Höllenthron - Richard Kadrey - E-Book

Höllenthron E-Book

Richard Kadrey

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Beschreibung

Luzifer ist zurück im Himmel, Gott ist auf Urlaub – und Sandman Slim muss Los Angeles retten ... Der dritte Band der höllisch guten Urban-Fantasy-Kultserie!

Es waren ein paar aufregende Monate für James »Sandman Slim« Stark seit seiner Flucht aus der Hölle. Doch die wohlverdiente Pause bleibt dem härtesten Magier von Los Angeles verwehrt, da die Stadt wieder einmal im Chaos zu versinken droht: Luzifer ist zurück im Himmel, Gott ist auf Urlaub, und ein drohender Krieg zwischen Himmel und Hölle rundet die Misere ab. Stark bleibt keine andere Wahl, wenn er die Welt vor den Auswirkungen des Kampfes zwischen Gut und Böse bewahren will: Er muss dorthin zurück, wo alles angefangen hat. Der Kreis scheint sich zu schließen – und am Ende wartet die Hölle. Willkommen zurück, Sandman Slim ...


Der neue Band der düsteren Urban-Fantasy-Reihe über Sandman Slim von »New York Times«-Bestsellerautor Richard Kadrey.

Die »Sandman-Slim«-Reihe bei Blanvalet:
1. Höllendämmerung
2. Höllenjäger
3. Höllenthron

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Seitenzahl: 674

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Buch

Luzifer ist zurück im Himmel, Gott ist auf Urlaub – und Sandman Slim muss Los Angeles retten … Der dritte Band der höllisch guten Urban-Fantasy-Kultserie!

Es waren ein paar aufregende Monate für James »Sandman Slim« Stark seit seiner Flucht aus der Hölle. Doch die wohlverdiente Pause bleibt dem härtesten Magier von Los Angeles verwehrt, da die Stadt wieder einmal im Chaos zu versinken droht: Luzifer ist zurück im Himmel, Gott ist auf Urlaub, und ein drohender Krieg zwischen Himmel und Hölle rundet die Misere ab. Stark bleibt keine andere Wahl, wenn er die Welt vor den Auswirkungen des Kampfes zwischen Gut und Böse bewahren will: Er muss dorthin zurück, wo alles angefangen hat. Der Kreis scheint sich zu schließen – und am Ende wartet die Hölle. Willkommen zurück, Sandman Slim …

Die »Sandman-Slim«-Reihe:

1. Höllendämmerung

2. Höllenjäger

3. Höllenthron

Der Autor

Der New-York-Times-Bestsellerautor Richard Kadrey wurde 1957 in New York geboren, lebt heute aber in San Francisco. »Höllendämmerung«, der Auftakt seiner »Sandman-Slim«-Reihe, steht auf der Amazon-Liste »100 Fantasy- und SF-Romane, die du gelesen haben musst«. Die amerikanische Buchhandelskette Barnes & Noble zählte ihn beim Erscheinen zu einem der besten Fantasyromane des Jahrzehnts. Seitdem hat Sandman Slim in den USA Kultstatus. 2021 erscheint der zwölfte Band der Reihe. Außerdem ist Richard Kadrey beteiligt an der Comic-Serie »Lucifer«, der Vorlage der erfolgreichen Amazon-Prime-Video-Serie.

Besuchen Sie uns auch auf www.instagram.com/blanvalet.verlag und www.facebook.com/blanvalet.

Richard Kadrey

Roman

Ins Deutsche übertragenvon Bastian Ludwig

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Aloha from Hell. A Sandman Slim Novel« bei Harper Voyager, London, 2011.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright der Originalausgabe © 2011 by Richard Kadrey

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2023 by Blanvalet

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Alle Rechte an der deutschen Übersetzung

bei Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

Umschlaggestaltung: Anke Koopmann | Designomicon

Umschlagmotive: Shutterstock.com (FXQuadro; Zastolskiy Victor)

LO · Herstellung: sam

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN: 978-3-641-26622-6V001

www.blanvalet.de

Für Suzanne S, eine stete Inspiration

Ich saß am Ufer

Angelnd, die wüste Ebene im Rücken

Soll ich nicht zumindest meine Ländereien ordnen?

T. S. Eliot, Das wüste Land

Das Leben ist ein Eimer Scheiße mit ’nem Henkel aus Stacheldraht.

Jim Thompson

DANKSAGUNGEN

Großer Dank geht an Ginger Clark, Diana Gill, Holly Frederick, Sarah LaPolla, Nicola Ginzler, Suzanne Stefanac, Paul Goat Allen, Pat Murphy, Pamela Spengler-Jaffee, Jessie Edwards, Will Hinton und Carol Schneck.

Dem historischen Wild Bill und dem echten Vidocq danke ich dafür, dass sie mich nicht im Schlaf ersticken.

Ebenfalls danke ich Bart Ehrman, Raymond Chandler, Lustmord, Jon Hassell, Sergio Leone und Guillermo del Toro.

Meinen herzlichsten Dank auch all jenen, die mir auf Twitter folgen und keine Pornbots sind. Ganz ehrlich, ihr Bots, ich hab exakt so viele russische Katalogbräute und gerade erst achtzehn gewordene asiatische Transvestiten, wie ich brauche.

»Möchtest du mir verraten«, fragt mich der Franzose, »wie lang es her ist, dass du etwas getötet hast?«

Er treibt Spielchen mit mir. Er kennt die Antwort, aber er will, dass ich es ausspreche. Pater Vidocq nimmt mir die Beichte ab.

»Keine Ahnung. Wie spät ist es?«

»So lang also?«

Ich zucke mit den Schultern.

Vidocq und ich befinden uns in einem sehr großen Haus in einem sehr dunklen Zimmer voller sehr schicker Möbel und stehlen etwas sehr Wertvolles. Was genau, weiß ich nicht – und es ist mir auch egal. Es ist einfach nett, mit dem alten Knaben rumzuhängen und mit ihm ein paar Untaten zu begehen, bei denen ausnahmsweise mal niemand als Zombiesnack endet, erschossen wird oder den Kopf verliert.

»Ist schon ’ne Weile her«, entgegne ich. »Sechs Wochen … oder acht. Irgendwas um den Dreh.«

Ich hab uns durch einen Schatten ins Haus schlüpfen lassen. Vidocq werkelt am Wandtresor rum. Er hat ein Händchen für Tresore, schließlich hatte er mehr als einhundert Jahre lang Zeit zu üben.

»Also gegenwärtig keine Kreuzzüge? Kein himmelschreiendes Unrecht, das behoben werden muss?«

Ich krame in meiner Tasche nach einer Zigarette, als mir der Gedanke kommt, dass es hier Rauchmelder geben könnte.

»Keins, das es wert wär, dafür zu töten. Ich bin kein Polizist. Und die Sub Rosa hat ihre eigene Impossible Missions Force, um den Kleinkram zu erledigen.«

Ich liebe es, Vidocq bei der Arbeit an einem Tresor zu beobachten. Er hat die Hände eines Chirurgen. Geschickt. Präzise. Er könnte einen Faden in ein Nadelöhr fädeln, während ihm Pistolenkugeln um die Ohren pfeifen.

»Incroyable. Vielleicht kommt es allmählich zu einer Verständigung mit dem Engel in dir, was mäßigend auf dein Temperament wirkt.«

Stimmt. Ich bin zum Teil ein Engel. Zur Hälfte, wenn man’s genau nehmen will. Das ist toll. Mit einem Heiligenschein bekommt man in L. A. ’ne Tasse Kaffee – zumindest, wenn man auch noch fünf Dollar dabei hat.

»Kann sein. Manchmal brüllt der Engel mich an, meistens in der Nacht, wenn ich so müde bin, dass er mich mit einer seiner Gardinenpredigten der Marke Friede auf Erden, ›Rauchen schadet Ihrer Gesundheit‹, ›Donnerstag ist Veggietag‹, überrumpeln kann. Aber er versucht nicht mehr, den ganzen Laden zu übernehmen. Wir haben uns auf ’ne Art Atompatt geeinigt.«

Vidocq sieht zu mir rüber. »Atompatt?«

»Ein Gleichgewicht des Schreckens, wie im Kalten Krieg. Ich hab ihm klargemacht, dass er nie wieder versuchen soll, mich aus meinem eigenen Gehirn zu schmeißen und aus mir ’nen keuschen Chorknaben zu machen, weil ich ansonsten etwas – du weißt schon – Unvernünftiges tun werde.«

»Und das wäre zum Beispiel?«

»Ich hab ihm gesagt, dass ich mir die Kante geben und durch den Raum der Dreizehn Türen bis zu den Himmelstoren gehen werde. Dann suche ich den Erzengel Gabriel und tret ihm vor all den anderen Engeln mit Karacho in die Kronjuwelen.«

»Woraufhin die Engel ihre Schwerter zücken und dich niederstrecken würden.«

»Ganz genau. Ein Gleichgewicht des Schreckens.«

»Das klingt schon viel eher nach deinem alten Selbst.«

»Herzlichen Dank.«

Technisch gesehen bin ich das, was man einen Nephilim nennt: halb Mensch, halb Engel – und ich bin der Letzte meiner Art. Die anderen sind alle tot, hauptsächlich durch Selbstmord. Manch einer nennt meinesgleichen Missgeburt. Wenn man eins der Schoßhündchen des Himmels fragt, würd es mich vermutlich als Gräuel beschreiben. Ich sag dazu nur: Wenn mir jemand die eine oder die andere Bezeichnung direkt an den Kopf wirft, findet er ganz schnell heraus, wie seine Lunge als Dekokissen aussieht.

Mein innerer Engel hat sich vor ’ner Weile zu Wort gemeldet, als ein Vagabund – man kann dazu auch Zombie sagen – mir einen Brocken aus meiner Hand gebissen hat. Meine menschliche Hälfte wär fast dran gestorben, und die Engelshälfte sah ihre Chance gekommen, das Ruder zu übernehmen. Das hat auch ’ne Weile geklappt, dann hab ich meine Stärke zurückerlangt und den Engel im Dachgeschoss eingesperrt wie Joan Crawford in Was geschah wirklich mit Baby Jane?. Jetzt hämmert er gegen die Tür und brüllt rum, aber ich hab gelernt, ihn zu ignorieren … meistens jedenfalls. Manchmal. Na ja, es gibt bessere und schlechtere Tage.

Vidocq widmet sich erneut dem Tresor. Über seiner Kleidung trägt er einen maßgeschneiderten Wintermantel aus grauer Gabardine. Da hat ihm seine Freundin Allegra wohl wieder die Klamotten ausgesucht. Er sieht aus wie der Türsteher einer Flüsterkneipe im Kreml. Der Mantel klimpert leise, wenn Vidocq sich bewegt. Das hört sich zwar an, als würd er Windspiele schmuggeln, ist aber der Klang von zahllosen Fläschchen, die er in eingenähten Schlaufen im Futter seines Mantels mit sich herumträgt. Ich hab meine Knarren, meine Klinge und mein Na’at – Vidocq hat seine magischen Tränke.

»Was genau stehlen wir hier eigentlich?«, frage ich.

»Eine goldene Brosche, eine Apparatur in Form eines Skarabäus. Sie ist recht alt. In ihrem Innern findet sich ein Uhrwerk. Vielleicht handelt es sich dabei um Gottes Taschenuhr.«

»Der braucht keine Uhr. Er braucht ’nen Kompass, um seinen eigenen Arsch leichter zu finden.«

Ein Klicken ist zu hören, und die Tür des Tresors schwingt auf. Vidocq bewegt seine Hand in einem weiten, eleganten Bogen wie die Moderatorin eines Teleshopping-Senders. »Et voilà.«

»Du hast es voll drauf, Van Damme.«

Vidocqs Augen verengen sich. »Jean-Claude Van Damme ist Belgier, kein Franzose.«

»Gibt’s da ’nen Unterschied?«

»Leck mich!«

Ich liebe es, wie Vidocq »leck« ausspricht; er sagt so etwas wie »lägg«.

Dann flüstert er: »C’est quoi, ça?«

»Stimmt irgendwas nicht?«

»Nein, das hier ist nur äußerst interessant. Der Eigentümer dieses Tresors ist ein ungemein paranoider Mann. An den Innenwänden sind Zauberformeln und Runen eingeätzt.«

»Kommst du trotzdem an die Beute?«

Er lässt das Licht einer kleinen LED-Lampe im Innern des Tresors umherwandern. »Ich entdecke nichts, was uns aufhalten könnte. Es scheint sich größtenteils um Arretierungsmagie zu handeln. Er hatte wohl Angst, sein glänzendes Schmuckstück könnte davonlaufen.«

Er greift in den Tresor, zieht ein zigarrenschachtelgroßes Kästchen aus poliertem Ebenholz hervor und öffnet den Deckel. Ein wunderschöner goldener Skarabäus liegt dort auf blutroter Seide. Vidocq reicht mir das Kästchen und beginnt, seine Werkzeuge einzupacken, während ich es in meine Manteltasche gleiten lasse.

»Ich muss zugeben«, sage ich, »dass es sich nicht schlecht, nur ein wenig seltsam anfühlt, so lang nicht mehr die Hand im Zorn erhoben zu haben. In letzter Zeit kann ich Menschen und Angehörige des schleichenden Volks allein mit Worten davon überzeugen, sich nicht gegenseitig irgendwelche dumme Scheiße anzutun.«

»Siehst du«, entgegnet Vidocq, während er noch immer sein Werkzeug einsammelt, »da du den Engel in dir willkommen heißt, reicht die reine Kraft deiner Persönlichkeit aus, um den Frieden zu bewahren.«

»Alle Zombies auf Erden in ’ner einzigen Nacht vernichtet zu haben, war bestimmt auch hilfreich.«

»Ja, das könnte ebenfalls seinen Teil dazu beigetragen haben.«

»Außerdem sind Luzifer und die Goldene Wache nicht mehr da, um mich als kleine Auftragskiller-Stricherschlampe zu missbrauchen.«

Vidocq hat seine Ausrüstung in einer ledernen Werkzeugrolle verstaut und steht auf.

»Alles klar?«, frage ich.

Er lächelt. »So klar wie der Sternenhimmel in einer Winternacht. Aber wir haben noch etwas zu erledigen.«

Er holt zwei Trankfläschchen aus dem Innern seines Mantels hervor und verschüttet ihren Inhalt über die Tür des Tresors und überall dort auf dem Boden, wo wir gestanden haben, um alle magischen Rückstände und forensischen Spuren verschwinden zu lassen, die zu uns führen könnten.

Er ist gerade dabei, den Inhalt einer dritten Flasche im Innern des Tresors zu verteilen, als ein kratzendes Geräusch zu hören ist.

»Was war das?«, fragt er völlig arglos.

Ich schalte schneller. »Weg da, Eugène! Sofort!«

Doch er regt sich nicht. Vidocq hat einen wissenschaftlichen Geist, also geht er nicht in Deckung, sondern wirft einen forschenden Blick in den Tresor.

Wäre sicherlich nicht meine Schuld, wenn sein dummer französischer Schädel platzen würde wie ein billig geflickter Autoreifen, aber ich zieh den alten Knaben weg, und das nur einen Augenblick, bevor der Dämon aus dem Tresor geschossen kommt und gegen die Wand auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers knallt.

Sein Rückenpanzer schimmert wie schwarzblauer Waffenstahl. Augen hat der Riesenkäfer nicht, nur vier krumme Mandibeln und zwei gewaltige, hakenförmige Klauen.

Gleich nachdem er auf die Wand aufgetroffen ist, beginnt er auch schon, einen Tunnel in sie hineinzutreiben. Das ist es, was diese spezielle Art von Dämon macht. Er ist ein Gräber, ein Dämon der Gier. Er beschützt alles, das er zu besitzen meint. Zum Beispiel den Inhalt eines Tresors. Dafür war die Arretierungsmagie gedacht; sie sollte den Dämon festhalten. Ziemlich gerissen. Ein Wald-und-Wiesen-Langfinger – so wie Vidocq und ich zum Beispiel – wird vielleicht Ausschau nach Fressern halten, aber um ’nen hirnlosen Gräber sorgt sich niemand – und im nächsten Moment treibt er einem den Panamakanal durch die Eingeweide.

Als ich Vidocq auf die Beine hieve, stößt er gegen einen Schreibtisch. Der Gräber hält inne und dreht sich um. Er ist zwar blind, hat jedoch ein ausgezeichnetes Gehör. Ich kann meinen Herzschlag und meine Atmung verlangsamen, aber in ein paar Sekunden wird der Dämon Vidocq aufs Korn nehmen. Also tret ich einen Schritt zurück und lass ihm freie Bahn.

Vidocq starrt mich mit schreckerfüllten Augen an.

Tut mir leid, alter Knabe, aber nur so kann’s laufen.

Der Gräber dreht sich um. Er hört Vidocqs Herzschlag. Mit seinen gewaltigen Wühlklauen verhakt er sich in der Wand und nutzt sie im nächsten Moment, um sich nach vorn zu katapultieren.

Ein metallischer Schleier, vier funkelnde Mandibeln und zwei armlange Klauen schießen direkt auf Vidocqs Brustkorb zu. Er sieht nicht hin, sein Blick klebt an mir.

Als der Körper des Gräbers über den Schreibtisch streicht, zücke ich das Na’at. Ich drehe am Schaft, und eine haardünne, gezackte Schneide schießt daraus hervor.

Wie ein Meteor mit Zähnen trifft der Gräber auf die Waffe. Ich treib sie in seinen Körper, und der Käfer wird der Länge nach in zwei Hälften geteilt, die sich im Flug voneinander trennen, um sich gleich darauf links und rechts von Vidocq tief ins Holz und den Putz der Wand zu graben.

Der wendet seinen Blick und betrachtet die gigantischen Insektenschenkel, die ihn auf beiden Seiten flankieren.

Ich grinse. »Was sagt man dazu? Weiß ich also doch noch, wie man Biester tötet. Wenn das mal keine gute Neuigkeit für unser Team ist.«

»Leck mich, Junge!«

Ein Alarm geht los, als ein nackter fetter Mann die Bürotür auftritt. Ich wag mal ’nen Schuss ins Blaue: der Hausherr. Er richtet eine von Könnerhand veredelte Schrotflinte auf uns; könnte glatt ’ne Tullio Fabbri sein. Einhundertfünfundzwanzig Riesen wert, mit Radierungen verzierter Stahl, der Schaft aus geschnitztem Walnussholz, präzise wie ein Marschflugkörper. Am liebsten würd ich den Typen danach fragen, doch seine Pupillen sind geweitet und in seinem Schweiß riech ich, wie sehr ihn die Aussicht erregt, sein Schreckschussgewehr endlich an echten Menschen ausprobieren zu dürfen.

Dank der Sinne des Engels höre ich das flüsterleise Kratzen von Metall auf geschmiertem Metall, als der Fettwanst Druck auf den Abzug ausübt. Ich schnappe mir Vidocq in einem Bearhug und springe mit ihm durch das geschlossene Fenster, gerade in dem Augenblick, als die Waffe losgeht.

Davy Crockett da drin ist zwar kein Sub Rosa, aber offenbar kennt er jemanden aus der Gemeinde der Verschwiegenen, denn sein Haus und das Außengelände sind in Antimagie gehüllt; hier soll also niemand mit Hoodoo oder magischen Sprüchen um sich werfen. Doch wer auch immer diesen Mantel aus Antimagie erschaffen hat, hielt den Hausherren wohl für ein leichtes Opfer. Ich wette, die haben ihn zu ’ner fetten Bonuszahlung überredet und ihm dafür versprochen, den Mantel so groß zu bauen, dass er das gesamte Anwesen umschließt – das perfekte Vorgehen, um daraus was zu machen, das so verlässlich ist wie ein Kondom aus Marshmallows.

So ein Schild aus Antimagie kann eine machtvolle Angelegenheit sein, wenn man es richtig anstellt. Eins muss man dazu aber auf jeden Fall wissen: Er darf nicht zu groß werden. Je weiter man den Schild aufbläht, desto dünner wird er. Bläht man ihn zu weit auf, verpufft er ins Nichts. Genau das hat sich Bauerntölpel Davy geleistet: ’ne einhunderttausend Dollar teure Seifenblase.

Die Haut des Mantels ist dermaßen dünn, dass ich hier drin alle Arten von Hoodoo rumschleudern kann. Deswegen konnte ich uns durch den Raum der Dreizehn Türen in das Haus bringen, nachdem wir über den Zaun auf das Außengelände geklettert waren. Uns auf diese Weise auch wieder wegbringen kann ich aber nicht.

Selbstverständlich hätte ich mit ein bisschen Hoodoo Davy Crocketts Schrotflinte als Nerzstola um seinen Hals wickeln und ihn wie ein Karussellpferd rumschleudern können, während ich sein Büro zu Kleinholz verarbeitet hätte, doch das hab ich nicht getan. Jemand anderes hätte vielleicht gedacht, dadurch am Ende des Tages ein paar Karmapunkte auf seinem Konto verbuchen zu können, aber ich weiß es besser. Das Karma ist nur ein gezinkter Würfel auf ’nem windschiefen Tisch. Arschgeigen aus dem Himmel mit Flügeln und Heiligenschein bestimmen die Regeln, und am Ende gewinnt das Haus. Ohne Ausnahme.

Vidocq und ich stürzen also Richtung Boden, und klirrende Glasscherben fallen mit uns wie rasiermesserscharfe Schneeflocken.

Wenn man aus dem zweiten Stock springt, und das mit ’nem Zivilisten im Gepäck, dessen gebrochene Knochen nicht über Nacht heilen werden wie die eigenen, gilt es, ein paar Dinge zu beachten: Zum einen muss man den Sturz so gut es geht abbremsen; zum anderen muss man bereit sein, den eigenen Körper als Airbag zur Verfügung zu stellen. Dafür muss man den Sturz so gut kontrollieren, dass die andere, meist völlig entsetzte Person obenauf landet. Ob das schmerzt? Man kann ja einfach mal jemanden bitten, einem ’ne mit Bratfett gefüllte Mülltonne auf den Brustkorb fallen zu lassen und es selbst rausfinden.

Kontrolliert zu stürzen ist alles andere als leicht, wenn man jemanden festhält, der wie ein getaserter Oktopus rumzappelt – unmöglich ist es aber nicht. Der Trick besteht darin, die andere Person unter den Rippen zu packen und so zu drücken, dass sie nicht atmen kann. Dann lässt man genau in dem Augenblick los, in dem man auf dem Boden aufschlägt, sodass der Schützling beim Aufschlagen in einem Stoß ausatmet. Das fängt die Erschütterung ein bisschen ab, auch wenn’s nach wie vor schmerzhaft wird – vor allem für den, der unten liegt.

Vor Davys Fenster steht ein Baum. Ich visiere ihn an, drehe uns in die Äste und hoffe, dass sie den Sturz ein wenig abbremsen. Es funktioniert. In den Hecken zu landen ist ebenfalls hilfreich. Wir haben noch immer zu viel Schwung, also roll ich uns zur Seite, und wir kommen auf der Wiese zu liegen, die Davy netterweise jüngst mit frischem, weichem Rollrasen hat belegen lassen. Danke, Kumpel. Zu Weihnachten gibt’s dafür von mir ’nen Schinken in Honigkruste.

Ich zieh Vidocq auf die Beine, und wie ein paar aufgescheuchte Waschbären rennen wir in Richtung Zaun. Ich werf einen Blick über die Schulter. Davy steht im zerbrochenen Fenster, die Schrotflinte im Anschlag. Wunschdenken. Wir sind viel zu weit entfernt, er trifft nichts als die Luft.

Mach dir keine Sorgen, Davy. Dein Tresor und dein Arbeitszimmer sind in Zukunft vor Vidocq und mir sicher. Aber vielleicht komm ich eines Nachts wegen dieser Tullio Fabbri zurück – und du kannst dann versuchen, mich mit irgendwas anderem zu erschießen. Das würd bestimmt richtig guttun.

Den gestohlenen Lexus hab ich einen halben Block entfernt abgestellt. Vidocq humpelt. Er hält an und öffnet wie ein Exhibitionist den Mantel mit den vielen Schlaufen und Tränken. Batman hat seinen Ausrüstungsgürtel, Vidocq seinen Mantel. Ich habe meine Knarren und meine Klinge. Auf das Cover der GQ wird’s keiner von uns schaffen.

Die kleinen Phiolen sind allesamt heil geblieben. Sehr gut, wär echt ein Dämpfer, wenn Vidocq jetzt Hunderte magischer Flüche in die Unterhose suppen würden.

Wir gehen weiter zum Auto. Der alte Knabe kann kaum laufen, doch als ich ihn unterhaken will, um ihm zu helfen, schüttelt er mich ab. Ein weiterer zufriedener Kunde. Ich hab ein Talent dafür, anderen Leuten ans Bein zu pissen – ganz besonders meinen Freunden.

Als wir am Lexus ankommen, redet Vidocq zwar noch immer nicht mit mir, lässt sich aber zumindest beim Einsteigen helfen. Ich will gerade die Tür schließen, als er sie festhält und fragt: »Wer ist das?«

Ich dreh mich um. Ein Stückchen entfernt entdecke ich einen Mann. Er steht im Schatten eines Baumes mit ausladender Krone auf irgendjemandes Rasen. Er rührt sich nicht, als ich zu ihm hinübersehe. Ich ziehe hinter meinem Rücken die .460er Smith & Wesson hervor und sorge dafür, dass er das mitbekommt. Es scheint ihn nicht zu kümmern, also steck ich den Revolver zurück und gehe auf den Typen zu. Er tut es mir gleich.

»Bin ich in Disneyland gelandet?«, frage ich. »Bist du Micky Maus? Ich wollt schon immer mal ’nem gigantischen Ungeziefer die Hand schütteln.«

Kein Mucks. Vielleicht eher ein Daffy-Duck-Fan.

Irgendwas ist seltsam an seinem Gesicht. Ich kann keine Ohren ausmachen, und wo die Nase sein sollte, findet sich nur ein tiefer Spalt, als ob er irgendwann mal Verbrennungen dritten Grades erlitten hätte, die inzwischen vernarbt sind. Muss ein harter Hund sein, wenn er das ausgehalten hat und noch immer laufen kann.

Ungefähr zwei Meter voneinander entfernt bleiben wir stehen und liefern uns ’nen Starrwettbewerb, auf den Sergio Leone stolz gewesen wär.

»Keine Ahnung, ob du nur nach dem Weg fragen willst oder ein Date suchst«, sag ich schließlich, »aber beides ist bei uns gerade aus. Wie wär’s also, wenn du ’nen kleinen Spaziergang machst und jemand anderen anstarrst?«

Für ’nen Typen, der aussieht, als wär er erst kürzlich aus ’ner Fritteuse entkommen, ist er ziemlich schnell. Er macht einen Satz nach vorn und packt mich an den Oberarmen. Ganz schön stark, aber niemand, mit dem ich nicht fertigwerden würde.

Doch plötzlich beginnen meine Arme zu brennen – wortwörtlich. Die Ärmel meines Mantels qualmen und gehen dort, wo der Typ mich festhält, in Flammen auf. In die Ärmel sind dicke Einsätze aus Kevlar eingelassen, aber binnen weniger Sekunden dringt die Hitze hindurch und erreicht beinahe meine Haut.

Ich tret einen Schritt zurück, lass meine Unterarme im weiten Bogen nach außen kreisen und treff seine Arme mit Schmackes von unten. Grundlagen der Selbstverteidigung, die jedes Schulkind kennt. Doch hier bringt es nichts, sondern fühlt sich nur an, als würd ich Wackelpudding schlagen. Dafür brennen nun auch noch meine Unterarme. Mit diesem Typ zu ringen ist, wie mit Lava Walzer zu tanzen.

Ich versuch, in meinem Geist einen Hoodoo aufzubauen, um Smokey quer über die Straße zu schleudern oder ihn wenigstens dazu zu bringen, mich loszulassen, aber der Schmerz macht es schwer, einen klaren Gedanken zu fassen.

Ich belle ein paar Worte auf Hellionisch, die ich während meiner Zeit als Kämpfer in der Arena gelernt hab. Wenn man den Spruch richtig hinbekommt, erzeugt er einen purpurnen Flammenstrahl, der sich wie ein Ölbohrturm durch so ziemlich alles und jeden bohrt.

Es funktioniert. Eine purpurne Explosion, ein Strudel aus Energie. Smokeys Front fällt in sich zusammen und schießt als Fetzen lavaartigen Fleischs, das aussieht wie brennendes Toffee, aus seinem Rücken wieder hervor. Die Pissnelke scheint es nicht mal zu merken.

Der Kerl ist kein Verbrennungsopfer. Sein Gesicht wabert wie eine dickflüssige Masse, während wir miteinander ringen. Ich Idiot. Hätte mir klar sein müssen, dass dieses Arschloch kein Mensch ist.

Die Hitze hat meine Haut erreicht, köchelt meine Arme. Es ist alles andere als einfach, mich zu töten: Eine solche Aussage kann ’ne Menge Dinge bedeuten. Meine Schmerzschwelle ist verdammt hoch – grenzenlos ist sie nicht. Vor allem, wenn so ein Haufen Vulkankacke bei mir Brennnessel macht.

Wenn man nicht einfach zu töten ist, bedeutet das auch, dass man nicht so schnell zu Boden geht, weswegen man alles, was einen schneidet, erschießt oder bei lebendigem Leib verbrennt, besonders ausgiebig erleben darf.

Es ist nicht das Schlimmste auf der Welt, wenn man nicht so einfach getötet werden kann, aber man kann einen drauf lassen, dass es auch nicht das Beste ist – und im Moment ist es nicht mal ein Vergnügen.

Auf einmal saust ein glitzerndes, hartes Etwas an meiner Schulter vorbei und trifft Smokey ins Gesicht. Er reißt seinen Kopf zur Seite, als hätte ich üblen Mundgeruch – los lässt er mich allerdings nicht. Ein weiteres Fläschchen fliegt vorüber. Und noch eins. Dieses Mal lässt Smokey von mir ab.

Vidocq ist hinter mir, humpelt auf uns zu und schleudert Tränke, als wär er ’ne Ballwurfmaschine.

Smokey weicht zurück, die Arme eng an den Körper gepresst: Irgendwas schmerzt ihn. Sehr gut. Er beginnt zu zittern, als hätte jemand einen Vibrator in ’ne Schüssel Kirschwackelpudding gesteckt. Ich trete einen Schritt zurück und zieh meinen Revolver, doch ehe ich ihn einsetzen kann, schmilzt Smokey dahin wie die böse Hexe des Westens.

Übrig bleibt nichts als ein Kreis aus verkohlter, schwarzer Erde auf der grünen Wiese.

Vidocq ergreift mich an der Schulter und zieht mich zum Wagen. Auf seinem unversehrten Bein hoppelt er zum Beifahrersitz, während ich hinter das Lenkrad rutsche. Ich ramm die Schwarze Klinge, die ich aus der Hölle mitgebracht hab, in die Zündung, und mit quietschenden Reifen rasen wir davon.

»Was für ’ne Art von Alarmanlage war das denn?«, frage ich. »Warum können diese Geldsäcke keine Rottweiler haben wie normale Leute?«

»Ich glaube nicht«, entgegnet Vidocq, »dass das ein Teil des Alarmsystems war. Das war ein Dämon.«

Ich werf ihm einen Blick zu. In meinen Armen pocht es, und noch immer fühlen sie sich an, als würden sie brennen. Ein Geruch steigt mir in die Nase, aber ich kann nicht sagen, ob er von meinem Mantel stammt oder von mir. »So ein Dämon ist mir noch nie untergekommen.«

»Mir auch nicht, doch der Trank, der die Kreatur verwundet hat, war eine sehr seltene Mixtur. Ein Gift, hergestellt, um allein Dämonen zu schaden.«

Ich fahr nicht allzu schnell, bleib an jedem Stoppschild stehen und beachte alle Ampeln. »War er hinter uns her?«

Vidocq zuckt mit den Schultern. »Schon möglich. Aber wer wusste, dass wir heute Nacht dort sein würden? Und warum sollte dich gerade jetzt jemand angreifen? Du bist doch in den letzten Wochen ein braver Bursche gewesen.«

Ich lass das Fenster runter, damit der Gestank abziehen kann. Der Lexus wird zwar noch tagelang miefen, aber was soll’s? Ich hasse diese hochgezüchteten Golfmobile. Protzige Statussymbole, ungefähr so geschmackvoll wie Sekundenkleber auf Weißbrot.

»Vielleicht wollte jemand ’ne alte Rechnung begleichen«, schlage ich vor. »Verdammt, möglicherweise war das Ding auch hinter dir her.«

Vidocq lacht. »Wer sollte mir einen Dämon auf den Hals hetzen?«

»Keine Ahnung. Irgendwer von den paar Tausend Leuten, die du im Laufe der letzten zweihundert Jahre beraubt hast?«

»Es waren eher einhundertfünfzig – mach mich nicht älter, als ich bin.«

»Deswegen ’nen Dämon zu schicken wär natürlich wie mit Kanonen auf Spatzen zu schießen«, meine ich, »besonders einen, der so selten ist, dass weder du noch ich ihn kennen.«

»Ich werde mir das morgen mal genauer anschauen, wenn ich mein rechtes Bein wieder spüre.«

»Jammerlappen. Deine Freundin ist die beste Hoodoo-Ärztin der ganzen Stadt. Sie packt ’nen Eisbeutel drauf und beschwört dir ein Paar Kängurubeine, dann kannst du bei deinen Raubzügen aus dem Stand durch ein offenes Fenster ins Obergeschoss hüpfen.«

»Ganz ruhig.« Vidocq tätschelt mir die Schulter, als wär ich ein Fünfjähriger, der sich das Knie aufgeschlagen hat. »Ich hätte gedacht, dass du zufrieden bist. Du konntest kämpfen, ein bisschen Blut vergießen. War das nicht genau das, was du wolltest?«

Ich überlege. »Ich denke schon. Aber du hast ihn umgebracht, nicht ich. Meine Keine-Biester-abschlachten-Akte ist also nach wie vor in Ordnung.«

»Im Gegensatz zu deinen Armen.«

»Ein bisschen Jod drauf, und morgen ist alles vergessen.«

»Aber so, wie sie aussehen, dürften sie bis dahin noch schmerzen. Nimm das hier, damit kannst du besser schlafen.« Er greift in seinen Mantel und reicht mir einen Trank.

»Nein danke. Dr. Jack Daniel’s macht heute Abend ’nen Hausbesuch bei mir. Und der hat alles dabei, was ich an Medizin brauch.«

Er lässt die Ampulle in meine Tasche gleiten. »Nimm ihn trotzdem mit. Vielleicht hat der Doktor ja Verspätung.«

»Ja, Mama.«

»Und nicht vergessen, die Zähne zu putzen und dein Gebet aufzusagen.«

»Fick dich, Mama.«

Wir fahren durch die Straßen in der Nähe von dem, was die Stadtväter als historischen Bezirk bezeichnen – blanke Ironie in einer Stadt, die gar keine Historie hat, in der dafür aber die Kacke häufiger am Dampfen war als an den meisten anderen Orten. Ist schon okay. All die Mansons, die Promis mit Überdosis, die Entgrenzung versprechenden Religionen, die UFO-Gläubigen, die aufgeblasenen Satanisten, die Rock-’n’-Roll-Selbstmorde, die Serienmörder, die skrupellosen Gangs, die noch skrupelloseren Polizisten und die Prepper mit ihren Wüstenlagern voller Munition, Zigaretten und gefriergetrockneten Bohnen kann man ignorieren, wenn man mit der Familie in der Innenstadt unterwegs ist, um sich ’nen Caffè Latte zu gönnen und die gefälschten Micky-Maus-T-Shirts zu bewundern.

Wir werden den Wagen auf dem Parkplatz des Biltmore-Hotels los und machen uns daran, die vier Blocks bis zum Bradbury Building zu Fuß zurückzulegen. Das ist zwar völlig bescheuert, aber Vidocq besteht darauf, dass was auch immer beim Sturz mit seinem Bein passiert ist, durchs Laufen verschwinden wird. Ich hab schon ’nen Haufen Verletzungen gesehen. Ich weiß, dass es nicht funktionieren wird, aber ich lass ihn rumhinken, bis er meinen Arm ergreift und gegen einen Zeitschriftenautomat voller Pornomagazine fällt. Wusste gar nicht, dass so was noch verkauft wird.

»Willst du lieber die Abkürzung nehmen?«, frag ich ihn.

»Ja, bitte.«

Ich leg seinen Arm um meine Schulter und hieve ihn vom Automaten hoch. Wir humpeln zur nächsten Kreuzung und um die Ecke eines japanischen Restaurants. Beim Lieferanteneingang zieh ich ihn in einen Schatten. Wir betreten den Raum der Dreizehn Türen, und ich muss Vidocq durch die Tür der Erinnerung in Mr. Muninns Kaverne geradezu tragen.

Jeder gute Dieb benötigt einen Hehler, und Mr. Muninn ist Vidocqs. Muninns normaler Laden, den er für seine mehr oder weniger gewöhnlichen Kunden führt, befindet sich im Bradbury Building – dessen Stil man wohl am ehesten als Sci-Fi trifft Art déco beschreiben kann –, und zwar auf einem Stockwerk, das nicht existiert. Er bedient eine recht ausgewählte Kundschaft, vor allem Sub Rosa und Mitglieder der steinreichen Elite L. A.s.

Würde aber irgendwer über seinen Laden stolpern, der genug Kohle hat, um sich ’ne rachsüchtige Furie im Kristallkäfig, ’nen Samen von Evas Apfel oder Napoleons Penisring aus Walknochen leisten zu können, dann würde Mr. Muninn ihn nicht abweisen. Er ist schließlich Geschäftsmann.

Das wirklich interessante Zeug bewahrt Muninn in einer Kaverne tief unter dem Bradbury Building auf. Seine geheime Boutique für die sonderbarsten und auserlesensten Gegenstände der Welt. Dort kommen wir raus.

Als er uns bemerkt, streckt Muninn die Arme weit aus, als wollte er uns seinen Segen spenden. »Herzlich willkommen, Jungs. Was für eine Freude, euch beide wieder zusammen arbeiten zu sehen.«

»Wie in der guten alten Zeit«, entgegnet Vidocq. »Ich bin am Humpeln, und er stand vor Kurzem noch in Flammen.« Er lässt sich in einen goldenen Lehnstuhl fallen, der einst König Tut gehört haben könnte.

»Nie seh ich lässiger aus, als wenn ich lichterloh brenne«, gebe ich als Kommentar ab. »Kann man jeden fragen.«

Muninn lässt seinen Blick von mir zu Vidocq und wieder zurückwandern. »Wie, wenn ich mich erkundigen darf, konnte sich ein schlichter Einbruch zu einer griechischen Tragödie auswachsen? Und gab es irgendwelche Zeugen, die die Dinge im Nachhinein noch verkomplizieren könnten?«

»Die Tragödie«, entgegne ich, »begann und endete mit Dämonen. Einer im Haus, einer auf der Straße.«

»Der einzige Zeuge ist der Mann, dessen Schriftrolle du haben wolltest«, ergänzt Vidocq. »Sein Wohnsitz war magisch abgeschirmt, allerdings nur schwach, doch in seinem Tresor befand sich ein Wächterdämon. Er wird zu beschämt sein, für einen wertlosen Schild Geld ausgegeben zu haben, um irgendwem davon zu erzählen. Und ohne Zweifel ist er sich bewusst, dass es ernstlich gegen die Gebote der Sub Rosa verstößt, eine mit einem Dämon ausgestattete Falle dort aufzustellen, wo ein Unbeteiligter darüber stolpern könnte. Nein, ich glaube, er wird seine Wunden lecken und keiner Seele etwas von heute Nacht verraten.«

Muninn lächelt und macht einmal mehr dieses Segnungsding. »Und da wären wir also. Ein Abenteuer bestanden und dabei nur ein paar Narben davongetragen, um die Erinnerung ein wenig lebendiger zu halten. Und dann wartet da auch noch eine Belohnung auf euch. Nicht schlecht für die Arbeit einer Nacht, will ich meinen.«

Ich zieh das Kästchen aus meiner Tasche, schäl mich aus den verkohlten Überresten meines Mantels und lass ihn auf den steinernen Boden fallen. Stünde da sonst wer, würd ich ihm ’nen Tritt verpassen, aber Muninn denkt in anderen Bahnen als gewöhnliche Leute. Keine Ahnung, ob er der älteste Mann auf Erden ist, aber ich wette, weit und breit gibt es niemanden, der mehrere Eiszeiten hat kommen und gehen sehen. Er ist ein netter Kerl – für jemanden, der wie ein Marsmensch denkt. Und wenn es ums Geschäftliche geht, verhält er sich immer anständig.

Er lässt uns kurz allein und durchstöbert seinen endlosen Irrgarten aus Regalen, vollgepackt mit Büchern, Knochen, merkwürdigen Waffen, den Kronjuwelen von Königreichen, von denen noch niemand je etwas gehört hat, und antiken Apparaturen. Ob er selbst weiß, wofür die gedacht sind? So weit ich das sagen kann, könnte es sich dabei um Krishnas Kaugummiautomaten handeln.

Als Muninn zurückkommt, hat er eine mundgeblasene Flasche aus grünem Glas und drei kleine Silberbecher bei sich, stellt alles auf seinem Arbeitstisch ab und schenkt uns Drinks ein. Dann reicht er Vidocq und mir je einen Becher und erhebt seinen eigenen. »Auf Gott in der Höhe und den Teufel in der Tiefe.«

Vidocq entgegnet irgendwas Prägnantes auf Französisch.

Na toll. Also ist es jetzt wohl an mir, etwas Cleveres rauszuhauen. Der Engel in meinem Kopf meldet sich zu Wort, aber ich schupse Mr. Musterknabe zurück in die Finsternis.

»Du schuldest mir ’nen Mantel«, ist alles, was mir einfällt.

Muninn lächelt, nickt und schenkt noch mal nach. »Ein Mann vieler Gedanken und weniger Worte. Es ist unser aller Glück, dass es nicht umgekehrt ist.«

Vidocq lacht, wendet sich von mir ab und tut so, als würde er die Regale betrachten, damit ich sein Grinsen nicht sehe.

»Ich habe gehört«, sagt Muninn zu mir, »dass du gegenwärtig dein Filmtheater wieder aufbaust, wenn du nicht gerade mit Eugène le Voleur spielst.«

»Videothek«, berichtige ich. »Wir führen die Filme nicht auf, wir sind nur die Dealer. Und ja, Kasabian und ich bauen das Max Overdrive wieder auf und erweitern es mit den Scheinchen, die diese Vampirbande, die Finstere Ewigkeit, mir gegeben hat.«

Muninn senkt den Blick und betrachtet eingehend seinen Becher. »Ich nehme an, sie sind dir dankbar dafür, dass du die Wiedergänger beseitigt hast. Sicherlich bieten Zombies Vampiren keinen sonderlich hohen Nährwert.«

»Wenn man die Nachrichten fragt, ist das alles nie passiert. Die bezeichnen es als Massenpsychose – Drogen im Wasser oder als Waffe eingesetztes LSD. Da gibt es dank Touristen, Verkehrsüberwachung und privaten Sicherheitssystemen ’ne Million Kameras in L. A., aber nirgends ist auch nur eine Minute an sauberen Aufnahmen von Zetts zu finden, bloß verwackelte Handyscheiße. Wir könnten ebenso gut behaupten, wir wären von Bigfoot angegriffen worden.«

Das stinkt nach Bundesagenten wie die vollreifen Überreste eines Wildunfalls – es stinkt nach Marshal Wells.

Bevor ich die Zetts vernichtet hab, war Homeland Security in L. A. ’ne ganz große Nummer. Ich meine, die hatten einen drecksverfickten Engel auf ihrer Gehaltsliste: Aelita. Die fieseste Klapperschlange, die der Himmel zu bieten hat, und das sag ich, obwohl ich schon mit Luzifer auf der Piste war. Aelita ist Ilsa, She Wolf of the SS – allerdings weniger gutmütig. Sie war die Leierkastenfrau, und Marshal Wells war ihr Äffchen. Die beiden sind genau die Art von Schweinepriestern mit Kontakten in jene mächtigen Kreise der okkulten Szene und der Ermittlungsbehörden, die Tausende von Stunden an Videoaufnahmen über Nacht verschwinden lassen können.

Nachdem die Zetts außer Kontrolle geraten waren, hat Wells aus Washington kräftig den Arsch versohlt bekommen. Aelita hat die Fliege gemacht, also war er der Angeschmierte, und Homeland Security hat ihn kaltgestellt. Doch wer weiß, wenn er einen auf Lehrers Liebling macht und brav sein Gemüse aufisst, werden ihn die Men in Black vielleicht wieder einsetzen. Möglicherweise darf er dann sogar die Goldene Wache wiederbeleben, seine und Aelitas Privatarmee. Die Pinkertons des Himmels in irdischen Gefilden.

Muninn winkt ab. »So musste es kommen. Das Bedürfnis normaler Leute zu vergessen, was sie nicht begreifen, ist nahezu grenzenlos. Es ist sehr viel behaglicher, den eigenen Augen zu misstrauen, als zu akzeptieren, dass die Toten die Straßen bevölkern können. Wer könnte es ihnen verdenken?«

Ich erhebe mein Glas. »Auf die Wirklichkeit: keine Branche in dieser Stadt ist so überbewertet und so unterbezahlt.«

Wir trinken.

»Was wirst du also tun, bis dein Filmpalast fertiggestellt ist?«, fragt Muninn. »Ziehst du in Betracht, dich weiter als Ermittler zu verdingen? Du scheinst dafür ein Händchen zu haben. Niemand sonst hat das hässliche, kleine Geheimnis hinter den Wiedergängern ergründen können.«

»Das war ’ne einmalige Sache. Und ich hatte Glück. Wären Brigitte und ich nicht gebissen worden, hätte ich nichts davon getan. Ich hätte mir Brigitte geschnappt und wär mit Vollgas aus der Stadt verduftet.«

Brigitte ist eine Freundin aus Prag. Eine ausgebildete Vagabunden-, also Zombiejägerin. Vielleicht hätt’s was mit uns werden können, wenn wir uns zu einer anderen Zeit und unter anderen Umständen getroffen hätten – und auf einem anderen Planeten. Aber ich hab’s verkackt und hab zugelassen, dass sie von einem Vagabunden gebissen wurde. Wär da nicht Vidocq mit seinem alchemistischen Hoodoo gewesen, hätte sie sich verwandelt.

»Das ist nicht wahr, und das weißt du auch«, widerspricht mir Vidocq. »Vielleicht solltest du deine Aufmerksamkeit wieder Mason widmen. Wenn ich mich recht entsinne, war die Suche nach ihm dein vornehmlicher Grund, aus der Hölle zurückzukehren. Ich verstehe natürlich, dass dich das alles ein bisschen abgelenkt hat – die Rettung der Welt und solche Dinge.«

»Ich hab Mason gefunden. Und ich hab ihn sicher im Backofen eingesperrt.«

»Worauf er die ganze Zeit aus war«, entgegnet Vidocq. »Ich frage mich, ob man das als Bestrafung bezeichnen kann.«

Ich werf dem alten Knaben einen finsteren Blick zu. Ich kann es nicht leiden, wenn man mir meine eigenen dummen Geständnisse wieder vor die Nase zerrt. Aber er hat recht. Mason wollte in die Hölle, und zwar lebendig wie ich damals vor elf Jahren. Und ich hatte natürlich nichts Besseres zu tun, als zu ihm zu latschen wie der letzte Hinterwäldler und ihn genau dorthin zu bringen.

Kaum jemand weiß davon. Wär es anders, würde ich mich auf der Straße nicht mehr blicken lassen. Ich könnte den Leuten nicht in die Augen sehen, wenn sie wüssten, dass ich den gefährlichsten Mann der Welt an den schlimmsten Ort im Universum geschickt habe, sodass er dort eine Armee aufstellen kann, um sie alle zu vernichten.

»Kasabian hat noch immer Zugriff auf Luzifers Buch, den Codex Daimonion«, erkläre ich. »Er behält den Backofen rund um die Uhr im Auge. Wenn Mason auch nur einen Finger rührt, erfahr ich davon.«

»Warum gehst du nicht einfach selbst?«

»Hab ich ein paarmal versucht, doch selbst wenn ich mein Gesicht mit Verschleierungsmagie veränder, mich erkennt immer irgendein Hellion oder sonst wer, und ich muss Fersengeld geben. Sicherlich gibt es einen anderen Weg, aber bisher ist mir noch keiner eingefallen.«

Das ist eine Lüge. Ich hab es tatsächlich ein paarmal versucht, doch jedes Mal war ich dermaßen nervös, dass die Verschleierung bestenfalls unausgegoren ausfiel. Ich dachte, ich könnte mit fliegenden Fahnen in den Backofen zurückstürmen. Kann ich aber nicht. Der Geruch und die Hitze treffen mich wie ein Schlag, und sofort wähne ich mich wieder auf dem Boden der Arena, aufgeschlitzt, blutend, hoffend, dass meine Eingeweide nicht herausrutschen und im Dreck landen. Oder ich fühle mich wie bedeckt vom zähflüssigen Blut eines Hellions, weil ich den Auftragskiller für einen anderen Hellion gebe, der mir verspricht, dass Alice in Sicherheit ist, solang ich weiter für ihn töte. Und dann ist sie tot und alles, was ich bin, ist ein Mörder. Also schließe ich die Pforte zur Hölle, stehle mich zurück nach Hause und häng so lang in meiner Stammkneipe rum, bis sich der Gestank des Backofens verzogen hat und Kasabian nicht merkt, zu was für einem Feigling ich geworden bin.

Was ist nutzloser als ein Killer, dem die Knie schlottern?

»Du wirst einen Weg finden«, sagt Vidocq.

Ich nicke, trinke aus und leg mein ernstes, grüblerisches Gesicht auf. »Hoffentlich bald. Weil ich im Backofen nicht auf Hannibal machen kann, verlangt der Engel in meinem Kopf, dass ich bei Nacht wie Batman durch die Straßen streife und nach bösen Buben Ausschau halte. Eines Abends hat mich das so angekotzt, dass ich tatsächlich drauf eingestiegen bin. Und rat mal, was passiert ist: absolut gar nichts. Ausgeraubt werden zu wollen ist irre, und böse Buben machen auf dem Absatz kehrt, wenn sie den Irrsinn auf sich zukommen sehen. Ich brauch ganz dringend ein Engelsvalium, um diesem Pfadfinder das Maul zu stopfen.«

Muninn nickt. »Ich weiß, wie es sich anfühlt, im anhaltenden Zwist mit denjenigen zu liegen, die einem am nächsten stehen. Irgendwann erreicht man einen Punkt, an dem niemand mehr den Anblick des anderen ertragen kann. Bei meinen Brüdern und mir ist das der Fall.«

»Brüder?«, hakt Vidocq nach.

Das ist interessanter als ein zweiköpfiges Kalb, das E-Gitarre spielt und »Some Velvet Morning« singt. Ich hab ungefähr ’ne Million Fragen und entscheide mich für die einfachste. »Sind sie wie du? Leben sie in Höhlen und wissen alles über alles?«

Gedankenverloren schüttelt Muninn den Kopf. »Ich habe vier Brüder und … nein, keiner von ihnen lebt in einer Kaverne. Wir ähneln einander nicht im Geringsten. Seit Jahren … seit Jahrhunderten habe ich keinen von ihnen gesehen. Gelegentlich vermisse ich sie. Doch die Wahrheit ist, dass ich kein echtes Interesse hege, auch nur einen von ihnen aufzuspüren. Und ich wage zu behaupten, dass sie dasselbe über mich denken.«

Niemand sagt ein Wort. Wir sind von jener Art von betretenem Schweigen überrumpelt, die auftritt, wenn jemand eine allzu wahrhafte Bemerkung inmitten einer Unterhaltung fallen lässt, bei der es doch eigentlich nur ums Trinken und ums gegenseitige Schulterklopfen gehen sollte.

Während wir so geredet haben, hat Muninn irgendwie das Kästchen geöffnet und eine Schriftrolle aus dem Skarabäus herausgezogen. Ich nehm sie an mich. »Was ist so besonders an dem Ding, dass wir dafür Fort Knox knacken mussten?«

Muninns Blick hellt sich auf. Er lächelt. »Ach ja, das. Die Schriftrolle ist für einen Gentleman, der sich im – nennen wir es – Investmentbanking betätigt. Ein Mann wie er kann seiner Seele außerordentlichen Schaden zufügen – unter Umständen sogar mehreren Seelen. Er hält auf dem Markt unentwegt Ausschau nach neuen Exemplaren, die er so lange tragen kann, bis er auch sie verheert hat. Selbst die zahlreichen Seelenkrämer von L. A. kommen da nicht hinterher, und der Preis für Seelen schießt für jedermann in die Höhe. Und Los Angeles ist eine Stadt, die jede Seele benötigt, derer sie habhaft werden kann.«

»Diese Schriftrolle ist also … eine Seele?«

»Nein. Sie ist ein bisschen wie … Wie heißt noch eben diese Tinktur, die den Haarwuchs beflügelt?«

»Regaine?«

»Ja, genau! Regaine für die Seele. Es erneuert die ursprüngliche Umbra des Nutzers, frischt sie sozusagen auf. Eine Seelenregeneration wird dem Gentleman, so hoffe ich, die nächsten ein oder zwei Jahre reichen. Kunden können recht unwirsch reagieren, wenn sie eine neue Seele wollen und man ihnen sagen muss, dass die Regale leer sind.«

»Mit einem Mal kommt mir mein Leben gar nicht mehr so scheiße vor.«

»Wenn es dir so gut geht«, sagt Vidocq, »könntest du mich doch morgen auf einen kleinen Ausflug begleiten.«

»Noch ein Job?«

»Das würdest du dann entscheiden. Ich arbeite gelegentlich für eine Privatdetektivin. Heute habe ich einen Anruf von ihr bekommen – sie hat nach dir gefragt. Sie hat da einen Auftrag, für den du ihrer Meinung nach perfekt geeignet wärst.«

Ich trinke aus und lächle. »Sich grundlos in die Probleme irgendeiner Fremden verwickeln lassen? Klingt nach ’nem Heidenspaß, aber ich werd wohl lieber passen.«

»Möglicherweise wird es deinen Engel beschwichtigen, wenn du etwas für einen Fremden tust«, wirft Muninn ein.

In dem Moment, in dem er das sagt, beginnt sich dieser heiligenscheintragende Mistkerl zu regen. Er kitzelt an der Innenseite meines Schädels – aber nicht auf die angenehme Art. Ich versuch, ihn zurück in die Finsternis zu drängen, doch er riecht einen Anflug von Heldenmut und will nicht nachgeben.

»Und dann ist da mein armes, geschundenes Knie«, sagt Vidocq, während er sein Bein tätschelt. »Du schuldest mir was, weil du mich vorhin aus einem Fenster geworfen hast.«

Ich wende mich von dem alten Knaben ab und Muninn zu. »Rette niemals einem Franzosen das Leben. Er wird dir das für den Rest von deinem vorhalten.«

Ich blicke wieder zu Vidocq und verzerre mein Gesicht zum unaufrichtigsten Lächeln, das ich anzubieten hab. »Ach, zum Henker – ich hab ja schon seit Wochen keine sagenhafte Dummheit mehr begangen.«

Das Beat-Hotel liegt in einer typisch glamourösen Gegend nahe der Ecke Hollywood Boulevard und nördlicher Gower Street.

Gegenüber dem Hotel findet sich das Museum of Death, ein vergitterter Bunker in Grau, dem man einen drei Meter hohen Totenkopf an die Frontseite gepinselt hat. Direkt daneben liegt das Westbeach-Recorders-Tonstudio, das schon viele hiesige Künstler für ihre Aufnahmen nutzten. Pink Floyd sollen hier Teile von The Wall aufgenommen haben – wer das glaubt, glaubt auch, dass Jesus den Chili Dog erfunden hat.

Die Straße hinunter schmort ein Autohaus in der Wüstensonne; die Karren liegen da wie die Kadaver gestrandeter Fische, die allmählich zu Meeresfrüchtemus zerköcheln. Daneben sind ein paar Ladenzeilen und leere Parkplätze zu sehen. Die Fassade des Beat-Hotels ist in einem blassen Graugrün gehalten. Vielleicht war grüne Farbe an dem Tag im Angebot, vielleicht soll es auch ein ironischer Kommentar sein – ich bin mir da nicht ganz sicher.

Falls jetzt jemand glaubt, dass ich das Beat-Hotel nicht leiden kann, liegt er falsch. Es ist eine Kreuzung aus Swinger-Absteige aus den Siebzigerjahren und jener Art von Hipster-Szenetreff, in der sich Rockstars einquartieren, damit sie niemand dabei erwischt, wie sie gutes Heroin oder schlechte Stripper mit nach Hause bringen. Die Zimmer sind komfortabel wie die in ’ner Entzugsklinik, die den Zen-Buddhismus für sich entdeckt hat. Die Küchen wiederum sind an Boden und Wänden mit PVC in knalligen Grundfarben ausstaffiert wie ein Burgerschuppen im Playboy-Schick. An so einem Ort würden sich David Lynch und Doris Day heimlich zum nachmittäglichen Stelldichein treffen, Fesselspielchen treiben und Milchshakes trinken. Einfach sensationell.

Kasabian und ich sind jetzt seit knapp drei Wochen hier. Ich hab uns ein Zimmer für einen Monat gemietet. Wenn der rum ist, werde ich die Buchung vielleicht noch mal verlängern. Eigentlich soll hier niemand länger als ’ne Woche wohnen, aber ich bezahl den richtigen Leuten Geld, damit sie meinen Namen im Gästeregister ändern, sodass es aussieht, als würde jeden Samstag jemand Neues einchecken.

Ich musste einfach mal für ’ne Weile aus dem Max Overdrive raus. Die Wiederaufbauarbeiten nach den Zombieverwüstungen, das ganze Gesäge und Gehämmer und vor allem der Gestank frischer Farbe haben mich irgendwie aggressiv gemacht. Kasabian hat sich natürlich von nichts davon aus der Ruhe bringen lassen. Er hat einfach seine Kopfhörer aufgezogen, den Ton bei Gefahr: Diabolik! aufgedreht und auf seinem Computer rumgetippt. Und der Gestank stört ihn nicht, weil er eh den ganzen Tag in seinem eigenen Mief hockt.

Kasabian und ich haben jede Menge Gemeinsamkeiten. So wie ich ist er ein Monster. Allerdings wurde er nicht als eines geboren. Ich hab ihn zu einem gemacht, als ich seinen Kopf mit dem schwarzen Knochenmesser abgetrennt hab, das ich aus der Hölle mitgebracht hatte. Die Klinge hat ihn nicht sterben lassen. Nun ist er ’ne kettenrauchende, biersaufende Nervensäge. Um das ganz klar zu machen: Kasabian ist ein Kopf ohne Körper. Und er kann es einfach nicht lassen, immer wieder darüber zu schwadronieren.

Er bewegt sich auf etwas, das für einen Zivilisten wie eine Art Skateboard aus poliertem Mahagoniholz aussehen würde, an dessen Unterseite ein Dutzend Messingbeine angebracht sind; das Ganze könnte aus einem Roman von Jules Verne stammen. In Wirklichkeit handelt es sich um eine mit Hoodoo betriebene Prothese für ’nen Typen, der neben seinem Kopf nicht viel mehr zu bieten hat als schlechtes Benehmen.

Er ist selbst dran schuld. Als ich aus der Hölle zurückgekommen bin, hat der Idiot auf mich geschossen, also hab ich ihm den Schädel abgeschnitten. Damals kam mir das wie ’ne prächtige Idee vor. Jetzt hab ich ihn an der Backe.

Wir haben uns inzwischen so sehr aneinander gewöhnt, wie das zwei Monstern eben möglich ist. Woran ich mich aber nie gewöhnen werde, ist ein Mitbewohner, der wie ein biersaufender viktorianischer Tausendfüßler auf ’nem magischen Brett herumsurft.

Das ist der andere Grund, warum wir in diesem Hotel abgestiegen sind: Ich hab keinen Bock darauf, dass irgendein Trottel von Zimmermann ins obere Stockwerk der Videothek stapft und Kasabians enthauptete Rübe zu Gesicht bekommt. Das Hirn dieses armen Tropfs würde explodieren – und die Kosten für unsere Versicherung gleich mit.

Ich geh direkt zu einem Zimmer, das für die Gäste mit einem Billardtisch und derlei Spielereien ausgestattet ist. An der Tür hängt ein Schild mit der Aufschrift »Außer Betrieb«. Ich klopf an mit dem geheimen Klopfzeichen, auf das Kasabian bestanden hat – er hat einfach zu viele Agentenfilme gesehen. Klopfen. Pause. Klopfen. Klopfen. Pause. Klopfen. Eine Sekunde später hör ich ein Kratzen hinter der Tür, ehe sie sich einen schmalen Spalt weit öffnet. Ich geh noch mal sicher, dass mich niemand beobachtet, dann schlüpf ich rein.

Kaum bin ich drin, nutzt Kasabian seine Beinchen, um einen Holzstuhl unter die Türklinke zu klemmen, nur um mich eilig wissen zu lassen, dass ich auch noch abschließen soll.

»Du reitest das Paranoia-Pony heute ja fast zu Tode, Alfredo Garcia«, sage ich.

»Leck mich, Zweibein. Ich muss auf meine Sicherheit bedacht sein, sonst ende ich als Missgeburt des Monats auf YouTube.«

»Mach dir keine Sorgen! Eines Tages enden wir ohnehin beide wie eingelegte Föten in Einmachgläsern im Museum of Death.«

»Mag sein, aber ich hab keine Lust, dass es schon heute so weit kommt.«

Er klettert auf den Billardtisch und wirft mir ’nen Blick der Marke »Heute noch, Arschloch!« zu. Per Bandenentscheid stellen wir fest, wer den Eröffnungsstoß bekommt. Kasabian gewinnt. Ich platzier die Kugeln in der Triangel und zünde mir eine Malediction an, Luzifers liebste Zigarettenmarke. Man bekommt sie ausschließlich im Backofen, und da ich Luzifer schon ein ganzes Weilchen nicht mehr gesehen hab, gehen sie mir allmählich zur Neige. Wär fast das Risiko wert, zurück nach unten zu schleichen, um sich zwei oder drei Päckchen zu schnappen. Aber nur fast.

Wenn Kasabian sich im Billard versucht, wirkt er so elegant wie ein Hummer, der Fußball spielt. Er krabbelt auf dem filzbezogenen Tisch rum, stellt sich für den Stoß auf und tritt dann die weiße Kugel mit seinen Metallbeinen. Keine Ahnung, ob es fair ist, wenn er so spielt, aber man soll seine Schlachten weise wählen, also lass ich ihn machen. Außerdem kommt er so mal aus unserem Zimmer raus und ist zufrieden, was das Zusammenleben mit ihm um einiges vereinfacht.

»Was ist das für ein Geruch?«, fragt er.

»Das bin ich. Ich wurd von einem Dämon angekokelt, als ich mit Vidocq unterwegs war.«

Ich schlag den altmodischen Gehrock auf, den Muninn mir überlassen hat, und zeige Kasabian die Verbrennungen an meinen Armen. Ich geb mir alle Mühe, die Schmerzen zu ignorieren, aber ich brauch dringend ’nen Drink. Ab und an durch den Fleischwolf gedreht zu werden, ist Teil meiner Berufsbeschreibung. Ich bin zurück auf die Erde gekommen, um Biester zu töten, also muss ich auch damit rechnen, dass die Biester zurückschlagen.

»Wie nett. Neue Narben für deine Sammlung. Du hortest Arschkarten wie alte Damen Motivlöffel.« Kasabian stößt und versenkt die Neun, die Elf und die Vier. Zwei Halbe und eine Volle. »Ich hab die Halben«, verkündet er. »Die Dreizehn in die Ecke.« Er platziert sich für den Stoß und trifft.

Ich zieh an meiner Kippe. Mich beschleicht so ein Gefühl, dass ich bei diesem Spiel nicht viel anderes zu tun haben werde.

»Was für eine Art von Dämon war’s denn?«

Ich schüttel den Kopf. »Ich hab keinen blassen Dunst. So einer ist mir noch nie begegnet.«

Er krabbelt um den Tisch herum, ohne nach oben zu schauen. »Wie sah er denn aus?«

»Nichts Besonderes. Ich mein, von Weitem wirkte er wie ein Typ in ’nem billigen Anzug. Aus der Nähe war er eher eine Mischung aus Wackelpudding und LSD-Trip. Und dann hat er mich gepackt und – peng! – stand ich in Flammen.«

Er schnappt sich die Billardkreide, die auf dem Rahmen des Tischs liegt, und bearbeitet damit die Spitze eines seiner Beinchen. »Klingt nach ’nem Gluttire.«

»Ein was?«

»Ein Gluttire, ein Nimmersatt. Er hat dich nicht verbrannt, er wollte dich auflösen. Nimmersatte sind ziemlich selten und fressen üblicherweise andere Dämonen. Sind dir in letzter Zeit irgendwelche über den Weg gelaufen?«

»Ja, der Typ, in dessen Haus wir eingestiegen sind, hatte ’nen Gräber in seinem Wandtresor.«

»Da haben wir’s«, meint Kasabian, während er die Vierzehn versenkt. »Er hat den Gräber gewittert.«

»Ich muss wirklich anfangen, Eau de Cologne mit auf Raubzüge zu nehmen.«

»Im Codex stehen tonnenweise Informationen über Dämonen. Ihre Artenvielfalt ist viel größer, als du denkst, aber Gluttire sind am seltensten. Die meisten Leute bekommen ihr Lebtag keinen zu sehen.«

»Ich Glückspilz.«

Für einen Augenblick herrscht Stille. Er weiß, was ich fragen will. »Lass mal was über den Backofen hören. Gibt’s neuen Klatsch und Tratsch?«, frage ich. »Sind Marilyn Monroe und der Antichrist jetzt ein Pärchen? Wird Lovecraft von sexy Oktopoden gefoltert?«

»Wie kommst du drauf, dass Monroe im Backofen steckt?«

»Wunschdenken.«

Kasabian nimmt die nächste Kugel ins Visier und versenkt sie. Ich achte längst nicht mehr drauf, wessen Kugeln er da eigentlich einlocht.

»Also?«, hake ich nach.

Kasabian antwortet, ohne den Blick vom Tisch zu erheben. »Die Temperaturen sind unverändert hoch, und in den nächsten Tagen steigt die Aussicht auf Kettensägenregen und einer Scheißfront aus südlicher Richtung.«

Ich geh zum Billardtisch und leg die Hand auf die weiße Kugel. Kasabian sieht zu mir auf – er ist nicht amüsiert.

Ich lieg ihm in den Ohren mit der einen Sache, über die er bestimmen kann, seinem eigenen kleinen Herrschaftsbereich: dem Codex Daimonion, Luzifers schlaues Buch, Suchmaschine und geheimes Kochbuch für Arschtritte von überirdischen Ausmaßen in einem. Das Wertvollste, das die Hölle neben dem Gehörnten selbst zu bieten hat. Es enthält jedes noch so kleine im Universum bekannte Fitzelchen Wissen aus der unheilschwangeren Esoterischer-Kram-über-den-man-nichts-hören-sollte-wenn-man-je-wieder-ruhig-schlafen-will-Ecke. Und soweit ich weiß, ist Kasabian die einzige Person auf Erden, die es lesen kann.

Er wirft einen finsteren Blick auf meine Hand, und ich lasse von der weißen Kugel ab. Wieder locht er ein. Diese kleine Kackbratze hat geübt, während ich nicht da war.

Kasabian hat im Codex einst Dinge für Luzifer nachgeschlagen, wenn der zu beschäftigt dafür war – also neunzig Prozent der Zeit. Natürlich funktioniert in der Hölle nichts so, wie es soll – ist eben die Hölle. Die magische Ausrüstung dort unten hat in etwa die Qualität von russischen Souvenirs. Die Samoware sind hübsch anzuschauen, aber man kann sicher sein, dass man damit Muttis neue Baumwolltischdecke einsauen wird.

Mit anderen Worten: Der Ramsch aus der Hölle lässt sich ziemlich leicht hacken. Der Codex zum Beispiel: Kasabians Blick soll eigentlich gerade so weit in den Backofen reichen, dass er in dem Buch lesen kann. Das funktioniert aber nicht. Er ist wie eine dieser Verkehrskameras, die einen dabei erwischen sollen, wie man über ’ne rote Ampel fährt: Wenn er es nur richtig anstellt, kann er sehr viel mehr beobachten als beabsichtigt. So hat er seine Augen in jeder Ecke der Hölle. Alles kann er nicht sehen, aber eine Menge. Das ist die eine Sache, die er mir voraushat, und er sorgt dafür, dass ich das bloß nicht vergesse.

»Die übliche Geburtstagsparty im Bälleparadies«, sagt er. »Seit sich Luzifer wieder in den Himmel verzogen hat, hat Mason den Laden komplett übernommen. Luzifers Generäle ergehen sich in Sandkasten-Streitereien über ihre Schlachtpläne. Mammon und Baphomet haben die Legionen des jeweils anderen sabotiert. Vergiftetes Essen und solcher Scheiß. Alles nur, um Mason in den Arsch zu kriechen. Samyaza war der einzige General, der sich geweigert hat, also musste er aus der Stadt verschwinden.«

»Geschickter Zug.«

»Mason bereitet sich auf etwas vor. Er zieht von überallher Truppen zusammen, aber weil die über die gesamte Hölle verstreut sind, wird’s ’ne Weile dauern. In der Zwischenzeit hat er irgendwas anderes am Laufen, aber ich hab noch nicht rausgefunden, was genau.«

Ich kann durch Schatten wandern und an fast jedem gewünschten Ort rauskommen, indem ich durch den Raum der Dreizehn Türen gehe, den zentralen Knotenpunkt von Raum und Zeit. Diese Fähigkeit besitze ich, weil ich mir im Backofen einen Schlüssel in den Brustkorb eingesetzt hab. Es ist der einzige Schlüssel dieser Art, der existiert, deswegen bin ich die einzige Person im Universum, die in den Raum gelangen kann. Doch während die Vagabunden wie untote Heuschrecken über die Stadt herfielen, hab ich herausgefunden, dass Mason an seinem eigenen Schlüssel arbeitet.

»Geht es um den Raum der Dreizehn Türen? Hat er einen Weg hineingefunden?«

»Das bezweifel ich. Andernfalls wär er schon hier und würd an deinem Schädel rumnagen.«

Kasabian hat recht. Mason ist weder scheu noch raffiniert. Könnte er aus dem Backofen entkommen, und wenn auch nur für eine Minute, würde er versuchen, mich zu töten.

»Was hat er also vor?«

»Sag du’s mir. Du plauderst doch jede Nacht mit dem Typen. Davor war es Alice, was schon gruselig genug war, aber jetzt ist es Dr. Doom.«

Er stößt auf die Zwölf. Sie prallt von der Bande ab und geht nicht rein. Ich bin dran. Ich leg die Kippe beiseite, setz den Queue zwischen Daumen und Zeigefinger auf und ziele. »Was meinst du damit?«

»Früher in unserer Wohnung über dem Max Overdrive hast du im Schlaf mit Alice gesprochen. Seit wir hier sind, beginnst du aber, wann immer du einschläfst, zu rotieren wie ein Hähnchen am Spieß und mit Mason zu sprechen.«

»Was sag ich dann?« Ich versenk die Eins über Bande in einer Ecktasche.

»Außer ›Fick dich!‹ und ›Ich werd dich umbringen!‹ murmelst du immer wieder auf Hellionisch, also lässt sich das schwer sagen.«

»Kauf dir ein Wörterbuch.«

Er huscht um die Ecke des Tischs – eine fette Spinne, die eine Fliege umkreist. »Da ist noch was anderes. Es macht eigentlich keinen Unterschied, aber vielleicht willst du’s wissen.«

»Lass hören.«

»Unten im Backofen fürchtet sich kaum noch jemand vor dir. Früher warst du mal ein Schreckgespenst, das denen da unten nachts den Schlaf geraubt hat. Jetzt reden sie über dich eher so, als wärst du der Raufbold vom Pausenhof.«

»Sie haben mich also vergessen.«

»Das hab ich nicht gesagt. Aber mit Mason ist ein neuer furchterregender Mensch in die Stadt gekommen, und du bist schon so lang aus dem Spiel, dass dein Titel als härtester Hund von allen jetzt ihm gehört.«

Ich stoß auf die Drei, treff sie aber zu fest, sodass sie abprallt und in der Mitte liegen bleibt. Während Kasabian zurück auf den Tisch krabbelt, greif ich nach meiner Zigarette. »Erst schickt er mich in die Hölle, und dann macht er mir auch noch meinen Ruf dort streitig. Der Drecksack will das gesamte Paket.«

Kasabian bereitet seinen Stoß vor. »Dann geh doch da runter und bring irgendwen um. Schlitz ein paar Generälen die Kehlen durch. Du bist das Monster, das Monster tötet. Lass deiner Fantasie freien Lauf.«

Ich schüttel den Kopf. »Da unten kennt jeder mein Gesicht, und Mason hat an allen Eingängen, die ich üblicherweise benutze, Wachen postiert. Sobald ich meine Nasenspitze durch die Tür stecke, weiß er Bescheid.«

»Sich über so ’nen Scheiß den Kopf zu zerbrechen, klingt für mich nicht gerade nach Sandman Slim, wenn ich das so sagen darf.«

»Darfst du nicht, hast du aber schon.«

»Jetzt geh doch einfach da runter und bring den Kerl um! Wär bei Weitem nicht die dümmste Scheiße, die du je verzapft hast!«

»Die Zeit dafür ist noch nicht gekommen. Ich muss allen seinen Machenschaften den Hahn zudrehen: Schlachtplänen, Hinterzimmergeschäften mit den Generälen. Ohne Ausnahme. Ich brauch mehr Chaos. Bringst du jemanden während Holiday on Ice um die Ecke, drehen alle durch. Pustest du jemanden in ’nem Kriegsgebiet die Birne weg, steigen die Leute über seine Leiche und nehmen’s nicht mal wahr.«

»Mag sein. Noch vor ein paar Monaten hättest du einen auf John Wayne gemacht, wärst da reingestiefelt und hättest deinen eigenen Krieg angefangen. Ich glaub, der Engel in deinem Kopf hat dich verweichlicht. Du bist schon zu lange Glinda, die gute Hexe des Südens.«

Er hat recht. Vor einiger Zeit hat Mason mit mir Kontakt aufgenommen. Er hat die Körper anderer Leute übernommen und durch sie mit mir gesprochen. Er wird immer stärker, und er arbeitet an einem Schlüssel. Er schart Truppen um sich. Ich sollte in den Backofen gehen, ihn umbringen und dafür sorgen, dass gefallene Engel wieder von Albträumen geplagt werden. Ich hab die letzten sechs, sieben Monate damit verschwendet, mit Wells und der Wache Gummitwist zu spielen, mich um den Verstand zu saufen und meine Form einzubüßen.

Nach all der Zeit bleibt mir diese Welt ein Rätsel. Sie ist schwächlich und idiotisch und voller schwächlicher und idiotischer Leute. Warum drehen die nicht samt und sonders durch und zerfetzen einander zu Konfetti? Sie wollen das. Ich seh es in ihren Augen. Ich hör ihre Herzen hämmern. Rieche ihre Angst, ihre Wut. Die Raserei in ihrem Innern, der sie niemals freien Lauf lassen dürfen.