Honor Harrington: Schmiede des Zorns - David Weber - E-Book
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Honor Harrington: Schmiede des Zorns E-Book

David Weber

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Beschreibung

Die Operation Janus ist in vollem Gange: Die verdeckte Kampagne soll zahlreiche Planeten der Solaren Liga zum Aufstand gegen das repressive System bewegen. Vermeintlich mit der Unterstützung des benachbarten Sternenkönigreiches von Manticore. Doch hinter der Aktion steckt niemand anderes als das feindliche Mesanische Alignment. Ihr Ziel: Einen Krieg ungekannten Ausmaßes zwischen Manticore und der Solaren Liga zu entfachen ...

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Inhalt

Über dieses BuchÜber den AutorTitelImpressumFebruar 1922 P. D.Kapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7April 1922 P. D.Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Juni 1922 P. D.Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Juli 1922 P. D.Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24August 1922 P. D.Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28Kapitel 29Kapitel 30Kapitel 31Kapitel 32Kapitel 33Kapitel 34Kapitel 35September 1922 P. D.Kapitel 36Kapitel 37Kapitel 38Kapitel 39Kapitel 40Oktober 1922 P. D.Kapitel 41Kapitel 42Kapitel 43Kapitel 44EpilogPersonenverzeichnisWłocławek-Glossar

Über dieses Buch

Die Operation Janus ist in vollem Gange: Die verdeckte Kampagne soll zahlreiche Planeten der Solaren Liga zum Aufstand gegen das repressive System bewegen. Vermeintlich mit der Unterstützung des benachbarten Sternenkönigreiches von Manticore. Doch hinter der Aktion steckt niemand anderes als das feindliche Mesanische Alignment. Ihr Ziel: Einen Krieg ungekannten Ausmaßes zwischen Manticore und der Solaren Liga zu entfachen …

Über den Autor

David Weber ist ein Phänomen: Ungeheuer produktiv (er hat zahlreiche Fantasy- und Science-Fiction-Romane geschrieben), erlangte er Popularität mit der Honor-Harrington-Reihe, die inzwischen nicht nur in den USA zu den bestverkauften SF-Serien zählt. David Weber wird gerne mit C. S. Forester verglichen, aber auch mit Autoren wie Heinlein und Asimov. Er lebt heute mit seiner Familie in South Carolina.

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2016 by Words of Weber, Inc.

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »Shadow of Victory«, Teil 2

Originalverlag: Baen Books, Published byArrangement with Baen Books, Wake Forest, NC, USA

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30131 Hannover

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Beke Ritgen, Bonn

Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München | www.guter-punkt.de

Titelillustration: © Arndt Drechsler, Regensburg

eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-5616-8

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Februar 1922 P. D.

Entschuldigen Sie mal, Mr. Osborne, aber genau um dergleichen zu verhindern, ist der Eridanus-Erlass gedacht, und die Liga ist verfassungsmäßig verpflichtet, ihn durchzusetzen, nicht ihn zu ignorieren!

Commander Bryson Neng,

Solarian League Navy, Eins-O, SLNSHoplite

Kapitel 1

»Also gut, Paul.«

Innis MacLay ließ seine große Hand auf die Schulter seines Sohnes sinken. Gern hätte er dem Jungen jetzt durch das Haar gewuschelt, so wie früher, als Paul noch klein gewesen war. Aber der Stolz eines Vierzehnjährigen ließ offene Zurschaustellung von Zuneigung schlichtweg nicht zu. Was schon unter gewöhnlichen Umständen galt, das galt an einem Tag wie diesem erst recht.

»Ich verlasse mich auf dich«, fuhr er, so weit in seinen Gedanken gekommen, fort und blickte Paul fest in die haselnussbraunen Augen, ein Erbteil seiner Mutter. Ruhig wurde dieser Blick erwidert. »Sicher treiben sich immer noch ein paar VSler in der Gegend herum. Ich vertraue darauf, dass du deine Mutter und Schwestern beschützt. Das tust du doch für mich, oder?«

»Ja, Da.«

Innis bemerkte, dass Pauls Stimme tiefer klang als sonst. Noch war der eigentliche Stimmbruch nicht erfolgt, aber er rückte unverkennbar näher. Hatte sich wirklich so viel verändert in den beiden Monaten seit Beginn des Aufstands?

Bei diesem Gedanken brannten ihm kurz Tränen in den Augen. Er umklammerte die Schulter seines Sohnes noch ein wenig fester. Dann wandte er sich ab, kniete sich vor die beiden elfjährigen Zwillinge, um sie an sich zu drücken.

»Und ihr beide kümmert euch um eure Mutter, klar?«, ermahnte er Jennifer und Keeley ernst, und seine Stimme klang ein wenig barscher als bei Paul. Auch sie erwiderten seinen Blick – Keeley spielte die Folgsame, was nur schlecht zu dem verschmitzten Funkeln in ihren Augen passte, während Jennifers dunklere, sanftere Augen von Besorgnis umschattet waren. »Ich habe gesagt, ihr kümmert euch um sie«, wiederholte Innis nachdrücklich und umarmte die beiden.

»Wie immer, Dadaigh«, versprach Keeley.

»Dann möge der Herr eure màthair beschützen!«, seufzte er und streckte die Arme nach seiner Frau aus.

Sie warf sich ihm förmlich an die Brust. Offenkundig war Maggie MacLay um einiges besorgter als ihre Töchter, dabei aber fest entschlossen, sich das nicht anmerken zu lassen. Innis zog sie eng an sich.

»Und wann kommst du wieder nach Hause?«, fragte sie und erwiderte die Umarmung.

»Wer weiß das schon, Rùnag«, antwortete er. »Sieht nicht so aus, als würde es lange dauern, aber MacCrimmon und MacQuarie haben uns schon ein paar Mal an der Nase herumgeführt. Aber länger als einen Monat dauert’s sicher nicht.« Noch einmal drückte er sie fest an sich, ehe er sich zu voller Größe aufrichtete und aus dieser Höhe auf ihren Scheitel blickte. »Wir haben immer noch Freunde beim Raumhafen, und MacCrimmons Shuttle ist stets innerhalb von dreißig Minuten startbereit.« Er blinzelte ihr zu. »Für mich klingt das ganz nach jemandem, der es allmählich für an der Zeit hält, den Planeten zu verlassen – vielleicht sogar das ganze System.«

»Möge Gott geben, dass dem wirklich so ist«, sagte sie sehr viel leiser als er, und als sie zu ihm aufblickte, glitzerte es verräterisch in ihren Augen. »Und du vergisst gefälligst nicht, dass so ein großer, sturer fùidir wie du leichter zu treffen ist als die meisten anderen!«

»Oh, aye, das behalte ich immer schön im Kopf, Rùnag!«, versicherte er ihr und lachte, weil sie ihn als ›Clown‹ bezeichnet hatte.

Das Lachen verflog rasch. Ein letztes Mal drückte er sie an sich, und plötzlich schnürte es ihm die Kehle zu. Vielleicht sind Paul und ich uns noch ähnlicher, als ich bislang wahrhaben wollte, ging es ihm durch den Kopf. Denn auf keinen Fall wollte er noch ein Wort sagen und damit preisgeben, wie ihm die Stimme den Dienst versagte.

Er griff nach seinem Pulsergewehr, schlang es sich über die Schulter, lächelte den vier wichtigsten Menschen in seinem Leben noch einmal zu und trat dann festen Schritts durch die Tür, hinaus in den strahlend hellen, windigen Morgen.

Chattan MacElfrish, nur wenige Jahre älter als Paul und voller Tatendrang, wartete bereits im Flugwagen auf ihn. Als Innis die Tür öffnete und einstieg, blickte Chattan von seinem Buchlesegerät auf, ließ es in seiner Tasche verschwinden und drückte den Zündknopf, um die Turbinen zu aktivieren.

»Der Familie geht’s also gut, ja?«, erkundigte er sich.

»Aye, was sonst?«, erwiderte Innis.

»So sollte es auch sein«, meinte der selbst unverheiratete Chattan, während der Flugwagen abhob. »Es ist gut zu wissen, dass sie auf dich warten, wenn das alles vorbei ist, Innis. Darum beneide ich dich.« Er lächelte, warf einen Blick auf das Chronometer und nickte zufrieden. »Und in der Zwischenzeit treten wir ein paar VSlern in den Hintern! Etwa zur Mittagszeit sind wir in Elgin.«

»Gute Nachrichten gibt es wohl keine?«, knurrte Tyler MacCrimmon, während er sich in den breiten Sessel am Kopfende des Konferenztisches sinken ließ.

Der große, geschmackvoll – und teuer – eingerichtete Besprechungsraum war gut ausgeleuchtet, auch die riesige, handpolierte Tischplatte aus Silbereichenholz, in die als Intarsienarbeit das Präsidentensiegel eingelassen war. Dieses Siegel stand nun ihm zu, nachdem er sich auf einen Verfassungsparagraphen berufen hatte, der es ihm gestattete, Alisa MacMinn ›vorübergehend‹ des Amtes zu entheben – die offizielle Begründung war: akute Erschöpfung. Das war ungleich freundlicher als Senilität, und in sämtlichen Presseverlautbarungen wurde den treuen Parteianhängern ausdrücklich versichert, die geliebte Führerin werde die Amtsgeschäfte wieder aufnehmen, sobald sie sich erholt habe.

Selbst ihre glühendsten Verfechter schienen der Ansicht, angesichts der derzeitigen Umstände sei es eine gute Idee, ihr ein wenig … Urlaub zuzugestehen.

Kristalldekanter mit teuren Brandys und Whiskys von einer Vielzahl exotischer Welten funkelten in der Bar am Ende des Raumes, und vor jedem der an diesem Tisch Versammelten stand eine Silberkanne mit Kaffee oder Tee. Im Hintergrund spielte leise Musik. Hochfloriger, weicher Teppich in tiefem Schwarzblau verschluckte jeden Schritt. Die Klimaanlage war so leise, dass man sie nur erahnen konnte. Dass sie lief, war eher an dem sanften, kaum merklichen Luftzug zu erkennen, der die wahnwitzig teuren Vorhänge aus Spinnenseide leicht wiegte, hinter denen sich, wenn nicht genutzt, die smarte Wand des Raumes verbarg.

Das Ambiente roch förmlich nach Reichtum, Macht und Privilegien, und sämtliche Anwesenden waren der Umgebung angemessen gekleidete, gepflegte, Luxus gewohnte Erscheinungen. Und doch, Frinkelo Osborne bemerkte es sofort, wirkte die Luft schwer und abgestanden. Physikalisch unmöglich, war es dennoch so, weil unverkennbar der Geruch von Furcht in der Luft hing; unsichtbar drückte Verzweiflung auf die Stimmung im Raum – ausgewachsene Verzweiflung.

Schwer hing nun auch noch MacCrimmons Frage im Raum, bislang unbeantwortet. Keiner der Minister seines Kabinetts schien willens, ihm in die Augen zu schauen, und so maß er jeden einzelnen von ihnen mit finsterem Blick. Dann wandte er sich an Keith Boyle, den Kriegsminister des Loomis-Systems.

»Also?«, setzte er tonlos nach.

»Seit gestern hat es keine signifikanten Änderungen der Lage gegeben«, lautete Boyles Antwort. Mit einer Kopfbewegung wies er auf den Offizier, der in voller Uniform unmittelbar neben ihm saß. »General Renwick ist gerade von einer Inspektion der Truppen an der Front zurückgekehrt. Man kann nicht behaupten, sein Bericht strotze vor Optimismus, aber im Laufe der letzten Nacht scheinen wir nicht allzu viel Boden verloren zu haben.«

»Na, da bin ich aber mal erleichtert!«, grollte MacCrimmon. »Und wie steht’s darum, verlorenen Boden wettzumachen?«

»Das … wird nicht so einfach.« Zorn funkelte in Boyles Augen, auch wenn er sorgsam darauf achtete, dass dieser Zorn seinem Tonfall nicht anzumerken war. »Hätten wir mehr Männer, wären wir vielleicht in der Lage dazu. Aber so habe ich General Renwick angewiesen, seinen Leuten eines einzuschärfen: dass wir uns keinesfalls leisten können, bis zum Eintreffen der Ablösung noch mehr Boden zu verlieren.«

Das Blut schoss MacCrimmon in die fleischigen Wangen. Einen kurzen Augenblick lang glaubte Osborne schon, der Kommissarische Präsident würde Boyle vor allen beschimpfen. Stattdessen ein letztes leichtes Beben der Nasenflügel, wie man es bemerken konnte, wenn jemand seinen Zorn zu zügeln verstand, und MacCrimmon ließ sich wieder in seinen Sessel zurücksinken, ein knappes Kopfnicken für den General.

Eine unerwartete Reaktion, Osborne war verblüfft. MacCrimmon neigte von jeher dazu, Sündenböcke für die eigenen Unzulänglichkeiten und Fehler zu suchen und an jenen Personen ein Exempel zu statuieren, von denen er sich im Stich gelassen fühlte. Diese Neigung verstärkte sich, seit die LLL immer näher auf Elgin vorrückte. Glücklicherweise schien selbst Tyler MacCrimmon zu begreifen, dass die Schuld dafür kaum Keith Boyle anzulasten war.

Osbornes eigene Quellen legten den Schluss nahe, dass Boyle gern geputscht hätte, um selbst die Macht zu ergreifen. Dafür jedoch waren die Erfolgschancen noch nie sonderlich groß gewesen. Schließlich war die Armee im Laufe der vergangenen Jahrzehnte auf kaum mehr als achttausend Männer und Frauen zusammengestrichen worden, damit zunächst Lachlan MacHendrie und dann dessen Schützling Senga MacQuarie die Mittel für den Aufbau des Vereinigten Sicherheitsdienstes des Loomis-Systems besaßen. Gegen wen, so hatten sie immer wieder getönt, sollte denn diese Armee auch kämpfen? Polizisten hingegen konnte MacCrimmon immer gebrauchen! Außerdem, so hatten sie MacCrimmon eingeflüstert, sollte denn jemand wie er jemandem wie Boyle echte Schlag- und Kampfkraft anvertrauen?

Deswegen war der VSD deutlich großzügiger mit leichtem Gerät ausgestattet worden als die Armee – und deswegen gab es auch ungleich mehr schweres Gerät in den zahlreichen Waffenlagern des VSD, die über ganz Halkirk verstreut eingerichtet worden waren.

Schweres Gerät, das nun in nur allzu vielen Fällen in die Hände der Rebellen gefallen war.

Osbornes Blick wanderte zu den Spinnenseidenvorhängen hinüber. Er war wirklich froh darüber, dass sie derzeit zugezogen waren. Wären sie geöffnet, hätte es auf der smarten Wand Entsetzliches zu sehen gegeben. Nach sechsundfünfzig Tagen voller Gefechte hielten die Getreuen der Wohlstandspartei noch ganz genau zwei der insgesamt zwölf Verwaltungszentren von Halkirk. Dazu gehörte auch Elgin – oder zumindest ein Großteil davon –, und auf Thurso oder in Red Buffs, Glenquoich oder Gilliansbridge, den drei nächstgrößten Städten auf Halkirk, war es kaum zu Gefechten gekommen. Doch fünfundsiebzig Prozent der kleineren Städte und Ortschaften waren zur Liberalen Liga übergelaufen, und von der Bevölkerung außerhalb jener größeren Städte unterstützten vermutlich etwa fünfzig Prozent aktiv Megan MacLean und deren Helfershelfer. Osborne persönlich vermutete ja, dass Ottomar Touchette mit seiner Schätzung, es wären siebzig Prozent, der Wahrheit deutlich näher kam. Ja, unter den Holzfällern und Forstleuten, die immerhin das Rückgrat der systemweiten Wirtschaft bildeten, war der Prozentsatz sogar noch höher – was man zweifellos Nyatui Zagorskis Geschäftspraktiken verdankte.

Diese waren auch der Hauptgrund dafür, dass die Parteigetreuen immer weiter in die Städte und die größeren Ortschaften zurückgedrängt worden waren. Eines hatte der VSD bereits gelernt: In Wälder vorzurücken, in denen gut bewaffnete, hochmotivierte Männer und Frauen ihr ganzes bisheriges Leben verbracht hatten, war eine sehr effiziente Methode, Truppen und Ausrüstung zu verlieren.

Es hilft auch nicht gerade, dass MacLean und ihre Leute dem VSD gleich zu Beginn der Gefechte fast die gesamte Führungsriege genommen haben, dachte er. Rein menschlich gesehen war von Colonel MacChrystal sicher nicht viel zu halten, aber in der Organisation von Außeneinsätzen war sie deutlich besser als MacQuarie oder irgendeiner der Sesselpupser in den anderen Hauptquartieren. Sie und zwei ihrer drei Vertreter zu verlieren hat beinahe ausgereicht, und die Liberale Liga hätte Elgin im Handstreich genommen. Dann hätte achtundvierzig Stunden später die ganze Rebellion ihr Ende gefunden!

Er verkniff sich ein verärgertes Kopfschütteln. Sorgsam war er darauf bedacht, sich seinen wachsenden Abscheu für die Anwesenden nicht anmerken zu lassen. Hätte vor Beginn dieser Katastrophe auch nur ein einziger von ihnen so viel Verstand an den Tag gelegt wie ein mittelgroßes Kastenbrot – und, nun, genug Rückgrat gehabt, Zagorski zu widersprechen …

»Gibt es etwas Neues über MacGills Aufenthaltsort?«, stellte MacCrimmon seine nächste Frage.

»Eigentlich nicht«, gestand MacQuarie. »Es gibt Gerüchte, sie befände sich in Conerock, aber bislang scheinen das eben wirklich nur Gerüchte zu sein.« Unverkennbar betrübt zuckte sie mit den Achseln. »Wir hören einen beachtlichen Teil des Com-Verkehrs ab, aber offenkundig nicht genug – und die legen bemerkenswerte Kommunikationsdisziplin an den Tag. Alles kodiert, statt Klarnamen von Personen oder Orten zu verwenden, und sie benutzen offensichtlich reichlich tote Briefkästen. Mehr als eintausend davon haben wir schon erkannt und stillgelegt, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass wir bislang nur an der Oberfläche gekratzt haben. Dazu kommt noch, dass immer dann, wenn es die Zeit zulässt, Nachrichten durch Kuriere von einem Ort zum anderen geschafft werden.«

»Tja, gut zu wissen!«, versetzte MacCrimmon beißend. Es war offenkundig, dass er nicht bereit war, Senga MacQuarie bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag den Rücken zu decken. In MacQuaries Augen loderte Zorn, aber sie war klug genug, sich jegliche Entgegnung zu verkneifen.

»Also gut, dann wird’s Zeit für ein Fazit. Unseren Prognosen nach dürften diese Bastarde innerhalb der nächsten vier Tage Elgin einnehmen«, wandte sich MacCrimmon nun mit tonloser Stimme an Osborne. »Bislang konnten wir sie in die westlichen Außenbezirke der Stadt zurückdrängen, aber sie dringen dennoch immer tiefer ins Stadtgebiet ein. Wichtiger noch: Unsere Orbitalsensoren zeigen, dass die Rebellenkräfte für einen konzentrierten Ausfall in Richtung Swantown zusammengezogen werden, und wir haben niemanden mehr, der sie aufhalten könnte. Wenn die erst einmal die Sperrkette der Armee durchbrochen haben, können sie sämtlichen Angehörigen des Sicherheitsdienstes im Westen der Stadt in den Rücken fallen.«

Ernst nickte Osborne. Swantown, einer von Elgins Vororten, eine wohlhabende Schlafstadt, lag am Ufer des Swan, am südwestlichen Stadtrand. Wenn es der Liberalen Liga gelänge, Swantown einzunehmen, könnten sie von dort aus die heftig beharkten VSler, die im Zuge der Gefechte immer weiter nach Westen gedrängt worden waren, von der Flanke aus angreifen … und in dem Moment würden die Sicherheitskräfte in Panik verfallen und sich geordneter Rückzug in wilde Flucht verwandeln. In gewisser Weise verständlich, ja, denn die VSler wussten ganz genau, was ihnen bevorstand, sollten sie der Liberalen Liga in die Hände fallen. Schließlich hatte der VSD während der letzten vier oder fünf T-Wochen zunehmend grausame ›Strafaktionen‹ vorgenommen und dabei auch vor Gräueltaten nicht zurückgeschreckt.

Noch etwas hatte MacCrimmon unausgesprochen gelassen: Würde Swantown eingenommen, büßte der VSD den Raumhafen von Elgin ein … den einzigen Ort, von dem aus die Führungsriege der Wohlstandspartei und deren Familienangehörige vom Planeten flüchten könnten.

»Ich verstehe, Mr. President«, erwiderte der ›Handelsattaché‹.

»Ich meine mich zu erinnern, von Ihnen gehört zu haben, wir könnten mit Unterstützung aus McIntosh rechnen – in, wie sagten Sie gleich, allerhöchstens drei T-Wochen«, fuhr MacCrimmon nun fort. »Ich will gewiss nicht den Eindruck erwecken, ich würde Ihnen nicht glauben, aber das war vor beinahe sechs T-Wochen!«

»Ich weiß, Mr. President.« Wieder nickte Osborne, »ich weiß. Und ich kann Ihnen lediglich sagen, dass sich die Unterstützung längst auf dem Weg hierher befinden muss.«

»Und haltet die Köpfe unten, verdammt noch mal!«, brüllte Alexina Morrison, vor wenigen Monaten noch Private beim Vereinigen Sicherheitsdienst des Loomis-Systems. Gerade zischten die ersten Überschall-Pulserbolzen gefährlich nah über ihre Köpfe hinweg. »Wir wollen diesen Scheiß-Tower einnehmen, nicht uns den Arsch wegblasen lassen!«

Einige der Forstleute unter ihrem Kommando grinsten, als sie Morrison das brüllen hörten. Die meisten der fünfundvierzig Männer und Frauen von Morrisons Kommandotrupp nickten aber nur grimmig. Schon allzu oft hatten sie miterleben müssen, wie es jemand einer winzigen Unachtsamkeit wegen erwischt hatte. Außerdem vergötterten sie Alexina Morrison mittlerweile beinahe. Nicht nur, dass sie und ihr Partner bei der Einnahme von Conerock eine wichtige Rolle gespielt hatten: Nein, auch bei den erbitterten Straßenkämpfen in Elgin war sie von Anfang an an vorderster Front dabei gewesen … und sie lebte immer noch – eine beachtliche Leistung für jemanden, der die ganze Zeit über seine Truppen von der vordersten Front aus anführte.

»Also gut«, setzte Morrison nun ein wenig leiser hinzu, »wenn wir den Lieferanteneingang stürmen, rückt Tammas nach rechts vor und kümmert sich um die Aufzugsbänke. Regina, du gehst nach links und schaltest die Wartungs- und Steuerzentrale aus. Der Rest von euch folgt mir geradeaus in die Lobby. Verstanden?«

Allgemeines Nicken. Sie nahm sich die Zeit, jeden unter ihrem Kommando kurz anzublicken, dann deutete sie mit dem Kinn ruckartig in Richtung ihres Zielobjekts.

»Dann legen wir los!«, meinte sie grimmig.

Captain Dugald Dempster zuckte zusammen, als ein neuerliches Crescendo von Explosionen die dichten Rauchschwaden zu seiner Linken durchzuckte. Eigentlich sollte Dempster eine ganze VSD-Kompanie befehligen. Im Augenblick aber hatte er das Kommando über ganze dreizehn Männer und Frauen, die einen einzigen leichten Drillingspulser mit sich führten … und dem ging allmählich die Munition aus.

»Ist irgendetwas aus dem Hauptquartier eingetroffen, Morag?«, fragte er und bemühte sich redlich, sich seine Verzweiflung nicht anmerken zu lassen.

»Nein«, erwiderte Sergeant Morag MacCuffie tonlos. Sie war der einzige Unteroffizier, der ihm noch verblieben war.

MacCuffie hatte sich auf Lebenszeit verpflichtet; sie war hart wie Eisen und so zart und mitfühlend wie ein Vorschlaghammer. Ihr Trupp hatte zu den ersten gehört, die auf Strafaktionen ausgeschickt worden waren. Ein Großteil dieses Trupps war mittlerweile gefallen – deswegen hatte Dempster sie ja geerbt. Sonderlich gemocht hatte er die Frau nie, aber wenigstens konnte er sich bei ihr darauf verlassen, dass sie ihn auf keinen Fall im Stich ließe … und sei es auch nur, weil es auf der Gegenseite viele gab, die sich ihren Tod ganz und gar nicht kurz und schmerzlos vorstellten.

»Es wird Zeit«, fuhr sie mit der gleichen tonlosen Stimme fort, und ihr Blick durch den sichtverstärkenden Gesichtsschutz ihres Helms wanderte ständig von links nach rechts. Selbst mit der Sichtverstärkung konnte sie in all dem Rauch und dem Staub kaum etwas erkennen. »Innerhalb der nächsten fünf Minuten wird die linke Flanke zusammenbrechen, und von MacWilliams haben wir schon seit mehr als einer halben Stunde nichts mehr gehört.«

»Wenn wir uns zurückziehen, bleibt Brecon völlig ungeschützt«, widersprach Dempster und deutete mit einem Daumen in Richtung des Straßenzugs, den sie um jeden Preis, wie es geheißen hatte, zu halten hatten. Derartige Anweisungen waren in den letzten Wochen sehr oft ausgegeben worden.

»Und wenn nicht, dann sind wir alle tot, und die Straße ist trotzdem völlig ungeschützt«, gab MacCuffie beißend zu bedenken.

Stimmt auffällig, musste Dempster einräumen. Andererseits war die Brecon Avenue eine von Elgins wichtigsten Hauptstraßen. Auf die harte Tour hatten die Rebellen gelernt, dass ein Vorrücken zu strategisch wichtigen Punkten in der Stadt auf dem Luftwege keine gute Idee war. Denn nicht einmal die vom VSD erbeuteten Taktik-Flugwagen vermochten einer Panzerfaust-Boden-Luft-Rakete der Armee zu widerstehen. Natürlich wussten die Rebellen nicht, dass die Panzerfaustbestände der Armee praktisch erschöpft waren.

Wir hätten selbst mehr Panzerfäuste mitbringen müssen, dachte Dempster verbittert. Leider hatte sich aus der Führungsriege des Vereinigten Sicherheitsdienstes niemand vorstellen können, VSler könnten jemals in eine solche Lage geraten. Er fragte sich, ob besagte Führungsriege im Laufe des vergangenen Monats wohl ebenso sehr wie ein gewisser Dugald Dempster bereut hatte, die Armee derart kastriert zu haben. Dempster selbst zumindest hätte es vorgezogen, die Straßenkampf-Scheiße jemand anderem zu überlassen … irgendjemand anderem!

Aber es gab nun einmal niemand anderen, und während der ersten Woche hatte der VSD zu viel leichtes Gerät verloren, um noch leichte Scorpion-Panzer aus solarischer Fertigung oder als Panther bezeichnete gepanzerte Truppentransporter aussenden zu können. Der verbliebene Rest wurde als absolute Notreserve zurückgehalten – so zumindest hatte man das Dempster erklärt. Tja, selbst die vor Ort gebauten Soighnean-Kontragrav-Kommandofahrzeuge waren mittlerweile Mangelware geworden. Also gab es nur einen Weg, die Hundesöhne da draußen davon abzuhalten, fröhlich geradewegs in den SEIU-Tower hineinzuspazieren: Die Infanterie musste an den entscheidenden Straßenkreuzungen die Stellung halten.

Fielen diese Stellungen …

»Versuchen Sie jemanden in Dunwoodys Kommandostand zu erreichen«, entschied er und hoffte dabei, deutlich ruhiger und zuversichtlicher zu klingen, als ihm in Wahrheit zumute war. »Sagen Sie dem Major, wenn die Verstärkung nicht innerhalb der nächsten fünf …«

Über allzu viele Hydra IIIs verfügte die Liberale Liga nicht, aber über ein paar eben doch. Die Werfermannschaften hatten beinahe drei Stunden gebraucht, um einen geeigneten Abschusspunkt zu finden. Dann aber waren sie im zehnten Stockwerk eines Gebäudes an der Brecon Avenue fündig geworden. Nun trafen zwei der kostbaren Raketen geradewegs Captain Dempsters Stellung.

Anders als seinerzeit Sakue Yampolski blieb Dugald Dempster und Morag MacCuffie nicht einmal mehr die Zeit, zu begreifen, was sie umbrachte.

»Verzeihen Sie, Ma’am, aber hier ist gerade ein Rafferspruch von einem Mr. Osborne eingetroffen«, meldete Lieutenant Hughes respektvoll, und Captain Francine Venelli, die Kommandantin von SLNSHoplite, blickte resigniert von ihrer Mahlzeit, einer Frikadelle, auf. Ihr Schiff hatte vor etwas mehr als einer halben Stunde die Alpha-Mauer durchbrochen. Derzeit waren sie noch dreiunddreißig Lichtminuten von Halkirk und Thurso entfernt, den beiden bewohnbaren Zwillingsplaneten des Loomis-Systems … Das bedeutete, dass die Nachricht praktisch im gleichen Moment abgesetzt worden war, da der Astro-Lotsendienst von Loomis die Transition ihres Schiffes bemerkt hatte. Großer Gott, wie sehr sie doch diese selbstverliebten, überheblichen Bürokraten verabscheute, die offenkundig keinerlei Ahnung hatten, dass auch lichtschnelle Übertragungen nun einmal eine gewisse Zeit brauchten, ihr Ziel zu erreichen!

»Wie sollte es auch anders sein, Aaron?«, seufzte sie. »Es war ja unmöglich für ihn, wenigstens so lange zu warten, bis wir dicht genug zu ihm aufkommen, um ein echtes Gespräch zu führen, stimmt’s?« Hughes bedachte sie mit einem Blick, der verriet, wie unwohl er sich gerade in seiner Haut fühlte, und sie winkte rasch ab. »So etwas nennt man eine rhetorische Frage«, erläuterte sie.

»Jawohl, Ma’am.«

Venelli musste dem Drang widerstehen, die Augen zu verdrehen. Für einen Signalspezialisten, in dessen Aufgabenbereich unter anderem das Ermöglichen jeglicher Form von Kommunikation fiel, nahm Aaron Hughes entschieden zu viele Dinge entschieden zu wörtlich und legte dabei einen … nicht gerade lebhaften Verstand an den Tag. Hin und wieder ertappte sich Venelli bei dem – nicht gerade schmeichelhaften – Gedanken, dass er einen voll und ganz akzeptablen Offizier der Schlachtflotte abgegeben hätte.

Na, Frannie, schalt sie sich selbst, nicht garstig sein! Ein solches Schicksal wünschst du in Wahrheit doch niemandem – nicht einmal Aaron.

Angesichts Venellis jüngsten Erfahrungen mit der Schlachtflotte traf das mit noch größerer Treffgenauigkeit ins Schwarze als sonst. Die letzten viereinhalb T-Jahre lang hatte die Hoplite im McIntosh-System gestanden, und im Großen und Ganzen war diese Dienstzeit vergleichsweise angenehm gewesen – oder zumindest weitgehend schmerzlos. Das hatte sich schlagartig geändert, als Sandra Crandall und ihr verdammter Kampfverband eingetroffen waren und sich dort sogar noch unerträglicher aufführten, als das die Schlachtflotte gemeinhin zu tun pflegte. Über die Aufgabe der Grenzflotte, hier im Rand die Lage im Griff zu behalten, hatte Crandall noch weniger als gar nichts gewusst. Hatte sie das davon abgehalten, jedes gottverdammte Schiff in diesem Sektor zu requirieren, selbst wenn diese zu Venellis Kampfverband gehörten? Natürlich nicht! Und hatte Crandall auch nur den Hauch einer noch so kleinen Ahnung, was sie nun mit diesem neu zusammengezogenen Verband anfangen sollte? Natürlich nicht!

Das bestätigte Francine Venelli nur in ihrer Meinung, die Schlachtflotte wäre für die eigentlichen Aufgaben der Navy ungefähr so gut geeignet wie Fliegengitterdraht zum Luftschleusenverschluss. Nicht, dass sie den Angehörigen der Schlachtflotte die nutzlosen, aber hochglanzpolierten Superdreadnoughts und all die anderen Spielsachen missgönnte, die für die Schlachtflotte angeschafft wurden, statt für die Schlachtkreuzer und Leichten Kreuzer zu sorgen, die bei der Grenzflotte wirklich gebraucht wurden. Na gut, zugegeben, Venelli ärgerte sich über diese Prioritätensetzung. Aber so war das schon immer gewesen, und so würde es für immer und ewig bleiben: Die Grenzflotte durfte immer nur am Katzentisch sitzen, und dann wurde von ihr erwartet, die eigentlichen Aufgaben der Navy zu übernehmen – mit halb so vielen Schiffen, wie für die jeweiligen Aufgaben angemessen gewesen wäre.

Wie die meisten Angehörigen der Grenzflotte hatte auch Venelli einen bizarren Stolz darauf entwickelt, die jeweils gestellten Aufgaben auch mit Material zu erfüllen, das eigentlich schon ausgedient hatte. Arbeitseinstellung und arrogantes Auftreten der Schlachtflotte waren es, worüber sie sich ärgerte. Als Crandall schließlich ihren Verband in den Madras-Sektor verlegt hatte, hätte Francine Venelli am liebsten ein kleines Freudentänzchen aufgeführt, wäre da nicht die Befürchtung gewesen, Crandall könnte das McIntosh-Kontingent ihrem Flaggschiff unterordnen. Aber diese Befürchtung hatte sich als unnötig erwiesen. Was sollte auch ein Admiral der Schlachtflotte mit Schiffen der Grenzflotte anfangen, selbst wenn sich deren Kommandantinnen und Kommandanten in der Region auskannten, in der der Admiral tätig werden wollte?

Venelli war kaum die Zeit geblieben, eine gute Flasche Wein zu öffnen, um die wiedergewonnene Freiheit zu feiern. Denn schon war die Nachricht von Frinkelo Osborne eingetroffen, und Gouverneurin Annetje Slidell – nach Captain Venellis wohlbedachter Meinung nicht gerade die hellste Kerze am Weihnachtsbaum – hatte der Hoplite einen neuen Auftrag erteilt: Gemeinsam mit dem Leichten Kreuzer Yenta MacIlvenna und den Zerstörern Abatis und Lunette sollte sie nachschauen, was zum Henker denn da im Loomis-System vor sich ging.

Was auch immer es sein mochte: Gut geklungen hatte es nicht, doch Osbornes ursprüngliche Nachricht hatte Venelli nie zu Gesicht bekommen. Warum auch? Warum bloß sollte Gouverneurin Slidell die Depesche des ranghöchsten OFS-Offiziers jenem Offizier der Grenzflotte zugänglich machen, der angewiesen worden war, besagtem OFS-Offizier zur Hand gehen? Tja, offenkundig benötigte Francine Venelli derlei Informationen nicht. Die an sie ergangenen Anweisungen waren kurz und knapp ausgefallen: ›Inmarschsetzung nach Loomis. Meldung bei Frinkelo Osborne. Tun Sie, was immer er von Ihnen verlangt.‹

Wenigstens einfach und unmissverständlich, ging es ihr durch den Kopf. Allerdings bezweifelte sie, dass die Formulierung ›Tun Sie, was immer er von Ihnen verlangt‹ die schönsten Erfahrungen ihres Lebens verhießen – das war selten der Fall bei derart formulierten Anweisungen. Das wiederum brachte sie zurück zu ihrem Mittagessen und Osbornes verdammtem Rafferspruch.

»Na gut«, sagte sie und ließ den Blick über den Tisch wandern, als ihr Cabin Steward neben ihrem Arm eine Schüssel Kartoffelsalat abstellte. »Wir sind immer noch sieben Stunden vom Halkirk-Orbit entfernt, und ich habe immer noch Hunger. Übertragen Sie die Nachricht in den Eingangskorb meines Coms. Ich schaue sie mir nach dem Essen an.« Sie gestattete sich, kaum merklich das Gesicht zu einer Grimasse zu verziehen. »Die Galaxis wird wohl auch in zwanzig Minuten noch da sein, und ich lasse mir von diesem Osborne gewiss nicht noch vor dem Essen den Appetit verderben!«

Kapitel 2

»Hallo, Damien!« Rufino Chernyshev nahm Harahap gleich an der Tür in Empfang und streckte ihm die Hand entgegen. »Gute Reise gehabt?«

»Zumindest schnell«, erwiderte Harahap, schüttelte Chernyshev die Hand und lächelte, »was mich zu dem Schluss kommen lässt, dass mir der Blitzantrieb gefällt.«

»Da sind Sie nicht der Einzige.« Chernyshev schmunzelte und forderte Harahap mit einer Handbewegung auf, an dem kleinen Konferenztisch in dem geräumigen Büro Platz zu nehmen. »Der kommt mittlerweile bei verschiedenen Fahrten zum Einsatz, auch wenn wir natürlich darauf achten müssen, niemals irgendwo auffallend früh einzutreffen.«

»Jou, aber bei der Rückfahrt nach Mesa hat Captain Yong wirklich alle Register gezogen: Die Überfahrt von Włocławek aus hat weniger als einen Monat gedauert.« Harahap schüttelte den Kopf. »Sollten Sie und Ihre Leute irgendwann beschließen, damit an die Öffentlichkeit zu gehen, verdienen Sie sich eine goldene Nase an den Passagier- und Frachtguttransporteuren, die sich darum reißen werden!«

»Das wird wohl nicht so bald passieren«, gab Chernyshev zurück, während er sich ebenso wie sein Gast auf einem der bequemen Stühle am Tisch niederließ. Er griff nach der bereitstehenden Kaffeekanne und blickte mit fragend gewölbter Augenbraue zu Harahap hinüber.

»Gern«, nahm dieser die unausgesprochene Einladung an und streckte ihm eine Tasse entgegen, in die Chernyshev sofort einschenkte. Dann lehnte er sich in dem Sessel zurück und nippte schweigend an dem wirklich ausgezeichneten Kaffee. »Sie scheinen sich hier ja gut eingelebt zu haben«, meinte er nach einer Weile und beschrieb, die Tasse immer noch in der Hand, einen kleinen Kreis, der Chernyshevs gesamtes Büro einschloss.

»Stimmt.« Chernyshevs Lächeln fiel ein wenig säuerlich aus. »Über das Gehalt kann ich mich nicht beklagen, und ich bekomme auch reichlich Interessantes zu sehen, das ich sonst niemals zu Gesicht bekommen hätte. Aber die Außeneinsätze vermisse ich sehr.«

»Tja, gerade wollte ich sagen, dass Sesselwärmerbürokraten im Gegensatz zu Agenten im Außendienst nicht befürchten müssen, erschossen zu werden. Aber eingedenk der Tatsache, wie Sie zu dieser Beförderung gekommen sind, wäre diese Bemerkung wohl nicht so witzig, wie ich zunächst geglaubt habe.«

»Nein, wohl nicht«, bestätigte Chernyshev. Er trank einen Schluck Kaffee, dann zuckte er die Achseln. »Die Manty-Navy hat dafür einen treffenden Spruch auf Lager.«

Fragend neigte Harahap den Kopf zur Seite.

Chernyshev stieß ein Schnauben aus. »›Wer keinen Spaß versteht, sollte diesen Job nicht machen‹«, erklärte er.

Harahap schmunzelte.

»Ihren Bericht habe ich überflogen«, fuhr Chernyshev dann in ungleich sachlicherem Ton fort, »aber nicht richtig durchgearbeitet – bis auf die Schlussfolgerungen. Besonders bemerkenswert erscheint mir Ihre Einschätzung der Lage auf Włocławek.«

»Meines Erachtens sind wir immer noch nicht dem Burschen begegnet, der in Wahrheit das Sagen hat«, erwiderte Harahap, »aber schon Grot hat mich beeindruckt. Der Anführer der Bewegung trödelt zumindest nicht herum. Grot hat weniger als vierundzwanzig Stunden verstreichen lassen, bis er sich bei mir gemeldet hat, um unser Angebot anzunehmen. Und er hat auch ein paar wirklich einfallsreiche Vorschläge gemacht, wie wir unsere Fracht durch den Zoll von Włocławek bekommen.«

»Und Sie sind tatsächlich sicher, dass Grot und dessen Leute das allen Ernstes durchziehen können, ganz, wie es in Ihrem Bericht steht?«

»Tja, das ist die Frage, wie immer, nicht wahr?« Mit einem Achselzucken fuhr Harahap fort: »Mein Bauchgefühl sagt mir, dass die Chancen dafür verdammt gut stehen – vor allem, wenn wir denen wirklich zwei oder drei Waffenlieferungen zukommen lassen. Darf ich fragen, warum Sie sich nach den Erfolgschancen erkundigen? Also: Fragen Sie, weil wir es darauf anlegen, dass sie scheitern? Damit die Mantys so richtig, richtig schlecht dastehen und mit Schimpf und Schande überzogen werden?«

»Ehrlich gesagt ist uns das ziemlich einerlei«, beantwortete Chernyshev die Frage. »Zumindest derzeit. Aber wenn wir die Mantys im Rand tatsächlich diskreditieren wollen, müssen ein paar Leute so abtreten, dass ringsum alles in Schutt und Asche versinkt. Ihr Vorschlag hat aber in meinen Augen durchaus etwas für sich: Erfolgreiche Rebellionen sind ein direkter Beitrag dazu, die Ziele der Operation Janus auf dem Territorium der Liga umzusetzen. Aber sollten wir Grot und Freunde in Włocławek doch aufs Kreuz legen wollen, wie würden Sie das angehen?«

»Eine ihrer Waffenlieferungen auffliegen lassen wäre der schnellste Weg«, erwiderte Harahap augenblicklich. »Haben wir sichergestellt, dass alle am Waffenschmuggel Beteiligen fest davon überzeugt sind, für die Mantys zu arbeiten, reicht das, um bei der derzeitigen Lage alles den Bach runtergehen zu lassen, und Manticore stünde als Schuldiger da. Allerdings könnte man den Mantys dann nicht vorwerfen, ganz bewusst das Volk von Włocławek im Stich gelassen zu haben. Es ginge nur um einen völlig vermasselten Einsatz, und so was kann nun mal passieren.«

»Stimmt.« Chernyshev nickte. »Das ist den ursprünglichen Strategen von Janus entgangen. Wir können dem Widerstand nicht den Teppich unter den Füßen wegziehen, solange kein aktiver bewaffneter Widerstand in deutlich größerem Stil läuft, oder wir geben dabei einen ernst zu nehmenden Teil der Anti-Manty-Aspekte auf.«

»Möglichkeiten, den Widerstand entgleisen zu lassen, ohne dass wir uns aktiv einsetzen, sollte es zudem reichlich geben«, warf Harahap nun ein.

»Ein wahres Wort«, bestätigte Chernyshev und schnaubte rau, als ihm Harahap einen fragenden Blick zuwarf. »Auf Loomis treten MacLeans Leute der Wohlstandspartei gerade gewaltig in den Hintern«, erklärte er.

»So rasch schon?« Harahap klang ernstlich überrascht.

Chernyshev wedelte abwehrend mit der Kaffeetasse. »Anscheinend war MacCrimmon wirklich so dämlich, alle MacRorys auf einmal über die Klinge springen zu lassen. Vermutlich auf Zagorskis Mist gewachsen, dieser Plan. Wie dem auch sei: Die VSler haben die Sache natürlich verbockt. Dabei haben sie allerdings genug Morde begangen, um die Liberale Liga endgültig zu radikalisieren.«

»Verdammt.« Harahap schüttelte den Kopf. »Damit hatte ich nicht gerechnet!«

»Ebenso wenig wie alle anderen. Für MacLean und MacFadzean lautet die gute Nachricht immerhin: Wir haben die ersten Waffenlieferungen bis zu ihnen durchgebracht. Aber in vielerlei Hinsicht befinden wir uns dort immer noch in der ›Verführungsphase‹. Nach Ihrem Abzug hat Henrique Chagas übernommen – den kennen Sie noch nicht, aber das ist ein wirklich guter Mann. Deswegen wussten wir auch, dass die Situation zu eskalieren begann. Ursprünglich hatte MacLean keinen Moment früher als unbedingt nötig auf die Straßen gehen wollen. Das hat sich offenkundig mittlerweile geändert.«

»Haben die ihren heißen Draht nach ›Manticore‹ genutzt, um Flottenunterstützung zu erbitten?«

»Nicht, dass wir wüssten. Bei Henriques letztem Besuch allerdings waren MacFadzean und MacPhee immer noch damit beschäftigt, MacLean auf ihre Seite zu bringen. Es liegen uns keine gesicherten Erkenntnisse darüber vor, dass MacFadzean ihr je von der angebotenen Flottenunterstützung erzählt hat. Allerdings sind unsere jüngsten Lageberichte mittlerweile fast vier T-Wochen alt. Also kann im Moment niemand sagen, wie sich die Lage in der Zwischenzeit verändert hat. Aber nach allem, was wir bislang wissen, sieht es danach aus, als könnte der Widerstand dort den Planeten praktisch im Alleingang von der MacCrimmon-Knechtschaft befreien … und vielleicht sogar von SEIU.«

Chernyshevs und Harahaps Blicke trafen sich. Beide Männer lächelten. Welches Schicksal wohl jemandem wie Tyler MacCrimmon oder Nyatui Zagorski bevorstand, war eine Frage, die keinem von ihnen schlaflose Nächte bereitete.

»Aber bis dahin«, fuhr Chernyshev ein wenig forscher fort, »müssen wir Ihnen auch die Verantwortung für Seraphim übertragen. Für die allerersten Grundlagen dort habe ich noch selbst gesorgt, aber wo ich jetzt hier in diesem verdammten Büro festsitze, muss ich den Auftrag abgeben. Und wenn man sich die Persönlichkeitsstrukturen in den beteiligten Gruppen anschaut, scheint mir Ihre Herangehensweise bestens geeignet, diese Gruppen auch wirklich ins Boot zu holen. Seraphim liegt Włocławek und Loomis zwar nicht gerade so nahe, dass man von günstig gelegen sprechen könnte, aber das Problem hätte jeder Agent, den ich mit dieser Aufgabe betraue – und mit dem Blitzantrieb dürfte der Zeitverlust durch das ständige Hin und Her erträglich bleiben.«

»Wie Sie meinen. Ich hoffe, Sie werden die ungünstige Lage des Systems nicht vergessen haben, wenn mir früher oder später wegen der ganzen Reisezeit etwas zwischen den Fingern durchrutscht.«

»Wenn’s so kommt, dann kommt’s eben so«, erwiderte Chernyshev gelassen. Als Harahaps Miene Skepsis verriet, lachte Chernyshev leise. »Wenn Sie mögen, gebe ich Ihnen das gern auch schriftlich.«

Harahaps Mundwinkel zuckten, doch er schüttelte den Kopf. »Herzlichen Dank, Rufino, aber ich bezweifle, dass mir ein solches Schriftstück den Hals retten würde, falls da etwas so richtig schiefläuft und jemand, der in der Nahrungskette deutlich weiter oben steht, dringend einen Sündenbock braucht.«

»Stimmt, ein solches Schriftstück würde Ihnen kein bisschen weiterhelfen. Aber gewiss würden Sie sich viel besser fühlen, wenn Sie ganz genau wüssten, wie sehr ich mich bemüht habe, Ihren Hals zu retten – meinen Sie nicht?«

Die beiden außendiensterfahrenen Agenten bedachten einander mit wissenden Blicken: Ihnen beiden war nur zu bewusst, welches Spiel Bürokraten zu spielen pflegten. Dann stellte Chernyshev seine Kaffeetasse ab, beugte sich vor und legte die gefalteten Hände vor sich auf den Konferenztisch.

»Damien, ich wollte Sie heute Morgen unter anderem deswegen sprechen, um Sie persönlich in die Lage von Seraphim einzuweisen. Die Hintergrundgeschichte dieser Welt ist ein bisschen verwirrend, aber wir werden gewiss damit arbeiten können. Zunächst einmal müssen Sie im Kopf behalten, dass …«

»Was soll das heißen: ›Es gibt keine Marineinfanteristen‹?!«

Tyler MacCrimmon, der kommissarische Regent von Loomis, starrte Frinkelo Osborne ungläubig an. ›Schockiert‹ träfe es wohl besser, dachte Osborne.

»Mr. President, als ich Gouverneurin Slidell mein Gesuch übermittelt habe, konnte niemand wissen, dass die Lage mit den Mantys derart rasch eskalieren würde«, erwiderte er. »Laut der Antwortdepesche der Gouverneurin hat Admiral Crandall alle Marineinfanteriekontingente, die sich auftreiben ließen, ihrem Kommando unterstellt, bevor sie nach Spindle aufgebrochen ist. Die Gouverneurin hat noch versucht, Bodentruppen freizustellen, aber sie muss sich in McIntosh um eigene politische Brandherde kümmern. Mehrere Tage lang hat sie dennoch alles in diese Richtung versucht – was der Hauptgrund dafür ist, wieso ihre Antwort so lange hat auf sich warten lassen. Und dann hat sie entschieden, dass die Flotte zu unserer Unterstützung entsandt wird, sobald das möglich ist. In ein paar Wochen, so heißt es vonseiten der Gouverneurin, könne sie uns ein paar Bataillone Gendarmerie ausleihen.«

»In ein paar Wochen?!« MacCrimmon starrte ihn an. »In ein paar Wochen haben MacLean und diese Wahnsinnigen den gesamten Planeten in ihre Gewalt gebracht! Dann nutzt uns selbst eine ganze Division Gendarmen nichts mehr!«

»Mr. President, wenn MacLean und Konsorten erst einmal wissen, dass wir vom Orbit aus unterstützt werden, werden sie begreifen, dass sie gar keine andere Chance mehr haben, als sich zurückzuziehen. Und dann …«

»Haben Sie in jüngster Zeit etwa Anzeichen dafür gesehen, dass diese Leute ansatzweise zu rationalem Denken fähig sind?«, verlangte MacCrimmon zu wissen. »Und selbst wenn MacLean und MacGill bereit wären, aufzustecken, legen doch all unsere Aufklärungsberichte nahe, dass der Rest dieser Dreckskerle sich schlichtweg weigern wird, die Waffen niederzulegen. Deswegen brauchen wir Bodentruppen – solarische Bodentruppen! Wir müssen zeigen, dass die Liga hinter uns steht! Ich rede hier von den Bodentruppen, die Sie uns versprochen haben!«

Osborne musste sich gewaltig zusammenreißen, um nicht der aus Zorn geborenen Versuchung nachzugeben, MacCrimmon um die Ohren zu hauen, er habe niemals irgendetwas versprochen. Genutzt hätte das nichts. Nun, er hatte, und das gestand er zumindest sich selbst gleich darauf ein, die Möglichkeit zur Entsendung von Marineinfanterie gezielt dazu genutzt, die Panik des kommissarischen Präsidenten zu dämpfen. Und nun, da besagte Marineinfanterie nicht eintraf, loderte ebenjene Panik wieder auf – schlimmer als je zuvor. Denn MacCrimmon hatte sich mit aller Macht an dieser ihm versprochenen Rettungsleine festgeklammert. Diese Panik löschte, es war im Blick des kommissarischen Präsidenten deutlich zu erkennen, die letzten Spuren vernünftigen Denkens aus.

»Gouverneurin Slidell wird Bodentruppen entsenden«, sagte Osborne so beschwichtigend, wie er nur konnte. »Ich bedauere zutiefst, dass sie nicht zum Zeitpunkt des Eintreffens meiner Depeschen zur Verfügung gestanden haben. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, ein Admiral der Schlachtflotte könnte das gesamte für McIntosh vorgesehene Kontingent an Marineinfanterie requirieren.« Wobei es sich dabei, vermied er wohlweislich hinzuzusetzen, nie um mehr als ein einzelnes, unterbesetztes Bataillon gehandelt hat. »Zumindest die Gendarmen sind mittlerweile gewiss auf dem Weg hierher.«

»Und ich sage Ihnen, das hier muss jetzt aufgehalten werden!«, krächzte MacCrimmon.

»Mr. President …«

»Wenn wir keine Bodentruppen haben, werden wir das Problem auf andere Weise lösen«, fiel ihm MacCrimmon ins Wort. »Aus dem Orbit.«

Entsetzt starrte ihn Osborne an. Er konnte doch unmöglich meinen …

»Als Präsident des Loomis-Systems kann ich eigenverantwortlich militärische Unterstützung durch die Liga anfordern«, fuhr MacCrimmon mit einer entsetzlich ton- und ausdruckslosen Stimme fort. »Bitte informieren Sie Captain Venelli, dass ich mich auf die Unterstützungsklausel unserer Übereinkunft mit dem Liga-Amt für Grenzsicherheit berufe. Minister Boyle und Ministerin MacQuarie werden die Zielkoordinaten zur Verfügung stellen.«

»Das kann der doch nicht ernst meinen!« Francine Venelli starrte das Gesicht auf ihrem Com-Bildschirm an. »Dann … dann …«

»Dann werden verdammt viele Menschen sterben«, beendete Frinkelo Osborne den Satz für sie. »Bedauerlicherweise liegt diese Entscheidung nicht in unseren Händen.«

»Wie, nicht in unseren Händen?« Über ihren Schreibtisch hinweg schoss Venelli einen Blick zu Commander Bryson Neng hinüber, dem Ersten Offizier der Hoplite. Dann blickte sie wieder Osborne an. »Verzeihen Sie, wenn ich das so offen ausspreche«, erklärte sie unverkennbar bissig, »aber auch wenn diese Entscheidung nicht in unseren Händen liegt, reden wir hier verdammt noch mal immer noch über unsereKP!«

»Dessen bin ich mir bewusst, Captain.« Einen kurzen Moment lang schloss Osborne die Augen, dann zuckte er betrübt die Schultern. »Bedauerlicherweise hat die Grenzsicherheit schon vor mehr als dreißig T-Jahren mit den MacMinns einen Standardvertrag zur Zusammenarbeit abgeschlossen. Gemäß diesem Vertrag ist der Präsident berechtigt, um ›jeglichen militärischen Beistand‹ zu ersuchen, wenn die Regierung vor Ort zu dem Schluss kommt, das wäre erforderlich – und die Liga ist verpflichtet, diesen Beistand zu leisten.«

»Entschuldigen Sie mal, Mr. Osborne«, mischte sich nun Neng ein, »aber genau um dergleichen zu verhindern, ist der Eridanus-Erlass gedacht, und die Liga ist verfassungsmäßig verpflichtet, ihn durchzusetzen, nicht ihn zu ignorieren!«

»Genau das würde ich den Einheimischen auch gern erklären«, versetzte Osborne verbittert. »Aber Justizminister MacGwyer hat mich bereits darauf hingewiesen, dass im Eridanus-Erlass ausdrücklich das Vorgehen planetarer Regierungen gegen Aufstände und Bürgerkrieg ausgeschlossen sind. Und Kriegsminister Boyle hat mir versichert, er sei bereit, eine Liste von Objekten abzuzeichnen, die echte militärische Ziele seien, sodass sich die Bombardierung nicht vornehmlich gegen Zivilisten richte.« Er vollführte eine wegwerfende Handbewegung, eine Geste der Hilflosigkeit. »Es läuft also darauf hinaus, dass die um ein solches Vorgehen wirklich ersuchen dürfen.«

»Die verfügen doch über eigene orbitale Infrastruktur«, warf Neng ein. »Wenn die ihren Planeten unbedingt kinetisch bombardieren wollen, dann sollen die das allein tun!«

»Nein, Bryson«, widersprach Venelli mit schwerer Stimme. Sein Blick zuckte zu ihr, doch sie sprach weiter, bevor er protestieren konnte. »Die orbitale Infrastruktur ist zwar da, aber keine der Plattformen ist bewaffnet. Wollen Sie wirklich, dass ein Haufen unausgebildeter Zivilisten behelfsmäßig zusammengeworfene KP aus dem Orbit abwirft? Gott allein weiß, wie das ablaufen würde! Sie könnten sich glücklich schätzen, überhaupt die richtige Stadt zu treffen, und wenn die einen hinreichend großen Klumpen Orbit-Schrott in einen Ozean fallen lassen, dann können die damit einen Tsunami erzeugen, der sich gewaschen hat!« Grimmig schüttelte sie den Kopf. »Nein, wenn das schon passieren muss, dann sollte das wenigstens jemand übernehmen, der auch das richtige Ziel trifft und keine Unbeteiligten dabei umbringt.«

»Aber, Ma’am …«

Venelli hob abwehrend die Hand, und Neng verstummte.

Venellis Blick galt wieder Osborne. »Wenn ich das schon machen muss«, setzte sie an, ihre Stimme berstender Granit, »dann möchte ich eine offizielle Weisung von Präsidentin MacMinn persönlich – in schriftlicher Form. Und in dieser Weisung erwarte ich einen unmissverständlichen Vermerk, dass besagte Weisung seitens der lokalen Regierung an mich gegen meinen ausdrücklichen Protest ergangen ist. Weiterhin verlange ich, dass besagter Protest der Regierung auch kundgetan wird, Mr. Osborne! Ich lasse es nicht zu, dass dieses Bombardement im Nachhinein einer ›außer Kontrolle‹ geratenen Schlachtkreuzer-Kommandantin in die Schuhe geschoben wird!«

»Präsidentin MacMinn ist derzeit … verhindert«, erwiderte Osborne. »Gemäß dem Siebten Zusatz der Verfassung von Loomis hat MacCrimmon als kommissarischer Präsident die Regierungsgeschäfte übernommen. Ich versichere Ihnen: Was seine derzeitigen Rechte betrifft, ist besagte Verfassung ganz und gar unmissverständlich.«

»Dann erwarte ich, dass besagter Passus in der schriftlichen Weisung ausdrücklich ausgeführt wird. Vielleicht bringt sie das ja dazu …« Sie ließ den Satz unvollständig.

Osborne wusste, was unausgesprochen geblieben war, und schüttelte betrübt den Kopf. »Dafür ist die Panik hier viel zu groß, Captain – das gilt für alle. Ich verstehe, warum Sie diesen Befehl genauestens dokumentiert wissen wollen, und eine entsprechende Weisung wird Ihnen innerhalb einer Stunde zukommen. Aber die Verantwortlichen dazu zu bringen, diese Weisung persönlich abzuzeichnen und offiziell zu dokumentieren, wird nichts bewirken. Nicht jetzt.«

»Vielleicht tatsächlich nicht, aber versuchen kann ich’s immerhin, verdammt noch mal!«

»Ja, das stimmt. Und unter uns gesagt: Ich hoffe, dass Ihnen dabei deutlich mehr Glück beschieden ist als mir. Ich sehe zu, dass Sie das erforderliche Dokument so rasch wie möglich erhalten. Osborne, Ende.«

»Was sagst du da?« Mit kalkweißem Gesicht starrte Megan MacLean Tammas MacPhee an. »Raumschiffe?«

»Ich habe es gerade eben erst erfahren«, gab er rau zurück. »Die Dreckskerle halten die Informationen zurück, aber unsere Insider melden, zwischen Boyles Büro und dem dortigen Kommandeur gäbe es reichlich Com-Verkehr – wer auch immer da oben das Sagen haben mag.«

»Großer Gott!« MacLean wandte sich von ihrem Freund ab und starrte blicklos in Elgins rauchvernebeltes Panorama hinein. Die Befreiungsfront von Loomis hatte mittlerweile die halbe Stadt eingenommen, und auch den Raumhafen hatte sie überrannt. Die MacMinn-Regierung – von der jeder wusste, dass dort mittlerweile Tyler MacCrimmon das Sagen hatte – hatten sie regelrecht zur Schnecke gemacht. Nur noch einige wenige Tage, und MacCrimmon hätte entweder kapituliert, wäre tot oder hätte die Flucht angetreten.

Und nun das!

»Für den Kampf gegen Marineinfanteristen in Panzeranzügen sind wir nicht ausgerüstet, Megan«, erklärte ihr Tad Ogilvy unverblümt. »Wir könnten vielleicht dafür sorgen, dass sie ein paar Verluste zu beklagen haben, aber es wird auf keinen Fall ausreichen, um sie aufzuhalten. VSler in Panzeranzügen wären ja schon schlimm genug gewesen, aber solarische Marineinfanteristen, die wissen, was sie tun, sind etwas völlig anderes.«

»Was ist mit Sondereingreifbataillonen?«, fragte Erin MacFadzean nach. »Mit denen kämen wir doch zurecht, oder?«

»Wenn die da oben dämlich genug wären, so etwas hierherzuschicken, dann … vielleicht«, antwortete MacPhee. »Aber trotzdem würde es dann unerfreulicher als alles, was wir bislang erlebt haben.«

»Mit ›unerfreulich‹ könnte ich leben.« Mit beiden Händen massierte sich MacLean die Schläfen. »Aber das hier wird deutlich schlimmer als unerfreulich, Tammas – und das weißt du ganz genau!«

»Selbst wenn wir unsere Leute anweisen, die Waffen niederzulegen, würde sich mindestens ein Drittel nicht daran halten«, gab MacPhee zurück. »Stirling zum Beispiel. Diesen Leuten kann man die Waffen nur aus den kalten, toten Händen entwinden!«

»Sollte das notwendig sein, wäre ich durchaus bereit, das persönlich zu übernehmen, wenn ich damit verhindern kann, dass der ganze verdammte Planet kinetisch bombardiert wird!«, fauchte MacLean.

»Dazu wird es wohl kaum kommen«, widersprach MacPhee. »Außerhalb der Städte und der kleineren Ortschaften sind unsere Leute entschieden zu gut verteilt und getarnt, um als Zielobjekte für ein Bombardement überhaupt ausgewählt werden zu können. Und in den Stadtgebieten dürfte es noch deutlich schwieriger werden, individuelle Zielpersonen auszumachen. Außerdem wird nicht einmal MacCrimmon verrückt genug sein, Dörfer und Städte dem Erdboden gleichzumachen!«

»Willst du auf diese Annahme das Leben deiner Leute setzen?«, verlangte MacLean zu wissen.

»Ich sage doch bloß: Solange die uns noch nicht einmal konkret drohen, haben wir keinerlei Hinweis darauf, was die möglicherweise tatsächlich tun werden. Wahrscheinlich können wir sie davon überzeugen, dass die überwiegende Mehrheit unserer Leute – selbst Stirlings Leute – bereit sein werden, sich auf eine Waffenruhe einzulassen. Das verschafft uns eine kleine Atempause. Und wenn MacCrimmon dann Forderungen stellt, hätten wir zumindest eine Feuerpause, in der wir unsere ganz Hartgesottenen zur Vernunft bringen könnten.«

»Und was für eine ›Vernunft‹ soll das sein?«, setzte MacFadzean verbittert nach. MacPhee blickte sie nur schweigend an, und sie deutete zum Fenster, hinüber zu den Rauchschwaden über der Stadt. »Was meinst du denn wohl, was mit den Anführern dieser ›hochverräterischen‹ Rebellion passieren wird, wenn wir kapitulieren? Glaubst du vielleicht, Leute wie MacQuarie oder MacCrimmon würden aufhören, uns mit aller Macht unter Druck zu setzen? Nachdem wir schon so weit gekommen sind und denen einen derartige Angst eingejagt haben? Ach verdammt, natürlich nicht! Die machen weiter, bis die uns Pulserbolzen in die Hinterköpfe jagen können!«

»Und wenn die Alternative dazu ein kinetisches Bombardement ist?«, schoss MacLean zornig zurück. Dann schüttelte sie den Kopf. »Nein, Erin, Tammas hat uns da wahrscheinlich auf die beste Möglichkeit aufmerksam gemacht, die wir haben.« Sie blickte ihrer Stellvertreterin fest in die Augen. »Gib die Information weiter! Wir legen eine Feuerpause ein und halten die Stellungen, bis wir wissen, was man von uns verlangt!«

»Zielansprach-Reihenfolge eingegeben und zugewiesen, Ma’am«, meldete Lieutenant Commander Sharon Tanner. Tonfall und Mimik verrieten, was sie über diese Zielansprach-Reihenfolge dachte – was Captain Venelli nicht entging. »Atmosphärenbrecher abgesetzt und einsatzbereit. Einsatzbereitschaft hergestellt.«

»Ich danke Ihnen, Commander«, bestätigte Venelli und legte dabei im Gespräch mit ihrem Taktischen Offizier deutlich mehr Förmlichkeit an den Tag als üblich.

Ihr Blick zuckte zu den Com-Bildschirmen hinüber, auf denen Captain Alec Sárközy von der Yenta MacIlvenna und die Commander Gwand und Myrvold von der Abatis und der Lunette zu sehen waren. Keinem von ihnen war ein Zielgebiet von Boyles Liste zugewiesen worden. Zum einen verfügte die Hoplite über mehr als genug Kapazitäten, die gestellte Aufgabe im Alleingang zu bewältigen, und zum anderen weigerte sich Venelli, die damit einhergehende Schuld auf mehr Schultern abzuladen, als sich vermeiden ließ.

Die Gesichter der Offiziere verrieten Venelli deutlich, wie die drei Männer über ihre aktuelle Befehlslage dachten. Grimmig schauten sie alle die Kommandantin der Hoplite an. Venelli hielt dem lodernden Zorn darin stand, auch wenn sie sich dazu zwingen musste. Denn dieser Zorn richtete sich keineswegs gegen sie selbst. Venelli atmete noch einmal tief durch.

»Also gut, Commander Tanner«, sagte sie. »Ausführung.«

Siebenundachtzig Sekunden später vergingen praktisch gleichzeitig neun regionale Verwaltungszentren, die innerhalb der vergangenen Tage durch die BFL eingenommen worden waren. Gleiches galt für acht kleinere Ortschaften, sieben Bereitstellungsräume und vier größere, mittlerweile in ihrer Nutzung umgewidmete VSD-Distrikt-Basen … sowie für etwas mehr als drei Komma drei Millionen Bürger der Republik Loomis.

Kapitel 3

»Ich erwarte Mutter und dich dann also am Dienstag zum Mittagessen«, sprach Sinead Patricia O’Daley Terekhov in ihren Minicomp. »Wenn ihr zu spät kommt, verfüttere ich eure Portionen an Alvin und Theodora«, fuhr sie gestreng fort. »Du weißt ja selbst, wie gern Deutsche Schäferhunde Roastbeef mögen, und Theodora wird irgendwann in der kommenden Woche werfen. Im Augenblick futtert sie für elf, und mittlerweile wird sie, was ihre Ernährung angeht, sonderbar wählerisch. Gerade gestern Abend hat sie zwei meiner Schuhe gefressen – von zwei unterschiedlichen Paaren natürlich! Glaub also bloß nicht, ich rette euer Beef Wellington vor Theodoras eigentümlichen Gelüsten, wenn ihr es nicht rechtzeitig herschafft, Charlie!«

Sie grinste, während sie sich vorstellte, wie ihr Bruder auf diese Sprachnachricht reagieren würde. Im Augenblick befand er sich auf Gryphon. Das machte jegliche Echtzeit-Konversation unmöglich, selbst wenn zwischen Manticore-A und Manticore-B eine Überlichtverbindung bestanden hätte. Aber Sinead blieb noch reichlich Zeit, die Nachricht an den regelmäßig fahrenden Kurier der Admiralität zu übertragen. Bei lichtschneller Verbindung wuchs die Übertragungszeit zwischen den beiden Komponenten des Doppelsternsystems von Manticore immerhin auf rund elf Stunden an. Nachrichten an Bord des Kuriers der Admiralität hingegen legten die Strecke innerhalb von weniger als einer halben Stunde zurück. Besagter Kurier fuhr nach einem festen Zeitplan alle vier Stunden, im Notfall pendelte er in noch kürzeren Abständen hin und her. Kuriere einzusetzen war eine Frage der Sicherheit. Streng geheime Nachrichten wurden ohnehin persönlich überbracht. Für die Übermittlung gewöhnlicher Nachrichten, bei denen es nicht so sehr auf Zeit – oder auf Sicherheit – ankam, wurde nach wie vor die Übertragung per Laser gewählt, weil kostengünstiger – auch wenn der Unterschied längst nicht so groß war, wie angesichts der jeweils genutzten Infrastruktur anzunehmen gewesen wäre.

Für Flottenangehörige und deren engste Familienmitglieder boten die Kuriere der Admiralität noch weitere Vorteile. Neben elektronischen Nachrichten, die sie überbrachten, durfte freier Frachtraum auf der Basis des guten alten ›Wer-zuerst-kommt-mahlt-zuerst‹-Prinzips für den Transport physischer Waren genutzt werden. Genau das hatte Sinead am Morgen dieses Tages bereits ausgenutzt.

Morgen stand der Geburtstag von Captain Junior-Grade Ginger Lewis an, und Aivars hatte seiner Frau von Gingers Hobbys erzählt. Seit ihrem Eintritt in die Navy verbrachte sie ihre Zeit dort mit Maschinen. Da war es kaum verwunderlich, dass sie eine leidenschaftliche Modellbauerin war. Aber sie bemalte auch leidenschaftlich gern von Hand selbst modellierte Miniaturen. Verwunderlich, zumindest für Aivars, war allerdings, dass sie diese nicht einfach ausdruckte, sondern jede zunächst aus Wachs formte, dann Gussformen anfertigte und die gewünschten Miniaturen anschließend auf die ganz altmodische Art und Weise in Kunstharz goss. Sinead hingegen verstand das sofort. Sie liebte ihren Mann, und sie wusste auch, wie viel Freude er an Gingers Kunstwerken hatte, ja, er war einer ihrer eifrigsten Förderer. Nur verstand er den Prozess, in dem sich Kreativität zu Kunst wandelte, kein bisschen. Er verstand nicht, wie zutiefst befriedigend es war, bei jedem einzelnen Schritt der Konzeptionierung und Umsetzung eines Kunstwerks im wahrsten Sinne des Wortes Hand anzulegen … oder eben, wie viel mehr man sich mit seinem eigenen Werk verbunden fühlte, wenn man das Wachs von Hand in die gewünschte Form brachte, statt einfach nur den 3D-Drucker zu programmieren. Sinead hingegen verstand das sehr wohl, und sie verstand auch, warum man überhaupt mit Leidenschaft Eigenes zu schaffen suchte. Daher hatte sie beinahe eine Woche lang damit verbracht, ein altmodisches Modell von HMSWayfarer aufzutreiben – und dafür mehr als einmal einen alten, bei BuShips tätigen Freund der Familie belämmern müssen.

Offiziell unterlagen Informationen über die Q-Schiffe der Caravan-Klasse immer noch dem Gesetz über Offizielle Geheimnisse, und das aus Gründen, die Sinead alles andere als einleuchteten. Armierung und Leistungsfähigkeit der umgebauten Frachter waren schon kurz nach Herzogin Harringtons Rückkehr aus Silesia der Presse zugespielt worden, und detaillierte Risszeichnungen der Caravans vor ihrem Umbau waren in Open-Source-Veröffentlichungen wie Jayne’s seit mindestens drei T-Jahrzehnten verfügbar. Aber nein! Bei Gott, die Navy hatte die Konstruktion der Q-Schiffe vor vierzehn T-Jahren als geheim klassifiziert, und so unterlagen sie nach wie vor der Geheimhaltung, Punkt!

Glücklicherweise fanden sich fast immer Mittel und Wege, umzusetzen, was man umsetzen wollte. Captain Fenris hatte sich dann auch bereit erklärt, die erforderlichen Informationen einem seiner eigenen Senior Master Chief Petty Officers zur Verfügung zu stellen. Dieser hatte Bauteile für ein detailliertes Modell von etwas mehr als anderthalb Metern Länge angefertigt – und zwar aus weißem Kunstharz, damit Ginger Wochen damit verbringen könnte, die jeweils benötigten Farbtöne am Rumpf auch wirklich ganz genau hinzubekommen.

Selbst flach übereinandergestapelt und eng verpackt füllten die Bauteile – anhand des Originalmaterials des ursprünglichen Konstrukteurs individuell ausgedruckt – einen beachtlich großen Karton: Er war zwei Meter lang, fünfzig Zentimeter breit und fünfundsiebzig Zentimeter hoch … und wog beinahe dreißig Kilogramm. Ginger Lewis würde mehrere Wochen brauchen, das Modell zusammenzubauen und dann auch noch anzumalen, und Sinead freute sich schon jetzt auf die Reaktion des Captains, wenn sie ihr Geschenk auspackte.

Angesichts des nun einmal beschränkten Platzangebots an Bord wäre das fertige Modell entschieden zu groß, um es dort zu belassen. Die Räumlichkeiten, die Ginger erst kürzlich an Bord von Ihrer Majestät Raumstation Weyland hatte beziehen dürfen – der großen Raumstation im Orbit von Gryphon –, waren jedoch deutlich geräumiger als die an Bord der meisten Kriegsschiffe. Sollte Ginger das Modell doch lieber zur Planetenoberfläche geschafft und dort untergebracht wissen, wäre sie der Heimat auch dafür nahe genug. Ja, Sinead hatte sogar schon den idealen ›Unterbringungsort‹ gefunden, der sich bestens dazu nutzen ließe, sobald Ginger zur nächsten systemfernen Verwendung abgestellt würde. Kaum dass Captain Fenris Senior Master Chief Glendie die nötigen Bauinformationen hatte zukommen lassen, hatte sich Sinead nämlich an Commodore Leschinsky gewandt, den derzeitigen Leiter des Fachbereiches Geschichte von Saganami Island. Sie hatte ihn wissen lassen, es sei doch längst an der Zeit, die Caravans (und damit vor allem die Wayfarer, die berühmteste Vertreterin dieser Klasse) in angemessener Weise im Akademiemuseum zu repräsentieren. Und dass das Modell von einem der überlebenden Ingenieure der Wayfarer selbst gebaut wäre, verlieh ihm natürlich noch größere historische Bedeutung. Schließlich hatte es nur einundzwanzig Überlebende gegeben. Dass besagte Ingenieurin auch noch für ihre besonderen Leistungen während des letzten Einsatzes der Wayfarer mit dem Ostermankreuz ausgezeichnet worden war, kam noch hinzu.

Es hat schon seine Vorteile, dachte Sinead zufrieden, einer Navy-Familie zu entstammen. Es war besonders befriedigend, dass ein Teil dieser Vorteile nun Ginger Lewis zugutekäme.

Noch etwas verstand Sinead: Sie verstand, warum Aivars von Ginger so angetan war. Manche Ehefrauen, das wusste sie, hätten sich Sorgen gemacht, dass ihr Ehegatte so eng mit einer derart attraktiven jungen Frau zusammenarbeitete. Nicht so Sinead. Sie erkannte, dass Ginger ihren Aivars sehr an sie selbst erinnerte – der junge Captain hatte die gleiche Haut- und Haarfarbe, sie beide waren beinahe exakt gleich groß, und sie beide waren schlank, aber dabei robust gebaut. Ja, eigentlich sah Ginger ziemlich genau aus, als wäre sie das, als das Aivars sie vermutlich stets sah: als Sinead Terekhovs jüngere Schwester … oder Tochter.

Einen winzigen Moment lang verkrampfte sich Sineads Mundpartie, schmerzhafte Erinnerungen verdunkelten ihren Blick. Doch dann atmete sie tief durch und schüttelte einmal kurz den Kopf. Nein, sie verstand ganz genau, weswegen ihr Mann sich nicht nur zu Ginger Lewis hingezogen fühlte, sondern auch zu anderen jungen Frauen, Frauen wie Abigail Hearns oder Helen Zilwicki … oder sogar Ragnhild Pavletic – und in allen Fällen war diese Anziehung nicht im Geringsten romantischer oder sexueller Natur.

Bei nächster Gelegenheit sollte ich Ginger von Nast’ka erzählen, dachte sie. Tunlichst bald sogar! An sich ist sie eine zu gefestigte Persönlichkeit, um sich dadurch zurückgesetzt zu fühlen, dass sie die Lücke füllt, die eine andere Person hinterlassen hat. Trotzdem: Sollte es doch einen Subtext geben, dann sollte sie darüber auf jeden Fall Bescheid wissen. Außerdem, unvermittelt grinste sie, habe ich dann gleich einen guten Grund, auf Weyland vorbeizuschauen!

Das Kommando über die wichtigste Forschungs- und Entwicklungsstation der Royal Manticoran Navy hatte erst kürzlich Vizeadmiral Claudio Faraday übernommen. Er war ein weiterer Cousin von der O’Daley-Seite, den sie schon viel zu lange nicht mehr gesehen hatte. Würde sie einen Tagesausflug nach Manticore-B ankündigen, könnte sie ihm gewiss eine Einladung zum Lunch an Bord von Weyland entlocken, und dann wäre es doch nur vernünftig, auch gleich noch nach Ginger und dem jungen Paulo d’Arezzo zu schauen, wo Sinead doch ohnehin dort wäre. Ja, wahrscheinlich würde Claudio die beiden gleich mit zum Lunch einladen. Zweifellos wusste er, dass sie beide gemeinsam mit Aivars in Monica gewesen waren. Und karrieretechnisch könnte es weder Ginger noch Paulo schaden, wenn ihr Kommandant auch auf einer etwas … persönlicheren Ebene auf sie aufmerksam würde.

Ja, eine wirklich ausgezeichnete Idee!, dachte Sinead, und ihr Lächeln wurde noch breiter. Außerdem würde sie sich nach Aivars’ Andeutungen in diese Richtung einen Spaß daraus machen, Paulo mit Helen aufzuziehen. Aber würde Ginger dabei mitmachen? Oder würde sie, als aufmerksame Vorgesetzte, Paulo sofort den Rücken decken?

Sinead schnaubte belustigt und warf einen Blick auf die Zeitanzeige auf dem Bugschott des Shuttles. Wegen einer zwanzigminütigen Verspätung am Raumhafen lagen sie deutlich hinter dem Zeitplan, doch in etwa fünfundzwanzig Minuten sollte der Shuttle an Hephaistos andocken. Nach Aivars’ jüngster Beförderung und Verlegung nach Talbott gab es, streng genommen, keine direkte Verbindung zwischen Sinead und den Familien der Hexapuma-Besatzung. Doch Ansten FitzGerald war unverheiratet. Amal Nagchaudhuri, mittlerweile Erster Offizier der Hexapuma, war zwar verheiratet, doch Rebecca Nagchaudhuri – Professorin für Hyperphysik – hatte kurz vor der Verlegung der Hexapuma eine einjährige Gastprofessur an der Clemson University auf Alterde angenommen. Niemand hatte damit gerechnet, dass das Schiff derart rasch wieder zurückkehren würde, und die Gelegenheit, an einer Universität zu lehren, die allgemein als beste (oder zumindest zweitbeste) Forschungseinrichtung mit Schwerpunkt höherdimensionaler Physik in der gesamten Solaren Liga angesehen wurde, erhielt man nicht alle Tage. Ihre Lehrverpflichtung würde in wenigen Monaten enden, und dann würde sie, zusammen mit ihren beiden Söhnen, wieder nach Manticore zurückkehren. Doch bis dahin hätte keiner der beiden ranghöchsten Offiziere der Hexapuma