Hollywood Player - Rosemary Rogers - E-Book
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Hollywood Player E-Book

Rosemary Rogers

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Beschreibung

Gefangen im gefährlichen Spiel der Leidenschaft: Der Dark-Romance-Roman »Hollywood Player« von Rosemary Rogers jetzt als eBook bei venusbooks. »Du wirst niemand anderen mehr wollen!« Seine Worte sind pure Arroganz – und dennoch die Wahrheit … Schon früh hat Anne gelernt, stets perfekt zu sein: als Tochter einflussreicher Eltern, als Vorzeige-Ehefrau eines aalglatten Politikers. Doch Anne kann ein Leben ohne Gefühl und Leidenschaft nicht länger ertragen – als sie die Chance auf einen Neuanfang in Hollywood erhält, wagt sie es, aus ihrem goldenen Käfig auszubrechen. Doch in der Filmwelt erwarten sie schamlose Gier und gefährliches Begehren – und niemand verkörpert dies so sehr wie Webb Carnahan: Sein Gesicht ist ebenso schön wie grausam, sein Blick voller Sünde. Schon bald beschleicht Anne das unheimliche Gefühl, dass Webb mehr über die Machenschaften ihrer Familie weiß, als er zugibt. Wird er Anne an ihren zwielichtigen Ehemann verraten – oder hat er gar nicht vor, sie jemals wieder einem anderen Mann zu überlassen? Jetzt als eBook kaufen und genießen: »Hollywood Player« von Rosemary Rogers bietet aufregend prickelnde Unterhaltung zum Genießen für alle Leserinnen von J. S. Wonda und Sarah Saxx. Lesen ist sexy: venusbooks – der erotische eBook-Verlag.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 725

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Über dieses Buch:

»Du wirst niemand anderen mehr wollen!« Seine Worte sind pure Arroganz – und dennoch die Wahrheit …Schon früh hat Anne gelernt, stets perfekt zu sein: als Tochter einflussreicher Eltern, als Vorzeige-Ehefrau eines aalglatten Politikers. Doch Anne kann ein Leben ohne Gefühl und Leidenschaft nicht länger ertragen – als sie die Chance auf einen Neuanfang in Hollywood erhält, wagt sie es, aus ihrem goldenen Käfig auszubrechen. Doch in der Filmwelt erwarten sie schamlose Gier und gefährliches Begehren – und niemand verkörpert dies so sehr wie Webb Carnahan: Sein Gesicht ist ebenso schön wie grausam, sein Blick voller Sünde. Schon bald beschleicht Anne das unheimliche Gefühl, dass Webb mehr über die Machenschaften ihrer Familie weiß, als er zugibt. Wird er Anne an ihren zwielichtigen Ehemann verraten – oder hat er gar nicht vor, sie jemals wieder einem anderen Mann zu überlassen?

Über die Autorin:

Rosemary Rogers (1932–2019) kann mit Fug und Recht als Legende gefeiert werden: Wie kaum eine andere hat sie das Genre der Liebesromane geprägt. Geboren in Ceylon, schrieb sie mit acht Jahren ihre erste längere Geschichte, der schon in ihrer Teenagerzeit erste Liebesromane folgten. Mit 22 Jahren wurde sie gegen den Willen ihrer Eltern Reporterin und zog nach London. Viele Jahre später zog es sie jedoch zurück nach Kalifornien, in das »Land der Mandelblüten«. Ihre zahlreichen Bücher haben sich weltweit über 50 Millionen Mal verkauft.

Bei venusbooks veröffentlicht Rosemary Rogers auch ihre Dark-Romance-Romane:

»Royal Player«

»Bad Boy Player«

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eBook-Neuausgabe Februar 2021

Ein eBook des venusbooks Verlags. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Dieses Buch erschien bereits 2017 unter dem Titel »Shadow of Love – Gefährliche Begierde« bei venusbooks und 1981 unter dem Titel »Die Blonde« in der Schweizer Verlagshaus AG, Zürich.

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1978 unter dem Originaltitel »The Crowd Pleasers« bei Avon Books, New York.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1978 by Rosemary Rogers

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1981 by Schweizer Verlagshaus AG, Zürich

Copyright © der Neuausgabe 2020 venusbooks Verlag. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Published by Arrangement with Rosemary Rogers. Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, Hannover 30161.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock / FX Quadro / Artem Masaev / tomertu

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-95885-559-5

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

Liebe Leserin, lieber Leser, in diesem eBook begegnen Sie möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt oder geschrieben wurde – und als solches Dokument seiner Zeit von uns ohne nachträgliche Eingriffe neu veröffentlicht wird. Diese Fiktion spiegelt nicht unbedingt die Überzeugungen des Verlags wider.

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Besuchen Sie uns im Internet:

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www.instagram.com/venusbooks

Rosemary Rogers

Hollywood Player

Roman

Aus dem Amerikanischen von Hanny Bezz

venusbooks

Teil IDAS DOUBLE

Kapitel 1

Anne sah dem Schnee zu, der in weißen Fetzen über den dunklen Garten peitschte, um dann gegen die Fenster zu klatschen. Das Feuer, das im Kamin brannte, ließ groteske Schatten über die Tapeten tanzen. Sie beobachtete den Schneesturm durch das große Fenster. Ohne Zweifel würden die entfesselten Elemente die elektrischen Drähte herunterreißen und die Straßen blockieren.

Es muss entsetzlich kalt sein draußen, dachte sie und schauderte unwillkürlich. Doch diese beißende Kälte war ganz anders als die dumpfe, starre Kälte in ihrem Innersten. Das war eine Kälte, die der Gefühllosigkeit gleichkam.

Warum es nicht beim Namen nennen? Sie war frigide. Sie hatte das gewusst, lange bevor Craig es je ausgesprochen hatte. Schon ganz am Anfang, als er noch geduldig gewesen war und sie spaßeshalber »mein kleiner Eiszapfen« genannt hatte. Er hatte ihre Teilnahmslosigkeit auf die Tatsache zurückgeführt, dass er eine Jungfrau geheiratet hatte, und hatte sich zu Beginn viel Zeit genommen, um ihr zu helfen, »sich zu lösen und lockerer zu werden«.

Nun, sie hatte es versucht, am Anfang. Aber wenn sie mehr als üblich trank, wurde ihr lediglich schlecht. Und die einschlägigen Filme, die sie sich mit Craig angesehen hatte und von denen alle so schwärmten, hatten sie nur angewidert. Wenn er nachher versucht hatte, mit ihr zu schlafen, war sie noch verkrampfter gewesen.

»Anne! Was ist los mit dir? Was brauchst du, das ich dir nicht gebe? Verdammt, ich bin schließlich dein Mann. Warum wirst du zu Eis, sobald ich dich berühre?«

Sie wusste es nicht. Sie verstand es selber nicht, wie hätte sie es ihm erklären können? Es war etwas nicht Bestimmbares, auf das sie keines der Ehehandbücher, die sie pflichtbewusst gelesen hatte, vorbereitet hatte; etwas war in ihr, das nicht entdeckt werden wollte – war es vielleicht das Wiederaufleben des Albtraums ihrer Kindheit, den sie bei sich »Der Traum« nannte?

Der Sturm ließ nach. Während der Wind klagend in die Kamine fuhr und in einem letzten entnervten Anlauf ums Haus herum tobte, richtete sich Anne im Stuhl auf und zog die nackten Füße unter sich, entschlossen, das Vergangene noch einmal zu durchleben.

Die Diskussionen mit Craig waren zu einem handfesten Krach ausgeartet. Sie hatte zurückgegeben, hatte Craig gesagt, sie wäre nicht die richtige Frau für einen Politiker, sie wüsste nicht genug und wolle vieles auch gar nicht wissen.

»Was willst du dann, Anne? Was, zum Teufel, machst du den lieben langen Tag, während ich mich im Büro abrackere?«

»Ich … ich lese viel. Ich gehe in die Museen und Galerien, und manchmal sehe ich mir einen alten Film an. Es gibt so vieles, über das ich nichts erfahren habe in den Schulen, in die mein Vater mich gesteckt hat. Was ich will? Ich glaube, ich will vor allem mehr über mich selbst erfahren, Craig. Ich will das wirkliche Leben kennen lernen, das Leben in Freiheit. Ich bin jetzt einundzwanzig und bin mein Leben lang in Schulen gegangen, die mich nichts über das Leben gelehrt haben.«

»Du gehst nicht mehr zur Schule, Anne. Du bist mit mir verheiratet …«

»Du gibst mir das Gefühl, als ginge ich auch jetzt wieder zur Schule. Ständig versuchst du, mich zu belehren. Merkst du das nicht? Mich zu führen, mich nach dem Muster umzumodellieren, das deinen Vorstellungen von deiner Frau, Mrs. Craig Hyatt, entspricht. Verstehst du das nicht? Ich will nicht nur Mrs. Craig Hyatt sein. Ich will manchmal auch Anne Mallory sein – ein eigenständiger Mensch.« War das wirklich Anne gewesen, die das gesagt hatte? Die ihm diese Worte beinahe ins überraschte Gesicht geschrien hatte?

Danach waren sechs Monate Analyse gekommen. Auf Craigs Wunsch, er wollte ihre Ehe retten. Lustigerweise hatte die Behandlung bei Dr. Robert Haldane, der sie »heilen« und ihr helfen sollte, »zur Vernunft zu kommen«, wesentlich zum Scheitern ihrer Ehe beigetragen. Sie dankte Gott für Dr. Haldane, der ihr geholfen hatte, die Dinge so zu sehen, wie sie waren. Nachdem sie sich anfänglich voll Groll und Misstrauen gegen alles gesträubt hatte, hatte Anne schließlich erkannt, dass der Arzt ihr wirklich helfen wollte. Zuerst war sie nur einmal in der Woche zu ihm gegangen – dann dreimal.

»Alle Entscheidungen hat jemand anders für Sie getroffen, nicht wahr, Anne? Jetzt ist es höchste Zeit, dass Sie das selber tun. Versuchen Sie es. Es wird nicht ohne Schmerzen abgehen, aber auch der Schmerz gehört zum Leben. Handeln Sie, Anne, statt dazusitzen und nachzudenken.«

Vielleicht hatte sie darum so schnell darauf angesprochen, weil Dr. Haldane nur bekräftigte, was sie im Innersten bereits gewusst hatte. Sie war in der heutigen Zeit eine Art Anachronismus. Sie hatte weniger Erfahrung, als die meisten Mädchen mit sechzehn hatten. Sie hatte nie ein Rendezvous gehabt, war nie bei einem Fußballmatch oder einem College-Ball gewesen, hatte sich, bis sie Craig heiratete, nie irgendwohin gewagt.

Plötzlich hatte sie Lust, allein nach Europa zu fahren. Kurz nachdem sie das Mädchenpensionat in der Schweiz verlassen hatte, war sie zum letzten Mal dort gewesen. Craigs Eltern, Freunde ihres Vaters, hatten sie abgeholt, um sie auf eine Kreuzfahrt um die Welt mitzunehmen. Craig war mit von der Partie gewesen – gut aussehend, erwachsen, weltmännisch –, sie hatte sich beinahe sofort in ihn verliebt. Seine Aufmerksamkeiten schmeichelten ihr. Er war ein viel versprechender junger Anwalt gewesen und hatte vor, später eine politische Laufbahn einzuschlagen. Der Gedanke, in Washington eine eigene Wohnung zu haben und viele interessante Leute kennen zu lernen, war ihr damals aufregend und verlockend vorgekommen.

Craig war ganz einfach nicht der richtige Mann gewesen, darum hatte sie ihn verlassen, darum war sie hier in Deepwood, im Hause ihres Vaters, und wartete auf dessen Rückkehr. Sie musste ihm sagen, dass sie Craig verlassen hatte und sich scheiden lassen wolle. Sie hatte das Geld ihrer Mutter aus dem Fonds, den ihr Großvater hinterlassen hatte, und das war mehr als genug.

Freiheit! Seltsam, um ihren Vater zu sehen und ihm zu sagen, was sie vorhatte, hatte sie in seinem Büro anrufen und ein Rendezvous abmachen müssen. Die unpersönliche männliche Stimme am andern Ende des Drahtes hatte leicht vorwurfsvoll geklungen.

Nun, im Grunde war es ihr gleichgültig, was er sagen würde, sie war lediglich hier, um es ihm zu sagen, ihm entgegenzutreten; erst dann würde sie wirklich frei sein.

Vielleicht war es die Ruhe nach dem heulenden Sturm, die sie schließlich einschlafen ließ. Als Anne mit steifen Gliedern in dem unbequemen Schaukelstuhl, in dem sie sich zusammengekuschelt hatte, erwachte, schien die Sonne wieder. Nach dem tosenden Sturm des Vorabends war es nun windstill. Die entlaubten Äste zeichneten sich gestochen scharf am tiefblauen Himmel ab. Alles draußen schien ursprünglich, frisch und neu, während in ihrem Zimmer noch der leichte Rauchgeruch des erloschenen Feuers lag. Es schien ihr plötzlich wichtig, hinauszugehen, die rein gewaschene Luft einzuatmen und sich von der Kälte Farbe ins Gesicht peitschen zu lassen.

In ihrem Zimmer war es gemütlich warm geblieben, und als sie im Bad die Dusche andrehte, hatte es heißes Wasser im Überfluss. Die über Wärmstäbe gehängten Badetücher schmiegten sich weich an ihre Haut.

Anne duschte rasch, schlüpfte dann in eine uralte Hose und einen überlangen, weiten Pullover und zog eine Skijacke über. Kein Make-up – Craig war nicht da, um zu protestieren –, wenn sie mit dem Kamm durch ihr babyfeines, gerades Haar fuhr, genügte es. Schließlich ein Kopftuch, um die Ohren vor der Kälte zu schützen. Anne warf einen raschen Blick auf ihr Spiegelbild, als sie die pelzgefütterten Handschuhe überstreifte. Blasse Haut, zu wenig Sonne. Tiefblaue Augen mit dunklen Ringen darunter. Langes, gerades, hellblondes Haar. Sie schnitt sich selbst eine Grimasse und rümpfte die Nase. Es war niemand da, der darauf achtete oder protestierte. Craig hatte aus ihr eine Modepuppe machen wollen, das Haar, das Make-up, die Kleider, alles musste immer perfekt sein. Es war schön, wieder sie selbst zu sein.

Draußen war ein leichter Wind aufgekommen. Anne kniff die Augen zusammen, geblendet von dem von den Schneeverwehungen zurückstrahlenden Sonnenlicht. Sie zögerte einen Augenblick. Sie wünschte, sie hätte daran gedacht, eine Sonnenbrille aufzusetzen. Dann zuckte sie die Schultern, sog die frische Luft ein, nur noch bestrebt, das große elektrifizierte Tor hinter sich zu bringen, das Deepwood mehr zum Gefängnis als zum Zuhause gemacht hatte. Sie fühlte ihr Herz höher schlagen, als sie das Tor hinter sich zufallen hörte. Gott, es war herrlich, frei zu sein!

Anne ging den Hügel hinunter, ohne bestimmtes Ziel, nur um zu gehen, so lange sie Lust dazu hatte. Bis jetzt war sie immer angetrieben worden; nun war es anders. Ihre Beine schritten weit aus, ihre Muskeln streckten sich in der ungewohnten Freiheit.

Die Schneepflüge waren noch nicht bis hier herauf gekommen, aber ehe sie es sich versah, hatte sie auf holprigen, von einem niedrigen Steinmäuerchen gesäumten Seitensträßchen den Stadtrand erreicht. Da sah sie das Plakat; sie wäre vorbeigegangen, ohne ihm Beachtung zu schenken, wäre ihr nicht der in roten Lettern hervorgehobene Name ins Auge gestochen.

Miss Carol Cochran in der ersten Vor-Broadway-Hauptprobe von … Plötzlich war Annes Neugierde geweckt. Das Stück hieß Bad Blood, und Anne erinnerte sich nun schwach, etwas darüber in einer der Zeitschriften in Dr. Haldanes Wartezimmer gelesen zu haben. Wenn Carol eine neue Rolle annahm, gab das immer zu schreiben, und dieses Stück war von einem der viel versprechendsten jungen Theaterautoren verfasst worden und bereits zur Verfilmung vorgesehen.

Die meisten Namen, die unter dem von Carol standen, kamen ihr bekannt vor. Einer davon war beinahe so groß geschrieben wie Carols: Webb Carnahan. Sie hatte schon von ihm gehört, dessen war sie sicher. Es war aber Carols Name, der sie in einem Anflug von Wehmut stehen bleiben ließ.

Die Schule. Diejenige vor dem Schweizer Pensionat. Das war in Boston; alles dumpf, ordentlich und korrekt, bis Carol gekommen war und mit ihrer ungezähmten, feurigen Schönheit, ihrer schrecklichen Sprache und ihren unumwundenen Kommentaren alles durcheinander gebracht hatte.

Vielleicht waren sie einzig darum Freundinnen geworden, weil sie so verschieden waren. Anne hatte mit aufgerissenen Augen zugesehen, während Carol gehandelt hatte. Es war Anne, die Carol deckte, wenn diese sich fortstahl, weil sie »eine Nacht in der Stadt« brauchte. Carol hatte Abenteuer in Annes Leben gebracht. Und obwohl Carol nur ein Jahr in der Schule geblieben war, hatte Anne sie nie vergessen können.

»Ich verspreche dir nicht, dass ich dir schreiben werde, Süßes. Zum Teufel, du weißt, dass ich nie Briefe schreibe. Aber eines Tages, wenn ich berühmt bin, kommen wir zusammen und vergleichen unsere Noten. Sprechen über die alten Zeiten …

Anne sah die Carol von damals noch vor sich; sie hatte auf der Vortreppe auf ihren Koffern gesessen und auf ihren Stiefvater gewartet; hatte entschlossen in die Sonne geblinzelt und offen und strahlend gelacht. Sie fuhren am folgenden Tag nach Europa. »Europa«, hatte Carol gesagt. »Stell dir das vor. Für ein Luxus-Callgirl hat sich meine Mutter nicht schlecht durchgemausert.«

Als sie Annes erschrockenes Gesicht gesehen hatte, hatte sie gelacht. »Scheiße, Baby! Habe ich dich nicht gelehrt, die Dinge beim Namen zu nennen? Was mich betrifft, ich werde es noch besser machen.« Seither war Carol immer reicher und berühmter geworden, genau wie sie es vorausgesagt hatte. Doch Anne hatte sie nie mehr getroffen. Craig hätte Carol, deren Ehen und deren wilde Eskapaden, die stets Schlagzeilen machten, missbilligt. Und sie, Anne, war voll damit beschäftigt gewesen, um ihr Überleben zu kämpfen.

Aber jetzt, heute – war es jetzt nicht völlig gleichgültig, was Craig billigte und was nicht?

Vermutlich probten sie jetzt gerade im alten Theater in der Stadtmitte. Sie könnte sich durch einen Seiteneingang hineinstehlen und Carol zusehen. Es würde Spaß machen, sie wieder zu sehen, und der Probe eines Broadwaystücks beizuwohnen.

Die Hände in den Taschen vergraben, strebte Anne weiter den Hügel hinunter.

Kapitel 2

So weit sie sich zurückerinnern konnte, war der Seiteneingang des Theaters nie abgeschlossen worden. Vermutlich hatte er gar kein Schloss. Als Kind hatte sie sich oft durch diese Tür ins Theater geschlichen, war auf leisen Sohlen durch muffige Gänge gehuscht und auf die Bühne geklettert. Dort hatte sie sich vorgestellt, sie wäre eine berühmte Schauspielerin und hätte eben ihren großen Auftritt. Vor ihren halb geschlossenen Augen war das Theater jeweils zum Leben erwacht, die Leuchter hatten hell zu strahlen begonnen, und die abgeschabten Samtvorhänge hatten neue, satte Farben bekommen.

Sie war viele Jahre nicht mehr hier unten gewesen, doch auch jetzt ließ sich der schmiedeeiserne Türknopf mit einem Ächzen drehen, und die Tür öffnete sich wie so oft zuvor. Auch diesmal huschte sie behände ins Innere. Zum Glück fand auf der Bühne eben eine Art Schnellfeuer statt; die rasch hintereinander fallenden Schüsse übertönten das Knarren der alten Türangeln. Anne blieb einen Augenblick unsicher stehen; allmählich gewöhnten sich ihre Augen an das Dämmerlicht.

Leise schritt sie den teppichbespannten Seitengang entlang und setzte sich unauffällig in die Polster. In den vorderen Reihen saßen vereinzelte kleine Grüppchen von Leuten. Es schien sie aber niemand beachtet zu haben. Das Geschehen auf der Bühne nahm sie unverzüglich in Beschlag. Sie hatte bald erkannt, dass es ein einziger Schauspieler war, der die ganze Szene trug. Er stellte den klassischen Gangstertyp dar. Allem Anschein nach hatte er eben jemanden erschossen und sprach nun, während er den Revolver wieder einsteckte, auf einen älteren Mann und auf eine Frau ein. Die Wut und die tierische Erregtheit, die er ausstrahlte, machten ihn glaubhaft und ließen die beiden andern Schauspieler zu Randfiguren verblassen. Anne hielt unwillkürlich den Atem an und konnte, während die Szene ihren Fortgang nahm, den Blick nicht von ihm lösen. Er bewegte sich wie ein wildes Tier im Dschungel – sie musste an einen Panter denken, dessen Schönheit einen in Bann schlägt, der aber gefährlich, ja tödlich ist.

Ich bin dumm, versuchte Anne sich zurechtzuweisen. Er ist ein Schauspieler wie alle andern auch. Plötzlich erinnerte sie sich, ihn in einem Fernsehfilm gesehen zu haben. Er hatte einen jungen, drogensüchtigen Medizinstudenten gespielt. Seine Intensität hatte sie beeindruckt, und sie hatte ihn schon damals für einen guten Schauspieler gehalten; doch jetzt, da er vor ihr stand, beeindruckte er sie noch mehr. Nein, er beeindruckte sie nicht nur, das Wort sagte zu wenig. Er faszinierte sie, zwang sie, die Augen nicht von ihm zu lassen, damit ihr keine Geste, keine Bewegung entging.

Völlig gefangen genommen, vergaß Anne, warum sie eigentlich hergekommen war. Sie hatte nicht einmal daran gedacht, im verdunkelten Theatersaal nach Carol Ausschau zu halten, bis plötzlich das Licht angedreht und sie aus ihrer Trance gerissen wurde.

»Webb ist verdammt gut, wenn er sich Mühe gibt«, sagte eine Stimme hinter Anne. Als sie unwillkürlich herumfuhr, fragte der Mann in verändertem Ton: »He, wer sind Sie? Wissen Sie nicht, dass Sie während der Proben hier nichts zu suchen haben?« Sie fühlte sich von der stämmigen Gestalt bedroht. »Wie, zum Teufel, sind Sie hereingekommen. Ich könnte schwören, dass ich die verdammten Türen zugesperrt habe!«

Ihre erste Reaktion war kehrtzumachen und wegzulaufen. Großer Gott, jetzt würden sie alle anstarren. Während sie in die Höhe fuhr, hörte sie sich stammeln: »Es … es tut mir Leid. Ich … ich habe das nicht gewusst. Der Seiteneingang ist nie abgeschlossen …« Sie hastete in den Gang und fühlte, wie sich plötzlich eine starke Hand um ihren Arm schloss.

»Lassen Sie sich von Mike nicht in die Flucht schlagen«, sagte eine Männerstimme. »Er brüllt, aber er beißt nicht. Ist in Ordnung, Mike, die Dame ist eine Freundin von mir.«

In ihrer Flucht aufgehalten, sah Anne unwillig auf, zwei bernsteinbraune Augen sahen auf sie herunter; sie wollte sich der besitzergreifenden Umklammerung entwinden.

»Ich dachte schon, du kommst nicht mehr«, sagte er mit warmer Stimme, als hätte er sie längst erwartet. Der Mann, den er Mike nannte, löste sich, leise murrend, irgendwo im Hintergrund auf. Webb Carnahan. Sein Name war Anne wieder gegenwärtig, und sie wusste, dass sie das auf sie herablächelnde Gesicht nie wieder vergessen würde. Die Linien, die das Lächeln in die Augenwinkel grub, milderten den sonst finsteren Gesichtsausdruck.

»Nanu, sieht so aus, als hätte ich mir ein großäugiges Mädchen vom Land geangelt.« Seine übertrieben weiche, gedehnte Sprechweise ging ihr auf die Nerven. »Wie heißt du, Mädchen vom Land?«

Er war ihr zwar zu Hilfe gekommen, aber jetzt machte er sich lustig über sie.

»Anne. Ich bin kein …«

Ganz klar, dass er einer von jenen Männern war, die über das, was sie nicht hören wollten, hinweggingen.

»Annie? Das passt zu dir.« Er hatte ihren Arm nicht losgelassen, obwohl sie versuchte, ihn abzuschütteln. Und als sie fühlte, wie sie verlegen errötete, hörte sie ihn leise lachen.

»Mein Name ist Anne Hyatt. Bitte, lassen Sie mich los. Er … der Mann hatte Recht, ich hätte nicht hierher kommen sollen. Es war nett von Ihnen, dass Sie mir zu Hilfe gekommen sind, aber ich …« Sie wünschte, sie wäre geistesgegenwärtig genug, um nicht zu stottern und zu stammeln, doch nun waren alle aufmerksam geworden, und sie fühlte die neugierigen Blicke.

Er sah ihr in die Augen, und sie war wie hypnotisiert.

»Wieso zu Hilfe gekommen?« Er lachte leise, als fühlte er in seinen, ihren Arm umklammernden Fingern, wie ihr Puls plötzlich zu rasen begann. »Ich halte dich gefangen, kleines, verängstigtes Waisenkind. Es war sehr unartig, sich durch die Seitentür hereinzuschleichen und uns zuzuschauen, Mike hatte da ganz Recht. Du bist wie die prickelnde Luft draußen. Genau das, was ich brauche. Setz dich, wir sehen uns die nächste Szene an. Einverstanden?« Sein Lächeln wurde unverschämt, aber das eigenartige Gefühl von Hilflosigkeit, das sich ihrer bemächtigt hatte, als er sie am Arm genommen hatte, hielt an, sodass seine Hand stärker war als ihr Wille.

Erste Reihe Mitte. Wenn er die neugierigen Blicke und das Getuschel ignorieren konnte, konnte sie es auch.

Er gehörte zu dem Männertyp, in dessen Gegenwart sie sich nie wohl fühlte. Viel zu selbstsicher und seiner Macht über Frauen zu bewusst. So störte es sie auch jetzt, ihn neben sich zu wissen.

»He, machen Sie es sich bequem, jetzt belästigt Sie niemand mehr. Übrigens, es ist warm hier, warum legen Sie das dumme Kopftuch nicht ab? Warten Sie … halten Sie still …« Mit Besitzermiene lehnte er sich über sie, löste den Knoten, streifte ihr das Kopftuch ab, legte es ihr in den Schoß. Dann griff er in ihr Haar und hob eine Strähne in die Höhe. »Flachsblond … Sie sollten Shampooreklame machen. Wohnen Sie hier, Annie?«

Webb Carnahan, der sie mit schmalen Augen musterte, registrierte ihre widersprüchlichen Gefühle. Wie alt war sie? Siebzehn? Achtzehn? Bei dem geschrubbten, Make-up-losen Gesicht war das schwierig zu sagen, etwas Farbe hatte es nur von der Kälte und der Verlegenheit. Seltsam, dass er vor weniger als einer Stunde genau vor der Seitentür, durch die sie hereingehuscht war, im Schnee gestanden … und sich mit Tanya gestritten hatte. Als diese schließlich ins Haus gestürzt war und die Tür hinter sich zugeschlagen hatte, hatte er zum Hügel hinaufgeschaut und ein Mädchen den Abhang herunterrennen sehen. Sie hatte die Anmut und Geschmeidigkeit einer Skifahrerin, auch dann, wenn sie, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, unbewusst die Arme ausgestreckt hatte. Ein Symbol für Offenheit und Freiheit. Ein Mädchen, das in den ersten Schnee hinauslief.

Nur ungern war er in die muffige Wärme, zu dem murrenden Mike und der schmollenden Tanya zurückgekehrt.

Annie. Er hatte sie am Kopftuch und der dunkelblauen Jacke – es war beinahe das Blau ihrer Augen – sofort erkannt. Er bemerkte die zarte Wölbung ihrer kleinen Brüste, die saubere Reinheit ihres Profils, und es machte ihm Spaß, vorzugeben, er hätte sie zur Probe eingeladen. Gleichzeitig wollte er Tanya eine Lektion erteilen. Wenn er etwas nicht ausstehen konnte, dann Frauen, die Besitzansprüche stellten und Forderungen anmeldeten, bloß weil er ein- oder zweimal mit ihnen ins Bett gegangen war.

Tanya war, was die Franzosen »un type« nannten. Er hatte ihresgleichen auf der ganzen Welt getroffen, sinnlich, wohl ausgestattet, sich ihrer Anziehungskraft und sexuellen Ausstrahlung nur zu bewusst. Aber nun nahm ihn die Kind-Frau an seiner Seite wider seinen Willen gefangen. »Mädchen vom Land« hatte er sie geneckt, aber war sie es wirklich? Ihre nervöse Naivität und ihre Kleidung, die offensichtlich nur warm halten, aber keinen modischen Ansprüchen genügen musste, sprachen dafür.

Die verschiedensten Gedanken stiegen in ihm auf und versanken wieder, während er ihr Gesicht betrachtete, die Art, wie sie sich auf die Lippen biss, wie sie mit einer anmutigen Kopfbewegung ihr Haar seinen erforschenden Fingern entzog.

»Bitte nicht!«, bat sie scharf. Leiser fügte sie hinzu: »Hören Sie auf, sich über mich lustig zu machen. Ich hätte nicht ohne Genehmigung herkommen sollen. Nur …«

»Nur?«, wiederholte er und sah ihr tief in die Augen.

»Ich habe auf dem Weg in die Stadt das Plakat gesehen«, erwiderte sie und wünschte, er würde sie nicht mehr ansehen. »Und der Seiteneingang ist, so weit ich mich zurückerinnern kann, nie abgesperrt worden. Ich habe gedacht, Carol wäre hier. Ich wollte sie wiedersehen, das ist alles. Ich hätte telefonieren sollen …«

»Carol?«

»Ja, Carol!«, wiederholte Anne keck, er sollte nicht noch einmal so herablassend mit ihr sprechen. »Ich bin ein Jahr mit Carol zur Schule gegangen. Wir waren befreundet, sind aber nicht in Verbindung geblieben.« Warum erzählte sie ihm das, während seine goldbraunen Augen sie eindringlich musterten? Sie hatte ihn zurechtweisen und sich jetzt, da alle wieder das Geschehen auf der Bühne verfolgten, schnell wegstehlen wollen.

Doch als Webb Carnahan plötzlich nach ihrer Hand griff, ihr trotz ihres Widerstandes den Handschuh auszog und seine Finger sich mit den ihren verflochten, wusste sie, dass sie sich nicht hätte von der Stelle rühren können. Noch nie im Leben hatte sie die Gegenwart von etwas oder jemandem so bewusst gefühlt wie die des Mannes an ihrer Seite.

»Sie sind also eine alte Schulfreundin von Caro. Schön, schön. Tut mir Leid, Caro zeigt sich heute Nachmittag nicht. Tanya, die zweite Besetzung, ist auf der Bühne. Caro ist unsere Bienenkönigin, müssen Sie wissen. Vermutlich schläft sie oder ist beim Frisör, aber heute Abend wird sie spielen. Vielleicht sollten Sie dann kommen, wenn Sie wirklich von den alten Zeiten sprechen möchten.«

Er sprach gedehnt, sie wusste nicht, tat er das, weil er von Caro sprach, oder wollte er sie auf den Arm nehmen. Warum musste er ihre Hand halten? Ihr praktisches, vernünftiges Ich lag im Widerstreit mit einem andern Ich, von dessen Vorhandensein sie bis jetzt nichts gewusst hatte. Warum hatte sie eigentlich alle Ringe abgestreift? Aus Trotz, sie hatte sich der Symbole der Abhängigkeit entledigen wollen. Doch was hatte Webb Carnahan mit ihr vor? Was spielte er für ein Spiel?

»Ich muss jetzt gehen«, erklärte Anne rasch. »Es war dumm von mir, einfach herzukommen, ohne vorher anzurufen. Da Carol nicht hier ist …«

»Vergessen Sie Carol. Sie können sie später anrufen. Bleiben Sie, bis Ihnen wieder warm geworden ist, Annie. Ihre Finger sind kalt, und ich wette, Ihre Nase auch.« Er berührte diese sanft mit der freien Hand; sie wäre beinahe zurückgewichen. Seine Vertraulichkeit ärgerte sie, dennoch vermochte sie das ungewohnte Verlangen, zu bleiben und ihm ihre Hand zu überlassen, nicht niederzukämpfen. Zu ihrer eigenen Überraschung fragte sie sich, wie es wohl wäre, von ihm geküsst zu werden.

Er war ein Fremder und ein Mann, der offensichtlich gewöhnt war, zu kriegen, was er wollte. Sie witterte Gefahr, fühlte aber auch die Hochspannung zwischen sich und ihm. Ein angeborener Instinkt sagte ihr, sie könnte ihm, vor allem aber sich nicht trauen.

»Müssen Sie nicht wieder auf die Bühne?«, fragte sie mit gezwungener Gleichgültigkeit. Gesunder Menschenverstand tat jetzt Not. Er streckte seine langen Beine von sich, löste seine Blicke kurz von ihr, sah auf die Bühne und wieder zu ihr. »In ungefähr fünf Minuten. Bleiben Sie, bis wir fertig sind?«

»Nein! Ich muss nach Hause … ich habe niemandem gesagt, wo ich hingehe. Man wird sich Sorgen machen. Ich werde Carol anrufen. Wohnt sie im Hotel?«

»Wir wohnen alle dort. Es gibt nur ein Hotel in der Stadt, nicht wahr?« Seine Stimme klang unverändert neutral – sie fragte sich, ohne es zu wollen, was er denken mochte.

Ihr Name war Hyatt. Anne Hyatt – die Art, wie sie ihren Vornamen betonte, um ihm zu verstehen zu geben, dass sie es nicht mochte, dass er sie Annie nannte, amüsierte Webb. Vermutlich wohnte sie bei ihren Eltern. »Man wird sich Sorgen machen …« Ringe trug sie keine. Ihre Zurückhaltung irritierte ihn irgendwie. Noch mehr irritierte ihn, dass sie mit Carol zur Schule gegangen war. In eine Privatschule, was hieß, dass sie Geld haben musste. Altes, konservatives Vermögen vermutlich. Na, und? Irgendwie konnte er sich Anne und Carol nicht als Busenfreundinnen vorstellen. Er konnte Anne nicht klassifizieren. Sie passte in keine der Kategorien, in die sich alle Frauen, die er bis jetzt kennen gelernt hatte, wie von selbst eingeordnet hatten.

Webb war neugierig, er hätte sie gerne weiter ausgefragt, doch da war die verdammte Probe, und sie glich einem abflugbereiten Meeresvogel. Er war es nicht gewohnt, sich um jemanden zu bemühen oder jemandem nachzulaufen, er hatte das nur ein einziges Mal getan und wollte nicht daran erinnert werden, selbst jetzt nicht.

»Kommen Sie heute Abend in die Vorstellung, Annie?« Er verstand nicht, warum er nicht lockerließ und seine Finger die ihren nicht losließen.

»Ja … ich glaube schon. Bitte … ich muss jetzt gehen. Und man sucht Sie …

Als er ihre kalten Lippen mit den seinen berührte, wusste er nicht, tat er es Tanyas wegen, die finster von der Bühne herunter auf sie starrte, oder war es ein Versprechen, das er sich selber gab. »Okay, Baby. Laufen Sie zu Ihrem Hasenwärter zurück. Aber wir sehen uns heute Abend, nicht?«

Anne wusste nachher nicht genau, wie sie wieder ins Freie gelangt war. Der frische Wind, der ihr die Kälte ins Gesicht schlug, war ihr willkommen. Sie band ihr Kopftuch wieder um. Lächerlich! Sie hatte sich zum Gespött gemacht, nein, sie würde Webb Carnahan nicht wieder sehen. Die Hand, die er gehalten hatte, brannte auch jetzt noch, als sie sie in der Tasche ihres Parkas vergrub. Er war so arrogant, so selbstsicher. Genau die Art Mann, der sie aus dem Weg gehen sollte.

Kapitel 3

Carols Stimme klang zuerst schläfrig, dann leicht ungehalten, und sobald sie begriffen hatte, wer anrief, überrascht und glücklich. »Anne! Aber, Kindchen, entschuldige dich nicht, ich wäre wütend, wenn du nicht angerufen hättest. Ich hätte mich erinnern müssen, dass du aus diesem reizenden Städtchen bist, und hätte dich meinerseits anrufen sollen. Aber das Letzte, was ich von dir gehört habe, war, dass du geheiratet hast. Ich habe mir dich mit einer Schar Kinder an den Röcken hängend vorgestellt. Was in aller Welt machst du hier? Ist dein Mann nicht einer jener erfolgreichen Washingtoner Anwälte, die geradewegs das State Department ansteuern? Ich habe sein Foto in der Time gesehen und wollte dir schreiben oder dich anrufen, aber du weißt, wie ich bin, voller guter Vorsätze, aber knapp an Zeit. Erzähle mir von dir!«

»Nun«, begann Anne vorsichtig, »viel gibt es nicht zu erzählen.« Carol war immer noch die Alte, sie redete lieber, als dass sie zuhörte. Als hätte Anne überhaupt nichts gesagt, fuhr sie fort: »Ich weiß was Besseres, warum kommst du nicht rüber und besuchst mich? Das heißt, wenn du das Durcheinander in diesem Zimmer erträgst, aber du weißt ja, wie unordentlich ich bin. Hör zu, ich habe bis zur Vorstellung heute Abend nichts zu tun. Ich hatte Kopfschmerzen, sodass Harris mich von den Proben dispensiert hat. Er ist übrigens ein Schatz, du muss ihn kennen lernen. Aber jetzt geht es mir wieder gut. Ich möchte dich zu gern sehen. Du kommst, nicht wahr, Anne?«

Königin Carol rief ihre Untergebenen zu sich … doch es war unmöglich, ihrer schmeichelnden Stimme zu widerstehen. Zudem musste Anne sich eingestehen, dass sie, als sie Carol angerufen hatte, noch an jemand gedacht hatte: an Webb Carnahan. Seine goldbraunen Augen schienen durch sie und ihre eilends aufgebauten Abwehrmauern hindurchzusehen, und die flüchtige Berührung seiner Lippen hatte Stromstöße durch sie hindurch gejagt und ihre Nerven zum Zittern gebracht. »Mädchen vom Land«, er hatte dabei die gedehnte Sprechweise des Südens nachgeahmt. Wie kam es, dass gerade dieser Mann ihre Knochen hatte weich werden lassen?

Als Anne eintraf, war Carol allein in ihrer Suite. Sie trug ein blassgrünes Negligé, das ihren schönen Körper, auf den sie zu Recht stolz war, offenbarte. Ihr Schlafzimmer glich einem Schlachtfeld; auf dem Schreibtisch lag zwischen Kleidern und überquellenden Aschenbechern achtlos hingeworfen ein dickes, abgegriffenes Textbuch.

Sie folgte Annes Blicken und lachte. »Ich habe dich gewarnt. Aber wenn ich heute Abend aus dem Theater zurückkomme, ist hier alles aufgeräumt.« Sie mixte spielerisch zwei große Martinis und schenkte ein, ohne Anne zu fragen, ob sie lieber etwas anderes hätte. »Setz dich, Liebes. Scheiße … räum den Plunder auf den Boden. Zieh ruhig die Schuhe aus; ich wette, du kuschelst dich immer noch am liebsten in einen Sessel und ziehst die Beine an.«

Während sie sprach, wanderten ihre Augen prüfend über Annes Körper, ihre Kleider und zurück zu ihrem Gesicht. »Du hast dich kaum verändert. Warum trägst du das Haar noch lang? Ein Sassoon-Schnitt würde dir prima stehen, vielleicht knapp bis zu den Ohren. Wenn du bloß etwas Make-up auflegen würdest!« Carol seufzte übertrieben und fügte hinzu: »Darling, du könntest so viel aus dir machen. Ich meine, du hast wirklich ein fabelhaftes Gesicht … erinnerst du dich, ich habe dir immer gesagt, du könntest als Mannequin arbeiten, wenn du dir bloß etwas Mühe geben würdest …« Carol war wirklich noch die Alte.

Anne, die langsam auftaute, zog die Nase kraus. »Und erinnerst du dich, dass ich dir jeweils antwortete, du solltest mich in Frieden lassen. Ehrlich, Carol, ich bin glücklich, wie ich bin. Ich will mich wohl fühlen in meiner Haut.« Um Carol abzulenken, fuhr sie gleich fort: »Das ist übrigens mit ein Grund, warum ich mich scheiden lasse. Craig will eine Frau, die man jederzeit ausstellen kann, bei der stets jedes Härchen sitzt. Ich dagegen bin zur Einsicht gekommen, dass ich mich nicht dazu eigne, eine dieser Washingtoner Ehefrauen zu sein …«

Wie Anne erwartet hatte, hakte die stets auf Klatsch erpichte Carol sofort ein.

»Du lässt dich scheiden? Süßes, du musst mir das haarklein erzählen. Wie war er wirklich? Ein gemeiner Hund, nicht wahr? Sind sie das nicht alle?«

Von nun an fiel ihr das Sprechen leichter. Carol fragte, und sie antwortete. Carol hörte mit hochgezogenen Augenbrauen zu und gab schließlich ihren Kommentar ab. »Ein Jammer, dass ihr euch nicht vertragen habt. Nicht, dass ich dir einen Vorwurf mache, es gibt nichts Schlimmeres, als sich zu langweilen!«

Danach fiel Anne in ihre alte Zuhörerrolle zurück, während Carol, die Zigarette als Requisit benützend, dramatisierend auf und ab schritt und von ihrem um so vieles interessanteren Leben erzählte. Angefangen mit dem Skandal, den die Tatsache, dass ihr Stiefvater sich von ihrer Mutter hatte scheiden lassen, um sie, Carol, zu heiraten, hervorgerufen hatte.

Die Ehe war von kurzer Dauer gewesen. Viele Männer, viel Publizität folgten. Eine große Filmrolle, nach der Carol Cochran zum Sexsymbol erklärt worden war. Aber sie hatte es ihnen gezeigt, hatte gute schauspielerische Leistungen erbracht und nur noch Rollen angenommen, die ihre Sinnlichkeit herunterspielten. Danach war die Bühne gekommen, und Carol war wirklich gut, sonst hätte sie es trotz der sie portierenden Männer und ihrem Geld nicht geschafft. »Man sagte, ich würde mich beim Theater nie durchsetzen können«, prahlte Carol. »Aber ich habe mich durchgesetzt. Hast du Masquerade gesehen? Danach zuckten die eifersüchtigen Hunde die Schultern und erklärten: ›Nun, sie ist in einem Musical groß herausgekommen, das kann jeder.‹ In Bad Blood will ich ihnen zeigen, dass ich es auch als dramatische Schauspielerin schaffe. Danach mache ich wieder Filme, gute Filme. Im Grunde ist es das, was ich möchte.«

»Ich habe deinen Namen auf einem Plakat gesehen und habe mich heute Morgen ins Theater geschlichen und ein paar Szenen von Bad Blood gesehen«, gestand Anne. Sie schnitt eine Grimasse: »Man hat mich beinahe hinausgeworfen, aber der Bösewicht hat mich aus der Tinte gezogen. Webb Carnahan?« Sie hoffte, der fragende Ton ihrer Stimme würde Carol täuschen. Hatte sie den Namen beiläufig genug fallen gelassen? Doch ihre Sorge war umsonst, Carols smaragdgrüne Augen begannen wütend zu funkeln.

»Webb? Dieser Hurensohn! Ich bin sicher, er und Tanya haben Quatsch gebaut. Welche Szenen hast du gesehen?« Carol lachte grell und böse auf. »Tanya ist so unglaublich schlecht. Ich verstehe nicht, warum man sie zu meiner zweiten Besetzung gemacht hat. Zudem ist es ihr in den Kopf gestiegen, dass sie Webbs neueste Eroberung ist. Hast du gesagt, er sei dir zu Hilfe gekommen?«

»Ja, er sagte, es sei in Ordnung, ich dürfe bleiben und zusehen. Er war ganz nett, nur sehr herablassend. Das mochte ich nicht.«

»Du mochtest das nicht …« Carol starrte auf sie herunter, ihre grünen Augen waren schmal geworden. Anne fragte sich, ob sie das zu beiläufig gesagt hatte. Doch Carol lachte wieder, diesmal war es ein ganz natürliches Lachen. »O Anne … du bist unbezahlbar. Aber Webb ist natürlich nicht dein Typ, und du nicht der seine. Wunderbar! Komm, lass dir noch einmal einschenken.« Carol wirbelte herum und kam, mit einer aufgespießten Olive einen Drink umrührend, zurück. »Du könntest etwas für mich und auch für dich tun. Ich meine, du hast doch gesagt, du wolltest dich selbst finden, du selber sein. Du hörst mir zu, nicht, Anne? Ich habe nämlich eben eine großartige Idee gehabt …«

»Nein!« Nachdem sie sich Carols Plan angehört hatte, konnte Anne keinen Augenblick länger still sitzen. Er war verrückter als alle Wahnsinnsstreiche, die Carol in der Schule ausgeheckt hatte. »Du spinnst … das klappt nicht, Carol. Es wäre Wahnsinn, einen solchen Plan auszuführen!« Anne sprang auf die Beine. »Das kann nicht dein Ernst sein. Was hätte es für einen Sinn? Du würdest deine Wette gewinnen, aber nachher wären alle sauer auf dich … und auf mich auch, wenn ich blöd genug wäre, mitzumachen …«

»Anne, sei nicht so spießig, und hör mir zu. Niemand wird es erfahren. Harris muss ich es sagen, aber ihn kann ich überzeugen. Und was Webb betrifft … wenn ich meine Wette gewonnen habe und ihn dazu gebracht habe, sich zu verhaspeln, sagt er kein Wort mehr. Dazu ist er zu stolz. Zudem, willst du dich nicht an ihm rächen? Komm schon, Anne. Wenn du es dir überlegst, musst du zugeben, dass es eine prima Idee ist.«

Anne, der der verbohrt bittende Unterton in Carols Stimme nur zu vertraut war, schüttelte hilflos den Kopf, als diese sie schmeichelnd zu überreden suchte. »Nein, Carol! Es klappt nicht … es ist völlig absurd.«

»Doch, es klappt, Anne. Und du tätest mir einen riesigen Gefallen. Hör zu, es ist die letzte Szene … kein Dialog, du brauchst nichts auswendig zu lernen. Es ist Webbs Szene, und ich will sie ihm wegnehmen. Du brauchst nur erstarrt und verängstigt am Fenster zu stehen, so will es die Szenenbeschreibung. Kannst du dir das vorstellen? Ich bin der Star, und den großen Schlussauftritt kriegt er. Ich habe versucht, Harris zu überreden, das zu ändern. Vielleicht lässt er sich so überzeugen. Hör zu, das Licht ist spärlich; das Publikum sieht nur deine Silhouette. Wir sind ungefähr gleich groß, wenn du eine meiner Perücken trägst, sieht niemand einen Unterschied. Ich will lediglich beweisen, dass ich Recht habe, und du kannst mir dabei helfen.« Carol breitete dramatisch die Arme aus. »Wo ist dein Abenteuergeist, Anne? Stell dir vor, du spielst mich, bist für ein paar Minuten – länger dauert es nicht – die Hauptdarstellerin in einem Broadwaystück. Du bist mein Ersatz. Das überspannte Huhn von Tanya gäbe ein Vermögen für diese Chance, aber ich gönne sie ihr nicht. Wir sagen ihr nichts. Bitte, Süßes. Du bist meine Freundin. Du hast mich immer gedeckt.«

»Früher war das etwas anderes, Carol. Was du jetzt vorschlägst, ist … ist heller Wahnsinn! Was geschieht, wenn die Gewerkschaft dahinter kommt? Diese Tanya gehört doch ganz bestimmt einer Schauspielergewerkschaft an. Zudem will ich nicht, dass Webb Carnahan wütend auf mich ist.« Seinen Namen noch einmal auszusprechen, ließ sie erschauern, ohne dass sie wusste, warum. Zum Glück hatte Carol nichts bemerkt. Carol war immer noch entschlossen, sich durchzusetzen, und wischte Annes Einwände unter den Tisch. »Warum siehst du es nicht als eine Art … eine Art Therapie an? Ein Abenteuer. Hast du nie Lust gehabt, etwas zu erleben? Ich verspreche dir, es hat keine Folgen. Lies das Textbuch … es ist zudem nur für dieses eine Mal. Ich habe sonst keinen Menschen, dem ich trauen kann …«

Carol spielte ihre ganze Überzeugungskunst aus. Es war schwierig, nicht in die alte Gefolgschaftsrolle zu fallen.

Doch Anne geriet nicht allein Carols wegen ins Wanken. Wie würde Webb Carnahan reagieren, wenn er merkte, dass er nicht zu Carol sprach? Ein Abenteuer … ohne Folgen, hatte Carol versprochen. Sie stellte sich für einen Augenblick Craigs Gesicht vor, wenn er davon erfahren würde, und das gab den Ausschlag.

»Hier … lies das … du wirst sehen, es ist keine Hexerei.« Carol schob ihr das Textbuch zu.

Trotz des knisternden, altmodischen Ofens, der die Garderobe heizen sollte, war es Anne, als müsste sie erfrieren. Gegen die Gänsehaut half auch der dicke Morgenrock nichts.

Sie saß auf einem wackligen Stuhl unter der Tür und wartete auf den Moment ihres Bühnenauftritts. Harris Phelps hatte ihr stützend den Arm um die Taille gelegt. Obwohl sie froh war um seine Gegenwart, hörte Anne seinen beruhigenden Reden kaum zu, denn sie beobachtete Webb Carnahan durch die Öffnungen in den Kulissen. Die Bewegung seiner Lippen, seine, besonders wenn er zürnte, finsteren, beinahe bitteren Züge, vor allem aber seine Art sich zu bewegen, erinnerten sie an ein gereizt im Käfig auf und ab gehendes wildes Tier. Er hatte für diese Szene die Jacke ausgezogen und trug nur ein dünnes Seidenhemd mit offenem Kragen. Einmal hob er den Arm und fuhr sich mit der Hand durch das dichte schwarze Haar, dabei konnte sie das weiche Spiel seiner Rücken- und Schultermuskeln sehen. Alles an ihm war Grazie und Bewegung. Sie war wahnsinnig, solchen Gedanken nachzuhängen, besonders in diesem Augenblick …

Anne erschauderte leicht, doch diesmal war es nicht die Kälte, die sie zittern ließ.

Harris Phelps musste es bemerkt haben, jedenfalls fühlte sie, wie er sie fester umfasste. »Kalt, Anne? Vermutlich fragen Sie sich, warum wir uns von Carol zu dieser Verrücktheit überreden ließen. Aber ich bin sicher, Sie wissen so gut wie ich, wie einfach es für Carol ist, ihre Freunde um den Finger zu wickeln. Es würde mich nicht überraschen, wenn sie sich in eine der hinteren Reihen geschlichen hätte, um zu sehen, was passiert.«

Anne nahm an, dass Harris Phelps ziemlich überrascht gewesen war, als er in Erwartung eines nachmittäglichen Schäferstündchens in Carols verdunkeltes Hotelzimmer gekommen war und dort im rosagedämpften Licht der Lampe Carols Freundin in Carols Perücke und Carols blassgrünem Negligé vorgefunden hatte.

Es war ein Test gewesen. »Wenn Harris dich aus der Nähe für mich hält, merkt niemand im Publikum etwas. Siehst du das nicht ein, Anne?«

In Anbetracht der Umstände hatte Harris sich sehr anständig benommen. Er hatte Anne die Maskerade verziehen und sich achselzuckend von Carol überreden lassen, mitzumachen. »Nur für diese eine Aufführung. Es darf sonst niemand dahinterkommen …«

»O ja, die Vorschriften der Gewerkschaft!« Carol hatte das Gesicht verzogen. Als es ihr aber gelungen war, ihren Willen durchzusetzen, wurde sie gleich wieder überschwänglich. »Ihr sollt euch kennen lernen. Harris, das ist Anne Hyatt. Kannst du dir vorstellen, dass wir in der Schule dicke Freundinnen gewesen sind? Das heißt, bevor ich rausgeflogen bin.«

Harris Phelps war reizend gewesen, aber Anne hatte das unangenehme Gefühl, er mustere sie unablässig. Klassierte er sie? Wurde er nicht klug aus ihr? War er zu sehr Gentleman, um Fragen zu stellen? Was hatte Carol ihm erzählt, nachdem Anne gegangen war?

Würden ihre Augen bloß nicht immer Webb folgen und wäre ihr doch wieder so leicht zumute wie heute Nachmittag, wünschte Anne j etzt.

Diesmal folgte Phelps ihren Blicken, und sie fühlte sein Stirnrunzeln mehr, als dass sie es sah. »Darf ich Ihnen einen Rat geben? Gehen Sie ihm aus dem Weg, Anne. Die meisten Frauen sind von Webb fasziniert, er nützt das aus. Er hat darin eine Kunst entwickelt. Er liebt sie und verlässt sie wieder, wenn er sie ausgequetscht hat wie Zitronen. Zugegeben, er ist ein verdammt guter Schauspieler, aber er ist es auch außerhalb der Bühne. Ich habe irgendwie den Eindruck, Sie hätten wenig Erfahrung mit solchen Männern …«

Sah man ihr ihre Unerfahrenheit tatsächlich von weitem an? Anne richtete sich auf und suchte nach einer schlagfertigen, spielerischen Replik.

»Ich werde nicht klug aus Ihnen, Anne Hyatt«, fuhr er fort. »Sie sind wie ein Chamäleon, nehmen Farben an, die nicht wirklich die Ihren sind. Mit Carols Perücke und ihrem Make-up sehen Sie ihr so verdammt ähnlich, dass sogar ich kaum glauben kann, dass Sie nicht Carol sind. Und dennoch sind Sie genau das Gegenteil von Carol. Blass, hellblond und … schüchtern. Hab ich Recht? Warum haben Sie dieser kleinen Scharade zugestimmt, Anne?«

»Darauf haben Sie selber die Antwort gegeben, Harris. Erinnern Sie sich? Als Sie von Carols Überzeugungstalent sprachen.« Anne zuckte die Achseln. »Zudem war es für mich ein Abenteuer. Mein bisheriges Leben ist nicht halb so interessant gewesen, wie das von Carol sein muss!«

Harris Phelps seufzte. Enttäuscht oder entnervt? Anne wünschte, er würde schweigen und sie nicht länger analysieren. Sie wollte nur das, was ihr bevorstand, hinter sich bringen. Nachher, auf der Party, die anschließend in Carols Suite stattfinden sollte, würde sie als sie selbst erscheinen.

Kapitel 4

Anne Hyatt verwirrte Harris Phelps. Er war an einen anderen Frauentyp gewöhnt, an strahlende Schönheiten, selbstsicher und sehr fügsam, wenn sie herausfanden, wie reich er war. Er war es auch gewohnt, seine wahren Gefühle hinter der langmütigen Fassade, die er der Welt zu zeigen beschlossen hatte, zu verstecken.

Harris hatte ein Vermögen geerbt, und er hatte die Millionen seines Vaters zu Milliarden gemacht. Er sah wie ein Epikureer aus, der sich seine Vorlieben leisten konnte. Er war mittelgroß, hielt sich durch Training, Massagen und Dampfbäder fit und ging jeden Monat zur ärztlichen Untersuchung. Er spielte nicht schlecht Tennis und ausgezeichnet Golf. Sein Haar war tadellos frisiert, und ein schmaler Schnurrbart half mit, seinem Gesicht einen von ihm als unbekümmert und leicht verrucht taxierten Ausdruck zu geben. Wäre die Phelps-Nase nicht gewesen, hätten seine Züge als schön gegolten. So aber strafte die lange, stolze, gebogene Nase die dünnen, sensiblen Lippen Lügen; es war die Nase eines Räuberhauptmanns, eines starken, skrupellosen Mannes, der kriegte, was er wollte. Doch die meisten, die Harris Phelps kennen lernten, hörten seinem nie endenden, beinahe geschwätzigen Redefluss zu und hielten ihn für einen Playboy mit geerbtem Geld … dabei vergaßen sie jede Vorsicht, was sich zu seinem Vorteil auswirkte.

Harris nannte sich selbst Kunstliebhaber; in früheren Zeiten hätte er als Mäzen gegolten. Im Augenblick interessierte er sich für Film und Theater. Ein Hobby – warum nicht? Er konnte sich ein halbes Dutzend Hobbys leisten, wenn er wollte, aber er brauchte eine Herausforderung.

Anne starrte wieder auf die Bühne. Während er ihr klassisch schönes Profil betrachtete, ertappte Phelps sich wieder bei der Frage, was ihn an dieser Frau so verwirrte. Sie war nicht sein Typ. Er zeigte sich gerne mit langbeinigen, großbrüstigen Mädchen, besonders mit solchen, die sich schon selbst einen Namen gemacht hatten. Wie Carol Cochran. Er war im Augenblick Carols offizieller Freund, doch das hieß nicht allzu viel. Sowohl er wie Carol sahen es nicht als Dauerzustand an, was beiden gestattete, sich nach einer andern Beziehung umzusehen. Er wusste, Carol sah in ihm das Geld …

Aber mit Anne Hyatt – Anne Reardon Hyatt, korrigierte Harris sich selbst – war es etwas anderes. Er hatte sie zuerst als Richard Reardons Tochter gesehen – und er war einer der wenigen, die wussten, wofür Richard Reardon stand und wie weit die Furcht erregende Macht dieses Mannes ging. Doch in den letzten vier Stunden, in denen er als ihr Beschützer und Mentor geamtet hatte, hatte er angefangen, sie als Frau zu sehen, hatte ihre verborgenen Qualitäten entdeckt.

Ob sie wirklich so jungfräulich und unberührbar war, wie es den Anschein machte? In Washingtoner Kreisen wurde nicht über sie geklatscht; das Einzige, was er gehört hatte, war, Craig Hyatts Frau sei ein Mäuschen.

Anne Hyatt war durchaus kein Mäuschen; sie kleidete sich zwar konservativ und sah ohne Make-up wie ein Teenager aus. Sie hatte ein hübsches Gesicht und einen tadellos gebauten, etwas zu mageren Körper. Zudem verriet sie Charakter. Versteckte Tiefe.

Oder irrte er sich? Sie schien unfähig, die Augen von Webb Carnahan zu lösen, und einmal mehr fragte sich Harris irritiert, warum Webb die Blicke aller Frauen auf sich zog. Hatte er etwas mehr als andere? Magische Kräfte? Carol hatte das einmal behauptet. »Du verstehst das nicht, Harris, Liebster, aber der Hund hat sie. Verdammt, es liegt an seiner Körperhaltung, seinen raubkatzenhaften Bewegungen, der Art, wie er eine Frau ansieht, die er begehrt. Ich bin geheilt, aber siehst du nicht, wie jede, die seinen Weg kreuzt, reagiert?« Webb zog die Frauen normalerweise an wie Fliegen, aber diese bestimmt nicht. Anne war nicht Webbs Typ, sie war … Harris’ Geist zögerte ob der altmodischen Klassifizierung. Sie war eine Dame. Das war es. Eindeutig zu gut, um auf Webb hereinzufallen, ganz bestimmt nicht eine, die sich für ein schnelles Abenteuer hergab. Zudem liebte Webb Frauen, die so sinnlich und wild waren wie er.

Die Szene auf der Bühne steuerte dem Höhepunkt zu. Bald würde der Vorhang fallen, und das hektische Hin und Her, das jeder Kulissenwechsel mit sich brachte, würde beginnen. Dann würde Anne an der Reihe sein. Sie hatte Angst. Harris hatte zu sprechen aufgehört, aber sie hatte es nicht bemerkt, bis er ihr vom Stuhl half und die Garderobentür hinter ihnen ins Schloss fiel. Seine Stimme klang ruhig und beschwichtigend, als verstünde er ihre plötzliche Panik. »Es ist bald so weit, Anne. Wir wollen nicht, dass jemand, der Requisiten herumträgt, Sie aus der Nähe sieht. Ich gebe Ihnen einen Cognac, versuchen Sie, sich zu entspannen, bis man an Ihre Tür klopft. Dann ist es Zeit für Ihren Auftritt. Machen Sie sich keine Sorgen … Carol sitzt jeweils auch so vermummt im Gang, genehmigt sich einen Drink und nimmt ihren Platz am Fenster erst im letzten Augenblick ein. Genau das werden Sie auch tun. Die Szene ist sehr kurz, sobald Sie auf der Bühne sind, wird sie Ihnen noch kürzer vorkommen. Es wird niemand etwas merken.«

»Er schon.«

Harris, der Cognac in zwei Schwenker einschenkte, bemühte sich, seinen Unmut nicht zu zeigen. »Natürlich merkt er es! Darum geht es ja. Wir wollen Webb einen Streich spielen. Rache steht ihr zu.« Er zuckte die Schultern.

Anne nahm das Glas, das er ihr hinhielt, obwohl sie kein Gefühl in den Fingern hatte. »Rache?«

»Sie lesen natürlich weder die Klatschspalten noch die mit Geschwätz gefüllten Filmhefte. Webb und Carol haben vor einiger Zeit Schlagzeilen gemacht. Sie waren sogar eine Weile verlobt. Webb sah dabei vermutlich vor allem die Möglichkeit, seine Karriere zu fördern. Carol war schon damals berühmter als er, der eben erst mit einer Fernsehserie angefangen hatte. Kurz darauf hat Carol ihren dritten Mann geheiratet. Ted Grady. Wir wissen beide, dass Carol kein Engel ist, aber Webb hat es ihr wirklich gemein gemacht. Seither haben sie trotz meines Abratens immer wieder kurzfristig etwas miteinander gehabt. So viel ich weiß, hat er es aber in den letzten Tagen mit Carols zweiter Besetzung getrieben.« Anne wollte plötzlich nichts mehr hören. Um sich vom Denken abzuhalten, hob sie den Schwenker unter die Nase und sog den schweren Duft ein, bevor sie den Cognac sehr, sehr langsam schlürfte. Harris Phelps beobachtete sie anerkennend. »Sie sind die erste Frau, der ich begegne, die weiß, wie man einen guten Cognac trinkt.«

Sie reagierte mit einem Kichern und hielt das Glas von sich weg. Der schwere, wollene Morgenrock öffnete sich, und Harris erhaschte einen Blick auf ihre durch das Negligé schimmernden Brüste.

Jemand klopfte zwei Mal an die Tür, und eine männliche Stimme sagte: »Sie sind dran, Miss Cochran!«

»In Ordnung, sie kommt. Schalten Sie die Beleuchtung ein!«, rief Harris. Er nahm Anne am Arm und sah sie scharf an. »Sind Sie sicher, dass Sie bereit sind? Geben Sie mir Ihr Glas.« Seine Stimme klang jetzt kühl und sachlich, aber der Ausdruck seiner Augen war unergründlich, als er fortfuhr: »Versuchen Sie, daran zu denken, dass Sie lediglich reagieren müssen. Sie haben diese Szene mit Carol geprobt, es ist wirklich keine Hexerei. Sie stehen dort, halten sich an den Vorhängen und wollen nur mitbekommen, was vorgeht, aber Sie haben Angst.«

»Ja.« War das tatsächlich ihre Stimme? Sie klang tonlos. »Es ist, wie wenn man zum Zahnarzt geht, nicht? Wenn man auf dem Stuhl sitzt, weiß man, dass es gleich vorüber ist. Ich bin jetzt okay, ehrlich.«

Harris begleitete sie in die Kulissen. Seine Stimme klang in ihren Ohren wie das Murmeln des Meeres. Vielleicht war es aber auch das auf der andern Seite des schweren Vorhangs hüstelnde und sich rekelnde Publikum, das sie hörte.

Anne versuchte, alle anderen Gedanken zu verscheuchen und nur daran zu denken, wie oft sie auf diese Bühne geklettert war, um vor einem imaginären Publikum die verschiedensten Rollen zu spielen. Ihre Einbildungskraft hatte sie nie im Stich gelassen und tat es auch diesmal nicht: Sie war Carol Cochran, der Star. Nicht Anne – Anne war jemand anderer, der wieder zum Vorschein kommen würde, wenn alles vorbei war. Vergessen, dass dort wirklich Leute saßen, nur daran denken, dass sie Carol war, die ein Mädchen namens Toni spielte, das eben seinen Liebhaber an das FBI verraten hatte.

Harris hatte ihr den schweren Morgenrock abgenommen, und nun fühlte sie sich seltsam leicht in Carols Negligé. Das gedämpfte Licht fiel von hinten auf sie und umriss ihren Körper.

Nicht denken, reagieren. Das hatte eben noch jemand zu ihr gesagt. Nun stand sie an einem Fenster, das nicht wirklich ein Fenster war, und klammerte sich an die Vorhänge, die es halb verdunkelten.

Sie hörte eine Reihe kleiner Explosionen, dann ein dumpfes, schleppendes Geräusch, das anzeigte, dass der Vorhang aufging. Sie sind dran, Miss Cochran!

Sie stand reglos da, die Angst ließ ihren Körper erstarren; dem Publikum schien das richtig, sollte ihre Haltung doch Angst, Spannung und bange Erwartung ausdrücken.

Wieder Schüsse und laute Stimmen, dann wurde die Tür aufgerissen, und er stürzte herein, das weiße Hemd voll Blut und Erde, Entsetzen, Schmerz und Hass im Gesicht.

Sie war gezwungen, ihn anzusehen, und durch ihn wurde alles zur Wirklichkeit, als geschähe, was sie in Carols Textbuch gelesen hatte, nun tatsächlich,

Sie stand da – Toni stand da am Fenster, immer noch starr vor Angst. Er kam auf sie zu, sie machte unwillkürlich einen Schritt zurück und hob die Hand vor den Mund, um einen Aufschrei zu ersticken.

Er fiel auf die Knie, rappelte sich wieder auf, taumelte, den einen Arm ausgestreckt, auf sie zu und keuchte: »Toni … verdammt, was stehst du einfach da? Hilf mir! Du musst …« Er fiel beinahe gegen sie, seine Hände suchten verzweifelt nach Halt und rissen ihr das Negligé vom Leib, während er sie mit rauer, schmerzverzerrter Stimme beinahe anschrie: »Toni – mein Gott! Sie sind hinter mir her, du musst …« Dann, als hätte er etwas in ihrem Gesicht gelesen, schlug seine Stimme plötzlich um, wurde kräftiger, drückte nur noch Abscheu und Hass aus. »Du! Du hast sie auf meine Spur gesetzt, nicht wahr? Du hattest es geschworen … du Luder! Du hast mich umgebracht, genau wie du es gesagt hast … du …«

Er lag sterbend zu ihren Füßen; sie konnte sich nicht rühren. Die Tränen liefen ihr über die Wangen, und sie konnte nichts dagegen tun, so wenig wie gegen das Zittern, das in ihren Knochen den Anfang nahm und ihren Körper beben ließ, als sie im dämmrigen Schein des Lichtes hinter ihr sah, wie seine Augen, die die ihren nicht losließen, sich weiteten. Lächerliche Gedanken jagten sich in Annes Kopf, als sie wie hypnotisiert auf ihn hinuntersah. Er verhaspelt sich doch nicht, dachte sie. Carol wird wütend sein. Es ist alles umsonst gewesen. Was wird er tun, wenn er dahinterkommt? Erst als sie den zum Sturm wachsenden Beifall hörte, merkte sie, dass der Vorhang gefallen war. Fliehen … doch sie konnte nicht fliehen, er hatte ihre Fesseln umklammert.

»Für dich gibt es keine Vorhänge, Baby«, sagte er mit leiser, wütender Stimme. »Aber du wirst einiges erklären müssen.«

Jemand hatte ihr aus der Seitenkulisse den Morgenrock zugeworfen. Webb Carnahan war mit finsterem, drohendem Gesicht aufgesprungen, hatte ihn aufgefangen und ihn ihr um die zitternden Schultern gelegt. »Ist das einer von Caros Streichen?«, fragte er. »Sie werden mir alles erzählen, nicht wahr?«

Leute kamen auf die Bühne und schoben Requisiten herum. Er nahm sie in seine starken Arme. Instinktiv verbarg Anne ihr Gesicht an seiner Schulter. Sie hörte ihn zynisch lachen.

»Geschickt gemacht, Baby. Wir wollen doch nicht, dass jemand merkt, dass Sie nicht Carol sind.«

Es waren nur ein paar Schritte bis zu Carols Garderobe. Anne zuckte zusammen, als er die Tür ins Schloss warf und sie unsanft wieder auf die Füße stellte. »Würden Sie mir jetzt erklären, was das sollte?«, fragte er mit trügerischer Ruhe.

Wo war Harris? Es kam ihr niemand zu Hilfe, sie musste die Suppe, die sie sich eingebrockt hatte, allein auslöffeln. Trotzig wich sie zurück, riss sich dabei die Perücke vom Kopf und schüttelte ihr Haar. Das verwirrte Staunen auf seinem Gesicht, als er sie wiedererkannte, freute sie. »Ich denke, ich muss mich bei Ihnen entschuldigen. Wir … Carol und ich wollten …«

Jemand klopfte an die Tür. Harris Phelps fragte mit besorgter Stimme: »Anne? Ist alles in Ordnung?«

»Warum sagen Sie dem Kerl nicht, es sei alles bestens, wir hätten etwas zu bereden?«, fragte Webb, Harris nachäffend.

»Es ist alles in Ordnung, Harris, ehrlich«, rief Anne.

Er war so wenig auf eine Szene erpicht wie sie oder Carol. Webb wusste das natürlich. Er hatte die Arme verschränkt und musterte sie mit einem spöttischen Lächeln.

»Sie haben die Anweisungen gut befolgt. Anne. Ich habe Carols Handschrift erkannt. Nun … wer hat die Wette gewonnen?«

Da sie ihm nicht mehr in die Augen sehen mochte, wandte sie sich ab und setzte sich vor den Spiegel, um das dicke Make-up abzuschminken. »Sie. Da Sie jetzt alles wissen, bleibt nichts mehr zu bereden. Carol hat den Streich … den Scherz ausgeheckt, und ich habe mitgemacht. Wenn Sie wütend geworden sind, tut es mir Leid.«

Warum musste er sich so dicht hinter sie stellen? So nah, dass sie die Wärme seines Körpers fühlte.

Seine Finger schlossen sich um ihren Arm und zogen sie hoch. »Tut es Ihnen wirklich Leid, Annie? Zeigen Sie es mir. Oder hat Carol Ihnen nicht gesagt, was für ein skrupelloser Hund ich bin?«

Ihr Protest erstickte in ihrer Kehle, als er sie küsste.

Anne fühlte, wie ihr Verstand aussetzte. Bis zu diesem Augenblick hatte sie nicht geahnt, was Begierde war. Nun spürte sie sie in sich, eine an allen Organen nagende, sich langsam entrollende Schlange. Empfindungen wurden in ihr wach, die sie noch nie gefühlt hatte und die sie, ganz instinktiv, animalisch reagieren ließen. Hätte sein Mund nicht so drängend und gewaltsam den ihren verschlossen, sie hätte den Schmerz des Begehrens, der nach Linderung verlangte, laut hinausgeschrien. Wie von selbst legten sich ihre Arme um seinen Hals. Statt ihn von sich zu stoßen, presste sie sich an ihn. Mit einer geschmeidigen Bewegung hob er sie auf und trug sie zur Couch an der den Fenstern gegenüberliegenden Zimmerwand. Noch während er sie auf die Polster gleiten ließ, streifte er ihr den Morgenrock ab. Nackt wie scheinbar nie zuvor sah sie sich im Spiegel des Toilettentisches, kam sich vor wie gehäutet von aller Moral, und noch bevor in ihrem Kopf das Denken und Staunen darüber richtig einsetzte, war er, ebenso nackt wie sie, über ihr. Vielleicht versuchte sie wie in einem Reflex die Schenkel noch einen Augenblick geschlossen zu halten. Aber da war er schon zwischen ihnen, und die Begierde betäubte alle ihre Skrupel. Jede Bewegung seiner Hüften fing sie mit ihrer Bewegung auf. Die Wollust durchflutete sie in steigenden Wellen, von denen ihre beiden Körper wie ein einziger fortgerissen wurden bis zum Augenblick, da die Lust sie zu verbrennen schien.