und von innen heraus zu glühen, als ob sie einer Wette wegen Bengalisches Feuer geschluckt hätten. Das passiert nun mal mit Vampiren, die blöd genug sind, Engelsblut zu trinken.

Schon nach wenigen Augenblicken werden sie katatonisch, bevor sie grell und heiß auflodern. Menschliche Blitzlichter. Sie brutzeln für einige Sekunden vor sich hin und werden dann zu feiner grauer Asche.

Ich knurre das Ende des magischen Spruchs, und die Luft kommt zur Ruhe. Die Vampire sind alle tot, mit Ausnahme von Eleanor. Während des Wirbelsturms hat sie sich hingekauert und an mir festgehalten. Mein Körper hat den Wind gut genug abgeschirmt, damit sie überleben konnte, aber nur gerade so. Sie bewegt die rissigen Lippen, als würde sie versuchen zu reden. Ich geh mit dem Ohr nah an sie ran.

»Wenn du Mutti siehst, sag ihr, dass es mir leidtut. Was ich getan habe, hab ich nur getan, um sie so zu erschrecken, wie sie mich und Daddy manchmal erschreckt.«

Wenn man angeheuert wird, jemanden umzulegen, ist das Allerletzte, was man tun will, demjenigen Absolution zu erteilen. Man will ihn schnell tot sehen und nicht sein Therapeut sein. Und noch weniger will man irgendwas hören, das einen möglicherweise Mitleid für ihn empfinden lässt. Ich will mit Eleanors Mama-Trauma nichts zu tun haben. Sie ist ein Monster, genau wie ich, aber ich will, dass sie ein totes Monster ist so wie ihre Freunde.

Sie lässt mein Bein los und haucht einen letzten Seufzer. Vor ein paar Minuten wollte ich sie noch auf einen Spieß stecken und wie einen Marshmallow rösten. Jetzt bedecke ich ihre Augen mit meiner Hand und hole die Schwarze Klinge hervor.

»Ganz ruhig.« Ich treibe sie zwischen ihre Rippen. Ein sauberer, chirurgischer, schmerzfreier Stoß direkt ins Herz. Eleanor erstarrt, lodert auf und vergeht zu Asche. Das tote Mädchen ist nun endgültig tot.

Ich schaue mich um, aber ich bin allein. Draußen höre ich Stimmen. Jetzt, da der Wind nachgelassen hat, wird bestimmt jeden Moment ein neugieriger Zivilist seine Nase hier reinstecken. Ich muss jetzt schnell vorgehen.

Von Eleanors Klamotten ist so gut wie nichts übrig, trotzdem taste ich sie eilig ab. Sie trägt einen goldenen Anhänger, der halb in ihre geschwärzte Brust eingeschmolzen ist. Ein paar Strassringe sind ihr von den Fingern gefallen – ich schnappe sie mir. In den Taschen hat sie kein Geld, aber da ist ein flaches Metallding, ungefähr so groß wie eine Rodeo-Gürtelschnalle. Die eine Seite ist leer, auf der anderen ist ein fauchender Dämon abgebildet, eingerahmt von einem schaurigen Monsteralphabet. Schrott. Grufti-Klunker. Das ist das andere Problem mit Baby-Lugosis. Eleanors Freunde waren hirnlose Straßenkinder, und sie selbst war noch nicht lange genug Vampir, als dass irgendein gebildeter Blutsauger sie darüber hätte ins Bild setzen können, was sie wirklich war. Der Tod in Go-Go-Stiefeln. Ein V8-Teufelspüppchen, das wie ein Marschflugkörper explodieren und wie ein panzerbrechender Hai zubeißen konnte. Dummes, törichtes Kind. Vielleicht hätte sie Zeit gehabt, all das herauszufinden, wenn sie nicht demjenigen ans Bein gepisst hätte, wer auch immer die Goldene Wache dazu gebracht hat, sie zum Abschuss freizugeben.

Gute Nacht, Eleanor. Ich bin sicher, Mutti vergibt dir und vermisst dich vielleicht sogar – solange sie niemals herausfindet, was du in den letzten Wochen angestellt hast. Sie wird es sicher nicht von mir erfahren.

Ich werfe noch einen Blick auf die Ghul-Gürtelschnalle. Sie ist schwer wie Metall, aber die Ränder sind abgeschlagen wie bei einer alten Porzellanuntertasse. Der dümmste Hehler von L. A. würde mir keinen Cent dafür geben. Ich werf sie zu dem anderen Müll in die Dunkelheit und widme mich Eleanors Freunden, durchsuche ihre Taschen, Beutel und Rucksäcke. Das hier sind keine Schleichenden aus Beverly Hills, nur ein Haufen Innenstadtschnorrer, also darf ich nicht gerade die Juwelen der Queen erwarten. Aber noch ist Urlaubszeit, darum finde ich ungefähr dreihundert in bar, die nicht verbrannt sind, als die vier sich in Asche verwandelt haben. Ein paar Joints, entwertete Kinotickets, Autoschlüssel, Kondome und Eleanors Spielzeugjuwelen. Ich werfe alles weg, außer dem Schmuck und dem Geld. Die Toten zu plündern, mag hart erscheinen, aber sie brauchen das Zeug nicht mehr, und die Goldene Wache zahlt keine Überstunden. Außerdem ist das Töten von Monstern mein Beruf. So wie ich das sehe, ist die Toten zu bestehlen in meinem Fall nichts anderes, als wenn normale Leute auf dem Weg aus dem Büro ein Päckchen Post-its mitgehen lassen.

Ich trete hinaus in die Sonne und atme tief ein, um den schmierigen Qualm verbrannten Fleisches und die Leichenasche aus meiner Lunge zu treiben. Ich geh in die Hocke, den Kopf nach unten, lehne mich mit dem Rücken gegen die zerstörte Eingangstür des Kinos und tu nichts als Atmen. Mein Gesicht und meine Brust sind übersät von dunkler werdenden Hämatomen, und ich bin bedeckt von so viel Blut, als hätte ich in einem Kimono aus Stacheldraht an einem Sumokampf teilgenommen. Von meinem verbrannten Arm, dem Arm, den Eleanor vorhin in der Garage erwischt hat, beginnt schwarze Haut abzuplatzen. Als ich aufblicke, sehe ich, dass die Blicke von einem Dutzend Augenpaaren auf mir haften, hauptsächlich die alter mexikanischer Frauen mit T-Shirts und pink-orangen Flip-Flops in den Händen.

Ich stehe auf, und die Frauen weichen zurück, als würden sie Schwanensee tanzen. Auf einem Kleiderbügel hängt ein gefälschtes Tanz-der-Teufel-Shirt. Ich nehme es. Die Frau an der Kasse hält eine ungeöffnete Wasserflasche in den Händen. Die nehm ich auch und gebe der Kassiererin zwanzig Dollar von dem Geld, das ich von den Nackennagern genommen hab.

»Gracias«, sage ich.

»De nada.«

Sie nickt mir nervös zu. »Bitte verzieh dich, ehe mein Hirn explodiert« ist in ihr bemüht lächelndes Gesicht geschrieben. Ich ziehe mein blutgetränktes T-Shirt aus, werfe es in die Mülltonne neben ihrer Kasse und schlüpfe in das neue. Das Wasser vernichte ich mit drei Zügen, bevor ich wieder in das Kino gehe.

Dort, in der Dunkelheit, entzündet sich Masons Feuerzeug schon beim ersten Versuch, und gerade, als die Zigarette zu glühen beginnt, höre ich Sirenen.

Die Frau von der Kasse steckt den Kopf durch die Tür.

»Hey, Mister.« Sie zeigt raus auf die Straße.

»Danke. Hab ich gehört.«

Mit ihren Armen macht sie eine scheuchende Bewegung. »Gehen Sie. Kein Ärger hier.«

»'Ne Menge Ärger hier«, erkläre ich und deute in den Saal, wo ich die Leichen zurückgelassen habe.

»Los vampiros? Kein Ärger. Stören nur turistas und pendejos.«

Sie wussten also Bescheid über die Herde. L. A. ist die Art von Stadt, in der man sich arrangiert. Die Damen übernehmen die Tagesschicht, und los vampiros arbeiten in der Nacht. Solange sie keine Flip-Flops klauen, sind die Untoten wahrscheinlich ziemlich anständige Nachbarn. Räuber und Dealer kapieren dann schnell, dass sie sich besser fernhalten. Verdammt, solange man rund um die Uhr einen dicken Schal trägt, ist das hier vielleicht eine der sichersten Straßen in ganz L. A.

Die Frau in der Tür dreht sich zu irgendwem um, der draußen steht. Ich höre, wie sie sich unterhalten, aber ich höre nicht wirklich zu. Die Stimme des Polizisten ist laut und deutlich, und ich weiß, was er fragt. Ich nehm mein Handy aus der Tasche, gehe zu Eleanors Leiche und mach ein Foto, als Beweis für ihren Tod. Als ich in die Lobby zurückgehe, kommt der Polizist rein, die Hand an seiner Glock. Er sieht mich und legt los. Er bleibt ziemlich ruhig, aber sein Körper ist für dieses Spielchen einfach nicht geschaffen. Er hat sich im Studio aufgepumpt, protziger Muskelfasertyp 2a, will wohl wie der Terminator aussehen. Er hat wahrscheinlich einen fiesen Würgegriff drauf, aber ich wette, sogar die alten Damen draußen könnten schneller ziehen als er. Ich schnipp meine Zigarette weg, und sie prallt an seiner Brust ab, noch bevor er die Pistole auf Bauchnabelhöhe hat.

»Keine Bewegung!«, ruft er, aber ich bin schon in die Schatten gewandert.

Zu Wells vorgelassen zu werden, ist immer ein heiteres Tänzchen. Am Eingangstor führen die Jungs in den Anzügen eine aufwendige Sicherheits- und Identitätsprüfung durch. Sie scannen mein Foto und meine Fingerabdrücke, kratzen mir Zellen vom Handrücken, um ein DNA-Profil zu erstellen und meine Spezies nachzuweisen. Dann müssen sie drinnen anrufen und eine Bestätigung einholen, denn vielleicht gibt es da ja noch einen anderen Typen, der aus den Schatten heraus an ihrem Tor auftaucht.

Heute stehen hier zwei Agenten. Der eine ist der typische milchgesichtige Anfänger, der immer Tordienst schieben muss, der andere ist ein Gedankengräber, ein Medium, fast so jung wie das Milchgesicht. Außerdem ist er ehrgeizig. Ich spüre, wie er mich überprüft. Die meisten Leute mögen es nicht, wenn man ihren Geist liest. Mich stört es nicht.

Als Kind habe ich mal ein scharfes Holzstück vom Hinterhof genommen und es einem der Dobermänner unseres Nachbarn übergebraten. Der Hund hat mich bis zum Ende des Blocks gehetzt, und als er fertig war, war meine linke Wade mit Blutergüssen und blutigen Bissspuren übersät. Mein Vater war in der Auffahrt, bastelte an Moms altem Impala und beobachtete die ganze Sache. Als ich ihn fragte, warum er den Hund nicht davon abgehalten hatte, mich zu beißen, antwortete er: »Weil du’s verdient hast.«

»Wie lautet dieser Spruch aus Die Spur des Falken?«, frage ich den Gedankengräber.

»Wie bitte?«, fragt das Milchgesicht, auf dessen Namensschild »Huston« steht.

»Den von Bogart, mein ich. ›Je kleiner der Ganove, desto größer die Klappe.‹« Ich richte mich wieder an den Gedankengräber. »Denkst du je darüber nach, wenn du Leute abtastest?«

»Wir machen hier nur unseren Job, Sir.«

»Glaubt mir, das weiß ich. Ich komme seit sechs Monaten jede Woche her. Ihr erledigt euren Job wirklich gründlich, schaut euch meine Fingerabdrücke zum vierhundertsten Mal an und fragt jedes Mal die gleichen Typen da drin, ob ihr mich reinlassen sollt, worauf ihr stets dieselbe Antwort bekommt. Ich mein, ich werd immer reingelassen, nicht wahr?«

»Wir müssen Ihre Identität feststellen, Sir. So ist das Verfahren.«

»Ihr wisst, wer ich bin. Oder tauchen hier viele Leute auf, die von oben bis unten blutverschmiert und mit Hoodoo-Pulver bedeckt sind?«

Das stachelt den Gedankengräber an, so richtig loszulegen. Einfach so eine bestimmte Identität zu behaupten, ist die reinste Katzenminze für übersinnliche Schnüffler. Ich kann spüren, wie seine Geisterfinger in meinen Schädel gleiten. Es kitzelt hinter meinen Augen.

Man kann mit so einem Spanner im Wesentlichen auf zwei unterschiedliche Arten umgehen. Man kann sich zurückziehen und den eigenen Geist leeren, alle Präsidenten aufzählen oder das große Einmaleins durchgehen.

Die andere Art, mit Medien umzugehen, ist, sie willkommen zu heißen. Man reißt alle Fenster und Türen auf und lädt sie ein, ganz tief in den eigenen Geist vorzudringen. Dann packt man sie an der Kehle und schleift sie direkt runter in die Hölle. Nun ja, so mache ich es zumindest. Der letzte Teil ist nicht zwingend. Entscheidend ist, wenn man sie erst mal tief genug in den eigenen Geist geführt hat, dann kann man das Steuer übernehmen und sie auf der Rückbank im Kindersitz festschnallen.

Von mir bekommen sie dann den großen Rundgang durch den Backofen. Zuerst gibt es einen Schuss von meinen frühen Tagen in der Hölle, als da nichts war außer Übelkeit und Panik. Dann gebe ich ihnen eine kleine Kostprobe von seelischer Vergewaltigung, Experimenten und Elefantenmenschausstellungen und davon, wie es ist, der Fuchs in einer berittenen Jagd durch Wälder aus gehäuteten, brennenden Seelen zu sein. Danach ein paar Glanznummern aus der Arena. Töten, elf Jahre lang nichts als töten. Ich zeige ihnen ganz genau, was es heißt, Sandman Slim zu sein. Die meisten kommen gar nicht so weit.

Dieser Gedankengräber übersteht nicht mal meine erste Woche im Backofen, in der mich eine betrunkene Hellionenwache aufgeschlitzt und versucht hat, meine Eingeweide herauszuziehen, weil sie gehört hatte, dass die Menschen dort ihre Seele verstecken. Aber so leicht lasse ich den Gedankengräber nicht vom Haken. Ich halte ihn lange genug in meinem Innern fest, dass er spüren kann, wie ich vor dem Nachbarshund geflüchtet bin und wie mein Bein zu Hackfleisch verarbeitet wurde.

Dann lasse ich los, und »The Amazing Criswell« wird aus meinen Kopf geschleudert wie eine Gans durch eine Flugzeugturbine. Er keucht, den Tränen nahe, als die Verbindung schließlich vollends abbricht.

Huston packt ihn an der Schulter.

»Ray, bist du in Ordnung?« Ray kann ihn nicht hören. Er schaut mich an.

»Warum?«, fragt er.

»Weil du’s verdient hast.«

Ray löst eine Schlüsselkarte von seiner Jacke, zieht sie über ein Magnetlesegerät, und das Tor schwingt auf.

Beim Durchgehen drehe ich mich noch einmal zu ihnen um. »Ihr wisst, dass ich das nicht tun müsste. Ich könnte auf dieser Seite des Zauns aus einem Schatten auftauchen, ohne mich mit euch Arschlöchern abzugeben. Aber ich versuche, hier ein bisschen besser reinzupassen, also bin ich höflich, halte mich an eure Regeln, so gut es geht. Ihr könntet darüber nachdenken, mir zumindest ein wenig dieser Zeitverschwendung zu ersparen.«

Ich mache mich auf in Richtung Lagerhaus. Huston fragt Ray wieder und wieder, was passiert ist, und Ray entgegnet ihm wieder und wieder, dass er die Schnauze halten soll. Ich frage mich, ob Ray nicht nur ein Gedankenleser, sondern auch ein Projektor ist und welche Teile des Rundgangs er Huston zeigen wird, damit der seine Klappe hält.

Schon von Weitem brüllt mir Wells entgegen, quer durchs Lagerhaus, sodass sich jeder nach mir umdreht, und ich seh gerade aus wie die Übungspuppe eines Scharfrichters. »Verdammt, Junge. Hast du unterwegs angehalten, um ein Reh auszuweiden, oder ist das alles das Werk dieses kleinen Mädchens?«

Mit meinem geschwärzten Arm halte ich ihm meine verbrannte Lederjacke entgegen. »Das hier kommt von deinem kleinen Mädchen. Den Rest haben ihre vier Freunde besorgt.«

»Da gibt es eine Herde?«

»Gab es. Fünf Stück.«

»Das stimmt nicht mit unseren Geheimdienstinformationen überein.«

Ich fische vier Geldbörsen aus einer der Jackentaschen und werfe sie auf den Tisch. »Hier hast du deine verdammten Informationen.«

»Achte auf deine Ausdrucksweise!«, raunzt Wells mich an.

»Die hab ich Eleanors Kumpeln abgenommen. Da ist immer noch deren Asche dran. Vielleicht auch Fingerabdrücke.«

»Was ist mit Eleanor?«

Ich nehm mein Handy aus der Gesäßtasche, klicke mich ins Fotoalbum und halte das Display hoch, sodass Wells es sehen kann.

Er runzelt die Stirn. »Was hast du mit ihr gemacht?«

»Das dumme Ding hatte ’nen Flammenwerfer. Sie hat es verka…, ich mein, vermasselt, und sich selbst abgefackelt. Dann ist sie nach draußen gerannt, direkt ins Sonnenlicht. Ich hätt mir liebend gern still und leise ihr Herz geschnappt, aber sie musste einen D-Day draus machen.«

»Sind die Überreste noch immer dort?«

»Jep.«

»Dann sichern wir den Ort erst einmal ab. Ihn zu säubern, hat keine Dringlichkeit, wenn die Herde ausgeräuchert wurde.«

»Ich hab dort niemanden mehr gesehen, das waren also wahrscheinlich alle, aber hundertprozentig sicher bin ich nicht. Wie gesagt, ich hab da drin nur ein einzelnes Mädchen erwartet.«

»Ich brauche eine Kopie des Fotos. Schick sie mir per Mail.«

»Hab ich gerade.«

Wells schaut mich nicht an. Er zieht sich Nitrilhandschuhe über und untersucht die Geldbörsen. »Die sind leer.«

»Wirklich?«

»War da irgendwas drin, als du sie gefunden hast?«

»Woher soll ich das wissen? Ich wollte Vampire töten, nicht ihre Ausweise prüfen. Ich hab schon unzählige Schleichende getroffen, die kein Geld benutzen. Was sie haben wollen, stehlen sie.«

»Und wozu dann Geldbörsen?«

Scheiße. Guter Punkt. »Frag doch ’nen Psychiater. Ich werd dafür bezahlt, Biester zu killen.«

»Stimmt.« Er wendet sich an eine Agentin zu seiner Rechten. »Tüten Sie die ein und bringen Sie sie runter zur Identifizierung.«

»Ja, Sir.«

Wells signalisiert mir, ihm zu folgen. Wir machen uns auf den Weg durchs Lagerhaus.

Irgendwie mag ich die geordnete Unordnung des Hauptquartiers der Goldenen Wache. Da gibt es immer was Lustiges, das man sich anschauen kann, während man darüber nachdenkt, es zu stehlen. Eine Gruppe Agenten, gekleidet in Anzüge aus Tyvek und mit Atemschutzmasken, hievt mit einem Gabelstapler einen wuchtigen Steingötzen auf die Ladefläche eines Tiefladers. Der Götze liegt auf dem Rücken, und soweit ich das sehen kann, besteht er aus nichts als Tentakeln und Brüsten; ich könnte schwören, dass sich einige der Tentakel ganz leicht bewegen, als sie den Götzen runterlassen. In einer anderen Ecke bauen ein paar Schweißer Fahrzeuge um. Agenten packen neue Waffen aus Kisten und begutachten sie. Ein Kerl, knochig, mit ledriger Haut und dem Anschein nach so alt wie König Tuts Mumie, streift durch die Gegend und besprenkelt alles mit Weihwasser.

»Welchen Bonus bekomm ich dafür, dass ich die vier zusätzlichen Blutsauger erledigt hab?«

»Wenn ich mir die Geldbörsen so anschaue, glaub ich, dass du deinen Bonus schon bekommen hast.«

»So, das glaubst du also? Sollte ich am Tatort zufällig irgendwas gefunden haben, dann wär es kaum genug, um mir eine neue Jacke zu kaufen. Und überhaupt, in Anbetracht eurer lausigen Informationen, verdien ich schon aus Prinzip ’ne Zusatzzahlung.«

»Ach wirklich?«

»Außer du hast gewusst, was mich in dem Gebäude erwartet.«

»Wie bitte?«

»Außer du hast gewusst, dass da eine ganze Herde wartet, obwohl du mich angeblich nur dorthin geschickt hast, um ein einzelnes, unerfahrenes Mädchen zu schnappen. Wäre das nicht genau das, was du jemandem erzählen würdest, dem du ’ne Falle stellen willst?«

»Ist das eine Frage oder eine Unterstellung?«

»Wie geht’s deinem Schätzchen im Untergeschoss?«

»Sprich nicht so über sie.«

Wann immer ich Aelita erwähne, geht Wells in Abwehrposition. Er steht auf sie, aber ein Engel spielt nun mal in einer anderen Liga als er.

»Alles klar. Wie geht es Miss Aelita? Gesund? Glücklich? Zum letzten Mal gesehen hab ich sie direkt nach dem Avila.«

Aelita ist ein Engel der Marke Drill-Sergeant. Sie leitet die Goldene Wache, die Pinkertons des Himmels. Sie weiß, dass ich ein Nephilim bin, und hat einen süßen Spitznamen für mich: der Gräuel. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie mich gern tot sehen würde.

»Hast du am Valentinstag Süßigkeiten und Blumen geschickt, Wells? Das ist okay, weißt du? Er war ein Heiliger.«

Sein Handy meldet sich. Er geht beiseite und spricht leise. Da hat ganz offenbar jemand mitbekommen, dass wir über sie sprechen.

Wells nickt und packt das Telefon wieder weg. »Du bekommst zwanzig Prozent Bonus auf deinem nächsten Scheck.«

»Zwanzig Prozent? Was bin ich, dein Kellner? Ich hab dir fünf Vampire serviert, kein Sandwich.«

»Ich bin berechtigt, dir zwanzig Prozent anzubieten. Nimm sie, oder lass es bleiben.«

»Ich nehm sie.«

Er zieht einen weißen Briefumschlag aus seiner Jacke und reicht ihn mir; der Scheck für meinen letzten erledigten Auftrag. Eine Gruppe Vorstadt-Druiden aus Pomona wollte die Invidia, eine Schar transdimensionaler Chaosgottheiten, wiedererwecken. Die Druiden waren urkomisch. Sie sahen aus wie Statisten der Andy Griffith Show, wie sie so versuchten, den Teufel in aufeinander abgestimmten weißen Schürzenkleidern herbeizurufen. Am witzigsten ist, dass ihr Plan fast funktioniert hätte. Ihr Anführer, ein dürrer blasser Wichtigtuer, war nur einen ermordeten Säugling davon entfernt, ganz Südkalifornien ins Verderben zu stürzen.

Wobei, wenn ich mich zurückgehalten hätte und es Barney gelungen wäre, die Invidia zu entfesseln, hätten wir wohl kaum eine Veränderung bemerkt.

Ich betrachte den Scheck und dann Wells. »Warum ziehst du immer so eine Scheiße ab?«

»Was meinst du? Dass ich mich an das Gesetz halte?«

»Ich bin Freiberufler, und du ziehst Dinge wie Steuern und Sozialabgaben ab.«

»Du siehst mir nicht aus wie jemand, der seine Steuer rechtzeitig macht. Ich tue dir einen Gefallen.«

»Ich zahl keine Steuern, weil ich überhaupt nicht existiere. Glaubst du wirklich, dass ich mit fünfundsechzig in Rente gehe?«

»Du solltest warten, bis du siebzig bist. Die Sonderleistungen sind’s wert.«

»Ich warte auf gar nichts. Ich bin offiziell tot. Warum zahl ich diesen ganzen Schwachsinn?«

»Ich hab gesagt, du sollst auf deine Ausdrucksweise achten.«

»Fick dich, Knigge! Du heuerst mich an, um für dich zu töten, und dann prellst du mich um mein Geld.«

»Das Geld gehört der Regierung. Sie finanziert all das, was wir hier tun. Dir passt das nicht, dann werd doch Politiker.«

Ich will gar nichts werden. Ich will Wells diesen elenden Knauserscheck so tief in den Arsch schieben, dass er die Bankleitzahl mit der Rückseite seiner Augen lesen kann.

Aber wie viele andere Videotheken dümpelt auch das Max Overdrive Video dieser Tage ziemlich vor sich hin, und ich hab keine Lust, mir eine neue Bleibe zu suchen. Vermieter in L. A. wollen keine Mieter mit Haustieren. Was soll ich also mit einem abgetrennten kettenrauchenden Kopf machen? Würde ist schön und gut, aber Geld sorgt dafür, dass Lichter und Dusche funktionieren.

Ich schaue den Schweißern in der anderen Ecke des Lagerhauses bei ihrer Arbeit zu, damit ich Wells nicht in die Augen blicken muss, während ich den Scheck zusammenfalte und ihn in meine Tasche gleiten lasse. »Am Ende aller Zeiten, wenn eure Seite verliert, sollst du dich an diesen Augenblick erinnern.«

Wells Augen verengen sich zu Schlitzen. »Weswegen?«

»Weil Luzifer nicht erwartet, dass man ihm dankt, wenn man sich von ihm verarschen lässt. Aus diesem Grund wird er gewinnen.«

Wells senkt den Blick zu Boden, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. »Weißt du, als ich klein war, hat meine Mutter oft christliche Fernsehsender geschaut. Hausierer, die von Höllenfeuer und Schwefel gesprochen, Bibelgeschichten erzählt und die ewige Verdammnis herbeigewettert haben, damit Narren und Greise ihnen ihre Schecks von der Sozialhilfe zusandten. Ich hab ihnen nie besondere Aufmerksamkeit geschenkt, aber eines Tages, wie aus dem Nichts, faselte so ein alter, faltengesichtiger Priester etwas, das er eine Parabel aus Persien nannte. Nun, das war seltsam für einen baptistischen Fundamentalisten. ›Seht, einst lebte im alten Persien ein von Sorgen geplagter Mann in einem Dörfchen nahe der Stadt Ghom …‹«

»Das ist jetzt die Geschichte, oder? Ich will nämlich nichts über eine Geländetour von dir und deinem Vater hören.«

»Halt die Klappe. Eines Tages stieg der von Sorgen geplagte Mann aus seinem Bett, um seine Felder zu bearbeiten. Vielleicht wurde er getötet, vielleicht lief er einfach immer weiter, auf jeden Fall hörte man nie wieder etwas von ihm. Die Sonne fiel durch die Tür, als der Mann sein Haus verließ, und warf seinen Schatten auf die Wand neben dem Herd oder wie auch immer man das dort drüben nennen mag. Als seine Frau und seine Kinder nach Hause kamen und das Haus leer vorfanden, sah die Frau den Schatten ihres Mannes und fragte ihn, wer er sei. Der Schatten sprach: ›Der Mann ist gegangen und ist in diesem Haus nun nur noch ein Schatten. Ich, der Schatten des Mannes, bin geblieben und werde bleiben.‹ Der Schatten blieb und wurde mit der Zeit zum Mann, und er und die Frau und ihre Kinder lebten viele Jahre lang glücklich zusammen.« Wells legt seine Hände zusammen, fast so, als würde er beten. Diese Seite von ihm zu sehen, bereitet mir Angst. »Später, als ich herausfand, dass die Goldene Wache in Persien gegründet worden ist, wusste ich, dass es Gott gewesen war, der an diesem Tag durch den Fernseher zu mir gesprochen hat. Er hat mir zeigen wollen, dass das hier der Ort ist, an dem ich sein soll.«

»Diese Geschichte ergibt überhaupt keinen Sinn. Und was genau soll sie mit dem zu tun haben, über was wir hier gerade sprechen?«

»Sie soll sagen, dass wir unsere Arbeit schon seit mehr als eintausend Jahren tun und dass du dir deine Missbilligung sonst wohin schieben kannst.«

»Das klingt mir schwer nach Hochmut, Wells. Klarer Fall von Todsünde. Lauf lieber schnell ins Untergeschoss und lass dir das von Miss Dezember rauspeitschen. Stell es ins Netz und lass die Leute pro Minute bezahlen – du wirst nie wieder auf Regierungsgelder angewiesen sein.«

Wells sieht mich an. Sein Handy klingelt, aber er ignoriert es. Ich möchte ihm sagen, dass er sich ins Knie ficken soll.

»Bist du fertig mit deinem Rumgeheule? Bereit für die Arbeit? Ich hab was Neues für dich.«

Mist, ich brauch den Auftrag. »Was soll ich für dich machen?«

»Ich möchte, dass du mit mir den Tatort eines Mordes begutachtest. Das Opfer war einer der Verschwiegenen, ein Sub Rosa. Kein harter Job. Nur Beobachtung.«

»Du hast doch Forensiker. Wozu brauchst du mich?«

»Ich will noch nicht, dass sie in diese Sache zu tief einsteigen. Ich brauche dich.«

»Wieso?«

»Weil du in der Hölle warst.«

»Und?«

»Ich möchte, dass du dir die Leiche anschaust und mir sagst, was es deiner Meinung nach damit auf sich hat.«

»Sicher, dass es sich nur um eine Leiche handelt und nicht um fünf?«

»Witzig.«

»Ich will mein volles Honorar.«

»Die Hälfte. Niemand bittet dich darum, irgendwas zu töten.«

»Du beanspruchst meine wertvolle Sauf-und-Rauch-Zeit. Das muss ausgeglichen werden.«

»Wie du ja schon festgestellt hast, werden wir von der Regierung finanziert, weswegen wir mit einer klaren und festgelegten Vergütungsstruktur arbeiten. Anders ausgedrückt, fürs Schauen und Zeigen bezahlen wir nicht so viel wie fürs Jagen und Töten.«

»Weißt du was, geh runter nach Chinatown, such einen Klub namens Owl’s Shadow und heuer ’nen Totenjünger an. Das sind niedergeschlagene Nekromanten, Siouxsie-and-the-Banshees-Schlampen mit niedrigem Selbstwertgefühl. Die werden sich vor Begeisterung überschlagen, wenn sie einem Bundesagenten bei einer Zaubershow am Tatort eines Mordes helfen dürfen.«

Wells nimmt sein Handy aus der Tasche, schaut sich den Namen des Anrufers an – sein Blick verfinstert sich. »Okay, du kannst am Tatort ein bisschen Feenstaub verstreuen, zauber irgendwas, ohne dabei Schaden anzurichten, und ich kann dir zwei Drittel deines vollen Honorars geben. Aber das war’s dann.«

»Abgemacht.« Ich halte ihm die Hand hin, aber er hat das Handy am Ohr, sodass er nicht einschlagen muss.

»Wir treffen uns um drei Uhr morgens, wenn es ruhig ist und die Kneipen geschlossen haben. Ich schick dir die Adresse.«

»Es ist ein Vergnügen, mit dir Geschäfte zu machen, Wells. Meine besten Grüße an die Hausherrin.«

»Raus hier.«

Ich beschließe, die Ray-und-Huston-Show dieses Mal ausfallen zu lassen und durch eine dunkle Stelle an einer Wand außerhalb des Lagerhauses zu schlüpfen. Ich lande in einer Gasse; das Bamboo House of Dolls liegt auf der gegenüberliegenden Straßenseite.

Silvester hab ich die Welt gerettet, und danach begann im Bamboo House ein Gelage, von dem ich dachte, es würd nur eine Nacht dauern. Das ist sechs Monate her, und inzwischen ist daraus ’ne Dauerparty geworden. Nachdem ich Mason der Meute im Backofen zum Fraß vorgeworfen hab, schlug wohl die Hälfte der Sub Rosa von L. A. im Bamboo House auf, um seinen baldigen Abgang zu feiern – und sie ist nie wieder gegangen. Carlos findet das natürlich spitze. Die Verschwiegenen geben ordentlich Trinkgeld in Zivilistenläden, in denen sie abhängen können, ohne als Teil der Bühnenshow zu enden.

Die meisten Sub Rosa würde man gar nicht bemerken. Sie sehen ermüdend menschlich aus, sind sogar Menschen und scheuen keine Mühe, sich anderen Menschen anzupassen, auch wenn sie sich manchmal wie Dandys des 19. Jahrhunderts oder Maya-Priester kleiden. Andere in der Kneipe sehen aus, als wären sie mit einem dampfbetriebenen Zeppelin vom Neptun hergeflogen. Sie gehören zum Schleichenden Volk, und gute, aufrechte Sub Rosa mögen es nicht, wenn sie die Möbel in ihren Klubs beschmutzen; darum kommen sie hierher. Da gibt es Sukkuben und Transgender-Lamien. Zottelige Naguale in Wolfsgestalt und Tigermenschen grölen und stapeln wie Verbindungsbrüder ihre Bierdosen zu einer Pyramide, die sie dann umstoßen. Und das Ganze dann noch mal von vorn. Eine Gruppe blauhäutiger Schülerinnen mit hellblondem Haar und Hörnern, die durch ihre Zöpfe hervorlugen, spielen irgendein Knobelspiel mit Elfenbeinbechern und Skorpionen.

Vor allem Carlos ist es zu verdanken, dass das Bamboo House of Dolls noch steht. Er hat nicht einmal mit der Wimper gezuckt, als die barschere Hälfte des magischen Untergrunds von L. A. hereingeschneit kam, um sich die Kante zu geben. Wenn Jesus ein Barmann wäre, wär er dennoch nur halb so gelassen wie Carlos. Trotz des zusätzlichen Profits hat er mit seinem Laden nicht viel mehr gemacht, als ein paar neue Barhocker und eine bessere Musikanlage anzuschaffen und die Klos zu putzen, damit sie nicht mehr ganz so wie die in einem Busbahnhof in Kalkutta aussehen. Es ist gut, eine Sache zu haben, die sich kaum verändert. Wir brauchen ein paar Anker in unserem Leben, die uns davor bewahren, von der Strömung in die Leere getrieben zu werden. Wie Mr. Muninn bei seinem einzigen Besuch hier sagte: »Quid salvum est si Roma perit?« – Was bleibt heil, wenn Rom untergeht?

Swamp Fire von Martin Denny läuft in der Jukebox. Carlos kommt rüber, in der Hand einen Becher mit schwarzem Kaffee. »Du hättest dich für mich nicht schick machen müssen.«

»Gefällt dir das Outfit? Ist aus Calvin Kleins Buch-der-Offenbarung-Linie.«

»Die knusprigen Arme sehen gut aus, auch wenn du hier überall tote Haut hinbröselst, aber die verbrannte Jacke ist un pedazo de basura.«

»Zeit, Abschied zu nehmen?«

»Einer von euch beiden gehört begraben, und von meinem Müllcontainer aus hat man einen zauberhaften Seeblick über die Gasse. Gib her, und ich schaff sie weg.«

Ich schiebe den verschmorten Lederhaufen über den Tresen.

»Tu mir ’nen Gefallen und schütte ein bisschen Salz und etwas Bleichmittel drüber, wenn du sie entsorgst.«

»Ist das so ’ne Magiesache oder eine Polizistensache?«

»Beides. Das Bleichmittel für die DNS. Das Salz für magische Überbleibsel, die jemand für einen eigenen Hoodoo nutzen könnte.«

Nickend packt Carlos die Jacke unter den Tresen. »Du hast den Kaffee noch nicht mal angesehen, also geh ich davon aus, dass du lieber ’nen Drink willst.«

»Was von dem roten Fusel.«

»Ganz sicher?«

»Lebt der Papst in einem hübschen Haus?«

»Dann iss wenigstens etwas dazu. Ich hab gerade ein paar Schweinetamales aus dem Dampfgarer geholt.«

»Vielleicht ein paar davon mit ein bisschen Reis?«

»Kommt sofort.«

Gerade beginnt City of Veils von Les Baxter. Wilde Trompeten und Trommeln am Anfang, dann ein Übergang zu klassischen Streichern und Hollywood-Exotika. Fast erwarte ich zu sehen, wie Errol Flynn im Piratenkostüm in einer der Sitzecken versucht, von Lana Turner einen Handjob zu bekommen. Nach ein paar Schlucken von dem roten Fusel sehe ich das vielleicht tatsächlich.

Ich hab diesen Alice-Song nicht mehr gehört seit der Nacht, in der er aus der Jukebox geplärrt ist und es sich angefühlt hat, als würde mir jemand Nägel in die Ohren hämmern. Carlos hat das überprüft, und das Lied gab’s nicht mal in der Jukebox. Er hat dafür gesorgt, dass die Firma ihm ein neues Gerät bringt, damit ich nicht am Tresen sitzen und nervös werden würde in der Erwartung, dass es gleich wieder losgeht.

Es war nur einer von Masons Flüchen. Er wollte mit ansehen, wie ich durchdrehe. Hätte er mich mit LSD vollgepumpt und mich in ein sich drehendes Spiegelkabinett voller Ratten gesperrt, hätte er keinen besseren Job gemacht.

Das war vor sechs Monaten. Ein halbes Jahr, seit ich Mason zum Pochieren in die Hölle geschickt und seinen Kishi-Freunden zum Abschied gewinkt hab, während sie verbrannt sind und von den Sonnenwinden zerstreut wurden. Hundertachtzig Tage, seit ich zusah, wie Alices Asche wie Nebel über dem Pazifik verwehte. Mir geht’s gut, danke. An den Rändern vielleicht etwas zerschrammt, aber ich hab all die Medizin, die ich benötige, genau hier in diesem Glas.

Carlos setzt den Teller mit den Tamales vor mir ab und schenkt mir einen Doppelten von dem roten Fusel in ein wuchtiges, quadratisches Glas ein – auf die Weise haben wir es auch in der Hölle getrunken. Aqua Regia ist so rot, dass es fast schwarz ist wie Blut im Licht des Mondes. Es geht geschmeidig runter, wie Benzin oder Pfefferspray. Im Backofen hat es wahrscheinlich mein Leben gerettet. Als ich Aqua Regia runterschlucken und auch unten behalten konnte, haben mich die Hellionen mit anderen Augen gesehen. Zu der Zeit ist einem von ihnen wohl die Idee gekommen, mich in die Arena zu schicken, statt mich zu töten. Gerade als meine Neuartigkeit niemanden mehr zu beeindrucken schien, war ich plötzlich wieder interessant.

»Ich hätte ihn töten sollen, als ich die Gelegenheit dazu hatte.«

Carlos schüttelt den Kopf. »Du warst nicht stark genug, um ihn zu töten.«

»Woher willst du das wissen?«

»Weil du mir das gesagt hast. Wir haben dieses Gespräch schon ungefähr fünfzigmal geführt.«

»Tatsächlich?«

»Vielleicht solltest du dich auf Kaffee beschränken oder vielleicht auf Bier. Du brauchst den roten Fusel nicht.«

Er will nach meinem Glas greifen, aber ich zieh es von ihm weg. »O doch, ich brauch ihn.«

»Du hättest ihn nicht besiegen können. Er war zu stark. Das hast du gewusst, darum hast du getan, was du konntest.«

»Ja, aber manchmal geht es nicht um Gewinnen oder Verlieren, sondern darum, das Richtige zu tun. Und genau das hab ich nicht getan. Ich hätte einfach weggehen sollen. Luzifer hatte recht. Indem ich Mason in der Hölle zurückgelassen hab, habe ich dem Scheißkerl genau das gegeben, was er wollte.«

»Du bist am Leben und läufst durch die Gegend. Solange du das von dir behaupten kannst, hast du noch immer die Möglichkeit, das Richtige zu tun. Halt einfach nur den Ball flach, bis du die richtige Zeit und den richtigen Ort herausgefunden hast.«

»Danke, Carlos. Du bist der beste Dad, den sich ein Junge wünschen kann. Willst du mich adoptieren?«

»Ich dachte, das hätt ich schon.«

Carlos schaut über meine Schulter hinweg und schüttelt den Kopf. Ich muss mich nicht umdrehen, ich kann sie spüren. Hinter mir stehen ein paar Mädchen vom College, bewaffnet mit Stiften und Papier. Sie wollen mir ein bisschen zu sehr auf die Pelle rücken und mich mit gehauchten Worten um ein Autogramm bitten. Wenn ich dumm genug bin zu unterschreiben, so dumm, wie ich früher mal war, werde ich es in einer Stunde bei eBay ersteigern können. Ich nippe an meinem Drink, vergrab meine Gabel in den Tamales und tue so, als würd ich sie nicht bemerken, während Carlos sie mit einer Handbewegung wegschickt.

Das Problem mit Mädchen vom College ist, dass sie meistens Jungs vom College im Schlepptau haben.

Eine Sekunde später lehnt sich zu meiner Rechten jemand gegen den Tresen. »Du bist dieser Superheld, oder? Der sich von einem Ort zum anderen beamen kann? Lass mal sehen.«

Er sieht aus wie Ziggy Stardust auf einem Cover der GQ. NASA-Ingenieure haben seinen dreiteiligen Nadelstreifenanzug entworfen. Ein wahres Kunstwerk.

»Sprichst du mit mir?«

»Es heißt, dass du schattenwandern kannst. Das will ich sehen.«

Er schaut mich an mit einer Mischung aus Arroganz und Langeweile. Du weißt nie, was ein Typ wie der tun wird. Er hat eine Hand in der Tasche. Und was er festhält, könnte alles sein – von einem Joint über eine Wasserpistole bis hin zu einem Teppichmesser.

»Sorry, ich sprech kein Französisch. Oder ist das Chinesisch? Ich versteh kein Wort von dem, was du faselst.«

»Du hältst dich für den heißesten Scheiß, weil du einen Spitznamen wie eine Comicfigur hast und weil dir die Goldene Wache Rückendeckung gibt! Weißt du überhaupt, wer ich bin? Weißt du, wer mein Vater ist?«

»Vielleicht brauchst du ein Wörterbuch Englisch – Arschloch. Ich hab gehört, in Kansas gibt’s tolle Buchläden. Du solltest sofort loslaufen.«

»Meiner Familie gehört der Laden. Die ganze Stadt. L. A. bis raus zum Valley und in die Wüste.«

Carlos wirft mir einen Blick zu, und ich erwidere ihn. Er rührt sich nicht vom Fleck, beginnt aber, Limetten zu schneiden, um einen Grund zu haben, ein Messer in der Hand zu haben.

»Die Leute hören mir zu, wenn ich rede.«

»Die Reichen sind wohl wirklich anders. Die meisten von uns stammen vom Affen ab, aber bei dir seh ich einen Hauch von Klapperschlange.«

Ziggy hat ’nen Kumpel dabei. Nicht ganz so gut aussehend, der Anzug nicht ganz so hübsch. Er versucht, vor den Mädchen cool zu bleiben, aber er ist nur ’ne Minute davon entfernt abzuhauen. »Bitte«, sagt er zu mir, »zeig doch einfach den Trick, Mann. Dann lassen wir dich in Ruhe.«

»Ich hab gerade fünf Leute getötet. Wenn ihr wollt, zeig ich euch diesen Trick.«

Ich widme mich wieder meinem Drink und den Tamales. Ziggy will zu einer neuen Tirade ansetzen und weiß nicht, dass in der Sekunde, in der er sein Maul aufreißt, meine Gabel in seinem Auge landen wird und ich ihn wie eine Marionette tanzen lassen werde. Doch da tauchen die Mädchen links und rechts von ihm auf und ziehen ihn zur Tür.

Als sie rausgehen, höre ich eines von ihnen sagen: »Daddy würde sagen, der Mann sieht aus wie ein Hund, der Schafe reißt.«

Als sie verschwunden sind, flucht Carlos leise und so schnell, dass ich nicht sagen kann, ob auf Englisch, Spanisch oder Urdu.

»Ich hasse diese Scheiße«, knurre ich.