Hooking Him - Aurora Rose Reynolds - E-Book

Hooking Him E-Book

Aurora Rose Reynolds

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Beschreibung

Anna McAlister ist bereit, sich ein neues Leben aufzubauen. Ganz ohne Mann. Sowohl Chicago als auch ihrem Ex-Verlobten hat sie den Rücken gekehrt, um nun als glücklicher Single in die Zukunft zu starten. Ihr Vorhaben gerät jedoch schnell ins Wanken, als sie auf einen wild entschlossenen und verdammt anziehenden Detective trifft, der sich nicht mehr vertreiben lässt. Calvin Miller hat sich schon an so mancher Frau die Finger verbrannt. Umso leichter fällt es ihm, nachts allein in sein Bett zu fallen und sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Als ihm jedoch Anna zum ersten Mal begegnet, wird er die Vorstellung von ihr zwischen seinen Bettlaken nicht mehr los. Vielleicht ist es an der Zeit, der Liebe noch eine Chance zu geben. Doch kaum hat es zwischen den beiden gefunkt, sorgt jemand aus Annas Vergangenheit für Ärger. Als hätte er nicht bereits alle Hände voll zu tun, wird er auf eine Mordserie angesetzt und erkennt ziemlich schnell, dass zwischen seinem neuen Leben und den Morden eine Verbindung besteht.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
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Seitenzahl: 313

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Hooking HIM

Aurora Rose Reynolds

© Die Originalausgabe wurde 2020 unter dem

Titel Hooking HIM (How to catch an Alpha, Band 3) von Aurora Rose Reynolds veröffentlicht. Diese Ausgabe wird im Rahmen einer Lizenzvereinbarung ermöglicht, die von Amazon Publishing, www.apub.com, in Zusammenarbeit mit der Agentur Hoffmann stammt.

© 2021 Romance Edition Verlagsgesellschaft mbH

8700 Leoben, Austria

Aus dem Amerikanischen von Friederike Bruhn

Covergestaltung: © Sturmmöwen

Titelabbildung: © HayDmitriy

Redaktion: Romance Edition

ISBN-Taschenbuch: 978-3-903278-86-8

ISBN-EPUB:978-3-903278-87-5

www.romance-edition.com

Das hier ist keine Widmung, sondern ein Vorschlag:

Lebe jeden Tag, als wäre er dein letzter. Trinke, wenn dir danach ist; lache, bis du nicht mehr kannst; lass die Liebe in dein Leben, verbringe Zeit mit jenen Menschen, die dir wichtig sind, und genieße jeden einzelnen Moment, selbst die beängstigenden.

Der erste Eindruck ist entscheidend.

Hat dir das deine Mom nicht beigebracht?

Anna

»Bist du glücklich?«, will meine Freundin Lucy plötzlich während unseres Telefonates wissen. Instinktiv umklammere ich mein Handy fester und stütze die Füße auf dem hölzernen Geländer vor mir ab. Die meiste Zeit meines Lebens habe ich in der Großstadt verbracht, umgeben von Hochhäusern, nie enden wollenden Gesprächsfetzen und Verkehrslärm. In der Luft hing stets ein Geruch von Essen vermischt mit Abgasen. Nun sitze ich auf der Terrasse meiner Einzimmerwohnung in einer kleinen Küstenstadt in South Carolina. Der Ozean ist nur wenige Schritte entfernt, die Sonne wärmt meine Haut und eine leichte Brise streicht mir das Haar aus dem Gesicht. Ein gewaltiger Unterschied zu Chicago. Langsam frage ich mich, wie ich es dort so lange aushalten konnte.

»Noch nicht, aber ich bin auf dem besten Weg dahin«, beantworte ich Lucys Frage und beobachte lächelnd ein Paar, das nicht weit von mir mit ihrem Kind in der Meeresbrandung spielt.

»Obwohl dein Zuhause aus einem einzigen Zimmer besteht und du in einer Bäckerei arbeitest?« Sie klingt genauso skeptisch wie der Rest meiner Bekannten in Chicago. Sie verstehen nicht, warum ich meinen lukrativen Job, das schöne Penthouse und meine Hochzeitspläne mit einem gut situierten Mann – der auch noch wirklich toll aussieht – gegen das hier eintauschen konnte. Ein Leben in einer Stadt, in der ich nahezu niemanden kenne. Gegen eine Wohnung, die in meinem alten Badezimmer Platz gefunden hätte, und einen Job, der mir in einem Monat so viel einbringt, wie ich früher in einer Woche verdient habe.

»Ja, obwohl mein Zuhause nur aus einem Zimmer besteht und ich in einer Bäckerei arbeite«, wiederhole ich ihre Worte in einem möglichst neutralen Tonfall, ehe ich die Stimme senke. »Aber ich vermisse dich.« Was keine Lüge ist: Seit ich denken kann, ist Lucy an meiner Seite. Unsere Eltern waren befreundet, also sind wir zusammen aufgewachsen.

»Dennoch ist es mir ein Rätsel«, sagt sie und seufzt. Mir schnürt sich die Brust zusammen. Ich hoffe immer noch, dass meine Freunde und meine Familie begreifen werden, warum ich Chicago verlassen habe. Doch je mehr Monate vergehen, desto klarer wird mir, dass es vergebens ist. Keiner von ihnen versteht mich. Sie können nicht nachvollziehen, dass ich diese Entscheidung nicht von heute auf morgen gefällt habe. Ihrer Meinung nach bin ich eines Tages aufgewacht, habe meine Koffer gepackt und alles in einer Hauruck-Aktion zurückgelassen. Was sie nicht wissen, ist, dass ich über Jahre hinweg morgens in den Spiegel blickte und hasste, was ich dort sah. Eine oberflächliche Frau, die nur einen Wert kannte: den des Geldes. So wollte ich nicht sein, wurde aber mit jedem Tag ein Stück mehr zu ihr. Bis ich endlich den Mut aufbrachte, etwas dagegen zu unternehmen.

»Ich sollte dich nicht länger aufhalten«, wende ich mich wieder an Lucy. »Du hast bestimmt viel zu tun, und Edie wartet auf mich, damit wir zusammen zum Bingo gehen können.«

»Bingo? Du spielst Bingo?« Sie findet diese Tatsache offenbar zum Totlachen lustig.

Auch im muss lächeln, allerdings aus Vorfreude auf den Abend, der mir bevorsteht. »Ja, es macht Spaß.«

»Wenn du das sagst«, entgegnet sie und klingt abgelenkt. Kurz darauf höre ich eine mir vertraute Männerstimme bei ihr im Hintergrund. Mir ist sofort klar, wer da mit ihr spricht. Lance, mein Ex-Verlobter, der Partner in der Firma ist, in der Lucy arbeitet. Er scheint sie etwas zu fragen, dann wendet sie sich wieder unserem Gespräch zu. »Anna? Sorry, aber ich muss auflegen.«

»Kein Problem«, presse ich hervor und kämpfe gegen mein schlechtes Gewissen an. Übelkeit wallt in mir auf. »Bye«, füge ich hinzu und lege auf, bevor sie etwas erwidern kann. Mich in meinem Stuhl nach vorn lehnend, vergrabe ich den Kopf in den Händen und rufe mir den Moment in Erinnerung, als ich Lance seinen Ring zurückgab. Er sagte kein Wort, als ich ihm erklärte, dass es zwischen uns aus und vorbei sei, doch sein Gesicht sprach Bände. Als er ging, blieb er genauso schweigsam, war aber sichtlich am Boden zerstört. Ihn zu verlieren, war das Schwerste an meinem Entschluss, Chicago zu verlassen. Ich liebte ihn zwar nicht, dennoch war er mein Freund. In den fünf Jahren unserer Beziehung war er eine Konstante in meinem Leben; jemand, auf den ich mich verlassen und auf dessen Unterstützung ich bauen konnte. Zudem ist er einer der wenigen, die meine dysfunktionale Beziehung zu meinen Eltern versteht. Er hat mich stets ermutigt, Abstand zu ihnen zu gewinnen, wenn mich ihre Achtlosigkeit mir gegenüber verletzte.

Da ich mich nicht für den Rest dieses Tages in depressiven Gedankengängen verrennen möchte, atme ich tief durch und rümpfe sogleich die Nase. Statt wie erwartet die frische Seeluft einzuatmen, überfällt mich der unverkennbare Geruch von Gras. Ich erhebe mich von meiner Liege und halte überrascht inne, als eine große Rauchwolke von der Veranda unter mir aufsteigt. Kurzerhand schleiche ich zum Rand meiner erhöhten Terrasse und spähe über das Geländer. Ob sich ein Strandbesucher hier versteckt hat, um high zu werden? Kopfschüttelnd stelle ich fest, dass es sich nur um Dixie und Pearl handelt. Die zwei besten Freundinnen meiner Vermieterin Edie sind beide um die Siebzig und teilen sich vor ihrer Verandatür etwas, das verdächtig nach einem Joint aussieht. Das gute Stück wirkt angesichts ihres großmütterlichen Aussehens ein wenig fehl am Platz. In ihren pastellfarbenen Poloshirts, khakifarbenen Caprihosen und den wie immer zu Lockentürmen frisierten weißen Haaren sehen die zwei Damen aus, als wären sie auf dem Weg zum Golfen.

»Ist Gras nicht illegal?«

Beide Frauen fahren erschrocken zusammen. Dixie wirft den Joint – begleitet von einem lauten Oh Scheiße! – im hohen Bogen weg. Pearl stimmt mit einem spitzen Schrei ein und sieht sich suchend um, bis sie mich über ihren Köpfen entdeckt.

»Anna!« Pearl bedenkt mich mit einem finsteren Blick. »Du hast mich fast zu Tode erschreckt.«

»Zu Tode«, wiederholt Dixie kichernd, als sich die Hintertür öffnet.

»Was um alles in der Welt ist hier draußen los?«, fragt Edie und tritt ins Freie. Sie trägt ein weißes Leinenoutfit und hat sich ihre kurzen Haare aus ihrem würdevoll alternden Gesicht frisiert.

»Anna hat versucht, uns umzubringen«, sagt Pearl anklagend und deutet mit dem Finger auf mich. Edie blickt auf und lächelt mich an.

Edie ist die erste Person, die ich nach meinem Umzug hierher kennenlernte. Sie hatte eine Wohnung in ihrem Haus zu vermieten, und als ich auf ihre Anzeige antwortete, lud sie mich zu einer Besichtigung ein. Durch die Nähe zum Strand verliebte ich mich Schlag auf Fall. Und nach einer Stunde mit Edie wollte ich die Wohnung auch, um eine Ausrede zu haben, mehr Zeit mit ihr zu verbringen. Ich fühlte mich in ihrer Gegenwart hoffnungsvoll, und als sie mir eines Abends bei einem Glas von sich erzählte, erkannte ich warum. Erst nach zwanzig Ehejahren brachte sie den Mut auf, ihren Ex-Mann zu verlassen. Er und ihre Familie waren sicher, dass sie über kurz oder lang zu ihm zurückgekrochen käme. Was sie nicht tat. Stattdessen fand sie ihr Glück. Ihre Geschichte zu hören hat mich darin bestärkt, genauso für mein Glück zu kämpfen.

»Sie rauchen Gras«, informiere ich Edie und wedle mit der Hand in Richtung ihrer Freundinnen.

»Ich habe grünen Star.« Pearl stemmt die Hände in die Hüften.

»Wirklich?«, frage ich, woraufhin sie mich herausfordernd anfunkelt.

»Wir müssen ohnehin los«, verkündet Edie.

»Gefunden!«, ruft Dixie, und Pearl unterbricht unser Blickgefecht, um sich zu ihrer Freundin umzudrehen, die den Joint wie eine Trophäe in die Höhe hält.

»Anna.« Der Klang meines Namens lenkt meine Aufmerksamkeit zurück zu Edie. »Wir treffen uns gleich beim Auto. Ich will vor Carol an der Bingohalle sein, damit sie uns nicht unseren Tisch wegschnappt.«

»Diese Frau ist eine wahre Nervensäge«, murrt Dixie.

»Und so eine Angeberin«, stimmt Pearl zu, nimmt Dixie den Joint aus der Hand und wickelt den Rest davon in ein Taschentuch, das sie aus ihrem BH hervorgezogen hat. »Wen interessieren ihre fünf Enkelkinder, die sie noch nicht mal leiden können?«

»So wahr«, erwidert Dixie und hält Pearl die Tür nach drinnen auf.

»Komm runter, wir warten in der Einfahrt auf dich«, sagt Edie und ich mustere sie prüfend. »Was ist?«

»Kein Wort darüber, dass die beiden Gras geraucht haben? Hast du etwa mitgemacht?«

»Heute nicht.« Mit einem Augenzwinkern verschwindet sie im Inneren des Hauses. Unsicher, ob das ein Witz war oder nicht, starre ich die geschlossene Tür an. Sie, Pearl und Dixie sind zwar alle älter als ich, angesichts ihres Verhaltens und einer gewissen Wortwahl würde man das aber niemals vermuten.

»Tja, das könnte interessant werden.« Seufzend kehre ich nach drinnen zurück und schließe die Tür hinter mir. Ich gehe an meinem Bett und der offenen Küche vorbei zum Schrank, wo ich in ein Paar Flip-Flops schlüpfe und mir sicherheitshalber ein kariertes, langärmeliges Hemd um die Hüften binde. In der Bingohalle herrschen für gewöhnlich Temperaturen knapp um den Gefrierpunkt, was ich herausfand, als mich Edie zum ersten Mal hingeschleppt hat. Leider trug ich damals ein Outfit, das auf die Hitze und die Feuchtigkeit von draußen abgestimmt war. Rasch schnappe ich mir meinen Schlüssel und meine Handtasche, bevor ich die Treppe runter zur Auffahrt eile, wo Edie, Dixie und Pearl auf mich warten.

»Ich kann fahren.« Ich halte die Schlüssel zu meinem Ford hoch und alle drehen sich in meine Richtung.

»Wo ist der Rest deiner Shorts?«, fragt Pearl, und ich schaue hinunter auf meine abgeschnittenen Jeansshorts. Ja, sie sind kurz, aber das ist bei Frauen heutzutage gang und gäbe. Vor einem Jahr hätte ich sie nicht getragen, doch das hat sich inzwischen geändert.

»Oh, hör auf. Wenn du Beine wie sie hättest, würdest du sie auch zur Schau stellen«, schimpft Edie und schüttelt über ihre Freundin den Kopf, ehe sie sich an mich wendet. »Anna, du fährst wie ein altes Großmütterchen. Ab auf den Beifahrersitz mit dir.« Per Knopfdruck entriegelt sie ihren Wagen.

»Das tue ich nicht«, protestiere ich, als ich die Tür zu ihrem roten BMW-Cabrio öffne und den Sitz nach vorne ziehe, damit Pearl und Dixie hinten einsteigen können.

»Beim letzten Mal bist du dreißig in einer Fünfzigerzone gefahren.«

»Da war eine Baustelle. Ich habe nur die Regeln befolgt.«

»Es war nach acht Uhr abends. Die Bauarbeiter waren nicht mal mehr vor Ort.«

»Wie auch immer.« Ich schiebe den Sitz zurück, steige ein und schnalle mich an, während Edie den Motor startet und das Dach runterfährt. Sobald das Verdeck eingerastet ist, schießt sie rückwärts aus der Auffahrt und ich greife nach der Türklinke.

Sie lacht. »Entspann dich, Kindchen. Ich hatte noch nie einen Unfall.«

»Wirklich?« Ich werfe ihr einen kurzen Seitenblick zu, weil ich meine Augen nicht zu lang von der Straße abwenden will, obwohl nicht ich diesen Wagen lenke.

»Nun ... Noch keinen, an dem ich schuld war.«

»Das klingt schon ein bisschen glaubwürdiger«, antworte ich und ziehe scharf die Luft ein, als sie in die Spur Richtung Highway wechselt und beschleunigt. Beim Einfädeln in den Verkehr halte ich den Atem an, und als sie einen Sattelschlepper überholt, kneife ich die Augen zu. Kurz darauf wird der Wagen langsamer und ich hebe zögerlich die Lider. Als wir bald darauf an einer roten Ampel halten, seufze ich erleichtert. Was nicht lange währt, denn bei Grün lenkt Edie das Auto scharf nach rechts und gibt noch mal Gas. Ich halte den Türgriff so fest, dass meine Knöchel weiß hervortreten, als der Wagen vor uns immer näher kommt. Beinahe küsst Edie seine Stoßstange. Für das beinahe schicke ich ein Dankgebet gen Himmel, als plötzlich eine Sirene hinter uns aufheult. Eine Polizeisirene. Diesmal beschleunigt mein Herz.

»Oh Scheiße«, kommt es vom Rücksitz, während Edie auf dem Seitenstreifen anhält. Ich schaue über meine Schulter und sehe, wie Pearl in ihr Oberteil greift, ein weißes Taschentuch herauszieht und es unter den Sitz vor ihr schiebt.

Oh mein Gott. »War das euer Joint?«, frage ich in einer ziemlich hohen Oktave und fange mir einen finsteren Blick von Pearl ein.

»Bleib einfach cool. Das ist keine große Sache.« Edie legt beruhigend ihre Hand auf meinen Oberschenkel und ich nicke. Allerdings fühle mich kein bisschen cool. Angespannt wippe ich mit dem Bein, während wir darauf warten, dass der Polizist neben uns erscheint. Als er vor der Fahrerseite Halt macht, zucke ich zusammen.

»Edie.«

Seine tiefe Stimme erregt meine Aufmerksamkeit und ich wende den Kopf in seine Richtung. Zuerst bemerke ich die langen, maskulinen Finger, mit denen er den Türrahmen umschließt. Dann die dunkle Jeans, einen schwarzen Gürtel mit einer daran befestigten Dienstmarke und ein blaues Hemd, das er in die Hose gesteckt hat und das darauf hinweist, wie verdammt fit er zu sein scheint. Langsam lasse ich den Blick höher wandern und nehme seine breiten Schultern wahr. Als ich sein Gesicht erreiche, schlägt mein Herz noch etwas heftiger. Heiliger Bimbam, obwohl seine Augen von einer silbernen Pilotenbrille bedeckt werden, die ihm megagut steht, ist er immer noch atemberaubend. Ich starre ihn an. Keine Ahnung, ob es seine dunklen Haare, sein markanter Kiefer oder die vollen Lippen sind, die mich derart anziehen. Gut, dass er die Brille trägt! Ich glaube nicht, dass ich seiner geballten Ausstrahlung gewachsen wäre.

»Calvin, wie geht es deiner Mutter?«, fragt Pearl zuckersüß vom Rücksitz aus, und er sieht zu ihr. Ich wiederum behalte meinen Blick ganz auf ihm. Calvin – dieser Name passt zu ihm. Da muss ich an diese alten Calvin-Klein-Werbeanzeigen mit Marky Mark denken, die meine Freundinnen und mich früher immer zum Seufzen gebracht haben.

»Ihr geht es gut.«

»Richte ihr liebe Grüße von mir aus.«

»Werde ich machen.« Er nickt ihr zu, ehe er sich wieder auf Edie konzentriert. »Weißt du, warum ich dich angehalten habe?«

»Leider überhaupt nicht«, antwortet Edie. »Bin ich zu schnell gefahren?«

»Nein, das nicht. Aber ich bin dir auf den Highway und wieder runter gefolgt und mir bereitet dein Mangel an Blinksignalen ein wenig Sorgen. Genauso, wie du die Grenzen deiner Bremsen austestest, wenn du hinter jemandem fährst.«

»Mein Auto hat großartige Bremsen«, informiert sie ihn lächelnd.

»Das mag sein, aber ich bezweifle, dass du noch so denkst, wenn die Person vor dir scharf bremsen müsste und du ihr hinten reinfährst.«

»Da hast du absolut recht.« Sie legt sich die Hand aufs Herz und setzt eine überraschte Miene auf. »Das ist mir tatsächlich noch nicht in den Sinn gekommen.«

»Natürlich.« Ein Muskel an seinem Kiefer zuckt, und ich schließe die Finger noch fester um den Türgriff. »Beim nächsten Mal werde ich dir einen Strafzettel verpassen, Edie. Du und ich wissen, dass du nicht noch mehr Punkte auf deinem Führerschein riskieren kannst.«

Punkte? Sie hat bereits Punkte?

»Wie viele Strafzettel hattest du denn schon?«, platzt es aus mir heraus und alle Aufmerksamkeit richtet sich auf mich. Auch Calvin sieht mich durch seine silberne Pilotenbrille an, das spüre ich deutlich.

»Noch habe ich meinen Führerschein«, kontert Edie.

»Ein weiterer Strafzettel und das war einmal«, wendet Calvin ein.

Was heißt, sie hatte schon mehr als genug. »Gott, ich wusste es. Ich hätte auf mein Gefühl hören und selbst fahren sollen, anstatt der älteren Generation respektvoll gegenüberzutreten. Erst rauchen sich Pearl und Dixie ein und jetzt ...«

»Wie bitte?«, knurrt Calvin, und ich reiße entsetzt die Augen auf. Mein Mund wird staubtrocken. Wie konnte mir das rausrutschen?

Kopfschüttelnd bemühe ich mich um eine rasche Ausrede. »Zigaretten sind pures Gift«, sage ich. »Man müsste meinen, dass sie das in ihrem Alter wüssten.« Auch wenn seine Augen verdeckt sind, spüre ich seinen durchdringenden Blick auf mir. Unruhig rutsche ich auf meinem Sitz hin und her, bemühe mich aber um einen möglichst unschuldigen Gesichtsausdruck. »Ich werde dafür sorgen, dass Edie von nun an mehr Vorsicht walten lässt, wenn sie hinter dem Steuer sitzt.«

Er nimmt mein Versprechen mit einem Nicken zur Kenntnis. Dann macht er einen halben Schritt vom Wagen weg. »Das ist deine letzte Verwarnung.« Er klopft zum Abschied gegen Edies Tür, bevor er zu seinem Auto zurückgeht. Ich schaue ihm hinterher und muss zugeben, dass seine breiten Schultern und die schmale Taille auch von hinten echt was hermachen.

»Ich kann nicht glauben, dass du ihm das mit dem Joint verraten hast«, beschwert sich Pearl.

»Hat sie nicht, außerdem hat sie uns gedeckt«, springt Dixie mir bei. »Ich kann ihr keinen Vorwurf machen. Er sieht gut aus, und wenn man mit einem heißen Mann spricht, kann einem so was schon mal rausrutschen.«

»Findest du ihn attraktiv?«, wendet sich Edie an mich, und ich bemerke einen berechnenden Ausdruck auf ihren Zügen.

Verdammt.

»Natürlich. Sie ist eine Frau«, sagt Pearl vom Rücksitz aus.

»Nun?«, hakt Edie nach.

»Ähm ...« Ich winde mich unter ihrem Blick. »Er ist okay.«

»Okay?« Dixie schnaubt. »Dieser Mann ist nicht okay, Liebes, aber wenn du das denkst, solltest du dich durchchecken lassen. Ich bin gerade nicht sicher, ob du tatsächlich einen Puls hast.«

»Wie auch immer. Sollten wir nicht los? Oder wollt ihr zu spät zum Bingo kommen?«

»Na gut, diese Runde geht an dich«, gibt Edie nach, dann startet sie den Motor und setzt den Blinker. Mit einem Blick in den linken Spiegel lenkt sie den Wagen vom Seitenstreifen, um sich in den Verkehr einzufädeln. Dann werden wir wieder nach rechts gestoßen und das Knirschen und Schaben von Metall erfüllt die Luft.

Angst erfüllt meine Brust, und als ich mich umdrehe, schaue ich in zwei hypnotisierend blaue Augen. Oh mein Gott, wir haben gerade den Wagen eines Polizisten gestreift! Ich reiße mich aus meiner Schockstarre und konzentriere mich stattdessen auf Edie. »Geht es dir gut?«

»Ja, und dir?« Sie mustert mich besorgt.

»Ebenso.« Als ich einen Blick über meine Schulter werfe, sehe ich, dass Calvin hinter uns hält, ehe ich die entsetzen Gesichter auf dem Rücksitz wahrnehme. »Seid ihr okay?«

»Ja, alles in Ordnung«, bestätigt Pearl mit zittriger Stimme.

»Ich bin nur ein wenig durchgerüttelt worden, sonst ist nichts passiert«, antwortet Dixie.

»Ich schaue mal nach Calvin.« Ich schnalle mich ab und öffne die Beifahrertür.

Auf wackligen Beinen umrunde ich den Wagen, halte aber inne, als ich sehe, dass Calvin vornübergebeugt seinen offenen Kofferraum inspiziert. »Steig wieder ein«, brummt er, ohne mich eines Blickes zu würdigen.

»Aber ...«

»Steig wieder ein.« Er bewegt sich keinen Zentimeter, schaut mich aber an. »Hier draußen ist es nicht sicher für dich.«

»Ich wollte nur nachsehen, ob du okay bist«, erkläre ich, woraufhin er sich aufrichtet und langsam auf mich zukommt.

Ich sollte zurückweichen. Ich will zurückweichen, verharre aber auf der Stelle. Als er mich erreicht, packt er mich am Oberarm.

»Was machst du da?« Mein Blick heftet sich auf die Stelle, an der er mich festhält, und ich versuche instinktiv, mich aus seinem Griff zu befreien. Anstatt locker zu lassen, setzt er sich in Bewegung und zwingt mich mit sich. An der Beifahrerseite angekommen, zieht er die Autotür auf und drängt mich in den Wagen.

»Rühr dich nicht vom Fleck«, befiehlt er und ich blinzle ungläubig zu ihm auf.

»Ich bin kein Hund, dem man Befehle erteilen kann«, entgegne ich etwas aufgebracht und bugsiere meine Beine ins Auto.

»Ist mir klar. Mein Hund hört wenigstens auf mich.« Er wirft die Tür zu und lässt mich innerlich kochend auf meinem Sitz zurück.

Calvin

Während mein Computer runterfährt, lehne ich mich in meinem Schreibtischstuhl zurück und reibe mir über die Augen. Es war ein langer Tag, ein langer Monat und ein noch längeres Jahr. Ich brauche Urlaub, um mal abzuschalten. Am besten in der Nähe eines Sees, wo ich mit einem Bier und einer Angel den Sonnenuntergang genießen kann.

Gähnend rolle ich den Stuhl nach hinten, um aufzustehen, als mein Mobiltelefon klingelt. Der Name meiner Mutter erleuchtet das Display. Ich kann mir ein leicht frustriertes Stöhnen nicht verbeißen. Ich muss nicht rangehen, um zu wissen, dass es um den Zusammenstoß mit den Golden Girls und ihrer neuesten Rekrutin Anna geht. Anna Belle McAlister, eine Frau mit Haaren, die mich an warmen Whisky erinnern, Augen in der Farbe eines immergrünen Waldes und Haut, die wie von der Sonne geküsst aussieht. Sie ist nicht einfach schön, sondern atemberaubend. Ihr Anblick allein hat dafür gesorgt, dass ich den ganzen verdammten Tag an verschwitzte Nächte zwischen Baumwolllaken denken musste.

Fuck.

Ich nehme mein Handy, streiche mit dem Finger über den Bildschirm und halte es mir ans Ohr. »Mom.«

»Calvin, ich habe gerade mit Pearl telefoniert und ich ... Ich habe ... Großer Gott, Calvin. Hast du wirklich mit einer Frau gesprochen, als wäre sie Bane, und ihr auch noch gesagt, er benehme sich besser als sie, weil er wenigstens auf dich hört?«

Ich wusste es.

»Mom, ich habe dich schon mal gebeten, nicht alles zu glauben, was diese Frau und ihr Damentrüppchen behaupten.«

»Also hast du nichts dergleichen gesagt?«

Ich verdrehe die Augen. »Die Frau, auf die du dich beziehst, hatte zuvor einen Autounfall. Ich schickte sie zum Wagen zurück, damit sie sich nicht in Gefahr begibt. Als sie dieser Bitte nicht nachkam, habe ich sie zum Fahrzeug geleitet.«

»Und dann?«.

»Dann habe ich die Unfallstelle abgesichert und meinen Job gemacht.«

»Du lässt den Teil mit der Frau aus, die laut Pearl ein echtes Goldstück ist und die du wie einen Hund behandelt hast.« Sie atmet tief durch. »Junge, du machst mich fertig.«

»Das sagst du schon, seit ich denken kann.«

»Ich habe dich besser erzogen, Calvin Miller. Und ich weise dich darauf hin, dass du dich bei dieser Frau entschuldigen musst.«

»Mom, ich werde mich nicht für die Ausübung meines Berufs entschuldigen.«

»Nein, aber dafür, dass du unhöflich warst.«

»Natürlich, ich werde mich auf der Stelle darum kümmern.«

»Calvin Drake Miller, das ist mein völliger Ernst. Du entschuldigst dich besser.« Sie erhebt nicht die Stimme, dennoch weiß ich, dass Widerworte nicht erwünscht sind.

»Also schön. Sind wir dann fertig?« Ich stehe auf, befestige meine Dienstmarke wieder an meinem Gürtel und nehme mir meine Schlüssel.

»Ja. Kommst du morgen nach wie vor zum Essen vorbei?«

»Tue ich.«, Ich mache mich auf dem Weg zum Ausgang und nicke beim Durchqueren des Hauptraums einigen meiner Kollegen zum Abschied zu.

»Alles klar. Wir sehen uns um sechs. Vielleicht kannst du ja Anna einladen. So heißt sie übrigens. Pearl meinte, sie sei gerade in die Stadt gezogen und arbeite im Sweet Spot. Du könntest morgen dort vorbeischauen und sie zum Essen einladen.«

»Ich werde sie ganz sicher nicht zum Essen einladen.«

»Warum nicht?«

»Bis morgen«, entgegne ich und ignoriere ihre Frage.

»Lade sie zum Abendessen ein.«

»Ich muss los, Mom.«

»Gut, hab dich lieb. Dann bis morgen.« Sie legt auf, und ich gehe nach draußen. Meinen Truck habe ich an der Straße geparkt, und sobald ich ihn erreiche, fahre ich nach Hause.

Daheim angekommen, gehe ich durch das Tor zur Vordertür hinauf, wo ich bereits von Banes Bellen empfangen werde. Sobald ich den Schlüssel ins Schloss stecke, verstummt er. Wie sonst auch begrüßt er mich, indem er meine Füße umkreist, während ich die Tür wider schließe und das Licht anmache.

»Hey, Junge.« Ich streichle über seinen Kopf und ziehe die Stiefel aus. Anschließend knuddle ich ihn einmal durch, bevor ich in die Küche gehe. Ich hole Banes Futter aus der Speisekammer und gebe etwas davon in seinen Napf. Dann versorge ich mich selbst mit einem Bier, während ich überlege, was ich mir zum Abendessen aufwärmen soll. Anschließend setzte ich mit meinem Teller vor den Fernseher. Dieser Routine folge ich nun seit fünf Jahren; so lange ist es her, dass mich die Frau, die ich heiraten wollte, wegen meines Jobs verlassen hat. Sie kam mit meiner Karriere als Polizist nicht klar, mir bereitet mein Leben ohne sie jedoch keine Schwierigkeiten. Stattdessen genieße ich die Gesellschaft meines Hundes. Als ich mich an diesem Abend allein in mein Bett lege, frage ich mich allerdings, ob es an der Zeit ist, wieder meine Fühler auszustrecken.

Sag Nein, auch wenn du Ja sagen willst

Anna

»Dir ist klar, dass Gaston durchdrehen wird, wenn er dich hierbei erwischt, oder?«, frage ich Chrissie, meine Chefin. Sie ist die Besitzerin des Sweet Spots und mittlerweile zähle ich sie auch zu meinen Freunden.

»Was Gus nicht weiß, macht ihn nicht heiß.« Sie grinst und ich beäuge ihren Bauch, der während der letzten Monate deutlich an Umfang zugelegt hat. Dann wandert mein Blick zu dem riesigen Sack Mehl, den sie gerade in einen der Vorratsbehälter aus Plastik füllt.

Ich nehme sie ihr ab. Ihr Grummeln ignoriere ich geflissentlich. »Mit ziemlicher Sicherheit hat er hier drinnen Kameras installiert, um zu überwachen, dass du dich nicht übernimmst.« Ein Witz, obwohl ich ihm das durchaus zutrauen würde. Er ist sehr beschützerisch, wenn es um seine Frau geht, was seit ihrer Schwangerschaft noch öfter zum Vorschein kommt.

»Ich würde ihn umbringen.« Sie sieht sich um, als würde sie nach einer versteckten Kamera Ausschau halten. Lächelnd begegne ich ihrem Blick. »Wie war dein freier Tag gestern?«, erkundigt sie sich.

»Gut, wie sonst auch. Bis auf die Tatsache, dass ich mit Edie zum Bingo gefahren bin, wir auf dem Weg von einem Polizisten angehalten wurden und sie letzten Endes aus Versehen seinen Streifenwagen gerammt hat.«

»Was?« Chrissies Augen werden kugelrund.

Ich stelle den Mehlsack auf der Arbeitsplatte ab und lehne mich gegen die Anrichte. »Es war ein ziemlicher Schlamassel. Sie hat zwar in den Spiegel geguckt, nicht aber in den seitlich und auf den blinden Fleck hat sie auch nicht geachtet. Er scherte aus, sie auch und schon rammte sie ihn. Da war es natürlich zu spät. Jetzt muss sie sich vor einem Richter verantworten, der entscheidet, ob sie zukünftig überhaupt noch fahren darf.«

»Gerüchten zufolge soll sie im Straßenverkehr eine wahre Bedrohung sein.«

»Ich bin nicht so sicher, ob das nur Gerüchte sind. Trotzdem hoffe ich, dass sich alles zum Guten wendet. Ein Führerscheinentzug würde sich für sie schwierig gestalten.«

»Darauf wette ich.« Chrissie schüttelt den Kopf. »Edie war schon immer sehr unabhängig. An die Möglichkeit, ihren Führerschein zu verlieren, will sie vermutlich nicht mal denken.«

»Ja, glaube ich auch. Im Ernstfall kann ich sie rumfahren, und Pearl und Dixie haben ihr das Gleiche zugesichert. Sie wird also nicht zu Hause vergammeln müssen.« Ich hebe den Mehlsack hoch und hieve ihn auf seinen angestammten Lagerplatz. »Mal was anderes«, sage ich und geselle mich wieder zu ihr. »Ich hatte Gelegenheit, mir die Bewerbungen anzusehen, die auf deinem Schreibtisch im Büro liegen, und da waren ein paar wirklich gute Kandidatinnen dabei. Vielleicht sollte jeder von uns einen Favoriten wählen und die beiden zu einem zweiten Vorstellungsgespräch einladen?«

»Das ist eine tolle Idee. Gus möchte, dass ich so schnell wie möglich mindestens zwei Leute einstelle und einarbeite. Dann hast du all die Hilfe, die du brauchst, wenn ich Wehen bekomme, und auch für die Zeit nach der Geburt.«

Sie streicht liebevoll über ihre Babykugel, und ich weiß, dass uns nicht mehr viel Zeit bleibt. Sie ist schon im siebten Monat, und wenn es bei ihr wie bei einigen meiner Freundinnen in Chicago ist, wird ihr in den letzten Schwangerschaftswochen nicht mehr nach Arbeiten zumute sein. »Auch wenn am Ende nur eine Kandidatin das Rennen macht, sollte ich die paar Monate klarkommen, in denen du ausfällst.«

»Weiß ich doch. Aber ich möchte, dass du zwei Tage in der Woche für dich hast, um Bingo zu spielen oder ... Keine Ahnung, auf ein oder zwei Dates zu gehen?« Schulterzuckend bedenkt sie mich mit einem Blick, den ich in letzter Zeit immer öfter registriere. Sie wünscht sich, dass ich noch ein Leben außerhalb ihres Ladens habe und einen Mann kennenlerne. Ein interessanter Sichtwechsel für sie, immerhin war sie selbst völlig auf ihr Geschäft fixiert, als sie ihren jetzigen Ehemann kennenlernte. Sie war nie auf der Suche nach der großen Liebe; die Dinge zwischen ihnen sind einfach so passiert.

So sehr ich ihr zustimme, dass ein Leben außerhalb dieses Ladens eine gute Sache wäre, die Datingwelt kann mir für den Moment gestohlen bleiben. Immerhin ist es noch nicht lange her, dass ich meinen Ex nach fünf Jahren Beziehung während der Planung unserer gemeinsamen Zukunft verlassen habe. Dieser Schritt war richtig, denn ihn zu heiraten, hätte nicht nur mich verletzt, sondern letztendlich auch ihn. Das hatte er nicht verdient.

Ungeachtet der Tatsache, dass ich Lance nicht liebte, war er mir wichtig. Unsere Beziehung war unkompliziert und unsere Zukunftspläne waren vorhersehbar. Er personifizierte alles, was sich meine Eltern für mich gewünscht hatten. Er war gebildet, stammte aus einer angesehenen Familie und war wohlhabend. Eine gute Partie und der wahrgewordene Traum meiner Eltern. Anderen kleinen Mädchen wird nahegelegt, zu lernen und hervorragende Schulleistungen zu erbringen, um eines Tages eine Karriere als Ärztin oder Anwältin einschlagen zu können. Mir wurde eingetrichtert, auf meine Figur zu achten, mich angemessen zu kleiden und nach einem Mann zu suchen, der mir ein gutes Leben ermöglicht.

Ich tat, wie geheißen. Im Alter von zweiundzwanzig Jahren lernte ich Lance kennen, während ich im Unternehmen seiner Familie als Sekretärin der Geschäftsleitung tätig war. Einen Job, den ich trotz des hohen Gehalts hasste; meine Eltern wiederum erachteten ihn als respektabel genug. Oder eher als akzeptablen Zeitvertreib, bis ich heiraten und Mutter werden würde. Den anschließenden Rest meines Lebens sollte ich meine Kinder großziehen und gelegentlich eine Wohltätigkeitsveranstaltung organisieren. Daher hatte ich nach Lances und meiner Verlobung nur einen Gedanken: Endlich, endlich sind meine Eltern glücklich, vielleicht werde ich es jetzt auch. Eine Hoffnung, die sich nicht erfüllte. Monate wurden zu Jahren und ich erkannte, dass ich auf diese Weise niemals mein Glück finden würde. Nicht, wenn ich mein Leben ausschließlich nach den Bedürfnissen anderer gestalte, um mir so ihre Liebe zu verdienen. Ich verließ Chicago mit dem Schwur, mich auf keinen Mann einzulassen, solange ich nicht mit mir und meiner Zukunft im Reinen bin.

»Erde an Anna.« Ich blinzle und werde von Chrisse aus meinen Gedanken gerissen, die mit den Fingern vor meinem Gesicht rumschnippt.

»Tut mir leid. Ich war für ein paar Sekunden ganz woanders.«

»Das habe ich bemerkt. Ist alles in Ordnung mit dir?« Sie studiert mich eingehend.

»Ja, keine Sorge«, winke ich ab. »Ich habe letzte Nacht nur nicht viel geschlafen.« Was keine Lüge ist. Anstatt ins Bett zu gehen, saß ich auf meiner Terrasse und beobachtete, wie die Flut hereinbrach und die Sterne den Himmel erhellten – etwas, das ich nicht als selbstverständlich erachte. Als ich noch in der Großstadt wohnte, nahm ich den Nachthimmel nie wirklich wahr. Klar, Sterne gab es dort auch, ich nahm mir aber nie die Zeit, sie zu genießen. Aber natürlich bestand kein Vergleich zu dem hier.

»Bist du wieder draußen eingeschlafen?«

»Nein.« Ich verdrehe die Augen. »Im Übrigen ist das nur ein einziges Mal passiert.«

»Ich weiß, aber es ist immer noch lustig, dass du aufgewacht bist, weil Edie, Dixie und Pearl nackt baden gegangen sind.«

»Klar, dass du das unterhaltsam findest, ich bin da anderer Ansicht.« Trotzdem kann ich mir bei der Erinnerung daran, wie sie sich, so wie Gott sie schuf, in die Fluten stürzten, ein Lachen nicht verkneifen.

»Die drei sind verrückt.«

»Ja, aber ist es nicht großartig, wie sie das Leben in ihrem Alter noch genießen?«

»Stimmt.« Sie wirkt nachdenklich. »Noch mal wegen des Datings. Ich kenne da vielleicht jemanden, der ...«

»Nein«, falle ich ihr ins Wort, ehe ich etwas sanfter fortfahre, weil ich sie nicht verletzen möchte. »Ich bin noch nicht bereit dafür.«

Sie greift nach meiner Hand. »Anna.«