Moormörder - Marc Palmer - E-Book

Moormörder E-Book

Marc Palmer

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Beschreibung

"Moormörder" ist eine wahre Geschichte, die sich in den 60er-Jahren in England ereignet hat. Autor Marc Palmer adaptierte die Story jedoch ins Allgäu. Namen, Regionen und sonstige Beteiligte, wurden deshalb namentlich verändert. Hollywood überlegt zurzeit eine Verfilmung im Jahr 2020. (Quelle; TV-Media, 5/2019)

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Moormörder

Titelseite„Folie a` deux“MOORMÖRDERPROLOGEPILOGImpressum

„Folie a` deux“

Zwei Menschen leben in einer symbiotischen Bezieh-ung gemeinsam ihre krankhaften Fantasien aus. Tatsächlich entfaltet sich oft erst durch dieses Zu-sammentreffen das mörderische Potential der beiden. Die gemeinsame, psychotische Störung, auch als in-duzierte wahnhafte Störung bezeichnet, ist die psycho-tische Ansteckung einer geistesgesunden, in der Regel aber seelisch labilen Person durch einen Psychose- Erkrankten. Die Moormörder sind das Paradebeispiel für solch eine psychopathische Beziehung.

Der Begriff „Folie a` deux“ wurde von Ernest-Charles Lasegue und Jules Farlet geprägt. Sie beschrieben dieses Phänomen in einem 1877 gemeinsam ver-öffentlichten Artikel. Lasegue war ein französischer Neurologe, Epidemiologe und Medizinhistoriker. Jules Farlet ein französischer Psychiater.

Quelle und detaillierte Erklärung: www.psychosoziale Gesund-heit.net und Wikipedia.

Impressum:

Deutsche Originalausgabe

Alle Rechte vorbehalten

Herstellung und Verlag:BoD - Books on Demand GmbHIn de Tarpen 32, 22848 Norderstedtwww.bod.de

Copyright (Bild/Text): Wolfgang HillerISBN: 978 3 - 746 - 080 - 734Nationaler und Internationaler Vertrieb:Books on Demand GmbH

Deutsche Erstauflage: August 2019

Marc Palmer

MOORMÖRDER

THRILLER

Zum Autor:

„Marc Palmer“ ist das Pseudonym eines Allgäuer Autors. Er hat in den letzten acht Jahren, vier Wanderbücher und mehrere Krimis veröffentlicht. „MOORMÖRDER“ ist sein aktuellster Thriller. Für Oktober 2020 ist die nächste Neuerscheinung geplant.

Vorwort zum Roman:

Die Geschichte ist teilweise real, teils fiktiv. „Teilweise“ deshalb, da die wahre Story ins Allgäu adaptiert wurde. Die Verbrechen er-eigneten sich zwischen 1963 - und 1965 in England, in der Nähe von Manchester. Die benannten Personen, Regionen und Einrich-tungen wurden deshalb umbenannt. Die Moore spielen tatsäch-lich eine wichtige Rolle in der realen Geschichte. Die grausamen Verbrechen ziehen noch nach 55 Jahren einige Regisseure in ihren Bann, deshalb wird von einem bekannten Hollywood-Studio auch über eine Verfilmung nachgedacht.

(Quelle: TV-Media, Ausgabe 4/2019). Über eine der Protagonisten gab es bereits eine englische TV-Verfilmung aus dem Jahre 2003.

PROLOG

Bezirkskrankenhaus Kaufbeuren. Forensische Abteilung für psychisch kranke und kriminelle Patienten

15. Mai 2017, 9 Uhr

Bernd Staller verrichtete seinen ersten Arbeitstag in der neugeschaffenen Abteilung im Bezirkskrankenhaus. Im Westflügel wurde nach 2-jähriger Bauzeit erst im April ein Kontrakt eröffnet, um die ständig überfüllten Kliniken in Südbayern, vor allem in Augsburg zu entlasten. Eine Ein-richtung dieser Art gab es kein zweites Mal im Allgäu. Große Bezirkskrankenhäuser für psychisch Kranke waren auch in Bayern absolute Mangelware. Die Klinik selbst existierte bereits seit weit über 100 Jahren, und wurde bis spät in die Siebzigerjahre auch im Volksmund gern als „Irrenhaus“ bezeichnet. Im 2. Weltkrieg wurden sogenann-te Euthanasie-Verfahren durchgeführt, um behinderte und psychisch kranke Menschen sowie KZ-Häftlinge systema-tisch zu töten. Erst spät in den Achtzigerjahren fand dazu eine Aufarbeitung dieser grausamen Verbrechen statt. In den letzten 30 Jahren wurde die Klinik ständig modernisiert und erweitert, und verfügte mittlerweile über 220 voll- und 25 teilstationäre Behandlungsplätze.

Bernd Staller erfuhr dass alles erst, als er sich die letzten Wochen - hauptsächlich durch Internet-Recherche - , über seinen neuen Arbeitsplatz informierte. Schließlich musste man wissen worauf man sich einließ, bevor wenn man den Arbeitgeber wechselte. Hauptgrund seines Wechsels aus Augsburg hierher, waren ausschließlich private Gründe. Erst Anfang des Jahres kam er seiner Frau auf die Schliche, die seit geraumer Zeit ein Verhältnis mit seinem Vorgesetzten und Chefarzt Timmermann pflegte. Höchste Zeit für eine Trennung und Tapetenwechsel, da mehrere Aussprachen mit seiner (Noch)-Ehefrau zu keinem befriedigenden Ergeb-nis führten.

„Hallo, Bernd Staller?“ Ein Mann um die vierzig kam auf ihn zu. Er war fast zwei Meter hoch, hatte einen kleinen Bauch-ansatz und muskelbepackte Arme, die fast sein weißes T-Shirt sprengten. Sein vermutlich dunkles Haar hatte er auf wenige Millimeter gestutzt. Oberhalb seiner linken Augen-braue hatte er eine fleischfarbene, vier Zentimeter lange Narbe.

„Treffer“, erwiderte Staller lächelnd und reichte ihm seine Hand. „Du bist bestimmt Felix Hofer, mein Einweiser.“

Sie hatten bereits im Vorfeld zweimal ausführlich mit-einander telefoniert. Bernd Staller hatte in Rekordzeit auf seine Bewerbung Resonanz erhalten, denn Krankenpfleger waren auf dem Arbeitsmarkt extrem rar, und Bezirks-krankenhäuser äußerst unbeliebt unter den Pflegekräften. Staller war gelernter Krankenpfleger mit Zusatzausbildung, speziell für diese schwierige Patientengruppe, bei denen Übergriffe auf das Personal mindestens zehnmal so hoch waren, als bei „normalen“ Patienten. Felix Hofer hatte ihn bereits ausführlich darüber in Kenntnis gesetzt, dass in der Kaufbeurer Klinik durch die neue Abteilung, auch Schwer-verbrecher eingewiesen wurden. Bei dieser „Gattung“ von Menschen, waren die Grenzen zwischen hochkriminell und schwergestört oft fließend, sodass vor allem Gutachter im-mer wieder vor neue Herausforderungen gestellt wurden.

„Bevor ich dir die einzelnen Abteilungen genauer zeige, müssen wir uns zuerst um einen besonders schweren Fall kümmern, den wir letzten Monat bekommen haben“, sagte Hofer und zog Staller leicht am Arm mit.

Sie gingen einen vierzig Meter langen Gang entlang, der zum Neubau-Trakt führte. Man roch die frisch gemalten weißen Wände, die im Licht der Sonnenstrahlen durch die Vollverglasungen noch leuchtender wirkten. Vor einer grau-en Stahltür mit einem zwanzig Zentimeter breiten Sicht-fenster auf Augenhöhe, blieben sie stehen. „Es gibt nur 8 Zimmer hier, die solche Stahltüren und Sichtfenster aus Panzerglas haben“, klärte ihn Hofer auf. „Da sind die ganz schweren Fälle, die kaum noch therapierbar sind. Banal gesagt, der absolut schwachsinnige, hochkriminelle Ab-schaum. Täter, die sich auch noch nach vielen Jahren ihre Taten nicht schämen und für unschuldig halten. Unbelehr-bare Idioten, für die der Steuerzahler bis zu ihrem Tod aufkommen muss. Zu 99,9 % Männer, die zuvor in anderen Einrichtungen waren, und dem Personal schwer zu schaffen gemacht haben.“

„Inwiefern?“, fragte Staller.

„Sie griffen aus Frust das Personal an, verweigerten Medi-zin und Nahrung. Dieser alte Mann hier, geht zwar auf die achtzig zu, ist aber immer noch brandgefährlich. In der letzten Anstalt hat er mit einem Plastikmesser einer Pfle-gerin fast das Auge ausgestochen. Seit wir diesen neuen Kontrakt haben, kriegen wir solche Fälle, die nirgend wo mehr jemand haben will. Das haben wir dem Minister-präsidenten und dem Landrat im Ostallgäu zu verdanken, die haben sich darauf verständigt, wenn der Freistaat die Kosten trägt. Schau mal hinein, Bernd.“

Staller presste seine Nase an das Glas. Er sah ein karg ein-gerichtetes Zimmer, keine 15 Quadratmeter groß. Tisch, Stuhl, kleiner Schrank, Waschbecken und ein Bett, auf dem ein Mann lag. Ein alter Mann, unübersehbar, der nur noch aus Haut und Knochen zu bestehen schien. Schlohweißes, volles Haar, zerfurchtes Gesicht, geschlossene Augen. „Ist er krank?“, fragte Staller.

„Der tut nur so.“

„Warum?“

„Es ist kaum zu glauben“, erwiderte Hofer, „aber der Mann bettelt seit Jahren darum, dass er sterben darf, obwohl er sich für unschuldig hält. Hat keinen Lebensmut mehr und redet auch mit keinen Mitgefangenen, äh … Patienten.“

„Besucht ihn überhaupt irgendjemand?“

„Kein Mensch.“

„Keine Angehörigen, Freunde?“

„So ein Mensch hat keine Freunde, und seine Angehörigen sind bestimmt schon seit vielen Jahren tot.“

„Er scheint zu schlafen“, stellte Staller fest.

„Der tut oft nur so. Du darfst dich auch nicht von seinem gebrechlichen Äußeren täuschen lassen. Der Alte ist ge-meingefährlich und hinterfotzig ohne Ende. Auch der letzte Anstaltsleiter hat uns eindringlich vor ihm gewarnt. Heut Nachmittag müssen wir uns um ihn kümmern. Zuvor zeige ich dir aber noch die anderen Abteilungen und Zimmer.“

„Was meinst du mit kümmern?“, wollte Staller wissen. „Er-zähl mir doch mal, was der Mann verbrochen hat. Weshalb sitzt er so lang in den Anstalten?“

„Bernd, das ist eine lange Geschichte. Ich kenn sie nur des-halb so gut, weil mein Vater sie mehr als einmal erzählt hat, der ist nur sechs Jahre jünger als dieser Greis.“

„Okay, und was machen wir jetzt später mit dem Alten?“

„Ganz einfach, du wirst ihn festhalten, und ich werde ihm eine Infusion verpassen, gleich nach der Betäubung. Aber, wie gesagt, erst nach der Mittagspause.“

Staller sah ihn ungläubig an. Dieser seltsame Patient weckte in ihm das Bedürfnis mehr zu erfahren. Eine starke Neugier befiel ihn, auch wenn er ahnte, dass der Mann mit Sicher-heit schreckliches getan haben musste. „Warum bekommt er eine Infusion?“, fragte er.

„Nahrungsverweigerung! Aber, jetzt lass uns weitergehen, mittags erfährst du die ganze Geschichte.“

Drei Stunden später als sie in der Kantine saßen, verging Bernd Staller der Appetit, als er erfuhr, wer der Gefangene war und was er getan hatte. Eine wahre Story, die ihm noch viele schlaflose Nächte bereiten sollte.

1

54 Jahre zuvor im Juli. Ofterschwang (Allgäu)

Das Tiefenberger Moos gehört zu den abwechslungsreichs-ten und schönsten Hochmooren im Allgäu. Auf achthundert Meter Meereshöhe tummelten sich hier die letzten Schwarzstörche der Region, und im dunklen sauren Moor-wasser war eine Armee von Moorfröschen und veranstal-tete ein Quak-Konzert. Es war Juli und keine Wolke trübte den stahlblauen Himmel, bei neunundzwanzig Grad und windstiller Luft. Interessiert beäugte Christian Berger, wie sich ein lila-bläulich gestreiftes Männchen mit einem brau-nen Froschweibchen paarte. Neben ihm stand Karl Brauer und stieß ihn mit seinem Ellenbogen gegen den Oberarm. „Tja“, seufzte Brauer, „Fröschen beim Bumsen zuzusehen, wird hier wohl bald der Vergangenheit angehören.“

Berger sah ihn an und zuckte mit der Schulter. „Glaubst du wirklich, dass wir nur durch das Anlegen des Wanderweges, hier das ganze Tierparadies zerstören?“

„Möglich wär`s. Schau dir das Werdensteiner Moos bei Im-menstadt mal an. Das war vor 100 Jahren auch mal ein Tier- und Pflanzenparadies, jetzt schaut`s aus wie eine Mischung aus Urwald und Müllhalde. Zuerst wird das Moor durch die Bahnlinie zerstört, dann glaubten die Landwirte sie kriegen neues Ackerland für Getreide und Kartoffeln. Bis die dum-men Bauern feststellen mussten, dass sich dieser saure, weiche Boden dafür überhaupt nicht eignete.“

Berger sah ihn an und tippte ihm mit dem Zeigefinger gegen die Brust. „Nicht so pessimistisch, Karl. Wir planen hier nur einen circa drei Kilometer langen Wanderweg, und bringen ein dutzend Schautafeln an. Das macht keine 10 Prozent des Terrains hier aus. Das ist nur ein winziger Bruchteil dessen, was zurzeit an neuen Landstraßen und Autobahnen gebaut wird. Die verschandeln das Land tau-send Mal mehr. Außerdem gehören die 50 Hektar hier, der Gemeinde Ofterschwang, die haben gar kein Interesse das hier Gewerbe und Industrie entsteht. Die wollen hier ein schönes Wandergebiet für ihre immer größer werdende Schar an Touristen. Da wird höchstens noch das ein oder andere Hotel gebaut, aber auf der Südseite drüben, wo der Boden fester ist.“ Er zog einen Meterstab aus seiner blauen Latzhose. „Gut, aber jetzt würde ich sagen, beschäftigen wir uns wieder mit dem Weg.“ Er faltete seinen Meterstab auf und ging in die Hocke. Dann sah er zu Karl Brauer hoch. Etwas im Gesicht von Brauer hatte sich plötzlich schlagartig verändert. Hatte er einen Wolf gesehen? Sein blasses Ge-sicht hatte auf einmal rote Züge und seine Augen waren schreckgeweitet. Sein Mund war weit geöffnet, aber er sagte nichts, starrte nur.

Berger stieß ihn leicht gegen die Kniescheibe. „Sag mal, was ist denn los? Hast du einen Bär gesichtet? Was glotzt denn so komisch?“

Brauer blieb stumm wie ein Fisch, starrte fast unentwegt in die gleiche Richtung, dann hob er ganz langsam den Arm. Mit dem Zeigefinger, der langsam zu zittern begann, zeigte er in das schwarze, glitzernde Moorwasser. „Da ist … was“, stotterte er leise.

„Was? Wo?“, fragte Berger.

„Da vorn, schau. Da treibt was.“

„Ich seh nix. Ach, jetzt seh ich`s.“ Berger sah etwas, das wie ein Hosenbein aussah, an der Wasseroberfläche schwim-men. „Nimm einen Ast oder sowas ähnliches, wir können unmöglich ins Wasser treten.“

Keine zehn Meter vor Ihnen schwamm etwas, dass dort de-finitiv nicht hineingehörte. Brauer sah sich hektisch um, und brach an einer Birke ein langes Aststück ab, das vielleicht zwei Meter lang war. „Damit komm ich hin“, meinte er, trat etwas nach vorn, und versuchte mit dem Astende an das schwimmende Teil zu kommen. Er kam nicht ganz hin, aber im Schneckentempo trieb das Teil langsam auf ihn zu. Er trat einen Schritt in die kalte, dunkle Brühe und streckte sich. Jetzt! Mit dem Astende kam er hin und konnte es lang-sam zu sich ziehen. Er musste aufpassen nicht nach vorn zu kippen. Wahrscheinlich war das Wasser nicht so tief, aber mit dem ganzen Körper im Wasser landen wollte er bestimmt nicht, er hatte nicht einmal Ersatzklamotten da-bei. „Jetzt, ich hab`s!“, schrie er zufrieden und packte nach dem Teil. Hoffentlich war es nicht das, wonach es jetzt aus-sah. Berger war jetzt neben ihm, und hielt ihn vor-sichtshalber am Gürtel, damit er ihn im Notfall zurückzie-hen konnte, falls er ins Wasser rutschte. Dann hob Brauer das Teil in die Höhe. Er musste sich zusammenreißen, nicht aufzuschreien, denn jetzt erkannten beide - gleichzeitig - was es war.

„Das ist ein abgetrenntes Bein!“, schrie Brauer. „Verdam-mte Scheiße, wie landet sowas im Moor? Das gibt’s doch nicht!“ Er legte das Bein am Ufer ab.

Beide starrten wie versteinert auf den Stumpf. „Von der Größe her, würde ich sagen, es handelt sich um das Schien-beinteil einer sehr kleinen Frau oder einem älteren Kind“, sagte Berger und überlegte was sie tun sollten.

Brauer sah den Stumpf an und meinte: „Wir müssen auf je-den Fall die Polizei verständigen. Wer weiß, was da noch im Moor schwimmt? Irgendwo muss ja auch der Rest des Körpers sein.“

„Okay“, antwortete Berger, „du bleibst hier und bewachst den Stumpf. Wer weiß, wieviel Füchse es hier gibt, die fres-sen doch fast alles.

„Alles kl…“. Brauer blieb das Wort im Hals stecken, als plötzlich ein greller Schrei ertönte. Ein hysterischer Schrei einer Frau.

2

Drei Stunden später

„Wer ist die Frau?“, fragte Hauptkommissar Edgar Zieler seinen jüngeren Kollegen Strehle.

„Sie heißt Maria Prechtl. Wohnt hier in unmittelbarer Nähe, in dem Ortsteil Tiefenberg, nach dem das Moor hier be-nannt wurde.“

„Wo hat sie die Teile entdeckt?“

„Fünfzig Meter von hier, in einem Wassergraben der zum Moorsee führt. „Und“, fuhr Martin Strehle fort, „die bei-den Herren da vorn auf der Bank, haben auch einen Teil entdeckt. Die sind von der Forstverwaltung Sonthofen, und haben den Beinstumpf aus dem Wasser gezogen, bevor sie den Schrei der Frau hörten. Die hat anscheinend den Rest gesehen, beim Spazieren.“

Vor wenigen Stunden erhielten die beiden Kommissare aus Kempten, einen Anruf ihres Kollegen Wiedemann aus Sont-hofen, der zuerst von dem Notruf in Kenntnis gesetzt wor-den war.

„Hat der Kollege Wiedemann schon die Daten der drei Zeu-gen aufgenommen?“, fragte Zieler.

„Ist noch dabei, Edgar. Die Frau war ziemlich geschockt, völlig aufgewühlt, die musste sich erst mal erholen. Einer vom Roten Kreuz konnte sie wieder einigermaßen beruhi-gen, bevor Wiedemann sie vernehmen konnte. Sollen wir alle drei trotzdem nochmal befragen?“

„Wenn sie soweit vernehmungsfähig sind, auf jeden Fall. Ist Dr. Muth auch da?“

„Der schwirrt da hinten rum, am Wassergraben.“

Ein Rettungssanitäter eilte auf sie zu. „Sie sind doch die Kripo-Beamten? Ich glaube, die junge Frau wär jetzt soweit, sie hat sich beruhigt. Ich hab ihr vor einer Stunde eine Spritze verpasst.“

„Gut, danke“, meinte Strehle. „Wir kommen gleich.“

Der Sanitäter nickte und verschwand.

„Sollen wir zuerst zum Doc oder zur Frau, Edgar?“

„Du bist einfühlsamer, Martin“, meinte Zieler lächelnd. „Ich geh zum Doktor und du zu dem Fräulein.“

Strehle nickte und ging auf die blonde Frau zu, die auf einer Bank saß und ihn mit traurigem Blick ansah, als er vor ihr stehenblieb. Martin Strehle war Oberkommissar und 36 Jahre alt. Sein Vorgesetzter Edgar Zieler 23 Jahre älter. Strehle war ein jugendlicher, schlanker Typ und wurde min-destens fünf Jahre jünger geschätzt. Er zog einen kleinen Notizblock aus seiner Jackentasche und stellte sich vor: „Hallo, Martin Strehle, Kripo Kempten. Ich hoffe, Sie sind damit einverstanden, dass ich Ihnen ein paar Fragen stelle. Wie heißen Sie?“

„Prechtl, Maria Prechtl“, entgegnete die junge Frau leise, sodass Strehle kaum was verstand.

„Sie haben hier in der Nähe, die äh … Körperglieder ent-deckt? Beim Spazieren?“

„Ja, ich bin öfter hier.“

Strehle sah sie etwas genauer an. Sie war etwa Anfang zwanzig, sehr schlank und hatte strohblondes, kurzes Haar. „Weshalb?“

„Weshalb? Na, ich wohn und arbeite in der Nähe. Ich hatte Mittagspause, da dreh ich hier oft eine Runde bei schönem Wetter.“

„Wo arbeiten Sie?“

Sie hob die Hand und zeigte in die entgegengesetzte Rich-tung. „Sehen Sie den Komplex da drüben?“

Strehle sah ein beigefarbenes, großes Gebäude, mit dutzen-den von eigelb angemalten Balkonen, etwa sechshundert Meter Luftlinie entfernt. „Ja, klar.“