Joachim RadkauUnter Mitarbeit von Ingrid Schäfer
Holz
Wie ein NaturstoffGeschichte schreibt
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Holz – Wie ein Naturstoff Geschichte schreibtin der Reihe ›Stoffgeschichten‹
© 2018 oekom verlag, MünchenGesellschaft für ökologische Kommunikation mbHWaltherstraße 29, 80337 München
Lektorat: Dr. Manuel Schneider, oekom e. V. Umschlaggestaltung: Büro Jorge Schmidt, MünchenUmschlagabbildung: Marguerite JoosAutorenfoto: Universität BielefeldInnenlayout und Satz: Ines Swoboda, oekom verlag
E-Book: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt
Alle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-96238-519-4
Stoffgeschichten – Band 3
Eine Buchreihe des Wissenschaftszentrums Umwelt der Universität Augsburg in Kooperation mit dem oekom e. V.
Herausgegeben von Prof. Dr. Armin Reller und Dr. Jens Soentgen
Die Dinge und Materialien, mit denen wir täglich hantieren, haben oft weite Wege hinter sich, ehe sie zu uns gelangen. Ihre wechselvolle Vorgeschichte wird aber im fertigen Produkt ausgeblendet. Was wir an der Kasse kaufen, präsentiert sich uns als neu und geschichtslos. Wenn man seiner Vorgeschichte nachgeht, stößt man auf Überraschendes und Erstaunliches. Auch Verdrängtes und Unbewusstes taucht auf. Gerade am Leitfaden der Stoffe zeigen sich die Konflikte unserer globalisierten Welt.
Deshalb stellen die Bände der Reihe Stoffgeschichten einzelne Stoffe in den Mittelpunkt. Sie sind die oftmals widerspenstigen Helden, die eigensinnigen Protagonisten unserer Geschichten. Ausgewählt und dargestellt werden Stoffe, die gesellschaftlich oder politisch relevant sind, Stoffe, die Geschichte schreiben oder geschrieben haben. Stoffgeschichten erzählen von den Landschaften, von den gesellschaftlichen Szenen, die jene Stoffe, mit denen wir täglich umgehen, durchquert haben. Sie berichten von den globalen Wegen, welche viele Stoffe hinter sich haben.
Holz – Wie ein Naturstoff Geschichte schreibt ist der dritte Band der Reihe. Holz ist als Bau-, Werk- und Brennstoff unentbehrlich. Seine wechselvolle und spannungsreiche Kulturgeschichte spiegelt die Beziehung zwischen dem Naturstoff Holz und seinem Nutznießer Mensch – von den Jägern der Steinzeit bis zur globalisierten Gesellschaft des 21. Jahrhunderts, in der das Holz eine vielfältige und unerwartete Renaissance erlebt.
Vorwort
Kapitel 1Holzwege in die Geschichte
Das »hölzerne Zeitalter«
Machen Stoffe Geschichte?
Holz, Holz, Holz überall!
Prähistorie: Am Anfang war das Feuer
Antike: Die vermeintliche Krise des Waldes
Abhängigkeit vom Holz: Zeitbombe oder Notbremse?
Mensch und Wald: Geschichten und Geschichte
Die wortreiche und die stumme Geschichte
Wendezeiten der Wald- und Holzwirtschaft
Was ist ein Wald – und besteht der Wald nur aus Holz?
Die Natur des Holzes im historischen Wandel
Gute Zeiten – schlechte Zeiten: Natur gegen Geschichte?
Eigenschaften und wechselnder Nutzwert der Holzarten
Klassifizierungen der Holzarten
Formen der Waldwirtschaft
»Holzfehler«? – Technische Probleme mit dem Naturstoff Holz
Kapitel 2Mittelalter und beginnende Neuzeit: Holzressourcen zwischen Ausschöpfung und Regelung
Die mittelalterliche Gesellschaft stößt an die Grenzen der Wälder
Von der Rodung zur Regulierung der Waldnutzung
Markgenossen und Holzgerichte
Der Kampf um das Waldeigentum
Waren die Bauern die »Blutegel«, die Fürsten die »Retter« des Waldes?
Bau- und Nutzholz: Holz wird zur Handelsware
Eichen für den Schiffbau: Die Anfänge von Holzverknappung und Holzhandel
Fachwerk: Von der Kunst der Holzverbindungen zur Kunst der Konstruktion
Einheit und Ausdifferenzierung der Holzhandwerke
Der Aufstieg der Brennholz-Großverbraucher und die erste Welle der Forstordnungen
Die »Feuergewerbe« und das Holz
Expansionsrausch und »Holzbremse« im Montanwesen
Holznot – für wen?
Forstordnungen und Bergbauinteressen
Nürnberger Nadelholzsaat und Siegerländer Haubergwirtschaft
Flößerei und Trift: Der Wassertransport als Triebkraft der Holzwirtschaft
Waldgewerbe im Zwielicht: Pottaschesieder, Pechbrenner, Glasmacher, Köhler
Holzersparnis als Ziel von Erfindern
Kapitel 3Im Vorfeld der Industriellen Revolution:Höhepunkt und Ende des »hölzernen Zeitalters«
Reform, Revolution und Holzwirtschaft
Handelsrevolution, Holzboom und Holländerflöße
Kapitalismus und Protektionismus
Staatsreform und Forstreform
Die »Agrarrevolution« und die Grenze zwischen Wald und Feld
Das »Gespenst der Holznot«: Die Holzwirtschaft vor der Katastrophe?
Die Alarmrufe des 18. Jahrhunderts und die Historiker
Holzverknappung – institutionelle oder ökologische Krise?
Engpässe im Transportwesen
Dezentrale Industrialisierung im 18. Jahrhundert
Das Interesse an der Holzmangel-Klage und die Gegenstimmen
Forstreform und ökologische Krise
Der Wald: Vom Lebensraum zum Kapital
Der Wald als Kunstprodukt und als Rechenexempel
Die verordnete Holzknappheit
»Freiheit« im Walde: Privateigentum und »Holzfrevel«
Förster und Holzhauer: Die Waldarbeit wird zum Beruf
Die Waldarbeiter
Der Widerstand der Holzfäller gegen die Säge
Der Aufstieg der Sägemühle
Die Holzverbraucher: Haushälterische und expansive Sparsamkeit
Die Entzauberung des Feuers: Holz- und Zeitökonomie
Macht Not erfinderisch? – »Menage des Holzes« und technischer Wandel
Die Salinen
Die Eisenindustrie
Baubranche, Industrialisierung und Holz
Der Holzschiffbau
Kohle: Vom Holzsparmittel zum Motor industrieller Expansion
Die allmähliche Verdrängung des Holzes
Werkzeuge und Maschinen: Das Ende des »hölzernen Zeitalters«
Die Eisenbahn: Ein neuer Typ von Technik
Kapitel 4Die Zeit der Hochindustrialisierung: Denaturierung zum Rohstoff und Renaissance des Holzes
Der Wald: Wirtschaftsfaktor im Industriezeitalter
»Waldschlächterwirtschaft« oder nachhaltiger Waldbau?
Konkurrierende Visionen eines neuen »hölzernen Zeitalters«
Die Forstwirtschaft vor dem Problem der Rentabilität
Intensivierung der Waldwirtschaft: Übergang zum »Industrieholz«
Rationalisierung durch Mechanisierung: Technologischer Wandel in der Waldarbeit
Die technische Revolution in der Holzindustrie
Die Verwandlung von Holz in einen Industrierohstoff
Rohstoff für die Papierherstellung
Die neuen Holzwerkstoffe (Sperrholz-, Span-, Faserplatten)
Die späte Industrialisierung des Möbelbaus
Rationalisierungs- und Mechanisierungsschübe in der Holzbearbeitung
Fachwerk- und Holzleimbau: Von der Zimmermannskunst zum Ingenieur-Holzbau
Spaltstoff und Bindemittel: Wald und Holz in der Öko-Ära
Die Anfänge der »ökologischen Revolution«
Der ökologische und emotionale Blick auf den Wald
Das Horrorszenario »Waldsterben«
Wende in der Waldwirtschaft
Die charismatische und die bürokratische Phase der Öko-Ära
Experiment »Wildnis« – Schutzkonzepte in der Diskussion
Klimawandel und Energiekrise: Entsteht eine große grüne Allianz?
Kapitel 5Blick über die Grenzen: Holz- und Waldwirtschaft in außerwestlichen Kulturen
Globale Perspektiven und Kontraste – Länderbeispiele aus Asien
Die Holzkultur par excellence: Japan
China: Eine ›große grüne Mauer‹ gegen die vordringende Wüste
Waldschutz in Indien: vom kolonialen Erbe zum Protest der Dorfgemeinschaft
Nepal als Paradigma für die Dritte Welt
Konflikte und (vermeintliche) Lösungen
Waldvernichtung in den Tropen
Plantagenwirtschaft und »Turbowälder« – das Beispiel Eukalyptus
Brennholz: nach wie vor eine Haupt-Energieressource der Welt
Blick zurück nach vorn – sechs Schlaglichter auf die Geschichte von Wald und Holz
Anhang
Postskript zum Geheimnis der Zertifikate, oder: Von der Schwierigkeit, nachhaltige Forstwirtschaft von Greenwash zu unterscheiden
Holz- und Wald-Worte
Literaturverzeichnis
Bildquellen
Über den Autor
Nachhaltigkeit bei oekom: Wir unternehmen was!
Vorwort
»Mich wundert, wo unser Gott Holz nimmet zu so mancherlei Brauch für alle Menschen in der ganzen weiten Welt, als Bauholz, Brennholz, Tischlerholz, Böttigerholz, Stellmacherholz, Holz zu Stuben, Schubkarn, Schaufeln, zu hölzern Kandeln, zu Fassen, Gelten etc. Und wer kann allen Brauch des Holzes erzählen? In Summa, Holz ist der größten und nöthigsten Dinge eines in der Welt, des man bedarf und nicht entbehren kann.«
In einer seiner Tischreden hat Martin Luther am 30. August 1532 das Holz und seine große Bedeutung für das menschliche Leben zum Thema gemacht. Holz ist ein Naturstoff, der die Kultur des Menschen von Anfang an begleitet und prägt – nicht nur in der Vergangenheit, dem »hölzernen Zeitalter«, auch heute noch. Wir erleben momentan eine Renaissance von Holz als Baustoff und Energieträger, die noch vor wenigen Jahren kaum einer für möglich gehalten hätte.
Umso erstaunlicher, dass es bislang kaum zusammenhängende »Stoffgeschichten« über das Holz gibt. Aber ist »Holz« überhaupt ein historisches Thema? Waldwirtschaft, Aufforstung, Holzschlag, Köhlerei, Holztransport, Holzverteilungssysteme, Holzhandwerke, Bauwesen, Brennholzwirtschaft, Pech-, Teer- und Pottaschegewinnung, dazu in moderner Zeit die Holzschliff- und Zellstoffindustrie: Viele dieser Themen werden in der Literatur meist getrennt voneinander behandelt. Ist es sinnvoll, sie in einen Zusammenhang bringen zu wollen?
Von den Verhältnissen der vorindustriellen Zeit her ergibt sich die Verbindung von selbst; denn viele Holzverbraucher standen in direkter Beziehung zum Wald, und alle hatten es in irgendeiner Weise mit den natürlichen und stofflichen Eigenschaften des Holzes zu tun. Heute tritt dieser Zusammenhang oft nur verhüllt in Erscheinung: Durch die modernen Transport- und Verteilungssysteme ist der direkte Zusammenhang zwischen Wald und Holzverwertung teilweise unterbrochen worden, und die natürlichen Eigenschaften des Holzes sind vielen industriellen Holzprodukten nicht mehr anzusehen.
Mit Blick auf die Zukunft ist es dennoch wichtig, den Zusammenhang der verschiedenen Bereiche der Holznutzung wieder bewusst zu machen. Die Verbindung ergibt sich zunächst durch die gemeinsame Ressource, den Wald. Die weltweite Begrenztheit dieser Ressource steht heute deutlich vor Augen; die jahrhundertealte Furcht vor Holzverknappung, die lange in Vergessenheit geraten war, lebt wieder auf. Zusammenhänge ergeben sich aber auch durch die Entwicklung der Technik. Die modernen Technologien zur Nutzung bisheriger Holzabfälle ermöglichen neue Formen der Koppelung verschiedener Holznutzungsarten (Holz als Werkstoff, als Brennstoff und als Material für die Zellstoffproduktion). Schon in der frühen Neuzeit gab es Bestrebungen, Holzabfälle zu nutzen und die Holzverwertung zu einem ineinander greifenden System zu machen; diese Bestrebungen sind heute zukunftsträchtig.
Schon früher kamen jedoch die verschiedenen Arten der Wald- und Holznutzung einander häufig in die Quere. Auch heute und in Zukunft besteht die Gefahr, dass zwischen den verschiedenen Interessen – maximale Nutzung der regenerativen Ressource Holz, optimale Nutzung der natürlichen Eigenschaften des Holzes, Rückkehr zu einer ökologisch stabilen Waldwirtschaft – Zielkonflikte auftreten. Auch das unterstreicht die Notwendigkeit, den gesamten Sektor »Wald und Holz« mehr, als das bisher meist geschieht, im Zusammenhang zu sehen: Nur dann können gefährliche Zielkonflikte rechtzeitig erkannt und bewältigt werden.
Darin liegt der Reiz, aber auch die Schwierigkeit für eine Stoffgeschichte Holz: Man stößt auf einen großen Zusammenhang der Geschichte, der bisher weithin unter der Oberfläche lag und von den Historikern nur wenig beachtet wurde. Unser Wissen darüber, wie in früherer Zeit der Wald die menschliche Existenz prägte und wie er auf die Beanspruchung durch den Menschen reagierte, ist noch sehr lückenhaft.
Zwar gibt es eine Fülle an forstgeschichtlichen Untersuchungen; aber diese stützen sich für die ältere Zeit vor allem auf die Masse der Forstordnungen. Was im Wald tatsächlich vor sich ging, ist damit noch nicht gesagt. Auch neigt die Forstgeschichtsschreibung dazu, frühere Waldzustände allein aus der Sicht der modernen Forstwirtschaft zu beurteilen, die den Wald fast nur als Holzproduzenten begreift.
Der Zusammenhang der Forstgeschichte mit der allgemeinen Geschichte, die Wechselwirkung zwischen Wald und wirtschaftlich-technischer Entwicklung ist noch wenig geklärt. Man kennt den gewaltigen Holzverbrauch mancher früheren Gewerbe, weiß aber noch nicht allzu viel über die Holzpolitik der Städte, über Strategien der Zukunftsvorsorge bei der Holzbeschaffung. Allgemeine Aussagen werden dadurch erschwert, dass gerade in der Holzwirtschaft die lokalen und regionalen Unterschiede ungewöhnlich groß sind.
Sogar die moderne Geschichte der Wald- und Holzwirtschaft ist weniger bekannt, als man meinen möchte. Obwohl Holz nach wie vor einer der vielseitigsten Werkstoffe und ein sehr gewichtiger Faktor der Weltwirtschaft ist, wird es von Ökonomen und Technologen nur wenig beachtet. Die Holztechnik ist keine »Spitzentechnologie«, die Holzindustrie keine spektakuläre Branche der Großindustrie – jedenfalls nicht in Mitteleuropa. Nach wie vor ist die Holznutzung ein unübersichtliches Gebiet, das sich über eine ganze Reihe von Branchen erstreckt. Nur eine Zusammenschau kann dem Faktor »Holz« sein volles Gewicht geben.
So verfolgt das Buch vor allem zwei Ziele: Zum einen geht es um technische Entwicklungen in der Be- und Verarbeitung des Holzes, zum anderen aber auch darum, am Beispiel des Holzes die Materialgebundenheit der technischen Entwicklung, die Umwelt- und Ressourcengebundenheit der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte deutlich zu machen.
Joachim Radkau
Zur Entstehung des Buches
Auch dieses Buch hat bereits seine eigene Geschichte. Sein Ursprung liegt in einem von der VW-Stiftung geförderten Forschungsprojekt Technologische Auswirkungen der Holzverknappung in der frühen Neuzeit, das ich von 1980 bis 1983 zusammen mit Uta Betzhold, Siegfried Menze und Ingrid Schäfer durchführte. Die Ergebnisse dieser Forschung erschienen 1987 unter dem Titel Holz – Ein Naturstoff in der Technikgeschichte in der Schriftenreihe Kulturgeschichte der Naturwissenschaften und der Technik des Deutschen Museums. Das Buch ist seit langem vergriffen und wird hiermit in einer überarbeiteten, erweiterten und aktualisierten Fassung erneut veröffentlicht. Zahlreiche Hinweise auf neuere Entwicklungen in der Wald- und Holzwirtschaft verdanke ich Josef Krauhausen, der eine erste Fassung des neuen Manuskriptes ebenso kritisch wie konstruktiv und kundig kommentiert hat.
Meine damalige Mitarbeiterin Ingrid Schäfer hatte die Kapitel über Wald und Holz im Industriezeitalter verfasst, und auch vieles in den anderen Teilen des Buches entstammt dem wechselseitigen Gedankenaustausch. Für mich war die Arbeit an dem Buch seinerzeit ein neugieriger Vorstoß in ein unbekanntes Gefilde der Geschichte, in dem ich einen Geheimschlüssel zur Weltgeschichte vermutete (nicht ganz zu Unrecht, wie mir noch heute scheint). Auf historischen Holzwegen geriet ich in einen förmlichen Entdeckerrausch – ohne mich an dem Spitznamen »Holzwurm« zu stören, den mir meine Fachkollegen inzwischen angedichtet hatten. Auch nach Fertigstellung der früheren Fassung des Buches verfiel meine Lesewut immer wieder – oft ohne Absicht, jedoch durch Wanderungen und Radtouren inspiriert – auf Wald und Holz. Vor allem die Regionalliteratur erwies sich als eine unerschöpfliche Fundgrube von Denk- und Merkwürdigkeiten. Durch meine Forschungen in der Technik-, Umwelt- und Mentalitätengeschichte in den vergangenen zwei Jahrzehnten ordnet sich vieles für mich mehr als früher in weitere Zusammenhänge ein. Aber schon damals war klar: Man versteht die Holz-Geschichte nicht, wenn man nur auf das Holz schaut.
Obwohl Ingrid Schäfer und ich für Waldromantik sehr empfänglich sind, lautete doch unser Leitmotiv bei der Wald- und Holz-Geschichte: Rationalisierung. Und in der Tat lässt sich der menschliche Umgang mit Wald und Holz in der Neuzeit als eine Abfolge von Rationalisierungsschüben schreiben. Unbewusst standen wir in der Nachfolge Max Webers, genauer gesagt: jenes Rationalisierungs-Monomanen Weber, der üblicherweise in den Seminaren verehrt wird. In meiner Biographie Max Webers (2005) habe ich dagegen einen ganz anderen Weber entdeckt, und auch der hat seine Spuren in der Neufassung dieses Buches hinterlassen. Denn der Umgang mit dem Wald lässt sich nicht konsequent rationalisieren; und Emotionen spielen auch in die menschliche Beziehung zum Holz hinein: heute mehr als vor einigen Jahrzehnten.
Vor zwanzig Jahren war die Holz-Geschichte ein Holzweg im Sinne Heideggers: ein im Dickicht endender Pfad, wo der Spaziergänger enttäuscht umkehrt und nur der Waldarbeiter etwas zu tun hat. Durch den neuerlichen Holzboom dagegen bekommt die Geschichte jetzt ihr dramatisches Finale: Der Kreis scheint sich zu schließen, manche Phänomene des alten »hölzernen Zeitalters« kehren zurück. Aber Vorsicht: Wir stehen nicht am Ende der Geschichte, auch wenn der Geschichtenerzähler nur zu gern diesen trügerischen Eindruck erweckt.
KAPITEL 1
Holzwege in die Geschichte
»Holz lautet ein alter Name für Wald. Im Holz sind Wege, die meist verwachsen jäh im Unbegangenen aufhören. Sie heißen Holzwege.
Jeder verläuft gesondert, aber im selben Wald. Oft scheint es, als gleiche einer dem anderen.Doch es scheint nur so.«
Martin Heidegger: Holzwege (1949)
Das »hölzerne Zeitalter«
Machen Stoffe Geschichte?
Holz ist ein Stoff besonderer Art. Seit Urzeiten hat sich die Geschicklichkeit der menschlichen Hand an der Arbeit mit Holz entwickelt, so sehr, dass man sagen kann: Die Beziehung zum Holz gehört zur menschlichen Natur; die Auseinandersetzung mit dem Werkstoff Holz ist ein Grundelement der menschlichen Körpergeschichte ebenso wie der Geschichte menschlicher Kunstfertigkeit.
Im niedersächsischen Schöningen wurden erst 1997 sieben hölzerne Wurfspeere entdeckt, die an die 400 000 Jahre alt sind: die bei weitem ältesten bislang bekannten Holzgeräte der Welt (Abb. 1). Diese Funde, äußerlich unscheinbar, sind in ihrer Aussagekraft sensationeller als alle Entdeckungen in Troja. Sie zeugen von einem erstaunlichen handwerklichen Geschick in der Holzbearbeitung und machen deutlich, wie unvorstellbar früh der Mensch eine Perfektion im Umgang mit dem Werkstoff Holz zu entwickeln vermochte.
1 In einem Braunkohletagebau in Schöningen, im Vorland des Harzes gelegen, wurden 1997 hölzerne Wurfspeere gefunden. Mit einem Alter von 400 000 Jahren sind es die ältesten vollständig erhaltenen Jagdwaffen der Menschheit. Die Wurfspeere fanden sich auf einem Jagdlagerplatz inmitten zahlreicher Knochen von mindestens 15 Pferden, die vermutlich mit diesen Waffen an einem Seeufer gejagt worden sind. Sie belegen eindeutig, dass der Urmensch (und erst recht der später lebende Neandertaler) bereits ein geschickter Jäger war und nicht allein auf Aas angewiesen war. Sie belegen aber auch die weit entwickelten technischen Fertigkeiten in der Holzbearbeitung.
Das mit dem Holz verbundene Know-how gehört gleichsam zur »Natur des Menschen«, zu einem anthropologischen Urbestand der Menschheit. Hartmut Thieme schreibt im Hinblick auf die gefundenen Wurfspeere: »Die technische Vollkommenheit dieser ballistisch ausbalancierten Fernwaffen lässt auf eine lange Tradition in der Verwendung derartiger Geräte schließen«; daraus lässt sich die aufregende Schlussfolgerung ziehen, dass der Mensch Jahrhunderttausende früher als bislang angenommen zur Großwildjagd fähig war (Thieme 2007, S. 85). Auch in der Ausrüstung des »Ötzi«, der 1991 in den Ötztaler Alpen gefundenen 5 300 Jahre alten Gletschermumie, fanden sich nicht weniger als 17 verschiedene Holzarten, jede je nach ihren spezifischen Eigenschaften zweckmäßig verwendet (Spindler 1993, S. 247–256).
Da hölzerne Geräte aus früher Zeit viel seltener erhalten sind als steinerne und metallene Gegenstände, hatten wir die hölzerne Grundlage der Menschheitsgeschichte lange Zeit unterschätzt. Am Holz hängt eine ganze Kultur der Arbeit, von der Altsteinzeit bis in die Moderne. Zwischen dem Menschen und dem Werkstoff Holz bestand stets eine Wechselbeziehung: Hand, Muskulatur, Gestaltungskraft des Menschen wurden von der Auseinandersetzung mit dem Holz geprägt, und zugleich trug das hölzerne Werkzeug die Spuren der Hand, die mit ihm arbeitete.
Noch die hölzernen Maschinen der frühen Industrialisierung, mochten sie bei ihrer Herstellung auch genormt sein, bekamen über kurz oder lang durch die Menschen, die an ihnen arbeiteten, einen individuellen Charakter – weshalb die Arbeiter an hölzernen Mechanismen schlechter austauschbar waren als die an stählernen Maschinen. An hölzernen Maschinen musste häufig etwas ausgebessert werden; die Arbeiter mussten sich selbst auf die Reparatur verstehen. Das Holz setzte auch der Temposteigerung Grenzen. Die natürliche Faserstruktur der verschiedenen Holzarten prägte die Technikgeschichte des Holzes; aber mehr noch: Bis in die Sozialgeschichte und das Selbstbewusstsein der Arbeit hinein erstrecken sich die Wirkungen des Werkstoffs Holz.
Holz, Holz, Holz überall!
Werner Sombart (1863–1941) gehörte zu jenen Gründervätern der modernen Sozialwissenschaften, die – sehr im Unterschied zu vielen Nachfolgern – nie vergaßen, dass die Natur die Grundlage des Lebens ist und dass die menschliche Kultur durch ihren Umgang mit den natürlichen Ressourcen geprägt wird. Für ihn besitzt die gesamte Kultur der vorindustriellen Zeit untergründig eine innere Einheit, die erst aus der Rückschau erkennbar wird und doch von den Historikern nie beachtet wurde: eine Einheit in ihrem »ausgesprochen hölzernen Gepräge« (Sombart 1928 II/2, S. 1138).
In der Nachfolge Sombarts wurde das »hölzerne Zeitalter« mit seiner »hölzernen Kultur« – eine Ära, die über Jahrtausende, von der Steinzeit bis zum 18. Jahrhundert reicht – zum stehenden Begriff und zum Stichwort für ein kunterbuntes Panorama der vormodernen Welt. Holz, Holz, Holz überall! Holz war über Jahrtausende der allerwichtigste, ja oft der einzige Brenn-, Bau- und Werkstoff, dazu der Grundstoff für Vorläufer der chemischen Industrie. Im Zeichen des Holzes kann man eine ganze Welt Revue passieren lassen: angefangen mit den Holzhauern, den Flößern, den Köhlern, den Pottaschesiedern und den Glasmachern im Walde, weiter zu den Salzsiedern, den Hüttenleuten und Schmieden, den Zimmerern, Wagenbauern, Küfern, Furniersägern bis hin zu der hohen Kunst der Bildschnitzer und Schiffbauer. In der frühen Neuzeit wurde die Lobrede auf den vielfältigen Nutzen des Holzes förmlich zu einer rhetorischen Figur, die umso eindringlicher klang, je mehr man sich um die Holzversorgung sorgte.
Wolf Helmhard von Hohberg, Verfasser eines der bedeutendsten Werke über die Landwirtschaft seiner Zeit, schreibt 1682: »Hätten wir das Holz nicht, dann hätten wir auch kein Feuer; dann müßten wir alle Speisen roh essen und im Winter erfrieren; wir hätten keine Häuser, hätten auch weder Kalk noch Ziegel, kein Glas, keine Metalle. Wir hätten weder Tische noch Türen, weder Sessel noch andere Hausgeräte« (Hauser 1966, S. 38). Holz als Brennstoff rangierte noch vor Holz als Werkstoff; schätzungsweise neun Zehntel des Holzes wurden bis zum 19. Jahrhundert als Brennholz verbraucht; »Kohle« bedeutete bis zu jener Zeit fast immer Holzkohle. Der Venezianer Griselini nannte das Holz 1768 das »kostbarste und für die Bedürfnisse der Menschheit am meisten notwendige Gut« (Vecchio 1974, S. 58).
Das gleiche gilt für den Wald: Nicht nur durch sein Holz war er den Menschen lebenswichtig, sondern – noch wichtiger in vielen Fällen – auch als Weide. Der Wald war das einzige Weidegebiet, bevor die Anlage bewässerter Wiesen zu einer Technik eigener Art wurde.
Wer in der Geschichte nach Wald und Holz sucht, wird leicht zum Monomanen: Überall wird er fündig, in Europa und in vielen anderen Weltregionen. Die hölzerne Basis von Leben, Wirtschaft und Kultur ist allgegenwärtig; immer wieder stößt man auf sie, sofern man nur ein wenig bohrt und zwischen den Zeilen der Quellen zu lesen versteht.
Ein Teil der Wechselbeziehung Mensch – Holz ist wohl eine überhistorische Konstante in der Geschichte der Menschheit; ein anderer Teil jedoch gehört der wechselnden Geschichte an. Denn natürlich hat es in der Holzbearbeitung und Holzverwertung historische Entwicklungen gegeben, gewaltige sogar. Überall machen sich natürliche Eigenschaften der verschiedenen Holzarten bemerkbar; aber diese stellen doch als solche lediglich Potentiale dar, die in verschiedenen Kulturen und Epochen unterschiedlich genutzt und unterschiedlich wahrgenommen werden. Gäbe es nur ein einziges »hölzernes Zeitalter«, eine einzige »hölzerne Kultur«, die von der Altsteinzeit bis um 1800 reichte, könnte der Historiker damit nicht viel anfangen: Da müsste er den Neandertaler mit dem Menschen der Goethezeit unter einen Begriff bringen, und so würde das Hölzerne zu jener Nacht, in der alle Katzen grau sind. Aber so ist es nicht. Genauer besehen, gibt es in der Geschichte eine Vielzahl hölzerner Kulturen und hölzerner Epochen. Diese beginnt bereits in der Ur- und Frühgeschichte, wie der folgende Exkurs an einigen markanten Beispielen aufzeigt.
Prähistorie: Am Anfang war das Feuer
»Wer behauptet, die Menschen in urgeschichtlicher Zeit hätten im Einklang mit der Natur gelebt, hat keine Ahnung, was wirklich geschah«, spottet Eberhard Zangger, ein Querdenker der Archäologie. »Welches Gebiet man auch betrachtet, die erste Phase der vom Menschen verursachten Instabilität war immer auch die verheerendste, weil gleich zu Beginn der meiste Boden verlorenging.« (Zangger 1998, S. 173) Zangger stützt sich auf Befunde der Bodenarchäologie in Griechenland. Aber nicht nur dort deuten archäologische Indizien darauf hin, dass es Umweltkrisen gegeben hat, von denen keine schriftliche Quelle zeugt. Auf den sandigen Böden der Lausitz führte – einige Jahrhunderte später – die großflächige Waldrodung schon im vierten nachchristlichen Jahrhundert zu einer Winderosion von Ausmaßen, die für den Ackerbau verheerend wurden. Um 400 n. Chr. gaben die Bewohner eines Dorfes am Teufelsberg bei Briesnig »den Kampf auf und verließen die Siedlung, über der sich im Verlauf von etwa 100 Jahren noch Sandschichten von bis zu 4 m Mächtigkeit ablagerten« (Spuren 2002, S. 278).
Nicht durch Naturinstinkt, sondern erst durch Erfahrungen der Not und im Zuge der Sesshaftwerdung gelangte der Mensch, wenn überhaupt, zu einem einigermaßen nachhaltigen Umgang mit den natürlichen Ressourcen. Am Anfang steht die pure Beutewirtschaft, und immer wieder droht der Mensch in diese zurückzufallen. Beim Ackerbau und beim Vieh – den beiden wichtigsten Gütern des Bauern – macht sich eine schlechte Wirtschaft relativ rasch empfindlich bemerkbar. Beim Wald dauert es länger; daher ist dort die Verführung zur »Raubwirtschaft« besonders groß. Und zur anschließenden Regeneration braucht es Generationen. Aber sollte der Wald überhaupt wieder hochkommen? Mit der Verbreitung des Ackerbaus war der Impetus der Rodung zunächst viel stärker als die Sorge um Walderhaltung. Die Kehrtwende zum Waldschutz erforderte demgegenüber einen Wandel im Wirtschaftsstil. Von daher kann man annehmen, dass die menschliche Beziehung zum Wald dramatische Züge annahm – aber wann, wo, wodurch und in welcher Weise?
Lange hat man geglaubt, in waldreichen Gebieten hätten die Menschen der Frühzeit ganz von selbst im Einklang mit dem Wald gelebt, da sie mit ihren primitiven Äxten gar nicht imstande gewesen seien, größere Waldflächen zu roden. Aber da hatte man die Fähigkeiten der prähistorischen Menschen offenbar unterschätzt, wie durch Experimente mit Steinäxten gezeigt werden konnte. Ein finnischer Pionier der experimentellen Archäologie demonstrierte 1953, dass man eine mittelgroße Eiche selbst mit einer neolithischen Steinaxt in einer halben Stunde fällen kann (Radkau 2002, S. 59).
Lange Zeit hat man überdies zu wenig bedacht, mit welch flächendeckender Wirkung sich die Menschen schon früh das Feuer dienstbar zu machen wussten. Erst seit den 1960er Jahren wurde durch Kombination paläobotanischer und ethnologischer Forschungen klargestellt, in welchem Maße Formen der Brandwirtschaft weltweit am Anfang der Kultur stehen: Feuerlegen für Jagdzwecke und Wanderfeldbau (englisch: »slash-and-burn cultivation«), wobei abgebrannte Waldgebiete, deren Boden in den ersten Jahren sehr fruchtbar ist, beackert und nach Erschöpfung des Bodens wieder aufgegeben werden. Unter mitteleuropäischen Bedingungen kehrte der Wald wieder zurück, wenn die abgebrannten Gebiete sich selbst überlassen wurden; in dürreanfälligen Gebieten nicht so leicht. Manche Savannen Australiens sind durch das Feuersetzen der Aborigines entstanden; als diese Praktiken eingeschränkt wurden, kehrte der Wald allmählich zurück (Goldammer et al., in: Schulte/Schöne 1996, S. 172).
Vor allem durch das Feuer bekam die menschliche Beziehung zur Natur schon früh dramatische Züge. Wenn das Feuer nicht den Humus im Boden zerstört hat, entfaltet sich auf vielen abgebrannten Flächen rasch eine üppige und artenreiche Vegetation. Aber wieweit vermochten die Menschen die Brände unter Kontrolle zu halten, wenn unversehens der Wind umschlug oder stärker wurde?
Stephen J. Pyne, der wie kein anderer mit pyromanischer Begeisterung überall auf der Welt die feurigen Anfänge der Kultur entdeckt hat, gelangt zu dem Gesamteindruck, dass zwar das Feuer allein wohl selten eine Landschaft zerstört habe; »aber Feuer und Huf, Feuer und Axt, Feuer und Pflug, Feuer und Schwert«, all dies zusammen könne sehr wohl schwere ökologische Schäden hervorrufen, zumal in erosionsanfälligen Weltregionen (Pyne 1997, S. 39). Der gebirgige Mittelmeerraum mit seinen leichten Böden und trockenen Sommern, traditionell ein »Reich des Feuers«, wo Schafe und Ziegen dem Feuer folgten, gehört gewiss dazu. Damit geraten wir nun geographisch in die Welt der klassischen Antike.
Antike: Die vermeintliche Krise des Waldes
George P. Marsh, der 1864 als amerikanischer Botschafter in Florenz mit seinem Buch Man and Nature die erste weitbeachtete amerikanische Brandschrift gegen Waldzerstörung verfasste, glaubte zu wissen, der »brutale und aussaugende Despotismus« des antiken Rom, der die Natur ebenso wie die Menschen ausgeplündert habe, sei die »causa causarum« der mediterranen Verödung (Radkau 2002, S. 183). Noch heute wird man von Reiseführern belehrt, der antike Schiffbau habe die Waldarmut des Mittelmeerraums verschuldet. Aber könnte nicht auch umgekehrt gerade durch den Schiffbau und seine damalige Bedeutung der Schutz hochwertiger Wälder besonders früh zum Politikum geworden sein?
Was beweisen die antiken Quellen? Für den, der von der Waldgeschichte der Neuzeit herkommt, besteht die große Überraschung darin, dass man jene Klagen über Waldzerstörung und jene Sorgen über den Niedergang der Wälder, von denen die forstlichen Quellen seit dem 16. Jahrhundert wimmeln, in der literarischen Überlieferung der Antike fast gar nicht findet (Meiggs 1982, S. 377). Befunde der Bodenarchäologie deuten darauf hin, dass ein erster an Berghängen durch Entwaldung hervorgerufener Erosionsschub in die Zeit vor dem Einsetzen der literarischen Quellen fällt, während sich die mediterrane Ökologie in der Zeit der klassischen Antike wieder einigermaßen stabilisiert hatte, nicht zuletzt durch die Terrassenkultur der Fruchtbäume, jene »Ehe von Weinstock und Olive«, die seither den Charme der mediterranen Hügel ausmacht.
Gewiss waren die Menschen der Antike nicht dümmer als der »Ötzi«, sondern wussten über den vielfältigen Wert des Holzes bestens Bescheid. Und natürlich wussten sie auch, dass Bäume nicht von heute auf morgen wachsen und die jungen Bäume gegen Weidetiere geschützt werden müssen, um hochzukommen. Aristoteles, der berühmteste Universalgelehrte der Antike, kennt bereits so etwas wie »Forstaufseher« – aber er hält es nicht für wichtig, bei dieser Einrichtung zu verweilen (Radkau 2002, S. 164). Der römische Senat ernannte den aus Spanien zurückgekehrten Cäsar zum Aufseher über Wälder und öffentliche Ländereien – aber das war wohl mehr ein Versuch, den ehrgeizigen Emporkömmling politisch kaltzustellen (Meiggs 1982, S. 328). Der Geograph Strabo berichtet, die Erze der Insel Elba (damals Aithalia) müssten, anscheinend wegen Erschöpfung der dortigen Wälder, zur Verhüttung aufs Festland befördert werden – aber er erwähnt das nur kurz als eine Besonderheit der Insel (Strabo V/2 § 6).
Eine der ganz wenigen Hinweise auf umfangreiche Abholzung von Wäldern zu gewerblichen Zwecken (Kupferverhüttung und Schiffbau) stammt von Eratosthenes, dem anderen großen Geographen der Antike, und bezieht sich auf Zypern; aber am Ende ergibt sich, dass der Mensch, so fleißig er auch abholzt, gegen die unablässig nachwachsenden Wälder nicht ankommt. So habe man schließlich sogar, um den Ackerbau hochzubringen, die Rodung freigegeben und das gerodete Land den Siedlern als steuerfreies Eigentum zugesprochen (Strabo XIV/6). John McNeill, der detaillierte Feldforschungen zur Waldgeschichte in fünf auseinanderliegenden mediterranen Gebirgsregionen betrieb, stellte fest, dass eine großflächige Entwaldung überall erst seit dem 19. Jahrhundert nachweisbar wird (McNeill 1992). Die modernen Griechen haben die Schuld an der Kahlheit weiter Teile ihrer Gebirge gerne auf die Türkenherrschaft geschoben; aber selbst Kolokotronis, der griechische Freiheitsheld, klagte darüber, dass Berge auf der Peloponnes, die zur Türkenzeit noch bewaldet waren, nach der Befreiung binnen kurzer Zeit zu Kahlhängen geworden seien (Radkau 2002, S. 163).
Solche Schlaglichter enthalten vermutlich nicht die ganze Geschichte; darauf deuten archäologische Befunde. Als in den 1950er Jahren spätantike Bauten der Stadt Trier mit modernen archäologischen Methoden untersucht wurden, studierte man auch die dort verwendeten Baumarten. Das Ergebnis überraschte: Ganz wider Erwarten war die Eiche in der spätantiken Bischofskirche und in der kaiserlichen Palastaula (sog. Basilika) kaum vertreten; dafür gab es Tannenholz und sogar solche »Holzarten, die andernorts kaum je beim Hochbau verwendet wurden: Erle, Haselnuß, Pappel, Birke und roter Hartriegel« (Hollstein 1980, S. 155).
Manche schlossen daraus, dass es in jener Gegend am Ende der Antike infolge jahrhundertelanger Übernutzung zu einer allgemeinen Eichenholzverknappung gekommen sein musste – selbst in dem für seine Eichen berühmten Germanien. Im Zuge der modernen ökologischen Krisenstimmung hat man sogar eine generelle Umweltkrise im spätantiken römischen Germanien gewittert. Vielleicht haben die antiken Bauleute jedoch in Trier aus praktischen Gründen Holzarten bevorzugt, die später als geringerwertig galten. Eine lokale Verknappung bestimmter Baumarten bedeutet noch keine Krise. Manche Archäologen wunderten sich, wie bereits die Römer Balken aus zerstörten Bauwerken bei Neubauten wiederverwendeten. Ein Zeichen für Holzverknappung? Nicht unbedingt; denn damals wie später empfahl sich Holz aus Altbauten dadurch, dass es bestens abgelagert war und »seine Qualität schon unter Beweis gestellt« hatte (Zwerger 1997, S. 11).
Anders war die Situation in Nordafrika, dem Nahen Osten, in Süd- und Ostasien. Ein ägyptischer Papyrustext von 217 v. Chr. enthält eine Klage, wie man sie im europäischen Mittelmeerraum der Antike kaum je findet: »Überall haben wir Holz gesucht, kaum haben wir eine Akazie gefunden« (Nenninger 2001, S. 63). Aber in Weltregionen ohne kalte Winter war es keine elementare Lebensnotwendigkeit, mit großen Brennholzstapeln vorzusorgen. Und in den großen Bewässerungsregionen waren die Bauern auf keine Waldweide angewiesen. Holz besaß für diese Kulturen nicht im gleichen Maße eine strategische Bedeutung wie für die Kulturen des nördlichen Europa; man konnte sich viel mehr Waldarmut leisten. Herrschaft manifestierte sich dort bis weit in die Neuzeit in der Regel durch Rodung von Wald, nicht durch Waldschutz wie seit dem 16. Jahrhundert in vielen europäischen Regionen.
Als Buddha starb (483 v. Chr.), erwies es sich als schwierig, die zur Verbrennung seines Leichnams erforderliche Menge Holz zusammenzukaufen (Schumann 1982, S. 285 ff.). Aus mittelalterlichen arabischen Städten wird berichtet, die Hausverwalter hätten Acht geben müssen, dass die Mieter beim Auszug nicht die Türen mitnahmen – so kostbar war das Holz (Cahen 1968, S. 62). Ein deutscher Apotheker, der von 1587 bis 1589 die Türkei bereiste, berichtete verwundert, »das wol in viel Tausent Heusern in Constantinopel kein Feur das gantze Jahr uber gemachet wirdt, auch nichtes gekochet, sondern alles aus der Gahrkuchen geholet wegen groser Theuerung des Holtzes. Und dieselben Gahrküche haben ihre eingemauerte Kessel und Pfannen, das sie uber die Massen sparsam mit dem Holtz wissen umzugehen.« (Koder 1984, S. 53 f.) In eben jene Zeit fallen in Deutschland die ersten Anfänge einer Holzspar-Literatur, die auch den Deutschen eine holzsparende Kultur beizubringen versuchte – bis zum 18. Jahrhundert anscheinend nur mit wenig Erfolg.
Im weltweiten Überblick wird klar, dass gerade Europa, wo seit dem 16. Jahrhundert die mit weitem Abstand meisten Klagen über Holzmangel überliefert sind, im Vergleich zu den meisten anderen Kulturen der Welt über reiche Holzressourcen verfügte. Der Holzreichtum West- und Mitteleuropas, ursprünglich ein Element kultureller Rückständigkeit, wurde im Laufe der Geschichte mehr und mehr zu einem Wohlstands- und Machtfaktor ersten Ranges.
Schon in der klassischen Antike gehörten die makedonischen Könige, die Vorgänger Alexanders des Großen, zu denen, die die machtpolitische Bedeutung der Wälder erkannten. Sie machten das Holz zu einem königlichen Monopol (Meiggs 1982, S. 126). An der Verfügbarkeit großer Holzmassen hingen Schiffbau und Metallverarbeitung, die beiden Schlüssel zur Macht. Im Großen und Ganzen erkennt man, wie im Umkreis des Mittelmeers die Verschiebung der Machtzentren vom alten Babylonien über Makedonien und Rom nach Spanien, Frankreich und schließlich zum britischen Empire den Waldressourcen folgt. Im neuzeitlichen Europa wurde die Verbindung von Wald und Macht so bewusst und zielstrebig wie noch nie in der Geschichte perfektioniert und in Institutionen verankert: auch das ein bedeutsamer, wenn auch bislang wenig beachteter Aspekt des neuzeitlichen Aufstiegs Europas.
Abhängigkeit vom Holz: Zeitbombe oder Notbremse?
Der bereits eingangs zitierte Werner Sombart bot zum Holz eine Geschichte großen Stils, nichts weniger als eine Neuinterpretation der Weltgeschichte: Er charakterisierte den Übergang vom »hölzernen Zeitalter« zur Ära der Kohle, der Metalle und der Kunststoffe als große Wende von der »organischen« zur »anorganischen« Welt: eine Wende, die er in seiner späteren Zeit, als er sich zum Fortschrittsskeptiker wandelte, tief bedauerte. Er glaubte zu erkennen, dass die gesamte Kultur vor dem 19. Jahrhundert ein »hölzernes Gepräge« in einem mehr als äußerlichen Sinne trage: Sie sei »auch in ihrer stofflich-sinnlichen Eigenart eine ›organische‹«. Die menschliche Kultur sei naturhafter gewesen als in der industriellen Moderne.
Nun hätte man aus dem »organischen« Charakter der »hölzernen Kultur« eigentlich folgern können, diese Kultur hätte auch auf Regeneration ihrer selbst, auf »Nachhaltigkeit« angelegt sein müssen. Merkwürdigerweise zieht Sombart jedoch diese Folgerung gerade nicht; vielmehr erweckt er den Eindruck, es habe zur Vitalität der »hölzernen Kultur« gehört, mit dem Holz verschwenderisch umzugehen, solange sie noch jung, kraftvoll und schöpferisch gewesen sei. Auf diese Weise war jedoch der schleichende ökologische Selbstmord vorprogrammiert; die zwangsläufig immer weiter um sich greifende Holzverknappung wurde zur Zeitbombe der Vormoderne. Das Wirtschaftsleben, das in europäischen Städten des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit ein stürmisches Wachstum erlebte, habe – so Sombart – im 18. Jahrhundert als Folge der schwindenden Holzressourcen vor dem Untergang gestanden – bis dann die Steinkohle als mächtige Retterin erschien und die Dynamik des Kapitalismus noch gewaltig erhöhte.
Sombart konnte sich auf eine Fülle zeitgenössischer Klagen über Waldverderb und Holznot berufen. Noch in moderner Zeit, gerade im Zeichen des Umweltbewusstseins, wirkten diese Klagen plausibel und wurden immer wieder zitiert; jüngst schildert ein großes Opus des britischen Geographen Michael Williams (2006) die gesamte globale Waldgeschichte als Entwaldungsgeschichte: ein Geschichtsbild ohne Hoffnung. Der massenweise Holzverbrauch lässt bis heute spontan die Sorge um die Wälder aufkommen. Den Spaziergänger überkommt ein Unbehagen, wenn er sieht, wie ein Baum, der in einem Jahrhundert gewachsen ist, in Minuten gefällt wird und in einem Augenblick zu Boden stürzt. Das Fällen eines Baumes ist ein Ereignis mit einem Krach; das Wachstum der Bäume vollzieht sich unmerklich und geräuschlos. Man sieht, wie rasch das Holz im Kamin verbrennt; die Holzressourcen in der Weite der Welt und der Tiefe der Wälder überblickt man nicht. Führt man sich vor Augen, wozu all das Holz, und zwar in Massen, in vormoderner Zeit benötigt wurde, überkommt einen das Gefühl: »Das konnte auf die Dauer nicht gut gehen.« Diese Empfindung verbreitete sich bereits im 18. Jahrhundert, je mehr man auf wirtschaftliches Wachstum setzte und für die Zukunft plante.
Aber weil beim Holz die Begrenztheit und Bedrohtheit der Ressource seit vielen Jahrhunderten etwas sehr Anschauliches hatte (sehr im Unterschied zu der Erschöpfbarkeit der fossilen Energieträger in der Moderne), ist auch die umgekehrte Logik denkbar: Gerade weil zugleich mit wirtschaftlichem Wachstum regelmäßig die Angst vor Holznot hochkam und hemmungslose Wachstumsambitionen dämpfte, übte die »Holzbremse«, die an die Grenzen des Wachstums erinnerte, eine heilsame Wirkung aus, die die Gesellschaft jener Zeit stabilisierte. Man muss sich den frühneuzeitlichen Kapitalismus nicht unbedingt in Sombarts Manier wie einen immer neu mit aufheulenden Motoren startenden und dann durch eine kreischende Holzbremse blockierten Rennwagen vorstellen. Die allermeisten Güter waren in vorindustrieller Zeit knapp; wo reichliche Holzressourcen ein rapides Wachstum der »Feuergewerbe« ermutigten, wurden die Nahrungsmittel zum Engpass, nicht zu vergessen den Hafer für die Pferde, die das Holz transportierten. Die alte Stadtwirtschaft besaß keinen inneren Drang zu grenzenlosem Wachstum, ganz im Gegenteil: Die herrschenden Zünfte wachten über die Produktionsbeschränkung; die von Mauern umgebene Stadt verstand sich als Bürgerverband, der nur unter bestimmten Bedingungen Neulinge aufnahm. Unter diesen Umständen trug die »Holzbremse« dazu bei, die überkommene städtische Ordnung zu stabilisieren.
Führt man sich vor Augen, zu welch einer Vielfalt von Zwecken Wald und Holz den Menschen dienten (dass sie fast alles im Wald irgendwie brauchen konnten, fast jede Holzart, auch Äste, Laub, Totholz), könnte man zu dem Schluss kommen, das »hölzerne Zeitalter« habe zwangsläufig zu einer totalen Ausplünderung und Nährstoffverarmung der Waldgebiete geführt. Diese Überzeugung ist unter Forsthistorikern verbreitet. Aber auch eine ganz andere Logik ist denkbar: dass gerade die Vielfalt der Waldinteressen dahin tendierte, einen vielfältigen, artenreichen Wald zu erhalten. Auch dafür gibt es nicht wenige Indizien.
Auch diese andere Logik des »hölzernen Zeitalters« existiert, für sich genommen, erst einmal nur im Modell. Wieweit sie die Wirklichkeit trifft, ist von Fall zu Fall zu prüfen. Die Menschen verhalten sich längst nicht immer nach der Logik eines idealen Ordnungsmodells. Es ist nicht prinzipiell auszuschließen, dass sich in bestimmten Regionen und Zeiten das große Drama Sombarts tatsächlich abgespielt hat. Es gibt nicht nur eine einzige, sondern mehrere mögliche Holz-Geschichten, aber – wie es scheint – auch nicht unendlich viele: Immer wieder trifft man auf typische Muster.
Zwei Kontrastgeschichten lassen sich nicht nur zur Beziehung von Mensch und Wald, sondern auch zu der des Menschen zum Holz ausdenken. Man kann in ökopessimistischer Manier eine sich über Jahrhunderte erstreckende Geschichte des Niedergangs erzählen: Immer mehr wird das Holz durch andere Bau-, Werk- und Brennstoffe ersetzt; selbst dort, wo es noch Verwendung findet, wird es teilweise bis zur Unkenntlichkeit denaturiert. Es gibt jedoch auch eine ganz andere Geschichte: die Entdeckung neuer nützlicher Eigenschaften des Holzes gerade durch moderne technische Entwicklungen. Die moderne Holzforschung machte auch bei dem Umgang mit Holz, wo bis dahin das Erfahrungswissen herrschte, wissenschaftlich-rationale Zugänge möglich. Holz-Fachbücher haben im 19. und 20. Jahrhundert immer wieder hervorgehoben, dass wir trotz des Erfahrungswissens vieler Jahrtausende zu Unrecht geglaubt haben, das Holz genau zu kennen. Das Erfahrungswissen produziert durch seine Verallgemeinerung auch Vorurteile; der Naturstoff Holz besitzt dagegen in seinen vielfältigen Varianten viele arten-, standort- und verwendungsspezifische Eigenschaften, die zum Teil erst nach und nach entdeckt wurden. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist die Geschichte der Beziehung des Menschen zum Holz eine Geschichte ohne Ende.
Mensch und Wald: Geschichten und Geschichte
Die wortreiche und die stumme Geschichte
Die Geschichte der Beziehung zwischen Mensch und Wald enthält, weltweit und über die Jahrtausende gesehen, eine Vielfalt unterschiedlicher Geschichten. Von reinen Forsthistorikern wird oft übersehen, dass die Waldgeschichte von Anfang bis heute aus dem Wald allein überhaupt nicht zu verstehen ist, sondern stets untrennbar mit der gesamten menschlichen Geschichte zusammenhing und zusammenhängt. Die Vielfalt der Weltgeschichte spiegelt sich auch in der Geschichte der Wälder.
Aber auch die andere Erfahrung kann man machen: Der Waldhistoriker, der von Region zu Region, ja mitunter vom deutschen Mittelgebirge an den Rand des Himalaja springt, hat immer wieder Déjà-vu-Erlebnisse; viele Geschichten kommen ihm bekannt vor, so unterschiedlich auch die Landschaften mitsamt ihren Wäldern aussehen: wieder und wieder Konflikte zwischen Zukunftsvorsorge und kurzsichtigem Egoismus, Erosion und Störung des Wasserhaushalts als Folge radikaler Abholzung, Konflikte zwischen Zentralverwaltungen und Dörfern um die Waldnutzung, zwischen Förstern und Bauern um Waldweide und Brandwirtschaft, hin und her fliegende Vorwürfe der Waldschädigung … Viele Wald-Geschichten haben, um mit Max Weber zu reden, »idealtypische« Züge: Daher die Chance, aus den Geschichten Geschichte zu machen. Wieweit allerdings diese Idealtypen die gesamte Geschichte enthalten, muss im konkreten Fall stets überprüft werden.
Die bis in die Urzeit zurückreichende Geschichte der Wechselbeziehung zwischen Mensch und Holz ist noch über weite Strecken terra incognita; zu einem Großteil wird sie es wohl immer bleiben. Wie der Mensch mit dem Holz umging und dadurch geprägt wurde, ist zumeist eine ganz unspektakuläre Alltagsgeschichte. Die einst banalen Selbstverständlichkeiten entdeckt man, wenn überhaupt, meist nur zwischen den Zeilen der schriftlichen Quellen: Kein Wunder, dass die Geschichte des Alltags viel schlechter erforscht ist als die Geschichte der großen Kriege.
Überhaupt lassen die schriftlichen Quellen den Historiker beim Thema »Holz« sehr oft im Stich: Da muss er auf die Dinge achten, die materielle Kultur einer Zeit, und er muss genau und mit Kennerblick hinschauen. Er muss die Zusammenarbeit mit Archäologen, Ethnologen, Kunsthistorikern und Holz-Praktikern suchen. Er darf vor allem nicht vergessen, dass die forstlichen Quellen in aller Regel nur den Holzschlag und die Methoden der Holzernte verzeichnen, nicht jedoch das Wachstum des Holzes. Daher wird eine Waldgeschichte, die sich ausschließlich an Forstakten entlanghangelt, fast von selbst zur Abholzungsgeschichte. Beim Wandern durch die Wälder können wir uns daran erinnern, dass der Wald auch von selbst wächst (längst nicht immer in geplanter Weise) und Waldgeschichte nicht ganz und gar identisch ist mit Forstverwaltungsgeschichte.
In den Akten findet man besonders viel Material über Konflikte. Auf den ersten Blick könnte man glauben, die Waldgeschichte sei in der Essenz eine Geschichte des Kampfes um den Wald. Mindestens so wichtig, jedoch viel unauffälliger ist jedoch die Geschichte des alltäglichen Arrangements der verschiedenen Wald-Interessenten. Die Geschichte der Holzwirtschaft ist gewiss nicht nur eine Geschichte von Waldraub und Waldverwüstung, sondern auch eine Geschichte der sich immer wieder einspielenden Balance zwischen Mensch und Natur: eine Geschichte der Sparsamkeit und eines alltäglichen Sich-Arrangierens mit begrenzten Ressourcen, das mit Selbstverständlichkeit und ohne viel Aufhebens erfolgte. Diese Balance beruhte allerdings wohl kaum auf einem »natürlichen« Instinkt des Menschen, sondern auf der Allgegenwart der Knappheit und auf Erfahrungen der Not. Woher sollte ein »Naturinstinkt« zur Nachhaltigkeit im Walde kommen, wo es doch in der Urzeit unendliche Wälder gab? Auf der anderen Seite war das Gebot einer gewissen Nachhaltigkeit innerhalb der Hauswirtschaft so trivial, dass man daraus kein Programm zu machen brauchte.
Auch der Zusammenhang zwischen Holz und Kultur spiegelt sich nur zum Teil in den schriftlichen Quellen. Arnold Toynbee, der berühmteste Universalhistoriker des 20. Jahrhunderts, glaubte zu wissen, »das Verschwinden der attischen Wälder« habe die athenischen Baumeister veranlasst, »ihr Werk statt in Holz in Stein aufzuführen«, und so zur »Schöpfung des Parthenon« geführt (Toynbee 1954, S. 91), dessen Säulen und Säulenkapitelle noch eine Erinnerung an die Bäume enthalten: für Toynbee das schönste Beispiel für seine Grundthese, dass die großen schöpferischen Leistungen der Weltgeschichte der Herausforderung durch eine Notlage entsprungen seien. Der Ägyptologe Jan Assmann dagegen erklärt die gewaltigen steinernen Monumentalbauten der Pharaonen nicht aus der Waldarmut Ägyptens, sondern aus der pharaonischen »Ideologie des Steins« (Assmann 1996, S. 69). Exakt beweisen lässt sich weder das eine noch das andere. Platon glaubte sogar, dass umgekehrt die Großbauten des Perikles, dessen Herrschaft er für ein Unglück hielt, die Entwaldung Attikas mitverschuldet hätten (Nenninger 2001, S. 197).
Wie dem auch sei: Im vergleichenden Überblick über verschiedene Weltregionen erkennt man deutlich, dass die Waldarmut des Mittelmeerraums in historischer Zeit mit vorherrschendem Steinbau einhergeht, der Waldreichtum des Nordens – und Japans – mit viel länger fortwirkenden Holzbau-Traditionen. Der alttestamentliche König Salomo stattet den Tempel üppig mit Zedernholz aus; immer wieder weiß die Bibel (1. Könige 5 ff.) die Zedernpracht zu rühmen – aber er muss dafür an König Hiram von Tyrus einen sehr hohen Preis zahlen, mit dem der Niedergang des israelitischen Königtums beginnt (Meiggs 1982, S. 69 ff.). Wo es gewaltige Bäume, die gewaltige Bauwerke tragen, kaum mehr gibt, manifestiert sich Macht am besten in steinernen Monumenten. Ein Reichtum an Wäldern dagegen übt auf die Baukultur eine zwiespältige Wirkung aus: Er kann zu einem verschwenderischen Umgang mit Holz führen, zu einer funktionswidrigen Überladung der Bauwerke mit schwerem Eichenholz, jedoch auch – sofern man freie Wahl zwischen vielen Holzarten und Holzqualitäten hat – zu einer hochentwickelten »materialspezifischen Technologie« (Zwerger 1997, S. 227, 231).
Was tatsächlich geschieht, ist nicht nur eine Frage der natürlichen Ressourcen, sondern auch kultureller Traditionen. In den Alpen ist die Grenze zwischen deutschsprachigen und romanischen Dörfern typischerweise zugleich die Grenze zwischen traditioneller Holz- und Steinbauweise (Abb. 2), selbst dort, wo in den Waldressourcen kein großer Unterschied besteht (Bätzing 1984, S. 27): Die romanischen Dörfer spiegeln bereits den Einfluss der mediterranen Stadtkultur, nicht nur in der Bauweise, sondern auch in Gesellschaft und Geselligkeit (Cole/Wolf 1995). Nur durch eine Kombination von regionaler Feldforschung und überregionalem Vergleich und nur dann, wenn man über Wälder und Holzstapel hinausblickt, bekommt man einen Begriff von dem Zusammenhang zwischen Holz und Kultur.
2 Die Grenze zwischen traditioneller Holz- und Steinbauweise markiert im Alpenraum meist zugleich die Grenze zwischen deutschsprachigen und romanischen Siedlungen.
Diesen Zusammenhang zu durchschauen, löst nicht nur manches Rätsel der Geschichte, sondern weist auch Wege in die Zukunft: Gerade heute bekommt diese Zusammenschau eine strategische Bedeutung wie lange nicht mehr. Sie wird zu einem Schlüssel bei der Synthese von Ökonomie und Ökologie und hilft dabei, Zielkonflikte bewusst zu machen und mit ihnen umzugehen. In vormoderner Zeit hatten viele Holzverbraucher den Wald unmittelbar vor Augen: Sie besaßen Waldrechte, suchten sich im Wald geeignete Stämme aus und wussten über die Waldzustände Bescheid. Heute muss die Beziehung der Holzverbraucher zum Wald wiederhergestellt werden. Und sie muss von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Bislang erscheint die Holznutzung als ein höchst unübersichtliches Gebiet mit vielen Klein- und Mittelbetrieben, die sich über mehrere Branchen verteilen. Statistisch betrachtet ist das Holz auch im Industriezeitalter ein höchst wichtiger Wirtschaftsfaktor; aber bislang wurde es nur selten als solcher wahrgenommen. Damit jedoch das oft so nebulöse Ziel »Nachhaltigkeit« einen konkreten Sinn bekommt, muss man die Wälder und die vielen Arten ihrer Nutzung als Gesamtheit sehen. Über das Holz gelangt man an einen Nerv unserer Zeit.
Wendezeiten der Wald- und Holzwirtschaft
Wo beginnt die unendliche Geschichte der Wechselwirkungen zwischen Mensch und Holz, die über Jahrzehntausende in das Dunkel der Prähistorie zurückreicht, erzählbar zu werden? Und wo wird sie zu einem Problemfeld, durch das sich etwas bewegt?
Unter dreierlei Umständen wird das Holz mit seinen spezifischen Eigenschaften zu einem historischen Thema eigener Art und zu einer Determinante der Geschichte: zum einen dadurch, dass wichtige und begehrte Holzarten knapper und umkämpfter werden und die Verfügung über bestimmte Holzressourcen zu einem Trumpf im Konkurrenzkampf wird; zum anderen dort, wo die technische Entwicklung an die Grenzen der natürlichen Eigenschaften des Holzes gerät; und zum Dritten durch eine besondere kulturelle Hochschätzung oder auch Abwertung des Holzes. Vor allem dann, wenn diese drei Bedingungen zusammenkommen, wird das Holz gleichsam zum Hauptakteur dramatischer Geschichten.
Deutliche Konturen bekommt das Mensch-Holz-Drama erst mit Beginn der Neuzeit. Dem entspricht die weitere Gliederung dieses Buches. Zunächst das 16. Jahrhundert: jene Epoche, die als »Beginn der Neuzeit« gilt, und in deren Vorfeld manche Historiker bereits eine erste »industrielle Revolution« erkennen wollen. Dann die Zeit um 1800: die Epoche der Industriellen Revolution in England, der politischen Revolution in Frankreich, der sich vorbereitenden Industrialisierung (»Protoindustrialisierung«) in Deutschland. Schließlich die letzten Jahrzehnte bis zur Gegenwart. Diese zeitlichen Schwerpunkte markieren Epochenwenden in der Wirtschafts- und Technikgeschichte des Holzes: Stufen in der wirtschaftlichen Nutzbarmachung des Waldes, Schübe in der Technisierung und Industrialisierung der Holzverwertung. Das lässt sich auf mehreren Ebenen verdeutlichen.
Erstens: auf der Ebene der Holzverknappung, des Holzsparens, der »Ökonomisierung« und effizienteren Verwendung des Holzes: Im 16. Jahrhundert stellte sich zum ersten Mal Holzverknappung als ein Problem, das besondere Lösungen erforderte. Die Zeit um 1800 war der Höhepunkt der Angst vor Holznot und der technischen Holzspar-Bemühungen. In der Gegenwart droht durch die rapide wachsende Nachfrage nach dem Energieträger Holz, verbunden mit Bevölkerungswachstum und weltweitem Raubbau an den Wäldern, eine neue, diesmal globale Holzverknappung. Zugleich aber zeigen sich bei der Holznutzung neue Möglichkeiten der Steigerung des Wirkungsgrades. Auch die Nutzung von Holzabfällen ist ein roter Faden, der die Technikgeschichte des Holzes von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart durchzieht.
Zweitens: auf der Ebene der Waldwirtschaft: Das 16. Jahrhundert brachte den ersten großen Schub der Forstordnungen. Der Ehrgeiz der Regierungen ging zunächst dahin, möglichst weite Waldgebiete unter Kontrolle zu bekommen. In die Zeit um 1800 fällt – zunächst in Deutschland – der Durchbruch der Aufforstungsbewegung; dies bedeutete, dass die Forstverwaltung nicht mehr nur den Holzschlag überwachte, sondern auch das Wachstum des Waldes zu steuern suchte. In der Gegenwart lässt sich eine neue Stufe der Waldreglementierung erkennen: ein Trend zum plantagenartigen Anbau von Holz, zur Züchtung neuartiger Wirtschaftswälder. Bei diesen Vorgängen ist die wechselnde Beziehung zwischen Land- und Waldwirtschaft zu beachten – eines der wichtigsten Themen der Waldgeschichte vom Mittelalter bis heute.
Drittens: In ähnlichen historischen Schüben werden die verschiedenen Produktionsstufen der Holzgewinnung und Holzverarbeitung rational durchorganisiert. Im 16. Jahrhundert ist bereits das Floß- und Triftwesen in großem Stil ausgebaut; teilweise wird das Holz bereits in Sägemühlen zu Brettern verarbeitet. Mit dem Beginn der großflächigen Aufforstung um 1800 wird versucht, auch das Wachstum des Waldes selbst rational zu organisieren. Aber mehrere Stufen der Holzbearbeitung und -verarbeitung – vom Holzschlag im Walde bis zur Möbelproduktion – sind erst während der letzten Jahrzehnte von der Industrialisierung voll erfasst worden und haben eine technische Revolution durchgemacht. Zugleich vollzogen sich Sprünge in der Kommerzialisierung und Vermarktung des Holzes: am frühesten beim Bauholz, später beim Brennholz, zuallerletzt bei den Holzabfällen.
Aber ist die Wirtschafts- und Technikgeschichte von Wald und Holz nur eine Geschichte zunehmender Rationalisierung, Mechanisierung, Vermarktung? Eine konsequent ökonomisch ausgerichtete Waldwirtschaft wurde immer wieder gefordert und proklamiert, aber bis heute nicht verwirklicht. Ein Baum braucht zum Wachstum Generationen; über solche Zeiträume gibt es keine auch nur halbwegs exakte rationale Planung. Zwischen den natürlichen Eigenschaften und Wachstumsbedingungen des Holzes auf der einen und den ökonomischen und technischen Anforderungen an das Holz auf der anderen Seite besteht von Anfang bis heute eine Spannung.
Was ist ein Wald – und besteht der Wald nur aus Holz?
Waldgeschichtliche Darstellungen handeln oft wie selbstverständlich nur von großen geschlossenen Hochwäldern. Sie spiegeln darin die Sicht des modernen Forstmanns. Der Historiker dagegen braucht einen weiter gefassten Waldbegriff (Rackham 1976, S. 98 ff.). Bei jenen Wäldern, die bis zum 19. Jahrhundert für einen Großteil der Bevölkerung lebenswichtig waren, handelte es sich nur zum Teil um große Forste; mindestens so wichtig waren kleine und verstreute Bauernwälder, günstig gelegene Auenwälder, gestrüppartige Niederwälder und Hudegebiete, bei denen bis heute nicht klar ist, wieweit man sie als Wald oder als offenes Feld anzusehen hat. Ähnliche Probleme gibt es noch heute, wenn man in vielen Ländern der Dritten Welt den Umfang der Wälder zu bestimmen sucht.
Für die Forstverwaltungen wurde frühzeitig die Holzgewinnung der eigentliche Sinn der Waldwirtschaft. Alle anderen Nutzungsarten des Waldes wurden zu »Nebennutzungen« deklariert oder gar als Waldschädigungen disqualifiziert, so vor allem von der um 1800 aufkommenden »wissenschaftlichen« Forstwirtschaft. Für die Bauern dagegen – und sie stellten bis zum 19. Jahrhundert den größten Teil der Bevölkerung – war in vielen Gegenden das Holz keineswegs der Hauptnutzen des Waldes. Dieser bestand vielmehr häufig darin, dass der Wald Nahrung für das Vieh und Dünger für den Acker bot, wenn er nicht sogar selber durch Brandrodung und Waldfeldbau als Ackerland genutzt wurde.
Landwirtschaft und Viehzucht waren in vielen Regionen bis in das 19. Jahrhundert hinein ganz von solchen Waldnutzungen abhängig. Der Sprachforscher Jost Trier will nachweisen, dass das Wort »Wald« aus dem bäuerlichen Laubrupfen hervorgegangen sei (Trier 1963, S. 52). Der auf einem alpinen Bergbauernhof lebende Landschaftsplaner Michael Machatschek führt mit einer Fülle von Material vor Augen, dass es sich bei der Laubnutzung, der »Schnaitelwirtschaft«, mochten auch die Förster darin eine Unsitte und Baumverstümmelung erblicken, um nichts weniger als um eine vielfältige bäuerliche Kultur mit eigenem Know-how handelt (Machatschek 2002).
Sind alles das nur Probleme einer fernen Vergangenheit? Hinter ihnen lässt sich ein Grundproblem erkennen, das aktuell ist wie eh und je. Man kann es als den Widerspruch zwischen Gebrauchs- und Tauschwert definieren. Am Wald tritt dieser Widerspruch besonders beispielhaft in Erscheinung. Oft bestand eine sehr erhebliche Kluft, ja nicht selten ein scharfer Konflikt zwischen dem »Gebrauchswert«, den der Wald für die Anwohner besaß, und dem »Tauschwert«, der durch die Waldprodukte entstand, die sich direkt zu Geld machen ließen. Dieser alte Konflikt besteht in der »Dritten Welt« nach wie vor, ja sogar noch schärfer als im früheren Europa: Die industrielle Holzverwertung und die Waldnutzung durch die Einheimischen sind in der »dual economy« dieser Länder zwei Welten, die nur wenig miteinander zu tun haben.
Heute gibt es weltweit eine neue Form des Widerspruchs von Gebrauchs- und Tauschwert: durch die neu entdeckte ökologische Funktion des Waldes. Die Bedeutung der Wälder für Klima, Wasserhaushalt, Bodenfruchtbarkeit und Artenreichtum der Erde ist ein Wert, der nicht in Geld auszudrücken und nicht auf dem Markt zu handeln ist. Daraus wird oft gefolgert, dass die gesamten Wälder einer durchgreifenden Kontrolle des Staates unterliegen müssten. Schon in der frühen Neuzeit wurde oft behauptet (in Kontinentaleuropa mehr als in England), der Staat sei der beste Forstwirt. Die Frage nach der Rolle des Staates in der Forstwirtschaft ist eine Leitfrage der Waldgeschichte vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart.
Die Natur des Holzes im historischen Wandel
Gute Zeiten – schlechte Zeiten: Natur gegen Geschichte?
Wenn man – wie dies in der Literatur nicht selten geschieht – den vom Menschen unberührten Wald zum Ideal erhebt, dann sind die guten Zeiten der Waldgeschichte in der Regel böse Zeiten der menschlichen Geschichte. Die Zeiten der spätmittelalterlichen Pestepidemien und die des Dreißigjährigen Krieges, als die Menschen in großer Zahl starben, werden zur Zeit der Erholung für den Wald; Zeiten der Beraubung des Waldes dagegen sind die Phasen des wirtschaftlichen und demographischen Wachstums. Eine solche Art von Waldgeschichte lässt sich, konsequent betrieben, nicht in die Geschichte der Menschen integrieren. Auch wenn man Anhänger eines »natürlichen« Waldes ist, kann und sollte man doch nur ein solches »Ökosystem Wald« als Norm setzen, das den Menschen einbezieht.
Wie dieses »natürliche Ökosystem« jeweils konkret aussieht, ist eine offene Frage. »Natur« ist kein eindeutiger Begriff; ökologisch stabile Waldzustände von ganz unterschiedlicher Art sind möglich. Die Berufung auf die Natur ersetzt nicht die politische Auseinandersetzung und die Klärung der Interessen, an denen sich der Waldbau orientieren soll.
Auch die Technikgeschichte des Holzes wirkt wie ein jahrhundertelanger Niedergang, wenn man das Ideal in der Erhaltung des Naturstoffes Holz erblickt. In der Technik wird das Holz immer irgendwie denaturiert. In mancher Hinsicht führte die technische Entwicklung immer weiter vom Naturstoff Holz fort: zu Holz-Leim-Verbindungen, zur Spanplatte, zum Zellstoff. Es gibt aber auch gerade im Industriezeitalter einen Gegentrend, eine Rückwendung zum Naturstoff Holz (von der in den Kapiteln IV und V dieses Buches noch ausführlicher die Rede sein soll). Darüber hinaus hat die technische Entwicklung neue Möglichkeiten zur besseren Nutzung der natürlichen Eigenschaften des Holzes eröffnet. Die »Natur« des Holzes steht nicht ein für allemal fest; sie wird zu verschiedenen Zeiten neu interpretiert.
Eigenschaften und wechselnder Nutzwert der Holzarten
Als das Holz in der frühen Neuzeit zum Politikum und zum Objekt der Wissenschaft wurde, bestand eine der ersten und wichtigsten Strategien darin, dafür zu sorgen, dass jede Holzart möglichst für solche Dinge, für die sie besonders geeignet war, verwendet und vor allem kein hochwertiges Holz für Zwecke, für die auch geringeres Holz ausreichte, vergeudet wurde.
Wie wir an den Beigaben des »Ötzi« sehen, gab es darüber bereits ein uraltes Erfahrungswissen. Ein Volkskundler registrierte im Hauswesen eines armen Waldbauern nicht weniger als 27 verschiedene Holzarten, die alle je nach ihren Eigenschaften für den passenden Gebrauch ausgewählt worden waren (Blau 1917). Aber wie machte man das Holz zum Objekt der Wissenschaft und einer wissenschaftlich legitimierten Politik?
Die Erforschung der physikalischen und technischen Eigenschaften der Hölzer kam noch im 19. Jahrhundert nur wenig voran; der Naturstoff Holz mit seinen zahllosen Varianten entzog sich lange Zeit der Theorie. Noch 1860 riet ein Professor der Forstlehre, sich bei der Prüfung der Zähigkeit verschiedener Hölzer an die »Korbflechter und Holzhauer« zu wenden; er selber habe bei Versuchen zur exakten Messung der Festigkeit des Holzes »alle Lust« verloren (Nördlinger 1860, S. 377 f.). Und selbst hundert Jahre später war »der einzige leidlich sichere Weg, um die Festigkeit eines Stückes Holz festzustellen«, der, »es zu zerbrechen« (Holzhandel 1976, S. 155). Die »zerstörungsfreie Prüfung«, ein wesentlicher Fortschritt der Werkstoffprüfung, gelang beim Holz später als beim Eisen. In den Augen der Ingenieure, die nach exakter Berechenbarkeit strebten, bestand darin lange Zeit ein prinzipieller Makel des Werkstoffs Holz.
Da jedoch Holz ein organischer Stoff ist, gab es bei der Ermittlung der Festigkeitseigenschaften von Holzelementen – mehr als bei der von Stein- und Eisenteilen – auch einen intuitiven, gefühlsmäßigen Zugang. »Ein Holzbalken mit seinen Fasern ist noch verhältnismäßig menschlich verstehbar. Aber weißt du, wie es einem Block Gußeisen zumute ist, ehe er bricht, wie und warum in seinem Innern die Kristalle aneinander hängen …?« (Eyth 1906, S. 493). Diese Worte legte der bekannte Maschinenbauer und Publizist May Eyth dem Chefkonstrukteur der Eisenbahnbrücke über den schottischen Firth of Tay in den Mund; die Brücke hatte gusseiserne Pfeiler und stürzte in einer Sturmnacht im Dezember 1879 mit einem Eisenbahnzug in die Tiefe.
Klassifizierungen der Holzarten
Am wichtigsten und allgemein geläufigsten sind bei den Baumgattungen die Unterscheidungen in Laub- und Nadelhölzer sowie in Hart- und Weichhölzer. Zum Teil überlagern sich diese Gruppierungen: Das Holz der Nadelbäume ist im Allgemeinen weicher als das der Laubbäume. Aber auch leichte Laubhölzer wie Erle, Pappel, Weide und Linde gelten im deutschen Holzhandel als Weichhölzer. Die Lärche dagegen – der einzige heimische Nadelbaum, der im Herbst seine Nadeln abwirft – besitzt ein hartes Holz. Sie wird als die »Eiche unter den Nadelhölzern« gerühmt (Hufnagl/Puzyr 1980, S. 53) und liefert von diesen das beste Bauholz. In Nordamerika, wo es eine Vielzahl von Kiefernarten gibt und aus Kiefernholz Häuser und Schiffe gebaut wurden, gilt sogar die Kiefer als die Eiche der Nadelhölzer (Johnson 1976, S. 70).
Der äußerlich markanteste Unterschied besteht zwischen den Laub- und Nadelhölzern; er entspricht ebenso auffälligen Unterschieden in der Zellstruktur. Die Nadelhölzer bestehen vorwiegend aus einer einzigen Art von Zellen: den Faserzellen, die dem Baum nicht nur Festigkeit geben, sondern ihn auch mit Wasser versorgen. Die Laubbäume dagegen – in der Naturgeschichte eine spätere Entwicklung – besitzen eine kompliziertere, nach verschiedenen Funktionen spezialisierte Zellstruktur. Bis heute bereiten sie – aus noch weiteren Gründen wie etwa der schwierigeren Vorhersagbarkeit des Stamminneren – der Automatisierung der Sägewerke größere Schwierigkeiten als das Nadelholz: auch das ein Grund für die moderne Dominanz der Nadelwälder.
Bis zum 18. Jahrhundert nutzten die Menschen den Wald vor allem als Viehweide und Brennholzlieferanten. Die Eiche und mancherorts auch die Rotbuche wurden als »Fruchtbäume«, »lebende Bäume« kultiviert; andere Baumarten galten dagegen als »Totholz«, die Nadelbäume sogar als »schädliche Bäume« (Hesmer/Schroeder 1963, S. 225). Die Kiefer machte sich als Brennholz durch ihren »sehr dicken unangenehmen Geruch … bei der Kocherei verhasst« (G. L. Hartig 1804, S. 31). Die Bergwerksverwaltungen jedoch hatten ihre eigenen Gründe, zum Stollenausbau das Nadelholz zu bevorzugen: Besonders die Holzstützen aus Fichte, Kiefer und Lärche besitzen die Eigenschaft, verstärkten Druck durch ein stöhnendes Geräusch anzuzeigen, also den Bergmann vor einem drohenden Einsturz des Stollens rechtzeitig zu warnen. Daher wehrten sich die britischen Bergleute anfangs gegen die Einführung stählerner Stempel. Besonders in Montangebieten breitete sich schon in der frühen Neuzeit der Nadelwald aus. Der rapide Vormarsch der Nadelbäume auf Kosten des Laubwaldes im 19. und 20. Jahrhundert ist der umstrittenste Vorgang der neueren Forstgeschichte.
Zurück zur Klassifizierung der Hölzer: Härte, Dichte, Festigkeit sind die gebräuchlichsten Merkmale, nach denen die Holzsorten im Handel eingeordnet werden. Zwischen allen drei Eigenschaften besteht im Großen und Ganzen, jedoch nicht immer eine positive Korrelation. Härte bedeutet: Widerstand gegen das Eindringen fremder Körper. Harthölzer sind Eiche, Buche, Esche, Rüster (Ulme), Ahorn; als »mittelhart« wird ihnen auch die Lärche zugerechnet. Fichte, Tanne, Kiefer, Douglasie und Erle gelten als Weichhölzer; sehr weich sind Linde, Pappel und Weide. Damit ist noch nicht unbedingt etwas über den Wert ausgesagt: Das Lindenholz wurde gerade wegen seiner Weichheit für Bildschnitzerei und Kunstdrechselei hochgeschätzt. Hohe Härtegrade mögen eine hohe Produktqualität bedingen, können jedoch die Bearbeitung erschweren (Abb. 3).
3 Hartholzraspeln in dem 1620 gegründeten Hamburger Zucht- und Armenhaus. Das Vorbild dieser Gründung, das Amsterdamer Zuchthaus, war nach dem Raspeln benannt: »Rasphuis«. Dort wurde vor allem das rote Brasilholz geraspelt, das in Pulverform einen kostbaren Farbstoff abgab. Die Gewinnung dieses Holzes war im 16. Jahrhundert eine Haupttriebkraft bei der Kolonisierung Brasiliens durch die Portugiesen. Die Bearbeitung tropischer Harthölzer mit der Hand war überaus mühsam. Bei der Farbstoffgewinnung wurde Holz bereits in aufgelöster Form gebraucht, wie später in der Zellstoffindustrie. Das Holzraspeln für die Papierindustrie war noch im 20. Jahrhundert, bevor es mechanisiert wurde, Zuchthausarbeit.
Oft wird die Rohdichte als wichtigstes Kennzeichen des Holzes angegeben; sie ist das Verhältnis der Masse zum Rauminhalt. Die Dichte variiert je nach der Holzfeuchte; meist wird sie bei »Lufttrockenheit«, das heißt bei zwölf bis 15 Prozent Holzfeuchte ermittelt. Die Dichte-Skala entspricht im Allgemeinen, wenn auch nicht immer der Härte-Skala. Sie reicht von der Hainbuche und Eiche mit besonders hohen Werten (0,86 bzw. 0,70 g/cm3