Honor Harrington: Operation Janus - David Weber - E-Book

Honor Harrington: Operation Janus E-Book

David Weber

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Beschreibung

Das Mesanische Alignment arbeitet seit Jahrhunderten daran, die Galaxie neu zu ordnen und die menschliche Rasse genetisch zu optimieren - nach seinen Vorstellungen. Bis das Sternenkönigreich von Manticore ihm in die Quere kam und die geheimen Pläne aufdeckte. Doch so leicht gibt sich das Alignment nicht geschlagen. Es startet die verdeckte Operation Janus. Das Ziel: Das Sternenkönigreich von Manticore in Verruf zu bringen und einen Krieg mit dessen Nachbarn zu provozieren ...

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Seitenzahl: 687

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Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Februar 1921 P.D.

Kapitel 1

März 1921 P.D.

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

April 1921 P.D.

Kapitel 5

April 1921 P.D.

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Juni 1921 P.D.

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Juli 1921 P.D.

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

August 1921 P.D.

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

September 1921 P.D.

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

November 1921 P.D.

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Dezember 1921 P.D.

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Januar 1921 P.D.

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Włocławek-Glossar

Personenverzeichnis

Aus dem Amerikanischen vonDr. Ulf Ritgen

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Deutsche Erstausgabe

Für die Originalausgabe:Copyright © 2016 by Words of Weber, Inc.Titel der amerikanischen Originalausgabe: »Shadow of Victory«, Teil 1Originalverlag: Baen Books, Published by Arrangement withBaen Books, Wake Forest, NC, USADieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische AgenturThomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen

Für die deutschsprachige Ausgabe:Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, KölnTextredaktion: Beke Ritgen, BonnTitelillustration: © Arndt Drechsler, RegensburgUmschlaggestaltung: Guter Punkt, München | www.guter-punkt.de

eBook-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-5011-1

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Februar 1921 P.D.

Ich bin sehr einfallsreich. Lässt man mir ausreichend Zeit, komme ich an jeden heran, an absolut jeden.

Captain Damien Harahap,Gendarmerie der Solaren Liga

Kapitel 1

Brandon Grant hatte keine Ahnung, wie viele Menschen er schon getötet hatte.

Ja, er hätte nicht einmal sagen können, auf wie vielen Planeten er Morde begangen hatte. Über derlei Dinge dachte er einfach nicht nach. Es hätte eines recht umfangreichen Chipordners bedurft, um die entsprechenden Informationen festzuhalten – wäre er denn so töricht gewesen, derlei Dinge tatsächlich schriftlich festzuhalten.

Trotzdem hatte er sich noch nie weiter von seiner Heimat entfernt als bei den beiden letzten Malen. Was also machte diese letzten Zielpersonen, auf die er angesetzt war, derart wichtig? Warum musste der aktuelle Auftrag unbedingt wie ein schiefgelaufener Raubüberfall aussehen? Um sich ernsthaft um eine Antwort auf die beiden Fragen zu bemühen, die in seinem Hinterkopf auftauchten, waren sie ihm nicht wichtig genug. Kurz beschäftigte ihn der Unterschied zwischen der neuen und der vorherigen Zielperson. Obwohl das erste Ziel, eine Frau, deutlich bekannter gewesen war als sein jetziges, hatte er beim letzten Auftrag viel direkter vorgehen dürfen. Dass Grants zweites Einsatzteam einen Hinterhalt für sie vorbereitet hatte, hatte der Agent seines Auftraggebers vor Ort völlig ungerührt hingenommen. Die Frau war Uniformträgerin gewesen und hatte vom Hauptquartier der Gendarmerie in Pine Mountain aus offizielle Einsätze durchgeführt. Wenn bei diesem Auftrag alles nach Plan liefe, würden die Ermittler das Bekennerschreiben der McIntosh Popular Front für echt halten – egal, wie überrascht die MPF selbst davon wäre, einen Anschlag verübt zu haben. Warum aber wurde jetzt für den Kerl nicht auch in Betracht gezogen, dass sich die ›mordlüsternen Terroristen‹ seiner angenommen haben sollten? Ob zwei Anschläge in unmittelbarer zeitlicher Nähe zueinander zu auffällig wären, Anschläge, deren Opfer so eng zusammengearbeitet hatten? Nein, das wäre ja nachgerade albern! Zwei Stunden lägen zwischen den Attentaten: Da würden doch bei jedem halbwegs mit Misstrauen Gesegnetem sämtliche Alarmglocken schrillen. Aber vielleicht hatte sich besagte männliche Zielperson derart gut getarnt, dass niemand von seinen Verbindungen zur Gendarmerie wusste, geschweige denn zu seiner uniformierten Verbündeten?

Mit einem Schulterzucken tat Grant den Gedanken ab. Er war es gewohnt, Auftragsmorden den Anschein jedes gewünschten Szenarios zu geben, und die Frage, warum sein Auftraggeber die Zielperson tot sehen wollte, ging ihn schlichtweg nichts an. Er lieferte, was bestellt wurde, nicht mehr, nicht weniger. Trotzdem wäre viel einfacher gewesen, sich der Zielperson unbemerkt zu nähern, ihr in den Hinterkopf zu schießen und ruhig weiterzugehen, als wäre nichts gewesen. Erstaunlich, aber so einfach war es nun einmal, trotz modernster, ausgeklügelter Überwachungs- und Sicherheitstechnik: Man musste einfach nur ein paar Schritte im Voraus denken und Ruhe bewahren. Leider war ›einfach‹ auch dieses Mal nicht gefragt: Wie so oft durfte auch dieser Mordanschlag nicht wie ein solcher aussehen, warum auch immer. Zeilen eines uralten Gedichts gingen Grant durch den Kopf. Belustigt schnaubte er. Nein, ›kein Murren, nicht laut nicht leis, … sie fragen und zagen nicht. Vorwärts, sie wanken und schwanken nicht‹, wie es in Tennysons Light Brigade hieß, das war seine Rolle, dafür bezahlten ihn seine Auftraggeber, und das recht ordentlich. ›Sieg oder Tod‹, jawohl!

Natürlich lief es bei Grant darauf hinaus, dass er den Sieg erringen und ein anderer den Tod finden würde.

Grants Blick war fest auf das Display seines UniLinks gerichtet, auf dem gerade ein Porno lief. Er schmunzelte, als er an die angewiderten Blicke der Hand voll Passanten dachte, die zufälligerweise einen Blick darauf geworfen hatten. Er konnte es ihnen nicht verübeln: In dem Film ging es ebenso heftig und laut wie geschmacklos zu. Genau deswegen hatte Grant die Privatsphäreneinstellung des UniLinks deaktiviert: Er wollte sichergehen, dass wirklich jeder, der das Pech hatte, in seine Nähe zu kommen, mitbekäme, was auf seinem UniLink lief. Jemand, der so gekleidet war wie er, der sich an eine Wand lehnte und derartige ›Unterhaltung‹ genoss, mochte alles Mögliche sein, aber ganz gewiss kein Auftragskiller, der zu den bestbezahlten der erforschten Milchstraße gehörte.

Ein einziges Mal blickte er kurz auf, um sich zu vergewissern, dass der Rest seines Teams in Position war. Eigentlich war es nicht nötig, das zu prüfen, denn er war sehr zuversichtlich, dass sich jeder genau nach Plan aufgestellt hätte. Zwei seiner Mitarbeiter, Markus Bochart und Franz Gillespie, kamen von Alterde. Er hatte sie bei Eingang des Auftrags im Madras-Sektor für dessen Erledigung angeworben. Man kannte sich, hatte mehrmals schon zusammengearbeitet, konnte sich aufeinander verlassen. Die beiden anderen waren Neuzugänge, die Grant vor Ort angeheuert hatte und sich bislang ganz gut schlugen. Gute Mitarbeiter waren schwer zu finden. Bedauerlich, dass er sie würde eliminieren müssen – sozusagen noch ein letztes Aufräumen, bevor er den Sektor wieder verließe. Nur gut, dass unwahrscheinlich war, dass er in absehbarer Zeit erneut hier tätig würde. Außerdem hatte sich Grants Auftraggeber, der Unerledigtes noch weniger ertragen konnte als Brandon Grant selbst, in dieser Hinsicht ganz und gar unmissverständlich ausgedrückt.

Alle vier Helfer waren in Position. Sie alle trugen ebenso wie Grant selbst billige, grellbunte Kleidung in Orange, Schwarz und Grün – den Farben der Tremont Tower Dragons, einer der hinsichtlich ihrer Mitglieder weniger wählerischen Streetgangs von Pine Mountain. Damit gingen er und seine Männer ein gewisses Risiko ein. Denn die Dragons erfreuten sich bei den lokalen Strafverfolgungsbehörden nicht gerade großer Beliebtheit, und das aus einer ganzen Reihe guter Gründe. Sie fünf könnten also durchaus die Aufmerksamkeit der Pine Mountain Police auf sich ziehen. Doch solange sie sich nur auf den Straßen herumtrieben, war damit nicht zu rechnen. Hier in der Hauptstadt des Sektors hatte die Polizei deutlich Wichtigeres zu tun, als sich um ein paar Herumtreiber zu kümmern – selbst Herumtreiber, die offenkundig den TTD angehörten–, solange besagte Herumtreiber andere nicht belästigten. Außerdem wäre es sogar von Vorteil, wenn man sie polizeilicherseits bemerkte und sich später an sie erinnerte. Die Ermittlungen gingen dann genau in die von Grant gewünschte, nämlich falsche Richtung. Beim Gedanken daran, wie gründlich und umfassend die Dragons anschließend vernommen würden, verkniff er sich ein Grinsen. Nun, zumindest wäre dem so, wenn seine aktuelle Zielperson den Behörden tatsächlich wichtig genug wäre, um so viel Aufwand in seinem Fall zu treiben.

In Grants Ohrhörer zirpte es.

Zehn weitere Sekunden ruhte sein Blick noch fest auf dem UniLink, dann schaltete er das Gerät aus und stieß sich von der Wand ab, wo er ungefähr eine Stunde lang gelehnt hatte, als wäre ihm nichts wichtiger, als sie am Umfallen zu hindern. Er streckte sich, nahm bewusst – und sehr offensichtlich – Blickkontakt mit seinen vorgeblichen Gangmitgliedern auf und schlenderte dann den Bürgersteig hinab. Er lächelte, als sich Bochart von der Straßenlaterne abstieß, der er einen ähnlichen Dienst erwiesen hatte wie Grant der Hauswand. Bochart kam geradewegs auf ihn zu, hielt dann aber kurz inne und tat so, als wollte er einer Passantin die Handtasche entreißen. Spöttisch lachte er, als die Frau sie schützend an sich presste. Nett gemacht für die Überwachungskameras, fand Grant, die den harmlosen Zwischenfall zweifelsohne aufgezeichnet hatten: einen halbherzigen minderschweren Raubversuch, der kein augenblickliches Einschreiten rechtfertigte. Doch bei der späteren Auswertung des Bildmaterials würde ganz offenkundig, dass es die ›Dragons‹ schon zuvor auf Ärger angelegt hatten, noch bevor sie auf das bedauernswerte Opfer jenes fehlgeschlagenen Überfalls getroffen waren.

Vor ihm trat der Mann, der schon bald tot sein würde, um die Ecke und schritt dann rasch die Straße hinab, und Grant kniff kaum merklich die Raubtieraugen zusammen.

Das Außergewöhnlichste an seiner Zielperson war ihre Gewöhnlichkeit – der Mann war ein Durchschnittstyp: durchschnittlich groß, durchschnittlich schlank, der Teint nicht hell, nicht dunkel, sondern eben durchschnittlich, das Haar von einem durchschnittlichen Braun. Nichts an dem Mann zog Aufmerksamkeit auf sich, nichts sorgte dafür, dass man ihn sich einprägte, dass man ihn überhaupt bemerkte. Ja, er wirkte in seiner Durchschnittlichkeit noch unauffälliger, als es Grant damals erschienen war, als er das zu diesem Auftrag gehörige Bildmaterial zum ersten Mal gesichtet hatte. So unauffällig war niemand, der es nicht mit aller Kraft genau darauf anlegte, und kaum jemand wusste das besser als Brandon Grant. Daher hatte er sein Team ausdrücklich davor gewarnt, die unaufdringliche Harmlosigkeit, die dieser Mann so geschickt zu verströmen wusste, für bare Münze zu nehmen.

Damien Harahap war alles andere als glücklich.

Fehlschläge konnte er nicht ausstehen. Das war das eine. Dabei war es egal, in wessen Diensten er während des Auftrags gestanden hatte und wie spektakulär der Fehlschlag ausfiel – und noch spektakulärer, als soeben auf den Planeten Montana und Kornati passiert, ging es ja wohl kaum. Wann das Ganze derart aus dem Ruder gelaufen war, wusste er nicht, und vielleicht würde er es auch niemals erfahren. Doch was aus dem Talbott-Sektor gemeldet wurde, ließ keinen Zweifel daran: Aus welchem Grund auch immer hatte ein manticoranischer Captain eilig ein Geschwader aus dem Boden gestampft und Monica ansteuern lassen. Das gesamte System war praktisch in Schutt und Asche gelegt worden. Dass besagter kleiner Captain dabei ein Feuergefecht mit der Solarian League Navy riskierte, hatte ihn nicht abgeschreckt. Warum aber sollte jemand, der geistig gesund war, ein solches Risiko eingehen? Gründe dafür hätte Harahap aus dem Stegreif nicht zu nennen gewusst. Doch, vielleicht einen: War das Komplott aufgeflogen? War entdeckt worden, dass der Navy des Monica-Systems solarische Kriegsschiffe zugeschanzt worden waren? Hatte man herausgefunden, dass gleichzeitig dortige Terrororganisationen Unterstützung in Form von Treibstoff und Versorgungsgütern erhielten, um im System Regierungen zu destabilisieren? Dass das alles nur geschah, weil diese Regierungen an Orten wie Montana und Split um die Eingliederung in das Sternenkönigreich von Manticore ersuchten, hätte nur ein ausgewachsener Vollidiot nicht in einen Zusammenhang gestellt. Ausgewachsene Vollidioten aber gab es in der Royal Manticoran Navy nicht allzu viele, und schüchtern war diese Navy noch nie gewesen. Dass einen manticoranischen Offizier derlei Vorgänge ärgerten, nun, das zu verstehen hatte Harahap keine Probleme.

Sein Problem bestand vielmehr darin, eine Antwort auf die alles entscheidende Frage zu finden: Würden die Mantys nun in der Lage sein, die Gendarmerie der Solaren Liga als Auslöser hinter den genannten Ereignissen zu identifizieren? Nicht, dass die Gendarmerie damit auch nur das Geringste zu tun gehabt hätte … offiziell, zumindest. Bedauerlicherweise war Damien Harahap Captain bei der Gendarmerie, und in Manticore würde man ihm wohl nicht abnehmen, dass er unabhängig von seiner Dienststelle tätig geworden war. Das war er ja auch nicht, sosehr Ulrike Eichbauer betont hatte, er sei ganz offiziell freigestellt worden, um sich in seiner Freizeit und mit eigenem Kapital um sein Privatunternehmen zu kümmern.

Das war ein weiterer Grund dafür, dass Damien Harahap derzeit alles andere als glücklich war: Bei verdeckten Einsätzen waren glaubhafte Dementi, die man verlautbaren konnte, enorm wichtig. Major Eichbauer wusste das wie alle, die Verantwortung für verdeckte Einsätze trugen. Dennoch hatte sie Harahap mit einer eindeutig von ihr stammenden, verschlüsselten Nachricht zu einem geheimen Treffen mit ihr im Urrezko Koilara gebeten. Halb hatte er schon mit einer solchen Aufforderung gerechnet – so gut immerhin kannte er Eichbauer. Sie ließ Untergebene bei Bedarf nicht einfach im Stich, nein, diese Sorte Vorgesetzte war sie nicht. Ebenso unwahrscheinlich allerdings war, dass sie ihn einbestellte, ohne verlässlich und zweifelsfrei zu wissen, ob seine jüngsten Aktivitäten Flecken auf der sauber zu haltenden Weste der Gendarmerie hinterlassen würden. Das Urrezko Koilara war ein Restaurant, das in keinem Feinschmeckerführer verzeichnet war, klein, abgelegen und spezialisiert auf iberische Küche von Alterde. Das Essen dort war mehr als nur anständig und die Betreiberin eine von Eichbauers besten Informantinnen gewesen, bevor die Beförderung zum Major Eichbauer von der Straße geholt und hinter einen Schreibtisch gebracht hatte. Das Urrezko war aus all diesen Gründen der ideale Ort für eine ruhige, ganz und gar inoffizielle Besprechung.

Harahap war wie vereinbart erschienen, Eichbauer hingegen nicht. Auch die Betreiberin hatte keinen Blickkontakt mit Harahap aufgenommen. Sie schien also entweder von Eichbauers Verabredung hier, in ihrem Lokal, nichts zu wissen, oder man, was hieß: nicht Eichbauer, nicht die Gendarmerie, sondern eine unbekannte Partei, hatte sie bezahlt, sich unwissend zu stellen. Als Harahap als vorgeblicher Gast um ein Gespräch mit der Geschäftsführung gebeten und dann die Qualität des Servierten gelobt hatte, hatte Eichbauers ehemalige Informantin ihn mit einem nachdenklichen Stirnrunzeln bedacht. Erinnerte sie sich vielleicht doch an ihn? Ja, ein Hauch Erinnerung war da, gerade so viel, wie sein professionelles Rüstzeug, immer und überall unauffällig zu bleiben, zuließ. Damit ließ allein ihr offenkundiger Versuch, ihn einzuordnen, statt ihm kaltschnäuzig Ahnungslosigkeit vorzugaukeln, nur eine Schlussfolgerung zu: dass die Dame nichts von einem Treffen wusste, das Eichbauer arrangiert hatte, und es sich nicht um eine Falle handelte, in die sie eingeweiht gewesen wäre.

Was also war hier los? Eichbauer kannte Mittel und Wege, ihn rechtzeitig zu erreichen, und hätte ihr Treffen absagen können, hatte es aber nicht getan. Nur eines wusste Harahap sicher, nämlich dass die Nachricht wirklich von ihr gestammt hatte: Unter anderem war die von ihm vor drei T-Jahren ersonnene Parole darin eingebunden gewesen. Denkbar war natürlich, dass Eichbauer beschlossen haben könnte, ihn aus dem Weg zu räumen. Schließlich würde vielleicht schon bald dampfen, was man nett mit ›menschliche Ausscheidungen‹ umschreiben konnte, wollte man nicht vulgär werden. Aber ausgerechnet jetzt und hier? Eichbauer hätte ein Dutzend anderer Möglichkeiten dafür gewusst. Zumindest wäre dann jemand im Restaurant gewesen, der nur auf ihn gewartet hätte. Andererseits: Es gab nur wenig, was einen Major der Gendarmerie, gleichzeitig Leiterin von Brigadier Francisca Yucels Nachrichtendienst, von einem selbst anberaumten Termin hätte abhalten können.

Die Situation war beunruhigend, und Harahap war auch beunruhigt. Kein Außenstehender aber hätte ihm das angesehen. Nein, nach außen wirkte er gewiss sorglos, während er scheinbar die warme Nachmittagssonne genoss. Doch ihn trieb nur eine Frage um: Wie war Eichbauers Ausbleiben zu erklären? Denn das Problem waren die Erklärungen, die ihm alles andere als zusagten, wirklich, nun … lästige Erklärungen.

Grants vor Ort angeheuerte Helfer schlenderten an der Zielperson, die ihnen entgegenkam, vorbei, ohne sie, wie Grant befriedigt feststellte, auch nur eines einzigen Blickes zu würdigen. Kaum waren sie in seinem Rücken, vertrat Markus Bochart ihm den Weg und eröffnete damit das Spiel. Seine provozierende Körpersprache passte genau zu einem Gangmitglied. Mit der linken Hand versetzte er dem Mann einen Stoß gegen die Brust, während seine rechte gleichzeitig unter der offenen Jacke verschwand.

Es hat etwas wahrhaft Befriedigendes, wenn alles nach Plan verläuft, dachte Grant. Noch drei Sekunden, und …

»He, du Nullschubdüse! Raus mit deiner Briefta …«

Obwohl Captain der Gendarmerie, hatten Harahaps Einsätze ihn stets von der Hauptstadt des Madras-Sektors ferngehalten. Seine Talente ließen sich auf Planeten wie Meyers oder in einer Stadt wie Pine Mountain nicht sonderlich nutzbringend einsetzen, und Anonymität gehörte zu seinem wichtigsten Rüstzeug. Unter anderem deshalb hatte Eichbauer darauf geachtet, ihn auf den Hinterwäldlerplaneten einzusetzen, wo er nicht so rasch in den Fokus der Öffentlichkeit geriet.

Aus diesem Grund war er mit den Hauptstadtgangs weniger vertraut als mit denen anderer Welten, doch auch hier wusste er Gang-Farben als solche zu erkennen, wenn sein Blick darauf fiel. Nichts hatte die Situation gefährlich wirken lassen, doch hatte er, geschult durch dreißig Jahre aktiver Einsätze, die arroganten fünf in Ganguniform ganz instinktiv im Blick behalten. Aus dem Augenwinkel bemerkt hatte er sie schon, als die ersten beiden an ihm vorbeigeschlendert waren, und er wusste ganz genau, wo in seinem Rücken sie sich befanden. Den dreien vor ihm aber gehörte der Großteil seiner Aufmerksamkeit. Die drei hatten irgendetwas Eigentümliches an sich – etwas, das er, selbst auf Aufforderung, nicht hätte beschreiben können.

Unter anderen Umständen hätte er den nervösen Bürger gespielt und wäre zurückgewichen, als ihm der arrogante Schlägertyp einen Stoß gegen die Brust versetzte. Er hätte die Zweit-Brieftasche ausgehändigt, die er für mögliche Polizeikontrollen stets mit sich führte, und hätte sich angemessen verängstigt seinem Schicksal gefügt. Dass der Kerl allerdings die Rechte unter der offenen Jacke verschwinden ließ, ließ bei Harahap sämtliche Alarmglocken schrillen.

»He, du Nullschubdüse! Raus mit deiner Briefta …«

Vor Überraschung riss Brandon Grant die Augen auf. Mit der Geschwindigkeit einer angreifenden Schlange schnellte der rechte Arm der Zielperson vor, traf Unterarm und Handgelenk von Bocharts linkem Arm und schlug den Arm beiseite. Dann schlossen sich die Finger schraubstockartig um Bocharts Ellenbogen, fanden genau die Nervenendpunkte am Gelenk. Eine Drehbewegung, ein Ruck, und Schmerz und Überraschung zwangen Bochart in die Knie.

Aber Markus Bochart war Profi. Trotz heftiger Schmerzen fand er das Heft der Vibroklinge, das er in einer Scheide unter der Jacke trug. So rasch hatte, laut Plan, die Waffe nicht zum Einsatz kommen sollen. Erst hätte die Situation für die Überwachungskameras eskalieren und angesichts mangelnder Fügsamkeit des Opfers die Wut mit dem Gangmitglied durchgehen sollen. Doch in diesem Moment scherte sich Bochart nicht mehr um den Plan. Geschwindigkeit und brutale Effizienz, mit denen sein Opfer reagierte, verrieten ihm, dass ihn die Unscheinbarkeit der Zielperson zu einer gravierenden Fehleinschätzung verleitet hatte – allen Mahnungen Grants zum Trotz.

Seine Hand kam wieder unter der Jacke hervor. Es war der Moment, in dem Bochart feststellen musste, wie gravierend seine Fehleinschätzung war.

Weder Instinkt noch Jahrzehnte der Erfahrung hatten Harahap bei dem Bandenmitglied eine tödliche Waffe erwarten lassen. Aber Instinkt und Erfahrung hatten ihre Vorteile. Wer dreißig T-Jahre an unschönen Orten verbracht und unschöne Dinge getan hatte, wusste sich blitzschnell auf dem Fußballen in den Angreifer hineinzudrehen – wohlgemerkt, ohne dessen linken Ellenbogen freizugeben – und mit dem Schwung der Bewegung Rücken gegen Brust prallen zu lassen: Dem Angreifer ging die Luft aus, und sein rechter Arm wurde eingeklemmt. Der Mann war wehrlos, als Harahap seinen rechten Arm hochriss: Der Schlag, geführt mit der Wucht einer Dampframme gegen den Kiefer, ließ den Knochen brechen und schleuderte den Kopf des Angreifers zurück.

Im nächsten Moment, eine einzige fließende Bewegung, hatte Harahap den Schlagarm um den Hals des Gegners geschlungen, ihn unentrinnbar im Würgegriff. Sogleich folgte ein gezielter Tritt mit der rechten Ferse gegen die Kniescheibe und eine ebenso absichtsvoll geführte Armbewegung, die den Kopf des Gegners mit kraftvollem, wohldosiertem Ruck nach vorn und nach unten stieß – und dieser Zweikampf war vorbei.

Aus Grants Überraschung wurde Unglauben und Entsetzen. Bocharts Schrei, zu dem er ansetzte, als seine Kniescheibe barst, erstarb ihm auf den Lippen, stattdessen das unverkennbare, scharfe Knacken eines brechenden Genicks … und das leblose Bündel aus Armen und Beinen krachte aufs Pflaster, die Vibroklinge aus der nun kraftlosen Hand drang noch heulend in die obsidianharte Betokeramik ein, ehe die Trennautomatik sie abschaltete. Das auserkorene Opfer, das mittlerweile eigentlich schon hätte tot sein sollen, dieser durch und durch gewöhnlich wirkende Mann, wirbelte mit der zerstörerischen Wut eines Zyklons zu Franz Gillespie herum.

Gillespie, sein Ziel, sah ihn kommen und aktivierte die Vibroklinge, die er bis eben unter seiner Jacke verborgen hatte. Mit dem typischen hässlichen Heulen tat die Klinge gerade erst kund, wie tödlich sie zu verletzen wusste, als Gillespies Angreifer ihn auch schon erreicht hatte. Mit stahlhartem Griff und einer Kraft, wie man sie bei einem so gewöhnlich wirkenden Mann nie vermutet hätte, umschloss er das Handgelenk, mit dem Gillespie die Waffen hielt. Mit der anderen Hand griff er gedankenschnell in Gillespies Haarschopf, riss den Kopf nach unten und gegen das hochschnellende Knie. Knochen knirschte auf Knochen, Blut spritzte, und Grants Zielperson wirbelte um die eigene Achse und schleuderte Gillespie von sich.

Halb blind und betäubt taumelte dieser geradewegs in den von den beiden einheimischen Teamkollegen hinein, der ihm am nächsten stand, und beide gingen, ein wildes Knäuel aus Armen und Beinen, zu Boden.

Den feinsäuberlich durchgeplanten Angriff so völlig außer Kontrolle geraten zu sehen ließ den zweiten Einheimischen für einen Sekundenbruchteil zu lang Maulaffen feilhalten. Er kam nicht mehr dazu, das zu ändern, denn der unauffällige Mann erreichte ihn und zerschmetterte ihm in einer einzigen fließenden Bewegung mit der Handkante den Kehlkopf. Die Hände krampfhaft um den Hals, schnappte der Getroffene nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen und taumelte rückwärts. Zeit, sich um seinen zu Boden gegangenen Partner zu kümmern.

Gillespie war inzwischen hoch auf die Knie gekommen. Mit einer Hand versuchte er, sich im zerschmetterten Gesicht das Blut aus den Augen zu wischen, und mit der anderen, auf der Betokeramik nach der heruntergefallenen Vibroklinge zu tasten. Mit lobenswerter Geschwindigkeit kam sein Partner wieder auf die Beine … nur, um nach einem weiteren Tritt, genau auf den Solarplexus, zusammenzuklappen und in die Knie zu gehen. Augenblicklich ließ der Angegriffene, der zum Angreifer geworden war, die Ellenbogenspitze wie eine Axt auf den Nacken des Mannes hinabfahren.

Beinahe sechs Sekunden brauchte Brandon Grant, um zu einer Entscheidung zu kommen.

Scheiß auf den Plan!

Im gleichen Moment, in dem der zweite Meyerit mit dumpfem Klatschen auf dem Straßenpflaster aufschlug, zuckte Grants Hand unter seiner Jacke hervor. Sie hielt jedoch keine Vibroklinge, wie sie sich bei den Banden der Stadt so großer Beliebtheit erfreute. Er richtete den Pulser auf die Zielperson, sein Finger krümmte sich bereits um den Abzug.

Gerade hatte Harahap ein weiteres vermeintliches Bandenmitglied ausgeschaltet, bemüht, das Gleichgewicht für den nächsten Angriff zurückzugewinnen, als kreischend ein Feuerstoß von Pulserbolzen an ihm vorbeifegte. Das Hochgeschwindigkeitsheulen derartiger Projektile war unverkennbar für jeden, der es schon einmal gehört hatte – was in seinem Berufszweig alles andere als beispiellos war. Vor Überraschung machte er große Augen, als die Brust des fünften und letzten Bandenmitglieds in einer Wolke aus Blut und Gewebefetzen verging.

Die Leiche war noch nicht auf dem Boden aufgeschlagen und Harahaps Verstand noch bemüht, mit der Geschwindigkeit seiner trainierten Instinkte Schritt zu halten, als der gleiche Pulser ein weiteres Mal abgefeuert wurde. Dieses Mal war es nur ein einzelner Bolzen, kein ganzer Feuerstoß, und der Mann mit dem zerschmetterten Gesicht ging, dieses Mal endgültig, zu Boden.

»Besser Sie begleiten mich jetzt, Captain Harahap«, sagte eine Stimme entschieden zu ruhig und gefasst.

Harahap blickte von den fünf Leichen auf.

»Die lobenswert wachsame Polizei von Pine Mountain wird schon bald eintreffen«, erklärte ein blonder Mann mit bemerkenswert grauen Augen, während er die Waffe wieder in einer Geheimtasche seiner maßgeschneiderten Jacke verschwinden ließ. Harahap kannte den Mann nicht. »Ich könnte mir vorstellen, dass man behördlicherseits jede Menge Fragen stellen wird, die Sie gewiss nicht werden beantworten wollen. Mir jedenfalls geht es so. Also …«

Er deutete eine Verneigung an, vollführte mit einer Hand eine gestelzte ›Nach-Ihnen‹-Geste und deutete die Straße entlang.

»Wären Sie dann wohl so freundlich, mir zu erklären, was zum Teufel das Ganze sollte?«, fragte Harahap etwa fünfzehn Minuten später bärbeißig.

Der private Flugwagen, den sein unbekannter Lebensretter in einer Tiefgarage keine fünf Minuten Fußweg vom Ort des verhinderten Überfalls abgestellt hatte, zog zügig über den Himmel von Meyers. Unter anderen Umständen hätte sich Damien Harahap wahrscheinlich gesorgt, von der Polizei verfolgt zu werden, dieses Mal nicht. Aus unerfindlichen Gründen waren sämtliche Überwachungskameras auf der Etage des Parkhauses, in dem ihr Fluchtgefährt abgestellt gewesen war, ausgefallen. Aus ebenso unerfindlichen Gründen war er von den blinkenden ›Außer Betrieb‹-Anzeigen nicht ganz so überrascht gewesen, wie er das eigentlich hätte sein müssen.

Nun saß er im Beifahrersitz, die Rechte unter seiner Jacke am Knauf des Pulsers – es fühlte sich sehr tröstlich an. Was nicht hieß, dass er seinem Lebensretter nicht außerordentlich dankbar gewesen wäre.

»Ich bedauere, das sagen zu müssen, Captain«, erklärte der Pilot völlig ruhig, ohne auch nur für einen Sekundenbruchteil den Blick vom Head-up-Display des Fahrzeugs abzuwenden (obwohl er sicher von der Waffe wusste, die in weniger als einem halben Meter Entfernung auf seine Brust zielte), »es war ein Versuch, Unerledigtes aus dem Weg zu räumen. Sie wissen ja bestimmt selbst, wie so etwas läuft.«

»Und was macht mich zu etwas Unerledigtem?«

»Ihre jüngsten Talbott-Aktivitäten. Sie wissen schon – die Geschehnisse auf Montana, Kornati, Mainwaring. Das alles eben.«

»Was, wenn ich jetzt sage, ich hätte keine Ahnung, wovon Sie da reden?«

»Na ja, dann müsste ich unweigerlich zu dem Schluss kommen, mindestens einer von uns beiden wäre ein ausgewachsener Vollidiot. Oder er hielte zumindest den jeweils anderen dafür.« Er lächelte, wandte Harahap zum ersten Mal das Gesicht zu und schüttelte den Kopf. »Da ich aber genau weiß, dass diese Beschreibung auf keinen von uns beiden zutrifft, gehe ich davon aus, dass Sie nicht glauben, ich wäre rein zufällig vorbeigekommen.«

»Stimmt, das glaube ich nicht«, räumte Harahap ein. »Andererseits warte ich immer noch auf die Erklärung, warum Sie vorbeigekommen sind.«

»Ms. Anisimovna hat mich gebeten, mich um Sie zu kümmern«, erklärte der Pilot.

Unwillkürlich blähten sich Harahaps Nasenflügel. »Und warum hat Ms. Anisimovna Sie darum gebeten?«, setzte er nach kurzem Schweigen nach.

»Weil sich dringend jemand um Sie kümmern musste?«, schlug der Pilot vor, und sein Lächeln wurde noch breiter.

Gegen seinen Willen lächelte Harahap zurück. »Unter den gegebenen Umständen bin ich bereit, das zuzugeben«, sagte er. »Aber ich würde trotzdem gern erfahren, was zum Teufel das Ganze soll – und das, bevor Sie den Wagen an einem Ort landen, wo es mir nicht gefällt. Also: Obwohl ich Ihnen natürlich angemessen dankbar bin, bitte ich Sie darum, mich aufzuklären.«

»Ganz wie Sie wünschen.« Der Pilot aktivierte den Autopiloten, bestätigte den vorprogrammierten Kurs und drehte seinen Sitz dem Passagier neben ihm zu.

»Zunächst einmal: Mein Name ist Rufino Chernyshev.« Er sah das Funkeln in Harahaps Augen und lachte leise. »Nein, der Name stimmt tatsächlich. Natürlich ist es ein anderer als der, der in meinem Pilotenschein steht. Aber da ich stark hoffe, dass wir letztendlich im gleichen Team landen, habe ich keinerlei Schwierigkeiten, Ihnen das schon jetzt zu verraten.«

Harahap nickte freundlich, doch ihm fiel spontan noch mindestens ein weiterer guter Grund ein, weswegen ihm Chernyshev so freimütig seinen wahren Namen verriet: Bei einem ganz bestimmten Ausgang der Geschichte dürfte ein gewisser Damien Harahap ernstlich Schwierigkeiten haben, dieses Wissen weiterzugeben.

»Die Kurzfassung von ›Was zum Teufel soll das Ganze?‹ lautet: Der Einsatz, für den Major Eichbauer Sie freundlicherweise an Ms. Anisimovna und deren Mitarbeiterstab ausgeliehen hat, ist ziemlich spektakulär gescheitert. Es steht zu erwarten, dass die Nachwirkungen noch unerfreulicher werden, als sie es bereits sind, ehe eine Besserung der Lage eintritt. Zumindest einige in besagtem Mitarbeiterstab machen sich ernstlich Sorgen, sich die Finger zu verbrennen. Ein Mitarbeiter hat beschlossen, alle zu ihm zurückverfolgbaren Verbindungen zu kappen. Genau dieses Verhalten hatte Ms. Anisimovna bereits befürchtet, und deswegen hat sie mich gebeten, mich um Sie zu kümmern. Bedauerlicherweise …«, einen kurzen Moment lang spannten sich Chernyshevs Gesichtszüge erkennbar an, »habe ich Major Eichbauer nicht rechtzeitig erreicht.«

»Ulrike ist tot?« Harahaps Stimme klang tonlos, beinahe desinteressiert, und in seinem Blick war keinerlei Regung zu erkennen … was jeder, der Harahap gut genug kannte, als sehr ungutes Zeichen gelesen hätte.

»Leider ja.« Chernyshev schüttelte den Kopf. »Ich habe den Trupp erledigt, der sie getötet hat, aber ein paar Sekunden kam ich eben doch zu spät. Sie hat zwar noch gelebt, aber es war ganz offenkundig, dass sich das rasch ändern würde – und das wusste sie auch. Sie war auf dem Weg zu dem mit Ihnen vereinbarten Treffen. Ihre letzten Worte waren, wo das Treffen stattfinden sollte.« Ruhig und gelassen hielt er Harahaps Blick stand. »Allein aus diesem Grund, Captain, habe ich Sie noch rechtzeitig abpassen können. Echte Freundschaft ist viel wert.«

»Stimmt«, pflichtete ihm Harahap bei. »Und deswegen werden Sie mir jetzt auch erzählen, wer die Anschläge in Auftrag gegeben hat.«

»Sie sind zweifellos sehr einfallsreich und geschickt, Captain, aber selbst Sie würden kaum an den Auftraggeber herankommen – vor allem nicht, wenn er weiß, dass Sie noch leben. Andererseits vertrete ich hier eine Organisation, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sehr wohl an ihn herankommt … zu gegebener Zeit.«

»Und diese Organisation, die Sie gerade erwähnen, hat Sie aus reiner Herzensgüte und Menschenfreundlichkeit ausgeschickt, mich zu retten, ja?«

»Das wohl kaum!« Chernyshev stieß ein Schnauben aus. »Nein, ich sollte Sie retten, weil Sie eine wertvolle Ressource darstellen. Das haben Sie in Talbott deutlich unter Beweis gestellt. Meine Auftraggeber waren entsprechend beeindruckt von Ihnen, weshalb ich fest davon ausgehe, dass man Sie in Zukunft in die Organisation einbinden möchte.«

»Aber sicher sind Sie sich dessen nicht.«

»Seit man mir die entsprechenden Aufträge erteilt hat, hat sich die Lage rascher verändert als erwartet, Captain. Bis meine Anweisungen auf den neuesten Stand gebracht wurden, bringe ich Sie daher vorübergehend in einer konspirativen Wohnung unter.«

»Und wenn ich nicht untergebracht werden will?« Harahap zog den Pulser unter seiner Jacke hervor und schwenkte den Lauf wie einen Zeigestock. »Ich bin schließlich immer noch Captain der Gendarmerie. Jetzt, da ich weiß, dass jemand mir nach dem Leben trachtet und einen Killer engagiert hat, schaffe ich es bestimmt, mich ganz allein in Sicherheit zu bringen.«

»Vorausgesetzt, Ihre Vorgesetzten sind nicht im gleichen Maße daran interessiert, entsprechende Verbindungen zu kappen wie die bereits erwähnte Person, die Ihnen das Killerkommando auf den Hals gehetzt hat. Denken Sie darüber nach: Hätte jemand Ihnen erklärt, dass sich der Aufwand lohnt, hätten Major Eichbauer und Sie die Brotkrumenspur bis zu Brigadier Yucel zurückverfolgen können … und ganz gewiss werden in Chicago ein ganze Reihe Personen in Ungnade fallen, wenn nach und nach der ganze Umfang der Ereignisse bekannt wird. Wollen Sie wirklich das Risiko eingehen und Ihr Leben darauf verwetten, dass Yucel in einem dauerhaften Verschwinden Ihrerseits keinen Vorteil sieht?«

»Das ist ein überdenkenswerter Ansatz«, bestätigte Harahap nach kurzem Schweigen. »Andererseits könnte man das Gleiche auch über Ms. Anisimovna behaupten.«

»Stimmt, ja«, pflichtete ihm Chernyshev bei. »Aber unsere Organisation verfolgt immer noch die gleichen Absichten wie zuvor, und wir sind uns ziemlich sicher, dass das, was in Talbott geschehen ist, keineswegs Ihre Schuld war. Warum also sollte Ms. Anisimovna ein derart vielseitiges, nützliches Werkzeug wie Sie einfach wegwerfen? Vor allem«, ein dünnes Lächeln huschte ihm übers Gesicht, »wenn besagtes Werkzeug kein Zuhause mehr hat?«

Harahap entblößte die Zähne in einer Art und Weise, die rein technisch gesehen wohl als Lächeln zu gelten hatte … aber Chernyshev war recht zu geben. Durchaus, ja. Trotzdem …

»Also gut«, sagte Harahap nach etwa dreißig Sekunden, sicherte den Pulser und schob ihn sich wieder in das Holster unter seiner Jacke. »Also gut, Sie haben Ihr Anliegen deutlich gemacht, und wahrscheinlich haben Sie sogar recht. Dann bringen Sie mich jetzt zu dieser konspirativen Wohnung. Aber vorher beantworten Sie mir eine Frage: Wer hat diesen Anschlag in Auftrag gegeben? Vielleicht komme ich noch nicht jetzt gleich an ihn heran, aber ich bin, wie Sie schon sagten, sehr einfallsreich. Lässt man mir ausreichend Zeit, komme ich an jeden heran, an absolut jeden.«

»Das glaube ich gern, Captain Harahap«, meinte Chernyshev und neigte den Kopf ein wenig zur Seite. Sein Blick hatte beinahe etwas Wissendes. »Aber hier und jetzt kann ich lediglich meine Vermutungen mit Ihnen teilen, um wen es sich handelt. Mehrere Personen kommen infrage, und es wird eine Weile dauern, den eigentlichen Drahtzieher zu identifizieren. Aber es sollte mich sehr überraschen, wenn sich dann herausstellt, dass es jemand ganz anderes war.«

»Mich auch«, gab Harahap zurück und meinte es ganz und gar ehrlich. Er wusste, wann er es mit einem Vollprofi zu tun hatte.

»Also, unter diesem Vorbehalt halte ich es für wahrscheinlich, dass wir von Volkhart Kalokainos reden.« Chernyshev zuckte mit den Schultern. »Schon seit geraumer Zeit versucht Kalokainos Shipping ein bisschen zu offensichtlich, den Mantys die Kniescheiben zu zertrümmern. Er ist auch ein bisschen zu tief in ein paar Einsätze verstrickt, die ihm gehörigen Ärger einbrächten und zur Peinlichkeit würden, wenn die Liga ganz offiziell darauf aufmerksam gemacht würde – auch zur Peinlichkeit für die Liga selbst beziehungsweise für die Leute, die dort das Sagen haben. Um das zu verhindern, würden ihn Kolokoltsov und die anderen augenblicklich den Wölfen zum Fraß vorwerfen. Außerdem hat sich Kalokainos auch bei anderen transstellaren Konzernen Feinde gemacht. Mit Freuden würde man dafür sorgen, dass es sich für Kolokoltsov auch lohnen würde, dem Konkurrenten Ärger zu machen – unter welchem Vorwand auch immer.«

»Jessyk und Manpower haben wohl überhaupt keine Feinde, was?«

»Aber sicher doch! Nur liegen ihre Zentralen nun einmal nicht auf Solly-Territorium. Ihnen Ärger zu machen – zumindest auf legalem Weg – fehlen der Liga die Möglichkeiten. Die Einzigen, Captain, um die beide sich tatsächlich sorgen müssen, leben in Sternnationen, die mit dem Buchstaben ›M‹ anfangen.«

»Ja, da ist was dran«, räumte Harahap nach kurzem Nachdenken ein. »Also gut, Mr. Chernyshev. Bringen Sie mich zu dieser konspirativen Wohnung.«

»Wir sind schon unterwegs, Captain.« Nun lächelte Chernyshev breit. »Und bitte nennen Sie mich doch einfach Rufino. Ich gehe davon aus, dass wir in nächster Zukunft sehr eng zusammenarbeiten werden.«

März 1921 P.D.

Zurück zum alten Forscherdrang, Herr Professor! Finden Sie heraus, wo wir kaufen können, was wir brauchen, um dem politischen Denkmal meines besten Freundes den Kopf abzuschlagen.

Tomasz Szponder,Krucjata Wolonści Myśli

Kapitel 2

»Du bist dran, Edyta«, sagte das blonde Mädchen mit den auffallend blauen Augen und tippte ungeduldig mit dem Finger auf das Reiseschachbrett, das zwischen ihren und den Nachbarsitz gequetscht war. »Ziehst du heute noch oder nicht?«

»Natürlich!« Edyta Sowczyk, vier Zentimeter kleiner als ihr Gegenüber und mit dunklen Augen und kastanienbraunem Haar, musste sich regelrecht vom Fenster losreißen. »Aber das hat doch noch Zeit! Ich will den Raumhafen sehen!«

Theatralisch seufzte Karolina Kreft und schüttelte mit Märtyrermiene den Kopf. Sonderlich überzeugend fiel beides nicht aus. Mit ihren fünfzehn Jahren war sie kaum ein Jahr älter als Edyta und mittlerweile überzeugt, die jüngere Freundin wäre noch ein bisschen intelligenter als sie selbst – was nicht heißen sollte, dass Karolina dumm gewesen wäre, nein, ganz gewiss nicht! Niemals wäre sie zu dieser besonderen Raumhafenbesichtigung eingeladen worden, wenn sie beide nicht zu den bestens zwei, drei Prozent ihrer Klasse gehört hätten. Aber Edyta hatte eine Klasse übersprungen, war ihren eigentlichen Altersgenossen also ein ganzes Jahr voraus, gehörte auch bei den ein Jahr Älteren immer noch zu den besten zwei, drei Prozent.

Außerdem besiegte sie Karolina regelmäßig und haushoch beim Schach … zumindest wenn sie es schaffte, sich wirklich auf das Spiel zu konzentrieren. Und das – Karolina gab es ungern zu, auch sich selbst gegenüber – war der Grund, weswegen sie wollte, dass Edyta ihren nächsten Zug jetzt sofort machte: Sie sollte mit dem Damenspringer in Karolinas extra vorbereitete Falle gehen. Unter normalen Umständen wäre das ein Ding der Unmöglichkeit, aber hier und jetzt …

»Wenn wir da sind, sind wir da, und dann kannst du ihn dir ja ansehen«, sagte sie. »Aber jetzt mach schon, und lass uns versuchen, diese Partie noch fertig zu spielen.«

»Also gut.«

Edyta drehte sich auf ihrem Sitz zur Seite – sie war zierlich, daher hatte sie in dem vollgepackten Bus auch dafür noch genug Platz – und warf einen kurzen Blick auf das Brett. Ungeduldig streckte sie schon die Hand aus, doch dann hielt sie inne, nahm die Hand wieder zurück und lehnte sich in ihren Sitz zurück.

»Ganz schön hinterhältig, Karolina«, sagte sie und spielte nachdenklich mit einem der billigen, aber hübschen grünen Bänder, die ihre Zöpfe zusammenhielten. Das auf die Bänder aufgedruckte Holo-Muster blitzte im Sonnenlicht auf. Konzentriert neigte Edyta den Kopf und betrachtete das Brett erneut. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glatt behaupten, du hättest es auf meinen armen kleinen Springer abgesehen.«

»Was denn, ich?« Karolina bemühte sich nach Kräften, möglichst unschuldig zu klingen, rechnete aber nicht damit, dass Edyta ihr das abkaufen würde.

»Oder aber hat jemand anderer deine Königin verschoben?«, fuhr Edyta beinahe geistesabwesend und mit konzentriertem Blick fort. Dann streckte sie erneut die Hand aus, doch dieses Mal nicht nach dem Läufer, sondern nach ihrem Königsspringer. Karolina blies frustriert die Wangen auf, als es vorbei war mit ihrer schönen Falle.

»Wie lange noch, Andrzej?«

Lukrecja Woli nska musste deutlich lauter sprechen als normal, um das aufgeregte Stimmengewirr von mehr als einhundert Kindern zu übertönen.

Die Lehrerin der High School saß unmittelbar hinter dem Fahrersitz des Flugbusses. Sie gehörte zu den vier offiziellen Aufsichtspersonen bei dieser Besichtigungstour, und so kam sie derzeit in den Genuss, neben sich einen freien Sitz zu wissen. Denn ihr Sitznachbar, Roman Sowi nski, war gerade ein Stück weit den Hauptgang zwischen den Sitzreihen hinabgegangen, um zumindest bei einem Teil der Stimmen für eine etwas moderatere Lautstärke zu sorgen. Lukrecja war ja der Ansicht, das wäre ein völlig aussichtsloses Unterfangen, aber selbstverständlich durfte er sich gern daran versuchen.

Lukrecjas eigentliche Arbeit finge erst mit der Landung des Buses an – und die Vorstellung, was dann auf sie zukäme, machte sie beklommen. Gewiss, alle Kinder, die an diesem Ausflug teilnehmen durften, waren nett und umgänglich, aber alle waren nun einmal in den Sozialwohntürmen geboren und aufgewachsen. Hier und jetzt bot sich ihnen die Gelegenheit, wenigstens einen kurzen Blick durch das Fenster auf einen opulenten Lebensstil zu werfen, von dem bislang weder sie selbst noch ihre Eltern eine Vorstellung hatten. Und eine gewissen Lukrecja Woli nska musste währenddessen dafür sorgen, dass sich alle Kinder anständig benahmen.

Glücklicherweise wussten die Kinder aus den Sozialwohntürmen, dass nicht für alle Menschen die gleichen Regeln galten. Sie wussten, dass Familien der Oligarchia in einer völlig anderen Welt lebten als sie selbst, und sie wussten auch, dass es … Konsequenzen hatte, wenn man den Zorns eines oligarcha auf sich zog. Woli nska konnte sich also darauf verlassen, dass alle ihre Schützlinge die bestmöglichen Manieren an den Tag legen würden. Das Problem war, dass alles das, was ihnen bislang an Manieren beigebracht worden war, für den heutigen Ausflug möglicherweise nicht ausreichte.

Ach, jetzt hör schon auf, dir Sorgen zu machen!, sagte sie sich selbst, warf einen Blick über die Schulter und lächelte, als sie sah, wie konzentriert sich Edyta Sowczyk über das kleine Schachbrett auf der Armlehne zwischen ihrem Sitz und dem von Karolina Kreft beugte. Die beiden gehörten zu der Sorte Kinder, die den Lehrberuf zutiefst befriedigend machten. Die beiden konnten es kaum noch erwarten, endlich den Raumhafen zu sehen – vor allem Edyta nicht. In gewisser Weise waren beide Mädchen im Schatten des Raumhafens aufgewachsen. Denn ihre Eltern arbeiteten – wenn sie denn Arbeit fanden – für die Stowarzyszenie Eksporterów Owoców Morza, die maßgeblich das Geschäft des ganzen Raumhafens dominierte. Allerdings traf das mehr oder weniger für eine ganze Reihe Sozialwohnturmbewohner zu.

»Jetzt ist es nicht mehr weit, Ms. Woli nska«, erklärte Andrzej Bicukowski, der Fahrer des Flugbusses. Auch er musste die Stimme ein wenig erheben, wandte dabei jedoch keinen Moment lang den Blick vom Head-Up-Display des Fahrzeugs ab. »Aber in der üblichen Einflugschneise staut es sich gerade.« Er tippte sich gegen den Ohrhörer, über den ihn stets die neuesten Durchsagen der Verkehrsleitstelle von Ldowisko erreichten. »Da haben sich wohl zwei Laster miteinander angelegt, und in die ist dann auch noch ein Straßenkreuzer reingekracht. Die Flugsicherung hat die Südroute bis auf eine Spur gesperrt. Auf der scheint’s auch nicht so recht voranzugehen, und dieses Monstrum hier ist viel zu träge zum Lückenspringen. Darum habe ich eine Abweichung von der ursprünglich angemeldeten Route eingereicht. Wir kommen dann von der Ostseite her zum Raumhafen, über die SEOM-Lagerhäuser am Flussufer hinweg.« Er verzog das Gesicht. »Ist zwar landschaftlich nicht ganz so reizvoll, aber dafür kommen die Kinder viel schneller ans Ziel.«

»Schneller ist gut«, sagte Lukrecja mit Nachdruck, als der Lärmpegel neue Höhenrekorde aufstellte. »Schneller ist sogar sehr gut.«

Bicukowski lachte leise. Der Flugwagen schwenkte herum und steuerte eine der Tertiären Einflugschneisen an der Äußeren Ringroute an.

»Was macht denn dieser Idiot da?«, knurrte Wiktoria Lewandowska.

Sie stand in der Verschiffungs- und Verkehrsleitstelle der Stowarzyszenie Eksporterów Owoców Morza und blickte finster über die Schulter des diensthabenden Lotsen hinweg auf das Display. Das orangefarbene Icon, das sich darauf langsam fortbewegte, war nicht mit einem Transponder-Code gekennzeichnet. Zugegeben, das galt für eine ganze Reihe Icons auf diesem Display und hatte damit zu tun, dass man in der Verkehrsleitstelle immer noch darum rang, das gewaltige Durcheinander nach dem schlimmsten Luftunfall seit fünf oder sogar zehn Jahren zu beseitigen. Dass die Systeme derzeit Zicken machten, war nicht überraschend: Aus dem sich immer weiter ausbreitenden Feuerball war ein schwer beschädigtes Flugtaxi herausgeschleudert worden und hatte einen automatisierten Umsetzer der Verkehrsleitung erwischt. Das Besondere an diesem Icon ohne Kennung aber war, dass es in ihren, in SEOMs, Luftraum eindrang. Sicher, streng genommen handelte es sich bei der gewählten Route um einen öffentlichen Zubringer, aber dabei wurde Luftraum von SEOM durchquert. Öffentlich oder nicht: Diese Luft gehörte SEOM, und das wusste jeder hier verdammt noch eins genau!

»Wahrscheinlich wieder ein Laster, der die Massenkarambolage auf der Südroute umgehen will, Ma’am«, erwiderte der Lotse und sprach damit ganz genau ihre eigenen Überlegungen aus. »Lässt sich natürlich nur vermuten. Die Flugsicherung ist mit den jüngsten Lageberichten heute noch langsamer als sonst. Wahrscheinlich sind alle zu sehr damit beschäftigt, dem Chaos Herr zu werden.«

»Mir ist völlig egal, wie beschäftigt die Flugsicherung ist!«, fauchte Lewandowska. »Das ist unser Luftraum, und ich bin es leid, dass nach Gutdünken Zigeuner durchsausen!«

Kurz – wirklich nur sehr kurz – zog der Lotse in Erwägung, anzumerken, dass in letzter Zeit kaum noch Zigeuner-Fluglaster den Raumhafen ansteuerten. Die großen Transportunternehmen hatten ihnen wieder einmal gezeigt, wo der sprichwörtliche Hammer hing. Sicher würde es noch Monate dauern, bis selbst die wagemutigsten Kleinunternehmer auch nur den Zeh in dieses spezielle Gewässer einzutauchen wagten. So war es immer, wenn die Großen der Konkurrenz den Zugang untersagten. Aber zu seinen Aufgaben als Lotse gehörte nicht, Wiktoria Lewandowska Dinge zu erklären, die diese nur ungern hörte.

»Sagen Sie ihm, er soll aus unserem Luftraum verschwinden, und zwar auf der Stelle!«, wies sie ihn an.

»Habe ich schon versucht, Ma’am. Auf keiner der üblichen Frachterfrequenzen erhalte ich eine Antwort.«

»Ach.« Lewandowska nahm die Augen vom Bildschirm und durchbohrte mit zornigem Blick den armen Lotsen. »Und warum nicht, verdammt noch mal?«

»Das weiß ich nicht, Ma’am«, erwiderte der Lotse und verkniff sich wohlweislich ein: Zum Teufel, kann ich etwa hellsehen?!

»Na, das werden wir ja sehen!« Lewandowska trat einen Schritt zurück und aktivierte ihr persönliches Com. »Verbinden Sie mich mit Peripherie eins«, sagte sie.

Andrzej Bicukowski runzelte die Stirn und drosselte die Fluggeschwindigkeit um weitere fünfzig Kilometer in der Stunde. In den abgelegeneren Sektoren der Systemhauptstadt war es nicht gerade beispiellos, dass die Luftverkehrsleitstelle von Ldowisko mit ihren Anweisungen ein wenig ins Hintertreffen geriet, doch es war schon ungewöhnlich, dass sie auch in derartiger Nähe zum Stadtkern und vor allem zum Raumhafen so lange schwieg. Die oligarchowie mochten es gar nicht, wenn ihre Flugpläne durcheinandergerieten, aber es sah ganz danach aus, als wäre die Massenkarambolage auf der Südroute noch schlimmer als angenommen. Gerade steuerten mehr als ein Dutzend Rettungsfahrzeuge die Unfallstelle an, und es klang so, als wäre das automatische System wieder einmal ausgefallen. Jeder Berufsfahrer und jeder Pilot von Ldowisko wusste, dass das gesamte System dringend ersetzt werden musste. Leider war es schwierig, diejenigen, die die Credits fließen ließen, davon zu überzeugen, die dafür erforderlichen Gelder auch auszugeben.

»Raumhafen Ldowisko«, sprach er erneut in sein Mikrofon und hoffte inständig darauf, an einen lebenden Menschen zu geraten. »Marianna Tours eins null neun erbittet Empfangsbestätigung der geänderten Route. Ich wiederhole: Marianna Tours eins-null-neun erbittet Empfangsbestätigung der geänderten Route.«

Er lehnte sich in seinem Pilotensessel zurück und trommelte mit den Fingerspitzen leicht gegen die Steuersäule des Fahrzeugs. Doch als ein rotes Icon auf seinem Head-Up-Display aufflammte, knurrte er einen nicht ganz gesellschaftsfähigen Fluch.

Na prächtig! Nicht nur, dass die nicht mehr mit mir reden, jetzt ist auch noch der Transponder ausgefallen! Wirklich ein toller Zeitpunkt, die automatische Info-Weiterleitung abzuschalten!

Er bremste den Flugbus noch weiter ab und hielt sämtliche Vorschriften für den Flug nach Sicht ein. Glücklicherweise war die Sicht ausgezeichnet.

»Jawohl, Leitstelle«, bestätigte Kazimierz Łukaszewski. »Peripherie eins empfängt.«

Er deaktivierte die Automatiksteuerung seines Flugwagens und überprüfte die Displays. Da war es auch schon! Das fette orangefarbene Icon, das da gerade den privaten Luftraum von SEOM durchquerte, versuchte noch nicht einmal, sich so rasch wie möglich wieder zu entfernen. In aller Gemütsruhe schlenderte es geradewegs durch den Luftraum, für den SEOM gutes Geld bezahlte! Ms. Lewandowska hatte recht. Es wurde wirklich Zeit, dass jemand diesen verdammten Zigeunern eine Lektion erteilte.

Lieutenant Ludwik Kezczyński von der Siły Zbrojne Włocławka knurrte angewidert und schwenkte sein Stingship herum, um den Raumhafen ein weiteres Mal zu umrunden. Er hatte gerade einen vierstündigen Trainingseinsatz hinter sich und war mehr als bereit, wieder aufzusetzen und das Schiff dem Bodenpersonal zu überlassen. Nicht nur, dass dieser Trainingseinsatz entsetzlich langweilig gewesen war: Ein verdammt heißes Date wartete auf ihn, und Pelagia war eindeutig nicht die Sorte Frau, der es gefiele, wenn ein einfacher Lieutenant der planetaren Streitkräfte sie warten ließe. Auch Beteuerungen wie ›Schatz, ich hab’s wirklich versucht!‹ würden sie vermutlich nicht beeindrucken.

Er warf einen Blick auf das Display, und der hochkochende Unmut ließ nach, als ihm das wahre Ausmaß der Massenkarambolage aufging. Mehr als ein Dutzend Fahrzeuge waren darin verwickelt. Sie alle waren auf den Verkehrswegen am Boden aufgesetzt oder aufgeschlagen, manche davon nur noch Trümmer, mindestens drei davon standen in Flammen – und Gleiches galt auch für etwa ein Dutzend Lastkraftwagen oder ähnliche Fahrzeuge. Kein Wunder, dass sich die Flugsicherung die schlagartig ergrauten Haare raufte, während man dort versuchte, dem Chaos beizukommen. Das würde noch eine ganze Weile dauern. Also würde Pelagia wohl einfach …

Der Gedanke verflog, als er das Icon bemerkte, das gerade von Nordnordost mit hohem Tempo einkam. Ein solch gefährliches Manöver konnte einem erfahrenen Militärpiloten unmöglich entgehen. Rasch gab er einen Befehl in das Ortungssystem ein und runzelte die Stirn. Der Transponder behauptete zwar, es handle sich um ein ziviles Luftfahrzeug, doch die Emissionssignatur passte perfekt zu einem Skrzydło-Jastrzb-Aufklärer, und zu dessen Ausstattung gehörte eine doppelläufige Dreißig-Millimeter-Pulserkanone und Haltevorrichtungen unter den Tragflächen für bis zu sechs Raketen. Warum zum Teufel kam dieses Ding jetzt überhaupt wie von Furien gehetzt angeschossen?!

»Raumhafen Ldowisko, Stingship Alpha-fünf-Charlie bittet um eine Vorrangverbindung zu dem zivilen Flugwagen Oscar-Mike-Sierra-Echo-sieben-eins!«

Vorfreude ließ Kazimierz Łukaszewski lächeln, als das Icon genau in der Mitte eines Displays rasch größer wurde. Dessen Transponder sendete immer noch nichts. Sorgfältig überprüfte Łukaszewski seinen Annäherungswinkel: perfekt. Er näherte sich von der Landseite der Szeroka-Rzeka-Einmündung aus. Was nach seiner kleinen Demonstration noch übrig wäre, würde sich über eine große, leere Fläche tiefes Wasser verteilen.

»Alpha-fünf-Charlie, Raumhafen Ldowisko hier.« Die Stimme aus Lieutenant Kezczyńskis Ohrhörer klang unverkennbar gehetzt. »Ich versuche die Verbindung herzustellen, aber hier herrscht ziemliches Durcheinander.«

»Raumhafen Ldowisko, Alpha-fünf-Charlie hat verstanden, aber Sie sollten sich wirklich beeilen. Ich weiß ja nicht, was der Idiot hier vorhat, aber …«

Łukaszewski war Pilot der alten Schule. Zumindest wünschte er sich, genau das von sich sagen zu dürfen. Nein, eigentlich wünschte er sich, auf Alterde geboren worden zu sein – zu einer Zeit, da Luftfahrzeuge noch aus Leinen und Drahtseilen bestanden hatten und man sich für die Feuerleitung ganz und gar auf das menschliche Auge verlassen musste. Mit diesen Apparaten waren wirklich noch richtige Männer geflogen!

Unter den gegebenen Umständen, so entschied er, konnte er sich eine kleine Belohnung gestatten. Und so deaktivierte er den Feuerleitcomputer und aktivierte den manuellen Feuerknopf an seiner Steuersäule.

Ein Annäherungsalarm schrillte, und Andrzej Bicukowski starrte voller Entsetzen sein Kurzstreckenradar an, auf dem die aktuell berechneten Flugbahnen dargestellt wurden. Ihm blieb keine Zeit mehr, bei der Flugsicherung nachzufragen, was eigentlich vor sich gehe. Ihm blieb nicht einmal mehr die Zeit, das Schild zu aktivieren, das die Passagiere aufforderte, sich anzuschnallen.

Er gab maximalen Schub und schwenkte den Flugbus gleichzeitig nach Backbord, jagte im Halbkreis über die Einmündung hinweg, um irgendwie einen Zusammenstoß mitten in der Luft zu vermeiden.

»Großer Gott – nein!«

Lieutenant Kezczyńskis Gesicht wurde aschfahl, als der Flugbus in der Farben der Marianna Tours scharf nach links schwenkte, um dem geradewegs auf ihn zuhaltenden ›Zivilfahrzeug‹ auszuweichen. Unter gewöhnlichen Umständen wäre dieses Vorgehen genau das Richtige.

Heute jedoch war es genau das Falsche.

»Oh, Scheiße!«, schrie Kazimierz Łukaszewski. Er wollte den Finger noch vom Feuerknopf nehmen, er wollte es wirklich! Aber seine Reaktion kam ein ganzes Leben – einhundert ganze Leben – zu spät.

Der Flugwagen, der mit einem gekonnten Manöver versucht hatte, eine Kollision mitten in der Luft zu vermeiden, flog geradewegs in den Warnschuss seiner Pulserkanone hinein und verging in einem gleißenden Flammenball.

Kapitel 3

»Ist die Untersuchung damit jetzt offiziell abgeschlossen?«

»Ja, Tomasz, das ist sie. Offiziell verkündet wurde das zwar noch nicht, aber in meinem Büro kursiert schon eine Rohfassung des Textes.« Szymon Ziomkowski, der ihm an dem mit schneeweißem Leinen eingedeckten Tisch gegenübersaß, seufzte und schüttelte betrübt den Kopf. Er griff nach seinem Wodkaglas und trank einen Schluck, stellte es wieder zurück und starrte es eine ganze Weile an. »Traurig, das Ganze, sehr traurig«, sagte er schließlich.

»Ja, zweifellos.« Tomasz Szponder lehnte sich in seinem Stuhl zurück und betrachtete den jüngeren Mann ihm gegenüber. »Hat die Untersuchung denn auch zu einem Ergebnis hinsichtlich des Hergangs der ganzen Sache geführt?«

»Das alles war einfach nur die Sorte Unfall, mit der niemand hat rechnen können«, erwiderte Ziomkowski. »Anscheinend hat der Pilot des Flugbusses nicht die Frequenz der Wachen abgetastet. Deswegen ist er trotz mehrfacher Warnung geradewegs in den abgeriegelten Luftraum des Raumhafens eingedrungen … und Sie wissen ja selbst, wie sehr die SZW auf Sicherheit achtet – gerade seit dieser Geschichte im vergangenen Jahr mit dem durchgeknallten Fluglasterpiloten.«

»Aha.«

Szponder nippte ebenfalls an seinem Wodka und ließ den Blick dann durch den weitläufigen Speisesaal schweifen, der sich im obersten Stockwerk des Hotels Włodzimierz Ziomkowski befand. Er erinnerte sich noch gut daran, dass das Hotel einst Orle Gniazdo, ›Adlerhorst‹, geheißen hatte. Doch vor fünf T-Jahren hatte man das Gebäude umbenannt – nach Szymons Onkel. Mittlerweile verwendete niemand mehr den Namen Orle Gniazdo.

Zumindest nicht, wenn die Gefahr bestand, dass unbefugte Ohren es mitbekämen.

»Hat Ludwika den Bericht offiziell abgezeichnet?«, erkundigte er sich nach kurzem Schweigen.

»Das ist doch gar nicht ihre Aufgabe, oder irre ich mich da?« Ziomkowski blickte von seinem Wodkaglas auf. »Sie ist die Oberbefehlshaberin der SZW, Tomasz. Wahrscheinlich wird jemand auf deutlich niedrigerer Ebene – vielleicht Pawlikowski – das Ganze absegnen … oder wie das beim Militär genannt wird. Möglicherweise gibt es in der offiziellen Weisungskette sogar jemanden, der genau dafür zuständig ist. Beim Militär kenne ich mich so gar nicht aus.«

»Nein, natürlich nicht.« Szponder lächelte und wedelte mit der Hand. Die Geste besagte unmissverständlich: ›nicht so wichtig‹. Dann winkte er mit der gleichen Hand den Kellner herbei. »Ich habe gehört, heute wären die ruskie pierogi ganz besonders zu empfehlen«, sagte er. »Damit und mit einer krupnik könnten wir anfangen. Und was hätten Sie gern als Hauptgang?«

»Sie bestellen schneller als erwartet«, meinte Wincenty Małakowski.

»Sie sollten mehr auf die jüngsten Terminänderungen achten.« Grzegorz Zieli nskis Tonfall war tadelnd. »Mr. Szponder hat heute viel zu tun. Die Rede, die er in dem Krankenhaus halten soll, wurde verlegt.«

»Sogar der Przewodniczcy muss sich mit seinem Terminplan nach Mr. Szponder richten?«, fragte Małakowski nach.

»Das muss er keineswegs, Wincenty, aber entscheidet sich aus ganz freien Stücken dafür. Es geht hier um Respekt.« Zieli nski schüttelte den Kopf. »Ihr jungen Leute habt einfach keinen Respekt vor der Tradition. Mr. Szponder kennt der Przewodniczcy schon seit seiner Jugend. Er ist für ihn beinahe schon ein weiterer Onkel.«

»Ich weiß, ich weiß!« Małakowski winkte ab, und seine Geste war gleichermaßen Bestätigung und Dank für diese Information. »Und wenn es in der Partei überhaupt jemanden gibt, der sich ein wenig Rücksichtnahme seitens des Przewodniczcy verdient hat, dann ist das wohl Mr. Szponder.«

»Stimmt, ja«, bestätigte Zieli nski. »Und wenn die beiden jetzt bestellen, dann sollten wir beide es ihnen gleichtun.«

»Gute Idee.« Małakowski nickte und streckte schon die Hand aus, um die Speisekarte zu aktivieren, doch sein Blick galt immer noch den beiden Männern an jenem Tisch in der kleinen Nische. »Worüber die wohl gerade reden?«

»Geht uns nichts an«, erwiderte Zieli nski und widmete seine Aufmerksamkeit ganz der Speisekarte.

»Nein, wohl nicht«, meinte Małakowski.

Zieli nskis Reaktion beschränkte sich auf ein zustimmendes Brummen, während er die Speisekarte durchscrollte. Dabei wussten sie beide, dass das nicht ganz stimmte. Als handverlesene Agenten des Departament Ochrony Przewodniczcego, der Schutzabteilung des Parteivorsitzenden, sollten sie die politischen Auswirkungen von Treffen des Parteivorsitzenden im Blick behalten. Małakowski wusste ebenso gut wie er selbst, dass sie beide einen Eid auf das Biuro Bezpiecze nstwa i Prawdy – das Büro für Sicherheit und Wahrheit – abgelegt hatten. Daraus ergaben sich Justyna Pokriefke gegenüber, der Leiterin dieses Büros, gewisse Verpflichtungen. Gelegentlich – tatsächlich sogar häufiger, als das Zieli nski selbst recht war – hatten diese Verpflichtungen nur erschreckend wenig Ähnlichkeit mit der offiziellen Beschreibung ihrer dienstrechtlichen Pflichten.

Er hatte seine Bestellung eingegeben und blickte nun vom Speisekartendisplay auf. Mit geübtem Blick schaute er sich im ganzen Saal um und bemerkte sofort die anderen DOP-Agenten, die sich zur Sicherung aller Ein- und Ausgänge strategisch verteilt hatten. Es hatte Zeiten gegeben, wo derlei Sicherheitsvorkehrungen als hoffnungslos überdimensioniert bezeichnet worden wären. Włodzimierz Ziomkowski hatte, daran erinnerte sich Zieli nski gut, gestenreich seine persönliche Leibgarde fortgescheucht, um geradewegs in die begeistert jubelnde Menschenmenge einzutauchen, um hier und dort Hände zu schütteln oder auf Schultern zu klopfen, Babys zu küssen und völlig ungezwungen mit Parteimitgliedern ein paar private Worte hinsichtlich einer Nachricht oder einer Bitte zu wechseln.

Wie er diese Zeiten vermisste!

»Statusbericht«, raunte er und nickte kaum merklich, als eine Meldung nach der anderen seinen Ohrhörer erreichte.

Eigentlich glaubte er nicht daran, dass derzeit ein Attentat auf den Przewodniczcy vorbereitet wurde, aber er war sich dessen längst nicht so sicher, wie er sich das gewünscht hätte … und der Zwischenfall mit dem Flugbus mochte durchaus früher oder später Konsequenzen nach sich ziehen. Ein Flugbus, vollbesetzt mit Schulkindern, hätte nicht einfach so von einem Stingship des Militärs vom Himmel geholt werden dürfen! Über achtzig Tote – so lautete die letzte Meldung. Aber es war vollkommen unerheblich, was in den offiziellen Verlautbarungen stand und über elektronische Kommunikationswege vermittelt wurde: Er wusste von den Gerüchten, die Regierung habe die Zahl der Toten heruntergespielt. Er selbst glaubte das nicht: Mehr als achtzig oder allerhöchstens neunzig Personen passten nun einmal nicht in einen Flugbus. Allerdings war er sich keineswegs sicher, dass die offiziellen Zahlen der Wahrheit entsprachen … und aus der Gerüchteküche hörte man Unschönes. Zur Abwechslung richtete sich manches davon sogar gegen Ziomkowski persönlich.

Möglicherweise also war der ganze Sicherheitsaufwand dieses Mal voll und ganz notwendig.

Zieli nski beobachtete, wie die Vorspeisen für den Parteivorsitzenden und dessen Gast serviert wurden. Selbst einen Teller serviert zu bekommen lenkte ihn davon ab. Zieli nski murmelte einen Dank und griff nach dem in eine Serviette gerollten Besteck.

»Sie sollten lieber loslegen«, riet er Małakowski. »Wenn Mr. Szponder seinen Zeitplan einhält und der Przewodniczcy beschließt, ihn wieder zum Parkhaus zu begleiten, bleibt Ihnen nicht viel Zeit.«

»Ich weiß.« Małakowski griff ebenfalls nach der Gabel.

Zieli nskis Blick wanderte zurück zu dem Mann mit kantigem Gesicht und braunem Haar, der Ziomkowski am Tisch gegenübersaß.

Tomasz Szponder war eine Handbreit oder mehr kleiner als der, zugegeben, außergewöhnlich große Parteivorsitzende und mehr als dreißig T-Jahre älter. Schon zehn Jahre vor Szymon Ziomkowskis Geburt hatte Szponder zu Włodzimierz Ziomkowskis Doktoranden gehört. Mittlerweile war er längst ein angesehenes Mitglied der Oligarchia, jener Gruppe unvorstellbar wohlhabender Familien, die die Wirtschaft im Włocławek-System dominierten. Es hatte auch eine Zeit gegeben, zu der Tomasz Szponder als enger Freund von Grzegorz Zieli nski gegolten hatte. Das war mittlerweile lange her, war in jener ungestümen Frühzeit der Agitacja gewesen. Damals waren beide noch begeisterte, eifrige Mitglieder der Ruch Odnowy Narodowej waren … bevor diese, die ›Bewegung der Nationalen Erneuerung‹, an der Wahlurne ihr Ziel erreicht, die politische Macht übernommen und auf diese Weise ihre Reformen durchgesetzt hatte.

In dieser Zeit hatte sich Szponder ganz in die vertraute Behaglichkeit seiner Rolle als oligarcha zurückgezogen, und Grzegorz Zieli nski hatte sich ganz auf die ihm bestens vertraute Rolle konzentriert, die Oligarchia zu beschützen. Hin und wieder ertappte er sich bei dem Gedanken, eigentlich von Szponder enttäuscht zu sein, aber wenigstens gehörte dieser Mann nicht zu den Łowcy trufli, den ›Trüffelsuchern‹. Dieser Schimpfname für die Oligarchen von Włocławek spielte auf die Alterden-Schweine an, die die ersten Kolonisten vor T-Jahrhunderten nach Włocławek gebracht hatten. Der trufla von Włocławek war ein dort heimischer Pilz mit einem beinahe schon suchterzeugenden Aroma: zugleich moschusartig, fruchtig und adstringierend. Obwohl nicht von Alterde in die neue Kolonie gebracht, fanden die Alterden-Schweine mit ihren empfindlichen Rüsseln den einheimischen Pilz mühelos.

Natürlich brauchte Szponder für sein Geld nicht nach trufla zu suchen. Dank seiner ausgezeichneten Kontakte zur Partei kam für ihn häufig genug Geld einfach des Weges – und er war kein Mann, der Geld verschmähte. Er war ein Mann, der dem Geldadel entstammte, einer der Gründerfamilien der Oligarchia. Genau das war einer der Gründe, weswegen er für die RON von so unschätzbarem Wert war. In den Anfangstagen hatte er reichlich zur Parteikasse beigesteuert und das Geld auch später nicht zurückverlangt. Von der Partei etwas zurückzuverlangen wäre ohnehin keine gute Idee gewesen, egal für wen. In seinem Fall war alles gespendete Geld gut investiertes Geld, vor allem angesichts der zahlreichen Gelegenheiten, die sich den Trzystu, den ›Dreihundert‹, nun einmal boten. Inzwischen jedoch waren von den ursprünglichen Mitgliedern des Zentralkomitees der RON deutlich weniger als dreihundert übrig geblieben. Im Gegensatz zu neueren Parteimitgliedern mit höherer Mitgliedsnummer, denen wunderschöne Holo-Abzeichen überreicht wurden, trugen die Überlebenden jenes ursprünglichen Komitees nach wie vor ihre abgegriffenen Emaille-Anstecknadeln aus der Anfangszeit – das war alles, was sich die Partei seinerzeit hatte leisten können. In gewisser Weise betonte das nur noch um so deutlicher, wie traurig es war, dass so viele von ihnen …

Zieli nski gab sich einen Ruck. Ja, Szponder hatte in seine Rolle als Angehöriger der Elite von Włocławek mit dem gleichen Geschick zurückgefunden, mit dem ein ryby grzmot ins Wasser tauchte. Und ja, aus genau diesem Grund war er reicher als zuvor – viel reicher. Doch zugleich spendete er großzügig an die verschiedensten Wohltätigkeitsorganisationen, etwa den Siostry Ubogich, den ›Schwestern der Armen‹, die das Szpital Marii Urba nskiej im Stadtzentrum von Ldowisko gegründet hatten und heute noch führten. Das Hospital befand sich im ärmsten Viertel der Hauptstadt, und die Familie Szponder unterstützte es seit mehr als zweihundert T-Jahren.

Außerdem war Tomasz Szponder der Eigentümer der Ldowisko Gazety i Kurier, dem meistgenutzten Nachrichtendienst der Hauptstadt. Gekauft hatte Szponder ihn gleich zu Anfang für die Partei, und dann hatte er daraus den einflussreichsten Nachrichtenkanal des ganzen Planeten gemacht. Mittlerweile jedoch beeinflusste er die redaktionelle Ausrichtung deutlich weniger aktiv als damals, in jenen ungestümen Anfangstagen. Heutzutage war es klüger, derlei der Partei selbst zu überlassen – auch wenn Szponder über seine Korrespondentinnen und Korrespondenten nach wie vor mitmischte. Zieli nski wollte gar nicht daran denken, wie oft Medienheinis Wichtiges noch vor BBP oder BDK aufschnappten, und Szponder hatte es sich daher zur Gewohnheit gemacht, Informationen dieser Art an Pokriefke und Teofil Strenk weiterzureichen, sobald sie ihn erreichten.

Und dann war da noch Wydawnictwo Zielone Wzgórza. Niemand wusste, warum Szponder seinem Verlagshaus gerade diesen Namen gegeben hatte – ›grüne Hügel‹ fanden sich nirgendwo in der Nähe, nicht hier in der Innenstadt. Wann immer ihn jemand danach fragte, lächelte der oligarcha