Mörder im Buddhisten-Camp - Marc Palmer - E-Book

Mörder im Buddhisten-Camp E-Book

Marc Palmer

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Beschreibung

Eben erst aus der Haft entlassen, will Peter Kelly ein neues Leben beginnen. Er schließt sich im Europe-Center" in Immenstadt, den Buddhisten an. Kurz nach seiner Ankunft gibt es mysteriöse Todesfälle. Kelly gerät sofort ins Visier der Ermittler. Er ist jedoch nur Mittel zum Zweck, für ein Vorhaben, dessen Dimensionen, den gesamten Weltfrieden gefährden könnte.

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Zum Autor:

„Marc Palmer“ ist das Pseudonym eines Allgäuer Autors. Er hat in den letzten fünf Jahren, drei Wanderbücher und mehrere Krimis veröffentlicht. „Mörder im Buddhisten-Camp“ ist sein aktuellster Thriller. Für 2018 sind zwei weitere Neuerscheinungen geplant.

Weitere verfügbare Titel der „Peter-Kelly-Reihe“:

Teufel im Kopf, Zürich außer Kontrolle, Mörderdorf.

Wanderführer:

Zauberhafte Bergseen (1 + 2), Barfuss durch das Allgäu, Magische Moore.

Vorwort zum Roman:

Die Geschichte ist fiktiv und frei erfunden. Die Schauplätze und das jährliche Buddhisten-Treffen in Immenstadt, gibt es seit 2007 jedoch wirklich. Auch einige der benannten Personen existieren. Als Autor war ich natürlich einige Male im Europe-Center, deshalb bekam ich auch Einblicke in die Welt der Buddhisten.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1: 6 Tage zuvor. Innsbruck (Österreich), 31. Juli 2017

Kapitel 2: Kempten (Allgäu) Landgericht, 31.7.2017, 11 Uhr

Kapitel 3: Lindau (Bayern) 14.18 Uhr, Hauptbahnhof

Kapitel 4: Drei Stunden zuvor

Kapitel 5: Kempten, spätnachmittags

Kapitel 6: Dienstagvormittag, Gut Hochreute

Kapitel 7: Dienstagvormittag, Kempten

Kapitel 8: Dienstagvormittag, Gut Hochreute

Kapitel 9: Dienstagnachmittag im Camp

Kapitel 10

Kapitel 11: Dienstag, 17.30 Uhr, Gut Hochreute

Kapitel 12: Mittwochmittag, Kempten

Kapitel 13: Polizei-Inspektion Immenstadt, Mittwochnachmittag

Kapitel 14: Mittwochnachmittag, 17.30 Uhr, Gut Hochreute

Kapitel 15: Mittwoch, 17.30 Uhr, Großer Alpsee

Kapitel 16: Gut Hochreute, 21.45 Uhr

Kapitel 17

Kapitel 18: Gerichtsmedizin Kempten, Donnerstagmorgen

Kapitel 19: Gut Hochreute, Donnerstagabend, 19.30 Uhr

Kapitel 20

Kapitel 21: Gut Hochreute, Donnerstagnacht

Kapitel 22

Kapitel 23: 6.45 Uhr, Freitagmorgen

Kapitel 24: Zwei Stunden später

Kapitel 25: Freitagnachmittag, 15.30 Uhr, Kripo Kempten

Kapitel 26: Gut Hochreute, Freitagabend

Kapitel 27: Samstagvormittag, 10.50 Uhr

Kapitel 28: Fünf Wochen später. Augsburg, Thalia-Buchhandlung

Epilog

PROLOG

Die Zusammenkunft vieler Menschen ist eine ganz gewöhnliche Sache. Es wird gelacht, gefeiert, getrunken und gegessen. Man vergnügt sich, ist ausgelassen, und vergisst oft seine Probleme und Alltagssorgen. Eine Geschichte, die einem vielleicht erklärt, was geschieht, wenn eine solche Zusammenkunft aus dem Ruder gerät, lesen Sie hier. Denn manche große Veranstaltungen enden auch in Tragödien, so wie auch diese Geschichte hier.

Auge in Auge, nur fünf Meter Distanz dazwischen, standen wir uns gegenüber. Weit entfernt, würden uns viele in unserer Kluft, für Wanderer oder stinknormale Touristen halten, wenn nicht einer von uns beiden, ein zwanzig Zentimeter langes Steakmesser in den Händen halten und den anderen damit bedrohen würde. Mein Gegenüber hielt dieses Messer in seiner rechten Hand und sah mich dabei spöttisch an. Auch ohne das Messer in seinen Händen, hätte ich gegenwärtig keine Chance gegen ihn, denn in meinen Blutbahnen befand sich LSD, das sich immer mehr in meinem Körper ausbreitete. LSD ist ein Rauschgift, das nicht nur Bewusstseinsstörungen hervorruft, sondern den Konsument auch lahm und schwerfällig macht. Je nach Dosierung, kann es zu üblen Lähmungserscheinungen, Sehstörungen und starken Schwindel führen. Mein Gegenüber wusste das natürlich, schließlich hatte er schon einigen – gewaltsam – diese Droge verabreicht. In meinem Stadium konnte ich zwar noch aufrecht stehen, gut hören und sehen, hatte aber immer weniger Kraft, und meine Bewegungsabläufe wurden von Minute zu Minute immer schwerfälliger.

Wir standen an einem steinigen Ufer, keine vierzig Meter von einem imposanten Wasserfall entfernt. Das Schlimme jedoch war nicht der Wasserfall, dessen donnerndes Wasser dreißig Meter in die Tiefe fiel, sondern das grünblaue Becken, das das Wasser auffing. Es wurde gemutmaßt, das in diesem Becken, das vielleicht zweimal so groß war wie ein Hotel-Hallenbad, in den letzten siebzig Jahren, etwa 120 Menschen das Leben gekostet hat. Das Becken, das sehr unscheinbar wirkt, entwickelt nämlich einen mörderischen Strudel, dessen Kraft und Sog, schon die besten und stärksten Schwimmer bezwang. Neunzig Prozent der ertrunkenen Schwimmer oder Wagemutigen, die sich in dieses Becken trauten, wurden nie wieder gefunden, nicht einmal von professionellen Tauchern.

Dann erklang die höhnische Stimme, die mir den letzten Lebensmut raubte: „Du hast nur zwei Möglichkeiten; entweder du gehst freiwillig ins Wasser oder mit einem Messerstich im Bauch! Letzteres ist deutlich qualvoller. Für welche Variante entscheidest du dich?“

1

6 Tage zuvor. Innsbruck (Österreich), 31. Juli 2017

Montagmorgen, kurz vor neun Uhr. Strahlendblauer Himmel über Innsbruck, windstill und 25 Grad warm.

Es klingelte. Hastig verzurrte Markus Pröll sein 2-Mann-Zelt mit einem breiten Träger an der Oberseite seines riesigen Rucksacks, das 10-Kilo-Teil musste schließlich halten bis zur Ankunft in Immenstadt.

„Beeil dich“, meinte Katja, seine Freundin, „das sind Silvana und Andy.“

„Die sind aber auch übertrieben pünktlich, wir brauchen doch keine Stunde bis wir am Bahnhof sind“, erwiderte Markus und wuchtete sich den Rucksack über die Schultern. Der Inhalt und das Zeltgewicht lagen bestimmt bei über 18 Kilogramm.

„Du weißt doch, Markus. Silvana geht immer auf Nummer sicher, die rechnet immer mit dem Schlimmsten, sogar mit einem Stau auf den drei Kilometern bis zum Bahnhof.“

Markus und Katja waren seit vier Jahren zusammen. Sie waren im gleichen Alter und sportliche, dynamische Typen. Kennengelernt hatten sie sich bei einem Buddhistentreffen in Immenstadt, auf dem Gut Hochreute. Seitdem waren sie ein Herz und eine Seele, und bezogen am Stadtrand vor zweieinhalb Jahren eine gemeinsame Dreizimmerwohnung. Sie befand sich in einem schicken Kleinparteienhaus im 2. OG. Von ihrem Balkon aus, sahen sie über die prächtige Altstadt, der fünftgrößten österreichischen Stadt, mit dem berühmten „Goldenen Dach“.

Beide waren von der Religion so angetan, das sie auch ihre besten Freunde, Silvana und Andy, für diese Art der „Religionsgemeinschaft“ begeistern konnten. Jedes Jahr Ende Juli, waren sie gemeinsam unterwegs, um oberhalb des Großen Alpsees bei Immenstadt-Bühl, 14 Tage zu campen und Freunde aus aller Welt zu treffen. Es war ein Seminar- und Veranstaltungsort, an dem sich Menschen vieler Nationen begegneten, ihr Wissen über den Buddhismus vertieften und gemeinsam mit Gleichgesinnten meditierten. Das „Gut Hochreute“ war seit zehn Jahren der Europäische Sitz der Buddhisten, genauer gesagt, des westlichen Diamantweg-Buddhismus.

„Okay, ich hab`s, wir können gehen“, meinte Markus, und sah sich ein letztes Mal um. Auch seine Freundin hatte einen Rucksack auf dem Rücken, der aber nur halb so groß wie seiner war, obwohl eigentlich Frauen in der Regel immer mehr benötigten. Aber aus Rücksicht und Liebe, hatte er drei Paar ihrer Schuhe noch in seinen größeren Rucksack hineingepresst. Katja sperrte ab, während Markus schon die Stufen im Treppenhaus hinuntersprang. Unten am Hauseingang warf sie den Schlüssel in den Briefkasten ihrer Nachbarin, Monika Moser, die sehr zuverlässig war, und sich während ihrer Abwesenheit um die Post und Blumen kümmern würde.

Im schwarzen 3er-BMW, saß Alex, der jüngere Bruder von Andy, der dem Buddhismus überhaupt nichts abgewinnen konnte, und die beiden nur mit hochgehobener Hand begrüßte. Die anderen beiden standen schon, und fielen Katja und Markus gleich innig um den Hals, was Alex noch mehr zum Schmunzeln brachte. Die vier Buddhisten-Anhänger waren nahezu gleich alt, alle Neunundzwanzig, nur Markus hatte seit vier Monaten schon den Dreißigsten erreicht.

Als die Rucksäcke im Kofferraum verstaut waren, alle saßen und angeschnallt waren, fuhr Alex mit leicht quietschenden Reifen zügig los. Dreihundert Meter weiter stand er schon im zähflüssigen Verkehr, da Innsbruck, wie viele andere Städte im Sommer auch, die ramponierten Straßenbeläge auf Vordermann brachte.

„Siehst du, Markus“, meinte Silvana, „jetzt weißt du, warum wir so zeitig gekommen sind. Innsbruck ist mittlerweile genauso im Bauwahn wie Wien, da bist du fast noch mit dem Rad am schnellsten im Zentrum. Aber mit unseren schweren Rucksäcken, ist es alles andere als ein Vergnügen zu radeln.“

„Du hast du recht“, gab Markus kleinlaut bei. „Wann fährt denn der Zug ab?“

„9.52 Uhr, auf Gleis 11“, erwiderte Silvana.

„Und wann kommen wir in Immenstadt an?“

„15.17 Uhr. Wir haben leider einen einstündigen Aufenthalt in Lindau, sonst wären wir deutlich schneller. In Immenstadt laufen wir dann zum Viehmarktplatz, dort stehen die Shuttle-Busse zum Europe-Center bereit. Schätze mal, wir sind circa gegen 16 Uhr oben auf dem Gelände.“

Sie sagte deshalb „oben“, weil das Gut Hochreute, auf 860 Metern Höhe, auf einer kleinen Anhöhe lag, oberhalb des 700 Meter hoch gelegenen Großen Alpsees.

„Passt ja“, meinte Markus. „Bis wir das Zelt aufgebaut und uns frischgemacht haben, schaffen wir den Vortrag von Lama Ole Nydahl noch locker. Der beginnt erst um 20 Uhr.“

„Ja, da können wir vielleicht sogar noch kurz in den See springen. Wer weiß, wie lange das tolle Wetter noch anhält?“, raunte Silvana. „Letztes Jahr waren zehn der vierzehn Tage kühl und verregnet.“

Lama Ole Nydahl war eines der bekanntesten Gesichter des Buddhismus. Er und seine Frau Hannah, waren die ersten westlichen Schüler des 16. Karmapa, die von ihm beauftragt wurden den Buddhismus im Westen zu lehren. Seit dem 12. Jahrhundert sind die „Karmapas“ das Oberhaupt der Karma Kagyü Linie und verantwortlich für den Fortbestand dieser Übertragungslinie. Der 16. Karmapa, der Tibet 1959 aufgrund der chinesischen Annektierung seines Landes verlassen musste, sicherte das Weiterbestehen der Karma Kagyü Linie. Mit Hilfe seiner westlichen Schüler brachte er das Wissen über die Natur des Geistes in die moderne Welt.

Ole Nydahl und seine Frau lehren Weg und Ziel des Diamantweg-Buddhismus. Lama Ole Nydahl ist mit zehntausenden Schülern in aller Welt, der wohl bekannteste westliche buddhistische Lehrer. Er hat seit 1972 weltweit circa 600 Buddhistische Zentren gegründet. Heute lehren in seinem Auftrag über 100 seiner Schüler den Diamantweg-Buddhismus rund um die Welt. Er war auch die treibende Kraft bei der Suche nach einem „Europe Center“. Nach über 10 Jahren Suche wurde die Buddhismus Stiftung Diamantweg im Mai 2007 in Immenstadt mit dem Gut Hochreute fündig.

Zum Gut gehören über 40 Hektar Land, die zum Teil verpachtet und land- und fortwirtschaftlich genutzt werden. Das Gelände befindet sich über 850 Metern Höhe in einem Landschaftsschutzgebiet oberhalb des beliebten Alpsees, der sowohl für Einheimische wie Touristen ein hochattraktives Ziel ist. Der Große Alpsee ist mit 247 Hektar Wasserfläche und 8 Kilometer Uferlänge der größte Natursee des Landkreises Oberallgäu. Der See ist Eigentum des Freistaates Bayern.

Der zähflüssige Verkehr In Innsbrucks Innenstadt lockerte sich, sodass die fünf kurz vor neun Uhr dreißig am Hauptbahnhof eintrafen. Alex half ihnen noch die Gepäckstücke aus dem Kofferraum zu hieven, dann schlenderten die vier gutgelaunt zu den Gleisen. Silvana hatte vorsorglich in dem IC-Zug ihre Plätze bis Lindau reserviert. Am Bahnhof herrschte lebhaftes Treiben, kein Wunder, seit drei Tagen hatten die Sommerferien begonnen. Alles wirkte friedlich und harmonisch. Sie stiegen in ihr Abteil und waren in Gedanken schon bei ihrem Aufenthalt im Buddhisten-Camp.

Wie hätten sie auch ahnen können, dass der Aufenthalt im Allgäu, ein Trip in die Hölle wurde.

2

Kempten (Allgäu) Landgericht, 31.7.2017, 11 Uhr

Ich, Paul Glaser, sitze zitternd im Gerichtsaal in Kempten. Meine Achseln sind schweißnass, während ich unruhig meine feuchte Hände knete. In wenigen Minuten wird das Urteil des Richters Lauterbach mit Hochspannung erwartet. Es geht aber nicht um mich, – ich sitze nicht auf der Anklagebank – es wird über meinen Freund, Peter Kelly, geurteilt, der mit starrer Miene den Richter beäugt, wie eine Katze, die auf Beutefang geht.

Peter sitzt seit sechzehn Monaten in Untersuchungshaft. Der Vorwurf: Anklage wegen zehnfachen Mordes! Unglaublich aber wahr, doch dazu später mehr. Ich war nicht nur als Beobachter hier, sondern wurde auch als Zeuge geladen. Schließlich hatten wir als beste Freunde sehr viel miteinander unternommen, aber das Wichtigste war: ich hab auch für ihn wie ein Detektiv geschnüffelt! Meine Recherchen führten mich bis in die Schweiz und nach Rom, doch ich wurde nach dem von Peter benannten „Drahtzieher des Komplotts“, - eines gewissen Walter Pickert - nicht fündig. Stattdessen zog ich mir einige (leichtere) Blessuren zu, als ich (ungewollt) jemand anders helfen wollte. Tja, und nun saß ich hier und verfolgte das Geschehen. Zum Zeitpunkt meiner damaligen „Ermittlungen“, war ich noch einfacher Sportartikelverkäufer, der nur unbezahlt im Urlaub war. Mittlerweile habe ich tatsächlich meinen Job an den Nagel gehängt und bin Privatdetektiv geworden, mit Lizenz, Gewerbe, und allem was so dazu gehört. Sogar ein eigenes Büro habe ich mit Namenschild (gut, es ist in meiner Wohnnung), aber jeder fängt schließlich mal klein an. Manche fragen sich, wie ich mich finanziell so über Wasser halten kann, aber Peter Kelly hat mich – während er im Knast saß – fürstlich während „meines Auftrages“ bezahlt. Eine Angelegenheit, die ich dem Gericht gegenüber im Zeugenstand verschwiegen habe. Alles braucht die Justiz schließlich auch nicht zu wissen, Peter muss nach seinem - hoffentlich - baldigen Freispruch, ja auch von etwas leben. Die Entschädigungssummen für zu Unrecht Inhaftierte, sind meistens lächerlich. Und ein Teil des Auftrages war es, ein Versteck mit einer beträchtlichen Summe an Bargeld, unweit seines ehemaligen Anwesens bei Isny, ausfindig zu machen, was eine der leichteren Übungen während meiner Recherchen war. Kelly hatte nämlich vor seiner Verhaftung besser verdient, als so manch populäre Schauspieler in den Staaten, hatte er doch einen Besteller gelandet, der sich weltweit über sechs Millionenmal verkauft hatte. Da blieb natürlich einiges hängen, und die Polizei rätselte immer noch, wo der Großteil seiner Honorare geblieben war.

Der Richter, sowie die Damen und Herren links und rechts von ihm, standen langsam auf. Richter Lauterbach nahm mit seiner linken Hand eine Akte in die Hand, und sah dann geradeaus in den Saal. Ungefähr einhundert Personen befanden sich in dem Gerichtssaal, nur geladene Gäste und vermeintliche Zeugen, die vorher akribisch geprüft worden waren.

„Im Namen des Volkes, ergeht folgendes Urteil: Peter Kelly, geboren am 29.10.1979, wird von allen Anklagepunkten – aus Mangel an Beweisen – freigesprochen! Hier die Urteils-Begründung.“

Ein Raunen ging durch den Saal, sicherlich hatten alle mit dem Gegenteil gerechnet, nur ich nicht. Schließlich war mir sonnenklar, dass die Beweislage gegen meinen Freund sehr dünn war. Faktisch gab es gar keine hieb- und stichfesten Beweise, demzufolge konnte man ihn auch nicht verurteilen. Dass die Trottel hier im Saal oder sonst wo, das nicht verstanden, war mir schleierhaft. Wie heißt es immer so schön: Im Zweifel für den Angeklagten.

Peter nahm – ohne mit der Wimper zu zucken – das Urteil zur Kenntnis, wahrscheinlich hatte er noch gar nicht richtig begriffen, dass er endlich wieder frei war. Womöglich hatten ihn die ganzen Strapazen seelisch extrem mitgenommen. Vielleicht würde er eine Therapie im Anschluss benötigen, um das alles richtig verarbeiten zu können. Er drehte den Kopf in meine Richtung, ich hob den Daumen hoch für „unseren Sieg“. Ein Anflug eines Lächelns war in seinem Gesicht erkennbar. Das Gefasel des Richters, im Anschluß des Urteils, nahm er wahrscheinlich genauso wenig zur Kenntnis wie ich, dann war die Verhandlung endlich zu Ende.

Ich schritt zu ihm, sein Anwalt schüttelte ihm die Hand und nickte mir zu. Dann trat ich an ihn heran, er fiel mir freudestrahlend um den Hals.

„Jetzt beginnt ein neues Leben, Peter“, sagte ich, als er seine Umarmung wieder löste. Aber zuerst mussten wir durch die Heerscharen von Medienleuten, die vor dem Saal lauerten wie die Hyänen. Diese ganze Bagage hatte ihn schon seit Monaten vorverurteilt, weil kein anderer Verdächtiger gefunden worden war.

Wir liefen langsam zum Ausgang, aus den Augenwinkeln sah ich die beiden Kommissare, die ihn monatelang verfolgt hatten. Ihre Blicke waren hasserfüllt. Es war für sie eine Riesenschlappe, weil sie sich so sicher gefühlt hatten mit der Wahl ihres verdächtigen „Kandidaten“. Dann traten wir ins Blitzlichtgewitter von Dutzenden von Fotografen und Kameraleuten, die wie die Geier vor den Türen gelauert hatten. An den Aufschriften auf ihren Mikrophonen erkannte ich die ganzen Rundfunk- und Fernsehanstalten. Weltweit waren sie angereist, nicht nur in Deutschland hatte die „Akte Peter Kelly“ für Schlagzeilen gesorgt. Wir drängten die Journalisten zur Seite, und bahnten uns wie bei einem Spießrutenlauf unseren Weg. Mein Auto stand hinter der Residenz, in der Nähe der Bücherei, wahrscheinlich würden sie uns auch dorthin verfolgen. Deshalb schlug ich Peter flüsternd vor, ein Taxi zu nehmen. Mit diesem würden wir eine kleine Stadtrundfahrt machen, viermal im Kreis fahren, bis wir - hoffentlich - alle Verfolger abgeschüttelt hatten.

Peter nickte, wir hetzten ins nächstgelegene Fahrzeug, das an der „Gaststätte zum Stift“ stand. Ich zeigte dem Fahrer nur die Richtung geradeaus, wir würden dann einfach weitersehen, sagte ich ihm. Er nickte nur und schaltete seinen Gebührenzähler ein. Nach einer Viertelstunde Irrfahrt, lotste ich den Fahrer zu meinem Audi A3, der einsam und verlassen hinter dem Bücherei-Gebäude stand. Es war jetzt 13 Uhr und die Sonne knallte wolkenlos auf unsere Häupter hinunter. Mein Poloshirt war schweißnass, trotz des klimatisierten Taxis zuvor. Es waren um die 35 Grad die uns zu schaffen machten. Gott sei Dank hatte ich im Auto immer zwei- bis drei zusätzliche Wechselshirts bei solchen Hitzetagen dabei. Ich öffnete mein Fahrzeug und holte die Shirts hervor die auf meiner Rücksitzbank lagen. Ein orangefarbenes Poloshirt reichte ich meinem Freund. „Hier, Peter. Zieh es an, wir haben ja die gleiche Größe.“

Er nickte nur und zog es über, sein weißes Hemd schmiss er auf die Rücksitzbank. Wir waren beide knapp eins dreiundneunzig und hatten annähernd die gleiche Figur. Im Knast hatte Peter aber deutlich abgenommen, wahrscheinlich wog er keine neunzig Kilo mehr wie zuvor, höchstens achtzig, wenn überhaupt. Das Shirt flatterte über seinen Oberkörper, in der Nähe seines Bauchnabels fiel mir eine Narbe auf, die ich noch nie zuvor bei ihm gesehen hatte. Vielleicht wurde er in der Haft misshandelt, oder er hatte sie sich selbst zugefügt? Ich fragte ihn nicht danach, das war jetzt alles andere als bedeutend.

„Sollen wir zu mir fahren, Peter? Du kannst natürlich vorerst bei mir schlafen, oder willst du lieber zu deinem Haus nach Isny fahren?“ Dort wohnte seit anderthalb Jahren niemand mehr.

Lächelnd sah er mich an und meinte: „Lass uns an den Niedersonthofener See fahren, ich lade dich zum Essen ein. Dann erzähl ich dir, was ich die nächsten Tage so alles vor habe, eine kleine Planung hab ich nämlich schon.

Ich sah ihn überrascht an, davon hatte er mir nichts erzählt in den letzten Wochen und Monaten. Wahrscheinlich kam ihm eben erst diese spontane Idee, Peter war eben immer wieder für eine Überraschung gut.

„Okay, wie du möchtest, ich hab heut eh nichts mehr zu tun“, murmelte ich.

Dann stiegen wir ein und ich fuhr los. „Zum Geratser Hof, oder auf die andere Seite, zum Seehof bei Oberdorf?“

„Geratser Hof, da sind nicht die ganzen Badegäste, und das Cafe ist netter mit der fantastischen Aussicht“, antwortete er, während er aus dem Fenster sah, als suche er einen Verfolger. „Glaubst du, jemand von der Medienmeute verfolgt uns, Paul?“

„Möglich wär`s. Wenn wir Kempten verlassen haben, fällt es mir eher auf, Peter. Auf der Straße Richtung Niedersonthofen sind nicht so viele unterwegs wie auf der B19. Aber spätestens am Cafe werden wir es sicher merken, falls uns jemand zu lästig werden sollte.“

Bis Gerats sagte keiner mehr was von uns. Ich sah beständig in den Rückspiegel, aber kein auffälliges Fahrzeug war auszumachen, nur zwei Motorradfahrer überholten mich knatternd.

Der Weiler „Gerats“ besteht nur aus wenigen Häusern, eines davon gehört der Familie Ritter, die dort seit dreißig Jahren ein Landhotel betreibt. Als zusätzliche Einnahmequelle hatten sie vor fünfzehn Jahren ein öffentliches Cafe dazu eröffnet, wahrscheinlich weil die Buchungsquote der Übernachtungsgäste nach unten ging. Das Cafe – mit kleiner Speisekarte – war vor allem zwischen Mai und Oktober ständig gut besucht, schließlich war der See auch ein beliebtes Ausflugsziel, nicht nur bei Touristen. Außerdem waren das Essen und die Getränke, in einem sehr günstigen Preisrahmen, was der Qualität aber nicht schadete, denn der Ruf des Lokals war exzellent. Ich saß dort – mit und ohne Peter – schon häufig. Manchmal fuhr ich nur mit dem Mountainbike dort hin, danach sprang ich häufig noch ins Wasser des Sees, der meistens schon ab Mitte Mai akzeptable Wassertemperaturen vorzuweisen hatte, und nur dreihundert Meter vom Cafe entfernt lag. Die einfache Strecke von Kempten nach Gerats beträgt elf Kilometer.

Auf der Terrasse des Cafes saßen zehn Leute, keiner nahm von uns Notiz, wahrscheinlich alles Urlauber. Allerdings trugen wir jetzt beide eine dunkle Sonnenbrille, Peter sogar noch eine Baseballmütze, die er in meinem Wagen liegen sah, schließlich braucht man als Detektiv immer genügend „Tarnkleidung“. Nachdem wir eine Grillplatte mit Weißbier bestellt hatten, fragte ich ihn: „Peter, lass es raus. Was hast du jetzt vor, das du es bis jetzt geheim gehalten hast? Willst du wieder ein Buch schreiben?“

„Wäre keine schlechte Idee, aber es ist ganz was anderes. Ich muss jetzt erstmal was für meinen Körper, Geist und Seele machen“, erwiderte er süffisant.

„Klingt gut. Und weiter? Willst du mit Yoga oder Pilates anfangen“, fragte ich stirnrunzelnd.

Die Bedienung brachte unsere Getränke und wir stießen an. Nach einem langen Zug, indem er die Hälfte seines Glas leerte, meinte er: „Sowas ähnliches, es geht aber mehr in Richtung Religion.“

„Jetzt sag aber nicht, dass du wieder der Kirche beitrittst?“ Ich wusste, dass er seit fast zwanzig Jahren konfessionslos war.

Die rundliche Bedienung brachte uns zwei kleine Salatteller. Er stocherte mit seiner Gabel im Teller, nahm einen Bissen und fuhr fort: „Schon mal was von „Gut Hochreute“ gehört, Paul? Liegt in der Nähe des Großen Alpsees bei Immenstadt.“

Obwohl ich kein gebürtiger Oberallgäuer war, kannte ich natürlich den beliebten See und auch Gut Hochreute. Es stand seit Wochen in der Zeitung, dass dort das 10. Treffen des Diamant-Weg-Buddhismus im Sommercamp stattfand. „Jetzt sag aber bloß nicht, du willst Buddhist werden?“

„Warum nicht? Eine sehr friedfertige, gute Religion. Heut Abend ist dort ein Vortrag mit dem Gründer des Europe-Center. Ein Mann namens Lama Ole Nydahl.“

Ich konnte es kaum glauben, obwohl die Veranstaltung bestimmt ganz gut für ihn war. Etwas meditieren und den Glauben an eine bessere Welt gewinnen, war vielleicht eine prima Idee für seine Psyche und Wohlbefinden. „Und wie kommst du hin? Soll ich dich zum Gut fahren?“

„Nicht nötig, Paul. Im Anschluss des Essens kannst du mich in Oberdorf am Bahnhof absetzen. Stündlich fährt der Regio-Zug nach Immenstadt. Ich nehm den nächsten und lauf dann vom Bahnhof in Immenstadt Richtung Alpsee. Eventuell nehme ich den Shuttle-Service ab dem Viehmarktplatz in Anspruch, der verkehrt ab 15 Uhr im 30-Minutentakt, weil heut die meisten Camp-Teilnehmer eintreffen.“

„Du hast dich ja richtig gut informiert“, stellte ich fest.

„Klar, auch im Knast gab`s Zeitungen und Fernseher, sogar einen Internet-Raum.“

„Was ist mit deinem Haus in Isny? Wohnt da jetzt jemand drin?“

„Das war bis dato versiegelt, aber ich kann natürlich jederzeit wieder rein. Während meiner Abwesenheit hat sich niemand drum gekümmert, nicht mal meine Eltern in Biberach.“

„Was ist mit deiner Tochter Sophie? Ihr habt euch doch auch schon anderthalb Jahre nicht mehr gesehen?“

„Sie will mich nicht mehr sehen, Paul!“

„Was? Ihr habt euch doch immer heiß und innig geliebt?“ Ich konnte es nicht fassen. Seit dem Tod von Peters Frau – kurz nach Sophies Geburt – waren die beiden ein eingeschworenes Team gewesen.

„Sie wurde von meinen Eltern manipuliert, seitdem gibt es keinen Kontakt mehr. Sie haben mich auch für einen Mörder gehalten, das werde ich ihnen nie wieder vergessen. Vielleicht versteht sie in ein paar Jahren, dass ihr Vater ein guter Mensch war.“

Verbitterung klang in seiner Stimme und auch eine gehörige Portion Wut. Sogar in seiner Hand vermochte ich ein Zittern zu erkennen, als er die Gabel mit einem dicken Fleischstück zum Mund führte. Dann stellte er mir eine unerwartete Frage: „Paul, wir sind doch die besten Freunde, und du hast immer viel für mich getan. Würdest du mir noch einen letzten Gefallen erfüllen, wenn es mich mal nicht mehr gibt, falls du mich quasi überleben solltest?“

Mir blieb eine Pommes im Hals stecken, und ich musste kurz würgen um sie wieder nach oben zu bringen. Als ich wieder eine freie Luftröhre hatte, flüsterte ich so leise, dass es bestimmt niemand an den anderen Tischen hören konnte: „Peter, was redest du denn da? Du bist eben erst entlassen worden! Du bist ein vogelfreier Mann, du hast immer noch genügend Kohle, um ohne Arbeit ein paar Jahre über die Runden zu kommen. Und das mit Sophie, wird sich auch wieder einrenken, da bin ich mir absolut sicher. Was hegst du bloß für trübselige Gedanken, und das auch noch in Anbetracht deines bevorstehenden Buddhisten-Treffens? „Wird Zeit, dass die dich wieder zum Optimisten machen. Junge, du bist noch nicht einmal vierzig. Du kannst nochmal ganz von vorne anfangen, vielleicht triffst du auf Gut Hochreute auch eine tolle Frau.“

Zwei Minuten wo er nichts sagte. Beide aßen wir langsam schweigend weiter, aber ich spürte, dass ihm dieser „Gefallen“ sehr wichtig war, also fragte ich: „Okay, was ist das für einen Gefallen, den ich für dich tun kann, falls dir was passieren sollte, was ich aber nicht hoffe.“

Er sah mir tief in die Augen: „Sophie ist erst in sieben Jahren volljährig. Wenn ich in den nächsten sieben Jahren sterben sollte, möchte ich, dass du dich um sie kümmerst, als wärst du ihr Vater! Sie hat dich immer sehr gemocht, das wird auch weiter so bleiben, trotz meiner beschissenen Eltern.“

„Verdammt, dir passiert schon …“

„Versprichst du es mir, Paul?“

„Ja, okay, aber…?“

„Nichts aber. Ob du`s glaubst oder nicht, aber ich konnte auch im Knast ein Testament verfassen, du weißt, ich hab noch Kohle im siebenstelligen Bereich. Sollte ich vor Sophies Volljährigkeit sterben, bekommst du siebzig Prozent meiner Kohle, Sophie die anderen dreißig. Nach ihrer Volljährigkeit ist das Verhältnis umgedreht, du siehst, ich denke an alles.“

Ich war fassungslos, andererseits waren seine Gedanken auch wieder nicht so pessimistisch wie sie sich anhörten. Schließlich konnte jeder von uns schlagartig sterben. Ich dachte dabei an den neuen Oberbürgermeister von Memmingen, der im März sein neues Amt antrat und keinen Monat später tot war. Herzinfarkt, während des Fahrradfahrens! Der Mann galt als topfit und sportlich, aber trotzdem hat es ihn verwischt, und das mit noch nicht einmal Mitte vierzig. „Okay, versprochen, Peter. Wenn dir wirklich was passieren sollte, kümmere ich mich um Sophie.“

„Ehrenwort?“

„Ehrenwort, Peter, so wahr ich hier sitze. Ich schwöre es.“

Bei der Aussage war mir trotzdem mulmig, hoffentlich war mein Versprechen kein schlechtes Omen für sein weiteres Leben.

3

Lindau (Bayern) 14.18 Uhr, Hauptbahnhof