Houston, Houston! - James Tiptree Jr. - E-Book
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Houston, Houston! E-Book

James Tiptree Jr.

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Beschreibung

Die titelgebende Erzählung "Houston Houston bitte kommen!" ist sicher eine der besten der Autorin sowie des gesamten Genres. Nach einer Weltraumreise wird ein irdisches Raumschiff in der Zukunft kurz vor seinem Anflug auf die Erde abgefangen - die durchwegs männliche Besatzung stellt fest, dass sich auf der Erde nur noch Frauen befinden... Für diese Erzählung erhielt James Tiptree Jr. 1977 - ihre Identität war zu diesem Zeitpunkt noch nicht aufgedeckt - den begehrten Hugo Award, den Nebula Award sowie den Jupiter Award.

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Seitenzahl: 745

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Inhaltsverzeichnis

Cover

Impressum

Über die Autorin

Titelseite

Buchanfang

Es liegt nicht an Ihrem Gerät

Drücken, bis kein Blut mehr kommt

Ihr Rauch steigt auf in Ewigkeit

Schlangengleich erneuert die Erde sich

Ein flüchtiges Seinsgefühl

Der Psychologe, der Ratten keine schrecklichen Dinge antun wollte

Houston, Houston, bitte kommen!

Bibertränen

Eure Gesichter, o meine Schwestern! Eure Gesichter voller Licht!

Sie wartet auf alle Geborenen

Die einzelnen Erzählungen

Die Werkausgabe

Leseproben

Band 1: DOKTOR AIN

Band 2: LIEBE IST DER PLAN

Band 4: ZU EINEM PREIS

Band 5: QUINTANA ROO

Band 6: STERNENGRABEN

Band 7: YANQUI DOODLE

Die Mauern der Welt hoch

Helligkeit fällt vom Himmel

James Tiptree Jr. – Houston, Houston!

Sämtliche Erzählungen , Band 3

Copyright © 2013, Septime Verlag, Wien

Alle Rechte vorbehalten

Copyright © by the Estate of James Tiptree Jr.

Lektorat: Bastian Schneider

Umschlag: Jürgen Schütz

EPUB-Konvertierung: Esther Unterhofer

ISBN: 978-3-903061-29-3

Printversion: Hardcover, Schutzumschlag, Lesebändchen

Mit einem Nachwort von Andreas Eschbach:Über James Tiptree Jr.: Wanderungen entlang der Grenze des Wahnsinns

ISBN: 978-3-902711-07-6

www.septime-verlag.at

www.facebook.com/septimeverlag

www.twitter.com/septimeverlag

Über die Autorin

James Tiptree Jr.

(1915-1987) ist das männliche Pseudonym von Alice B. Sheldon. Tiptrees geheimnisvolle Identität faszinierte die Fans und gab Anlass zu vielen Spekulationen, freilich glaubten alle, es müsse sich um einen Mann handeln. Die Aufdeckung, noch zu ihren Lebzeiten, war ein Schlag: Diese knappen, harten und frechen Kurzgeschichten, die nur allzu häufig mit dem Tod enden, waren von einer alten Dame mit weißen Federlöckchen verfasst worden.

Sie zählt unter Science-Fiction-Fans zu den großen Klassikern, gleich neben Philip K. Dick und Ursula K. Le Guin. Ihre Kurzgeschichten, die sie erst im Alter von einundfünfzig Jahren zu schreiben begann, und von denen einige wohl zu den besten des späten 20. Jahrhunderts gehören, brachten ihr schnell Ruhm und zahlreiche Auszeichnungen ein.

Dennoch litt sie ständig unter schweren Depressionen und Todessehnsucht. Nach einem vorab geschlossenen Selbstmordpakt erschießt Sheldon im Alter von einundsiebzig Jahren erst ihren vierundachtzigjährigen Mann und dann sich selbst.

James Tiptree Jr.

Houston, Houston!

Sämtliche Erzählungen

Band 3

Aus dem Amerikanischen von Bella Wohl, Laura Scheifinger, Andrea Stumpf,

Samuel N. D. Wohl, Michael Preissl und Frank Böhmert

Es liegt nicht an Ihrem Gerät

– live aus unserem Studio im wunderschönen Porcupine Crossing, die Stimme der Near North Woodlands. Leute, all denjenigen, die überzeugt waren, dass wir hier im oberen Bluegill County zu dieser späten Stunde keine fabelhaft faszinierenden Interview-

partner auftreiben würden, kann ich nur sagen: Sag niemals nie! Wow, unsere heutigen Gäste können sich sehen lassen. Vielen Dank an dieser Stelle an Uncle Carl’s Candlelight Supper-Club an der Route 101, übrigens bis direkt vor der Brücke asphaltiert. Nicht vergessen, Leute, bei Uncle Carl findet ihr gediegene Unterhaltung für die ganze Familie. Schaut einfach mal nach der Arbeit vorbei ... Oh Mann, diese Beef-Patties! Und nun würde ich euch gern unseren ersten Gast vorstellen, Mrs. Charlene Tumpak aus Wabago Falls. Mrs. Tumpak, Sie sehen großartig aus. Nennen Sie mich einfach Dick, in Ordnung? Jetzt würde ich aber gerne erfahren, wie es kommt, dass Sie zweiunddreißig neue Stoppschilder bei der Gemeinde einklagen, Mrs. Tumpak.

Sicher, Dick, haha. Naja, ich mag nun mal Stoppschilder. Tun wir das nicht alle?

Was sagt man dazu, Leute? Habe ich nicht gesagt, dass wir ein paar außergewöhnliche Persönlichkeiten kennenlernen werden? Mrs. Tumpak, möchten Sie nicht erzählen, was Ihnen an Stoppschildern so gefällt? Wann haben Sie diese Vorliebe entwickelt? Darf ich Charlene zu Ihnen sagen?

Sicher, machen Sie ruhig, mein Ehemann ist schwerhörig. Ach, ich schätze, das hat wohl alles mit dem Gelb angefangen.

Sie meinen, dass Sie, ähm, auf gelb stehen, Charlene?

Nein, Dick, zuallererst ist da dieses grüne Licht, das ist so furchtbar kalt. Als ob es einen vorantreiben wollte. Los, beweg dich – das sagt das Grün zu mir. Du hast hier nichts verloren. Total unfreundlich. Und dann wird es gelb, wissen Sie? Wärmer. Als ob es sich’s anders überlegt hätte.

Na, das ist mal eine faszinierende Idee, Leute, meint ihr nicht?

Ja. Und dann wird es rot. Ganz warm! Als würde es sagen, bleib ein Weilchen. Sieh dich um, entspann dich, sagt das Rot zu mir. Und das mach ich auch, so wie jeder von uns, oder etwa nicht? Immer was Neues um einen herum, und die ganzen anderen Autos, es ist wie eine Party. Ich liebe Partys.

Das ist ja eine richtige Philosophie, die Sie da entwickelt haben, Charlene.

Ja. Wenn ich also gelb sehe, werde ich immer ganz langsam. Weil es nämlich rot werden wird, wissen Sie. Und wenn ich das altbekannte Grün sehe, bremse ich auch, weil ja bald das Gelb kommen könnte, verstehen Sie? Und all diese kleinen Stoppschilder, die ohne Lichter, da kann man einfach stehen bleiben, solange man will und sich in Ruhe umsehen. Wissen Sie, was ich gestern gesehen habe, an dem Stoppschild auf der Fernstraße? Zwei Erdhörnchen. Ich sage lieber nicht, wobei ich sie beobachtet habe, haha. Wir brauchen mehr Stoppschilder, dann hätten die Menschen wieder mehr Zeit für sich.

Ich muss schon sagen, das ist eine faszinierende Theorie, Charlene. Sie haben erwähnt, dass jeder Stoppschilder mag. Können Sie auch ganz bestimmt sagen, dass es anderen Menschen genauso geht wie Ihnen?

Na klar, Dick. Sie winken mir schließlich immer zu. Und hupen. Du meine Güte, wie da immer gehupt wird.

Na, das war wirklich interessant, Charlene. Ich bin sicher nicht der Einzige, der Ihnen viel Glück bei Ihrer Kampagne für mehr Stoppschilder wünscht! Ist das nicht so, Leute? Yippie, und jetzt ist unser nächster fabelhafter Gast aus dem oberen Bluegill County an der Reihe, präsentiert von Bill and Betty’s Bait and Booze Shoppe, unserem Laden für Angelköder und Alkoholika am Square Corners. Leute, was auch immer für den einen kapitalen Fang fehlt, bei Betty bekommt man es! Und hört euch ihr Angebot der Woche an – zwei Dutzend Regenwürmer gratis zu jeder Flasche Wilkins Family, der Whiskey, den man nicht vergessen kann. Wow, behalten Sie mir eine Flasche auf, Betty! Und nun zu unserem ganz besonderen Gast, Mr. Elwin Eggars. Mr. Eggars ist aus London, England, hierhergezogen, Leute. Er wusste wohl, dass Near North Woodland unschlagbar ist, wenn man rund ums Jahr Spaß haben will! Erzählen Sie mal, Mr. Eggars, stimmt es, dass Ihre Geburt etwas unüblich verlief?

Nun, das kann man wohl sagen. Ich kam voll ausgewachsen auf die Welt. Bloß viel kleiner, versteht sich.

Ach du liebe Zeit, wollen Sie damit sagen, dass Sie bei der Geburt ein voll ausgewachsener Mann waren, Mr. Eggars? Nur klein?

Ganz genau. Glücklicherweise waren meine Eltern überzeugte Anhänger einer natürlichen Geburt. Ansonsten wäre es gleich vorbei mit mir gewesen, verstehen Sie.

Wieso das, Mr. Eggars?

Sie wissen schon, der Arzt. Der Gynäkologenbursche. Dabei war er eigentlich gar nicht der Chef, sondern ein Assistenzarzt, der mich auffing. Kaum machte ich die Augen auf, hielt er mich schon kopfüber nach unten. Ich boxte wild um mich, ich bekam ja keine Luft. Der ganze Schleim! Aber ich konnte den Hass, der mir entgegenschlug, spüren. Wenn mein Dad nicht da gewesen wäre, hätten sie mich ohne mit der Wimper zu zucken beseitigt.

Na Leute, das ist mal eine Geschichte, die das Leben schreibt! Wie kam es, dass Ihr Vater da war, Mr. Eggars?

Das ist das Natürliche an der Geburt, verstehen Sie, mit dem Ehemann – also meinem Dad, in dem Fall – an der Seite der Frau. Wirklich ein Riesenglück. Sie müssen wissen, dass meine Eltern die ganze Sache hundertmal in allen Einzelheiten besprochen hatten. Deswegen wusste ich auch genau, was auf mich zukommen würde. Eine Geburt ist eine entsetzliche Angelegenheit, ich war komplett erschöpft.

Ich bin überzeugt davon, dass unsere Zuschauer gern mehr über dieses einzigartige Erlebnis erfahren würden, Mr. Eggars. Möchten Sie uns erzählen, welche Rolle Ihr Vater dabei spielte?

Nun. Ich wusste, dass er da war, müssen Sie wissen, obwohl ich ihn da noch nicht sehen konnte, so kopfüber und um mich schlagend und mit dem ganzen Kleister. Aber sobald ich konnte, schrie ich nach ihm: »Dad! Dad! Hilf mir!« So laut wie nur möglich. Ich rief nach ihm, verstehen Sie, weil mir klar war, dass Mutter in keiner Verfassung dafür sein würde.

Und woher konnten Sie Englisch? So früh, meine ich?

Ach, das kam wie von selbst. Eher Bruchstücke, sollte ich vielleicht dazu sagen. Um den fünften Monat herum begann ich, einiges aufzuschnappen, wenn mich nicht alles täuscht. Ich erzähle Ihnen lieber nicht, was ich als Erstes lernte. Haha.

Ach, wieso denn nicht, Mr. Eggars? Unsere Zuschauer da draußen sind bestimmt genauso gespannt wie ich auf alles, was Sie uns erzählen. Wir wollen alles darüber erfahren, nicht wahr, Leute? Was haben Sie als Erstes gelernt, Mr. Eggars?

Ach nein, wirklich, das gehört sich nicht. Haha.

Kommen Sie schon, spannen Sie uns nicht auf die Folter, Mr. Eggars. Die Kinder sind schon alle im Bett.

Nun, haha. Lassen Sie es mich so ausdrücken. Kleinkinder lernen eine Sprache durch Assoziation, verstehen Sie. Wir sehen einen Hund und hören jemanden Miau sagen, oder was auch immer.

Wuff-wuff – aber erzählen Sie weiter.

Achja. Nun, ich konnte natürlich nichts sehen, aber ich konnte einiges spüren, müssen Sie wissen. Und sie reden hören. Und wenn man meine Lage in diesen ersten Monaten bedenkt, wird man unschwer verstehen, dass ich viele, sagen wir mal, »stechende« Erfahrungen machte, die mit bestimmten Wörtern assoziiert waren?

Fantastisch, wirklich fantastisch, hahaha.

Ich muss zugeben, dass mich das äußerst neugierig machte, müssen Sie wissen. Ich konnte nicht herausfinden, was zum Kuckuck die einfachsten Dinge bedeuteten. Verschiedene Gurgelgeräusche und Ähnliches konnte ich natürlich als Essen identifizieren, und das Rütteln war der Wagen, und so weiter. Aber stellen Sie sich mal den Versuch vor, andere Dinge zu enträtseln – das Hemd, zum Beispiel? Oder – naja, ich habe schon genug gesagt.

Hey Leute, ist es nicht absolut großartig, wie er spricht? Mr. Eggars, wie hat denn Ihr Paps reagiert, als Sie nach ihm riefen?

Er brachte den Assistenzarzt selbstverständlich dazu, mich loszulassen, und ich schaffte es, aufzustehen. Da hatte ich noch nicht realisiert, dass ich an einen Teil meiner Mutter gelehnt war. Aber ich sagte »Hallo, Dad« und gab ihm die Hand.

Sie haben sich die Hände geschüttelt, ehrlich?

Ja, das hatte ich die ganze Zeit vor, müssen Sie wissen. Ich war ziemlich stolz auf mich, dass ich es geschafft hatte herauszufinden, was Hände sind und so. Ich wollte mich unbedingt korrekt verhalten. Um ihm zu zeigen, dass er einen Sohn hatte, auf den er stolz sein konnte. Die richtige Sorte von Dad kann einen ja nachhaltig prägen. Und mein Dad war so einer.

Ich muss sagen, das ist eine wirklich bewegende Beschreibung. Und was war mit Ihrer Mutter?

Ach, ich hatte mich sehr darauf gefreut, sie kennenzulernen. Aber es war natürlich ziemlich verwirrend, alles zum ersten Mal zu sehen, und ich war verdammt dreckig – Verzeihung. Ich sagte zu Dad: »Könnte ich mich kurz frisch machen?« Er verstand sofort. Eine der Schwestern wusch mich mit einem Waschlappen. Ungeschickter Trampel. Ich glaube, der Assistenzarzt hatte sich schon aus dem Staub gemacht, und irgendjemand lag am Boden. Als ich halbwegs präsentabel war, hob Dad mich hoch und brachte mich zu Mutter – an ihr vorderes Ende, natürlich.

Was sagt man dazu, Leute? Was hat sie gesagt?

Nun, naja, all das war ziemlich emotional, müssen Sie wissen. Ich dankte ihr natürlich; ich hatte schon längere Zeit darüber nachgedacht, was ich zu ihr sagen würde. Ich hatte das Gefühl, sie bereits zu kennen, verstehen Sie. Ich glaube mich zu erinnern, dass ich sie küsste. Auf die Wange.

Ich wette, das hat sie gefreut.

Sie war nicht allzu gesprächig, die Arme. Aber sie bewunderte meine Hände. »So klein und schon so perfekt geformt«, sagte sie. Sie wissen ja, wie Mütter sind.

Das können Sie laut sagen. Leona, also meine Frau, sie dreht komplett durch, wenn irgendwo ein Kinderwagen herumsteht. Also gab es keine ernstzunehmenden Schwierigkeiten?

Ach, die übliche Eingewöhnungsphase, denke ich. Das einzige kleine Problem war das Füttern, müssen Sie wissen.

Was meinen Sie damit?

Nun, im Hinblick auf ihre Einstellung bezüglich der natürlichen Methode hatten meine Eltern selbstverständlich geplant, dass meine Mutter mich stillen würde.

Ich kann Ihnen nicht recht folgen, Mr. Eggars. Was ist schiefgelaufen?

Ach, gar nichts, wirklich. Bloß etwas peinlich war das Ganze, müssen Sie wissen. Und die Größe. Stellen Sie sich vor, wie Sie sich fühlen würden, wenn man Ihnen einen Dreißig-Zentimeter-Nippel ins Gesicht strecken würde! Etwas unangenehm. Aber wir rauften uns im Nullkommanichts zusammen, sobald ich ihr erzählte, wie sehr ich mich schon darauf gefreut hatte, einige der Gerichte auszuprobieren, von denen ich so viel gehört hatte. Vor allem Bubble-and-Squeak, wenn ich mich recht erinnere. Sie war natürlich eine absolut vorzügliche Köchin, meine Mutter. Ein Jammer.

Bubble-and-Squeak, das muss ich unbedingt mal probieren. Nun, im Namen all unserer Zuschauer da draußen möchte ich Ihnen ganz herzlich dafür danken, dass Sie Ihre zutiefst menschliche Erfahrung mit uns teilten, Mr. Eggars. Wieder was gelernt, nicht wahr, Leute? Und wir freuen uns, Sie im wunderschönen Bluegill County, dem Ferienland in den Wäldern, willkommen zu heißen, Mr. Eggars. Und nun zu unserem nächsten Gast, präsentiert von Rudy’s Wrecker and Rescue Service, dem Abschlepp- und Rettungsdienst, telefonisch zu erreichen unter Mud Lake 205, drei Mal kurz läuten lassen. Rudy lässt uns ausrichten, dass der Rettungswagen nagelneue Sitzpolster hat. Und er hat das kleine Problem in puncto Jagdsaison gelöst, Leute. Seine Schwiegermutter wird für eine Weile bei ihm und seiner Frau wohnen und immer schön in der Nähe des Telefons bleiben. Nicht vergessen, wenn ihr oder eure Lieben Hilfe benötigen, ruft an Mud Lake 205, drei Mal kurz läuten lassen – viel Glück. Und jetzt begrüßen wir unseren nächsten Gast, Mr. Al Rappiola aus Timberton. Schön, Sie kennenzulernen, Al. Ich habe gehört, dass Sie ein Problem mit der Zeit haben?

Naja, ich eigentlich nicht, Dick, sondern meine Frau. Sie kommt aus Oshkosh.

Oshkosh, tatsächlich? Ich schätze, die haben da unten einiges nicht mitbekommen, was? Haha. Nichts für ungut, Al. Wo liegt nun das Problem?

Naja, es ist mir kurz nach unserer Hochzeit aufgefallen. Also eigentlich am Tag danach, haha. Wir sind nach Thousand Lakes gefahren, das ist ein großartiges Plätzchen für die Flitterwochen. Wie auch immer, am nächsten Morgen wache ich auf und erwische sie gerade noch dabei, wie sie mit allen Siebensachen die Hütte verlassen will. Also sage ich zu ihr: »Hey, Marie, wo willst du denn hin?«

Das scheint mir eine logische Frage zu sein, Al.

Ja, wissen Sie, ich dachte schon, ich hätte was angestellt. Aber dann hat sich herausgestellt, dass sie gar nicht sauer war, sie war nur fertig zum Aufbruch. Als ob das ganz normal wäre. Also sage ich zu ihr: »Marie, mein Schatz, wir sind verheiratet!« Und sie sagt nur: »Das war gestern, Al. Willst du damit sagen, dass du heute immer noch verheiratet sein willst?« Naja, darauf ich: »Was ist los mit dir, mein Schatz? Klar will ich das!« Ich hab das Ganze für einen Witz gehalten. Also ist sie geblieben und alles war eins a. Einfach großartig. Aber am nächsten Morgen hat sie dieselbe Nummer gebracht. Und am Tag darauf wieder, und so weiter. Jeden Morgen.

Wow, das ist seltsam, nicht wahr, Leute? Wie sind Sie mit der Situation umgegangen?

Naja, es war nicht leicht, das kann ich Ihnen sagen. Es war, als ob sie nicht glauben konnte, dass etwas, was an einem Tag passiert, am nächsten Tag noch gilt. Als ob sich über Nacht alles auswaschen würde. Alles. Ich musste sie immer und immer wieder davon überzeugen, dass wir noch verheiratet waren. Sie war aber ein wahrer Schatz in der Hinsicht, muss ich schon sagen. Ich konnte sehen, dass sie gerne bei mir blieb. Um ehrlich zu sein, dachte ich lange, dass sie nur simuliert, bis wir unseren Hochzeitstag hatten.

War das Ihr erster Hochzeitstag?

Ja, wir haben unsere Eltern und eine Menge älterer Verwandter zu einem großen Abendessen eingeladen. Nun, ich hatte das ganze Jahr über ziemlich viel in der Arbeit zu tun, deswegen haben wir die Feierlichkeiten sozusagen verschoben. Also war das eine große Sache. Und dann, an dem Tag, an dem die Party stattfinden sollte, komme ich von der Arbeit heim und sie putzt gerade den Ölbrenner, in ihren Jeans. Und kein Essen, nichts.

Du liebe Zeit, Al, das ist wirklich Besorgnis erregend.

Oh ja, wir haben uns ordentlich gefetzt, kann ich Ihnen sagen. Ich kann mich erinnern, dass sie zu mir sagte: »Willst du mir sagen, dass all diese Leute sich in Autos und Busse setzen und von weiß Gott woher anreisen, um heute Abend zu uns zu kommen – nur wegen etwas, was wir vordrei Wochen gesagt haben? Ich glaub es einfach nicht!« Sie war so ernst, Mann, da hab ich echt begonnen, mir Sorgen zu machen. Naja, die Party war ziemlich verrückt. Als die alle bei uns auftauchten, das hat sie echt fertiggemacht, wissen Sie? Als ob sie Gespenster sehen würde. Aber ich konnte sehen, dass sie sich eigentlich freute, alle zu sehen, nachdem sie den ersten Schock überwunden hatte.

Sagen Sie, haben Sie sich gar nicht um ihre psychische Verfassung gesorgt, Al?

Ach nein, sie ist nicht verrückter als ich, abgesehen von der einen kleinen Macke. Marie geht’s gut. Naja, nach der Party stand sie für ein Weilchen etwas neben sich. Sie hat mir dann aufgetragen, eine Liste zu schreiben, jeden Tag. Die ganzen Dinge, die sie nicht vergessen darf, vor allem Arzttermine und ähnliches Zeugs. Sie trägt sie zusammen mit unserer Heiratsurkunde mit sich rum, haha. Was auch immer ich auf die Liste schreibe, sie macht es. Und jetzt, wo sie schwanger ist, muss ich natürlich besonders aufpassen. Sie macht mich dafür verantwortlich, mehr oder weniger.

Sie meinen, für das Baby, haha?

Das können Sie annehmen. Nein, ich meine, sie macht mich dafür verantwortlich, dass es Konsequenzen für Dinge gibt, die man macht. Sie behauptet, dass bis zu unserer Hochzeit alles – ich meine die ganze Welt, Sie und ich und alle bis auf Marie – um Mitternacht einfach verschwunden ist. Jeder Tag war ein Neuanfang, sagt sie. Jetzt denkt sie, dass es meine Schuld ist. Ich schätze, sie wartet immer noch darauf, dass das Ganze irgendwann vorbeigeht. Manchmal erwische ich sie bei kleinen Tricks.

Können Sie unseren Zuschauern von diesen kleinen Tricks erzählen, Al? Ich wette, sie finden all das ganz furchtbar spannend.

Ach, Sie wissen schon, Kindereien. Sie steckt sich Blätter in die Schuhe und solchen Unsinn. Verstehen Sie mich nicht falsch, Dick. Wir haben alle unsere Macken. Abgesehen davon kann man sich keine bessere Ehefrau vorstellen. Ich meine, Marie ist spitze, wirklich. Hey, mein Schatz! Ich bin ein echter Glückspilz.

Was für ein schöner Schluss, Al, habt ihr das mitgekriegt, Leute? Oh, oh. Apropos Mitternacht, wie ich sehe, haben wir nur noch ein paar Sekunden übrig. Aus unserem Studio im wunderschönen Porcupine Crossing wünsche ich Ihnen allen in den Near North Woodlands eine gu-

Drücken, bis kein Blut mehr kommt

Als der Mann, der das bewaldete Tal liebte, erwachte und sah, wie die jungen Männer farbenfroh bemalte Pfähle herbeischleppten, wurde er aufmerksam. Und mit einiger Mühe, denn sein Entsetzen war groß, verstand er. Da blickte er um sich und erkannte, dass die Dinge weiter vorangeschritten waren, als er bemerkt hatte: dieses hier war in der Tat das letzte Tal. Und eilends ging er zu den Leuten, die an den Hängen des Tals wohnten, um ihnen die Lage zu schildern.

Sie werden eine riesige Autobahn durch das Tal bauen, sagte er, Kettensägen werden die Bäume fällen, die uns Sauerstoff geben, und Planierraupen werden die Erde aufreißen, das Leben in ihr zerstören und auch ihr Wasser, das wir trinken. Die Schönheit und Ruhe werden dem schrecklichen, unablässigen Lärm der Fahrzeuge weichen, die ihre stinkenden Abgase in den nutzlosen Wind blasen, und die liebliche Seele der Erde, die hier, in diesem letzten Tal, noch lebt, wird für immer verloren sein.

Und die ersten Talbewohner antworteten: Nun, das ist furchtbar und bedauerlich, Gott sei Dank haben Sie uns darauf hingewiesen, denn unser Sohn soll Medizin studieren, und jetzt können wir unser Land verkaufen und ihn unterstützen. Und die nächsten Leute sagten: Das sind in der Tat schockierende Neuigkeiten, und wir wissen das, was Sie tun, wirklich sehr zu schätzen, aber es nützt nichts, wenn wir etwas unterschreiben, denn wir ziehen wegen einer Stellung im Ausland weg von hier; hier sind zehn Dollar. Und der nächste Mann sagte: Das ist ja ein unglaublicher Skandal, ich bin so froh, dass Sie mich darauf aufmerksam gemacht haben, denn meine Frau liebt die Natur, und ihr Gesundheitszustand ist so labil, dass der Anblick dieser grauenvollen Zerstörung sie umbringen würde; deshalb muss sie schnell fort von hier, ich wünsche Ihnen alles Glück der Welt. Und eine Frau sagte: Ja, das ist einfach entsetzlich, und ich würde Ihre Petition wirklich gern unterschreiben, wenn nur mein Mann nicht im Betongeschäft wäre. Ein anderer Mann sagte: Es ist eine verdammte Schande, die Wälder zu zerstören, aber wie sagt man so schön: Wenn du sie nicht schlagen kannst, verbünde dich mit ihnen, und mein Schwager möchte, dass wir zusammen einen Stand mit Brathähnchen eröffnen. Wieder eine andere Frau sagte: Ja, das ist wirklich traurig mit den Bäumen und all den kleinen Tieren, aber bedenken Sie, wie glücklich all die Leute sein werden, hier durchzufahren, und was ist wichtiger, ein Baum oder ein Mensch? Und die zwei Mädchen, die am Ende des Tals wohnten, sagten: Das ist doch alles bürgerliche Scheiße, wisst ihr denn nicht, dass man Babys verbrennt?

Dem Mann wurde klar, dass von den Leuten keinerlei Hilfe zu erwarten war. Dann erinnerte er sich an das große Horn, das aus einem Mammutzahn gefertigt und im geheimen Herz der Wälder vergraben worden war. Die Jahre und die Natur hatten es mit grüner Patina überzogen, und er wusste, dass man es bisher nur einmal geblasen hatte, in einem außergewöhnlichen Notfall. Also grub er es aus und ließ drei lange, feierliche Hornstöße erschallen, die sich anhörten wie das Ächzen von Gletschern. Und als er es niederlegte, schauten ihn alle Tiere an, jedes einzelne Lebewesen des Waldes.

Ihr Geschöpfe der Erde, rief er, hört mich an! Ihr Hasen, hört auf, die grünen Blätter zu fressen! Füchse, hört auf, die Hasen und Vögel zu jagen! Habichte, hört auf, die Wühlmäuse und Eichhörnchen aufzuspüren, und all ihr kleinen Vögelchen, hört auf, Insekten zu fressen! Und ihr Insekten, hört auf, die Säfte der Pflanzen auszusaugen, und ihr, Bäume, Farne und Schlingpflanzen, lasst eure Wurzeln keine Nahrung mehr aus dem verkeimten Lehmboden ziehen, und hört mich an! Und du, Hirsch des Waldes, ihr Waschbären, die ihr die Frösche aus dem Bach verspeist, und all ihr Frösche und Molche, ihr Grillen und Spinnen, ihr Maulwürfe und Mäuse in euern Erdhöhlen, hört mich an und gebt Acht!

Meine Brüder, die Menschen, sagte er zu ihnen, haben vor, eine Straße durch dieses Tal zu schlagen! Ihre riesigen Maschinen werden die lebendige Erde aufreißen und die Nester der Feldmäuse und die Wachteljungen zermalmen, sie werden die großen Bäume fällen und niederwalzen samt eurem Zuhause und eurem Nachwuchs, sogar die Bienen in ihren Stöcken, sie werden euch alle zerschmettern und zu einem gewaltigen Totenberg auftürmen. Sie werden die geschundene Erde mit einer Betondecke versiegeln, der köstliche Regen wird in einen stinkenden Kanal abfließen, und Schimmel und Mulm, aus denen die lebendige Erde besteht, werden sich in den fernen Ozean ergießen, so dass dort die Fische verenden. Kein Wasser wird mehr in die Erde sickern, um sie zu erfrischen, und selbst die Bäume, die sie zerfetzt und verkrüppelt stehenlassen, werden sterben, und mit ihnen die letzten von euch, alle Tiere und Vögel. Auf dem Lehmboden werden sie harte Borstengräser aussäen und sie mit Giften besprühen, und der Gestank ihrer verbrannten Kraftstoffe wird die Luft mit Tod erfüllen. Die Menschen, die in einem Strom von dröhnenden Fahrzeugen vorbeifahren, werden Müll und Dreck hinauswerfen und euern Jungen, wenn sie das fressen, unablässig neue Todesarten bescheren. Selbst ihr Schmetterlinge und geflügelten Wesen werdet auf ihr vorbeirasendes Metall prallen und zerquetscht werden. Tut euch mit mir zusammen, und wir werden dagegen kämpfen!

Als die Geschöpfe das hörten, schauten sie erst einander an, dann den Mann, und sie verstanden, denn sie hatten das Horn für den außergewöhnlichen Notfall vernommen. Und der alte Dachs aus der Höhle, den noch nie jemand zu Gesicht bekommen hatte, trat vor und sprach für sie alle. Er sagte: Oh Mensch, wir hören und verstehen! Dies ist wahrlich eine Zeit, in der wir zusammenhalten und um unser Leben kämpfen müssen. Und das werden wir! Überdies wird sich ein noch nie dagewesenes Schauspiel bieten, denn hinter uns wird sich die Ehrfurcht gebietende Macht und Majestät unserer Mutter, der Erde, erheben, die auch die Mutter von euch Menschen ist, auch wenn ich nie verstanden habe, warum. Sie wird uns unbesiegbare Kräfte verleihen. Selbst die zarten Flügel der Eintagsfliege und die sanftesten Maulwürfe werden den Zorn unserer bedrohten Mutter in sich tragen. Wenn eure mörderischen Maschinen eintreffen, werden wir ihnen mit noch nie dagewesenem Terror begegnen, und die Menschen werden schließlich begreifen, was Angst ist, und fliehen!

Worauf der Mann sagte: So sei es. Ich werde euch beistehen.

Und als dann eines Morgens die großen gelben Maschinen zum Ausweiden der Erde dröhnend am Horizont auftauchten und in das kleine Tal einfuhren, standen alle Geschöpfe des Waldes da, bereit, sie zu empfangen. An ihrer Spitze war die Luft erfüllt von Motten, Schmetterlingen und sämtlichen Insekten, die in Wellen und Wolken herbeiflogen, am Boden standen Mäuse, Frösche und Schildkröten in Reih und Glied, und um sie herum waren selbst die kleinsten Grashalme und die Blätter der Bäume aufgerichtet und hart wie Spieße. Hinter ihnen warteten die Armeen der Waldmurmeltiere, Eichhörnchen und Füchse, alle tiefernst, bis hinunter zu den Waschbärjungen mit ihrem unnatürlich grimmigen Blick. In ihrer Mitte stand der stolze Hirsch des Waldes, die Sonne ließ sein Geweih glänzen, und neben ihm stand der Mann. Und jeder Einzelne von ihnen spürte, wie die Kraft ihrer Mutter, der Erde, sie durchströmte und sie letztendlich unbesiegbar machte, so etwas hatte es noch nie gegeben. Und aus dem Himmel stießen die Vögel in Geschwadern herab, große und kleine, ein überwältigender Anblick, und alles vollzog sich in vollkommener Stille, denn sie ist die Stimme der Erde.

Als der erste Planierraupenfahrer sie erblickte, schrie er in sein Funksprechgerät: Hey, seht euch die Vögel an! Und der zweite Fahrer brüllte zurück: Herrgott, da ist ja ein Arsch voll Tiere drin! Und der dritte Fahrer rief: Passt auf, vielleicht sind sie tollwütig oder so, ich kann nichts sehen; meine Scheibe ist voller Insekten. Und mit einem Ruck kamen sie alle zum Stehen.

Doch der Kolonnenführer preschte in seinem Jeep nach vorne und schrie: Her mit der Flinte, da ist ein Bock! Bei Gott, so ein Gestell hab ich nicht mehr geschossen, seit ich ein Junge war! Und die Hilfsarbeiter rannten zu ihm hin und begannen, massenhaft chemische Nebelkampfstoffe in die Luft zu ballern.

Der erste Planierraupenfahrer sagte: Mir ist schlecht. Wenn dir schlecht ist, geh nach Hause, rief der Kolonnenführer, bei Jesus Christus, den Bock kriege ich.

In diesem Augenblick trat der Mann aus dem Wald heraus, stand mit erhobenen Armen vor ihnen und sagte: Halt! Im Namen unserer ehrwürdigen Mutter, der Erde, gebiete ich euch Einhalt. Dieses Tal steht für alle Zeiten unter ihrem Schutz. Kehrt um und geht!

Der zweite Planierraupenfahrer fragte: Was ist das graue Ding dort? Hört ihr auch so ein Quieken?

Der Kolonnenführer nahm den Hirsch ins Visier und antwortete: Nur ein Schatten, gottverdammt, siehst du jetzt schon Gespenster?

Als der Mann diese Worte hörte, spürte er einen Luftzug und plötzliche Schwäche. Er blickte an seinem Körper hinunter und sah, dass die Luft durch ihn hindurchströmte; in der Tat, er war nur ein grauer Schatten. Da stöhnte er und sagte: Ja, es ist wahr. Ich bin nur ein Gespenst. Ich bin tot. Jetzt erinnere ich mich.

Und der Kolonnenführer feuerte aus beiden Gewehrläufen, krach, bumm, traf den Hirsch aus dem Wald genau in den Hals, und das herrliche Geweih fiel und bohrte sich in den Boden.

Der erste Planierraupenfahrer sprang heraus und sagte: Geh zum Teufel. Ich hau hier ab. Doch der Kolonnenführer lief hin, schleppte den Hirsch heran, wuchtete ihn in den Jeep und kletterte selbst in das Führerhaus der Planierraupe, wobei er johlte: Auf geht’s! Und die Reihe der Erdzerstörer rückte vor.

Die Füchse, Waschbären und Streifenhörnchen und alle Tiere bleckten die Zähne und riefen die dunkle Kraft der Erde an, hielten tapfer ihre Stellung rings um das menschliche Gespenst, und der alte Dachs tauchte seine mächtigen Krallen in das Blut des getöteten Hirsches und griff an. Die Vögel stießen kreischend herab, die Wachteljungen und Mäuse stürzten sich in die Reifen, um sie zu blockieren, Schwärme von Schmetterlingen und Bienen überfluteten die Führerhäuser, und sie alle riefen dabei ihre Mutter an, die Erde.

Doch die schrecklichen Maschinen wälzten sich gleichgültig vorwärts, ihre furchtbaren Klingen zerfetzten die Wurzeln der Bäume und türmten sie mitsamt der Erde, den Knochen und Leibern der Tiere zu riesigen Wällen auf, und hinter ihnen dröhnten immer mehr Maschinen heran und schaufelten alles zusammen, Pirolnester, Dachszähne und Mäuseaugen, Blumen, Gesteinsbrocken, die Milch der Eichhörnchen, alles zermahlen zu einem gewaltigen Totenberg, unten in der Mitte des Tales.

Danach kamen die Kieslastwagen, die Blausteinmühlen, die Planierer, die Verleger der Armierungsstangen, sie alle wogten hin und her, streckten alles nieder und drehten es durch die Mangel, Tag und Nacht, und die Regengüsse spülten das Blut und den Mulm in einer Sturzflut ins Meer. Bald hatten sie ein perfekt planiertes Band aus Beton über die gesamte Länge des ermordeten Tals gespuckt. Als alles fertig war, sagte der Kolonnenführer: Jungs, das ist ein wunderbarer Job, ich werde diesen Winter nach Florida fahren, in der Sonne sitzen und Bier trinken. Mann, ihr solltet sehen, wie schön das Geweih geworden ist, ich habe es eigenhändig auf Walnussfurnier montiert.

Nachdem das Tal von einem Ende zum anderen betoniert war, säten die Landschaftsgärtner büschelweise Borstengräser in der toten Erde aus und bedeckten sie mit einer Schicht aus Stroh und Teer, und der Bauunternehmer erschien höchstpersönlich und sagte: Na, das ist doch richtig schön geworden.

So wurde die Straße schließlich eröffnet, und all die Leute, die den Tag ungeduldig herbeigesehnt hatten, begannen wie wild draufloszufahren, jauchzten über ihre fantastischen Pferdestärken, über den Lärm und die Geschwindigkeit, mit der sie in den nächsten Verkehrsstau hineinrasten, all die glücklichen Leute mit ihren Wohnmobilen, Limousinen, Minis, Pritschenwagen, hochgezüchteten Protzkarren und Käfern, mit ihren Armaturenbrettern, Zweirädern und PKW-Kombi-Modellen, und alle auch noch mit Klimaanlage. Sie öffnen ihre Fenster nur, um Papier und Plastik rauszuwerfen, Blech und Glas, dessen Scherben sich in den Wurzeln des Borstengrases verfangen und in der trüben Sonne wie Brenngläser wirken, und das Regenwasser wird in raffiniert konstruierten Schleusenkanälen abgeleitet, so dass das Fleisch der Erde austrocknet und das Meer verschmutzt. Und die glänzenden Wagen rasen reibungslos weiter, Tag und Nacht, verbrennen das schwarze, geheime Blut der Mutter und stoßen seinen Rauch in die leblose Luft.

Die Leute sind glücklich in ihren Autos, die über die schöne neue Straße surren. Nur manchmal, wenn sie dort entlangrasen, wo einst das Tal lag, werden ihre Mienen verkrampft und düster und sie verspüren vorübergehend die absurde Angst, ihre Fahrzeuge vielleicht nie mehr anhalten, nie mehr aus ihren Blechhüllen aussteigen zu können, sondern für immer und ewig weiterdröhnen zu müssen. Doch sie wissen, dass das Unsinn ist. Nichts wird sie aufhalten. Sie werden ihr Ziel erreichen.

Und wenn sie tatsächlich, endlich, am Ziel angelangt sind, werden einige von ihnen vielleicht die Zeit haben zu fragen: Wozu sind wir eigentlich hierhergekommen?

Ihr Rauch steigt auf in Ewigkeit

Die Rückkehr beschleunigt sich, katapultiert ihn in seine Stiefel und auf die geschotterte Passstraße, die Hand im Fäustling liegt auf dem rostigen Kleintransporter, einem International Baujahr 1935. Kälte strömt in seine jugendlichen Lungen, seine Wimpern sind voller Eisklümpchen, während er prüfend auf den See blickt, tief unterhalb des Passes. Er steht in einem kahlen, trostlosen Kessel mitten in den Bergen, die in der Morgendämmerung ihr erstes Rostrot zeigen; nirgendwo die geringste Deckung, kein Baum, kein Felsen.

Der See liegt leer und glänzend unter ihm, sein breiter Rand aus Eis wird vom untergehenden Mond in Silber getaucht. Er sieht klein aus, alles sieht klein aus von hier oben. Der Kratzer dort am Ufer, ist das sein Boot? Ja – es ist da, alles in Ordnung! Die schwarze Schneise, die sich vom Boot zu der mit Teichbinsen bewachsenen Stelle schlängelt, ist die Fahrrinne, die er gestern Abend ins Eis gebrochen hat. Freude durchströmt ihn und lässt sein Herz wild hämmern. Das ist es. Das – ist – es.

Er kneift die Augen zusammen und kann die schwarzen Binsenstängel gerade noch erkennen. Dazwischen schwarze Knäuel – schlafende Enten. Wartet nur! Sein Grinsen lässt das Eis in seiner Nase knacken. Die Binsen werden ihm als Deckung dienen – die perfekte Stelle da draußen. Etwa achtzig Meter, zu weit, um vom Ufer aus zu schießen. Dort wird er sein, wenn der Morgenschwarm rüberkommt. Der alte Tom hat gesagt, er sei verrückt. Verrückter Petey. Warte nur. Verrückter Tom.

In der ungeheuren Stille hört man, wie der Motor des Kleintransporters knackt, während er abkühlt. Kein Echo hier oben, zu trocken. Kein Wind. Petey lauscht angestrengt; ein dünnes Wimmern in den Gipfeln über ihm, ein kaum hörbares Quaken vom See dort unten. Erwachen. Mit einem scharrenden Geräusch schiebt er den gefrorenen Drillichärmel über seine Geburtstagsuhr nach hinten und ist einen kurzen Moment lang seltsam verwundert über sein knochiges Handgelenk eines Vierzehnjährigen. Fünfundzwanzig – nein, vierundzwanzig Minuten bis zur Entensaison. Eröffnungstag! Ein Schauer der Erregung durchrieselt ihn und lässt seinen Schwanz gegen die kratzigen langen Unterhosen schnellen. Ein Gentleman holt sich keinen runter. Er greift in den Kleintransporter und hebt ehrfurchtsvoll die brandneue doppelläufige Fox CE, Kaliber 12, heraus.

Durch die Fäustlinge hindurch spürt er die Kälte der Gewehrläufe. Zum Schießen wird er obendrein noch einen davon ausziehen müssen: das wird eisig. Petey wischt sich mit dem Ärmel die Nase, stößt drei Finger durch den aufgeschnittenen Handschuh und legt das Gewehr an. Eis im Visier. Rauspusten geht nicht, also schlägt er unbeholfen leicht dagegen. Hätte es nicht in den Schlafsack stecken sollen. Er fummelt zwei schwere Sechser aus seiner Patronentasche, lädt die süßen blauen Bohnen und kann vor Freude kaum atmen. In seinen Händen hält er zigtausend dämliche Bündel des Albuquerque Herald und einen ganzen Sommer lang Lehmziegeldecken für Mr. Noff – alles verwandelt in dies hier: sein EIGENES GEWEHR, formvollendet und mit großer Sorgfalt ausgewählt. Nie mehr die stinkende Bockflinte vom alten Tom mit dem kaputten Visier ausleihen. Sein eigenes Gewehr, mit seinen Initialen auf dem silbernen Schild am Kolben.

Begeisterung durchströmt ihn, steigt gefährlich an. Mit dem Gewehr in der Hand lässt Petey den Blick noch einmal über die gewaltigen kargen Hänge schweifen. Menschenleer, nur er, sein Boot und die Enten. Der Himmel hat jetzt ein kaltes, irres Rosa angenommen. Er steht auf einer Bergspitze des Great Divide in dreitausend Metern Höhe, auf dem Hauptpass der westlichen Zugstraße. In der Morgendämmerung, am Eröffnungstag … Was, wenn jetzt Apachen auftauchen? Diese Berge gehören den Mescalero-Apachen, doch er hat hier draußen noch nie einen gesehen. Sein Vater sagt, die hätten alle TBC oder so. Sind sie früher auf Pferden hierraufgeritten? Sie würden winzig klein aussehen; die andere Seite ist mindestens zehn Meilen entfernt.

Petey späht angestrengt auf eine buschige Stelle am gegenüberliegenden Ufer, kommt zu dem Schluss, dass es sich nur um Beifußsträucher handelt, nimmt aber dennoch Schlüssel und Axt aus dem Wagen, für alle Fälle. Er hält die Axt weit weg vom Gewehr und beginnt den Abstieg zum See. Vor heftigem Herzklopfen und weichen Knien spürt er kaum, wie seine Füße über die Felsen rutschen. Die ganze Welt scheint vor Anspannung beinahe zu bersten.

Er ermahnt sich, Ruhe zu bewahren, und blinzelt, um die sonderbare Schwärze vor seinen Augen zu vertreiben. Er stolpert, fängt sich, muss stehenbleiben und sich die Augen reiben. Alles blinkt schwarz-weiß – der Mond springt aus dem schwarzen Himmel wie der Scheinwerfer einer Lokomotive und gleitet auf der Dunkelheit dahin, die Luft ist erfüllt von eigenartigem Summen. Verdammt, bloß keinen Höhenkoller kriegen, nicht jetzt! Er zwingt sich, tief durchzuatmen, und geht weiter nach unten, seine Stiefel knirschen hart und rhythmisch wie beim Slalom-Ski, die schweren Patronentaschen schlagen ihm gegen die Beine, nach unten, er geht jetzt schneller, nach unten zu dem wartenden Boot.

Als er näher kommt sieht er, dass sich auf der offenen Fahrrinne über Nacht eine dünne Eisschicht gebildet hat. Gut, dass er die Axt dabeihat. Ein paar Enten ziehen neben dem Eis langsame Kreise. Eine von ihnen bäumt sich auf, quakt und flattert und reckt ihren großen keilförmigen Kopf: eine Riesentafelente!

»Na, du Schönheit«, sagt Petey laut und beginnt zu rennen, zu rutschen, sein Herz hämmert liebestrunken, er ist ganz heiß auf den ersten Ansturm, das erste Rauschen. »Ich schieße nie auf schwimmende Enten.« Die Tropfen aus seiner Nase sind gefroren. Er stellt sich vor, wie er sich in den Binsen versteckt, wenn die Schwärme über den Pass kommen, und denkt dabei an den alten Tom, der in ihrem Camp zwischen den Felsen hockt. Sich den Brandy hinter die Binde kippt, über den schlabbrigen Gaumen; der von den Tagesanbrüchen träumt, die er im Ersten Weltkrieg auf den Flugplätzen erlebt hat, davon träumt, eine Gans zu schießen, der langsam stirbt an TBC. Verrückter alter Trottel. Na warte. Petey stellt sich sein Sperrholzboot vor, bis zum Rand gefüllt mit den herrlichen Perlmuttbrüsten und rotschwarzen römischen Nasen der Riesentafelenten, blutig und steif, und quer darüber die jungfräuliche Zwölfkaliber, die ihr Werk vollendet hat.

Und auf einmal ist er beim Boot, versucht noch immer, das merkwürdige Gefühl von Unwirklichkeit wegzublinzeln. Schon seltsam, hier auf die eigenen Fußspuren zu stoßen. Das winzige Boot und die vier mit Reif bedeckten Vogelattrappen sind in Ordnung, aber die Fahrrinne ist vereist, und zwar richtig. Er legt Gewehr und Axt ins Boot und stößt es vom Ufer ab. Es stockt, knallt gegen die neue Eisschicht und gleitet darüber.

Verdammt, ist die dick! Gestern Abend konnte er sie ganz leicht durchbrechen und sich mit dem Paddel freistaken. Jetzt stapft er ein paar Meter hinaus und zieht das Boot hinter sich her. Das Eis gibt nicht nach. Verdammt! Er macht noch ein paar vorsichtige Schritte – und hört plötzlich das wuuh-wuuh, wuuh-wuuh der anfliegenden Enten. Sie kommen – und er steht hier draußen, auf freier Fläche! Er lässt sich neben das Boot fallen und späht in den strahlendweißen Himmel über dem Pass.

Oh mein Gott – da sind sie! Neunzig Meilen pro Stunde, mit Rückenwind, ein großer Schwarm! Er presst das Gewehr an sich, um sein Glänzen zu verbergen, und beobachtet, wie die heranbrausenden Vögel die Flügel aufstellen, sich mit baumelnden Schwimmhäuten in schwarze Halbmonde verwandeln, die sein Blut gerinnen lassen, Jagdbomber im Sturzflug – doch sie haben ihn gesehen, drehen laut quakend in großem Bogen ab, landen weit weg von ihm, jenseits der Binsen. Er hört das ferne Durchschneiden des Wassers, steht auf, will unbedingt zu ihnen. Na wartet. Wartet nur, bis ich das blöde Boot dort rausschaffe!

Im heller werdenden Licht beginnt er, das Boot über das knarrende Eis zu zerren, beißende Kälte in Gesicht und Nacken. Das Eis bricht, zersplittert, ist noch immer hart. Am besten schiebt er das Boot um sich herum nach vorne, so dass er sich hineinwerfen kann, wenn es losfährt. Das tut er, geht noch zwei Meter, drei – dann kippt die ganze Eisplatte, geht unter, so dass er taumelt, und läuft auf kiesigen Grund. Wasser schwappt in seine Stiefel und brennt sich durch seine drei Paar Socken.

Doch er hat eine seichte Stelle erwischt. Er stapft vorwärts, klatscht gegen Eis, rutscht und stolpert. Ein Meter, ein Meter, noch ein Meter – er spürt seine Füße nicht, findet keinen Halt. Verdammter Mist, alles viel zu langsam! Er packt das Boot, geht in die Hocke und wirft sich mit aller Kraft hinein und nach vorn. Das Boot stößt vorwärts wie ein Eisbrecher. Nochmal! Jetzt wird er das Eis bald hinter sich lassen. Noch ein Sprung! Und noch einer!

Doch diesmal prallt das Boot zurück, stößt nicht durch. Verdammte Scheiße, das beschissene Eis ist so dick! Wie konnte es nur so dick werden, wo hier doch gestern Abend noch offenes Wasser war?

Weil der Wind sich gelegt hat, deshalb, und weil wir minus zwölf Grad Celsius haben. Der alte Tom hatte Recht, zum Teufel mit ihm. Doch es sind nur noch etwa dreißig Meter bis zum offenen Wasser, nur noch wenige Meter zwischen ihm und dem Gelobten Land. Geh dorthin. Geh drüber oder drunter oder mitten durch, aber geh!

Er packt die Axt, watet vor dem Boot hinaus und beginnt auf das Eis einzuschlagen, damit es Risse bekommt. Ein Stück bricht ab, er schlägt umso fester. Doch es will nicht reißen, der Axtkopf dringt immer wieder ein, dang. Er muss ihn aus den schwarzen Löchern herausarbeiten. Das Wasser wird tiefer, steht schon weit über den Stiefelschäften. Na und? Dang! Schlag es weg. Dang!

Doch ein Rest von Verstand erinnert ihn daran, dass er hier draußen erfriert, wenn seine Kleidung nass wird. Schei-ße! Er hält inne, steht keuchend da und starrt die Enten an, die jetzt, deutlich außerhalb seiner Reichweite, die Köpfe ins Wasser stecken und friedlich futtern, während sie ihn und seine Wut schnatternd verhöhnen: padukah, padukah.

Noch zwanzig Meter, verdammte Scheiße, Gott-verdammte. Vor Hunger und Zorn stößt er einen heiseren Schrei aus und hört in diesem Augenblick einen leisen Knall in der Ferne. Der alte Tom feuert einen Schuss ab. Peng!

Petey springt ins Boot, zerrt sich den Drillichmantel vom Leib sowie die beiden Pullover, die Hose und die lange graue Unterhose. Seine Finger können die vereisten Knoten der Schnürsenkel kaum öffnen, doch sein Körper strahlt Hitze aus, so dass die Luft knistert, nur seine Eier versuchen sich zu verkriechen, als er nackt aufsteht. Zwanzig Meter!

Er steigt erneut in die durchweichten Stiefel und stürzt sich wieder auf das Eis, prügelt mit dem Axtgriff darauf ein und stößt ganze Eisplatten beiseite. Er schafft es! Wieder drei Meter, sechs! Er benutzt das Boot als Ramme, knallt es hoch und runter wie einen Vorschlaghammer. Noch ein Meter! Noch einer! Seine Zähne klappern, seine Schienbeine bluten, Eis schneidet ihn in die Oberschenkel, doch er spürt nichts als Freude, Freude! – bis er plötzlich der Länge nach ins Wasser kippt und die unvorstellbare Kälte ihm wie ein Spieß vom After bis in die Achselhöhlen dringt und das Eis ihm in die Nase schneidet.

Seine Hände ertasten den Bootsrand, er zieht sich an der Seite hoch. Der Boden ist völlig zertrümmert. Seine Axt – seine Axt ist verschwunden.

Das Eis ist noch da.

Eine schwarze Hand umklammert ihn von innen und drückt ihm die Luft ab. Er tritt und schlägt wild um sich und hievt sich ins Boot, wo er auf blutigen Knien versucht, tief in den Brustkorb zu atmen und die aufeinanderschlagenden Kiefer zu beruhigen. Der erste Sonnenstrahl streift ihn, mit Eis und unbeschreiblicher Gänsehaut bedeckt; er bekommt wieder Luft und sieht nach vorne, sieht die schimmernden Enten. So nah!

Das Paddel. Er packt es und sticht damit ins Eis vor dem Boot. Es klappert und schnellt zurück, das Boot schiebt sich nach hinten. Mit aller Kraft drischt er auf das Eis ein, doch es ist zu dick, der Paddelschaft zersplittert. Kein Boden zum Abstützen. Kracks! Das Paddelblatt schlittert übers Eis davon. Jetzt hat er nichts mehr.

Er kann es nicht schaffen.

Wut, ohnmächtige Wut steigt würgend in ihm hoch, aus seinen Augen quillt heißes Eis und läuft ihm übers Gesicht. So nah! So nah! Krank vor Zorn sieht er sie kommen – wuuh-wuuh! wuuh-wuuh-wuuh-wuuh! –, wie eine Sturzflut aus flatternden Flügeln in der strahlenden Luft ergießen sich die Enten über den Pass. Zehntausend edle, silbrig-schwarze Riesentafelenten rasen über den Himmel auf ihn zu, der Himmel über ihm besteht nur noch aus schlagenden Flügeln, aber zu hoch, zu hoch – sie kennen die Reichweite, oh ja!

Noch nie hat er so viele gesehen, nie wieder wird er sie sehen – er steht jetzt aufrecht im Boot, ein nackter, blutender, verrückter Eisjunge, rasend vor Wut streicht er mit der jungfräulichen Zwölfkaliber über den Himmel und schießt – BUMM-BUMM! aus beiden Läufen auf nichts, auf das Eis, auf den Himmel, spuckt die Patronen aus, rammt mit gefrorenen Fingern hastig neue hinein. Ein Erpel schießt auf ihn zu, immer näher – er muss nah genug sein! BUMM! BUMM!

Aber er ist zu weit, zu weit, und die Reiter der Lüfte, die faszinierenden Geschöpfe, die er so liebt, ziehen flügelschlagend und schreiend über ihn hinweg – Riesentafelenten, Krickenten, Pfeilenten, Spießenten, Rotkopfenten, alle Enten dieser Welt fliegen auf, er steht mitten in einem zehn-Meilen-langen Vogelwirbel und schießt, schießt, ein weinender Wahnsinniger unter den aufblinkenden Flügeln, weiß-schwarz, schwarz-weiß. Zwischen dem Blinken erkennt er nicht nur Enten, sondern auch Gänse, Kraniche, all die fantastischen Vögel, die je durch die Lüfte geritten sind: Habichte, Adler, Kondore, Flugsaurier – BUMM-BUMM! BUMM-BUMM! in die aufgewühlte Luft, in den Sturm aus Wut und Tränen, der in mächtigen schwarzen Pulsschlägen explodiert – schwarz! hell! schwarz! – ein unerträglicher Wirbel, der auf ihn zustürzt …

… Und plötzlich taucht er auf in absolute Stille und Halbdunkel, ein anderes Selbst, dessen ganzer Zorn zu einem winzigen Knötchen außerhalb seines Bewusstseins geschrumpft ist, und seine Augen ergötzen sich am geöffneten Ausschnitt einer weißen Mädchenbluse. Er befindet sich in einem Zimmer, einer kühlen Höhle, die erfüllt ist von geheimen Verheißungen. Hinter dem Mädchen sind die hauchdünnen weißen Vorhänge vor den Fenstern zugezogen, um das grelle Tageslicht zu dämpfen.

»Deine Mutter sagt, du warst in Santa Fe.« Er hört, dass seine Stimme Gefahr läuft, knabenhaft hoch zu klingen, und stopft die Fäuste tief in die Taschen seiner Levis.

Das Mädchen, Pilar – Pie-lar, verrückter-Name-Pilar – beugt sich zu ihrem gebräunten Knöchel hinunter, wobei das federweiche, kinnlange braune Haar ihr über Hals und Wangen fällt.

»Mm-hmm.« Sie ist ganz mit dem dünnen Goldkettchen um ihren Knöchel beschäftigt und hockt auf einem großen roten Lederdings, das ihre Eltern mitgebracht haben aus, wo war das noch gleich – Marokko. Pilar mit der auffallend schlanken Taille, die in die kurvenreichen weißen Levis übergeht, und der Bluse, die so zärtlich ihre schwellende Zartheit verhüllt; alles so weiß im Kontrast zu ihrer goldgebräunten Haut, alles duftet nach Seife, Blumen und Mädchen. So rein. Sie muss noch Jungfrau sein, sein Herz spürt es; wie in Zeitlupe breitet sich ein wundervolles Glücksgefühl im Zimmer aus. Sie mag mich. Sie ist so schüchtern, obwohl sie ein Jahr älter ist, fast siebzehn, gleicht sie einem Baby. Das Pathos ihres verletzlichen Körpers erregt ihn, er ballt die Fäuste, um die Wölbung seiner Hose zu verbergen. Oh verdammt, ich meine, Jesus, lass sie nicht hinschauen, Pilar. Doch gerade da blickt sie auf, streicht den Schleier ihrer Haare zurück und lächelt verträumt.

»Ich war im La Fonda, ich hatte eine Verabredung zum Dinner, mit René.«

»Wer ist René?«

»Hab ich dir doch erzählt, Pe-ter.« Ohne ihn anzuschauen erhebt sie sich von dem Sitzkissen und schlendert wie ein Kind zum Fenster, während sie mit einer Hand ihren Arm reibt. »Er ist mein Cousin. Er ist alt, fünfundzwanzig oder dreißig. Er ist jetzt Lieutenant.«

»Oh.«

»Ein älterer Herr.« Sie schneidet eine Grimasse, lächelt geheimnisvoll und lugt durch die weißen Gardinen nach draußen.

Sein Herz zischt vor Erleichterung, ein Hochgefühl erfüllt den Raum. Sie ist Jungfrau, ganz bestimmt. Aus der hellen, heißen Welt da draußen dringt das Geräusch eines anfahrenden Autos herein. Von den Ställen des Reitklubs weiter unten ist das leise Wiehern eines Pferdes zu hören und wird von zwei Schnaufern eines Esels beantwortet. Sie müssen beide kichern. Peter spannt eine Schulter, öffnet eine Hand und schließt sie um einen imaginären Hammer.

»Weiß dein Vater, dass du mit ihm aus warst?«

»Na klar.« Sie kuschelt ihre Wange auf ihre Schulter, verschiebt dabei ihren makellosen Kragen und gönnt ihm einen Blick auf die cremefarbenen Hügel. Sie will mich, denkt Peter. Sein Herz macht einen Satz. Sie wird mit mir schlafen. Ganz plötzlich überkommt ihn eine Ruhe, eine köstliche Ruhe, genau wie an jenem ersten Morgen an der Pferdekoppel, als er sah, wie seine Stute auf ihn zukam; wissend, als seine Stute auf ihn zukam; er sah sie, und wusste.

»Pa-pa hat nichts dagegen, wir haben schließlich neunzehnhundertvierundvierzig. René ist mein Cousin.«

Ihre Eltern sind so schrecklich kultiviert; er weiß, ihr Vater ist irgendwie an geheimen kriegswichtigen Forschungen beteiligt; sie sind alle wegen des Krieges hier, irgendwo drüben in Los Alamos. Und ihre Mutter spricht französisch, sie redet über merkwürdige Orte wie Die-schon und Tan-dschay. Seine Mutter kann kein Französisch, sein Vater ist Lehrer an der Highschool, er wäre niemals mit diesen kultivierten Fremden befreundet, wenn sie ihn nicht für ihre improvisierten Polospiele bräuchten. Dabei kann er sie alle in die Tasche stecken, denkt er grinsend, all diese coolen, schwitzenden, altklugen jungen Männer – selbst mit nur einer, seiner Stute für alle vier Chukkas (Spielphasen im Polo, Anm. d. Ü.), selbst mit ihren entzündeten und geschwollenen Sehnen, dick wie Ballons, selbst mit seinem abgesplitterten Poloschläger ist er ihnen noch haushoch überlegen! Wenn er nur eine offizielle Einstufung bekommen könnte. Handicap plus drei auf jeden Fall. Vielleicht plus vier, grübelt er vor sich hin und sieht sich den Blödmann Drexel mit seinen vier Auswechsel-Pferden in Grund und Boden reiten, sieht Pilar lächeln und wegschauen. Sie ist schüchtern. Als er sie einmal seine Stute reiten ließ, hatte sie richtig Angst und war unglaublich tapsig; während er sie beim Aufsitzen hochschob, konnte er spüren, wie ihre Schenkel zitterten.

Auch seine Schenkel zittern bei der Erinnerung daran, wie zerbrechlich und zart sie sich anfühlte. Vor deiner Stimme wird meine Seele sogleich wie ein Füllen, so tapsig und weich – klingt gerade nicht ganz so schwülstig, diese bescheuerte Gedichtzeile, die seine Mutter zitierte. Sein Füllen, seine samtene, verletzliche Babystute. Im Vergleich zu ihr ist er ein Gorilla, genau genommen zwar auch noch unberührt, aber bei Männern ist das was anderes. Und plötzlich versteht er das seltsame Buch von Havelock Ellis im Arbeitszimmer ihres Vaters. Sanft. Sanft muss er sein. Nicht wie – was? – ein Pavian, der Violine spielt.

»Du solltest dich nicht mit älteren Männern abgeben«, sagt er und nimmt zufrieden wahr, wie barsch er klingt. »Man kann nie wissen.«

Zwischen ein paar Strähnen hindurch, die ihr ins Gesicht fallen, beobachtet sie ihn jetzt und kommt auf ihn zu, während sie sich wie in einer Umarmung noch immer mit der einen Hand langsam über den Arm streicht, auf und ab. Warmer Seifenduft steigt ihm in die Nase, darunter stechender Moschusgeruch. Sie weiß nicht, was sie tut, denkt er halb erstickt, sie versteht nichts von Männern. Knurrend stößt er etwas wie »Nicht« oder »Kann es« hervor und versucht, die zwischen ihnen aufwallende Hitze zu drosseln, doch ihre flüsternde Stimme bringt ihn aus der Fassung.

»Es tut weh, Pe-ter.«

»Was denn, dein Arm?«

»Hier, du Dum-mie«, und seine Hand wird plötzlich von kühlen zarten Fingern umschlossen, die sie führen, nicht zu ihrem Arm, sondern, wie er voll Staunen feststellt, seitlich unter ihre knisternde Bluse, unter der er zuerst gar nichts fühlt und dann schockierenderweise nicht seine eigenen breiten Rippen, sondern ihre warme Wirbelsäule, und als seine Hand, die vor Schreck wie gelähmt ist, umhertastet und zudrückt, macht sie eine halbe Drehung, so dass seine brennenden Finger sich auf eine glühend heiße, weiche, unbegreifliche Schwellung legen – ihre Brüste –, und das Zimmer versinkt, wird durcheinandergewirbelt von einer überschäumenden Flutwelle, die so heftig über ihn hinwegdonnert, als würden sämtliche toten Büffel stampfend zurückkehren. Das Fenster blitzt einmal auf, zitronengelbes Licht schießt um ihre beiden Körper, dort, wo ihre Hüfte an seinen Oberschenkel stößt, so dass es ihm gänzlich unmöglich wird, noch länger so dazustehen, während seine Hände sanft auf ihren Titten ruhen.

»Du weißt nicht, was du tust, Pilar. Sei kein Idiot, deine Mutter –«

»Sie ist nicht zu Hau-se.« Dann ein wirres Zwischenspiel von Lippen und Händen, die sich bemühen, sanft zu sein, er, bemüht, sie von seinem Hosenschlitz fernzuhalten, bemüht, sie in überschäumender Freude zu verschlingen, selbst wenn er sechs Hände hätte, könnte er nicht gegen die elektrische Spannung ankämpfen, die von ihrem ganzen Körper ausgeht – bis sie plötzlich zurücktritt und sich dumm stellt: »Pe-ter, hast du denn keinen Freund?«

Der raffinierte Unterschied in ihrem Tonfall irritiert ihn, er antwortet ohne nachzudenken »Klar, Tom Ring«, worauf sie ihr kleines Näschen rümpft.

»Dummer Pe-ter, ich meine, einen richtigen Freund. Jemand Cooles.«

Er steht da, versucht, seinem Keuchen etwas Würde zu verleihen, und denkt, mein Gott, ich meine, Christus, sie weiß genau, dass ich keine coolen Freunde habe; für ein Picknick vielleicht Diego Martine? Doch bevor er das vorschlagen kann, lehnt sie in der Fensternische, kuschelt sich in den seidigen Vorhang und wirft ihm verstohlene Blicke zu, so dass seine Hände nach dem Stoff grapschen.

»René hat einen Freund.«

»Ach.«

»Der ist auch älter, zwan-zig«, haucht sie herausfordernd. »Lieutenant Schar-lo. Von Charles, verstehst du?«

Und sie dreht sich um, direkt in seine Arme, samt Vorhang und allem, und aus dem Durcheinander aus Seide und Gekicher dringt eine leise Stimme, die sich ihm für alle Ewigkeit einprägt: »Und Re-né und Schar-lo und Pie-lar sind zusammen ins Bett gegangen, sie haben mit mir gespielt, oh, Pe-ter, stundenlang, es war einfach wundervoll. Ich mache es nie-mals wieder mit nur einem Jungen.«

Da stürzt alles ab, außer ihrem Gesicht direkt vor ihm, entsetzlich aufgedunsen, überspannt und fremd, und gerade als sein Herz begreift, dass es tot ist, als etwas so allumfassend Böses, dass er es kaum als Zorn zu erkennen vermag, sein leeres Inneres zu zerfetzen beginnt, schlägt sie eine Hand vor den Mund und rennt vornüber gebeugt an ihm vorbei.

»Ich muss mich übergeben, Peter, hilf mir!«

Er stolpert hinterher, den halbdunklen kühlen Flur hinunter, und findet sie zusammengesackt vor der Toilette, in die ihr braunes Haar hineinwallt, während sie, unter unerträglichen Krämpfen wimmernd, würgt und würgt. Die weiße Bluse ist hochgerutscht und entblößt ihren herzergreifend schmalen Rücken, die zarten Höcker ihres gekrümmten Rückgrats, die sich bis hinunter zu ihrer Hose schlängeln, ihre weichen Pobacken, die gegen seine Knie stoßen, während er hilflos dasteht, ein klatschnasses Handtuch würgt statt ihren Hals und versucht, damit ihre ihm abgewandte Stirn zu tupfen. Auch ihm steigt ein Würgen den Schlund hinauf, sein Gesicht ist käsig, Wasser rinnt ihm in den offenen Mund, gleichzeitig hat sie sich mit einer Hand an seiner festgekrallt, so dass auch er bei jedem ihrer Krämpfe durchgeschüttelt wird, dort in dem halbdunklen, krankenhausähnlichen Badezimmer. Die Welt ist von Stöhnen erfüllt, er sieht nicht die braune Rumflasche ihres Vaters vor sich, sondern das große gekachelte Schlafzimmer im La Fonda, die drei Körper, die sich dort auf dem Bett wälzen und unvorstellbare Ungeheuerlichkeiten miteinander anstellen. Mit ihr gespielt …

Sein Magen hebt sich, aber es ist etwas anderes, er kommt in seiner Levis, ein grässliches, langsames, ganz und gar nicht befreiendes Heraussickern, als würde ein glühend heißer Draht durch seine Genitalien gezogen, während er nutzlos neben ihr steht, ebenso hilflos, wie er danebenstehen wird, bald, in der nahen Zukunft, die er sich weder vorstellen noch sich daran erinnern kann – und die Spannung baut sich immer weiter auf, sie pocht, das Licht flackert – ein Sturm zieht auf, oder vielleicht stimmt was nicht mit seinen Augen, doch unter sich erblickt er ihr unschuldiges Profil, das ermattet auf dem Toilettenrand ruht und sein blindwütiges Handtuch gar nicht zu bemerken scheint; im aufblinkenden Halbdunkel erkennt er die unverständlichen Buchstaben S-E-P-T-I-S-C-H-E A-B-T-R-E-I-B-U-N-G, die sich wie Schatten an der Wirbelsäule seiner jungfräulichen Geliebten hinunterschlängeln, während das Weltall rhythmisch pocht: schwarz – Blitz! Schwarz! Widerhallt vor dröhnenden Hufen, tosender als jeder Sturm – ihn durch grelle Schwärze schleudert, die blitzartig aufflackert, hinein in einen Zustand surrender Reglosigkeit, in dem das, was von ihm noch existiert, spürt – irgendwas –, jedoch augenblicklich von unvorstellbaren Energien ausgelöscht wird –

– Und sich verdichtet, draußen im Grünen, im Sonnenschein einer anderen Welt, aufblüht zu einem entspannten Frühlingsselbst, und ein ganz anderes Mädchen drängt sich gegen seine Hüfte.

»Molly«, hört er seine reifere Stimme undeutlich sagen, während er voller Freude beobachtet, wie die Wedel der Trauerweiden im schmutzigen Wasser des Potomac sanft auf und ab dümpeln. Die Versteifungen in seinem Kragen und der Äskulapstab piksen ihn am Hals.

»Ja, Sir, ja, Herr Doktor.« Sie wirbelt herum, kniet sich ins schmuddelige Gras und öffnet die Schachteln von Howard Johnson’s Schnellrestaurant. »Oh Gott, der Kaffee.« Sie reicht ihm ein Hot Dog hinauf und wirft dabei ihr blondes Haar nach hinten. Ihr Arm mit der zarten blassen Achselhöhle ist so weiblich, ihr ganzer Körper ist essbar, selbst ihr Kleid ist wie Limonade, so erfrischend und rein – nein, strahlend, verbessert er sich. Das ist das richtige Wort, strahlend. Seine strahlende Frau. Mit einem Schulterzucken verscheucht er eine winzige Schwärze und denkt an ihr Haar und wie es in dem Zimmer im Roger-Smith-Hotel über seinen Körper gleitet.

»Komm, setz dich, Pete. Es ist nur ein bisschen schmutzig.«

»Nichts ist mehr schmutzig.« Er lässt sich neben sie ins Gras plumpsen, ein Arm legt sich ganz natürlich um ihr korpulentes Hinterteil. Sie kichert zu ihm hinunter und schüttelt den Kopf.

»Du bist ein schwerer Fall, Pete.« Sie nimmt einen großen Bissen von dem Hot Dog, mit Lippen, die ihn zu der Überlegung verführen, sie gleich an Ort und Stelle zu vernaschen, ohne noch an die Autos zu denken, die über ihnen vorbeirasen. »Ich könnte schwören«, sagt sie mit vollem Mund, »ich glaube nicht, dass du jemals mit einer gevögelt hast, mit der du vorher befreundet warst.«

»So in der Art.« Er legt den Hot Dog ab, um die GI-Krawatte, die zu seiner Uniform gehört, zu lösen.

»Noch dreißig Tage, dann trägst du Zivilklamotten und bist in Baltimore.« Glücklich leckt sie sich die Finger. »Mensch, Pete, ich bin so froh, dass du das Stipendium bekommen hast. Probier mal den Krautsalat, der ist nicht schlecht. Wirst du dich noch an uns arme Sklaven erinnern, wenn du ein großer Pathologe geworden bist?«

»Das werde ich.« Um sich abzulenken, stochert er in den Behältern und bekleckert ein Buch mit Krautsalat. »Was liest du da eigentlich?«

»Oh, Whately Carington.«

»Whatly wat?«

»Nein, Whate-ly. Carington. Ein Brite. Psychologischer Wissenschaftler, sie forschen sehrrr unerrrmüdlich, die Briten.«

»Ach?« Er lächelt Richtung Fluss und blinzelt, um das Flimmern auf seinem Augenhintergrund loszuwerden. Amphetaminentzug, nach sechs Monaten?

»Er hat diese Theorie über K-Objekte entwickelt. Die Dinge, die bei dir die intensivsten Gefühle auslösen, ein Teil von dir lebt weiter – Pete, was ist los?«

»Nichts.«

Doch das Flimmern will nicht aufhören, wird plötzlich stärker; er kann gerade noch ihr Gesicht erkennen, das, jetzt mit besorgtem Krankenschwesternblick, langsam näher kommt, er versucht sich festzuklammern, durch eine Welt hindurch, die schwarz – grün – SCHWARZ! blinkt –, ist für eine Spanne nichtatmender Zeitlosigkeit im dunklen Nirgendwo gefangen, in einer gespenstischen Landschaft – graue, einstürzende Asche unter einem harten schwarzen Himmel, wo er ohne Augen sieht: weit entfernt, in der Ebene, ein Gewirr von Trümmern, die so bedrohlich sind, dass seine körperlose Stimme schreit, den Schatten eines Stückchens Metall neben sich in der Asche mit den unheimlichen, nichtssagenden Zahlen 2004 darauf anschreit – AUFHÖREN! – Dann liegt er wieder am Flussufer, unter Mollys Frühlingsaugen, seine Hände halten die Knochen in ihrem Körper fest umklammert.

»Hey-y-y, Liebling, der Krieg ist vorbei.« Süßes, sinnliches Feenlächeln, wachsamer Blick, ihre Schwesternhand liegt jetzt unter seinem Hemd. »Korea ist zehntausend Meilen weit weg, Sie befinden sich im guten alten Washington D.C., Herr Doktor.«

»Ich weiß. Hab grade ein Nummernschild gesehen.« Er lacht wenig überzeugend und lockert seine Hände. Werden die Gespenster von Seoul ihn denn ewig verfolgen? Sein Körper ist unversehrt geblieben, denkt er schuldbewusst, kein Stück von ihm in den fleckigen Abfalltonnen, in die er – Aufhören! Denk an Molly. Auf Dauer Eisenhower. Johns-Hopkins-Forschungsstipendium. Manche Menschen sind einfach nicht für die praktische Arbeit eines Chirurgen gemacht.

»Ich bin ein feiger Hund, Molly. Forschung.«

»Oh, um Himmels willen, Pete«, sagt sie warmherzig, die Schwesternhand ist zufrieden und wird auf seiner Brust zur Geliebtenhand. »Wir haben das doch schon alles durchgekaut.«

Natürlich haben sie das, das weiß er auch und murmelt nur »Mein Papa wollte, dass ich Arzt bei den Indianern werde«, was sie auch bereits durchgekaut haben; jetzt ist die übersprudelnde Freude wieder da, beschwingt schnappt er sich den Krautsalat, verlangt nach Unterhaltung und demonstriert damit, dass er die Realität wieder im Griff hat.

»Also, was ist mit diesem Whately?«