Liebe ist der Plan - James Tiptree Jr. - E-Book
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Liebe ist der Plan E-Book

James Tiptree Jr.

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Beschreibung

"Liebe ist der Plan" enthält eine Mixtur aus zum Teil witzigen, zum Teil aufrüttelnden Geschichten. Aufs Neue fusioniert James Tiptree Jr. die Themen Sex, Tod und Entfremdung, unter anderem in den folgenden Schlüsselwerken: In "Liebe ist der Plan", einer verstörenden, tragikomischen Fabel, erleben wir aus der Sicht eines fremdartigen Rieseninsekts die Geschichte seines Erwachsenwerdens und seines Ringens um höhere Erkenntnis. Die Heldin in "Das eingeschaltete Mädchen", die abscheulich hässliche Philadelphia Burke, bekommt einen faustischen Pakt angeboten: Falls sie sich mit Elektroden verdrahten und auch in eine Kabine sperren lässt, vor der Welt verborgen, wird man ihr beibringen, dem begehrlichen Körper eines künstlichen Filmstars Leben einzuhauchen. In "Frauen, die man übersieht" finden sich zwei Männer und zwei Frauen nach einem Flugzeugabsturz in der entlegenen Wildnis Yucatán wieder. Doch die Frauen verhalten sich ungewöhnlich, und es kommt alles anders als gedacht...

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Seitenzahl: 772

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Inhaltsverzeichnis

Cover

Impressum

Über die Autorin

Titelseite

Buchanfang

Das eingeschaltete Mädchen

Amberjack

Der nachtblühende Saurier

Paradiesmilch

Schmerzweise

Und so weiter, und so weiter

Mother in the Sky with Diamonds

Vivyan

Der Mann, zu dem die Türen Hallo sagten

Ich warte auf euch, wenn der Swimmingpool leer ist

Liebe ist der Plan, der Plan ist Tod

All die vielen Jas

Der Mann, der nach Hause ging

Da fuhr ich auf und fand mich hier, auf dem kalten Hang

Am letzten Nachmittag

Ein leben für eine Hudson Bay Wolldecke

Frauen, die man übersieht

Angel Fix

Die einzelnen Erzählungen

Die Werkausgabe

Leseproben

Band 1: DOKTOR AIN

Band 3: HOUSTON, HOUSTON

Band 4: ZU EINEM PREIS

Band 5: QUINTANA ROO

Band 6: STERNENGRABEN

Band 7: YANQUI DOODLE

Die Mauern der Welt hoch

Helligkeit fällt vom Himmel

James Tiptree Jr. – Liebe ist der Plan

Sämtliche Erzählungen , Band 2

Copyright © 2015, Septime Verlag, Wien

Alle Rechte vorbehalten

Copyright © by the Estate of James Tiptree Jr.

Lektorat: Bastian Schneider

Umschlag: Jürgen Schütz

EPUB-Konvertierung: Esther Unterhofer

ISBN: 978-3-903061-28-6

Printversion: Hardcover, Schutzumschlag, Lesebändchen

Mit einem historisches Nachwort von Robert Silverberg:Wer oder was ist Tiptree?

übersetzt von Margo Jane Warnken

ISBN: 978-3-902711-37-3

www.septime-verlag.at

www.facebook.com/septimeverlag

www.twitter.com/septimeverlag

Über die Autorin

James Tiptree Jr.

(1915-1987) ist das männliche Pseudonym von Alice B. Sheldon. Tiptrees geheimnisvolle Identität faszinierte die Fans und gab Anlass zu vielen Spekulationen, freilich glaubten alle, es müsse sich um einen Mann handeln. Die Aufdeckung, noch zu ihren Lebzeiten, war ein Schlag: Diese knappen, harten und frechen Kurzgeschichten, die nur allzu häufig mit dem Tod enden, waren von einer alten Dame mit weißen Federlöckchen verfasst worden.

Sie zählt unter Science-Fiction-Fans zu den großen Klassikern, gleich neben Philip K. Dick und Ursula K. Le Guin. Ihre Kurzgeschichten, die sie erst im Alter von einundfünfzig Jahren zu schreiben begann, und von denen einige wohl zu den besten des späten 20. Jahrhunderts gehören, brachten ihr schnell Ruhm und zahlreiche Auszeichnungen ein.

Dennoch litt sie ständig unter schweren Depressionen und Todessehnsucht. Nach einem vorab geschlossenen Selbstmordpakt erschießt Sheldon im Alter von einundsiebzig Jahren erst ihren vierundachtzigjährigen Mann und dann sich selbst.

James Tiptree Jr.

Liebe ist der Plan

Sämtliche Erzählungen

Band 2

Aus dem Amerikanischen von Eva Bauche-Eppers, Elvira Bittner, Frank Böhmert, Sabrina Gmeiner, Laura Scheifinger, Andrea Stumpf, Samuel N. D. Wohl und Margo Jane Warnken

Das eingeschaltete Mädchen

Jetzt pass mal gut auf, du Zombie. Glaub mir. Was ich dir erzählen könnte, während du mit deinen albernen Händen bloß dein Aktienpaket vollschwitzt. Hast ein paar lausige Prozent bei AT & T mit zwanzig Prozent Gewinnspanne und hältst dich für Evel Knievel. AT & T? Du bescheuerter Schlauberger, wie gern würde ich dir etwas zeigen.

Schau her, alter Sack, würde ich sagen. Siehst du zum Beispiel dieses scheußliche Mädchen?

In der Menschenmenge dort drüben, die dort, die ihre Götter angafft. Ein wirklich scheußliches Mädchen in der Stadt der Zukunft (Genau, richtig gehört!). Schau hin.

Sie ist eingepfercht zwischen Körpern, streckt sich, die Seele quillt ihr vor Sehnsucht aus den Augenhöhlen. Liebe! Ooooh, liebe sie! Ihre Götter kommen aus einem Laden namens Body East. Drei blutjunge Kerle, die wie auf Wolken dahinschweben. Gekleidet wie einfache Leute von der Straße, doch … was für eine Wucht. Sieh nur, wie ihre großen Augen über ihren Nasenfiltern hin und her wandern, wie ihre Hände sich schüchtern heben, wie ihre unmenschlich sanften Lippen zerschmelzen? Die Menge stöhnt. Liebe! Diese ganze brodelnde Mega-City, die ganze spaßige Welt liebt ihre Götter.

Du glaubst nicht an Götter, Alter? Warte. Was immer dich auch anmacht, in der Zukunft gibt’s einen Gott dafür. Maßgeschneidert. Hör dir nur diese Menge an. »Ich habe seine Füße berührt! Oh, oooh, ich habe Ihn BERÜHRT!«

Sogar die Leute im GTX-Wolkenkratzer dort oben lieben die Götter – auf ihre ganz eigene Weise und aus ihren ganz eigenen Gründen.

Das merkwürdige Mädchen auf der Straße, sie liebt einfach nur. Ergötzt sich an deren wunderschönem Leben, deren geheimnisvollen Problemen. Niemand hat ihr je von Sterblichen erzählt, die einen Gott lieben und als Baum oder als Seufzer enden. Nicht im Traum würde ihr einfallen, ihre Götter könnten sie zurücklieben.

Jetzt, wo diese jungen Götter vorbeischweben, wird sie gegen eine Wand gedrängt. Sie bewegen sich in einer menschenleeren Schneise vorwärts. Eine Holocam steigt über ihnen auf, doch niemals lässt sie ihren Schatten auf sie fallen. Als die Götter einen Blick in die Schaufenster des Ladens werfen, ist die Sicht auf die Bildschirme darin wie durch Zauberhand frei, und am Boden sitzt ein Bettler plötzlich ganz allein da. Sie geben ihm eine kleine Gabe. »Aaaah«, tönt es aus der Menge.

Jetzt lässt einer von ihnen irgendeine abgefahrene neue Uhr aufblitzen und sie alle eilen los, um ein Shuttle zu kriegen, wie ganz gewöhnliche Leute. Das Shuttle hält für sie an – noch mehr Zauberei. Die Menge seufzt auf und schließt sich. Die Götter sind verschwunden.

(In einem Raum weit entfernt vom GTX-Turm – aber nicht ohne eine Verbindung zu ihm – schließt sich ein molekulares Flipflop und drei Kontostandzähler drehen sich.)

Unser Mädchen ist noch immer an die Wand gepresst, während die Wächter und die Holocam-Ausrüstung sich zurückziehen. Die Bewunderung weicht aus ihrem Gesicht. Das ist gut, denn jetzt kannst du sehen, dass sie das hässlichste Etwas auf der ganzen Welt ist. Ein Lehrbuchbeispiel für hypophysäre Dystrophie. Kein Chirurg der Welt würde sie anfassen. Wenn sie lächelt beißt ihr Kiefer – zur Hälfte purpurrot – beinahe ihr linkes Auge aus. Außerdem ist sie ziemlich jung, aber wen kümmert’s?

Die Menge stößt sie nun vorwärts und gewährt dir einen Blick auf ihren verdrehten Körper, ihre missgebildeten Beine. An der Ecke streckt sie sich, um dem Shuttle der Götter eine letzte zärtliche Zuckung hinterherzusenden. Dann nimmt ihr Gesicht wieder seinen gewohnten Ausdruck dumpfen Schmerzes an und sie torkelt auf den Fahrsteig, stößt taumelnd gegen die Menschen. Das Fließband kreuzt ein anderes. Sie wechselt das Band, stolpert und stößt gegen die Sicherheitsbrüstung. Letztendlich gelangt sie zu einem kleinen Platz, der sich Park nennt. Die Sport-Show läuft, genau über ihrem Kopf spielt sich ein Basketballspiel in 3-D ab. Doch das einzige, was sie tut ist, sich auf eine Bank zu zwängen und dort sitzt sie eingesunken, während ein geisterhafter Freiwurf an ihrem Ohr vorbeisaust.

Danach passiert überhaupt nichts, mit Ausnahme einiger heimlicher Hand-Mund-Gesten, die ihre Banknachbarn nicht im Geringsten interessieren.

Aber du bist neugierig auf die Stadt? Die letztendlich so gewöhnlich ist, in der ZUKUNFT?

Ach, da gibt’s ne Menge toller Dinge – und schließlich ist es nicht so weit in der Zukunft, Alter. Aber lassen wir für den Moment mal das Science-Fiction-Zeugs beiseite, die Holovisions-Technologie, die TV und Radio ins Museum verbannt hat. Oder das weltweite Datennetzwerk, das die Satelliten zurückwerfen, und das die Kommunikation und das Transportsystem auf der ganzen Erdkugel kontrolliert. Eine Nebenerscheinung des Rohstoffabbaus auf den Asteroiden, vergiss das jetzt. Wir beobachten jetzt dieses Mädchen.

Ein kleines Appetithäppchen will ich dir geben. Vielleicht hast du es in der Sport-Show oder auf den Straßen bemerkt. Keine Reklame. Keine Werbung. Ganz genau. KEINE WERBUNG. Da machst du Augen, was?

Schau dich um! Nicht eine einzige Reklametafel, kein Schild, kein Werbespruch, kein Jingle, keine Himmelsschrift, kein Klappentext in dieser ganzen spaßigen Welt. Markennamen? Die stehen nur auf diesen schnöden, winzigen Minibildschirmen in den Geschäften, und sowas kann man wohl kaum Werbung nennen. Na, wie gefällt dir das?

Denk darüber nach. Das Mädchen sitzt noch immer dort.

Um genau zu sein sitzt sie genau am Fuße des GTX-Wolkenkratzers. Schau hoch und du kannst die Glaskugel an der Spitze funkeln sehen, dort oben, inmitten der Kuppeln des Götterreichs. Im Inneren dieser Kugel liegt eine Vorstandsetage. Ein hübsches Bronzeschild an der Tür: Global Transmissions Corporation – nicht, dass das etwas bedeuten würde.

Zufällig weiß ich, dass sechs Personen in diesem Raum sind. Fünf von ihnen sind technisch gesehen männlich, und die sechste könnte man nur schwerlich als Mutter bezeichnen. Sie sind ausgesprochen wenig bemerkenswert. Diese Gesichter wurden einmal bei ihrer Hochzeit gesehen und werden in ihrem Nachruf erneut auftauchen, und in keinem Fall wird es irgendjemanden beeindrucken. Wenn du nach den geheimnisvollen Großen Blauen Bösewichten dieser Welt suchst – vergiss es. Ich weiß es, Zen, und wie ich es weiß! Fleischeslust? Macht? Ruhm? Sie wären mit Abscheu erfüllt.

Was die dort oben gerne haben ist, wenn die Sachen in Ordnung sind, besonders was ihre Kommunikationssysteme betrifft. Man könnte sagen, sie hätten ihr Leben einem einzigen Zweck gewidmet: die Welt von unvollständiger Information zu befreien. Ihre Albträume handeln von Informationsblockaden; falsch gepolten Kanälen oder falsch implementierten Plänen, von Störsignalen, die sich irgendwie einschleichen. Ihr gigantischer Reichtum beunruhigt sie lediglich, er schafft ständig neue Anlässe für ein Durcheinander. Luxus? Sie tragen, was ihre Schneider ihnen anziehen, essen, was ihre Köche ihnen servieren. Siehst du den alten Kerl dort – sein Name ist Isham – er nippt an seinem Wasser und runzelt die Stirn, während er einem Datenknäuel lauscht. Das Wasser hat ihm sein Ärzteteam verschrieben. Es schmeckt scheußlich. Das Datenknäuel enthält unter anderem eine beunruhigende Nachricht über seinen Sohn Paul.

Doch jetzt ist es an der Zeit nach unten zurückzukehren, nach ganz unten zu unserem Mädchen. Schau nur!

Sie ist vornüber gekippt und liegt ausgestreckt auf dem Boden.

Bei den Umherstehenden kommt gemäßigte Aufregung auf. Die allgemeine Meinung ist, sie sei tot, was durch die Schaumbläschen, die aus ihrem Mund hervorquellen, widerlegt wird. Und schon wird sie von einem der hervorragenden Krankenwagen der Zukunft weggebracht, die eine echte Verbesserung gegenüber den unseren sind (sollten überhaupt welche in der Nähe sein).

Im örtlichen Krankenhaus erledigt das übliche Team aus Witzfiguren die üblichen Dinge, assistiert von einer gütigen Reinigungskraft mit einem Wischmopp. Unser Mädchen kommt wieder soweit zu Kräften, um den Fragebogen zu beantworten, ohne den man nicht sterben kann, nicht mal in der Zukunft. Schließlich wird sie aufgenommen, ein ausgepumpter Haufen auf einer Pritsche in einer langen düsteren Krankenstation.

Und wieder passiert eine Weile gar nichts, außer dass ihre Augen von der verständlichen Enttäuschung, noch am Leben zu sein, ein wenig zu tränen beginnen.

Doch irgendwo hat ein GTX-Computer einen zweiten gekitzelt, und gegen Mitternacht passiert schließlich etwas. Zunächst kommt ein Pfleger, der eine Abschirmung um sie errichtet. Dann kommt ein Mann im Business-Doublet anmutig den Krankenhausflur entlanggeschritten. Er bedeutet dem Pfleger, das Bettlaken ein wenig zurückzuschlagen und sich zu entfernen. Das benommene Ungetüm von einem Mädchen wuchtet sich hoch; große Hände bedecken Körperteile, die man um kein Geld der Welt sehen wollte.

»Burke? P. Burke, ist das dein Name?«

»J-ja.« Krächz. »Sind sie ... Polizei?«

»Nein. Die werden bald hier sein, nehme ich an. Öffentlicher Selbstmord ist eine Straftat.«

»… tut mir leid.«

Er hat einen Rekorder in seiner Hand. »Keine Familie, richtig?«

»Nein.«

»Du bist siebzehn. Ein Jahr staatliches College. Was hast du studiert?«

»Spra-Sprachen.«

»Hm … sag mal was.«

Unverständliches Krächzen.

Er sieht sie prüfend an. Aus der Nähe betrachtet ist er gar nicht so elegant. Wirkt eher wie ein Laufbursche.

»Wieso wolltest du dich umbringen?«

Sie starrt ihn mit eiskalter Würde an und zerrt das graue Laken hoch. Ein Punkt für ihn, er fragt kein zweites Mal nach.

»Sag mal, hast du diesen Nachmittag Breath gesehen?«

Obwohl sie beinahe tot ist, überkommt sie dieser gespenstische liebeskrankte Ausdruck. Breath, das sind die drei jungen Götter. Ein Kult für Verlierer. Und noch ein Punkt für ihn, er deutet ihren Ausdruck richtig.

»Wie würde es dir gefallen, sie zu treffen?«

Die Augen des Mädchens treten auf groteske Weise hervor.

»Ich habe einen Job für jemanden wie dich. Es ist harte Arbeit. Wenn du dich gut anstellst, würdest du Breath und andere Stars ständig treffen.«

Ist er verrückt? Sie kommt zu dem Schluss, dass sie tatsächlich tot ist.

»Aber das würde bedeuten, dass du niemanden den du kennst, jemals wieder sehen wirst. Niemals, nie. Juristisch gesehen wirst du tot sein. Nicht einmal die Polizei wird etwas wissen. Lust, es zu versuchen?«

All das muss wiederholt werden, während ihr breiter Kiefer sich entschlossen anspannt. Zeig mir das Feuer und ich gehe hindurch. Am Ende sind P. Burkes Fingerabdrücke in seinem Rekorder und der Mann hebt den großen, widerlichen Mädchenkörper ohne ein Anzeichen des Ekels hoch. Man fragt sich, was er sonst noch alles so macht.

Und dann – ZAUBEREI. Ein plötzlicher geräuschloser Aufmarsch von Sänftenträgern, die P. Burke in etwas stecken, das nichts mit einer Krankenbahre zu tun hat; das sanfte Hineingleiten in die Mutter aller Luxuskrankenwagen – echte Blumen in dieser Halterung! – und die lange geschmeidige Eilfahrt ins Nirgendwo. Im Nirgendwo ist es warm und leuchtend und voller freundlicher Krankenschwestern (Wo hast du gehört, dass man mit Geld keine aufrichtige Freundlichkeit kaufen kann?) Und saubere Wolken betten P. Burke in verblüfften Schlaf.

… Schlaf, der zu Füttern und Waschen und noch mehr Schlaf wird, zu schläfrigen Nachmittagsmomenten, wenn es eigentlich Mitternacht sein sollte, und zu freundlichen sachlichen Stimmen und freundlichen (wenn auch sehr wenigen) Gesichtern und zu endlosen, schmerzfreien Hypospray-Injektionen und sonderbarer Benommenheit. Es folgt ein steter Rhythmus von Tag und Nacht, und eine Beschleunigung, die P. Burke nicht als Genesung wahrnimmt. Sie weiß nur, dass die pilzüberwucherte Stelle in ihrer Achselhöhle verschwunden ist. Und dann steht sie auf und folgt jenen wenigen neuen Gesichtern mit wachsendem Vertrauen, zuerst taumelnd, dann festen Schritts. So viel wohler in ihrer Haut stapft sie den kurzen Flur hinunter zu den Tests, Tests, Tests, und den anderen Dingen.

Und da ist ja unser Mädchen, und sie sieht …

Sofern das möglich ist, noch schlimmer aus als zuvor (Du dachtest wir hätten es mit einem voll transistorisierten Aschenputtel zu tun?).

Die Verschlechterung ihres Aussehens rührt von den Elektrodenstiften, die aus ihrem spärlichen Haar ragen, und es gibt noch andere Verschmelzungen von Fleisch und Metall. Andererseits sind dieser Kragen und die Platte an der Wirbelsäule ein Plus: Der Anblick dieses Halses wird einem wahrlich nicht fehlen.

P. Burke ist bereit für die Ausbildung in ihrem neuen Job.

Die Ausbildung findet in ihrer Suite statt und ist genau das, was man einen Benimmkurs nennen würde. Wie man geht, sitzt, isst, spricht, sich die Nase putzt, wie man stolpert, uriniert, wie man APPETITLICH Schluckauf hat. Wie man jedes Naseputzen und Schulterzucken entzückend vornimmt, mit einem winzigen, feinen Unterschied zu allem, was jemals zuvor auf Spulen gebannt wurde. Wie der Mann sagte, es ist harte Arbeit.

Doch P. Burke erweist sich als begabt. Irgendwo in diesem fürchterlichen Körper steckt eine Gazelle, eine Huri, die ohne diese verrückte Gelegenheit für immer begraben gewesen wäre. Schau nur, wie das hässliche Entlein sich verwandelt!

Nur, dass es genauer gesagt nicht P. Burke ist, die geht, lacht und ihr glänzendes Haar schüttelt. Wie könnte sie? P. Burke macht ihre Sache ganz gut, doch sie macht sie mithilfe von etwas anderem. Das Etwas ist allem Anschein nach ein lebendiges Mädchen (Man hat dich gewarnt, das hier ist die ZUKUNFT).

Als sie die große Kältekammer zum ersten Mal öffnen und ihr ihren neuen Körper zeigen sagt sie nur ein einziges Wort, glotzend und schluckend: »Wie?«

Ganz einfach, eigentlich. Schau zu, wie P. Burke in ihren Lumpen und ihren Schlappen neben Joe, dem Mann, der die technische Seite ihrer Ausbildung überwacht, den Flur entlang stapft. Joe stört sich nicht an P. Burkes Aussehen, er hat es nicht einmal bemerkt. Joe findet Systemmatrizen wunderschön.

Sie treten in einen spärlich beleuchteten Raum, in dem ein riesiger Schrank steht, der aussieht wie eine Ein-Personen-Sauna, und daneben eine Konsole für Joe. Auf einer Seite des Raumes liegt eine Glaswand, die in diesem Moment völlig verdunkelt ist. Und nur damit du es weißt, der ganze Kram ist hundertfünfzig Meter unter der Erde, Alter, dort, wo früher Carbondale war.

Joe öffnet den Sauna-Schrank, wie eine große, aufgerichtete Muschelschale. Im Inneren ist eine ganze Menge seltsames Zeugs. Unser Mädchen lässt die Hüllen fallen und geht nackt und völlig ungeniert hinein. Begierig. Sie setzt sich mit dem Gesicht nach vorne hin, steckt Stifte in Steckdosen. Vorsichtig schließt Joe den Deckel über ihrem Buckel. Klonk. Sie kann dort drinnen weder etwas sehen, noch hören, noch sich bewegen. Sie hasst diesen Moment. Aber wie sie liebt, was nun folgt!

Joe sitzt an seiner Konsole und die Lichter auf der anderen Seite der Glaswand gehen an. Auf der anderen Seite liegt ein Zimmer, alles voller Plüsch und Rüschen, ein Mädchenschlafzimmer. Im Bett liegt ein kleiner seidiger Hügel, aus dem ein Strang goldenes Haar herausfließt.

Das Laken bewegt sich und wird zurückgeschlagen.

Im Bett sitzt das hinreißendste kleine Mädchen, das du JEMALS gesehen hast. Ihr Körper erzittert – Porno für Engel. Sie streckt ihre beiden Ärmchen in die Höhe, wirft ihr Haar zurück, und sieht sich mit funkelnden Augen schläfrig um. Dann kann sie nicht anders, als mit ihren Händen über ihre Minibrüste und ihren Bauch zu reiben. Denn, verstehst du, es ist die erbärmliche P. Burke, die dort sitzt und ihren perfekten Mädchenkörper umarmt und dich aus verzückten Augen ansieht.

Dann hüpft das Kätzchen aus dem Bett und kracht der Länge nach auf den Boden.

Aus der Sauna im spärlich beleuchteten Raum ertönt ein erstickter Laut. P. Burke, die versucht ihren verkabelten Ellbogen zu reiben, wird plötzlich in zwei Körpern beruhigt, in ihrem Fleisch zucken die Elektroden. Joe jongliert mit Daten, summt beruhigend in sein Mikrofon. Die Aufregung legt sich – alles ist gut.

Im hellen Zimmer erhebt sich das elfenhafte Geschöpf, wirft der Glaswand einen goldigen Blick zu und begibt sich in einen durchsichtigen Kubus. Ein Badezimmer, was sonst? Sie ist ein lebendiges Mädchen und lebendige Mädchen müssen nach dem Schlafen ins Badezimmer, selbst dann, wenn sich ihr Grips in einem Sauna-Schrank im Nebenraum befindet. Und P. Burke ist nicht in diesem Schrank, sie ist im Badezimmer. Ganz einfach, wenn du kapierst wie der geschlossene Schulungskreislauf funktioniert, der ihrem Nervensystem erlaubt, über Fernsteuerung zu funktionieren.

Lass mich eine Sache klarstellen: P. Burke hat nicht das Gefühl, dass ihr Gehirn in diesem Saunazimmer ist, sie hat das Gefühl, in diesem süßen kleinen Körper zu sein. Wenn du dir die Hände wäschst, fühlst du da, wie das Wasser über dein Gehirn rinnt? Selbstverständlich nicht. Du fühlst das Wasser auf deinen Händen, wenngleich das »Gefühl« in Wahrheit elektrische Impulse sind, die in dem elektrochemischen Gelee zwischen deinen Ohren aufflackert. Und dorthin gelangt es, ausgehend von deinen Händen, über lange Nervenbahnen. Ebenso fühlt P. Burkes Gehirn in diesem Schrank das Wasser auf ihren Händen im Badezimmer. Die Tatsache, dass die Signale auf dem Weg durch den Raum gesprungen sind, macht keinerlei Unterschied. Wenn du den Fachbegriff wissen willst, man nennt es exzentrische Projektion oder sensorische Referenz, und du machst es schon dein ganzes Leben lang. Alles klar soweit?

Es wird Zeit, das Zuckerpüppchen ihrem Toilettentraining zu überlassen – sie hat ein Missgeschick mit der Zahnbürste angerichtet, weil P. Burke sich nicht daran gewöhnen kann, was sie im Spiegel sieht …

Moment mal, sagst du. Wo kommt dieser Mädchenkörper her?

Das hat P. Burke auch gefragt, wobei sie die Worte mühevoll hervorstieß.

»Sie züchten sie«, erzählt ihr Joe. Die Fleischabteilung interessiert ihn nicht im Geringsten. PDs. Plazentale Dekanter. Modifiziere Embryonen, klar? Sie pflanzen zur Steuerung dann die Implantate ein. Ohne Operatoren für die Fernsteuerung ist es nur dahinvegetierendes Gemüse. Siehst du, die Füße? Überhaupt keine Hornhaut.« (Das weiß er, weil sie es ihm erzählt haben.)

»Ach … ach, sie ist unglaublich …«

»Ja, klasse Arbeit. Willst du heute den Geh-Sprech-Modus ausprobieren? Du lernst schnell.«

Und das tut sie wirklich. Joes Berichte und die Berichte der Krankenschwester und des Dr.s und des Stilberaters wandern zu einem buschigen Mann weiter oben, der eine Art medizinischer Cybertechniker, aber vor allem ein Projektmanager ist. Seine Berichte wiederum wandern … zum GTX-Vorstand? Sicher nicht, dachtest du, das wäre eine große Sache? Seine Berichte wandern einfach weiter nach oben. Der springende Punkt ist, sie sind positiv, sehr positiv. P. Burke ist überaus vielversprechend.

Es gibt nun also gewisse Prozesse, die der buschige Mann – Dr. Tesla – zu starten hat. Etwa das Dossier des kleinen Kätzchens im Zentralen Datenspeicher. Reine Routine. Und der Stufen-Zeitplan wird sie in Szene setzen. Es ist ganz einfach: ein kleiner Auftritt in einer Holoshow, die im gesamten Netzwerk gesendet wird.

Als nächstes muss er das Ereignis planen, das sie finanzieren und ihren Zweck bestimmen wird. Dafür braucht es Budgetsitzungen, Freigaben, Abstimmungen. Das Burke-Projekt beginnt, Form anzunehmen und zu wachsen. Und dann ist da die knifflige Sache mit dem Namen, von der Dr. Tesla immer heftige Bauchschmerzen bekommt.

Der Name wirkt sonderbar, bis man schließlich entdeckt, dass Burkes »P« für »Philadelphia« steht. Philadelphia? Der Astrologe steht drauf. Joe meint, es könnte für die Identifikation helfen. Die Kleine aus der Semantikabteilung verweist auf Bruderliebe, Freiheitsglocke, Philadelphia Main Line, niedrige Teratogenese, blabla. Spitznamen: Philly? Pala? Poppi? Delphi? Ist das gut, schlecht? Schließlich wird »Delphi« behutsam als prima erklärt (»Burke« wird durch etwas ersetzt, an das sich niemand erinnert).

Folge mir jetzt. Wir befinden uns beim offiziellen Check-out aus der unterirdischen Suite, die gerade so weitläufig ist, wie der Übungskreislauf reicht. Der buschige Dr. Tesla ist hier, flankiert von zwei Budgettypen und einem stillen, väterlichen Mann, den er behandelt wie heißes Plasma.

Schwunghaft stößt Joe die Tür weit auf und sie tritt schüchtern ein.

Ihre kleine Delphi, fünfzehn und makellos.

Tesla stellt sie der Runde vor. Sie ist voll kindlichem Ernst, ein wunderschönes Baby, dem etwas so Wunderbares widerfahren ist, dass du das Kribbeln spüren kannst. Sie lächelt nicht, sie … sprudelt geradezu über. Diese übersprudelnde Freude ist alles, was von P. Burke zu sehen ist, dem vergessenen Wrack in der Sauna nebenan. Doch P. Burke weiß nicht, dass sie am Leben ist – Delphi ist es, die lebt, jeder warme Zentimeter ihres Körpers.

Einer der Budgettypen lässt ein lüsternes Schnaufen los und erstarrt. Der väterliche Mann, Mr. Cantle heißt er, räuspert sich.

»Nun denn, junge Dame, bist du bereit, mit der Arbeit zu beginnen?«

»Ja, Sir«, sagt die Elfe feierlich.

»Wir werden sehen. Hat dir jemand gesagt, was du für uns tun wirst?«

»Nein, Sir.« Joe und Tesla atmen leise aus.

»Gut.« Er beäugt sie, sucht nach dem blinden Gehirn im Nebenraum.

»Weißt du, was Werbung ist?«

Er redet schmutziges Zeug, will sie schockieren. Delphis Augen weiten sich und ihr kleines Kinn reckt sich nach oben. Joe ist verzückt angesichts der subtilen Mimik, die P. Burke überträgt. Mr. Cantle wartet.

»Das ist, also, das ist, als sie den Leuten früher sagten, sie sollen Dinge kaufen.« Sie schluckt. »Es ist verboten.«

»Ganz genau.« Mr. Cantle lehnt sich zurück, ernst. »Werbung, wie sie früher üblich war, ist gesetzeswidrig. Eine Zurschaustellung, die über die legitime Verwendung des Produkts hinausgeht, um dessen Absatz zu steigern. In früheren Zeiten stand es jedem Hersteller offen, seine Waren wie, wo und wann immer anzupreisen, ganz so, wie es ihm finanziell möglich war. Alle Medien und ein Großteil der Landschaft waren vollgestopft mit extravaganten, miteinander konkurrierenden Anzeigen. Die Sache wurde unökonomisch. Die Öffentlichkeit ging auf die Barrikaden. Seit der sogenannten Hausiererverordnung müssen sich Verkäufer auf, ich zitiere, Anzeigen in oder auf dem Produkt selbst, die bei legitimer Verwendung oder beim Verkauf im Laden sichtbar sind, beschränken.« Mr. Cantle lehnt sich nach vor. »Jetzt sage mir, Delphi: Wieso kaufen die Leute ein bestimmtes Produkt lieber als ein anderes?«

»Also …« Bezaubernde Ratlosigkeit seitens Delphi. »Sie, ähm, sie sehen sie und mögen sie, oder sie hören von jemandem etwas darüber?« (Darin ist ein Hauch von P. Burke zu erkennen, sie sagte nicht von einem Freund.)

»Teilweise. Wieso hast du diesen speziellen Körperstraffer gekauft?«

»Ich hatte nie einen Körperstraffer, Sir.«

Mr. Cantle runzelt die Stirn, aus welcher Gosse holen sie diese Fernoperatoren?

»Nun gut, welche Marke Wasser trinkst du?«

»Nur das, was aus dem Wasserhahn kommt, Sir«, sagt Delphi demütig. »Ich … ich habe versucht es abzukochen …«

»Grundgütiger.« Sein Blick ist finster; Tesla versteift sich. »Gut, worin hast du es abgekocht? Einem Kochgerät?«

Der schimmernde goldene Kopf nickt.

»Welche Marke hast du gekauft?«

»Ich habe es nicht gekauft, Sir«, sagt die verängstigte P. Burke durch Delphis Lippen. »Aber … ich weiß, welches das beste ist! Ananga hat ein Burnbabi. Ich habe den Namen gesehen, als sie …« Der Burnbabi-Kunde ist ebenfalls ein großer Etat.

»Ganz genau!« Cantles väterliches Strahlen kehrt ganz ausgeprägt zurück. »Du hast gesehen, dass Ananga eines benutzt, also hast du gedacht, es müsse gut sein, hm? Und es ist gut, sonst würde ein großartiger Mensch wie Ananga es nicht benutzen. Haargenau. Und nun, Delphi, weißt du, was du für uns tun wirst. Du wirst einige Produkte vorführen. Klingt gar nicht so schwer, oder?«

»Oh nein, Sir …« Der perplexe Gesichtsausdruck eines Kindes, Joe freut sich durch und durch.

»Und du darfst niemals, niemals jemandem erzählen, was du tust.« Cantles Augen suchen prüfend nach dem Gehirn hinter diesem verführerischen Kind.

»Du fragst dich natürlich, wieso wir dich darum bitten. Es gibt einen sehr ernsten Grund dafür. All diese Produkte, zu denen die Leute greifen, Nahrungsmittel und Nahrungsergänzungsmittel und Kochgeräte und Reinigungsmittel, und Kleidung und Autos … all das wird von Menschen gemacht. Jemand hat viele Jahre harter Arbeit darauf verwendet sie zu entwerfen und zu erzeugen. Ein Mann entwickelt eine feine neue Idee für ein besseres Produkt. Er muss sich eine Fabrik zulegen und Maschinen, und er muss Arbeiter anstellen. Also. Was passiert, wenn die Menschen keine Gelegenheit haben, von seinem Produkt zu erfahren? Mundpropaganda ist viel zu langsam und unzuverlässig. Es ist gut möglich, dass niemand je über sein neues Produkt stolpert oder herausfindet, wie gut es ist, richtig? Und dann würden er und all die Leute, die für ihn arbeiten … sie alle würden bankrott gehen, richtig? Also Delphi, es muss irgendeinen Weg geben, dass eine große Anzahl Menschen einen Blick auf sein gutes neues Produkt werfen kann, richtig? Wie? Indem die Menschen sehen, wie du es benutzt. Du gibst diesem Mann eine Chance.«

Delphis kleiner Kopf nickt in freudiger Erleichterung.

»Ja, Sir, ich verstehe jetzt … aber Sir, es wirkt so vernünftig. Wieso lassen die Sie nicht …«

Cantle lächelt traurig.

»Es ist eine Überreaktion, Liebes. Die Geschichte verläuft in Phasen. Die Leute reagieren über und erlassen strenge, unrealistische Gesetze, die essenzielle soziale Prozesse auszumerzen versuchen. Wenn das passiert, müssen die Menschen, die all das verstehen, so gut wie möglich weitermachen, bis das Pendel zurückschwingt.« Er seufzt. »Das Gesetz gegen das Hausieren ist ein schlechtes, unmenschliches Gesetz, Delphi, trotz seiner guten Absicht. Würden es streng befolgt, hätte das Chaos zufolge. Unsere Wirtschaft, unsere Gesellschaft würde auf grausame Weise zerstört. Wie wären wieder in der Steinzeit!« Sein inneres Feuer lodert. Würde die Hausiererverordnung streng durchgesetzt, würde er wieder wie früher Daten in eine Datenbank prügeln.

»Es ist unsere Pflicht, Delphi. Unsere aufrichtige soziale Pflicht. Wir brechen das Gesetz nicht. Du wirst das Produkt verwenden. Aber die Leute würden es nicht verstehen, wenn sie das wüssten. Sie wären genauso aufgebracht, wie du es warst. Daher musst du sehr, sehr streng darauf bedacht sein, nichts von all dem irgendjemandem zu erzählen.«

(Und irgendjemand wird sehr, sehr streng darauf bedacht sein, Delphis Redeschaltkreis zu überwachen.)

»Also, wir verstehen uns, nicht wahr? Die kleine Delphi hier«, – er spricht mit der unsichtbaren Kreatur im Nebenraum – »die kleine Delphi wird ein wunderschönes aufregendes Leben führen. Sie wird ein Mädchen sein, zu dem die Leute aufblicken werden. Und sie wird schöne Produkte verwenden. Die Leute werden froh sein, von ihnen zu erfahren, und sie wird den guten Menschen, die sie herstellen, helfen. Du wirst einen wertvollen sozialen Beitrag leisten.« Er korrigiert seinen Tonfall ein wenig. Die Kreatur dort drinnen muss älter sein.

Delphi verarbeitet all das mit entzückendem Ernst.

»Aber Sir, wie werde ich …?«

»Zerbrich dir darüber nicht den Kopf. Du wirst Leute hinter dir haben, deren Job es ist, die angemessensten Produkte für dich auszuwählen. Dein Job ist lediglich das zu tun, was sie sagen. Sie werden dir zeigen, welche Kleider du zu Partys tragen sollst, welche Solarautos und Sehgeräte du kaufen sollst und so weiter. Das ist alles, was du tun musst.«

Partys – Kleider – Solarautos! Delphis rosiger Mund öffnet sich. In P. Burkes siebzehnjährigem Kopf entschwinden sämtliche Bedenken zur Produktträgerschaft in weite Ferne.

»Jetzt erzähl mir mit deinen eigenen Worten, was dein Job ist, Delphi.«

»Ja, Sir. Ich … ich werde auf Partys gehen und Dinge kaufen und sie verwenden, so wie sie es mir sagen, um den Menschen zu helfen, die in Fabriken arbeiten.«

»Und was sagte ich, ist das Wichtigste?«

»Oh … ich soll niemanden von diesen Dingen wissen lassen.«

»Genau.« Es gibt einen Absatz, den Mr. Cantle gebraucht, wenn das Subjekt, nun ja, sagen wir mal, Unreife an den Tag legt. Doch hier nimmt er ausschließlich Eifer wahr. Gut. Die andere Rede genießt er nicht wirklich.

»Was für ein glückliches Mädchen. Sie kann so viel Spaß haben, wie sie will und den anderen dabei etwas Gutes tun, nicht wahr?« Er sieht sich strahlend um. Augenblicklich ertönt das Rücken von Stühlen. Offensichtlich ist alles klar.

Joe führt sie hinaus, er grinst. Der arme Narr denkt, sie bewundern ihre Koordinationsfähigkeit.

Dann heißt es für Delphi hinaus in die Welt, und zu diesem Zeitpunkt werden die richtigen Kanäle in Betrieb genommen und Vorbereitungen getroffen. Auf administrativer Seite ist das Erstellen von Konten und Zeitplänen sowie die Initiierung von Unterprojekten. Seitens der Technik wird die reservierte Bandbreite bereitgestellt (Das Trägerfeld, erinnerst du dich?). Auf Delphi wartet ein neuer Name, ein Name, den sie niemals hören wird. Es ist eine lange Kette aus Binärzahlen, die leise in einem GTX-Tank gekreist sind, seitdem eine gewisse wunderschöne Person nicht aufgewacht ist.

Der Name taucht plötzlich auf, wirbelt im Kreis, springt von Impulsen über Modulation zu Modulation, saust durch die Synchronisierung und geht über in einen Gigaband-Strahl, der zu einem synchronisierten Satelliten über Guatemala hinaufsaust. Von dort aus wandert der Strahl gut dreißigtausend Kilometer zurück zur Erde und formt dort ein alles durchdringendes Feld aus strukturierter Energie, das unzählige Kontaktpunkte im gesamten Can-Am-Quadranten versorgt.

Dieses Feld ermöglicht es dir, die richtige Kreditwürdigkeit vorausgesetzt, vor einer GTX-Konsole zu sitzen und eine aufgerüstete Erzschürfmaschine in Brasilien zu lenken. Oder, wenn dich sonst irgendetwas auszeichnet – etwa die Fähigkeit, auf Wasser zu gehen –, dann könntest du eine Spule in das Netzwerk jener Holocam-Shows schicken, die Tag und Nacht in jedem Haus, jedem Schlafsaal und jeder Freizeiteinrichtung laufen. Oder du könntest einen Verkehrsstau auslösen, der sich auf den gesamten Kontinent erstreckt. Wundert es dich da, dass GTX diese Daten hütet wie ein Heiligtum?

Delphis »Name« taucht als winzige analysierbare Nicht-Redundanz in der Flux auf, und sie wäre äußerst stolz darauf, wenn sie es gewusst hätte. P. Burke würde es vorkommen wie Zauberei. P. Burke hatte nicht einmal Roboterautos verstanden. Doch Delphi ist in keinerlei Hinsicht ein Roboter. Wenn es unbedingt sein muss, dann nenn sie eine Waldo. Tatsächlich ist es so: Sie ist nur ein Mädchen, ein reales, lebendiges Mädchen, dessen Gehirn an einem ungewöhnlichen Ort sitzt. Ein ganz normales Online-System in Echtzeit mit ausreichend Bandbreite – so wie jeder andere auch.

Der Zweck dieser ganzen Hardware, die man in dieser Gesellschaft nicht wirklich als Hardware bezeichnen kann, ist es, Delphi zu ermöglichen aus ihrer unterirdischen Suite zu spazieren, ein mobiler Kontaktpunkt der von einem allgegenwärtigen Energiefeld gespeist wird. Und das tut sie – neunundachtzig Pfund zartes Mädchenfleisch und -blut mit einigen Metallkomponenten treten hinaus ins Sonnenlicht, um ihr neues Leben zu beginnen. Ein Mädchen, das alles hat, was man sich wünschen kann, sogar eine Meditec-Eskorte. Liebreizend geht sie voran und bleibt stehen, um mit großen Augen das riesige Antennensystem über ihr anzuglotzen.

Die einfache Tatsache, dass etwas namens P. Burke dort unten zurückgelassen wird, ist von keinerlei Relevanz. P. Burke verfügt über keinerlei Bewusstsein ihrer selbst und ist so glücklich wie eine Auster in ihrer Schale (Ihr Bett wurde nun in den Raum mit dem Waldo-Schrank verlegt.). Und P. Burke ist nicht in diesem Schrank. P. Burke steigt aus einem Airvan und betritt einen märchenhaften Naturschutzpark für Rinder, und ihr Name ist Delphi. Delphi sieht echte Charolais-Stiere und echte Pappeln und Espen, die vor dem blauen Smog golden schimmern, und sie geht über echtes Gras, um von der Frau des Parkleiters begrüßt zu werden.

Die Frau des Parkleiters freut sich auf einen Besuch von Delphi und ihren Freunden, und dank eines glücklichen Zufalls gibt es hier eine Holocam-Crew, die eine Szene für die Naturliebhaber dreht.

Du könntest das Drehbuch jetzt selbst schreiben, während Delphi einige Lektionen hinsichtlich struktureller Interferenzen lernt und auch, wie sie mit der winzigen Zeitverzögerung umzugehen hat, die von der neuen, mehr als sechzigtausend Kilometer langen Umleitung in ihrem Nervensystem herrührt. Ganz genau – die Leute mit der gemieteten Holocam-Ausrüstung sind der Ansicht, der goldene Schatten der Espen sähe auf Delphis Schenkel besser aus, als auf einem Stier. Und Delphis Gesicht bringt auch die Berge besser zu Geltung, sofern man sie sehen kann. Doch die Naturliebhaber sind nicht ganz so erfreut, wie man es erwarten würde.

»Wir sehen uns in Barcelona, Kätzchen«, sagt der Anführer der Gruppe säuerlich, während sie ihre Sachen packen.

»Barcelona?« wiederholt Delphi mit dieser charmanten kleinen unbewussten Verzögerung. Sie sieht, wo seine Hand ist und macht einen Schritt zurück.

»Beruhig dich, es ist nicht ihre Schuld«, sagt ein anderer Mann erschöpft. Er wirft sein gräuliches Haar zurück. »Vielleicht werden sie irgendwas von dem wichtigen Zeug drinnen lassen.«

Delphi sieht zu, wie sie davongehen, um ihre Spulen zur Entwicklung auf den GTX-Transporter zu laden. Ihre Hand streicht über die Brust, die der Mann berührt hatte.

Dort unten in Carbondale hat P. Burke etwas Neues über ihren Delphi-Körper herausgefunden.

Über den Unterschied zwischen Delphi und ihrem eigenen trostlosen Kadaver.

Sie hatte immer gewusst, dass Delphi über so gut wie keinerlei Geschmacks- und Geruchssinn verfügt. Sie haben es ihr erklärt: Die Bandbreite ist begrenzt. Man muss ein Solarauto nicht schmecken können, richtig? Und diese leichte, generelle Trübung von Delphis Tastsinn – das ist ihr ebenfalls bekannt. Stoffe, die auf P. Burkes eigener Haut kitzeln würden, fühlen sich für Delphi wie eine kühle Plastikschicht an.

Aber die tauben Stellen. Sie brauchte ein wenig Zeit, um sie zu bemerken. Delphi hat nicht viel Privatsphäre, Investitionen ihrer Größe haben so etwas nicht. Also dauert es eine Weile, bis sie herausfindet, dass es bestimmte Stellen gibt, an denen ihr abscheulicher P. Burke-Körper Dinge fühlt, die Delphis appetitliches Fleisch nicht fühlt. Hmmm! Schon wieder die Sache mit der Bandbreite, denkt Delphi – und vergisst es ob der reinen Glückseligkeit, Delphi zu sein.

Du fragst dich, wie ein Mädchen so etwas vergessen kann? Pass auf. P. Burke ist so weit vom Konzept Mädchen entfernt, wie du es dir nur vorstellen kannst. Sie ist weiblich, ja – doch für sie ist Sex ein Schimpfwort, das sich S-C-H-M-E-R-Z schreibt. Sie ist nicht mehr wirklich Jungfrau. Die Details willst du nicht wissen. Sie war ungefähr zwölf, und die Freak-Liebhaber wurden blindgebombt. Als sie wieder runterkamen, setzten sie sie vor die Tür – mit einem kleinen Loch in ihrem Körper und einem tödlichen Loch an einer anderen Stelle. Sie schleppte sich davon, um ihr erstes und letztes Geschoss zu kaufen, und sie hat noch immer das ungläubige Gelächter des Angestellten im Ohr.

Verstehst du, weshalb Delphi grinst und ihren köstlichen kleinen tauben Körper in der Sonne räkelt, die sie dumpf spürt? Weshalb sie strahlt und sagt: »Bitte, ich bin jetzt bereit.«

Bereit wofür? Für Barcelona, wie der säuerliche Mann sagte, wo sein Naturfilm in der Amateurkategorie des Festivals gerade groß rauskommt. Ein Gewinner! Wie er vermutet hat, wurden die zahlreichen Tagebaubetriebe und die toten Fische herausgeschnitten, doch wen kümmert’s, wenn Delphis süßes Gesicht so gut in Szene gesetzt ist?

Es ist also an der Zeit für Delphis Gesicht und ihre anderen Köstlichkeiten, sich am Playa Nueva in Barcelona zu zeigen. Was bedeutet, ihren Sender auf den EurAf Synch-Satelliten einzustellen.

Sie wird in der Nacht verschifft, sodass der nanosekundenlange Transfer von dem unwichtigen Teil Delphis, der hundertfünfzig Meter unter Carbondale lebt und so aufgeregt ist, dass die Schwester sicherstellen muss, dass sie isst, nicht einmal bemerkt wird. Der Schaltkreis wird umgestellt, während Delphi »schläft«, das heißt, während P. Burke nicht im Waldo-Schrank ist. Als sie sich das nächste Mal einstöpselt, um Delphis Augen zu öffnen, gibt es keinen Unterschied – merkst du etwa, durch welches Relais deine Telefonanrufe reinkommen?

Und jetzt zu dem Ereignis, welches das Engelchen aus Colorado in die PRINZESSIN verwandelte.

Buchstäblich, denn er ist ein Prinz, oder eher ein Infant einer alten spanischen Linie, die in der Neomonarchie neuen Glanz erlangte. Außerdem ist er einundachtzig, mit einer Leidenschaft für Vögel – für jene, die man im Zoo sieht. Nun, es stellt sich plötzlich heraus, dass er alles andere als arm ist. Ganz im Gegenteil. Seine ältere Schwester lacht ihrem Steueranwalt ins Gesicht und beginnt damit, die Familien-Hazienda wieder aufzubauen, während der Infant herumtaumelt, um Delphi den Hof zu machen. Und Delphilein beginnt, das Leben der Götter zu leben.

Was tun Götter? Nun ja, alles, was schön ist. Doch (erinnerst du dich an Mr. Cantle?) das Wichtigste sind die Dinge. Hast du einen Gott jemals mit leeren Händen gesehen? Du kannst kein Gott sein, ohne zumindest einen magischen Gürtel oder ein achtbeiniges Pferd zu haben. Doch in den vergangen Tagen hätten ein paar Steintafeln oder geflügelte Sandalen oder ein von Jungfrauen gezogener Streitwagen einem Gott ein Leben lang gereicht. Jetzt nicht mehr! Götter stehen jetzt auf Novitäten. Zu Delphis Zeit stellt die Jagd nach neuer Götterausrüstung die Erde und die Meere auf den Kopf und greift mit gierigen Fingern nach den Sternen. Und was Götter besitzen, das begehren die Sterblichen.

Also startet Delphi, begleitet von ihrem Infanten, einen Euromarket Shopping-Marathon und leistet damit ihren Beitrag zur Abkehr des sozialen Kollapses.

Sozialer was? Hast du es nicht kapiert, als Mr. Cantle von einer Welt sprach, in der Werbung verboten und fünfzehn Billionen Konsumenten an ihren Holocam-Shows kleben? Ein einziger launischer, selbstgesteuerter Gott kann dich zerschmettern.

Nimm zum Beispiel das Nasenfilter-Massaker. Jahre, die Industrie brauchte Jahre um einen beinahe unsichtbaren Enzymfilter zu entwickeln. Eines Tages also tauchen ein paar Pop-Götter auf und tragen Nasenfilter die aussehen wie große lilafarbene Fledermäuse. Am Ende der Woche schreit der Weltmarkt nach lilafarbenen Fledermäusen. Dann wechselt das ganze zu Vogelköpfen und Totenschädeln, doch kaum hat die Industrie umgerüstet, haben diese Irren Vogelköpfe hinter sich gelassen und sind zu Injektionskugeln übergegangen. Blut!

Multiplizier das mit einer Million verschiedener Konsumgüterindustrien und du kannst sehen wieso es wirtschaftlich ist, einige wenige kontrollierbare Götter zu haben. Besonders bei dem wunderschönen Batzen Kohle für F & E, den das Friedenministerium ausgelegt hat, und den die Steuerzahler nur zu gerne in den Händen einer Einrichtung wie GTX wissen, die – wie jeder weiß –, beinahe so etwas wie eine öffentliche Stiftung ist.

So findet man – oder besser gesagt, GTX – also eine Kreatur wie P. Burke und gibt ihr Delphi. Und Delphi hilft mit, die Dinge in Ordnung zu halten, sie tut, was man ihr sagt. Warum? Stimmt, Mr. Cantle hat seine Rede nicht beendet.

Doch dann wird Delphis goldenes Stupsnäschen inmitten des Stroms aus Nachrichten und Unterhaltung auf die Probe gestellt. Und sie wird bemerkt. Die Rückmeldungen zeigen eine Schar von Zuschauern die den Verstärker hochschrauben, wenn dieses Herzchen vom Land sich in ihren neuen kolloidalen Körperjuwelen verheddert. Sie tritt auch an einer Reihe wichtiger Schauplätze auf, und als der Infant ihr ein Solarauto schenkt, erweist sich Delphilein bei der Probefahrt als Löwin. Es gibt eine solide Resonanz in den kaufkräftigen Ländern. Mr. Cantle summt seine Freudenmelodie, als er eine Option in einem Beneluxsubnetz absagt, um sie zu einem Gastauftritt bei einer Nacktkochshow mit dem Titel Wok-Venus zu schicken.

Und jetzt zu der piekfeinen Hochzeit im Glanz von anno dazumal! Auf der Hazienda gibt es maurische Bäder und silberne, knapp zwei Meter hohe Kerzenleuchter und echte schwarze Pferde und der Spanische Vatikan segnet die Ehe. Der Höhepunkt der Feierlichkeiten ist ein Gaucho-Ball mit dem alten Prinzen und seiner kleinen Infantin auf einem laubenüberdachten Balkon. Sie ist ein spektakuläres Püppchen in silberner Spitze, das über ihren neuen, unter ihr vorbeiwirbelnden Freunden ausgelassen Spielzeugtauben in die Luft schießt.

Der Infant strahlt und kräuselt beim Duft ihrer süßen Erregung die Nase. Sein Arzt war sehr hilfsbereit. Mit Sicherheit, jetzt, nachdem er so geduldig gewesen war, mit den Solarautos und all dem Unfug …

Das Kind sieht zu ihm hoch und sagt etwas Unverständliches über »Breath«. Er schließt daraus, dass sie sich über die drei Sänger beschwert, um die sie gebeten hatte.

»Sie haben sich verändert!«, staunt sie. »Haben sie sich nicht verändert? Sie sind so langweilig. Ich bin gerade so glücklich!«

Und ohnmächtig sinkt sie gegen einen gotischen Vargueno.

Ihre amerikanische Duenna eilt herbei und ruft nach Hilfe. Delphis Augen sind geöffnet, doch Delphi ist nicht da. Die Duenna stochert in ihrem Haar herum, ohrfeigt sie. Der alte Prinz verzieht das Gesicht. Er hat keine Ahnung, was sie neben einer exzellenten Lösung für sein Steuerproblem sonst noch ist, doch in seiner Jugend war er Falkner gewesen. Ihm kommen die kleinen Vögel in den Sinn, denen man die Federn stutzt und dann hochwirft, um die Raubvögel zu locken. Er steckt die venendurchzogene Klaue, der er gewisse Genüsse versprochen hatte, in die Hosentasche und zieht sich zurück, um seine neue Voliere zu entwerfen.

Und Delphi zieht sich mit ihrem Gefolge ebenfalls zurück, zur neuentdeckten Yacht des Infanten. Es ist kein ernstes Problem. Die Sache ist lediglich die: Etwa achttausend Kilometer entfernt und noch einmal hundertfünfzig Meter unter dem Erdboden hat P. Burke ihre Sache etwas zu gut gemacht.

Sie hatten immer gewusst, dass sie eine ungeheuerliche Begabung besitzt. Joe sagt, er habe niemals erlebt, dass ein Fernoperator so schnell die Kontrolle übernommen hat. Keine Orientierungsprobleme, keine Abstoßmechanismen. Der Seelenklempner spricht von Selbstentfremdung. Sie taucht in Delphi ein wie ein Fischlein ins Wasser.

Sie isst nicht, sie schläft nicht. Sie können sie nicht aus dem Körper-Schrank herausbewegen, um ihre Blutzirkulation in Gang zu halten. Auf ihrem grausigen Hinterteil hat sich Nekrose gebildet. Krise!

Also kriegt Delphi ein langes »Schläfchen« auf der Yacht verpasst und P. Burke kriegt den Fakt in ihren perforierten Schädel gehämmert, dass sie Delphi gefährdet (Schwester Fleming denkt daran und lässt somit den Seelenklempner außen vor).

Sie installieren einen Pool dort unten (wieder Schwester Fleming) und jagen P. Burke darin umher. Und sie liebt es. Und als sie sie wieder einschalten, liebt Delphi es klarerweise auch. Jeden Nachmittag zieht die süße Delphi neben den Tragflächen der Yacht ihre Bahnen im blauen Meerwasser, das zu trinken man sie gewarnt hatte. Und jede Nacht bahnt sich auf der anderen Seite der Welt ein missgestaltetes Etwas seinen Weg durch einen sterilen Pool in einem dunklen Bunker.

In diesem Augenblick steht die Yacht auf ihren Tragflächen und trägt Delphi zu jenem Programm, das Mr. Cantle für sie vorgesehen hat. Es ist etwas Langfristiges. Für sie ist eine Halbwertszeit von zumindest zwei Jahrzehnten eingeplant. Gemäß Phase Eins soll sie sich einer Gruppe Ultra-Reicher anschließen, die sich zwischen Brioni und Jakarta herumtreiben, wo ein Konkurrent namens PEV sie für sich gewinnen könnte.

Ein ganz gewöhnlicher Luxuseinsatz, wie du siehst. Keine Politik, keine politische Strategie, das Hauptkapital waren der Titel und die Yacht, die ohnehin ungebraucht herumlag. Die offizielle Geschichte ist, dass Delphi verreist, um für ihren Prinzen einige seltene Vögel entgegenzunehmen – wen kümmert’s? Der springende Punkt ist, dass die Gegend um Haiti nicht mehr radioaktiv verseucht ist und sieh nur! – die Götter sind dort. Und dasselbe gilt für einige neue Vergnügungsinseln im Westen der Karibik, die sich den GTX-Tarif leisten können, tatsächlich sind sogar zwei von ihnen GTX-Förderer.

Aber du sollst nicht den Eindruck bekommen, dass all diese spannenden Menschen verkabelte Roboter sind, um Himmelswillen. Man braucht nicht viele, wenn sie richtig platziert sind. Delphi fragt Joe danach, als er nach Barranquilla kommt, um sie durchzuchecken (P. Burkes eigener Mund hat eine ganze Weile schon nichts mehr gesagt).

»Gibt es viele wie mich?«

»Niemand ist wie du, Kleines. Hör mal, empfängst du noch immer Van Allen Interferenzen?«

»Ich meine zum Beispiel Davy. Ist er ferngesteuert?«

(Davy ist der Junge, der ihr dabei hilft, die Vögel einzusammeln. Ein aufrichtiger Rotschopf, der ein bisschen mehr unter die Leute kommen sollte.)

»Davy? Er ist einer von Matts Jungs, irgendein Psychojob. Die haben keinen Kanal.«

»Was ist mit den Realen? Djuma van O, oder Ali, oder Jim Ten?«

»Djuma wurde mit einem Haufen GTX-Basics geboren, wo ihr Gehirn sein sollte; sie ist nur eine Last. Jimsy tut, was ihm sein Astrologe sagt. Hör mal, Häschen, wer hat dich auf die Idee gebracht, du seist nicht real? Du bist die Realste von allen. Hast du etwa keinen Spaß?«

»Ach, Joe!« Sie wirft ihre kleinen Ärmchen um ihn und seine Analyseraster. »Ach, me gusto mucho, muchísimo!«

»Hey, hey.« Er tätschelt ihren goldenen Scheitel und faltet das Analysegerät zusammen.

Knapp achttausend Kilometer weiter nördlich und hundertfünfzig Meter unter der Erde strahlt ein vergessener Koloss in ihrem Körper-Waldo.

Und sie ist wirklich überglücklich. Aus dem Albtraum zu erwachen, P. Burke zu sein und zu entdecken, dass sie ein Star ist? Auf einer Yacht im Paradies, und alles was sie tun muss ist, sich herausputzen und mit Dingen spielen und auf Feste gehen und ihre Freude begrüßen – sie, P. Burke, hat Freunde! – und sich für die Holocams in die richtige Richtung drehen? Freude!

Und man sieht es. Ein Blick auf Delphi, und die Zuschauer wissen: TRÄUME KÖNNEN WAHR WERDEN!

Schau nur, wie sie auf dem Rücksitz von Davys Wasserroller mitfährt und dabei einen schimpfenden Ara in einem Silberreif in der Hand trägt. Ach, Morton, lass uns diesen Winter auch dort hinfahren! Oder wie sie sich von dieser Gruppe aus Kobe eine japanische Zeremonie erklären lässt und dabei ein Kleid trägt, das aussieht wie eine vom Knie an aufwärts lodernde Flamme, und das sich in Texas gut verkaufen soll. Morton, ist das echtes Feuer? Was für ein glückliches, glückliches kleines Mädchen!

Und Davy. Er ist ihr kleiner Spielgefährte und ihr Baby und sie liebt es, ihm dabei zu helfen, sein rotgoldenes Haar zu bändigen (P. Burke, die voller Staunen mit Delphis Fingern durch die Locken fährt). Natürlich ist Davy einer von Matts Jungs – nicht wirklich impotent, aber mit sehr, sehr schwach ausgeprägten Trieben (Niemand weiß so genau, was Matt mit seinem winzigen Budget macht, doch die Jungs sind nützlich, und ein oder zwei haben sich einen Namen gemacht). Er ist perfekt für Delphi, ja, der Psycho-Doc erlaubt sogar, dass sie ihn mit ins Bett nimmt, zwei Kätzchen in einem Körbchen. Davy stört es nicht, dass Delphi »schläft« wie eine Tote. Dann verlässt nämlich P. Burke den Körper-Waldo oben in Carbondale, um sich ihren eigenen deprimierenden Bedürfnissen zuzuwenden.

Da wäre noch eine ziemlich komische Geschichte. Den größten Teil ihrer Schlafzeit ist Delphi nur ein sanft vor sich hinschlummerndes, appetitliches Gemüse, das darauf wartet, dass P. Burke sich wieder hinters Steuer klemmt. Doch hie und da lächelt oder regt sich Delphi ganz von alleine in ihrem »Schlaf«. Einmal hauchte sie beim Ausatmen sogar ein Wort: »Ja.«

Unterhalb von Carbondale weiß P. Burke von alldem nichts. Sie schläft ebenfalls, und träumt dabei von Delphi, wovon sonst? Doch wenn der buschige Dr. Tesla diesen Ton gehört hätte, wäre sein Busch sofort schlohweiß geworden. Denn Delphi ist AUSGESCHALTET.

Hat er aber nicht. Davy ist zu dämlich, um es zu bemerken, und der Leiter von Delphis Team, Hopkins, hat nicht aufgepasst.

Und außerdem gibt es jetzt für sie alle etwas anderes, an das sie denken können, denn das kalte Feuerkleid wird eine halbe Million Mal verkauft, und nicht nur in Texas. Die GTX-Computer wissen es bereits. Als sie damit verbunden in Alaska eine geringfügige Nachfrage nach Aras feststellen, wird den Menschen das Problem bewusst: Delphi ist etwas Besonderes.

Siehst du, das ist deshalb ein Problem, weil Delphi auf eine limitierte Kundengruppe zugeschnitten ist. Jetzt stellt sich heraus, dass sie Potenzial zur Massentauglichkeit hat – diese Aras in Fairbanks, Mann! Es ist, als versuchte man mit einem ABM-System auf Mäuse zu schießen. Ein ganz neuer Ballsport. Dr. Tesla und der väterliche Mr. Cantle beginnen, im Hauptquartier im Kreis zu laufen und machen beim gemeinsamen Lunch auf dicke Freunde, wenn sie sich an einem Kerl von Level Sieben, dessen Gesichtszüge etwas Wieselhaftes haben und der ihnen beiden Angst macht, vorbeistehlen können.

Schließlich wird beschlossen, Delphi mit dem Schiff zur GTX-Holocam-Enklave nach Chile zu bringen, um einen Sendeplatz im Hauptprogramm auszuprobieren (Zerbrich dir nicht den Kopf darüber, wieso eine Infantin Schauspielerin wird). Der Holocam-Komplex erstreckt sich über einige Berge, in denen früher ein Observatorium von der klaren Luft profitierte. 360 Grad-Hüllen für Holocams sind sehr teuer und elektronisch gesehen superstabil. In ihrem Inneren können die Schauspieler sich frei bewegen, ohne jemals aus dem Aufnahmebereich zu verschwinden und die ganze Szene, oder ein beliebiger Ausschnitt davon, taucht bei den Zuschauern zuhause in vollendetem 3-D auf, so real, dass du ihnen sogar in die Nase hineinsehen kannst und viel dichter als man es mit mobiler Ausrüstung erreichen könnte. Du kannst dir Titten drei Meter groß aufblasen, wenn es in der Nähe keine molekulare Störung gibt.

Die Enklave sieht aus wie – nun ja, nimm alles, was du über Hollywood Burbank weißt und schmeiß es in den Müll. Was Delphi sieht, als sie hinunter kommt, ist eine geordnete gigantische Pilzfarm, Kuppeln in allen Größen, bis hin zu Monstern für die richtig großen Shows und so Zeugs. Überall herrscht Ordnung. Die Vorstellung, Kunst gedeihe auf Kreativität, wurde längst pulverisiert, weil sich gezeigt hat, dass alles, was die Kunst braucht, Computer sind. Denn dieses Showgeschäft hat etwas, das Fernsehen und Hollywood nie hatten: automatisierte, eingebaute Zuschauer-Rückmeldungen. Stichproben, Bewertungen, Kritiker, Umfragen? Vergiss es. Dank dem riesigen Datennetzwerk kannst du von jedem Empfänger der Welt in Echtzeit die Reaktionen mitlesen und bekommst sie unmittelbar auf deine Konsole. Hinter dem Ganzen steckte ursprünglich die Idee, dem Publikum mehr Einfluss auf die Inhalte einzuräumen.

Ja.

Versuchs ruhig, Mann. Du bist an der Konsole. Pick dir eine Geschlechts-Alters-Bildungs-Wirtschafts-Ethno-cetera-Schicht deiner Wahl heraus und fang an. Du kannst nicht daneben hauen. Wenn die Rückmeldungen wärmer werden, gib ihnen mehr davon. Warm – wärmer – heiß! Treffer – die geheimen Sehnsüchte unter diesen Fassaden, der Traum in diesen Herzen. Du musst nicht wissen, wie man es nennt. Mit deiner Hand, die den ganzen Input kontrolliert, und deinem Auge, das die Rückmeldungen liest, kannst du aus ihnen Götter machen … und irgendjemand wird dasselbe für dich tun.

Doch Delphi sieht nur Regenbögen, als sie durch das Entmagnetisierungsfeld und das Feldrelais geht und zum ersten Mal einen Blick ins Innere dieser Schalen wirft. Klein-Delphi wandert, plonk, ins Hauptabendprogramm, in eine Myriade Haushalte und nichts wird mehr dem Zufall überlassen. Arbeit!

Und wieder erweist sich Delphi als begabt. Natürlich ist es in Wahrheit P. Burke unterhalb von Carbondale, die all das tut, doch wer erinnert sich schon an diesen Kadaver? Mit Sicherheit nicht P. Burke, sie hat seit Monaten nicht durch ihren eigenen Mund gesprochen. Delphi erinnert sich nach dem Aufwachen nicht einmal, von ihr geträumt zu haben.

Was die Sendung selbst betriff: Vergiss sie. Sie läuft schon so lange, dass keine lebende Person die Handlung entwirren könnte. Delphis Probeszene hat irgendetwas mit einer Witwe und der Amnesie des Bruders ihres toten Ehemanns zu tun.

Die Würfel fallen, nachdem Delphis Szene durch die weltweiten Leitungen jagt und die Rückmeldungen reinkommen. Du hast es natürlich erraten. Sensationell! Man würde sagen, sie IDENTIFIZIEREN sich mit ihr.

In Wahrheit sagen die Berichte etwas in Richtung InskinEmp mit einem langen Schweif Prozentangaben, was bedeutet, dass Delphi nicht nur was für alle mit Y-Chromosom ist, sondern auch für Frauen und für alle dazwischen. Es ist der süße überirdische Hauptgewinn, die Eine unter einer Million.

Erinnerst du dich an eure Jean Harlow? Eine Sexbombe, gewiss. Doch warum wussten die bitteren Hausfrauen in Gary und Memphis dass die Vanilleeisgöttin mit dem weißen Haar und den verrückten Augenbrauen ihre süße Kleine war? Und warum schrieben sie liebevolle Briefe an Jean, um sie zu warnen, dass ihre Ehemänner nicht gut genug für sie wären? Wieso? Die GTX-Analyse weiß es auch nicht, aber sie wissen was zu tun ist, wenn so etwas passiert.

(Daheim in seinem ornithologischen Heiligtum erkennt es der alte Infant ohne Computerhilfe und starrt seine Braut unter ihrem schwarzen Witwenschleier gedankenverloren an. Es mag an der Zeit sein, so denkt er, den Abschluss seiner Studien zu beschleunigen.)

Die Aufregung schlägt Wellen bis zum Bunker unter Carbondale, wo P. Burke in einer Woche zwei medizinische Tests durchlaufen muss und eine chronisch entzündete Elektrode ersetzt wird. Außerdem wird Schwester Fleming ein Assistent zugeteilt, der sich weniger der Pflege widmet, dafür ein großes Interesse an den Zutrittstüren und den Namensschildchen aufweist.

Und in Chile wird Klein-Delphi mit einem neuen Heim oben im schicken Wohngebiet der Stars und einer privaten Limo, die sie zur Arbeit bringt, belohnt. Für Hopkins gibt es ein neues Computerterminal und einen Vollzeitmitarbeiter für die Organisation der Zeitpläne. Womit diese Zeitpläne ausgefüllt werden?

Mit Dingen.

Und hier fängt der Ärger an. Du hast es wahrscheinlich ebenfalls kommen sehen.

»Was glaubt sie denn, wer sie ist? Die gottverdammte Fürsprecherin der Konsumenten?« In Carbondale verzieht Mr. Cantle sein väterliches Gesicht.

»Das Mädchen ist aufgebracht«, sagt Miss Fleming stur.

»Sie glaubt an das, was Sie ihr erzählt haben. Von wegen den Menschen helfen und gute neue Produkte.«

»Es sind gute Produkte«, blafft Mr. Cantle sie ganz unwillkürlich an, doch er hat seinen Ärger unter Kontrolle. Unsachliche Reaktionen haben ihn nicht in seine Position gebracht.

»Sie sagt, sie habe vom Plastik Ausschlag bekommen und von den Leucht-Pillen sei ihr schwindlig geworden.«

»Grundgütiger, sie sollte sie nicht schlucken«, wirft Dr. Tesla aufgebracht ein.

»Sie sagten ihr, sie solle sie verwenden«, bleibt Miss Fleming beharrlich.

Mr. Cantle ist damit beschäftigt sich zu überlegen, wie er dem jungen Mann mit dem Wieselgesicht das Problem beibringen soll. Was? War sie etwa eine Gans, die goldene Eier legte?

Was immer er zu Level Sieben unten in Chile gesagt haben mag, die beleidigenden Produkte verschwinden. Und in Delphis Tankmatrix wird ein Symbol eingegeben, dass grob gesagt Widerstand der Einheit mit PR-Index abgleichen heißt. Das bedeutet im Klartext: Delphis Beschwerden werden geduldet, solange ihre Beliebtheitswerte über einem gewissen Niveau bleiben (Was geschieht, wenn sie darunter sinkt, soll uns nicht interessieren). Und zum Ausgleich steigt der Preis ihrer Sendezeit erneut an. Sie ist jetzt fester Bestandteil der Sendung und die positiven Rückmeldungen steigen noch immer.

Sieh sie dir nur an, dort unter den zischenden Laserstrahlen einer Holocam-Schale, die wie ein Unfall auf einem Bürgersteig inszeniert ist. (In dieser Folge hat ein Lockvogel einer Akupunktur-Schule einen Gastauftritt.)

»Ich denke nicht, dass dieser neue Körperstraffer sicher ist«, sagt Delphi. »Ich hab’ davon einen seltsamen blauen Fleck gekriegt – sehen Sie nur, Mr. Verne.«

Sie dreht sich herum, um ihm die Stelle zu zeigen, an der die Mini-Schwerkraft-Packung angebracht ist, die ein wunderbares Gefühl der Schwerelosigkeit vermittelt.

»Dann lass es nicht dran, Dee. Bei deinem Körper … jetzt pass auf, die Synchronisation beginnt.«

»Aber wenn ich es nicht trage, dann ist es nicht ehrlich. Sie sollten es besser isolieren oder so, verstehen Sie nicht?«

Dem geliebten alten Vater der Sendung – das Unfallopfer – entfährt ein seniles Kichern.

»Ich werde es ihnen sagen«, murmelt Mr. Verne. »Und jetzt pass auf, wenn du zurücktrittst, dann beug dich so vor, dass es zu sehen ist, etwa so. Und bleib zwei Sekunden lang so.«

Gehorsam dreht Delphi sich um und als sie in das gleißende Licht sieht, trifft ihr Blick einen fremden dunklen Blick. Sie blinzelt. Ein ziemlich junger Mann lungert alleine beim Eingang herum und wartet offenbar darauf, die Kammer benützen zu können. Delphi ist mittlerweile daran gewöhnt, dass junge Männer sie mit den unterschiedlichsten sonderbaren Gesichtsausdrücken ansehen, aber sie ist nicht an das gewöhnt, was hier passiert. Etwas Düsteres und Wissendes durchzuckt sie. Geheimnisse.

»Augen! Die Augen, Dee!«

Sie bewegt sich durch den einstudierten Ablauf und wirft dem Fremden verstohlene Blicke zu. Er starrt zurück. Er weiß etwas.

Sobald man sie gehen lässt, geht sie schüchtern auf ihn zu.

»Du lebst gefährlich, Kätzchen.« Eine kühle Stimme, doch darunter brodelt es.

»Was meinen Sie?«

»Das Produkt runtermachen? Bist du lebensmüde?

»Aber es funktioniert nicht richtig«, sagt sie zu ihm. »Sie wissen es nicht, ich schon, ich hab’s getragen.«

Seine kühle Fassade bekommt einen Riss.

»Du hast sie nicht mehr alle.«

»Ach, sie werden schon sehen, dass ich recht habe, wenn sie es nachprüfen«, erklärt sie ihm. »Sie sind einfach so beschäftigt. Wenn ich ihnen sage …«

Er sieht hinunter in ein kleines Blütengesicht. Sein Mund öffnet und schließt sich. »Was machst du überhaupt in diesem Drecksloch? Wer bist du?«

»Ich bin Delphi«, sagt sie verblüfft.

»Heiliger Zen.«

»Was stimmt denn nicht? Und wer bitte sind Sie?«

Da schieben ihre Leute sie bereits weg und nicken ihm zu.

»Entschuldigen Sie, dass wir überzogen haben, Mr. Ähm«, sagt das Skript-Mädchen.

Er murmelt irgendetwas, doch seine Worte gehen unter, als ihre Entourage sie auf eine Limo mit blumengeschmücktem Dach zutreibt.

(Hörst du das Klicken, als der unsichtbare Zündmechanismus betätigt wird?)

»Wer war das?«, fragt Delphi den Mann, der ihr die Haare macht.

Der Mann, der ihr die Haare macht, wippt beim Arbeiten mit den Knien auf und ab.

»Paul. Isham. Drei«, sagt er und steckt sich einen Kamm in den Mund.

»Wer ist das? Der Name sagt mir nichts.«

Er murmelt etwas über den Kamm hinweg, was soviel heißen soll wie »Machst du Witze?« Denn so muss es sein, hier inmitten der GTX-Enklave.

Am darauffolgenden Tag erscheint ein dunkel glühendes Gesicht unter einem Handtuchturban genau dann, als Delphi und der Querschnittsgelähmte aus der Sendung sich gerade zum mit Kohlensäure versetzten Pool aufmachen.

Sie sieht rüber.

Er sieht rüber.

Und am Tag darauf dasselbe.

(Hörst du, wie der automatische Verteiler sich einklinkt? Das System koppelt an und der Treibstoff macht sich auf den Weg.)

Armer, alter Isham Senior. Mit einem Mann, der Ordnung liebt, muss man Mitleid haben. Als er ein Kind in die Welt setzte, wurde die genetische Information noch auf die alte Affenart weitergegeben. In einem Augenblick ist es ein glücklicher Zwerg mit einer Gummiente, und kaum dreht man ihm eine Sekunde lang den Rücken zu, ist da dieser riesige, vor Gesundheit strotzende Fremde, dessen Gefühle völlig im Dunkeln liegen und der sich mit weiß Gott wem abgibt. Es werden Fragen laut, wo es nichts zu fragen gibt, Ausbrüche, die vorgeben, moralische Empörung zu sein. Als all das Papa zu Ohren kommt – und das kann in jener Vorstandsetage eine Zeit lang dauern –, tut Papa was er kann, doch ohne Unsterblichkeitssaft ist das Problem besorgniserregend.

Und der junge Paul Isham ist ein Bär. Er ist schlau und wortgewandt, mit einem gütigen Herz und ist ständig in Bewegung, und er und seine Freude ersticken geradezu vor Entsetzen angesichts der Welt, die ihre Väter erschaffen haben. Und es dauerte nicht lange, bis Paul herausfand, dass das Haus seines Vaters viele Villen hat, und selbst die GTX-Computer können nicht alles mit allem anderen in Verbindung bringen. Er spürt ein dahinsiechendes Projekt auf, das zusammengefasst als Finanzierung von Nischenprojekten in der Kreativwirtschaft bezeichnet werden kann (das Team aus Freiberuflern, das Delphi »entdeckt« hatte, war einer der Förderungsempfänger). Und ausgehend davon stellt sich heraus, dass ein geschickter Kerl wie Isham sich Zugang zu einer ganzen Reihe wichtiger GTX-Holocam-Einrichtungen verschaffen kann.

Hier ist er also, mit seiner kleinen Truppe, ganz unten am Fuße des Pilzfarm-Berges, ganz beschäftigt damit, eine Show abzuspulen, die nichts mit Delphi zu tun hat. Sie basiert auf bizarren Techniken und beunruhigenden Zerreffekten und schreit geradezu vor sozialem Protest. Ein Underground-Ausdruck für dich.

All das ist seinem Vater natürlich nicht unbekannt, doch bisher ist nichts weiter passiert, als dass Isham Seniors besorgtes Stirnrunzeln noch tiefer wurde.

Bis Paul auf Delphi trifft.

Und als sein Vater davon erfährt, sind die unsichtbaren hypergolen Stoffe bereits explodiert, die Energiehülsen brechen auf. Denn siehst du, Paul ist einer von der aufrichtigen Sorte. Er meint es ernst. Er träumt. Er liest sogar – etwa Green Mansions – und er weinte bitterlich, als diese Schurken Rima bei lebendigem Leibe verbrannten.

Als er hört, dass irgendeine neue GTX-Tussi ganz groß rauskommt, lächelt er spöttisch und vergisst es sofort wieder. Er ist beschäftigt. Er bringt den Namen nie mit diesem kleinen Mädchen in Verbindung, die in der Holocam-Kammer ihren idiotischen, zum Scheitern verurteilten Protest kundtut. Dieses seltsame, einfache kleine Mädchen.

Und sie kommt zu ihm und sieht zu ihm hoch und er sieht Rima, die verlorene Rima, das bezaubernde Vogelmädchen, und sein unverkabeltes menschliches Herz macht einen Sprung.

Und es stellt sich heraus, dass Rima Delphi ist.

Brauchst du das Drehbuch, um zu wissen, wie es weitergeht? Die verärgerte Verblüffung. Die Ablehnung der unsinnigen Erkenntnis: Rima prostituiert sich für GTX, für meinen Vater.