Sternengraben - James Tiptree Jr. - E-Book
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Sternengraben E-Book

James Tiptree Jr.

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Beschreibung

Außerirdische Studierende recherchieren in einer Universitätsbibliothek der fernen Zukunft für ein Projekt zur Historie der Menschheit die Geschichten rund um den Sternengraben. Zum Beispiel über eine eigensinnige Ausreißerin im Teenageralter, die Erstkontakt mit einem seltsamen außerirdischen Volk herstellt, oder die Crew eines Forschungsschiffs, die für die Menschheit eintreten muss, um einen interstellaren Krieg zu verhindern. Und über einen ehemaligen Soldaten, der als Abschleppunternehmer im Weltall tätig ist. Eines Tages rettet er eine Yacht vor Sklavenhändlern. An Bord ist seine Jugendliebe, aber während er durch den Kälteschlaf bei seinen vielen Unterlichtflügen körperlich dreißig Jahre alt geblieben ist, hat sie schon hundert gelebte Jahre hinter sich und ist eine alte Frau. Bei der Verfolgung der Sklavenhändler entdeckt er einen exakten Klon seiner Jugendliebe. Welcher dieser Frauen gehört seine Liebe? Der alten, mit der er wichtige Erinnerungen teilt? Oder der jungen, deren Körper ihn noch immer so anzieht wie früher?

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Seitenzahl: 572

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Inhaltsverzeichnis

Cover

Impressum

Über die Autorin

Titelseite

Buchanfang

Universität Deneb, Große Zentralbibliothek

Das einzig Vernünftige

In der Bibliothek

Lebt wohl, ihr Lieben

In der Bibliothek, Buchausgabe

Kollision

In der Bibliothek

Die einzelnen Erzählungen

Die Werkausgabe

Leseproben

Band 1: DOKTOR AIN

Band 2: LIEBE IST DER PLAN

Band 3: HOUSTON, HOUSTON

Band 4: ZU EINEM PREIS

Band 5: QUINTANA ROO

Band 7: YANQUI DOODLE

Die Mauern der Welt hoch

Helligkeit fällt vom Himmel

James Tiptree Jr. – Sternengraben

Sämtliche Erzählungen , Band 6

Copyright © 2014, Septime Verlag, Wien

Alle Rechte vorbehalten

Originaltitel: James Tiptree Jr. – The Starry Rift

Copyright © 1986 by James Tiptree, Jr.

Lektorat: Bastian Schneider

Umschlag: Jürgen Schütz

EPUB-Konvertierung: Esther Unterhofer

ISBN: 978-3-903061-32-3

Printversion: Hardcover, Schutzumschlag, Lesebändchen

ISBN: 978-3-902711-29-8

www.septime-verlag.at

www.facebook.com/septimeverlag

www.twitter.com/septimeverlag

Über die Autorin

James Tiptree Jr.

(1915-1987) ist das männliche Pseudonym von Alice B. Sheldon. Tiptrees geheimnisvolle Identität faszinierte die Fans und gab Anlass zu vielen Spekulationen, freilich glaubten alle, es müsse sich um einen Mann handeln. Die Aufdeckung, noch zu ihren Lebzeiten, war ein Schlag: Diese knappen, harten und frechen Kurzgeschichten, die nur allzu häufig mit dem Tod enden, waren von einer alten Dame mit weißen Federlöckchen verfasst worden.

Sie zählt unter Science-Fiction-Fans zu den großen Klassikern, gleich neben Philip K. Dick und Ursula K. Le Guin. Ihre Kurzgeschichten, die sie erst im Alter von einundfünfzig Jahren zu schreiben begann, und von denen einige wohl zu den besten des späten 20. Jahrhunderts gehören, brachten ihr schnell Ruhm und zahlreiche Auszeichnungen ein.

Dennoch litt sie ständig unter schweren Depressionen und Todessehnsucht. Nach einem vorab geschlossenen Selbstmordpakt erschießt Sheldon im Alter von einundsiebzig Jahren erst ihren vierundachtzigjährigen Mann und dann sich selbst.

James Tiptree Jr.

Sternengraben

Sämtliche Erzählungen

Band 6

Aus dem Amerikanischen von Frank Böhmert, Eva Bauche-Eppers und Laura Scheifinger

Alle Personen und Ereignisse in diesem Buch

sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit realen Personen

oder Ereignissen sind rein zufällig.

Universität Deneb, Große Zentralbibliothek

Moa Blau, der stellvertretende Leiter der Bibliothek, schnieft sich seinen Weg zurück zur Information der Historischen Spezialgebiete. Sein Schniefen ist teils körperlich bedingt - Moa ist ein Amphibienwesen -, gilt teils aber auch seinen gegenwärtigen Kunden, zwei außerordentlich gut gelaunten jungen Comenor. Sie hätten gern eine Auswahl menschlicher Dokudramen aus den frühen Tagen der Föderation, »um einen Eindruck von der Atmosphäre zu bekommen«. Eine Auswahl! Als Moa Student war, hat man seine Auswahl noch selbst getroffen. Auf die harte Tour. Jetzt wollen ihm diese zwei einfach Löcher in den Bauch fragen.

Na, er kann sie zufriedenstellen. In diesem Semester sind zahlreiche vergleichbare Bitten an ihn herangetragen worden - wahrscheinlich bietet irgendein engagierter Dozent einen ›vertiefenden‹ Kurs an. Moa niest herzhaft und schlägt auf die Ausgabetaste.

Als er nach vorn zurückkehrt, lehnt sich das Comenopärchen mit den Oberarmen auf den Tresen, was auf ernsthaftes Interesse hindeutet. Außerdem haben beide je einen Oberarm mit dem des anderen verschlungen, wahrscheinlich ein Zeichen für Paarungsabsichten. Moa Blaus grimmige Echsenzüge werden weicher; er hat, um der Wahrheit die Ehre zu geben, eine Schwäche für Romantik. Sowie er eine Schwäche für Comenor hat, die bekannt dafür sind, dass sie gern richtige Bücher lesen und ein Faible für Alienpsychologie haben. Angesichts einer Studentenschaft voller Ingenieurstypen, die im Schnelldurchlauf Bänder hören, in denen es von Zahlen wimmelt, tut es gut, Studierenden zu begegnen, die den Geruch und die Haptik alter Bücher schätzen und sich bewusst sind, dass die eigentlichen Probleme aus den lebendigen Herzen und Hirnen herrühren.

»Wie Sie zweifelsohne wissen, war es lange Zeit Mode unter den Menschen, sich mit Dokudramen zu befassen, wie sie das nennen. Das heißt, ein entscheidendes Ereignis oder eine wichtige Epoche mit sämtlichen bekannten Einzelheiten zu nehmen und als dramatische Erzählung aufzuarbeiten. Die Menschen behaupten, auf diese Weise würden sich historische Fakten leichter einprägen lassen; ich möchte behaupten, dass sie recht damit haben. Auf jeden Fall steht Ihnen dadurch ein reiches Spektrum zur Auswahl.«

»Deshalb sind wir auf Ihre Hilfe angewiesen«, sagt der größere Comeno mit starkem Akzent auf Galaktisch. »Wir haben einen Blick in das Inventar geworfen und uns überhaupt nicht zurechtgefunden, trotz der Zusammenfassungen.«

»Und Hilfe soll Ihnen zuteilwerden. Hier ist eine nette kleine Geschichte, die ich Ihnen für den Anfang herausgesucht habe. Sie geht zurück auf die Zeit, als den Menschen der Überlichtflug noch nicht offenstand und sie gerade anfingen, die Außenränder des großen Grabens zu erforschen, der euch Comenor von der Föderation trennt. Tatsächlich hat meine kleine Auswahl durchgehend den Graben zum Schauplatz, sowohl weil er Ihnen vertraut ist, als auch weil sich das Ganze ungefähr in derselben Epoche abspielt wie jene wohlbekannte Geschichte über das Vorbeiziehen der Explosionswellenfront des Gemeuchelten Sterns am Planeten Damien, die Sie wahrscheinlich in der Schule durchgenommen haben - nur spielt diese hier auf genau der entgegengesetzten Seite der Föderation und liefert Ihnen wahrscheinlich einige interessante Abweichungen und Kontraste. Die Geschichte um Damien und die Sterntränen ist Ihnen doch vertraut, oder? Sie heißt Helligkeit noch irgendwas.«

»Helligkeit fällt vom Himmel - oh ja, die hatten wir als Beispiel für das Verhalten der Menschen gegenüber anderen Zivilisationen. Seitdem interessieren wir uns ja überhaupt erst für Menschen. Aber sie ist doch sehr lokal - etwas, das in einem völlig anderen Sektor angesiedelt ist, könnten wir wirklich gut gebrauchen. Kommen darin zum Beispiel auch die Schifffahrtslinien der Moom vor?«

»Nein. Sie müssen sich vor Augen führen, dass jegliche kulturelle Durchdringung in den Tagen vor dem Überlichtflug unglaublich langsam vonstattengegangen ist. Und da haben die Ziellor und ihr Comenor ihn längst routinemäßig benutzt.«

»Meine Güte, Sie wissen aber viel über Technikgeschichte!«, sagt das kleinere Wesen bewundernd.

Moa lächelt - eine Zurschaustellung von Zähnen, die in anderem Kontext einschüchternd gewesen wäre. »Manchmal denke ich, wenn ich unsere Kunden anständig beraten möchte, sollte ich jeden Kurs im Lehrplan absolvieren! … Also, mehr als einen Text auf einmal dürfen Sie nicht ausleihen, aber dieser hier bietet reichlich Stoff zum Nachdenken; er wird aus einem doch recht ungewöhnlichen Blickwinkel erzählt.«

»Aber ist denn auch alles darin wahr?«, fragt das Comenomädchen besorgt.

»Das ist ja das Bemerkenswerte daran - die Geschichte entstammt fast vollständig authentischen Audiobändern, die die kleine Menschenfrau selbst aufgenommen hat. Extrapoliert wurde nur eine Reihe sehr naheliegender subjektiver Reaktionen, die durch andere Quellen bestätigt werden. Und der Text behandelt einen der außergewöhnlichsten Erstkontakte der Menschheit, mit den eigenen Worten des Aliens erzählt … Die Eeadron sind heutzutage natürlich wohlbekannt - Sie haben die entsprechenden Quarantänevorschriften vielleicht schon einmal gesehen.«

»Habe ich«, sagt der Comenojunge. »Also wird auch das noch darin erklärt! Da haben Sie aber wirklich einen tollen Text für uns gefunden, Myr Blau. Wir danken Ihnen mehr, als sich in Worten ausdrücken lässt.«

»Ja, genau!«, bekräftigt seine Freundin.

»Und wenn Sie das nächste Mal kommen, habe ich einen, der ist fast genauso gut, und als krönenden Abschluss dann noch einen richtigen Leckerbissen.«

»Oh, danke, vielen Dank!« Und sie eilen mit einem schallenden zeremoniellen Schwanzschlag zur Tür und tragen den alten Text davon wie ein rohes Ei.

Die erste Geschichte

Das einzig Vernünftige

Helden des Weltalls! Erkunder der Sternfelder!

Leser, hier kommt Ihr Problem:

Angenommen, wir haben einen Teenager, blond, Stupsnase, Sommersprossen, grüne Augen mit gelassenem Blick, reiche Eltern, weiblich, fünfzehn. Und seit die Kleine alt genug war, einen Holoknopf zu drücken, träumt sie nur noch von den Helden des Erstkontakts, den Erforschern der fernen Sterne, den großen Namen des aufkeimenden Sternzeitalters der Menschheit. Sie kann Ihnen die Namen der Crew jeder Forschungsmission nennen; sie kann Ihnen eine ziemlich genaue Karte des Gebiets der Föderation zeichnen und die Grenzstützpunkte aufzählen; sie kann Ihnen sagen, wer jeder einzelne der rund fünfzig bekannten Zivilisationen zum ersten Mal begegnet ist, und sie weiß die letzten Worte von Han Lu Han auswendig, als er, ebenfalls kaum sechzehn, auf Lyrae 91-Beta durch Flammenstrahlen der Außerirdischen gerannt ist, um seinen Captain und Piloten in Sicherheit zu zerren. Mathe kann sie auch gut; es fällt ihr leicht. Sie treibt sich oft im Raumhafen herum, wo sie sich mit jedem, der sich auf ein Gespräch einlässt, anfreundet und mal mitfliegen möchte, und sie ist mit den Steuerelementen von vierzehn Schiffstypen vertraut. Sie ist eine Spätentwicklerin, was bedeutet, dass sie mit ihren winzig kleinen Brüsten leicht als Junge durchgehen könnte; und Liebe, große Liebe, ist für sie trotz Sexualkundeunterricht bloß Erwachsenenkram. Dafür schafft sie es in glatten siebzig Sekunden in ihren Kinder-Raumanzug, inklusive Sicherungshaken.

Nun nehmen wir dieses Mädchen, diese Coati Cass - ihr vollständiger Name lautet Coatillia Canada Cass, aber alle sagen Coati zu ihr -

Und wir schenken ihr zum sechzehnten Geburtstag einen robusten kleinen Weltraumflitzer.

Jetzt das Problem:

Düst sie damit im sternenübersäten Heimatsektor herum und besucht ihre Klassenkameraden und Freunde der Familie, wovon ihre Mutter ausgeht? Kurvt sie dabei ab und zu angeberisch an ein, zwei Vortex-Leuchtfeuern vorbei, wie ihr Vater befürchtet?

Tut sie das? Ernsthaft?

Oder - fliegt sie direkt zur nächsten Schiffswerkstatt und verballert fast ihr gesamtes Sparguthaben für zusätzliche Treibstofftanks und Sensoren mit hoher Reichweite, tankt ihren Flitzer randvoll und verduftet dann - bevor der Finanzberater der Familie irgendwie nachhaken kann - zum nächsten Grenzgebiet der Föderation, also zum Großen Nordgraben gleich hinter FedBase 900, von wo aus man sich mal richtige unbekannte Weiten und Sterne anschauen kann?

Das war kein besonders schwieriges Problem, oder?

Exec - der Leiter von FedBase 900 - sieht zu, wie der Blondschopf den großen Aussichtsgang hinunterhüpft.

»Wir sollten ihre Eltern per kostenpflichtigem c-Sprung-Telegramm verständigen«, brummelt er. »Die können sich das bestimmt leisten.«

»Auf welcher Grundlage?«, fragt sein Deputy - sein Stellvertreter.

Sie sehen beide zu, wie die kleine straffe Gestalt davonmarschiert. Ein hochgewachsener Captain der Patrouille kommt im Gedränge an ihr vorbei; sie sehen, wie die Kleine herumwirbelt und ihm nachschaut, nicht mit fraulicher Wertschätzung, sondern mit der großäugigen, ungehemmten Bewunderung eines Kindes. Dann dreht sie sich wieder zu der prächtig funkelnden Aussicht jenseits des Hafens um. Das Ende des Grabens lässt sich von dieser Seite des Asteroiden, in den der Stützpunkt hineingetrieben worden ist, gerade noch erkennen.

»Auf der Grundlage meiner leisen Ahnung, dass diese Minderjährige in Schwierigkeiten geraten wird und bloß noch den geeigneten Ort dafür sucht«, sagt Exec betrübt. »Aufgrund der Tatsache, dass ich ihr ihre Geschichte nicht recht abnehme. Also die Papiere werden schon in Ordnung sein; das Schiff gehört ihr zweifelsohne, und sie kann auch damit umgehen und kennt die Vorschriften; und es steht ihr auch rechtmäßig zu, eine Freigabe für ihren Zielort zu bekommen - in ein paar Tagen. Aber ich kann nicht glauben, dass ihre Eltern damit einverstanden gewesen sind, dass sie hier rausgezischt kommt, bloß um mal einen Blick auf unbekannte Sterne zu werfen … Auf der Grundlage dessen, dass diese Leute, falls doch, unzurechnungsfähige Schwachköpfe sind. Wenn das meine Tochter wäre …«

Er verstummt. Er weiß, dass er übertrieben emotional reagiert; es gibt keinen hinreichenden Grund, ihre Familie zu verständigen.

»Die sind bestimmt einverstanden gewesen«, sagt sein Deputy besänftigend. »Schauen Sie sich diese zusätzlichen Treibstofftanks und Fernraumsensoren an, die sie ihr geschenkt haben.«

(Wirklich gelogen hat Coati nicht. Sondern nur erklärt, dass ihre Eltern keinerlei Einwände dagegen erhoben hätten, dass sie hier herkommt - was stimmt, weil die beiden nicht im Traum auf diese Idee gekommen wären -, und dann hat sie unschuldig hinzugefügt: »Sehen Sie die zusätzlichen Treibstofftanks, damit ich problemlos von langen Ausflügen wieder nach Hause komme? Ach so, Sir, ich hab ihr den Namen CC-One gegeben; oder klingt das vielleicht zu offiziell?«

Exec beendet das Thema mit einem pessimistischen Grunzen, und sie kehren wieder in sein Büro zurück, wo der Captain der Patrouille wartet. Das beste Depotversorgungsteam von FedBase 900 ist lange überfällig, und es wird Zeit, die Leute offiziell für vermisst zu erklären und eine Suche einzuleiten.

Coati Cass durchquert derweil die Oberflächenabschnitte der Basis Richtung Tankhafen. Sie musste hier landen, um sich eine Freigabe sowie die Holokarten des Grenzgebiets zu besorgen, und sie kann ihre Tanks nachfüllen lassen. Wären die Karten nicht gewesen, hätte sie es vielleicht riskiert, einfach gleich ganz hinauszufliegen, aus lauter Angst, dass man sie aufhalten würde. Aber nun hat sie ihre Freigabe und genießt ihren ersten flüchtigen Blick auf eine der schicken Fernbasen der Föderation - Hauptsache, es verzögert nicht den Abflug zu ihrem Ziel, ihrem eigentlichen Ziel, von dem sie schon so lange träumt: der freie, unerforschte Raum und unbekannte, namenlose Sterne.

Fernbasen sind schick; die Föderation hat auf die harte Tour gelernt, dass solche Stationen angenehm und der geistigen Gesundheit förderlich sein müssen. Je weiter draußen ein Stützpunkt also liegt, und je längere Dienstzeiten angesetzt sind, desto mehr Geld wird in Einrichtung und Unterhalt gesteckt. FedBase 900 erstreckt sich zum Großteil innerhalb eines großen, atmosphärelosen Felsens mit langer Umlaufbahn; dennoch verfügt sie über Gärten und Pools, die den Neid eines der reichsten Bürger der Welt hervorrufen könnten. Coati sieht Werbeplakate für das kleine Kino, auf denen Erstaufführungen und Konzerte angekündigt werden, die für das Stationspersonal komplett kostenlos sind; und sie kommt an einem halben Dutzend verschiedener exotischer kleiner Restaurants vorbei. Im Felsinneren weist die Karte Sportplätze und Orchesterpavillons aus, großzügige Wohnanlagen und kilometerweite gewundene Gänge, die alle hübsch bepflanzt und gestaltet sind, weil man herausgefunden hat, dass sich der Stress erheblich reduzieren lässt, wenn den Leuten für ihre Arbeitswege genügend alternative, wenig überlaufene Strecken zur Verfügung stehen.

Die Errichtung eines Fernstützpunkts ist komplett Sache der Föderation. Aber damit wird die eine unersetzliche Ressource der Föderation bewahrt - ihr Volk. Hier auf FedBase 900 sind vor allem Menschen vertreten, da sich die anderen vier raumfahrenden Zivilisationen auf den Süden und Osten der Föderation konzentrieren. So weit im Norden hat Coati nur einmal ein außerirdisches Pärchen gesehen, beides Swain; ihre grünliche Rüstung ist ihr von zu Hause vom Weltraumhafen her vertraut. Richtig fremdartige Aliens wird sie hier nicht finden.

Aber was - und wer - lebt dort draußen am Rand des Grabens, oder sogar noch weiter draußen, an seinen unbekannten Ufern? Coati bleibt für einen letzten Blick stehen, dann biegt sie in den Hafen für Kraftstoffe und Proviant ab. Von hier aus kann sie den Graben wirklich sehen; wie eine seltsame, unregelmäßige schwarze Wolke zieht er sich über den nördlichen Zenit.

Der Graben ist natürlich nicht völlig dunkel. Es handelt sich nur um ein Gebiet, das verhältnismäßig wenige Sterne enthält. Für die Wissenschaftler stellt das kein großes Rätsel dar; eine stehende Welle oder Turbulenz in der Verteilungsstruktur, eine verirrte Anballung derselben Gefälle, die auch die Spiralarme der Galaxis mit den Lücken dazwischen erschaffen haben. In den unbewohnten Gebieten des Sternfelds sieht man viele solcher Gräben. Dieser hier taugt nur zufällig zugleich als Nordgrenze für die unregelmäßige Kugel des föderalen Raums.

Hier und da sind Forschungsschiffe in ihn vorgedrungen - weit genug, um zu wissen, dass drüben auf der anderen Seite wieder die übliche Verteilung von Sternsystemen einsetzt. Man hat einige Sterne erspäht, die wahrscheinlich Planeten aufweisen, und ein- oder zweimal etwas hereinbekommen, das Funksignale von weit entfernten Zivilisationen gewesen sein könnten. Aber nichts und niemand ist je von der anderen Seite herübergekommen, und inzwischen hat die Föderation der Fünfzig Völker genug mit ihrer sukzessiven Süd- und Osterweiterung zu tun, als dass sie noch neue Kontakte auftun müsste. Also hat man den Graben praktisch unberührt gelassen. Und dank seiner Nähe konnte Coati rasch von ihrem zentral gelegenen Heimatplaneten Cayman’s Port in echtes Grenzgebiet gelangen.

Sie schenkt dem Graben einen letzten schmachtenden Blick und verschwindet im Umkleidegang, wo ihr kleiner Anzug zwischen denen der richtigen Raumfahrer hängt. Von hier tritt sie auf ein Deck an der Asteroidenoberfläche hinaus und stellt fest, dass sich die CC-One neben ihrem neuen Nachbarn total winzig ausnimmt; ein großer Patrouillenkreuzer ist eingetroffen. Trotz ihrer Aufgeregtheit erledigt Coati die routinemäßige Hülleninspektion mit disziplinierter Sorgfalt und fordert gleich darauf einen Schlepper an, der sie hinüber zu den Tankstationen zieht. Hier wird sie auch Sauerstoff, Wasser und Lebensmittel bekommen - aber nur Standardrationen. Solange sie auf jeden Luxus verzichtet, genügen ihre zusammengesparten Credits für eine gute Ernährung.

Beim Tankhafen ist sie wieder draußen und überprüft persönlich jeden Tank. Die Chefin des Hafens, eine große rosige Frau, deren kräftige Gesichtsfarbe selbst durch die Sichtscheibe noch glüht, grinst angesichts der Eifrigkeit der Kleinen. Die eigentliche Arbeit erledigt ein jüngerer Tankwart, der Coati wegen ihrer stattlichen Reserve veräppelt.

»Willst wohl einmal ganz übern Graben?«

»Vielleicht nächstes Mal … irgendwann bestimmt.« Sie erwidert sein Grinsen.

Eine Nachricht wird durchgesagt. Eine angenehme Stimme teilt ihnen mit, dass DVS Nr. 914 B&K offiziell für vermisst erklärt worden ist und eine erste Suchaktion eingeleitet wird. Sämtliches Raumpersonal soll die Augen nach einem standardmäßigen Lastenschlepper offenhalten, der an seinem Zug von Tanks leicht zu erkennen sei und zuletzt bei Ace’s Landing gesichtet wurde.

»Nein, Korrektur, nicht bei Ace’s Landing. Das letzte bestätigte Depot war auf einem Planeten bei 17-50 Nord, 15-30 West, RE 18.« Die Stimme wiederholt es noch mal. »Das ist in Fernquadrant 9 B-Z, außer Funkreichweite. Sie wollten zu einem neuen System bei 30-20 Nord, 42-28 West, RE 3 D.

Sämtliche Schiffe in möglicher Reichweite dieses Kurses haben zu jeder vollen Stunde eine Funkwache von einem Minim durchzuführen. Wer etwas hört, hat unverzüglich in Basisreichweite zurückzukehren. Gleichzeitig wird ein Aufklärungsschiff ausgeschickt, das ab Ace’s Landing ihrem Kurs folgt.«

Der Sprecher wiederholt sämtliche Koordinaten; Coati, die keinen Block zur Hand hat, schreibt sich das System, zu dem sie unterwegs waren, mit ihrem Stift auf die Innenseite des nackten Arms.

»Wenn sie außer Funkreichweite waren, wie haben sie dann Meldung gemacht?«, fragt die Chefin des Tankhafens.

»Per Postkapsel. So eine Art Mini-Raumschiff. Das schafft bis zu drei c-Sprünge. Wenn man außer Reichweite zu tun hat, schickt man nach jedem Halt eine Kapsel zurück. Für diesen Quadranten werden sie sicher bald eine Relaisstation errichten.«

»Depotversorgung 9-14 BK«, sagt der Tankwart. »Das sind Boney und Ko. Die beiden Jungs, die - die nicht - die - ich meine, denen sind doch ein paar Nieten rausgesprungen, oder nicht?«

»Mit Boney und Ko ist alles in Ordnung!« Die Gesichtsröte der Chefin nimmt noch zu. »Die sind vielleicht nicht so superklug wie manch andere Leute, aber was sie machen, das machen sie zu 100 Prozent perfekt. Und einer oder vielleicht sogar alle beide verstehen sich dermaßen auf Holokartierung, dass es schon gruselig ist. Wenn du dir mal die Karten der Quadranten anschaust, in denen sie gearbeitet haben, dann wirst du sehen, wie viele BK-Korrekturen es da drauf gibt. Diese Mühe wird Leben retten! Und die bilden sich darauf nichts ein, die machen das alles für Versorgungssold, aus Loyalität zur Föderation.« Sie beruhigt sich wieder und guckt zu Coati hinüber, weil sie sehen will, ob ihre Botschaft angekommen ist. »Darum hat die Leitung ihnen die reinen Routineflüge abgenommen und lässt sie jetzt oben im Norden neue Depots anlegen … Die Nachfüllflüge in der Nähe werden jetzt von den Rand-Zwillingen erledigt; die halten die Langeweile schon aus mit ihrer Musik.«

»Sorry«, sagt der Tankwart. »Das wusste ich nicht. Die haben nie ein Wort gesagt.«

»Ja, die reden nicht viel.« Seine Chefin grinst. »So, Mädchen, ich glaube, da geht nichts mehr rein, außer du willst noch was in deinem Seesack mitnehmen. Und wie sieht’s mit Lebensmitteln aus?«

Als Coati hinüber zur Kartenabteilung im Inneren der Basis geht, um sich ihre letzten Instruktionen abzuholen, sieht sie, was die Chefin des Tankhafens gemeint hat. Auf sämtlichen Holokarten der Randzonen von Sektor 900 weist ein Eintrag nach dem anderen Korrekturen auf, die mit einem winzigen leuchtenden ›BK‹ markiert sind. Beinahe kann sie die langen, verschlungenen Flüge der beiden - wie hießen sie noch gleich? Boney und Ko? - anhand der detailreicheren Gebiete auf der Karte nachverfolgen. Staubwolken, Schwerkraftanomalien, Asteroidenschwärme, abweichende Hauptsterne bei Mehrfachsystemen, alles bescheidene BKs. Die ursprünglichen Karten basieren auf den Arbeiten früherer Forscher - jemand namens Ponz hat zwanzig oder dreißig Sternsysteme mitsamt seiner großen Unterschrift hineingekritzelt (BK haben sechs davon korrigiert), und dann gibt’s da noch ein ›L‹ und haufenweise ›YBC‹ und noch mehr, das Coati nicht entziffern kann. Sie würde zu gern ihre Namen und ihre Abenteuer erfahren.

»Wer ist ›SS‹?«, fragt sie den Beamten der Kartenabteilung.

»Ach, das war ein reicher alter Knabe, ein Veteran des Letzten Krieges, der eine Abkürzung nehmen wollte, an die er sich noch vage erinnern konnte, und dann nach einem Sprung, der ihn seinen restlichen Treibstoff gekostet hat, ganz weit draußen gestrandet ist. Er sollte da für 45 Standardtage festhängen, bevor jemand zu ihm vordringen konnte, und als er sich wieder eingekriegt hat, haben seine Kumpels und er sich die Zeit mit ein bisschen Kartografieren vertrieben. Und gar nicht mal schlecht für einen statischen Blickwinkel. Siehst du die vielen Doppel-S um diesen Punkt hier herum? Da hat er festgehangen. Falls du da in die Nähe kommst, denk daran, dass der Fehler wahrscheinlich den Radius betrifft. Aber so weit willst du doch bestimmt nicht, Kind, oder?«

»Ach, na ja«, sagt Coati ausweichend. Sie fragt sich, ob er sie vielleicht bei der Leitung melden wird. »Irgendwann mal vielleicht. Ich hätte einfach bloß gern die Karten, um ein bisschen, na ja, rumzuträumen.«

Er gluckst mitfühlend und macht sich an die Gebührenaufstellung. »Da kannst du aber jede Menge tagträumen, Mädchen.«

»Ja.« Um ihn abzulenken, fragt sie: »Wer ist ›Ponz‹?«

»War vor meiner Zeit. Nach seiner Meldung, dass er einen Terraforming-geeigneten Planeten gefunden habe, ist er nie wieder aufgetaucht. Die kam von weit dort draußen.« Er zeigt auf den Nordwestrand, wo sich einige Sterne der Klasse GO entlang ziehen. »Da könnte es eine Reihe guter Planeten geben. Am weitesten draußen ist der, wo die Verschwundene Kolonie gewesen ist. Und dass du dich davon bloß fernhältst, übrigens, falls du je so weit kommst. 35-12 Nord. Das ist 30 Minuten 12 Sekunden Nord, 30-40 West. Die Grade lassen wir weg; die sind hier draußen Konstanten: 89 Grad Nord bei 70 West. Radiale Entfernung - also von Base 900 aus, wie alle - 32 Milliarden Kilometer. Irgendeine Seuche oder so hat sie ausgelöscht, kurz nachdem ich hier angefangen habe. Wir haben Warnsatelliten aufgestellt … So, und nun musst du noch deinen Zielort angeben. Die Karten dafür sind umsonst, den Rest musst du bezahlen.«

»Was empfehlen Sie denn? Für meine erste Tour?«

»Für deine erste Tour … da empfehle ich dir die eine Bakenstrecke, die wir haben, oben bei Ace’s Landing. Das sind zwei Funkbaken, drei Sprünge. Ist nett da, Hütte, Süßwassersee, mit allem Drum und Dran. Dort lebt niemand, aber wir haben einen Steineklopfer, der alle seine langen Urlaube dort verbringt, zusammen mit ein paar Kumpels. Du kannst deine Teleskope rausholen und auf Fischzug gehen; alles, was man da draußen sieht, ist unerforscht. Und wenn du Glück hast, ist es gerade noch in Funkreichweite.«

»Wie kann denn etwas außer Funkreichweite sein? Ich hör das immer wieder.«

»Liegt am Graben. Relativistische Effekte hier draußen, wo sich die Dichte ändert. Also die Frequenz kriegt man schon rein, aber das Rauschen, der Verstümmelungsgrad, ist hoffnungslos. Manch einer behauptet, dass sogar die elektronische Ausrüstung Ärger macht, wenn man richtig in den Graben reinfliegt.«

»Wie viel berechnen die einem denn, wenn man in der Hütte übernachtet?«

»Gar nichts, wenn du Essen und Schlafsack selber mitbringst. Luft und Wasser sind perfekt.«

»Wenn ich was Interessantes im Teleskop sehe, will ich vielleicht noch einen Ausflug weiter raus machen.«

»Grün. Wir berechnen die Kartengebühren neu, wenn du wieder zurückkommst. Aber wenn du da herumschipperst, dann pass auf diese Vortexlage hier auf.« Er zeigt mit seinem Stift nördlich von Ace’s Landing ins Holo. »Im Moment weiß niemand, ob das ein paar kleine sind oder ein richtig dicker Brocken von einer Schwerkraftfalle. Und denk dran, dass die Holos nicht besonders gut ineinanderpassen -« Er schiebt eine zweite Karte ein Stück in die Darstellung; mehrere Sterne sind schlimm gedoppelt.

»Alles klar. Und ich werde die Augen offenhalten und eine Funkwache nach diesem verschwundenen Schiff durchführen, dem von BK.«

»Tu das …« Er kommt auf einen Endbetrag, der ihre Credits fast auf null bringt. »Ich hoffe wirklich, die tauchen bald wieder auf. Ist sonst gar nicht ihre Art, irgendwo rumzutrödeln … Hier, bitte, nun hast du grün.«

Sie hält ihm ihren Belegchip hin. »Damit ist er aufgebraucht.« Sie grinst. »Fast.«

Immer noch im Anzug und ihre Tasche voll Karten-Kassetten schleppend, wirft Coati einen letzten Blick durch die große Fensterwand des Hauptkorridors. Sie hat eine Entscheidung zu treffen. Zwei Entscheidungen eigentlich, aber die eine macht keinen Spaß - sie muss ihren Eltern irgendeine Nachricht zukommen lassen, und zwar ohne sich dabei jemandem gegenüber zu verraten, der vielleicht die Funksprüche überprüft. Sie verzieht das Gesicht, dann fällt ihr etwas ein: Ihre Schwester auf einem Planeten in der Nähe von Cayman’s hat genug Geld geheiratet, um sämtliche Gebühren übernehmen zu können, die der Empfänger zu zahlen hat, und nachvollziehbar wäre es auch noch - ja.

Die Kommunikationsabteilung, Kommo, ist zwei Türen weiter.

»Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen«, sagt sie zu einer Frau namens Pauna. »Mein Schwager ist der Banker des Planeten. Sie können ihn in dieser großen Ephemeride da überprüfen. Javelo, Hunter Javelo.«

Pauna lässt Vorsicht walten und überprüft. Was sie auf Port-of-Princes findet, beruhigt sie genug, um die Nachricht dieses merkwürdigen Mädchens anzunehmen. Zwischendrin an ihrem Stift lutschend, schreibt Coati:

Überraschung, liebstes Schwesterlein! Ich bin draußen auf FedBase 900. Es ist toll hier. Ich sehe mich ein bisschen um und düse dann wieder nach Hause, aber vorher schaue ich noch bei dir vorbei. Sag allen, dass es mir gut geht, das Schiff ist der reinste Traum, und tausend Dank. Alles Liebe, Coati.

So! Das bringt alles rüber, ohne irgendwen aufzuregen. Bis ihr Vater FedBase 900 verständigt, falls überhaupt, ist sie längst weg.

Und jetzt, sagt sie sich, als sie zurück zum Hafen geht, jetzt kommt die große Frage. Wohin genau soll die Reise gehen?

Na, sie kann jederzeit den Rat des Beamten der Kartenabteilung annehmen und es sich auf Ace’s Landing gut gehen lassen, den Himmel beobachten und ihren nächsten Ausflug planen. Die schiere Größe des Alls beeindruckt sie jetzt doch ein bisschen, und das Unbekannte macht sie frösteln. Angenommen, sie würde in einen nicht eingezeichneten Schwerkraftvortex geraten? Das ist ihr bis jetzt bloß einmal passiert, und da war es ein kleiner, und hinterm Steuer hat ein guter Pilot gesessen. (Das war einer der Flüge, von denen sie ihren Eltern nichts erzählt hat.) Und das Ganze läuft ihr ja nicht weg.

Andererseits ist sie gerade hier, komplett vorbereitet. Und wenn sie nächstes Mal los will, machen ihre Leute vielleicht Ärger. Sollte sie nicht besser alles tun, was sie kann, solange sie es noch kann?

Na ja, und was zum Beispiel?

Bei der Bemerkung des Karten-Beamten über diese GO-Sonnen ist sie hellhörig geworden. Und die eine Sonne ist doch die, wo das arme verschollene Team hinwollte; sie hat die Koordinaten auf ihrem Unterarm stehen. Wenn sie es nun finden würde! Oder - wenn sie einen tollen Planeten fürs Terraforming finden würde und dem dann einen Namen geben dürfte!

Die Waagschalen der Entscheidung, die ohnehin nie richtig ausgeglichen gewesen sind, kippen entschieden zu der Vorstellung von gelben Sonnen hin - während Coati die nach draußen führende Gangway fast schon hinaufrennt.

Ein letztes Aufflackern von Vorsicht ermahnt sie, egal welches Ziel sie hat, als Allererstes die Bakenstrecke nach Ace’s Landing zu nehmen. Ihre Entscheidung hat doch Zeit, bis sie um die erste Funkbake herumkurvt.

Sie stellt fest, dass die CC-One vom Tankhafen hinüber zum Rand des Areals geschafft worden ist, von dem die Normalschub-Schiffe abfliegen. Sie marschiert dorthin und steigt ein und merkt gar nicht, dass sie ein fröhliches Liedchen summt. Das passiert jetzt in echt! Sie ist wirklich und wahrhaftig auf dem Weg!

Sie schnallt sich an, holt während der Startvorbereitungen eine Imbissration heraus und beißt sie auf. Für eine Mahlzeit auf der Basis war sie zu abgebrannt. Das Kurssetzen und Beschleunigen lässt ihr noch Zeit zum Verdauen; sie hat eine abergläubische Abneigung dagegen, mit vollem Bauch in den Kälteschlaf zu gehen. Während des Kälteschlafs passiert rein gar nichts, und sie ist daran seit ihrer Kindheit gewöhnt, aber der Gedanke an diesen fremden Klumpen Essen im Bauch bereitet ihr jedes Mal Sorgen. Was bringt den zum Stillstand, bevor er Teil von ihr wird? Was, wenn der auf die Idee kommt, ihr hoch in den Hals zu steigen?

Also mampft sie drauflos, während sie die Holokartendaten in ihren Computer einspeist und FedBase 900 weit unter sich lässt. Freude erfüllt sie, als ihr bewusst wird, dass das jetzt der bedeutsamste Abschnitt ihres Lebens wird. Mitten zwischen dem Leuchten unvertrauter Sterne, den dunklen Graben vor sich, macht sie den Kurs zu Funkbake 900-1/AL fertig und lauscht darauf, wie die c-Sprung-Konverter, das Herz ihres Schiffs, den Abkühlprozess einleiten. Die c-Sprung-Antriebseinheit muss fast auf den absoluten Nullpunkt supergekühlt werden, damit sie das nur teilweise verstandene Wunderwerk leisten kann, wechselwirkende Schwerkraftfelder zu stören und die CC-One und ihre Pilotin mit relativistischer Geschwindigkeit ans Ziel zu übertragen.

Als das erste Klicken und Klirren der Abkühlung durch den Rumpf hallt, hängt Coati ihren Anzug auf, öffnet ihre Schlaftruhe Größe S, klettert hinein und verpasst sich die Injektion. Ihre Gefühle beim Schließen der Haube sind die eines Kindes der alten Erde während des Einschlafens am Abend vor der Bescherung. Dem All sei Dank für den Kälteschlaf, denkt sie schläfrig. Er hat uns die Sterne geschenkt. Man stelle sich bloß mal diese ersten mutigen Entdecker vor, die leben und altern und diese ganzen Tage im Wachzustand verbringen mussten, monatelang, jahrelang …

Sie erwacht in scheinbar demselben Sternfeld, doch als sie die Truhe zugemacht hat und sich den Hintern reibt, der von den Aufwachinjektionen juckt, fällt ihr auf, dass der Graben anders aussieht.

Er ist größer und - hey, er umgibt das komplette Schiff! Schwarze Ranken fast schon dicht hinter ihr. Sie befindet sich in einer der ausgefransten Sternballungen, die hinaus in den Graben ragen. Und bis auf einige wenige lodernde Sonnen sieht das Sternfeld duster aus - kein Wunder, die Sterne sind ja alle weit weg! Oder besser gesagt, es sind nur einige wenige nahe vorhanden, und dann kommt in mittlerer Entfernung eine Leere, wo eigentlich Sonnen hingehörten. Jenseits davon liegt nur noch der weit entfernte, blasse Sternenteppich.

Das Schiff ist voller Lärm; als sie richtig wach ist, wird ihr klar, dass sowohl ein Funkfeuer als auch ihr Massetaster kräftig fiepen und brummen. Sie schaltet sie ab, peilt die Bake an und bringt das Schiff in eine langsame Umlaufbahn. Diese Bake wurde wie FedBase 900 auf einem großen Asteroiden errichtet, was ihr gerade genug g zur Stabilisierung gibt.

Sehr schön. Wenn sie zu Ace’s Landing will, braucht sie nur die Koordinaten für Bake 900-2/AL einzugeben und wieder schlafen zu gehen. Aber wenn sie sich diese gelben Sonnen anschauen möchte, muss sie ihre Karten herausholen und einen sicheren Zweier- oder Dreier-Sprung zu einer davon ausarbeiten.

Selbst wenn gar keine Körper im Weg sein sollten, kann sie nicht einfach die Koordinaten eingeben und direkt dort hinfliegen, weil der Sprung-Antrieb so konstruiert wurde, dass er sich abschaltet und sie weckt, wenn sie zu tief in ein starkes Schwerkraftfeld einzudringen droht oder ein Asteroidenschwarm oder eine sonstige Gefahr des leeren Raums ihren Weg kreuzen könnte. Darum muss sie Korridore austüfteln, die schön weit an irgendwelchen Massezentren oder bekannten Problemen vorbeiführen.

Sie muss jetzt also ihre Entscheidung fällen … Aber im Ernst, hat sie das nicht schon getan, als sie eben eingeschwenkt ist? So lange dauert es schließlich nicht, die zweite Bake einzutippen … Doch. Sie muss richtig in die Wildnis. Nur für eine Hütte auf Ace’s Landing ist sie hier doch nicht herausgekommen. Diese unbekannten gelben Sonnen dagegen … Und vielleicht kann sie sich ja auch irgendwie nützlich machen und zum Beispiel diese verschollenen Männer finden; eine kleine Chance besteht durchaus. Vernünftig wäre es, in kleinen Schritten vorzugehen. Also erst mal nach Ace’s Landing - aber noch vernünftiger ist es, aufs Ganze zu gehen, anstatt zu riskieren, dass man ihr verbietet, noch mal herzukommen, grün, Start!

Während dieser Überlegungen hat sie schon fleißig Kassetten gesichtet und für diese GO-Sonnen sortiert. Wie der Beamte der Kartenabteilung sie gewarnt hat, passen sie an den Rändern nicht gut ineinander. Sie müht sich gerade damit ab, zwei Holos in einen billigen Rahmen zu zwängen, der für eins gebaut ist, als ihr Massetaster loslegt.

Sie guckt hoch und macht sich bereit, einem Himmelsfelsen auszuweichen oder ihn abzulenken. Verblüfft erblickt sie vor sich etwas, das eindeutig nicht natürlichen Ursprungs ist. Ein Schiff? Es wird größer - aber nicht groß genug, nicht bei der Rate, mit der es kommt. Es wird sauber an ihr vorbeifliegen. Was kann das sein? Bilder dieses sagenhaften winzigen Schiffs voller noch winzigerer Außerirdischer schießen ihr durch den Kopf.

Es ist dermaßen klein - hey, sie könnte es glatt bergen! Ohne groß nachzudenken, schwenkt sie die CC-One herum und geht auf Parallelkurs. Sie versteht sich auf knifflige kleine Beschleunigungsanpassungen. Das Ding nimmt anscheinend an Geschwindigkeit zu, während sie da rantuckert. Vom Jagdfieber gepackt, brummelt sie: »Das könnte dir so passen!« und fährt den doch eher unzureichenden Greifarm aus.

Noch während sie das tut, wird ihr klar, was das ist. Aber sie ist zu aufgeregt zum Denken; sie pflückt das Ding sauber aus dem All, bugsiert es nach einigen vergeblichen Anläufen in den Frachtraum, schließt die Luke und lässt Luft einströmen.

Sie hat sich eine Postkapsel geschnappt! Die gerade unterwegs zur FedBase gewesen ist; von woher, wissen die Götter. Die Kapsel ist so langsam gewesen, weil sie ebenfalls bei Bake 1 den Kurs geändert hat. Darf man solche offiziellen Nachrichten eigentlich abfangen? Oder steht das unter Strafe?

Na ja, wo Coati sich die Suppe nun schon eingebrockt hat, kann sie sie ebenso gut auch auslöffeln. Es dauert eine Weile, bis die Kapsel warm genug zum Anfassen ist. Also macht Coati sich wieder an ihre Kartenarbeit und beschließt, nur rasch einen Blick auf die Post zu werfen und das kleine Ding dann wieder auf den Weg zu schicken. So eine kurze Unterbrechung kann doch bestimmt nicht schaden - Kapseln werden nicht wegen ihrer Schnelligkeit eingesetzt, sondern weil der Absender außer Funkreichweite ist.

Dass sie das Ding wieder zum Laufen bekommen wird, steht für Coati fest. Sie hat die Anweisungen auf der Hülle schon gesehen. Wie alle Weltraumausrüstung der Föderation ist die Kapsel so gebaut, dass Laien notfalls damit zurechtkommen.

Ungeduldig macht Coati eine Karte fertig, dann geht sie und fischt das Ding aus dem Hangar, obwohl es noch so kalt ist, dass sie Handschuhe anziehen muss. Als sie die kleine Luke öffnet, treibt eine Wolke aus goldenen Staubkörnchen heraus und lenkt sie so sehr ab, dass sie, als sie nach der Kassette im Inneren greift, mit dem bloßen Handgelenk ans Metall kommt. Autsch!

Sie sieht sich ihren Arm an. Hoffentlich hat sie sich keine fiese Kälteverbrennung zugezogen. Nichts zu sehen, bloß ein merkwürdig staubiger Kratzer. Keine Rötung. Aber sie kann spüren, wie tief in ihrem Unterarm die Nerven zucken. Komisch! Sie reibt die Stelle und holt die Kassette mit mehr Vorsicht heraus. Es ist eine Standardaufnahme, sie hat sie im Nu in ihren Voder eingelegt.

Die Stimme, männlich, klingt so belegt und undeutlich, dass Coati noch einmal zurückspult.

»Versorgungs- und Erkundungsteam Nr. 9-14 BK meldet sich«, hört sie nun heraus. Aufgeregt registriert sie die Kennung. He, das ist das vermisste Schiff! Das ist wichtig. Sie sollte das sofort an die Basis weiterschicken. Aber kann doch nichts schaden, wenn sie sich auch den Rest anhört, oder?

Der Mann erklärt, dass bei 30-20 Nord, 42-28 West, RE 27 ein neues Depot angelegt worden ist. Der Planet gehört zu einer dieser gelben Sonnen, und die Koordinaten hat Coati auf dem Unterarm. »Erdähnlichkeit 95 Prozent.« Seine Stimme ist jetzt ein bisschen besser zu verstehen.

Der Mann fährt fort, dass man sich nun zur Basis zurückarbeiten und bei einem sehr erdähnlichen Planeten Halt machen werde, den sie bei 18-10 Nord, 28-30 West, RD 27 ausgemacht hätten, in derselben Gruppe von Sonnen. »Aber - äh …« Er bricht ab, fährt dann fort.

»Bei 30-20 sind ein paar Sachen passiert. Da gibt’s Leben. Ich schätze, wir haben einen, äh, Erstkontakt. Sie -«

Unvermittelt mischt sich ein zweiter Mann ein.

»Wir haben’s genau wie im Handbuch gemacht. Wie Im Handbuch für Erstkontakte.«

»Ja«, fährt der Erste fort. »Hat prima funktioniert. Die waren total freundlich. Sie hatten sogar ein paar Worte Galaktisch drauf, und die Signale. Aber sie -«

»Das Wrack. Erzähl ihnen von dem Wrack!«, sagt der andere.

»Ach, stimmt. Ja. Da gibt’s ein Wrack, ein altes Erkundungsschiff. Ein richtig altes. Man kann die Notflagge nicht sehen, die ist total zugewachsen. Wir nehmen an, dass es Ponz ist. Also hat vielleicht er den Erstkontakt gemacht.« Das deprimiert den Sprecher hörbar. »Soll der Chef entscheiden … Jedenfalls haben die so eine Art Behandlung, die sie einem geben, wie eine Pille, die einen schlauer macht. Dauert zwei Tage mit viel Schlafen. Dann lassen sie einen raus, und man kann alles verstehen. Ich meine - alles! Es war - so was wie das haben wir noch nie erlebt. Jeder kann reden und die anderen verstehen. Also genauso wie wir jetzt, ja? Ist aber schon komisch … Jedenfalls haben die uns geholfen, eine ebene Stelle zu finden, und wir haben ein richtig schönes Treibstoffdepot angelegt. Wir -«

»Wie sie ausgesehen haben!«, wirft der andere ein. »Wir sind doch egal. Erzähl ihnen davon, wie sie ausgesehen haben und was sie gemacht haben.«

»Ja, stimmt. Gut. Große weiße Körper, komplett behaart. Und sechs Beine; sie laufen meistens auf den hinteren vier, die oberen zwei sind wie Arme. Sie haben so langgezogene Körper, lange weiße Katzen, groß; wenn sie sich zum Gucken aufrichten, gehen sie uns bis über die Köpfe. Und sie haben …« Hier stockt die Stimme, als fiele es dem Sprecher schwer, es auszusprechen. »Sie sind irgendwie, ähm, doppelt ausgestattet. Also mit Weichteilen, meine ich. Manche von ihnen. Und ihre Gesichter« - fährt er fort, erleichtert jetzt - »ihre Gesichter sind wild. Solche Zähne! Als sie das erste Mal gucken gekommen sind, waren wir ganz schön nervös. Und große Augen, irgendwie eine Mischung aus Tier- und Menschenaugen. Katzenaugen. Aber sie waren freundlich, sie haben unsere Signale erwidert, also sind wir raus. Da haben sie uns gepackt und ihre Köpfe auf unsere Köpfe gedrückt. Dann haben sie uns losgelassen und sich aufgeführt, als ob irgendetwas nicht stimmte. Ich habe den einen ›Ponz‹ sagen hören und etwas wie ›Lashley‹ oder ›Leslie‹.«

»Leslie ist bei Ponz mitgeflogen, hab ich dir doch gesagt«, wirft der zweite ein.

»Ja. Jedenfalls haben sie uns dann wieder gepackt und festgehalten, und da haben wir diese Behandlung gekriegt. Ich glaube, irgendwas ist in mich reingefahren, ich kann immer noch so eine Art Stimme hören. Ko meint, er auch. … Ach, und es gab auch noch Junge und ein paar andere Viecher, die auf einer Insel rumspaziert sind, und die haben erklärt, sie wären nicht wie sie, bis sie diese Behandlung kriegen. ›Drons‹ nennen sie diese Jungen. Und danach sind es ›Ee-ah-drons‹. Also die, mit denen wir gesprochen haben. Es ist ziemlich verwirrend. Als ob die ›Ee-ah‹ auch Leute sind. Aber man sieht sie nicht.« Er - es muss Boney sein - wird leiser. »Hab ich alles?«, hört Coati ihn zur Seite hin fragen.

»Ja, denke schon«, antwortet der andere - Ko. »Wir fliegen besser mal los, wir haben ja noch einen Zwischenstopp vor uns … und mir geht’s irgendwie nicht so besonders. Wären wir bloß schon zu Hause.«

»Geht mir genauso. Komisch, wo wir doch so gut drauf waren. Na ja, DVS 9-14 BK macht Schluss … Ich schätze, das ist die längste Meldung, die wir je geschickt haben, hm? Ach, und wir haben noch ein paar Korrekturen für euch. Bleibt dran.«

Nach einer endlosen Aufzählung von Koordinaten-Berichtigungen endet die Aufnahme.

Coati sitzt da und versucht, aus dem Bericht schlau zu werden. Fest steht, dass es Kontakt mit einer neuen Zivilisation gegeben hat und die Leute anscheinend freundlich sind. Aber irgendetwas daran stimmt Coati negativ - sie ist nicht gerade scharf darauf, loszudüsen und die großen Sechsbeiner kennenzulernen und sich diese ›Schlauermach-Behandlung‹ abzuholen. Boney und Ko waren anscheinend ziemlich - naiv. Vielleicht wurden sie da irgendwie reingetrickst, benutzt? Aber sie kommt weder darauf wieso noch wozu. Es ist ihr zu hoch …

Außerdem ist klar, dass sie zur Basis sollte, und zwar schnell. Folgt nicht gerade ein Schiff dem Kurs von Boney und Ko? Womit es auf dem Katzenplaneten landen wird, und der ist bei - sie konsultiert ihren Unterarm - ja, 30-20 Nord und so weiter. Ach Mensch, muss sie echt zurück? Ihren Ausflug abbrechen, wenden und das hier weitergeben? Wieso hat sie bloß einen auf clever gemacht und sich in fremde Angelegenheiten eingemischt?

Aber Moment mal - vielleicht ist sie ja immer noch in Funkreichweite. Und eigentlich - hey, wenn es dringend ist, könnte sie die Sache doch beschleunigen, indem sie die Basis anfunkt und die Nachricht vorliest und so die letzte Teilstrecke überspringt. Dann können die sie doch gar nicht wegen Einmischung fertigmachen!

Sie fährt den Transponder hoch und ruft FedBase 900. Schließlich antwortet eine Stimme, die zwischen den Störgeräuschen kaum auszumachen ist. Coati dreht an den Entstörungselementen und bekommt sie ein bisschen klarer rein.

»FedBase 900, hier ist CC-One bei AL-Bake 1. Können Sie mich hören? Ich habe eine Postkapsel von Versorgungsschiff DVS 9-14 BK abgefangen, von dem vermissten Schiff. Boney und Ko.« Sie wiederholt es. »Hören Sie?«

»Positiv, CC-One. Nachricht von 9-14 B&K abgefangen. Wie lautet die Nachricht?«

»Die ist zu lang zum Vorlesen. Aber hören Sie - das ist wichtig. Die sind auf dem Weg zu einem Planeten bei - warten Sie ein Minim -« Sie spult die Aufnahme zurück und bekommt die Koordinaten. »Und davor sind sie auf diesem Planeten bei 30-20 Nord gewesen, die genauen Daten liegen Ihnen vor. Dort gibt es Leben! Es ist ein Erstkontakt, glaube ich. Aber hören Sie, die meinen, irgendwas stimmt da nicht. Sie sollten dort wohl besser nicht hinfliegen, solange Sie nicht die komplette Nachricht gehört haben. Ich leite sie sofort weiter.«

»CC-One. Ich hab da ein Stück verpasst. Ist dieser Planet bei 30-20 Nord ein Erstkontakt?«

Störungen überlagern die Stimme des Funkers. Coati sagt so laut und deutlich, wie sie kann: »Ja! Positiv! Aber nicht, ich wiederhole, nicht - dort - hinfliegen, bevor Sie nicht die originale Nachricht von B&K bekommen haben. Ich - schicke - Kapsel - sofort - ab. Haben Sie verstanden?«

»Ich wiederhole … Planeten bei 30-20 Nord, 42-28 West nicht anfliegen, bevor BK-Nachricht eintrifft. Kapsel kommt schnellstens. Grün, CC-One?«

»Grün. Wenn ich diese Kapsel nicht zum Laufen kriege, dann bringe ich sie persönlich. CC-One Ende.« Sie schaltet in einem lauten Statikwirbel ab und wendet ihre Aufmerksamkeit der Kapsel zu, die wieder auf den Weg gebracht werden will.

Aber bevor sie die Kassette aus dem Voder nimmt, überprüft sie noch einmal die Kennung des Planeten, zu dem BK unterwegs sind. 18-10 Nord, 28-30 West, RE 27. Das ist näher dran als der Erstkontaktplanet; richtig, sie hatten ja gesagt, dass sie auf dem Rückweg dort Halt machen würden. Coati schreibt die ersten Koordinaten von ihrem Arbeitsblock ab und ersetzt die an ihrem Handgelenk durch die neuen. Wenn sie bei der Suche nach Boney und Ko helfen will, dann sollte sie direkt dort hinfliegen - aber endgültig entschieden ist das natürlich noch nicht. Als sie den Ärmel wieder nach unten streift, fällt ihr auf, dass der Arm sich immer noch komisch anfühlt, aber sie kann nicht die Spur einer Kälteverbrennung entdecken. Sie reibt sich den Arm ein paarmal, und es geht weg.

»Bin wohl schon ganz kribbelig vor Aufregung«, murmelt sie. Sie hat die kindliche Angewohnheit, mit sich selbst zu reden, wenn sie allein ist. Das kommt bestimmt daher, dass sie als Kind so viel allein gewesen ist und immer vergnügt mit ihren Raumfahrtsachen und dem ’puter gespielt hat.

Die Postkapsel wieder auf den Weg zu schicken, erweist sich als babyleicht. Sie pustet dieses gelbe Staubzeug ab, legt die Kassette wieder ein und wirft die Kapsel bei den Sichtluken aus. Fasziniert sieht sie zu, wie sich das Miniaturschiff langsam dreht und auf das Zielsuchsignal ausrichtet, das von Base 900 ausgestrahlt wird. Dann scheint die Kapsel überzeugt und gleitet davon, wird immer schneller. Und sie hat ja, soweit Coati das beurteilen kann, wirklich die letzte Etappe von Bake 1 nach FarBase vor sich. Sehr schön! Sie hat vorher noch nie von diesen Kapseln gehört; es muss alle möglichen tollen Grenzer-Geräte geben, von denen sie noch nichts weiß.

Während sie der Kapsel hinterhersieht, plagen sie Schuldgefühle. Ist es nicht ihre Pflicht, wieder dichter an die Basis heranzufliegen und die Nachricht komplett vorzulesen? Stecken die Männer vielleicht in Schwierigkeiten, bei denen jedes Minim zählt? Aber die klangen grün, nur vielleicht ein bisschen geschafft. Und Coati weiß, dass sie routinemäßig nach jedem Halt eine Kapsel losschicken. Und manche dieser Korrekturen könnten entscheidend sein; die könnte sie nie ordentlich vorlesen, ihre Stimme würde versagen. Besser, die kriegen Boneys Originalbericht.

Sie wendet sich wieder der Frage zu, wohin es weitergehen soll, und merkt jetzt, dass sie sich etwas vorgemacht hat; sie hat sich nämlich längst entschieden. Sie wird einfach zu dem Planeten fliegen, wo BK hinwollten, und schauen, ob sie die da irgendwo finden kann. Vielleicht sind sie ja inzwischen zu krank zum Weiterfliegen, vielleicht haben sie eine weitere fremde Kultur gefunden und dort noch zu tun. Vielleicht macht ihr Schiff Probleme … Die könnten sich aus allen möglichen Gründen verspätet haben, und dann kann sie ja vielleicht helfen. Und inzwischen weiß sie ja, dass die Kapseln nicht von einer Planetenoberfläche aus gestartet werden können. Nur von oberhalb der Atmosphäre. Wenn Boney und Ko also nicht abheben können, dann können sie auch keinen Notruf abschicken - jedenfalls nicht per Kapsel.

So argumentiert sie halblaut, während sie mit den Holokarten zugange ist. Einen völlig neuen Kurs festzulegen und für den Computer vorzubereiten, macht viel mehr Arbeit als gedacht; die Aufgaben in der Schule damals sind anscheinend nach einfachen natürlichen Korridoren ausgewählt worden. »Oh Götter … das muss ich wieder löschen, da verläuft eine Asteroidenbahn. Hilfe! Bei dem Tempo komm ich ja nie von der Bake weg - richtige Forscher müssen sich die halbe Zeit über mit ihren Karten herumgeschlagen haben!«

Während sie noch schimpft, wird sie sich eines merkwürdigen kleinen Echos bewusst. Sie sieht sich um; die Kabine ist mit schimmernden Vorratskisten vollgepackt. »Die ruinieren mir total die Akustik«, grummelt sie. Das muss es sein. Bloß gibt es da so eine eigenartige Verzögerung; zum Beispiel hört sie das Wort ›Hilfe‹ so leise und klar, dass sie wirklich ein paar Minim damit zubringt, die vorderen Staunetze abzusuchen. Könnte sich auf FarBase ein sprechendes Haustier eingeschlichen haben? Ach, das arme Ding. Wenn sie es nicht irgendwie in den Kälteschlaf kriegt, wird es sterben.

Aber dann tut sich nichts mehr, und sie kommt zu dem Schluss, dass es bloß an der veränderten Akustik liegt. Bald hat sie einen guten, sicheren Drei-Etappen-Kurs zu diesem System bei 18-10 Nord ausgetüftelt. Ein Experte könnte bestimmt einen kürzeren, eleganteren Zweier-Sprung austüfteln, aber sie will nicht riskieren, von irgendeinem unvorhergesehenen Hindernis geweckt zu werden. Also wählt sie ihre Strecken anhand von sauber korrigierten roten Zwergen und anderen kaum sichtbaren Himmelsmerkmalen aus. Diese Karten sind Zeitgeschichte, fällt ihr auf. Nicht wie die anonymen Holos zu Hause, wo alles hundertmal im Jahr überprüft wird und man nur die Streifen ausgehändigt bekommt, die man für die Reise braucht. In diesen Karten hier kann sie förmlich die Handschrift der alten Forscher lesen. Dieser Ponz zum Beispiel muss einen Haufen Zeit dafür aufgewendet haben, die Route zu den gelben Sonnen auszutüfteln, bevor er auf 30-20 eine Bruchlandung gemacht und gestorben ist … Aber nun ist sie wirklich am Trödeln. Sie stapelt die vorbereiteten Kassetten sortiert ins Eingabefach des Computers und lässt die erste einrasten. Endlich ins Unbekannte!

Sie macht ihre Schlaftruhe klar und hüpft hinein. Als sie sich entspannt, fällt ihr auf, dass sie immer noch so ein seltsames Gefühl hat, als wäre etwas oder jemand bei ihr. »Vielleicht weil ich jetzt zur Gemeinschaft des Alls gehöre oder so«, sagt sie romantisch und stellt sich eine zukünftige Karte mit einer kleinen ›CC‹ Korrektur darauf vor. Ha! Sie lacht laut in der Dunkelheit, schläfrig, und fühlt sich toll. Während sie in traumlose Stasis fällt, umfängt sie ein beinahe schon körperliches rosiges Glühen.

Sie kann schlafend ins weglose All vordringen, ohne ernsthaft fürchten zu müssen, dass sie sich verirrt und nie wieder zurückkehren kann, weil alle Springschiffe ein herrlich simples kleines Gerät mit sich führen - eine Zeitrafferkamera im Heck, die unaufhörlich klickt und die Sternenszenerie hinter dem Schiff aufnimmt. Bewegung im Feld lässt sie schneller werden; bleibt das Feld statisch, verlangsamt sie bis zum Ruhezustand. Will der Pilot irgendwann umkehren, braucht er nur die entsprechende Kassette zu nehmen und vorn in seinen Leitcomputer einzulegen. Der Computer wird suchen, bis er die Sternfeldabfolgen des Hinflugs dupliziert hat, und das Schiff fehlerfrei, wenn auch recht langsam, auf demselben Kurs wieder zurückbringen.

Sie erwacht, hüpft raus und erblickt eine völlig neue Sternenszenerie - eine große Ausdehnung strahlender gelber Sonnen vor einem sehr dunklen Arm des Grabens. Beim dichtesten Stern der Gruppe handelt es sich, wie sie rasch heraushat, um 18-10 Nord, genau wie berechnet! Am Rand seines nahen Schwerkraftfelds hat der Brenner abgeschaltet; den Rest kann sie auf Sicht fliegen.

Aufregung durchflutet sie wie die Morgensonne. Sie hat es geschafft! Ihr erster Sprung allein!

Das Glücksgefühl ist nicht nur mental; da ist auch wieder dieses körperliche Glühen von kurz vor dem Einschlafen, so stark diesmal, dass es sie für ein Minim verwirrt. Körperlich, eindeutig; ungefähr so wie der Kitzel der Selbststimulation, nur ohne das klebrig-kranke Gefühl, das sie normalerweise davon kriegt. Ihre Körperarbeitslehrerin, die ihnen beigebracht hat, wie man sexuelle Anspannung abführt, meinte, dass die negative Färbung noch weggeht, aber Coati ist da eh nicht so versessen drauf. Jedenfalls bestätigt das, was die Lehrerin gesagt hat: dass schon allein Aufregung das sexuelle Empfinden aktivieren kann. »Ach, hör mir auf«, schimpft sie ungeduldig. Sie muss den Brenner anwerfen und dorthin weiterfliegen, wo die Planeten sein könnten.

Kaum hat sie ihn angeworfen, da wendet sie sich dem Teleskop zu und sieht nach. Planeten - ja! Einer - zwei - vier - und da ist er! Blaugrün und weiß, sogar auf diese Entfernung! Boney und Ko meinten, die Tests hätten ergeben, dass er sich hochgradig fürs Terraforming eignet. So sieht er auch aus, findet Coati, die die alte Erde nur von Holos kennt. Kurz fragt sie sich, welcher Aspekt wohl gegen das Terraforming spricht; Unregelmäßigkeiten des Klimas, das Fehlen irgendwelcher großen Lebensformen? Wobei das egal ist - alles über 75 Prozent bedeutet: keine Schutzkleidung nötig, Luft und Wasser vorhanden und brauchbar. Sie kann ganz luxuriös raus ins Freie und die Gegend erkunden - auf einer neuen Welt! Aber sind Boney und Ko schon dort?

Sobald sie in Umlaufnähe zum Planeten kommt, wird sie einen standardmäßigen Suchflug durchführen müssen. Sämtliche Schiffe der Föderation sind radaransprechend ausgerüstet, damit man sie besser lokalisieren kann. Bloß verfügt ihr kleines Schiff nicht über ein richtiges Fed-Suchteleskop. Sie wird ihre Augen benutzen und ein viel zu enges Muster fliegen müssen. Das dürfte mühsam werden. Sie seufzt.

Sie ertappt sich dabei, dass sie die Schenkel zusammenpresst und sich träge räkelt und kratzt. Echt jetzt, dieses anschwellende sexuelle Gefühl nervt! Wobei der mentale Anteil durchaus etwas Ruhiges hat, fast wie tiefe Zufriedenheit. Ganz nett. Lenkt aber ab … Und als sie sich zurücklehnt, um den Anflug abzuwarten, hat sie erneut den Eindruck, an Bord nicht allein zu sein. Besuch zu haben, Begleitung. Dreht sie gerade ein bisschen durch? »Krieg dich ein«, ermahnt sie sich.

Ein Minim Totenstille … in die hinein ein leises Stimmchen deutlich vernehmbar sagt:

»Hallo … Hallo? Bitte hab keine Angst. Hallo?«

Es kommt von irgendwo hinter und über ihr.

Coati wirbelt herum, späht in alle Richtungen, sieht nichts Neues.

»W-wo bist du?«, fragt sie. »Wer bist du, hier drin?«

»Ich bin ein sehr kleines Wesen. Du hast mir das Leben gerettet. Bitte hab keine Angst vor mir. Hallo?«

»Hallo«, erwidert Coati langsam und strengt ihre Augen richtig an. Sehen tut sie trotzdem nichts. Und selbst wenn sie sich umdreht, bleibt die Stimme hinter ihr. Angst hat Coati keine, sie ist bloß total aufgeregt und neugierig.

»Was meinst du damit, ich hab dir das Leben gerettet?«

»Ich habe mich an der Außenseite des Artefakts festgehalten, das du eine Post nennst. Ich wäre bald gestorben.«

»Ja, aha.« Nun hat Coati doch ein bisschen Angst. Wenn die Stimme etwas sagt, spürt Coati eindeutig, wie sich ihr Kehlkopf und ihre Zunge bewegen - als würde sie die Worte selbst aussprechen. Götter - sie dreht durch, sie halluziniert! »Ich führe Selbstgespräche!«

»Nein, nein«, beruhigt die Stimme sie - ihre Stimme. »Du hast recht - ich verwende deinen Sprechapparat. Entschuldige bitte, aber ich selbst habe keinen, den du hören könntest.«

Coati ist skeptisch, lässt sich das durch den Kopf gehen. Wenn es sich hierbei um eine Halluzination handelt, ist die aber echt komplex. So etwas hat sie noch nie erlebt. Passiert das vielleicht doch wirklich, ist das Alien-Telekinese oder so?

»Aber wo steckst du? Warum kommst du nicht heraus und zeigst dich?«

»Ich kann nicht. Ich werde es erklären. Bitte versprich mir, dass du dich nicht fürchten wirst. Ich habe nichts kaputtgemacht und werde jederzeit gehen, wenn du das wünschst.«

Da fällt Coati etwas ein, und sie wirft einen scharfen Blick zum Computer hinüber. Im Kino kommen manchmal Holos über außerirdische Geistwesen, die Computer übernehmen. Soweit sie weiß, ist das in Wirklichkeit noch nie passiert. Aber wer weiß -

»Steckst du in meinem Computer?«

»In deinem Computer?« Unglaublich, aber das klingt jetzt fast wie ein Kichern. »In gewisser Weise ja. Wie ich schon sagte, ich bin sehr, sehr klein. Ich befinde mich in den leeren Stellen in deinem Kopf.« Die Stimme fügt rasch hinzu: »Bitte hab keine Angst, ja? Ich kann jederzeit rausgehen. Aber dann können wir uns nicht unterhalten.«

»In meinem Kopf!«, ruft Coati. Aus irgendeinem Grunde reizt sie das zum Lachen; sie sollte natürlich eine ernsthaftere Reaktion zeigen, aber das einzige, was ihr einfällt, ist, dass sich ihre Nasennebenhöhlen darum so verstopft anfühlen. »Wie bist du denn da reingekommen?«

»Als du mich gerettet hast. Denken konnte ich da nicht. Ein primitiver Tropismus lässt uns in einen Körper eindringen und zum Kopf bewegen. Als ich zu mir kam, war ich hier. Weißt du, zu Hause leben wir in den Gehirnen unserer Wirtstiere. Genaugenommen sind wir sogar ihre Gehirne.«

»Du hast dich durch meinen Körper bewegt? Ach so - von der Stelle an meinem Arm aus?«

»Ja, wahrscheinlich. Ich habe nur vage, primitive Erinnerungen daran. Weißt du, wir sind wirklich sehr klein. Wir leben in den, wie du es wohl nennst, intermolekularen, vielleicht interatomischen Räumen. Unsere Passage lässt alles heil. Für mich ist dein Körper so offen und durchlässig wie für dich deine Umgebung. Ich habe gar nicht gewusst, dass es hier um uns herum so viel großräumliche Festigkeit gibt, bis ich sie durch deine Augen gesehen habe! Als du dann kalt wurdest, bin ich zu mir gekommen und habe die Gegend erkundet und die Sprachzentren entziffert. Dabei verging eine lange, lange Zeit. Es war … einsam. Ich wusste nicht, ob du je wieder aufwachen würdest …«

»Ja …« Coati lässt sich das durch den Kopf gehen. Das alles hätte sie sich doch bestimmt nicht ausdenken können. Es passiert wohl wirklich! Aber ihr fällt nur eines ein, das sie sagen kann: »Du benutzt auch meine Augen?«

»Im zweiten Schritt habe ich den Sehnerv angezapft. Sehr vorsichtig, kann ich dir versichern. Auch deine Gehörkanäle. Das ist mit das Erste, was wir machen, ein primitives Programm. Und wir sorgen dafür, dass der Wirt glücklich ist, damit er keine Angst hat. Du bist doch glücklich, oder?«

»Glücklich? … Hey, dann machst du das? Hör mal, wenn du das bist, dann übertreibst du! Ich will nicht ganz so viel ›Glück‹ empfinden, wie du es nennst. Kannst du das runterregeln?«

»Nicht? Oh, das tut mir sehr leid. Bitte warte - meine Bewegungen sind langsam.«

Coati wartet und denkt so ungeordnet über alles zugleich nach, dass es sie ganz wuschig macht. Bald darauf lässt sich eine deutliche Abnahme des körperlichen Glühens feststellen. Es überzeugt sie mehr als alles andere, dass ihr neuer Mitbewohner wirklich existiert.

»Kannst du meine Gedanken lesen?«, fragt sie langsam.

»Nur wenn du Wörter bildest«, antwortet ihre eigene Stimme. »Subvokalisieren nennt ihr das wohl. Ich habe diese ganze lange kalte Zeit darauf verwendet, mir dein Vokabular und deine Sprache anzueignen. Wir haben einen primitiven Trieb zur Kommunikation. Wie vielleicht alle Lebensformen.«

»Eine komplette Sprache mithilfe eines Gehirns zu erwerben, das in der Kühltruhe schläft, ist eine ganz schöne Leistung«, sagt Coati nachdenklich. Sie bemerkt allmählich eine gewisse Abweichung in ihrer Stimme, wenn das fremde Wesen sie benutzt; sie kommt ihr höher vor, ein bisschen gepresst - und manchmal sind Wörter zu hören, die Coati nur vom Lesen her kennt und nicht im aktiven Wortschatz hat.

»Ja. Glücklicherweise hatte ich Zeit genug. Aber wie enttäuscht und deprimiert ich war, als es so aussah, als würdest du nie wieder aufwachen. Die ganze Mühe für nichts. Ich bin ja so froh, dass du noch lebst! Nicht bloß wegen der Mühe, sondern wegen - wegen des Lebens … Ach ja, und ich hatte erst einmal Gelegenheit, mit deiner Spezies zu üben. Dein Gehirn ist allerdings ganz anders.«

Da kann Coati noch so aufgeregt und überwältigt von all dem sein, blöd ist sie nicht. Das Reden über ›zu Hause‹ und ›Wirtstiere‹ lässt sie an den Bericht von Boney und Ko denken.

»Haben die beiden Männer, auf deren Postkapsel du mitgeflogen bist, deinen Heimatplaneten besucht? Es waren zwei Menschen, also solche wie ich, aber in einem größeren Schiff als diesem hier.«

»Oh, ja! Ich habe zu denen gehört, die abwechselnd bei ihnen gewesen sind! Und als sie abgeflogen sind, habe ich gerade einen von ihnen besucht …« Das Wesen vergewissert sich anscheinend noch einmal. »Dein Gehirn ist wirklich ganz anders.«

»Danke schön«, sagt Coati albern. »Ich habe gehört, dass diese beiden Männer - diese beiden Menschen - nicht gerade helle Köpfe sein sollen.«

»Helle Köpfe? Ach so, ja … Wir haben einiges repariert, aber viel ließ sich da nicht machen.«

Coatis chaotische Gedanken verbinden sich. Sie sitzt hier herum und plaudert mit einer Lebensform - einer fremden Lebensform, die in ihrem Kopf steckt und höchstwahrscheinlich gefährlich, eventuell sogar tödlich ist.

»Du bist ein Gehirnparasit!«, entfährt es ihr. »Ein intelligenter Gehirnparasit, der mit meinen Augen sieht und mit meinen Ohren hört und durch meinen Mund redet, als wäre ich ein Zombie - und wer weiß, vielleicht übernimmst du bald noch mein komplettes Gehirn!«

»Aber bitte! B-bitte!« Sie hört die eigene Stimme beben. »Ich kann sofort gehen - ist es das, was du wünschst? Und ich mache nichts kaputt - kein bisschen. Ich brauche sehr wenig. Tatsächlich habe ich einigen Unrat in deiner Hauptschlagader beseitigt, sodass es mehr als genug für uns beide gibt. Ich brauche nur ab und zu einige Bestandteile. Aber ich kann mich sofort zurückziehen. Es dürfte ein bisschen dauern, weil ich inzwischen tiefer eingebettet bin und mein Mentor nicht hier ist und mich anleiten kann. Aber wenn du möchtest, fange ich sofort damit an und gehe einfach wieder … Vielleicht kann ich jetzt, wo ich mich erholt habe, ja länger überleben - d-draußen an deine Schiffshülle geheftet.«

Das Pathos verfängt; die zittrige Stimme beschwört in Coati das Bild einer winzigen, traurigen, verängstigten Kreatur herauf, die im kalten Gefängnis des Alls bibbert.

»Das entscheiden wir später«, sagt sie reichlich schroff. »Gibst du mir bis dahin dein Ehrenwort, dass du nichts mit meinem Gehirn anstellst?«

»Nichts läge mir ferner«, flüstert ihre eigene Stimme indigniert. »Es ist ein schönes Gehirn.«

»Aber was hast du vor? Wohin versuchst du zu kommen?«

»Also eigentlich will ich nur nach Hause. Ich dachte, wenn ich es zu einem zentralen Ort der Menschen schaffe, können wir vielleicht jemanden finden, der mich zurück zu meinem Heimatplaneten Nolian und meinem eigentlichen Wirt bringt.«

»Aber wieso hast du Boney und Ko überhaupt verlassen und bist in dieser Postkapsel mitgeflogen?«

»Ach - da hatte ich noch keine Ahnung, wie groß diese leeren Räume sind und dachte, das wäre wie eine lange außerkörperliche Reise zu Hause. Brrr-rr! Merkst du, dass ich noch ein recht junges Wesen bin? Ich bin mit meiner Ausbildung noch lange nicht fertig. Meine Mentoren finden, ich bin leichtsinnig oder auch tollkühn. Ich - ich war auf Abenteuer aus!« Das Stimmchen klingt plötzlich stark und entschlossen. »Bin ich immer noch, aber ich sehe jetzt ein, dass ich mich besser vorbereiten muss.«

»Hmm. Hey, merkst du, dass ich auch noch jung bin? Da sind wir schon zwei. Und eigentlich suche ich auch das Abenteuer.«

»Du verstehst mich!«

»Na, und ob.« Coati grinst, seufzt. »Also schön, ich kann dich mit zur FedBase nehmen, und die schicken bestimmt bald ein paar Forscher zu eurem Planeten. Das ist für uns ein Erstkontakt, weißt du; so nennen wir das, wenn wir auf eine neue nichtmenschliche Kultur stoßen. Wir kennen bis jetzt ungefähr fünfzig, aber keine solche Lebensformen wie euch. Darum werden bestimmt welche losfliegen.«

»Oh, danke! Vielen Dank!«

Coati verspürt unvermittelt eine Wohligkeit, einen Drang -