Höllendämmerung - Richard Kadrey - E-Book
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Höllendämmerung E-Book

Richard Kadrey

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Beschreibung

Zur Hölle geschickt zu werden, ist schlimm.
Zurückzukehren ist schlimmer.
Aber die Welt zu retten ist am schlimmsten.


Früher war Stark der beste Magier von Los Angeles. Bis ein Konkurrent seine Freundin ermordete und ihn – buchstäblich – zur Hölle schickte. Als Stark nach elf Jahren die Flucht gelingt, kennt er nur ein Ziel: Rache. Und wer in der Unterwelt überlebt, ist eigentlich gegen jeden Gegner gewappnet – auch gegen unsterbliche. Doch neben Menschen, Engeln und Teufeln treibt noch eine übernatürliche Spezies in L.A. ihr Unwesen, vor deren Bosheit alle Höllenfeuer verblassen. Stark muss noch skrupelloser sein als sie. Aber nach über einem Jahrzehnt in der Hölle, sollte das kein Problem für ihn sein.

Der erste Band der düsteren Urban-Fantasy-Serie über Sandman Slim von »New York Times«-Bestsellerautor Richard Kadrey. Weitere Bände sind bereits in Vorbereitung.

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Seitenzahl: 520

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Buch

Früher war Stark der beste Magier von Los Angeles. Bis ein Konkurrent seine Freundin ermordete und ihn – buchstäblich – zur Hölle schickte. Als Stark nach elf Jahren die Flucht gelingt, kennt er nur ein Ziel: Rache. Und wer in der Unterwelt überlebt, ist eigentlich gegen jeden Gegner gewappnet – auch gegen unsterbliche. Doch neben Menschen, Engeln und Teufeln treibt noch eine übernatürliche Spezies in L. A. ihr Unwesen, vor deren Bosheit alle Höllenfeuer verblassen. Stark muss noch skrupelloser sein als sie. Aber nach über einem Jahrzehnt in der Hölle sollte das kein Problem für ihn sein.

Autor

Der New-York-Times-Bestsellerautor Richard Kadrey wurde 1957 in New York geboren, lebt heute aber in San Francisco. Der Auftakt seiner Sandman-Slim-Serie »Höllendämmerung« steht auf der Amazonliste »100 Fantasy- und SF-Romane, die du gelesen haben musst«. Die amerikanische Buchhandelskette Barnes and Noble zählte ihn beim Erscheinen zu einem der besten Fantasy-Romane des Jahrzehnts. Seitdem hat Sandman Slim in den USA Kultstatus. 2021 erscheint der zwölfte Band der Serie. Außerdem ist Richard Kadrey beteiligt an der Comic-Serie »Lucifer«, der Vorlage der erfolgreichen Amazon-Prime-Video-Serie.

Besuchen Sie uns auch auf www.instagram.com/blanvalet.verlag und www.facebook.com/blanvalet.

Richard Kadrey

Roman

Deutsch von Bernhard Kleinschmidt

Die Originalausgabe erschien 2009 unter dem Titel »Sandman Slim« bei Harper Voyager, London.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright der Originalausgabe © 2009 by Richard KadreyCopyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2022 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Alle Rechte an der deutschen Übersetzung bei Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

Redaktion: Peter Thannisch

Umschlaggestaltung: Anke Koopmann | Designomicon

Umschlagmotiv: Shutterstock.com (Tithi Luadthong; FXQuadro; ra2 studio; trekandshoot)

HK · Herstellung: sam

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-26620-2V001

www.blanvalet.de

Für Nicola

Richter Du gerechter Rache, Nachsicht üb in meiner Sache, Eh ich zum Gericht erwache.

Dies irae (Tag des Zorns), Hymnus aus der Totenmesse

Je dümmer du den Leuten vorkommst,desto verblüffter sind sie,wenn du sie umbringst.

William Clayton

Ich erwache auf einem schwelenden Haufen Müll und trockenen Laubs, mitten auf dem alten Friedhof von Hollywood hinter den Paramount-Studios an der Melrose. Die Einzelheiten und Hintergründe werden mir erst später klar, vorläufig weiß ich nur, dass ich wieder auf Erden bin und brenne.

Mein Verstand ist noch nicht ganz da, aber mein Körper schafft es auch so, von dem brennenden Müllhaufen runterzurollen und sich so lange rumzuwälzen, bis ich das Feuer erstickt habe. Ich komme mühsam auf die Füße und schlüpfe aus der Lederjacke, fahre mir mit den Händen über den Rücken und die Beine.

Richtig weh tut nichts, ich spüre bloß ein paar Brandbläschen in meiner rechten Kniekehle und hinten am Oberschenkel. Meine Jeans ist ein wenig angekokelt, aber das schwere Leder der Jacke hat meinen Rücken geschützt. Brandwunden hab ich also keine, bin bloß versengt und stehe noch unter Schock. Wahrscheinlich hab ich nicht lang genug im Feuer gelegen.

Mal wieder Glück gehabt, wie immer. Sonst wär ich jetzt ’n Brikett. Was hätten diese miesen Arschlöcher unten im Backofen gelacht, wenn ich gleich wieder in der Hölle gelandet wäre, kaum dass ich mich still und heimlich aus der Hintertür gestohlen hab! Na, die sind mir vorerst scheißegal. Ich bin zu Hause und am Leben, wenn auch ein wenig ramponiert. Jeder weiß, dass die Geburt keine leichte Sache ist, also ist eine Wiedergeburt logischerweise doppelt so schwer wie jene erste Reise ins Licht.

Das Licht!

Mein Körper brennt zwar nicht mehr, aber meine Augen sieden in den Höhlen. Wie lange ist es her, dass ich Sonnenlicht gesehen habe? Drunten im Arsch der Schöpfung herrscht ein trübes Zwielicht aus Purpur und Magenta. Ich kann nicht mal die Farben des Friedhofs unterscheiden, auf dem ich mich befinde, weil sich mein Blick jedes Mal, wenn ich die Augen öffne, in einem qualvollen weißen Flimmern verliert.

Blinzelnd wie ein Maulwurf, lauf ich in den Schatten einer Urnenhalle, hocke mich hin und press meine Stirn gegen die kühle Marmorwand, die Hände vors Gesicht geschlagen. So bleibe ich gut fünf Minuten hocken, bevor ich die Hände senke, damit sich meine Augen an das blutrote Licht gewöhnen, das durch meine Lider dringt.

Ich lass mir eine Viertelstunde Zeit, ehe ich vorsichtig in die grelle Sonne von Los Angeles blinzle. Hoffentlich sieht mich niemand hier an der Wand hocken,denke ich. Der würde mich wahrscheinlich für verrückt halten und die Polizei rufen, und was dann?

Meine Knie und die Muskeln in meinen Beinen fangen an zu schmerzen, bevor ich die Augen ganz aufmachen kann. Ich drehe mich um und lehne mich mit dem Rücken gegen den kühlen Stein, um mich zu entspannen. Obwohl ich jetzt einigermaßen sehen kann, ist noch eine ganze Weile nicht daran zu denken, im vollen Tageslicht durch die Gegend zu marschieren. Deshalb bleib ich vorerst im Schatten und mache Inventur.

Meine Klamotten sind versengt, aber von dem Gestank nach brennendem Müll mal abgesehen ansonsten okay. Ich trag ein altes Germs-T-Shirt, das meine Freundin extra für mich in einem Secondhandladen geklaut hat, eine abgewetzte schwarze Jeans mit Löchern in den Knien, ein paar ausgelatschte Bikerboots und eine Motorradjacke, die an den strategischen Stellen von schwarzem Klebeband zusammengehalten wird. Der Absatz meines rechten Stiefels ist locker, seit ich diesen Scheißkerl, der vor ’ner roten Ampel ’ne kreischende Mami aus ihrem Wagen zerren wollte, um ihn zu klauen, damit anständig bearbeitet hab. Ich hasse Cops, und irgendwelche gelackten Heldentypen hasse ich erst recht, aber wenn bestimmte Sachen direkt vor meiner Nase passieren, kann ich mich nicht zurückhalten.

Allerdings war das früher so, vor meiner Reise nach unten in den Backofen. Ich weiß nicht recht, was ich tun würde, wenn ich so was heute zu sehen bekäme. Wahrscheinlich würd ich dem Kerl immer noch die Stiefelkappe in die Nieren rammen, nur bin ich nicht sicher, ob er nachher wieder aufstehen könnte.

Momentan gibt’s allerdings Wichtigeres zu klären – zum Beispiel dass dies exakt die Klamotten sind, die ich trug, als mich die Dämonen geschnappt haben. Als ich dann unten im Backofen aufs Pflaster knallte, war ich splitternackt. Da haben die sich zum ersten Mal vor Lachen gebogen, während ich desorientiert durch die Gegend gestolpert bin, bevor ich mir vor einem Publikum gefallener Engel die Seele aus dem Leib gekotzt hab. Anschließend ging das Gelächter weiter, als ich von irgendwelchen Teufelsnasen gefoltert und erniedrigt wurde. Die Hölle ist kein Ponyhof, das könnt ihr mir glauben.

Es ist schon ’ne ganze Weile her, dass ich die Klamotten gesehen hab. Ich wühle in den Taschen, um festzustellen, ob Geld drinsteckt oder irgendwas anderes, was von Nutzen sein könnte. Viel kommt nicht zum Vorschein: genau dreiundzwanzig Cent und ein leeres rosa Streichholzheftchen mit dem Aufdruck eines Kautionsagenten in Hollywood. Ich hab nicht mal die Schlüssel zu meiner Wohnung oder für den alten Chevy Impala, den mein Vater mir hinterlassen hat.

Ich greife nach meinem rechten Knöchel und spüre eine Welle wahren Glücks. Azazels Schwarze Klinge ist noch da, mit Streifen aus Basiliskenleder an mein Bein geschnallt. Als ich die Hand aufs Herz lege, fühle ich unter meinem T-Shirt die Kette mit der Veritas-Münze. Dass ich überhaupt auf der Erde bin, bedeutet, dass ich immer noch den Schlüssel zum Raum der Dreizehn Türen hab – auch wenn ich ihn weder anfassen noch sehen kann.

Es ist mir also gelungen, drei Dinge aus der Hölle rauszuschmuggeln. Nicht übel! Allerdings ändert das nicht das Geringste daran, dass ich kein Geld, keinen Ausweis und keinen fahrbaren Untersatz habe, dass meine Klamotten angekokelt sind und dass ich kein Dach überm Kopf hab. Ein herrlicher Anfang ist das. Ich werde der erste Killer der Geschichte sein, der um Patronen betteln muss.

Langsam und immer noch halb blind schlurfe ich zum Eingang des Friedhofs. In der Nähe steht ein Gedenkbrunnen, in den ich meine hohlen Hände tauche. Ich nehme einen Schluck und spritze mir Wasser ins Gesicht, das sich so kühl und vollkommen anfühlt wie ein erster Kuss.

Da trifft es mich wie ein Schlag. Das ist keine teuflische Illusion, kein Trugbild, kein Spiel, um meinen Willen zu brechen. Ich bin tatsächlich wieder daheim.

Aber wo zum Teufel sind alle?

Draußen fällt mir immerhin genau das ins Auge, was ich sehen wollte. Nördlich von mir erheben sich in der Ferne die großen weißen Buchstaben des Hollywood-Schriftzugs. Wie der da oben an seinem schmutzig braunen Abhang leuchtet, sieht er schöner aus denn je. In der anderen Richtung, wo es zur Melrose geht, rauscht ab und zu ein Auto vorbei, aber eigentlich sind es viel zu wenige. Auf der Straße ist überhaupt niemand. Ein Stück weiter sehe ich ein paar kleine Häuser, deren Vorgärten mit Lichtern, Plastikrentieren und je einem aufblasbaren Schneemann dekoriert sind. An den Haustüren hängen grüne Kränze. Ach du Schande,denke ich, es ist Weihnachten. Aus irgendeinem Grund kommt mir das urkomisch vor, und ich fang an zu lachen wie ’n Irrer.

Jemand läuft von hinten auf mich auf, was meinem Frohsinn ein jähes Ende setzt. Ich fahre herum und stehe vor einem ziemlich jungen Typ, der aussieht wie ein Manager. Könnte als Double von Brad Pitt durchgehen. Sein Haarschnitt und sein zweireihiger schwarzer Sakko haben zusammen sicher mehr als mein altes Auto gekostet. Wo zum Teufel ist der hergekommen? Ich muss mich unbedingt zusammenreißen. Während ich unten im Backofen war, hätte sich niemand so an mich ranschleichen können.

Brad Pitt stakst hüftsteif ein paar Schritte rückwärts. »He, was soll der Scheiß?«, brüllt er, als wär’s mein Fehler, dass er auf mich aufgelaufen ist. Obwohl es nicht besonders heiß ist, schwitzt er wie ein Rennpferd, und seine Bewegungen sind rasch und ruckhaft wie die eines kaputten Aufziehspielzeugs. Er sieht mich an, als hätte ich gerade seinen Schoßhund abgemurkst.

»Nur mit der Ruhe, Donald Trump«, sage ich. »Sie sind in mich reingelaufen.«

Er wischt sich mit dem Handrücken über die Oberlippe. In seiner Faust ist etwas verborgen, und er ist so nervös, dass er es fallen lässt. Erst will er sich danach bücken, dann tritt er noch einen Schritt zurück.

Zwischen uns liegt ein Plastiksäckchen auf dem Gehsteig, gefüllt mit etwa hundert kleinen weißen Kokainkristallen. Ich grinse. Willkommen zu Weihnachten in L. A.

Bevor ich den Mund aufmachen kann, greift der Kerl in sein Jackett. Doch als sein Elektroschocker zum Vorschein kommt, pack ich ihn am Arm, und im nächsten Moment knallt der Typ aufs Pflaster.

Meine Aktion war völlig ungeplant, mein Körper hat einfach auf Autopilot geschaltet. Offenbar funktioniert mein Gehirn zumindest teilweise noch.

Brad Pitt rührt sich nicht. Er ist auf den Elektroschocker gefallen, der dadurch ausgelöst wurde. Ich berühre ihn seitlich am Hals. Obwohl er ohnmächtig ist, rast sein Puls. In bestimmten Situationen ist Crack eben doch zu was nütze. Am Aufschlag seines Sakkos trägt er einen winzigen Weihnachtsbaum. Da fällt mir wieder ein: Es ist Weihnachten, ich stehe mutterseelenallein irgendwo auf der Straße und bräuchte dringend ’nen Besuch vom Weihnachtsmann.

Da der auf sich warten lässt, komme ich zu dem Schluss, dass ich momentan keinen besseren Samariter finde als meinen neuen Freund da auf dem Boden.

Ich spähe rasch nach links und rechts, dann stecke ich den Elektroschocker ein und zerre Brad auf den Friedhof, wo ich ihn hinter einer Hecke ablege.

Wie sich herausstellt, taugt der Kerl nicht nur als Weihnachtsmann, sondern auch als Osterhase. Seine Brieftasche, selbstverständlich Aalhaut, ist prall gefüllt mit Hundertern. Alles in allem ein paar tausend Dollar. Okay, der zappelige Trottel ist derart auf Kokain und Paranoia, dass er mich mit seinem Elektroschocker flachlegen wollte, bloß weil ich auf der Straße gestanden hab. Trotzdem bekomme ich leichte Schuldgefühle, hab ich doch in meinem Leben allerhand Fragwürdiges angestellt, aber ’nen Raubüberfall hab ich noch nicht begangen.

Nun, ich hab den Typen ja auch nicht überfallen, schließlich hat er mich angegriffen. Außerdem brauch ich die Kohle, schließlich bin ich mit leeren Taschen aus der Hölle zurückgekehrt, ohne Freunde und ohne echten Plan.

Ich greife mir also seine Barschaft, seine Porsche-Sonnenbrille, eine ungeöffnete Packung Kaugummi mit Koffein und sein Jackett, das mir an den Schultern ein wenig eng ist, aber ansonsten ganz gut passt. Dafür hinterlasse ich ihm meine angesengte Lederjacke, seine Kreditkarten, seinen Autoschlüssel und die Wundertüte Weihnachts-Crack. Ich werde diesen Vorfall einfach auf die Liste mit den Sünden setzen, für die ich später büßen muss. Gerade mal zehn Minuten auf Erden, und schon kommt wieder was dazu.

Nachdem ich die Packung Kaugummi aufgerissen und mir einen Streifen eingeschoben habe, setze ich mich in Bewegung. Den Geschmack von schwelendem Müll bin ich trotzdem nicht losgeworden.

Es fühlt sich an, als würde ich mit den Beinen von jemand anders laufen, so wacklig sind sie. Ab und zu stolpere ich über den Bordstein, und als ich auf eine Quietsche-Ente trete, die ein Kind verloren hat, fahr ich fast aus der Haut. Immerhin kommt mein Kreislauf in Gang. Trotzdem marschiere ich ohne Ziel durch die Gegend.

Am liebsten würde ich nach Hause gehen, aber was ist, wenn Azazel da ein paar von seinen Lieblingsspinnen postiert hat? Die Blutsauger sind so groß wie ausgewachsene Rottweiler, mit denen will ich mich vorläufig nicht auseinandersetzen.

Ich ziehe die Kette unter meinem T-Shirt hervor und klicke die Veritas-Münze ab. Sie hat einen Durchmesser von etwa fünf Zentimetern und ist aus schwerem Silber. Auf dem Rand steht in hellionischen Schriftzeichen: Trautes Heim, Glück allein. Gut. Sie ist so wach und naseweis wie eh und je.

Auf einer Seite der Münze ist der Morgenstern eingeprägt, der für Luzifer steht, und auf der anderen ist momentan eine runde Blume mit vielen Blütenblättern zu sehen, die aussieht wie eine Chrysantheme. Es handelt sich allerdings um eine Asphodele, und auf Hellionisch bedeutet der Name »Abendlied«. Die Blumen singen Hymnen, wie sie die gefallenen Engel früher im Himmel gesungen haben. Nachdem sie den ganzen Tag mit den völlig falschen Worten »Hosianna« gejodelt haben, erwürgen sie sich jeden Abend mit ihren Wurzeln und krepieren. Am nächsten Tag stehen sie wieder auf und fangen von vorn an. Das läuft da unten wahrscheinlich schon mindestens eine Million Jahre so, aber die meisten Hellionen schütten sich darüber immer noch vor Lachen aus. Hellionenhumor ist nicht besonders originell. Kein Wunder, mit Ausnahme von Luzifer und seinen Generälen sieht der Großteil der höllischen Scharen aus wie eine Truppe Penner, die sich um ein brennendes Ölfass schart.

Ich halte die Münze zwischen Daumen und Zeigefinger, denke: Hollywood oder nach Hause?, werfe sie hoch, und sie landet mit der Asphodele nach oben.

Das wäre schon mal geklärt. Die Münze lügt nie und gibt bessere Ratschläge als die meisten Leute, die ich kenne. Ich befestige sie wieder an ihrer Kette und wende mich nach Norden, nach Hollywood.

Bis zum Hollywood Boulevard ist es mehr als eine Meile, doch als ich ihn erreiche, bin ich erschöpft, und der Anblick ist auch nicht gerade das, was ich mir erhofft habe. Während ich weg war, hatte der Boulevard offenbar einen Nervenzusammenbruch. Leere Schaufenster. Auf der Straße modernder Müll. Nichts als Gespenster, die Schatten von Ausreißern und Dealern, die sich in versperrte Hauseingänge kauern. Ich erinnere mich, wie es hier ganz anders zuging – ausgeflippte Kids, Dragqueens, irre Typen, die sich für Bob Dylan hielten, und Touristen, die nicht bloß auf ihren nächsten Fix aus waren.

Es ist extrem mühselig, mit diesen Beinen zu gehen, die mir immer noch ziemlich fremd sind, und in dem engen Sakko schwitze ich. Warum hab ich dem Idioten nicht auch den Wagen abgenommen? Den hätte ich problemlos hier stehen lassen können. Obwohl, wahrscheinlich hätte ich den Schlüssel einem der jungen Typen zugeworfen, die an den Wänden lehnen. Bloß um zu sehen, ob hinter diesen toten Augen noch irgendwelches Leben ist.

Auf meinem Weg durch Hollywood überquere ich die Ivar Avenue und sehe ein merkwürdiges Schild, flankiert von brennenden polynesischen Fackeln. BAMBOOHOUSEOFDOLLS steht darauf. An den Titel erinnere ich mich. Das ist ein alter Kung-Fu-Film, in dem es um Frauen geht, die im Knast sitzen. Ich hab ihn gesehen, als ich unten im Backofen festsaß. Der Teufel zapft nämlich das irdische Kabel-TV an. Na, wer hätte das gedacht?

Im House of Dolls ist es kühl und so düster, dass ich Brad Pitts Sonnenbrille abnehmen kann, ohne in Ohnmacht zu fallen. An den schwarz getünchten Wänden hängen alte Poster von Iggy Pop und den Circle Jerks, aber hinter der Bar besteht die Deko aus Palmwedeln und Hula-Girls aus Plastik. Auf dem Tresen stehen Kokosnussschalen für die Erdnüsse. Außer mir und dem Barkeeper ist hier keine Menschenseele. Ich pflanz mich auf den Hocker am Ende des Tresens, möglichst weit von der Tür entfernt.

Der Barkeeper ist damit beschäftigt, Limetten zu schneiden. Er hält eine Sekunde inne und nickt mir zu, das Messer lässig in der rechten Hand. Bei dem Anblick setzt sich ein gewisser anderer Teil meines Gehirns in Gang, um ihn abzuschätzen. Er hat kurz geschorenes schwarzes Haar und einen grau melierten Kinnbart. Unter seinem Hawaiihemd wölben sich Muskeln. Ein Ex-Footballspieler, vielleicht auch ein Boxer.

Er merkt, dass ich ihn mustere.

»Hübscher Sakko«, kommentiert er.

»Danke.«

»Zu schade, dass du ansonsten aussiehst, als hätteste grade ’nen ziemlichen Höllenritt hinter dir.«

Sofort frag ich mich, ob die da unten mich hier in die Falle gelockt haben und ob ich rechtzeitig nach Brad Pitts Schocker oder meinem Messer greifen kann. Das sieht der Barkeeper mir offenkundig an der Nasenspitze an, weshalb er mich angrinst wie ein Schneekönig, um mir zu vermitteln, dass er nur Spaß gemacht hat.

»Nur die Ruhe, Mann«, sagt er. »War bloß ’n schlechter Scherz. Sieht ganz so aus, als hättest du ’nen harten Vormittag gehabt. Was willst du trinken?«

Ich bin nicht sicher, was ich antworten soll. Gestern hab ich noch nach dem Wasser gesucht, das im Backofen manchmal durch die Decke der Kalksteinhöhlen tropft. Ansonsten hab ich meistens ein Hellionengebräu mit Namen Aqua Regia getrunken, eine Art hochprozentiger Rotwein, gemixt mit einem Spritzer Engelsblut und Kräutern, in Vergleich zu denen Kokain wie Brausepulver wirkt. Das Zeug schmeckt wie ’ne Mischung aus Cayennepfeffer und Benzin, aber es war verfügbar, und ich hab’s im Magen halten können.

»Jack Daniel’s.«

»Geht aufs Haus«, sagt der Typ hinterm Tresen und schenkt mir ’nen Doppelten ein.

Die Musik, die hier läuft, ist äußerst merkwürdig. Irgendwas Tropisches, in das ab und zu falsches Vogelgezwitscher erklingt. Auf dem Tresen liegt eine CD-Hülle mit einem Sonnenuntergang auf Hawaii und dem Namen Martin Denny. Ich deponiere den ausgenuckelten Kaugummi in einer Papierserviette und schlürf meinen Whiskey. Der schmeckt zwar komisch, wie etwas, was kein Mensch freiwillig trinken würde, aber er spült mir den letzten Müllgeschmack aus dem Mund.

»Wo zum Teufel bin ich hier gelandet?«

»Im Bamboo House of Dolls. Dem größten und einzigen Punk-Tiki-Club von L. A.«

»Hab schon immer gesagt, genau das ist es, was wir hier noch brauchen.« Ich bin in einer Bar, aber irgendwas fehlt. »He, ich hab meine Zigaretten vergessen. Kannst du mir vielleicht eine borgen?«

»Tut mir leid, Mann. In Kalifornien ist Rauchen in der Kneipe untersagt.«

»Seit wann das denn? Das ist lächerlich!«

»Ganz meine Meinung.«

»Wenigstens bin ich zu Weihnachten daheim.«

»Fast. Du hast es um einen Tag verfehlt. Hat der Weihnachtsmann dir was Schönes gebracht?«

»Diese Reise wahrscheinlich.« Ich nehm einen weiteren Schluck. Also doch nicht Weihnachten, höchstens insofern, als die Straßen so verlassen sind, dass niemand mich gesehen hat. Mal wieder Glück gehabt.

»Habt ihr die Zeitung von heute da?«

Er greift unter den Tresen und legt ein druckfrisch gefaltetes Exemplar der L. A. Times vor mir auf den Tresen. Ich falte es auseinander, wobei ich versuche, nicht zu hektisch zu wirken. Kann nicht mal die Schlagzeile lesen. Kann überhaupt nichts sehen als das Datum oben auf der Seite.

Elf Jahre! Ich war volle elf Jahre fort. Ich war neunzehn, als ich in den Backofen kam. Jetzt bin ich praktisch schon ein alter Mann.

»Gibt’s hier auch Kaffee?«

Er nickt. »Hast also Weihnachten verpasst. ’n durchgezechtes Wochenende. Kenn ich nur zu gut.«

Der Kaffee ist fantastisch. Heiß. Ein wenig bitter, als hätte er schon eine Weile in der Kanne gestanden. Ich kippe den letzten Rest Whiskey rein, und jetzt kann man das Gebräu trinken. Mein erster perfekter Moment in elf Jahren.

»Bist du von hier?«, fragt der Kerl hinterm Tresen.

»Ich bin hier geboren, war aber ’ne Weile fort.«

»Geschäftlich oder zum Vergnügen?«

»Freiheitsentzug.«

Er grinst wieder. »In meiner wilden Jugend hab ich auch mal ’n halbes Jahr gesessen. Autodiebstahl. Weshalb warst du im Bau?«

»Ehrlich gesagt bin ich mir da nicht sicher. In erster Linie war ich wohl zur falschen Zeit am falschen Ort.«

»Das wird dich wieder aufmuntern.« Er schenkt mir Kaffee nach und spendiert mir auch noch ’nen Schluck Jack Daniel’s. Der Kerl ist wirklich nett. »Und wieso bist du hierher zurück?«, fragt er.

»Ich werd ’n paar Leute umbringen«, sage ich und kippe den Whiskey wieder in den Kaffee. »Wahrscheinlich ’ne Menge Leute.«

Der Barkeeper greift sich ein Handtuch und fängt an, Gläser zu polieren. »Tja, irgendwer muss das wohl mal tun.«

»Danke für dein Verständnis.«

»Egal, um welche Ära der Geschichte es sich dreht, wahrscheinlich sind immer etwa drei bis fünf Prozent der Bevölkerung derart miese, sture Ratten, dass sie verdienen, was sie kriegen.« Er poliert immer noch dasselbe Glas. Inzwischen sieht es ziemlich sauber aus. »Außerdem hab ich das Gefühl, du hast so deine Gründe.«

»Durchaus, Carlos, durchaus.«

Er hält mitten im Polieren inne. »Woher weißt du, dass ich Carlos heiße?«

»Hast du mir vorher wohl gesagt.«

»Nee, hab ich nicht.«

Ich blicke über seine Schulter an die Wand hinter dem Tresen. »Die Urkunde da über der Registrierkasse. Carlos, bester Barmann der Welt.«

»Das kannst du von da aus lesen?«

»Offensichtlich.« In Wahrheit ist mir sein Name einfach so in den Sinn gekommen. Äußerst merkwürdig. Zeit zu gehen. »Was bin ich schuldig?«

»Hab doch gesagt, das geht aufs Haus.«

»Bist du zu jedem angehenden Mörder, der hier reinspaziert, so nett?«

»Nur wenn er aussieht, als wär er gerade aus einem brennenden Haus gekrochen, ohne sich das Jackett schmutzig zu machen. Außerdem liebe ich Stammkunden. Vielleicht kommst du ja irgendwann wieder.«

»Du bist an Stammkunden interessiert, die einen Höllenritt hinter sich haben, wie du vorhin gesagt hast?«

»Und ob.« Er wendet den Blick ab, als würde er darüber nachdenken, was er als Nächstes sagen soll. »Es geht um ein paar Typen, die hier anmarschieren. Junge Weiße. Über und über tätowiert, offensichtlich Nazis oder solches Gesocks. Die kommen ständig an und wollen Schutzgeld kassieren. Wesentlich mehr, als ich mir mit einer kleinen Bar wie der hier leisten kann.«

»Und du meinst, ich könnte da was unternehmen.«

»Du siehst jedenfalls aus, als wüsstest du eventuell, was man in einer solchen Lage tut. Wenn man mit so was konfrontiert wird, hat man einfach …« Wieder wendet er den Blick ab. »Du weißt schon … Angst.«

Ich seh ihm an, dass es ihm schwergefallen ist, das auszusprechen. Hat die Münze mich deshalb hergeschickt? Bin erst ein paar Stunden wieder da und schon an einem karmischen Tauschhandel beteiligt? Von dem Blutbad, das ich geplant, aber noch nicht in Angriff genommen habe, ganz zu schweigen? Nein, das ergibt keinen Sinn.

»Tut mir leid. Ich glaub nicht, dass ich dir helfen kann.«

»Hör erst mal zu. Kostenlose Drinks. Außerdem abends umsonst was zu futtern. Gute Burger, Spareribs, Tamales. Du isst und trinkst bis in alle Ewigkeit, ohne ’nen Penny dafür zu blechen.«

»Das ist ein echt nettes Angebot, aber ich glaub wirklich nicht, dass ich dir helfen kann.«

Carlos dreht sich halb von mir weg, um wieder Gläser zu polieren. »Falls du’s dir anders überlegst – die Typen kommen immer am Donnerstag nachmittags, wenn wir beliefert werden.«

Ich stehe auf und will zur Tür. Als ich gerade zwei Schritte gemacht habe, sagt er: »He!«, und lässt etwas über den Tresen sausen. Es ist eine Packung Kippen ohne Filter. Unter der Zellophanhülle steckt ein Streichholzbriefchen. »Nimm das mal mit«, sagt er. »Ich darf hier drin nämlich auch nicht rauchen.«

Ich setze Brad Pitts Sonnenbrille auf. »Hast du denn noch ein paar auf Lager?«

»Nein.«

»Dafür, dass wir uns noch nicht allzu lange kennen, bist du echt spendabel«, sage ich, aber ich denke: Verflucht, wenn dir jemand seine letzte Zigarette gibt, bist du ihm eigentlich was schuldig.

Das Vogelzwitschern von Martin Denny folgt mir bis zur Tür.

Offenbar war es schon später, als ich dachte, als ich ins Bamboo House gegangen bin. Als ich aus der Tür trete, ist die Sonne schon fast untergegangen, und entlang des Boulevards gehen allmählich die Lichter an.

Bei Nacht hat Hollywood mir schon immer besser gefallen. Die Straßenlaternen, die Scheinwerfer der Autos und die schillernden Neonschilder vor den Touristenfallen lassen die geraden Linien und scharfen rechten Winkel, die alles ruinieren, gnädig verschwimmen. Wirklich echt ist der Boulevard nur nachts, wenn er gleichzeitig hell und schwarz ist und wenn sich in jedem Schatten verheißungsvolle Dinge verbergen. Dann sieht er aus, als wäre er speziell für Vampire entworfen und errichtet worden.

Der Gedanke ist gar nicht mal so abwegig, denn es gibt sie tatsächlich, die Vampire. Das könnt ihr mir ruhig glauben.

Ich zähle ständig bis elf, während ich tiefer vordringe. Elf Parkuhren. Elf Huren, die auf den ersten nachweihnachtlichen Kunden warten. Elf Namen von Schauspielern, von denen ich nie was gehört habe, auf elf Sternen im Gehsteigpflaster.

Elf Jahre. Elf verfluchte Jahre, und jetzt bin ich wieder zu Hause mit nicht viel mehr als einem Schlüssel, einem Taschenmesser und einer Münze, für die ich nicht mal eine Tasse Kaffee kriege.

Neun, zehn, elf, im Sauseschritt läuft die Zeit, wir laufen mit.

Da war ich elf Jahre fort und schaff es am Tag nach Weihnachten wieder zurück. Will jemand mir da womöglich was Bestimmtes sagen?

Ich ziehe eine von Carlos’ Kippen aus der Tasche und steck sie mir an. Der Rauch fühlt sich gut an in meiner Lunge. Allmählich kommt mir mein Körper wieder so vor, als ob er mir gehört. Ich bin wieder ich selbst. Was den Rest der Welt angeht, bin ich mir nicht so sicher.

Wer zum Teufel sind zum Beispiel diese ganzen Leute, die sich am Tag nach Weihnachten auf dem Boulevard rumtreiben? Wie soll ich mich zwischen denen bloß bewegen? Ein paar Straßen von hier steht ein netter Kerl in einer Bar. Er macht da wohl nur seinen Job, aber er hat ein Messer in der Hand, worauf mir unwillkürlich sämtliche Methoden durch den Kopf gehen, wie ich ihn umbringen kann.

Wie wenig ich doch darauf vorbereitet bin, wieder hier zu sein! Alles, was unten im Backofen Sinn ergeben hat, ist hier seltsam, wirkt falsch und lächerlich. Alle Kenntnisse, die ich mir angeeignet habe – wie man einen Feind anlockt und wie man tötet, die ganze Magie, die ich gelernt oder gestohlen habe –, kommen mir an diesem hellen, fremden Ort plötzlich töricht vor. Ich bin ein Stiefel mit Stahlkappe in einer Welt der Ballettschuhe.

Sobald ich die erste Zigarette aufgeraucht habe, steck ich mir die nächste an. Die Welt ist ein wesentlich lauterer und merkwürdigerer Ort als in meiner Erinnerung. Ich muss endlich was tun, statt durch die Gegend zu laufen und lautlos vor mich hin zu schreien. Nur Hühner brüten, hat meine erste Lehrerin in der Grundschule immer gesagt. Vielleicht stammt der Spruch auch von Luzifer. Leute, die so was von sich geben, kann ich schlecht unterscheiden.

Ich muss mich auf das konzentrieren, was wichtig ist, zum Beispiel auf meinen unerschütterlichen Plan, die sechs verräterischen Hunde, die mein Leben gestohlen haben, zu finden und sie so qualvoll wie irgend möglich zu killen. Und da ist noch was anderes, was Schlimmeres. Mir wird ganz flau, wenn ich dran denke.

Ihr Name ist Alice. Sie war das einzig Helle und Klare in meinem Leben, die einzige Person, die mir je etwas bedeutet hat. Wenn der Himmel gerecht wäre, dann wär sie jetzt verheiratet, wahrscheinlich mit einem dürren, erfolglosen Gitarristen in Lederhosen, den sie mit irgendwelchen Jobs in den fluoreszierenden Hochhauskerkern am Wilshire Boulevard über Wasser halten müsste. Oder sie wäre zum Bürgertum konvertiert und hätte einen Zahnarzt geheiratet, um einen schicken Van voll kleiner Kröten durch die Gegend zu kutschieren. Fett wäre sie dabei geworden, aber das wär voll in Ordnung.

Leider ist aus ihr weder das eine noch das andere geworden. Stattdessen wurde sie ermordet.

Würde Alice mich trotz meiner ganzen Narben erkennen, wäre sie noch am Leben? Am Eingang vom Bamboo House war ein Spiegel angebracht, aber ich hab mich gehütet hineinzusehen. Während ich nun den Boulevard entlangmarschiere, werfe ich rasche Seitenblicke auf mein Spiegelbild im trüben Glas dunkler Schaufenster. Ich bin muskulöser als vor meiner Fahrt zur Hölle, aber nach menschlichen Standards bin ich trotzdem ziemlich dünn. Meine Gesichtszüge sind noch erkennbar, wirken aber eher wie aus Stein als wie aus Fleisch. Wangen und Kinn aus Beton, die Augen dunkle, glänzende Murmeln über Lippen von der Farbe schmutzigen Schnees. Ich bin ein Zombie aus einem Film von George Romero, nur dass ich nie tot gewesen bin. Hab im Land der Toten bloß ’ne Zeit lang Urlaub gemacht.

Plötzlich will ich den imaginären Ehemann der fett gewordenen Alice ganz dringend am Hals packen und würgen, bis ihm der Schädel platzt wie ’n Ballon.

Das bringt mich zur Vernunft.

Es ist das erste Mal, dass ich mir vorgestellt hab, jemanden umzubringen, der nicht zum Zirkel gehört hat. Was für ein dummer, gefährlicher Gedanke. Genau das, was mich von meiner eigentlichen Aufgabe ablenken und mir womöglich den Tod bringen kann. Was gäbe das da unten für ein brüllendes Gelächter!

Also zurück zur Vierundsechzigtausend-Dollar-Frage: Wieso hat die Münze mich hergeschickt? Ist zwar angenehm, in vertrauten Gefilden zu sein, aber vor mich hin brüten hätte ich auch auf dem Friedhof gekonnt. Für so was ist ein Friedhof sogar ideal geeignet. Dass mir ’n Barkeeper ’nen Job anbietet und mir ’ne Packung Kippen schenkt, war ja eigentlich nicht nötig. Mit dem Bündel Hunderter von Brad Pitt in der Tasche bin ich nahezu wohlhabend. Wieso also bin ich ausgerechnet hier?

Die Zigarette in der Hand, gehe ich eine Häuserfront entlang, vorbei an zwei Schnapsläden, einem leeren Buchantiquariat, einem eingegangenen Plattenladen und einem verrammelten Sexshop. Während ich darüber nachdenke, wie beschissen es einer Stadt gehen muss, wenn man dort nicht mal mehr mit Dildos und Pornoheften Geld machen kann, leuchtet es im Innern meines Schädels auf, als wäre ich Gottes Flipperautomat.

Und plötzlich weiß ich, wieso ich hier bin.

Der Kerl biegt vom Boulevard auf die Las Palmas ein und watschelt auf seinen kurzen Beinen ein Stück weiter zu einem Laden, an dem Max Overdrive Video steht. An der Tür angelangt, muss er erst umsortieren. Der Kaffeebecher kommt in die andere Hand und die Tüte Donuts zwischen die Zähne, dann wackelt er mit dem Arsch, damit er seinen Schlüsselbund aus der Tasche fischen und aufschließen kann.

Ich beobachte ihn von der anderen Straßenseite aus, um mich zu vergewissern, dass ich keinen Fehler mache. Während er durch die Tür tritt, fällt von innen Licht auf sein Gesicht. Ja, es ist Kasabian, einer meiner alten Freunde aus dem magischen Zirkel. Einer der sechs auf meiner Liste.

Da hat der Weihnachtsmann mir doch noch was gebracht.

Der Videoladen nimmt beide Stockwerke eines historischen Reihenhauses ein. In den Vierzigern und Fünfzigern, als dieses Viertel der schickste Ort des Universums war, hat der Geldadel aus L. A. in so was das Wochenende verbracht. Kasabian watschelt darin herum, als würde ihm der Schuppen gehören. Ich glaube, ich sollte reingehen und ihn fragen, ob dem tatsächlich so ist.

Inzwischen ist es richtig dunkel geworden, und ich bin von breiten, satten Schatten umgeben. Ich überquere die Straße und suche mir einen besonders dunklen an der Seite des Videoladens, direkt neben einem Bio-Restaurant. Ich werfe einen Blick über die Schulter, um mich zu vergewissern, dass niemand mich sieht, dann trete ich in den Schatten, der Schlüssel in meiner Brust kribbelt, und ich gelange in den Raum der Dreizehn Türen.

Ich gehe hinüber zu der Tür des Eises und trete auf der anderen Seite hinaus in den Laden, ganz hinten, in der Pornoabteilung. Hier ist das Licht ausgeschaltet, weshalb ich einen guten Blick auf das übrige Etablissement habe.

Rechts von mir, hinter den Pornos, ist die Tür zum Klo fürs Personal. Gleich daneben führt eine mit einer Kette abgesperrte Treppe nach oben. Der Laden ist ausgestattet mit fein säuberlich ausgerichteten DVD-Regalen und Wühltischen mit VHS-Kassetten. Das ist offenbar wieder was, das sich in den letzten elf Jahren geändert hat. Selbst den Pornokram hier hinten gibt’s praktisch bloß noch auf Disks. Die einzigen Kassetten, die ich sehe, sind nachlässig auf die Wühltische geschichtet. VHS ist tot. Das muss ich mir merken; schließlich will ich mich nicht wie ’n Hinterwäldler gebärden, wenn ich mit Leuten rede.

Bei Gelegenheit sollte ich mich mal hinsetzen und eine Liste mit allem aufstellen, was ich da unten verpasst hab. Wenn man in der Kneipe nicht mal mehr rauchen darf, wer weiß, was die moderne Welt sonst noch für Grausamkeiten auf Lager hat …

Kasabian steht vorne an der Kasse und sortiert Quittungen. Während ich weg war, hat er ein paar Haare verloren, hat das jedoch ausgeglichen, indem er fett geworden ist. Ein wenig pummelig war er schon immer, aber jetzt hat er eine wirklich seltsame Figur. Nicht wie einer von den Typen mit dickem Bauch und Männertitten. Er sieht aus, als hätte er sich einfach horizontal ausgedehnt wie ein zu stark aufgeblasener Luftballon. Irgendwie ist das ein erstaunlicher Anblick. Sein Kinn und sein Bauch widersetzen sich der Schwerkraft, wodurch er mich an Orson Welles oder, noch besser, an einen Schneemann erinnert.

Während ich langsam durch den Mittelgang auf die Kasse zugehe, werfe ich einen Blick in die Ecken, um sicherzugehen, dass wir allein sind. Kasabian ist ganz damit beschäftigt, Zahlen zu addieren. Im Gehen ziehe ich Brad Pitts Elektroschocker aus der Jackentasche und halte ihn hinter meinen Rücken.

»’n Abend, Kas. Lange nicht gesehen.«

Er zuckt zusammen und lässt einen ganzen Haufen Quittungen auf den Boden fallen. Ich bleibe an einer Stelle stehen, wo das Licht so schwach ist, dass mein Gesicht wahrscheinlich nicht zu erkennen ist.

»Scheiße, was soll das?«, fragt er. »Wer sind Sie? Verlassen Sie sofort meinen Laden. Ich will keine Probleme!«

»Es ist gerade mal ein Tag nach Weihnachten, Kas. Nimmst du dir denn nie frei?«

»Meine Leute sind alle in Urlaub. Wer sind Sie?«

»Hattest du denn so richtig frohe Weihnachten? Hast dem kleinen Jesus zum Geburtstag gratuliert? Und dem Weihnachtsmann die Hand geschüttelt?«

»Was wollen Sie?«

»Weißt du, was ich an Weihnachten gemacht hab? Ich hab einem Monster den Kopf abgehackt. Und dann hab ich dem Kerl, dem das Monster gehörte, dasselbe angetan.«

»Wollen Sie Geld? Greifen Sie zu! Heute war ’n mieser Tag, und das Geld von den Weihnachtseinkäufen ist schon auf der Bank. Pech gehabt, mein Lieber!«

Seit ich ihn kenne, liebt Kasabian dramatische Szenen, weshalb ich der Versuchung nicht widerstehen kann, ihm eine kleine Horrorshow zu bieten. »Ich will dein Geld nicht, Kas. Ich will deine Seele«, sage ich und trete ins Licht, damit er meine Visage frontal bewundern kann.

Das ruft genau die Reaktion hervor, die ich mir erhofft hab. Sein Mund klappt auf, ohne dass ein Ton rauskommt. Er hält sich die Hand davor und unterdrückt einen lautlosen Schrei. Mit weit aufgerissenen Augen weicht er einen Schritt zurück.

Vergebt mir, Gott und Luzifer und all ihr Engel oben und unten, aber das macht einfach Spaß! Das ist besser als eine Fahrt mit der geilsten Achterbahn!

»Mach den Mund zu, Kas. Siehst aus wie eine von diesen aufblasbaren Puppen.« Etwa drei Meter vor der Kasse bleibe ich stehen, damit er mich ausgiebig bewundern kann. »Was hast du eigentlich für mich zu Weihnachten besorgt? Ach ja, das hast du mir ja schon vor elf Jahren gegeben. Verdammnis. Ein Geschenk, an dem man wirklich lange Freude hat.«

Seine Hände sind jetzt nach unten gesunken. Er stützt sich auf die Theke wie ein Besoffener, der überlegt, ob er lieber aufs Gesicht oder auf den Rücken fallen soll.

Ich schalte mit dem Daumen den Elektroschocker ein. »Ist schon in Ordnung, wenn du nichts für mich besorgt hast. Aber ich hab was für dich, Kas, das kannst du mir glauben. Komm, setz dich dem Weihnachtsmann brav auf den Schoß, dann zeig ich’s dir!«

Ich mache einen winzigen Schritt auf die Theke zu, und Kasabian weicht einen riesigen Schritt zurück. Dann tut er etwas wirklich Komisches. Er hebt die Hände, und ich sehe eine Waffe – einen Colt Peacemaker, Kaliber .45. Wyatt Earps Lieblingskanone. Damit feuert er mir fünf der sechs Patronen, die drinstecken, in die Brust und in den Bauch. Schade, ich war gerade wirklich gut in Fahrt.

Mir wird schwarz vor den Augen, und ich sinke auf die Knie. Der Schocker fällt zu Boden, ich hinterher. Ich spüre, wie meine Lunge Luft ansaugt, und ich spüre mein Herz schlagen. Die beiden Organe sind offenbar ziemlich verwirrt von dem, was gerade geschieht.

Der Tod senkt sich über mich, weich und warm wie eine Daunendecke, die frisch aus dem Wäschetrockner kommt. Mein Herz bleibt stehen.

Während ich unten im Backofen war, ist etwas Merkwürdiges mit mir passiert: Ich bin jetzt kaum noch umzubringen!

Als ich dort ankam, war ich der erste und einzige lebende Mensch, der je seinen Fuß in die Hölle gesetzt hat. Ich war eine echte Kuriosität. Lasst ’nen Dollar springen und seht euch Jimmy an, den Typen mit der Hundefresse. Später, als sie müde waren, mich herumzustoßen, anzugaffen und auszustellen wie ’nen Rassepudel, dachten sie, es könnte lustig sein, mir beim Sterben zuzuschauen. Sie ließen mich in der Arena kämpfen und machten ein gewaltiges Tamtam darum. In etwa so wie ums Pokalendspiel hier oben, bloß jede Woche.

Da das Ganze in der Hölle und außerdem in der Arena stattfand, wurde kräftig geschummelt und beschissen. Als Hellion verliert man Wetten genauso ungern wie als Mensch, darum tauchte vor praktisch jedem Kampf ein bestochener Trainer oder Helfershelfer mit einem raffinierten kleinen Geschenk auf. Zum Beispiel hat man mir ganz spezielle Waffen zugesteckt, mir diabolische Drogen verabreicht, mir teuflische Zaubersprüche ins Ohr geflüstert und so weiter. Hilfreich war das durchaus, auch wenn’s mich nicht unverwundbar gemacht hat wie Superman.

Ich wurde von Messern und Speeren durchbohrt. Ich wurde angesengt. Ich wurde fast in Stücke gerissen von einem riesenhaften Krabbenmonster, das Feuer spuckte und mit den gequälten Stimmen aller Seelen schrie, die es verschlungen hatte. Meine Rippen und mein Schädel wurden zu Knetmasse zertrümmert.

Aber gestorben bin ich nicht.

Ich weiß nicht, ob es an den Zaubersprüchen, den Drogen, dem Aqua Regia oder meiner gesunden Lebensweise lag – auf jeden Fall veränderte ich mich. Jedes Mal, wenn ich eigentlich hätte sterben sollen, das aber nicht tat, wurde ich stärker. Das wiederum bedeutete, dass mein nächster Gegner noch härter, schneller und gefährlicher war als der davor. Nach einer Weile freute ich mich sogar darauf, wieder mal in die Tonne gekloppt zu werden, denn jeder Kampf veränderte mich, machte mich immun gegen die jeweilige Attacke, die mir eine Verwundung zugefügt hatte. Ich fühlte mich wie Dirty Harry in ’ner kugelsicheren Rüstung.

Als die herrschende Klasse aus alteingesessenen Hellionen und neu erkorenen Unholden zu dem Schluss kam, es sei Zeit, mich loszuwerden, war es zu spät. Ich war schon zu stark, und inzwischen beschäftigte ich mich mit interessanteren Dingen. Freischaffend brachte ich außerhalb der Arena Hellionen um und genoss Schutz von ganz oben, von Kräften, die wesentlich düsterer waren als das, was man sich gemeinhin unter einem mit Schwanz und dreizackiger Gabel ausgestatteten Teufelsbraten vorstellt.

Erschossen worden bin ich allerdings noch nie.

»Stark?«, höre ich Kasabian aus weiter Ferne fragen. »Bist das wirklich du?« Ein nervöses, leises Lachen. »Mason wird sich vor Wonne in die Hosen scheißen.«

Meine linke Hand zuckt zur Seite, packt den warmen Lauf der Kanone und zerrt sie zu mir her. Kasabians fetter Finger steckt noch im Abzugsbügel, deshalb folgt er seiner Waffe. Gleichzeitig greift meine rechte Hand an meinen Stiefel und reißt die Schwarze Klinge los. Ich wälze mich zu Kasabian herum, der mich ziemlich belämmert anstiert, und lass die Klinge in einem sauberen Bogen durch die Luft sausen.

Kasabians Kopf plumpst auf den Boden und kullert davon wie ein Kürbis. Sein Körper sackt in sich zusammen und bleibt reglos liegen.

Unter dem Regal mit den neuesten Disney-Filmen fängt Kasabians Kopf an zu heulen und zu klagen. »O Gott! O Jesus, Scheiße! Ich bin tot!«

Das Geheul ist erste Güte. Was das angeht, bin ich unten im Backofen zum echten Kenner geworden, und was ich jetzt höre, ist wirklich Spitzenklasse.

»Ich bin tot! Ich bin tot!«

Wacklig komm ich auf die Beine, greife die kreischende Melone an den Haaren, steck mir den Colt hinten in den Hosenbund und packe mit der freien Hand eins von Kasabians Beinen am Knöchel. Wenn man in solchen Situationen die Indizien beseitigen will, muss man die Leiche leider durch die Gegend zerren. Ihr meint vielleicht, es wäre leichter, sich das Ding über die Schulter zu werfen, aber einen schlaffen Körper aufzuheben ist so, als würd man mit einer Riesenportion Wackelpudding kämpfen. Das zittert, verlagert sich ständig und weigert sich, Ruhe zu geben. Deshalb ist es zwar langsamer, eine Leiche über den Boden zu schleifen, aber wesentlich problemloser.

So befördere ich Kasabian die Treppe hinauf. Sein Kopf kreischt weiterhin Zeter und Mordio, sein schwerer Körper poltert hinter uns her.

Das Obergeschoss besteht aus einem einzigen Raum. Der ist entsprechend groß, hat an einer Wand ein hübsches breites Fenster, ist aber nur sparsam möbliert. Ich sehe ein Bett samt Nachttisch, ein paar Bürostühle und einen Tisch, auf dem stapelweise Recorder und DVD-Brenner stehen, dazu ein großer Farbdrucker – eine richtige kleine Fabrik zum Herstellen von Raubkopien.

Kasabians Leiche lasse ich an der Tür liegen, den Kopf stelle ich auf den Tisch, und den Colt werfe ich aufs Bett.

Kasabian kreischt immer noch wie am Spieß, was angesichts dessen, dass er keine Lunge mehr hat, durchaus eindrucksvoll ist.

Ich greife mir einen Stuhl und mach es mir vor dem Kopf gemütlich. Nachdem ich die Zigaretten aus Brad Pitts inzwischen blutgetränkter Jacke gefischt habe, steck ich mir eine an und blase Kasabian den Rauch ins Gesicht. »Riechst du das? Das heißt, du bist nicht tot.«

Er hört auf zu kreischen und sieht mich an. Dann fällt sein Blick auf seinen Körper, der da hinten auf dem Boden liegt, worauf er gleich wieder losjault.

Ich nehme einen langsamen, tiefen Zug und blase ihm eine extra große Krebswolke mitten ins Gesicht. Daraufhin beruhigt sich Kasabian und scheint endlich bereit, sich mit mir zu beschäftigen.

»Leck mich, Stark! Du hältst dich wohl für besonders gewieft, was? Aber du hast Magie benutzt. Deshalb wissen alle Verschwiegenen, dass du hier bist. Mason natürlich auch. Der wird dich kaltmachen.«

»Irrtum, Dickerchen. Dieses Messer stört weder den Äther, noch hinterlässt es irgendwelche magischen Spuren. Schon mal was von Tarnkappentechnik gehört? So ähnlich funktioniert das Ding. Außerdem tötet es seine Opfer nicht, wenn ich’s ihm nicht befehle.«

»O Gott, was hast du nur getan?«

»Gott ist gerade auf Geschäftsreise, Kas. Du musst mit mir vorliebnehmen.«

Er sieht mich mit großen Glubschaugen an. »Ich dachte, du bist tot. Als du verschwunden bist, haben wir das alle gedacht. Dann hat das, was Mason mit dir angestellt hat, tatsächlich funktioniert?«

»Könnte man sagen. Schließlich war ich lebendig in der Hölle, ganze elf Jahre lang.«

»Wie hast du so was denn überleben können? Also hat Mason recht gehabt.«

»Inwiefern?«

»Er hat gesagt, du bist der einzige wirklich große geborene Magier, den er je getroffen hat.«

Der Spruch entlockt mir ein schiefes Lächeln. »Das sieht Mason ähnlich. Auf den ersten Blick ist es ein Kompliment, aber in Wahrheit nennt er mich einen großen Magier, damit er sich als einen noch größeren darstellen kann.«

Ich wende mich ab, als würde ich mich im Raum umsehen, aber in Wirklichkeit habe ich brutale Schmerzen in Bauch und Brust. Da, wo die Kugeln eingedrungen sind, brennt es wie Feuer, und bestimmt sind ein paar Rippen angeknackst. Morgen früh wird das wahrscheinlich wieder in Ordnung sein, aber heute mach ich keine großen Sprünge mehr. Das heißt allerdings noch lange nicht, dass ich Kasabian die Genugtuung gönne, mich leiden zu sehen.

»Recht hat er offenbar dennoch gehabt«, sagt Kasabian. »Schließlich hast du trotz der ganzen Hellionen überlebt und bist wiedergekommen.«

»Und weißt du auch, warum? Um dir den Hals umzudrehen! Dir und den anderen.« Die alte Wut kocht in mir hoch, aber ich will die Beherrschung nicht verlieren, sonst mach ich Kasabian zu viel Angst, und dann ist er nicht mehr fähig, irgendwelche Informationen rauszurücken.

Erst mal muss ich Luft holen. Wenn ich durch die Gegend laufe wie ein tollwütiger Hund, kann ich nicht vernünftig planen.

»Nur dass du’s weißt, ich hab unten im Backofen keinerlei Magie angewandt. Unsere Magie ist da nämlich ’n Witz. Sie funktioniert einfach nicht. Da könnte man genauso gut ein Kuchenrezept herbeten.« Ich nehme einen beruhigenden Zug von meiner Zigarette. »An den Kram, den wir im Zirkel praktiziert haben, erinnere ich mich nicht mal mehr besonders gut, aber dafür hab ich unten ein paar Tricks gelernt. Waschechte Hellionenmagie, und wenn ich damit loslege, heulst du dir die Augen aus.«

»Wirst du mich umbringen?«

»Ist dir aufgefallen, dass ich dir den Kopf abgeschnitten hab? Wenn mir daran gelegen wäre, dich tot zu sehen, dann wärst du das jetzt.«

»Was willst du überhaupt von mir? Geht es etwa um die Kleine?«

»Über die will ich jetzt noch nicht reden.« Genauer gesagt kann ich noch nicht über sie reden.

»Was willst du dann, Menschenskind?«

»Ich will dich, und zwar mit Haut und Haaren. Du warst dabei, als Mason mich nach unten geschickt hat.«

»Ich hab überhaupt nichts getan!«

»Exakt. Du hast bloß dagestanden. Du wusstest, was kommt, und trotzdem hast du einfach bloß dagestanden.«

»Wir hatten keine Ahnung, was geschehen würde!«

»Aber ihr wusstet, dass Mason mich loswerden wollte.«

Kasabian will etwas sagen, wendet dann jedoch den Blick ab.

»Was hat Mason euch versprochen?«

»Die ganze Welt. Alles, was wir uns erträumen, wenn wir uns nicht einmischen und hinterher schweigen wie ’n Grab. Das konnte man schlecht ablehnen.«

»Das heißt, du hast Ja gesagt, woraufhin Mason dich reingelegt und hier abgeladen hat. Was für ’ne Überraschung. Deshalb bist du auch in etwa der Letzte aus dem Zirkel, den ich umbringen muss.«

»Wieso?« Er runzelt die Stirn, als würde es ihn kränken, dass ich ihn nicht als Ersten töte.

»Weil du ’ne totale Null bist. Du bist ein drittklassiger Magier, und als Mensch bist du bestenfalls zweitklassig. Deshalb haben Mason und die anderen dich auch abserviert. Du bist nichts als Ballast.«

»Ah, jetzt verstehe ich. Du willst die anderen aus dem Zirkel finden, und dabei soll ich dir helfen!«

»Ich will so allerhand, aber fangen wir tatsächlich mal damit an.« Ich versuche, mich auf meinem Stuhl so zu positionieren, dass meine Rippen nicht allzu sehr wehtun. »Wo hängen unsere alten Freunde denn inzwischen ab?«

»Bist du wahnsinnig? Weißt du, was die mit mir machen, wenn ich dir das sage?«

Als ich unten im Backofen war, habe ich auch gelernt, wie man Drohungen ausstößt. Sie müssen gewaltig sein. Regelrecht ungeheuerlich. Man droht nicht, jemanden windelweich zu schlagen. Man droht, ihm die Zunge rauszureißen und ihm flüssigen Stickstoff in den Schlund zu kippen, ihm mit einem Eispickel die Eingeweide aus dem Leib zu hacken und Glasscherben reinzukippen. Allerdings muss man andererseits mit Drohungen vorsichtig umgehen. Manche Hellionen – und manche Menschen – wissen nicht, wann die Grenze erreicht ist, und dann ist man gezwungen, die Sache durchzuziehen. Oft ist das zwar nicht nötig, doch man sollte im Blick haben, dass die Möglichkeit besteht.

»Weißt du, was ich dir antun werde?«, frage ich ganz gelassen. »Siehst du deinen Körper da drüben? Den werd ich in die tiefste und dunkelste Ecke vom Griffith Park schleifen und dort für die Kojoten liegen lassen.«

»Nein, bitte tu das nicht!«

»Dann erzähl mir von den anderen. Wo ist zum Beispiel Mason?«

Mason war der Chef unseres magischen Zirkels, während ich gewissermaßen seinen Adjutanten gespielt hab. Er war ein begabter Magier und ließ sich nie die Gelegenheit entgehen, uns das unter die Nase zu reiben. Er kam aus einer reichen Familie, doch ansonsten wusste keiner von uns, was er außerhalb unseres Zirkels trieb. Mit einer Ausnahme: Parker. Die beiden waren dicke Kumpel.

Parker war ein Schlägertyp mit dem Körperbau eines Boxers und gerade genug magischen Fähigkeiten, um wirklich gefährlich zu sein. Mason erkannte, welche Möglichkeiten ihm so jemand bot, und machte den Typ zu seinem Kettenhund. Er selbst hatte nie Blut an den Händen, weil Parker ihm solche Sachen nur allzu gern abnahm.

Nebenbei bemerkt bestand Mason darauf, mich Jimmy zu nennen. Gut, James ist mein Vorname, da liegt das nahe, aber sonst hat mich nie jemand Jimmy gerufen, weil ich mir das immer verbeten hab. Ich laufe schon immer unter dem Namen Stark.

»Soll das ein Scherz sein?«, sagt Kasabian. »Seh ich etwa aus, als würde ich noch was mit Mason am Hut haben? Ich verleihe Pornos und Schwarzenegger an die Dumpfbacken, die hier reinschneien. Mason hab ich seit jenem Abend kaum mehr zu Gesicht bekommen, und ehrlich gesagt, da bin ich froh drum. Sobald du weg warst, haben diese Dämonen – oder was immer die waren – ihn mit Macht aufgeladen. Wie Superuran. Nein, eher wie den Hulk. Er hat sich direkt vor unseren Augen verändert. Mit seiner Haut, seinen Knochen, seinem ganzen Körper ist was Seltsames passiert. Er hat irgendwie geleuchtet, und es hat ausgesehen, als würden unter seiner Haut irgendwelche Dinger rumkrabbeln.«

»Hört sich eher an, als hätten sie ihm eine Arschladung Nebiros verpasst.«

»Was soll das denn sein?«

»Parasiten. Die Dinger leben von der Energie des Wesens, das sie befallen. Der Wirt fällt bloß deshalb nicht augenblicklich tot um, weil die Nebiros übernatürliche Energie ausscheiden. Sie scheißen Magie. Die lädt den Wirt auf, wodurch er und die Parasiten am Leben bleiben. Die Hellionen futtern diese Dinger wie Popcorn. Dass sie auch bei Menschen funktionieren, wusste ich gar nicht.«

»Mag sein, dass es so was war, jedenfalls war er einfach nicht mehr Mason. Er war Mason und noch was anderes. Wie Gottes älterer Bruder, der Gott sein Geld abknöpft, seinen Wagen klaut und seine Freundin vögelt. Das ist Mason jetzt. Ein Typ, der keine Angst mehr hat, Gott höchstpersönlich aufs Kreuz zu legen. Er ist abgehauen und hat Parker mitgenommen.«

Ich weiß, dass er die Wahrheit sagt. Aus demselben merkwürdigen Grund, aus dem mir vorhin im Bamboo House der Name Carlos eingefallen ist, weiß ich jetzt, dass Kasabian nicht lügt. Es ist zwar nicht besonders toll, etwas zu wissen, ohne zu kapieren, weshalb man es weiß, aber damit werd ich mich später beschäftigen.

Ich klopfe die Asche ab, dann stecke ich Kasabian die Zigarette zwischen die Lippen. Er pafft ein paarmal, was ihn zu beruhigen scheint. Als er fertig ist, leg ich die Zigarette in den Aschenbecher, der auf dem Tisch steht. Nachdem er an dem Ding gezogen hat, will ich es definitiv nicht mehr in den Mund nehmen.

»In den nächsten paar Tagen werde ich dir noch allerhand Fragen stellen«, sage ich. »Vielleicht geht’s auch um Wochen. So lange eben, wie es dauert, die Sache zu erledigen. Sei ehrlich zu mir und sag mir weiterhin die Wahrheit, dann geb ich dir eventuell deinen Körper zurück.«

»Damit ich hier hocke und drauf warte, dass Mason mich erledigt? Schöne Aussichten.«

»Sag mir, was ich wissen muss, dann kriegt er keine Chance, dich zu erledigen.«

Kasabians Miene wird leer, als würde er in der Ferne auf etwas starren, was ich nicht sehen kann. »Eigentlich hast du recht«, sagt er. »Ich bin tatsächlich ’ne Null. Die anderen, die haben Macht, Geld und lockere Jobs. Aber mich schließen sie aus. Ich hab nichts.«

»Dann hast du gute Gründe, ihnen was heimzuzahlen, genau wie ich.«

»Meinst du nicht, das hätte ich längst getan, wenn ich dazu fähig wäre? Sieh mich doch an! Ich musste mir sogar diesen dämlichen Videoladen unter den Nagel reißen, um nicht zu verhungern. Und dann kommt einer rein, der eigentlich tot ist, und hackt mir den Kopf ab. Klar, ich bin genau der Richtige, um Mason Faim zu Fall zu bringen.«

»Nein, der Richtige bin ich. Du verrätst mir einfach, wo er ist.«

»Ich hab dir doch gesagt, das weiß ich nicht! Er ist verschwunden, als hätte es ihn nie gegeben.«

»Was ist mit den anderen?«

»Du verlangst ganz schön viel von mir, Mann.«

»Nein. Ich verlange genau das, was du mir schuldest.« Ich stecke mir eine neue Zigarette an. Was jetzt kommt, würde ich lieber vermeiden. »Sag mir die Wahrheit, Kas, als ob dein Leben davon abhinge. Wer hat Alice auf dem Gewissen?«

Kasabians Augen zucken in seinem Kopf hin und her, als würden sie nach der Auswurftaste suchen. Ich erkenne Panik. Fast glaube ich zu hören, wie sich sein Herzschlag beschleunigt. Er hat zwar keinen Körper mehr, aber vielleicht ist er trotzdem noch irgendwie damit verbunden.

»Das weißt du?«, fragt er mich. »Du bist die ganze Zeit da unten gewesen, und das weißt du?«

»Sag’s mir, Kas. Die Kojoten rufen.«

Ich blicke zu Boden, aber ich rühre mich nicht. Wenn ich es täte, würde ich zerbrechen wie Glas. Ich halte es einfach nicht aus, über Alice zu sprechen.

Langsam hebe ich den Blick und sehe Kasabian in die Augen. Wenn er einen Körper hätte, wäre er aufgesprungen und davongerannt.

»Viel weiß ich nicht«, stammelt er. »Es ist ja nicht so, als ob Mason oder sonst jemand hier vorbeikäme, um mit mir über die alten Zeiten zu plaudern. Ich kenn bloß dieselben Gerüchte wie alle anderen. Das heißt, ich hab gehört, Parker hat es getan.«

»Mason hat ihn beauftragt?«

»Parker geht nicht mal scheißen, ohne dass Mason es ihm befiehlt. Ja, klar, Mason muss ihm gesagt haben, er soll es machen.«

»Weshalb? Nach all den Jahren? Weshalb hätte er das tun sollen?«

»Das weiß ich nicht, Mann. Ehrlich.«

Ich starre Kasabian in die Augen. Ja, er sagt die Wahrheit.

Er ist in heller Panik, als ich auf ihn zutrete. Als ich die glimmende Zigarette aus dem Aschenbecher nehme, damit er sie aufrauchen kann, sieht er so erleichtert aus, als würde er gleich in Tränen ausbrechen.

Meine Alice ist tot, und ich bin allein.

»Erzähl mir ’n bisschen was über deinen Laden«, fordere ich ihn auf. »Wie viele Leute arbeiten hier?«

»Vier bis fünf. Studenten. Die kommen und gehen, je nachdem, wie es am College läuft und ob sie Ferien haben. Die Einzige, die irgendwelchen Grips hat, ist Allegra.«

»Wer ist das?«

»Sozusagen die Geschäftsführerin. Ich bin nicht gern unten bei den Kunden.«

»Sie kümmert sich also um den Laden, damit du hier oben bleiben und Raubkopien machen kannst.«

»Wir tun, was nötig ist, um über die Runden zu kommen. Als du in der Hölle warst, hast du dich bestimmt auch nicht an alle Regeln des guten Anstands gehalten.«

»Wann macht ihr morgens auf? Ist Allegra dafür zuständig?«

»Um zehn. Ja, das ist ihre Sache.«

Hinter der offenen Tür zur Treppe sehe ich einen Kleiderschrank. Ich schlage die Tür zu, um den Schrank öffnen zu können. Die untere Hälfte ist leer, oben sind ein paar Metallböden eingesetzt. Ich schleife Kasabians Körper hin, stopfe ihn hinein und hole dann den Kopf; der kommt ins mittlere Fach.

»Ich hab manchmal ein wenig Platzangst«, sagt Kasabian.

Ich sehe mich im Raum um. Draußen kann er nicht bleiben. Es gibt ein kleines Bad mit Toilette, aber dass Kasabian mir morgens beim Pinkeln zuschaut, kommt nicht in die Tüte. Auf einem der Regale steht ein kleiner tragbarer Fernseher. Ich stecke ihn ein, schalte ihn an und fummle an der altertümlichen Dipolantenne. Als ich einen örtlichen Nachrichtensender gefunden habe, stell ich das Gerät in den Schrank, direkt vor Kasabians Birne. »Vielleicht lenkt dich das ein wenig ab.«

Kasabian zieht ’ne Grimasse. »Du bist ein echtes Arschloch, Jimmy.«

»Das war ich doch schon immer, oder etwa nicht?« Ich schließe halb die Tür, dann halte ich einen Moment inne. »Wenn du mich noch einmal Jimmy nennst, nagle ich den Schrank zu. Dann kannst du die nächsten fünfzig Jahre deine Platzangst genießen.«

Die Tür knallt zu, und ich schließe sie ab.

Erschöpft setze ich mich aufs Bett. Die Schmerzen haben noch immer nicht nachgelassen. Alles in allem war es ein ereignisreicher Tag. Ich bin mit nichts als meinen Klamotten hier gelandet, und jetzt hab ich ein hübsches neues Sakko und die Taschen voller Cash. Hab sogar was gefunden, wo ich mir das Gesicht waschen und mich aufs Ohr hauen kann. Schlichtweg fantastisch.

Ich strecke mich auf dem Bett aus, und da fällt mir noch was ein. »Ich bin jetzt wohl im Videogeschäft«, murmle ich.

Verdammt, ich hab sogar ’nen Job!

Eigentlich müsste ich mir noch das Blut abwaschen, das auf meinem Bauch und meiner Brust trocknet, aber als ich versuche aufzustehen, überzeugen mich meine angeknacksten Rippen davon, dass ich bis zum Morgen warten kann.

Ich schlüpfe aus Brad Pitts Sakko und lege mich vorsichtig auf den Rücken. Sobald mein Kopf das Kissen berührt, bin ich im Reich der Träume.

Alice hatte kurzes dunkles Haar und fast schwarze Augen, und rund um ihren Halsansatz waren Rosendornen eintätowiert. Sie war schlank, wodurch ihre Arme und Beine unglaublich lang aussahen. Wir waren seit drei oder vier Wochen zusammen. Als wir eines Nachts in ihrem Bett lagen, sagte sie aus heiterem Himmel: »Ich kann zaubern. Willst du mal sehen?«

»Na klar.«

Nackt sprang sie aus dem Bett. Das Licht der Kerzen und der Straßenlampen glitt über ihren Körper, modellierte die Muskeln, die sich unter ihrer Haut bewegten, und ließ die Tattoos auf ihren Armen, ihrem Rücken und ihrer Brust tanzen wie Geister in einem gespenstischen Ballsaal.

Sie trat vor ihre Frisierkommode und malte sich mit Eyeliner einen kleinen, geringelten Schnurrbart auf die Oberlippe. Als sie wieder zum Bett kam, hatte sie einen Zylinder und ein Kartenspiel in den Händen. Sie hockte sich rittlings auf mich und setzte den Hut auf.

»Wähl eine Karte aus«, sagte sie.

Ich gehorchte. Es war der Karo-Bube.

»Steck sie einfach wieder in den Stapel, egal wo, aber so, dass ich es nicht sehen kann.« Dabei kniff sie dramatisch die Augen zu und wandte den Kopf ab.

»Schon erledigt, Merlin.«

Sie wedelte mit der Hand über den Stapel, murmelte irgendwelchen frei erfundenen Hokuspokus und fächerte die Karten dann mit der Rückseite nach oben auf meinem Bauch auf.

»Ist das deine Karte?«, fragte sie und hob eine hoch.

Es war der Karo-Bube.

»Getroffen!«, sagte ich. »Du bist ein echter Profi.«

»Weißt du, wie ich das geschafft hab?«

»Magie?«

Sie drehte die Karten um, damit ich alle sehen konnte. Es waren zweiundfünfzig identische Karo-Buben.

»Das ist keine echte Magie«, sagte ich.

»Reingefallen!«

»Kein Wunder. Du hast mich abgelenkt.«

»Ich habe die Kraft, Männern den Verstand zu vernebeln.«

»Das will ich nicht bestreiten.«

Samt dem Zylinder und ihrem Schnurrbart schlüpfte sie unter die Decke, und wir liebten uns. Der Hut fiel dabei runter, doch das Bärtchen trug sie bis zum Morgen.

In der nächsten Nacht erzählte ich Alice von der Magie. Ich sagte ihr, die gebe es tatsächlich und ich sei ein Magier. Sie mochte mich so gern, dass sie nicht sofort die Bullen rief, um mich in die Klapse schaffen zu lassen, aber sie sah mich an, als hätte ich mich gerade als König der Schlümpfe geoutet.

Deshalb nahm ich die Flamme von einer der Kerzen, die sie angezündet hatte, und ließ sie über meine Fingerspitzen hüpfen. Ich ließ alte Zeitschriften, ungewaschene Unterhemden und Flyer vom chinesischen Restaurant nebenan vom Boden aufsteigen und formte damit eine weibliche Gestalt, die wie ein Model durch die Wohnung stolzierte. Ich brachte die jaulende Katze meines Nachbarn dazu, Russisch zu sprechen, und setzte Alice’ Tattoos in Bewegung wie kleine Filme.

Sie war begeistert. Wie ein Kind rief sie: »Mehr! Mehr!«

Etwas Ernsthaftes wollte sie allerdings nicht sehen. Jeder normale Typ, dem ich meine magischen Fähigkeiten vorgeführt hatte, hatte Sachen gesagt wie: Wie kann man damit reich werden? Komm, manipulieren wir den Aktienmarkt! Machen wir uns unsichtbar und rauben ’ne Bank aus! Mach uns eine Tarnkappe, damit die Cops uns nicht sehen können.