Höllentrip nach Prag - Marc Palmer - E-Book

Höllentrip nach Prag E-Book

Marc Palmer

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Beschreibung

"Höllentrip nach Prag", ist die Geschichte einer jungen Frau, die von Oberbayern nach Prag ins Rotlichtmilieu verschleppt wurde. Ein ehemaliger Allgäuer Kommissar und ein Rosenheimer Privatdetektiv die sie befreien wollen, geraten in einen gnadenlosen Sumpf aus Lügen, Verrat, Prostitution und Drogen. Nicht einmal der deutschen und tschechischen Polizei können Sie noch trauen. Die Jagd ist eröffnet. - Ein schnörkelloser Thriller, der keine Zeit zum Atem holen lässt - Nervenkitzel pur!

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Seitenzahl: 168

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An alle die jemanden vermissen,

und hoffentlich gesund wieder finden

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

Vorwort:

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig.

Die Regionen und die Seen der Handlung gibt es.

Wenige Schauplätze, wie zum Beispiel Straßen oder Clubs, wurden aus dramaturgischen Gründen dazu erfunden oder geändert. Das Gleiche gilt für einige Behörden, Personen in diversen Clubs, Firmen oder Ähnliches.

1. Kapitel

Zweite Septemberwoche, Kempten im Allgäu.

Montags um neun Uhr zwanzig saß Ex-Kommissar Josef Bierbichler in dem Regionalexpress, der ihn über München nach Bad Aibling bringen sollte. Aufgrund der stressfreieren Anfahrt hatte er sich für die Bahn entschieden und gegen die Fahrt mit seinem eigenen Auto. Der Himmel in Kempten war grau und wolkenverhangen und es regnete leicht, als der Zug abfuhr. Er las die regionale Tageszeitung in seinem Zugabteil und freute sich auf seine Kur in Bad Aibling. In den letzten Wochen hatte er gemerkt, wie sehr ihm daheim die Decke auf den Kopf fiel. Endlich Tapetenwechsel und wieder andere neue Leute um ihn herum, das würde ihm bestimmt seine leicht depressiven Gedanken beseitigen. Der Zug war um diese Zeit erstaunlich voll. Weniger durch Pendler, als vielmehr durch Tagesausflügler, die vom Allgäu gen Oberbayern fuhren. Ihm gegenüber in der Sechser-Sitzgruppe hatte eine junge Dame Platz genommen. Unterhaltung kam aber kaum eine auf, sie zog es vor, vorwiegend an ihrem Smartphone zu spielen. Er vertiefte sich deshalb in den Sportteil seiner Zeitung. Seine zwei großen Koffer hatte er über den Express-Service der Bahn schon zwei Tage zuvor holen lassen, sodass er nur einen kleinen Rucksack und eine Umhängetasche dabeihatte. Kurz vor Buchloe sendete er seiner geliebten Tochter Jenny, die in München studierte und wohnte, eine SMS. Sie hatte die schrecklichen Ereignisse mit der grausamen Entführung am Schrecksee mittlerweile ganz gut verarbeitet. Mit dazu beigetragen hatte sicherlich auch ihr neuer Freund Alex, der siebzig Kilometer von ihr entfernt in der Nähe von Ingolstadt wohnte. Er war knapp dreißig und arbeitete als Ingenieur bei BMW. Sie hatten sich im Englischen Garten in München im Juli kennengelernt.

„Wohin sind Sie denn unterwegs?“, riss ihn auf einmal die junge Dame gegenüber aus seinen Gedanken.

„Nach Bad Aibling, und Sie?“

„Nach Rosenheim. Da haben wir ja die nächsten zweieinhalb Stunden die gleiche Strecke“, bemerkte sie.

Erst jetzt sah er sie etwas genauer an. Sie war blond und schlank, höchstens Anfang dreißig. Zu einem pinkfarbenen T-Shirt trug sie eine Jeans und flache Sandaletten. Ihr Gesicht hatte leicht rote Wangen und eine kleine Stupsnase. Ihr Atem verriet Bierbichler, dass sie Raucherin war.

„Machen Sie Urlaub in Rosenheim?“, setzte er die Unterhaltung fort.

„Ja, im Hotel meiner Eltern. Sie betreiben seit fünfzehn Jahren am Stadtrand ein kleines Hotel mit achtundsechzig Betten.“

„Oh, wie praktisch. So kommt man zu Gratis-Urlauben. Stammen Sie aus dem Allgäu?“

„Ja, meine Eltern hatten zuvor ein Hotel in Pfronten. Sie stammen aus dem Ostallgäu. Ich bin vor sechs Jahren nach Kempten gezogen, wegen meines damaligen Freundes. Ich fand auch gleich einen Job. Der ist mir bis heute geblieben, der Freund leider nicht.“

Bierbichler erstaunte ihre Offenheit.

„Und was machen Sie in Bad Aibling?“, fragte sie. „Ich mache eine vierwöchige Kur.“

„Oh, toll, das ist eine wunderschöne Ecke, dieses Chiemgau. Wegen meiner Eltern war ich schon oft hier. Es ist fast schöner als im Allgäu.“

Als sie in Buchloe anhielten, wurde der Zug dann fast voll. Vier weitere Fahrgäste füllten auch ihr Abteil. Zwei Herren mit Aktentasche und ein älteres Paar nahmen Platz. Die Männer zogen ihre Tablets raus und das ältere Ehepaar bevorzugte die Aussicht aus den Fenstern.

Aufgrund der neuen Fahrgäste verlief die Weiterfahrt nach München eher ruhig und gediegen. Die neuen Fahrgäste waren nicht sonderlich gesprächig. Zehn vor elf erreichte der Zug dann den Münchner Hauptbahnhof. „Leisten Sie mir nach dem Umsteigen auf den anderen Zug wieder Gesellschaft?“, nahm die junge Dame die Konversation wieder auf.

„Gern“, antwortete er. „Übrigens, mein Name ist Sepp Bierbichler.“

„Angenehm, ich bin die Sarah.“

Er überlegte, ob er es auf der Weiterfahrt wagen sollte, sie anzusprechen. Aber die Vernunft siegte, schließlich war er gut doppelt so alt wie sie und zum Zweiten, was boten sich denn im Kurhotel noch alles für Gelegenheiten? Er beschloss sich dezent zurückzuhalten. Um zwei nach elf ging der Regionalexpress nach Salzburg weiter. Diesmal waren sehr wenige Fahrgäste im Zug. Sarah und Bierbichler bestiegen gemeinsam das Abteil und saßen wieder zusammen. Ein Abteil weiter hörten sie lautstark zwei grölende Jugendliche. Als der Zug seine Fahrt fortsetzte, ermahnte sie der Schaffner, dass sie sich doch etwas ruhiger verhalten sollten. Sarah hatte sich beim kurzen Zwischenstopp drei Butterbrezen mitgenommen und bot Bierbichler eine an. Er nahm dankend an und fand, es war Zeit, ihr jetzt das „DU“ anzubieten. Erneut vernahmen sie das laute Grölender zwei jungen Burschen. Bierbichler schätzte sie auf höchstens achtzehn.

„Die werden doch hoffentlich während der Fahrt keinen Ärger machen“, sagte Sarah leicht verängstigt. Er hatte ihr bewusst noch nichts von seinem ehemaligen Polizeidienst erzählt. Sie hörten, dass einer der beiden Jugendlichen einen Fahrgast anpöbelte. Eine ältere Frau bat ihn, doch damit aufzuhören. Die beiden wurden dadurch aber nur noch mehr angestachelt. Der Zugbegleiter versuchte wieder sie zur Einsicht zu bewegen.

„Halt’s Maul“, schrie ihn dann einer der beiden an. „Sonst gibt’s was auf die Fresse!“

Bierbichler spürte, dass eine Eskalation jetzt unvermeidbar war. Er winkte den jetzt immer hilfloseren Zugbegleiter zu sich. Dieser drehte sich in seine Richtung und ging los. Er kam nicht weit. Einer der beiden stellte ihm von hinten ein Bein, er stolperte und verlor das Gleichgewicht. Bierbichler reagierte blitzschnell, stand auf und konnte den Mann gerade noch abfangen, bevor er aufschlug. „Danke“, stieß der sichtlich geschockte Schaffner hervor. Bierbichler wuchtete ihn wieder hoch und merkte, dass der Mann zitterte, als er ihn wieder aufrichtete.

„Rufen Sie sofort die Bundespolizei, bevor die zwei noch völlig ausrasten“, sagte er zu ihm.

Der Mann begriff den Ernst der Lage und holte sein Telefon hervor. Die Jugendlichen bekamen das mit und standen jetzt beide auf. Einer stierte Bierbichler an und meinte: „Eh Alter, was mischst du dich hier ein? Willst auch was aufs Maul?“ Er roch, dass beide alkoholisiert waren.

„Gebt Ruhe, ihr zwei, sonst werdet ihr in zehn Minuten abgeführt.“

Sarah saß zitternd auf ihrem Polster und verfolgte mit Angstschweiß auf der Stirn das weitere Geschehen. Beide Jugendliche schritten jetzt bis auf eineinhalb Meter auf Bierbichler zu.

„Jetzt gibt’s was auf die Rübe, Alter!“

Sie starrten ihn an und stellten sich breitbeinig vor ihm hin. Beide waren um die eins achtzig, schlank mit kurz geschorenen Haaren. Einer hatte eine Narbe am Kinnwinkel.

„Bleibt vernünftig, Jungs“, versuchte er die beiden nochmals zu beschwichtigen. Er wusste, dass das jetzt nichts mehr ändern würde. Wie er nicht anders erwartet hatte, hielten sich die anderen Fahrgäste lammfromm zurück. Aus Erfahrung der letzten Jahrzehnte wusste er, dass mindestens fünfundneunzig Prozent der Leute in solchen Situationen Angst hatten zu helfen und auf den „anderen“ warten würden. Wer das auch immer sein mochte. Der Ex-Kommissar wusste, dass der erste Schlag von ihm sitzen musste, sonst würde es schlecht ausgehen für ihn. Der Erste der beiden trat noch näher an ihn ran. Mit dem Handballen wollte er Bierbichler gegen die Brust stoßen, vermutlich um ihn einzuschüchtern. Dieser blieb aber mit seinen neunzig Kilo stehen wie ein Fels in der Brandung und ging sofort zum Gegenangriff über. Blitzschnell schoss seine rechte Hand vor und traf den Jungen an der Gurgel. Dieser glaubte wahrscheinlich, dass so ein „alter Mann“ in Ehrfurcht erstarren würde, wenn zwei so Typen vor ihm stünden. Der Schlag traf aber hart und wuchtig, und der Junge griff sich mit einem Aufschrei an den Kehlkopf. Ungläubig taumelte er etwas zurück. Sein Freund stürzte sofort vor und holte mit seinem rechten Arm aus. Bevor er aber einen Faustschlag anbringen konnte, kam von der Seite etwas gegen seine Schläfe gedonnert. Bierbichler bekam unerwartet Hilfe von seiner Sitznachbarin! Sarah hatte sich unbemerkt von den beiden den Regenschirm eines Fahrgastes geschnappt und schlug mit voller Wucht gegen den Schädel des Jungen. Der Handgriff des Schirmes schlug so hart bei ihm auf, dass bei dem Typen die Haut aufplatzte. Eine Blutfontäne spritzte in die Luft. Er sackte sofort zur Seite und knallte auf den Boden. Einige der Fahrgäste schrien vor Schreck auf. Dann war der Spuk vorbei, der Zug hielt an und drei Bundespolizisten stürmten zu den beiden Schlägern.

2. Kapitel

Zur gleichen Zeit in Bad Aibling.

Tina Probst hatte heute ihren freien Tag. Sie war seit fünf Jahren als Physiotherapeutin in der Rehaklinik Wendelstein tätig. Da sie alle vierzehn Tage auch samstags arbeiten musste, hatte sie als Ausgleich dafür montags frei. Wegen des bewölkten Wetters beschloss sie heute wieder mal in die Therme in Bad Aibling zu gehen. Die 2008 eröffnete riesige Anlage war eines der Highlights des beliebten Kurortes. Tina war fünfundzwanzig Jahre, eins sechsundsiebzig groß und schlank. Trotz durchtrainierten Körpers hatte sie bei nur zweiundsechzig Kilo eine sehr große Oberweite. Was sie immer wieder mal störte, vor allem bei all ihren vielen sportlichen Betätigungen. Sie trug ihr dunkelblondes langes Haar heute als Pferdeschwanz. Vor acht Monaten hatte sie sich dümmlicherweise in der Klinik mit einem Arzt auf eine Affäre eingelassen. Gott sei Dank hatte sie sich nach vier Treffen wieder von ihm verabschiedet. Als Zweitfrau erschien ihr auch kein Arzt dauerhaft interessant genug. Vor allem am Arbeitsplatz würde dies nur unnötigen Stress verursachen und den ersparte sie sich lieber. Bei schönerem Wetter wäre sie an den acht Kilometer entfernten Simssee gefahren, das war aber bei dem Dauergrau am Himmel uninteressant. Die Temperatur lag auch nur bei knapp fünfzehn Grad. Also, eigentlich ideal für die schöne Saunalandschaft der Therme.

An diesem Montag war nicht allzu viel los in der Therme, was Tina sehr gefiel. Dann musste sie in der Sauna nicht so viele gierige Männerblicke ertragen. Meistens ging sie nur in die Damensauna, außer es war so wenig los wie heute, dann wagte sie sich auch „gemischt“. Nachdem sie am Arbeitsplatz oft ein hektisches Treiben hatte, genoss sie es, in der Freizeit lieber wenig Menschen um sich herum zu haben. Nachdem sie ein paar Runden unter der großen Thermenkuppel geschwommen hatte, packte sie ihre Tasche und ging in die großzügige Saunalandschaft. Auch hier war es relativ ruhig. Sie zog ihren Badeanzug aus, duschte und ging zuerst in die Eukalyptussauna. Dort saß nur eine einzelne ältere Frau und grüßte sie recht freundlich. Nach fünf Minuten war sie überall feuchtwarm und es tropfte von ihrem ganzen Körper. Die ältere Dame ging nach draußen und ein hochgewachsener junger Mann betrat die Sauna. Er war vielleicht Anfang dreißig und grüßte sie fast leise schüchtern. Nach zwei Minuten traute er sich dann zaghaft Tina anzusprechen:

„Welche Sauna kannst du mir denn für den nächsten Gang empfehlen? Ich bin heute zum ersten Mal hier.“

Sie musterte ihn zaghaft und konnte feststellen, dass es ein attraktives, gutbestücktes Kerlchen war. Bestimmt eins fünfundneunzig, durchtrainiert mit glattem, kantigem Gesicht. Könnte fast der jüngere Bruder von Wladimir Klitschko sein, dachte sie sich.

„Also, ich geh danach meist in das Eisdampfbad. Und später auf alle Fälle noch in die Moor- und Kelosauna. Wenn du willst, kannst du dich ja dazugesellen. Zwischendurch geh ich aber mal in das Becken und schwimme nach draußen. Dann lass ich mich von den Düsen massieren. Und wenn ich mal eine halbe Stunde auf der Liege bin, brauche ich auch meine Ruhe. Also, jetzt kennst du fast mein ganzes Programm.“ Amüsiert sah er sie an. Er hatte braune Augen und kurzes schwarzes Haar.

„Abgemacht. Ich bin dabei.“

Im weiteren Verlauf des Gespräches erfuhr sie, dass er Pascal hieß und mit einem Freund eine Woche Urlaub in Kolbermoor machte. Sein Freund zog es heute vor, auf den Wendelstein zu gehen, trotz der diesigen Aussicht. Nachdem sie die nächsten drei Stunden fast nur noch gemeinsam verbrachten, lud sie Pascal im Restaurant der Therme später zum Essen ein. Dort erzählte er einiges aus seinem Leben und dass er in der IT-Branche arbeiten würde. Eigentlich keine schlechte Partie, dachte sie sich, aber halt ein Urlauber und die wollten meistens nur das „Eine“. Nachdem er sie einlud, zwei Tage später mit ihm zum Essen zu gehen, ging sie darauf ein. Wie konnte sie auch ahnen, dass dieser Abend und diese Nacht ihr Leben entscheidend verändern sollten. Leider nicht zum Positiven.

3. Kapitel

Die Situation im Zug hatte sich beruhigt und entspannt. Die drei Beamten der Bundespolizei hatten den zwei jungen Schlägern Handschellen angelegt und führten sie ab. Einer der beiden, den Sarah brachial erwischte, musste notärztlich behandelt werden. Als der Zug nach der Haltestation Bruckmühl wieder Fahrt aufnahm, meinte Sarah kess:

„Sie sind ja ganz schön mutig und gut drauf. Hätte ich Ihnen ehrlich gesagt gar nicht zugetraut.“

„Na ja, ich war fast fünfunddreißig Jahre bei der Polizei. Da lernt man schon den ein oder anderen Handgriff und Schlag kennen. Was meinen Sie, wie oft man in solch bedrohliche Situationen kommt. Aber ohne Ihre schlagkräftige Hilfe hätte ich im weiteren Verlauf aber bestimmt alt ausgesehen, im wahrsten Sinne des Wortes. Und die anderen Fahrgäste waren alle zu feige, um einzugreifen. Traurig, aber meistens so.“

„Auf jeden Fall, Herr Bierbichler, sollten Sie bei Ihrer Kur mal einen Abstecher nach Rosenheim machen, sind Sie jederzeit in unserem Hotelrestaurant herzlich eingeladen.“

„Da komme ich bestimmt noch gern darauf zurück. Rosenheim ist ja nur ein Katzensprung von Bad Aibling entfernt. Ich bin jetzt nämlich gleich da.“

Drei Minuten später hatten sie Bad Aibling erreicht. Sarah fiel Bierbichler zum Abschluss noch schnell um den Hals und steckte ihm eine Karte des Hotels zu. Dann nahm er seine Tasche und seinen Rucksack und stieg aus dem Zug. Ein kleiner Hotelbus holte ihn ab und brachte ihn zu seiner Unterkunft. Das zwei Kilometer entfernte Hotel Kindl war ein renommiertes Kurhotel mit bestem Ruf. Es war im Ortsteil Harthausen, wo fast alle großen Kliniken und Hotels lagen. Dort checkte er ein und bezog ein komfortables Doppelzimmer mit Balkon. Seine Koffer waren auch bereits geliefert und auf dem Zimmer. Er verstaute sein Equipment, zog sich um und legte sich mit seiner Unterhose auf den Balkon. Die Temperatur lag bei angenehmen dreiundzwanzig Grad, mehr als genug, um noch zwei Stunden auf dem Balkon zu verbringen. Er atmete tief ein und genoss die herrliche Aussicht auf die Chiemgauer Alpen, die heute zum Greifen nah erschienen. Um achtzehn Uhr dreißig zog er sich um und ging runter zum Abendessen. Ihm wurde ein Tisch für zwei Personen zugeteilt, direkt an der großen Glasfront, die zur Liegewiese des Hotels zeigte. Da er eine Pauschale mit kalorienreduzierter Kost gebucht hatte, bediente er sich nicht am Buffet, sondern bekam eine fettarme Nudelsuppe mit einem Schälchen Magerquark. Als er genüsslich an seiner Suppe löffelte, gesellte sich sein Tischnachbar zu ihm. Mit einem Grinsen kam ein Mann Ende sechzig an den Tisch: „Schönen guten Abend, mein Name ist Peer Schröder.“

„Angenehm, Sepp Bierbichler.“

„Klingt so typisch Bayerisch der Name, nehme an, Sie sind aus dem Süden?“

„Ja, aus Kempten im Allgäu, und Sie?“

„Ich bin aus der Nähe von Hannover.“

Sie quatschten noch belangloses Zeug und Bierbichler dachte sich, warum er ausgerechnet einen Mann an seinen Tisch bekam, wo doch noch mindestens sieben Frauen alleine an den Tischen saßen. Schröder gab an, dass er bereits zum neunten Mal in Bad Aibling war, und gab ihm einige Tipps für seinen Aufenthalt.

„Und dann hab ich noch einen guten Vorschlag zum Ausgehen am Abend. Nicht weit weg von hier, vielleicht zweihundertfünfzig Meter entfernt, befindet sich das Tanzcafé Hubertus. Da ist von Donnerstag bis Sonntag ab zwanzig Uhr immer die Hölle los. Da hab ich schon am Wochenende einige interessante Bekanntschaften gemacht. Bis Ende September haben sie auch mittwochs auf, weil die Kliniken und Hotels gut gebucht sind. Hätten Sie Lust mitzugehen?“

„Mittwochabend?“

„Ja, so gegen zwanzig Uhr dreißig, sonst kriegen wir keinen Platz mehr. Vielleicht schließt sich ja noch jemand an. Sehen Sie die Dame, vier Tische weiter, rechts von Ihnen?“

„Ja, die Frau mit der Brille und hochgestecktem Haar?“

„Genau die. Ich hab sie am Wochenende kennengelernt. Eine sehr Tanzfreudige, die geht bestimmt auch mit.“

Bierbichler sah sie an, aber sie war vertieft in eine Prospektlektüre. Sie durfte etwa Mitte fünfzig sein, trug ein Kleid mit Blümchenmuster und hatte eine üppige Oberweite.

„Wir werden uns ja bis Mittwoch noch öfter sehen, da lernen Sie die Gisela bestimmt noch kennen.“

Sie redeten noch eine Stunde, bis Bierbichler sämtliche Lokalitäten im Ort kannte, wo es gutes Essen und nette Damen gab. Als sie sich bei einem Bier zuprosteten, duzten sie sich. Nach dem zweiten Glas Weißwein verabschiedete sich Bierbichler und ging aufs Zimmer. Fürs Erste wusste er genug. Die Voraussetzungen für eine vergnügliche Kur waren gegeben nach dem unangenehmen Zwischenfall im Zug. Nur sollte alles noch viel schlimmer kommen.

4. Kapitel

Jenny Bierbichler und ihr neuer Freund Alex Bittl waren ein Herz und eine Seele. Sie waren erst seit fünf Wochen zusammen, aber die Zuneigung war sehr groß. Er hatte viel Verständnis für ihre anfängliche Schüchternheit, hatte sie doch in der Hütte in den Allgäuer Alpen Schreckliches erlebt. Er kannte die ganze Geschichte und hoffte, dass sie sich die nächsten Wochen mehr öffnete und wieder Vertrauen fand in eine neue Beziehung. Alex hatte viel Zeit und Geduld investiert, um sie wieder moralisch und seelisch aufzubauen. Alex hatte Jennys Vater bisher noch nicht persönlich kennengelernt. Sie hatte zwar schon häufig von ihm gesprochen, aber zu einer Vorstellung kam es bisher noch nicht. Das sollte sich jetzt aber ändern. Zum einen hatte sie genügend Vertrauen in Alex, dass die Beziehung länger ging, zum anderen war die ideale Gelegenheit, ihn auf seiner Kur am Wochenende in Bad Aibling zu besuchen. Sie hatte ihm die Kur empfohlen, da sie merkte, dass er daheim in Kempten Langeweile und auch Einsamkeit empfand. Sie hoffte, dass er in anderer Umgebung und mit neuen Bekanntschaften wieder den Spaß am Leben fand. Sie saßen zusammen auf ihrer Couch in ihrem kleinen Studentenappartement in München-Bogenhausen.

„Also, ich hab mit meinem Vater gesprochen. Er wäre erfreut, wenn wir ihn am Sonntag besuchen. Wir holen ihn an seinem Hotel ab und fahren entweder an den Chiemsee oder nach Salzburg. Je nachdem, wie das Wetter mitspielt.“

„Ja, gute Idee, ich war eh noch nie im Chiemgau und in Salzburg. Hab bisher leider die Costa Brava bevorzugt“, meinte er grinsend.

„Am Chiemsee könnten wir ja auch eine Schifffahrt machen, der See ist ja riesig“, meinte sie und schenkte ihm sein Glas mit Cola ein.

„Gerne. Bin ja ganz gespannt auf deinen Dad, nachdem du so viel von ihm erzählt hast.“

„Aber eine Bitte, Alex, sprich ihn nicht auf den Vorfall am Schrecksee an oder auf seine Polizeizeit. Das macht eher eine betrübliche Stimmung.“

„Okay, hätte ich eh nicht gemacht.“