Hühner an der Stange - Katharina Timber - E-Book

Hühner an der Stange E-Book

Katharina Timber

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Beschreibung

Moderne, heitere Frauenunterhaltung rund ums Fitness-Trendthema Poledance! Doro hat die Nase endgültig voll: Ihr Job in einer Werbeagentur ist eher langweilig als kreativ, die Kolleginnen sprechen den ganzen Tag nur über den aktuellen Nagellack-Trend und ihre neuesten Eroberungen, und nun hat ihr Freund Daniel sich auch noch von jetzt auf gleich aus dem Staub gemacht. Dass ihre beste (und einzige) Freundin gerade nach Hamburg gezogen ist, hilft ihr da auch nicht weiter. Da kommt ihr der Flyer eines Poledance-Studios gerade recht. Doro beschließt, ihr Leben komplett umzukrempeln: Eine neue Doro muss her, gutaussehend, erfolgreich und sexy – natürlich alles mit dem Ziel, den Ex zurückzuerobern... feelings-Skala (1=wenig, 3=viel): Erotik: 1, Humor: 3 Gefühl: 1 »Hühner an der Stange« ist ein eBook von feelings*emotional eBooks. Mehr von uns ausgewählte erotische, romantische, prickelnde, herzbeglückende eBooks findest Du auf unserer Facebook-Seite: www.facebook.de/feelings.ebooks. Genieße jede Woche eine neue Geschichte - wir freuen uns auf Dich!

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Katharina Timber

Hühner an der Stange

Ein Poledance-Roman

Knaur e-books

Über dieses Buch

Inhaltsübersicht

Kapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10
[home]

Kapitel 1

Er hat was gesagt?« Isabelles Stimme klang ehrlich entrüstet. Doro brauchte einen Moment, um sich zu sammeln. Sie atmete tief ein und schluckte den dicken Kloß in ihrem Hals hinunter.

»Er sagte, ich wäre einfach nicht die Richtige für ihn, und deshalb würde er ausziehen.«

»Und dann?«

»Dann hat er seine Sachen gepackt, und ich habe ihn zum Bahnhof gefahren.«

»Du hast was? Bist du verrückt?« »Ich …«

»Sorry, warte kurz«, unterbrach Isabelle sie. Ein kurzes Knacken ertönte, anscheinend hatte ihre Freundin den Hörer auf die Seite gelegt. Gedämpft hörte Doro das Weinen eines Babys und Isis leise Stimme. Ihre Freundin sprach beruhigend auf ihre Tochter ein. Doro seufzte.

»Bist du noch dran?« Die junge Mutter klang gestresst.

»Ja, natürlich.«

»Es tut mir sehr leid, Doro, aber die Kleine lässt sich nicht beruhigen. Kann ich dich gleich zurückrufen?«

»Ja, klar doch.«

Isabelle bedankte sich knapp und legte auf. Doro seufzte. Sie wusste, sie würde erst in ein paar Tagen wieder von ihrer besten Freundin hören. Seit sie zurück in ihre Heimatstadt Hamburg gezogen war und ihr erstes Kind bekommen hatte, wurde ihr Kontakt immer spärlicher. Natürlich verstand Doro, dass sich Isis Prioritäten verschoben hatten und dass ihre kleine Tochter ihre ganze Aufmerksamkeit brauchte, aber gerade heute Abend wäre sie froh gewesen, jemanden zum Reden zu haben, wenn auch nur am Telefon.

Sie ging in die Küche, um sich eine weitere Flasche Rotwein zu holen. Als sie den Öffner in den Korken drehte, fiel ihr Blick auf die schmutzigen Teller in der Spüle, die dort seit drei Tagen verkrusteten. Vor drei Tagen noch hatte sie mit Daniel zusammen zu Abend gegessen. Doro schluckte, aber sie konnte nicht verhindern, dass ihr die Tränen in die Augen schossen. Plötzlich schienen ihre Knie den Dienst zu versagen, und sie rutschte mit dem Rücken am Kühlschrank entlang, bis sie auf dem kalten Küchenboden ankam und hemmungslos zu weinen begann. Sie konnte einfach nicht begreifen, was geschehen war. Zugegeben, Daniel und sie hatten oft gestritten, aber sie war trotzdem so glücklich mit ihm gewesen! Sie fühlte seine Abwesenheit wie einen körperlichen Schmerz, der ihr den Magen zudrückte und sie am Atmen hinderte. Es war ihm so leicht gefallen, ein paar Sachen in eine Tasche zu werfen und ihr gemeinsames Leben zu verlassen. Wie konnte er nur so kalt, so unbeteiligt sein? Doro zog ein schon mehrfach benutztes Taschentuch aus ihrer Jogginghose hervor und schnäuzte sich geräuschvoll die Nase. Dann zog sie sich mühsam nach oben, griff nach der Weinflasche und ging zurück ins Wohnzimmer, wo sie ihre Lieblings-CD in den Player legte.

Zur traurigen Stimme von Dido wiegte sie sich langsam hin und her und ergab sich völlig ihrem Kummer. Als das Lied zu Ende war, ging sie zur Couch, wo sie sich wie ein kleines Kind zusammenrollte. Ausgelaugt vom vielen Weinen und benommen vom Rotwein wollte sie nur noch einschlafen und nie wieder aufwachen.

Als Doro am nächsten Morgen auf der Couch die Augen aufschlug, wünschte sie sich immer noch das Gleiche. Oder zumindest wünschte sie, sie hätte auf das letzte Glas Rotwein verzichtet oder wäre wenigstens in der Nacht noch ins Bett gegangen. Ihre Muskeln schmerzten von der unbequemen Liegeposition, ihr Kopf fühlte sich an wie in Watte gepackt und in ihrem Magen rumorte es. Sie tastete nach der Fernbedienung, schaltete den Fernseher an und zappte sich einmal komplett durch alle Kanäle. Wieder vorn angekommen, warf sie resigniert den Controller auf den Boden und ließ sich eine Zeitlang von einer Show aus einem Fernsehgarten berieseln. Die Moderatorin trug ein unmögliches Kostüm und ein noch schrecklicheres Lächeln zur Schau, das aussah, als hätte man ihre Mundwinkel nach oben gezogen und an den Wangen festgetackert. Als die Dame freudestrahlend den nächsten Gast, ein Schlagerduo, ankündigte, reichte es Doro. Entschlossen setzte sie sich auf, angelte zwischen ihren Füßen nach der Fernbedienung und schaltete das Gerät ab. Ihr Blick fiel auf die beiden Rotweinflaschen und das halbleere Glas auf dem Couchtisch vor ihr, die von einem Berg benutzter Taschentücher umgeben waren. Sie seufzte kurz und beschloss, erst einmal ins Bad zu gehen und sich danach um alles andere zu kümmern.

Die heiße Dusche war eine Wohltat für ihre von der unbequem verbrachten Nacht verhärteten Muskeln. Während sie sich gründlich von Kopf bis Fuß mit ihrer Lieblingsseife einrieb, spürte sie, wie ihr Optimismus Stück für Stück zurückkehrte, so als würde aller Kummer mit den Seifenresten von ihrer Haut in den Abguss gespült werden.

Sie blieb länger als nötig unter dem warmen Wasserstrahl und genoss das sanfte Prasseln aus dem Duschkopf. Irgendwann schaffte sie es, den Wasserhahn abzudrehen und sich in eines der großen Badetücher zu hüllen. Sie nahm ihre Zahnbürste und begann, sich den Geschmack der letzten Nacht aus dem Mund zu putzen. Als sie fertig war, fiel ihr Blick auf eine weitere Zahnbürste. Daniels Zahnbürste. Warum hatte er sie nicht mitgenommen? Nun, er würde sie hier nicht mehr brauchen. Mit plötzlicher Entschlossenheit nahm Doro die blaue Bürste und warf sie in den Abfalleimer unter dem Waschbecken. Einen Moment lang hielt sie inne, dann lächelte sie grimmig. Mit einem Ruck öffnete sie die rechte Seite des Spiegelschranks, in der Daniels Sachen waren, und schob mit einer einzigen Handbewegung den gesamten Inhalt des Fachs in den Eimer. Dann öffnete sie die Duschkabine und ließ verschiedene Flaschen Duschgel und Shampoo folgen. Nachdem sie alles aus Daniels Besitz entsorgt hatte, schnappte sie sich einen Putzeimer und begann, den Spiegelschrank auszuwischen. Als sie auch das Waschbecken und die Duschkabine geschrubbt und frische Handtücher aufgehängt hatte, warf sie einen zufriedenen Blick in den kleinen Raum.

Ja, das sah schon viel besser aus, dachte sie sich.

Sie nahm den Beutel aus dem Abfalleimer, griff ihren Schlüssel vom Brett neben der Wohnungstür und ging hinunter, um die Spuren von Daniels Anwesenheit gleich zu entsorgen.

Als sie wieder in ihrer Wohnung ankam, war sie von einem Tatendrang erfüllt, der sie selbst überraschte. Sie ging ins Wohnzimmer, wo sie die Überreste der vergangenen Nacht wegräumte. Sie brachte das Glas und die leeren Flaschen zur Küche, sammelte die Taschentücher auf und wischte den Couchtisch. Dann ging sie hinunter in den Keller und brachte die Umzugskisten von ihrem Einzug nach oben. Als sie die erste Kiste zusammenbaute, schluckte sie kurz. Schlafzimmer, stand in Daniels schwungvoller Handschrift darauf. Einen Moment verlor Doro sich in der Erinnerung an den ersten Abend in ihrer gemeinsamen Wohnung. Sie hatten inmitten der Umzugskisten auf dem Boden gesessen, sich eine Tiefkühlpizza geteilt und dabei lachend darüber diskutiert, wo welches Möbelstück stehen sollte. Danach hatte Daniel aus irgendeiner der Kisten eine Decke gezogen, und sie hatten sich auf dem Fußboden geliebt.

Doro schüttelte sich kurz, um die Erinnerung und die aufsteigenden Tränen zu vertreiben. Sie faltete den Karton zusammen und begann, alle Dinge, die Daniel gehörten, hineinzuräumen, ohne die einzelnen Gegenstände eingehender zu betrachten oder sich weiteren Erinnerungen hinzugeben.

Am Abend hatte Doro alles Sichtbare von Daniel aus der Wohnung entfernt. Natürlich standen noch seine Möbel in den Räumen und seine Hälfte des Kleiderschranks war vollgestopft mit T-Shirts, Hosen und Unterwäsche, die sie aus der gesamten Wohnung zusammengetragen hatte. Im Flur standen übereinandergestapelt mehrere Umzugskartons sowie diverse Taschen, in die Doro Daniels Bücher, seine geliebten Modellautos und überhaupt alles, was sie an ihn erinnerte, verpackt hatte. In den erschreckend leer wirkenden Regalen hatte sie ihre eigenen Sachen verteilt, damit sie nicht daran erinnert wurde, welches Loch gerade in ihr Leben gerissen worden war. Außerdem hatte sie überall gründlich gewischt und staubgesaugt, die Küche geputzt und das Bett frisch bezogen.

Erschöpft, aber mit einem guten Gefühl sank Doro auf ihr Sofa. Sie ließ den Blick durch das Zimmer schweifen, das so viel ordentlicher war als noch am Vortag. Nichts erinnerte mehr daran, wie sehr sie sich am Abend zuvor hatte gehen lassen. Sie hatte sogar eine Duftkerze auf dem kleinen Glastisch entzündet, deren flackerndes Licht eine fast gemütliche Atmosphäre zauberte. Um gegen die aufkommende Stille anzugehen, die mit der Dämmerung über die Wohnung hereinbrach, schaltete Doro den Fernseher an und wechselte so lange zwischen den Programmen hin und her, bis sie einen Krimi gefunden hatte, bei dem die Chancen auf eine Liebesszene gering waren. Während sie den Ermittlungen auf dem Bildschirm folgte, aß sie eine große Portion Pasta vom Lieferservice direkt aus der Verpackung.

Nicht die Richtige, dachte sie bei sich. Da wird sich noch jemand wundern.

Als der Wecker am nächsten Morgen klingelte und Doro unerbittlich daran erinnerte, dass Montag war und sie ins Büro musste, war ihr Kampfgeist schon längst nicht mehr so ausgeprägt. Müde drückte sie die Schlummertaste, um sich noch fünf kostbare Minuten zu verschaffen. Als sie am Abend ins Bett gegangen war, hatte sie Daniel noch eine SMS geschickt, die so knapp wie möglich gehalten war: Wann kommst du deine Sachen abholen?

Insgeheim hatte sie natürlich gehofft, umgehend eine Antwort zu erhalten, vielleicht sogar einen Anruf. Sie hatte darauf spekuliert, dass Daniel ihr forsches Auftreten zum Nachdenken anregen würde, dass die angekündigte Auflösung des gemeinsamen Hausstands ihn dazu brachte, noch einmal über die Trennung nachzudenken. Doch das Display ihres Smartphones war dunkel geblieben. Irgendwann war Doro, erschöpft von der Putzaktion, in einen unruhigen Schlaf gefallen, aus dem sie immer wieder hochgeschreckt war, um auf ihr Handy zu schauen. Schließlich hatte sie es stummgeschaltet, um wenigstens noch ein paar Stunden durchschlafen zu können.

Bei dem Gedanken an Daniel schreckte Doro hoch. Das Handy! Vielleicht hatte er sich in der Zwischenzeit gemeldet? Fast hektisch schlug Doro die Bettdecke zurück und griff nach dem Gerät. Keine neue Nachricht. Enttäuscht ging sie ins Badezimmer, um sich für den Tag im Büro fertig zu machen.

Sie schaffte es, rechtzeitig zum montäglichen Meeting in der Agentur zu sein. Ihre Kollegen saßen bereits um den großen weißen Konferenztisch, als sie den Raum betrat, zu ihrem angestammten Platz ging und den Stuhl zurechtrückte. Sie hatte gerade noch genügend Zeit gehabt, kurz in ihrem eigenen Büro vorbeizugehen, das sie sich mit ihren Kolleginnen Sabrina und Martina teilte, und die aktuellen Unterlagen zu greifen. Ihre Kollegen unterhielten sich angeregt über ihre Erlebnisse am vergangenen Wochenende. Natürlich hatten sie alle etwas besonders Hippes unternommen, wie es sich für die Mitarbeiter einer der angesagtesten Werbeagenturen Frankfurts gehörte. Robert berichtete gerade davon, wie er nach einer durchtanzten Clubnacht eine neue Bekannte zum Frühstück nach Paris entführt hatte – natürlich nicht, ohne in der Stadt der Liebe noch ein Zimmer zu buchen, wie er mit einem unmissverständlichen Grinsen betonte.

Dafür, dass er sich die Nächte um die Ohren geschlagen hat, sieht er aber verdammt gut aus, dachte Doro missmutig und erinnerte sich an ihr eigenes Spiegelbild, das ihr heute Morgen im Bad entgegengesehen hatte. Aber Robert sah ja irgendwie immer verdammt gut aus mit seinen dunklen Haaren, die ihm halblang in die Stirn fielen, und dem leichten Stoppelbart. »Und wie war dein Wochenende?« Sabrina drehte sich zu ihr um, ihre schrille Stimme ließ Doro leicht zusammenzucken.

»Ich war zu Hause«, murmelte Doro leise und griff nach der Kaffeekanne, die vor ihr auf dem Tisch stand.

»Wie, zu Hause?«, begann Sabrina, verstummte aber, als Maggie den Raum betrat. Maggie, die eigentlich Margarete hieß, was ihr aber nicht adäquat genug erschien, war die Besitzerin von Schmidt & Schuster und damit Doros oberste Vorgesetzte. Mit einem Kopfnicken begrüßte sie die Anwesenden und forderte alle wie jeden Montag auf, ihre Arbeitsergebnisse der letzten Woche zusammenzufassen. Doro griff zum Keksteller. Die wöchentlichen Meetings waren mehr eine Gelegenheit zur Selbstbeweihräucherung als ein konstruktives Arbeitstreffen. Sie hörte nur halb zu, wie Robert mit der ihm eigenen Selbstüberzeugung, die schon an Arroganz grenzte, von seiner Dienstreise nach London berichtete, wo er einen wichtigen Kunden für die Agentur gewonnen hatte, der sein Produkt auf den deutschen Markt bringen und sich dabei von Schmidt & Schuster vertreten lassen würde. Auch die anderen Kollegen hatten von mehr oder weniger großen Erfolgen oder zumindest von interessanten Projekten zu berichten.

Wie immer kam Doro als Letzte an die Reihe, und wie immer hatte sie im Gegensatz zu den anderen Mitarbeitern nichts Glanzvolles zu berichten. Sie war erst seit wenigen Monaten in der Agentur, die aufregenden und wichtigen Projekte blieben ihren Kollegen vorbehalten. Sie selbst betreute hauptsächlich einen Großkunden, eine regionale Supermarktkette, für die sie die wöchentlichen Prospekte erstellte. Es war keine kreativ herausfordernde Arbeit, aber Doro leistete gute Arbeit, und der Kunde war mit ihren Ergebnissen zufrieden.

Nachdem alle Berichte abgegeben waren, fasste Maggie kurz zusammen, was in der kommenden Woche anstand, und bat einige der Mitarbeiter, im Anschluss an das Meeting in ihr Büro zu kommen, um Einzelheiten anstehender Projekte zu besprechen. Doro war davon natürlich nicht betroffen und froh, als sie den Konferenzraum endlich verlassen und in ihr eigenes Büro gehen konnte. Sabrina und Martina gingen wie gewöhnlich noch kurz raus, eine Zigarette rauchen, sodass Doro ein paar Minuten für sich sein konnte. Sie kramte als Erstes in ihrer Handtasche nach ihrem Handy, doch Daniel hatte sich immer noch nicht gemeldet. Enttäuscht legte sie das Gerät in die oberste Schublade ihres Schreibtisches und fuhr den Rechner hoch.

Zur Mittagszeit hatte Doro alle anstehenden Arbeiten erledigt. Dennoch verspürte sie wenig Lust, mit ihren Kollegen zusammen zum Essen zu gehen. Stattdessen ging sie zur nächsten Bäckerei, wo sie sich ein, wie sie selbst zugeben musste, wenig nahrhaftes, dafür aber stark zuckerhaltiges Kaffeestückchen kaufte, das sie nach ihrer Rückkehr am Schreibtisch aß. Dabei blätterte sie nur halb interessiert in einer der herumliegenden Modezeitschriften. Martina hatte gerade einige Printanzeigen für ein großes Modelabel entworfen, weswegen sich verschiedene Hochglanzmagazine als Referenzmaterial auf dem kleinen Regal neben der Tür stapelten.

Doro war gerade auf den letzten Seiten angekommen und las ihr Horoskop der vergangenen Woche (sie fand, im Nachhinein konnte man den Wahrheitsgehalt solcher Prognosen viel besser bewerten), als Sabrina und Martina schnatternd und lachend durch die Tür kamen.

»Doro, warum bist du nur nicht mitgekommen, du hast wirklich was verpasst«, sprach Martina sie an. Ihr Blick fiel auf die Zeitschrift in Doros Hand.

»Ah, die Fashion. Meine Anzeige ist super platziert, findest du nicht auch?«

Doro nickte, auch wenn sie gar nicht wirklich darauf geachtet hatte.

»Und hast du die Modestrecke gesehen? Traumhaft, sag ich dir. Ganz tolle Basics, super einfach zu kombinieren. Da wäre auch das ein oder andere für dich dabei.«

Sie warf einen flüchtigen, aber kritischen Blick auf Doros Outfit.

»Dein Style könnte etwas Auffrischung vertragen.«

Doro schaute an sich hinab. Sie trug wie meistens eine Jeans und ein T-Shirt mit großflächigem Aufdruck. Ihr war natürlich klar, dass man in diesem Aufzug keinen Preis auf einer Modenschau gewinnen konnte, aber sie hatte immer gedacht, für den Alltag im Büro wäre er in Ordnung. Martinas Kommentar verletzte sie, aber sie verkniff sich eine Antwort, stand stattdessen auf und ging zum Regal, um die Zeitschrift zurück auf den Stapel zu legen.

Martina hatte nicht bemerkt, dass sie mit ihrer Bemerkung ins Fettnäpfchen getreten war, und plapperte ungerührt weiter.

»Wir gehen nach der Arbeit noch in diese neue Bar, um Roberts Deal zu feiern. Komm doch mit, es wird t o t a l großartig.«

Doro konnte sich vorstellen, wie großartig ein Abend mit ihren Kollegen in einer Bar sein würde. Robert würde die ganze Zeit Anekdoten aus seinem erfolgreichen Dasein als Designer – und Liebhaber – zum Besten geben, während ihre Kolleginnen ihn anhimmelten und dabei zu viele Cocktails tranken.

»Ich muss sehen, wie es mit der Arbeit läuft«, antwortete sie zögernd.

»Du hast doch nie so viel zu tun, du musst sicher nicht ausgerechnet heute eine Nachtschicht einlegen«, gab Martina zurück, warf sich schwungvoll auf ihren Drehstuhl und schaltete ihren Rechner an.

Doro starrte sie fassungslos an. Zugegeben, sie hatte meistens wenig Zeitdruck und kam mit ihren Aufträgen gut zurecht, aber es war doch nicht ihre Schuld, dass Maggie ihr nur den einen Großkunden überlassen hatte. Zur Eingewöhnung, wie sie damals gesagt hatte. Sie hätte nichts gegen die eine oder andere Nachtschicht einzuwenden gehabt, wenn sie dafür an interessanteren Projekten arbeiten und ihr kreatives Potenzial hätte zeigen können. Doch auch diesmal sagte sie nichts, sondern wandte sich kommentarlos wieder ihren Unterlagen zu.

Der Nachmittag verging nur langsam. Der Kunde hatte den Entwurf für den nächsten Prospekt freigegeben, sodass Doro die Dateien an die zuständige Druckerei weiterleiten konnte. Prinzipiell hätte sie bereits nach Hause gehen können, es gab in der Agentur keine festen Arbeitszeiten, aber es wurde auch nicht gern gesehen, wenn man das Büro schon um vier oder fünf verließ. Deshalb beschäftigte Doro sich noch mit ihrer Ideensammlung, in der sie Ideen und Gedanken für mögliche Sonderaktionen ihres Auftraggebers sammelte. Sie liebte es, sich hier kreativ auszutoben und ohne Druck Sonderbeilagen, Plakate oder ganze Kampagnen zu entwerfen.

Gegen sechs schaltete Martina ihren Rechner aus und ging zu den Waschräumen. Als sie zurückkam, hatte sie nicht nur ihr Oberteil gewechselt, sondern auch ihre Haare zu einer komplett neuen Frisur umgestylt, wie man auch an der Wolke von Haarspray, die sie umwehte, erkennen konnte. Sabrina saß noch an ihrem Schreibtisch, hatte aber ein kleines Kosmetiktäschchen vor sich liegen und war gerade dabei, ihre Wimpern zu tuschen. Kritisch betrachtete sie das Ergebnis in einem kleinen Handspiegel, dann packte sie alles wieder zurück in das Etui.

»Ich bin fertig, wir können los«, sagte sie zu Martina.

Die drehte sich zu Doro um.

»Bist du dabei?«

Doro wollte schon verneinen, als ihr Handy piepste. Eine SMS! Hastig zog sie die Schublade ihres Schreibtischs auf und wühlte nach dem Gerät.

Auf dem Display leuchtete eine Nachricht von Daniel auf.

Melde mich die Tage.

Melde mich die Tage? War das alles? Wieso schrieb er nicht, wo er war und was er machte? Oder fragte, wie es ihr ging? Doro merkte, wie gleichzeitig Wut in ihrem Magen grollte und ihr die Tränen in die Augen schossen. Allem Anschein nach war Daniel die Trennung so gleichgültig, dass er es nicht für nötig hielt, sich Gedanken darüber zu machen, wie es nun weiterging. Es gab immerhin einiges zu klären. Aber es passte zu Daniel, sich um nichts zu kümmern. Wütend blinzelte sie die Tränen weg und warf das Handy in die Handtasche.

»Ich komme«, sagte sie zu ihren beiden Kolleginnen und griff nach ihrer Jacke.

Es dauerte kaum zwei Stunden, bis Doro ihren Entschluss bereute. Außer Martina und Sabrina waren auch die anderen Frauen ihrer Abteilung mitgegangen, außerdem natürlich Robert als Hahn im Korb. Das neue Lokal mit dem Namen Corto Bar war nur zehn Minuten Fußweg von den Räumen der Agentur entfernt und hatte erst im vergangenen Monat eröffnet, sich aber schnell zum neuen Szene-Tipp entwickelt. In den frühen Abendstunden trafen sich hier die coolen Kids der Stadt, Werbeleute, Anwälte und Manager, um sich bei einigen Cocktails in ihrem eigenen Glanz zu sonnen. Die Bar war überraschend hübsch eingerichtet, fand Doro, ein gelungener Mix aus moderner Eleganz und gemütlicher Piratenatmosphäre. Der Bartresen war in Form eines großen Fasses gearbeitet, an den Seiten gab es einige erhöhte Tische, die sich in stilisierten Schiffsrümpfen befanden. Ansonsten dominierten Edelstahl und Chrom den Raum.

Die Gruppe um Doro hatte sich zunächst einen der abgetrennten Bereiche an der Wand gesichert und mit einem Corto Bar Ice Tea, der Spezialität des Hauses, auf den Erfolg Roberts angestoßen. Der ersten Runde folgte eine zweite, zur dritten spendierte der Sunnyboy der Agentur eine große Platte Tapas für alle. War Doro zu Anfang noch fest entschlossen gewesen, den Ausflug zu genießen, wurde ihr im Verlauf des Abends immer langweiliger. Ihre Kollegen wurden nicht müde, von ihren außergewöhnlichen und extravaganten Erlebnissen zu berichten, sei es beruflicher oder privater Natur, allen voran natürlich Robert, dem alle bei seinen – wie Doro zugeben musste durchaus eloquent und charmant vorgetragenen –- Anekdotenan den Lippen hingen. Sabrina berichtete von ihrem letzten Geschäftsessen mit einem wichtigen Kunden, bei dem der Sohn des Chefs und damit Nachfolger im Familienunternehmen sich gnadenlos blamiert hatte, als er beim Griff nach dem Brotkorb ein volles Glas Rotwein umgestoßen hatte, dessen Inhalt sich nicht nur über den halben Tisch, sondern natürlich auch über die Hose des jungen Mannes ergossen hatte. Der arme Kerl war daraufhin prompt knallrot geworden, bis sein Gesicht dieselbe Farbe angenommen hatte wie der verschüttete Rotwein, wie Sabrina lachend betonte. »Vielleicht hätte ich doch nicht das Kleid mit dem tiefen Ausschnitt tragen sollen«, sagte sie und lächelte schelmisch.

 

Martina lachte laut.

»Das erinnert mich an einen Vorfall im Ruderclub«, begann sie, aber Doro hörte ihr nicht weiter zu. Sie war den ganzen Abend über sehr schweigsam gewesen, weil sie mit den Erlebnissen ihrer Kollegen nicht mithalten konnte. Ihr Leben mit Daniel war eher normal gewesen, natürlich hatten sie auch mal etwas unternommen, aber das waren eben gewöhnliche Dinge gewesen wie ein Kinobesuch oder ab und an ein Spieleabend mit Freunden. Doro murmelte eine kurze Entschuldigung, stand auf und ging zum Tresen. Sie setzte sich auf einen der rot gepolsterten Barhocker und bestellte sich ein stilles Wasser.

Sie trank gerade gedankenverloren einen Schluck, als jemand hinter sie trat.

»Flüchtest du etwa vor uns?«, fragte eine dunkle, angenehme Stimme. Robert!

Doro verschluckte sich fast an ihrem Wasser, stellte das Glas ab und drehte sich halb zu ihrem Kollegen um.

»Nein«, stammelte sie, »nein, natürlich nicht. Ich wollte nur kurz etwas ohne Alkohol dazwischenschieben. Du weißt schon, zu viele Cocktails.«

Robert lachte und nahm mit einem eleganten Schwung auf dem Hocker neben ihr Platz.

»Gib es zu, unsere Gespräche langweilen dich.«

Doro antwortete nichts, sondern blickte etwas verlegen auf ihren Schoß.

»Ich verstehe das«, fuhr Robert fort. »Die Ladys benehmen sich manchmal wie ein Haufen wilder Hühner.«

Er zwinkerte ihr zu, dann beugte er sich vor.

»Wenn du möchtest, können wir zwei vielleicht noch irgendwo anders hingehen.«

Doro starrte Robert überrascht an, überzeugt, er wolle sich einen Scherz mit ihr erlauben. Doch Robert schaute ihr nur abwartend in die Augen. Doro wurde nervös.

»Danke, aber ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist. Ich denke, ich gehe lieber nach Hause.«

Sie rutschte von ihrem Hocker herunter und griff nach ihrer Handtasche.

»Wir sehen uns morgen im Büro.«

Sie hob die Hand zu einem schnellen Abschiedsgruß und hastete, ohne sich umzudrehen, Richtung Tür. Kurz vor dem Ausgang bog sie links ab und nahm die Treppe in den Keller, um noch einmal die Toilette aufzusuchen.

Nachdem sie aus der Kabine gekommen war, ließ sie sich einen Schwall kaltes Wasser über die Unterarme laufen und betrachtete sich im Spiegel. Ihr Gesicht war immer noch rot angelaufen, so peinlich war ihr die ganze Aktion. Was hatte Robert sich nur dabei gedacht? Hatte er etwa ernsthaft Interesse an ihr? Sie schüttelte den Kopf. So ein Unsinn, dachte sie. Vermutlich wollte er sich nur einen Scherz mit ihr erlauben. Bestimmt saß er jetzt oben am Tisch und amüsierte ihre Kolleginnen mit einem detaillierten Bericht darüber, wie sie vor ihm geflüchtet war. Bei dem Gedanken daran freute Doro sich schon auf den nächsten Morgen im Büro.

Sie drehte das Wasser ab, schüttelte ihre Hände und fuhr sich einmal mit den nassen Fingern durch ihre Haare. Sie sollte jetzt besser einfach nach Hause gehen.

Auf dem Weg durch den engen Kellergang vor den Waschräumen blieb sie wie gewohnt an einem der Ständer stehen, auf denen kostenlose Postkarten steckten. Doro nahm manchmal welche mit, um sie zu Hause an ihren Kühlschrank zu heften. Diesmal waren aber alle interessanten Exemplare schon weg. Doro wollte gerade weitergehen, als ihr Blick auf einen Flyer fiel. Er war in monochromen Farben gehalten und zeigte auf der Vorderseite eine Frau in einem kurzen weißen Rock und einem knappen Oberteil, die sich kunstvoll an einer Stange räkelte. Sinnlich. Wild. Kraftvoll stand in einer schön geschwungenen Schrift über dem Bild. Und darunter etwas kleiner: Entdecke deine Stärken. Lerne Poledance. Aus einem plötzlichen Impuls heraus steckte Doro den Zettel in ihre Handtasche und machte sich auf den Heimweg.

Sie fand den Flyer erst zwei Tage später wieder, als sie in ihrer Tasche nach einem Kaugummi suchte. Die vergangenen beiden Tage waren wenig aufregend gewesen. In der Agentur hatte sie tagsüber hauptsächlich Routinearbeiten erledigt und mit dem Layout für das nächste Einkaufsprospekt begonnen. Die Abende hatte sie mit einem Glas Rotwein und ungesundem Fast Food auf der Couch verbracht, wo sie in zwei Tagen eine ganze Staffel ihrer Lieblingsserie auf DVD gesehen hatte, immer darauf bedacht, sich abzulenken und nicht an Daniel zu denken. Seit seiner kurzen SMS am Montag hatte sie nichts mehr von ihm gehört, und jedes Mal, wenn sie im Flur an den aufgestapelten Kartons vorbeiging, stieg die Wut in ihr hoch. Doch egal wie wütend sie auch war, wenn sie abends allein in ihrem Bett lag, kämpfte sie mit den Tränen.

Ihre Kolleginnen hatten ihren plötzlichen Abgang aus der Corto Bar nicht weiter erwähnt, nur Martina hatte kurz gefragt, wo sie denn so schnell hin verschwunden wäre, ihre Antwort aber gar nicht erst abgewartet, sondern gleich vom weiteren Verlauf des Abends geschwärmt. Wenn Doro an den Tag zurückdachte, trieb es ihr vor Scham die Röte ins Gesicht – ihre überstürzte Flucht vor Roberts Annäherungsversuch war einfach zu peinlich. Zum Glück war sie ihrem smarten Kollegen noch nicht wieder über den Weg gelaufen. Er war wegen vieler Außentermine nur selten im Büro.

Als Doro in ihrer Handtasche nach dem Kaugummi kramte, ertastete sie ein Stück Papier. Sie nahm es aus der Tasche und strich es glatt: Es war der Flyer, den sie am Montag aus einem Impuls heraus eingesteckt hatte. Poledance … Doro kannte den Begriff eigentlich nur aus TV-Krimis, die in einschlägigen Bars spielten und in denen halbnackte Mädchen, meist illegale Einwanderinnen aus Osteuropa, eher billig als sexy mit eindeutigen Hüftbewegungen um eine Stange herumtanzten. So etwas als Tanz- oder Sportart oder gar als Kunst, wie es der Flyer formulierte, anzusehen, war Doro bislang gar nicht in den Sinn gekommen. Und sich selbst konnte sie sich schon gar nicht dabei vorstellen. Und doch … die Frau auf dem Flyer sah wirklich sexy aus, von billig konnte keine Rede sein. Doro betrachte das zweite Foto auf der Rückseite genauer. Die Frau hing mit dem Kopf nach unten, ein Bein nach hinten ausgestreckt, das andere in Höhe der Kniekehle um die Stange gewunden.

Wie man das wohl hinbekam?

Auf dem Flyer war auch eine URL angegeben. Doro versicherte sich mit einem kurzen Blick, dass ihre Kolleginnen mit ihren eigenen Arbeiten beschäftigt waren, dann tippte sie die Adresse in die Adresszeile ihres Browsers. Die ansprechend aufgemachte Website begrüßte sie mit einem weiteren atemberaubenden Foto. Doro las den kurzen, freundlichen Text auf der Startseite und klickte dann auf das Kursprogramm.

Was Daniel wohl davon halten würde? Er hatte immer ein Faible für durchtrainierte Frauen gehabt. Ein kleines Lächeln schlich sich auf Doros Gesicht. Kurz entschlossen öffnete sie das Kontaktformular und tippte einige Zeilen, in denen sie nach den Möglichkeiten eines Probetrainings fragte. Dann loggte sie sich aus ihrem privaten E-Mail-Programm aus und konzentrierte sich wieder auf ihre Arbeit.

Erst kurz vor Feierabend loggte sie sich wieder ein. Sarah, die Betreiberin des Studios, hatte ihr sogar schon geantwortet.

Liebe Doro, vielen Dank für deine Mail und dein Interesse an dieser tollen Tanz- und Sportart. Leider sind die Anfängerkurse derzeit komplett ausgebucht, ich kann dich aber gern auf die Warteliste setzen. Hüftschwingende Grüße, Sarah.

Enttäuscht wollte Doro die Mail wegklicken, hielt dann aber inne. Sollte sie wirklich so schnell schon aufgeben? Sie dachte wieder an das Foto auf dem Flyer und stellte sich vor, wie sie selbst in einer solch atemberaubenden Pose an der Stange hing. Stellte sich vor, wie Daniel sie in einer solchen Pose sah …

Sie drückte auf den Antwort-Button und schrieb:

Liebe Sarah, vielen Dank für deine Antwort. Gibt es vielleicht die Möglichkeit, in einem anderen Kurs vorbeizuschauen? Ich würde es mir so gern mal angucken, ich glaube sowieso nicht, dass ich dafür geeignet bin. Viele Grüße, Doro.

Sie sandte die Nachricht ab und begann, noch einige Unterlagen für den nächsten Tag zu sortieren, um nicht die ganze Zeit auf den Bildschirm zu starren.

Sie wollte den Rechner gerade herunterfahren, als der Eingang einer neuen Nachricht angezeigt wurde.

Liebe Doro, okay, du kannst morgen um 20:00 Uhr vorbeikommen, dann trainieren die Fortgeschrittenen. Es muss dir allerdings klar sein, dass du nur einen Teil des Unterrichts mitmachen kannst, weil dir für die meisten Sachen die Basics fehlen. Aber so kannst du dir zumindest schon mal ansehen, was wir so machen. Auf der Website findest du eine Liste mit Dingen, die du brauchst, und eine Wegbeschreibung. Bis morgen! Sarah. PS: Ob du »geeignet« bist, sehen wir dann ja. Bislang hatte ich noch nie eine Schülerin, bei der alle Mühe vergeblich gewesen wäre.

Doro konnte ein kurzes Quietschen nicht unterdrücken. Zum Glück hatten Sabrina und Martina bereits vor einer halben Stunde gemeinsam das Büro verlassen, um die restliche Zeit bis zum Ladenschluss mit einer kleinen Shopping-Tour zu verbringen, zu der sie Doro auch hatten mitschleifen wollen, was diese aber dankend abgelehnt hatte.

Doro las die E-Mail von Sarah ein zweites Mal und wechselte dann wieder zur Website, um sich die angesprochene Liste anzusehen. Sie notierte sich ein paar Dinge auf einem Notizzettel. Es sah ganz so aus, als würde sie heute Abend doch noch zum Shopping gehen.

Als Doro am nächsten Tag ins Büro kam, hatte sie neben ihrer üblichen Handtasche noch eine Shopping Bag dabei, in die sie die benötigten Utensilien für ihre Trainingsstunde gepackt hatte. Viel war es nicht gewesen: Neben einer Sporthose und einem einfachen Top hatte sie ein Handtuch, eine kleine Flasche Glasreiniger sowie eine Dose Haarspray eingekauft, von deren Sinn sie sich noch keine Vorstellung machen konnte. Auf den Kauf möglichst knapper Shorts, wie auf der Liste aufgeführt, hatte sie verzichtet, ihr stand der Sinn nun wirklich nicht danach, sich knapp bekleidet zur Schau zu stellen. Ihre Oberschenkel waren nun einmal nicht ihre Schokoladenseite. Sicher würde es auch ohne gehen, dachte Doro bei sich, als sie den Beutel so unter ihrem Schreibtisch verstaute, dass er niemandem auf den ersten Blick auffiel. Dann konzentrierte sie sich für den Rest des Arbeitstages auf Marmeladen, Nudeln und weitere Produkte.

Gegen halb acht stieg Doro in der Nähe des Tanzstudios aus der Straßenbahn. Im Verlauf des Nachmittags war sie zunehmend nervöser geworden, bis sie sich kaum noch auf ihre Arbeit hatte konzentrieren können. Mittlerweile war sie so weit, dass sie fast wieder in die nächste Straßenbahn zurück eingestiegen wäre. Was hatte sie sich nur gedacht? Mal abgesehen davon, dass es sowieso gar nicht ihre Art war, etwas ganz allein zu unternehmen, war sie nun auch wirklich nicht sportlich genug, um es mit Poledance zu versuchen. Ausgerechnet Poledance! Hoffentlich erwartete Sarah nichts von ihr, denn sie fühlte sich gerade so sexy wie ein Stück Brot. Vielleicht sollte sie wirklich lieber nach Hause fahren und den Abend mit einem Teller Fertignudeln auf dem Sofa verbringen.

Dann gab sie sich jedoch einen Ruck. Wenn sie jetzt nach Hause fuhr, würde sie doch nur wieder alle fünf Minuten auf ihr Handy schauen und auf eine Nachricht von Daniel warten. Es war besser, sich abzulenken.

Obwohl sich der Eingang zum Studio in einem Hinterhof befand, hatte Doro keine Probleme, ihn zu finden. Sie schritt über einen kleinen Parkplatz, nahm die paar Stufen der Vortreppe und trat durch eine offene Tür in einen hell gestrichenen Gang. Mehrere Pfeile wiesen den Weg zu den Umkleiden sowie zu den verschiedenen Trainingsräumen. An den Wänden befanden sich unzählige Fotos von Poletänzerinnen, auch der ein oder andere männliche Sportler war darunter, wie Doro überrascht feststellte. Daneben gab es verschiedene Zeitungsberichte und Plakate sowie eine große Pinnwand, an der Aushänge für Workshops und Kursinformationen angebracht waren.

Als sie vor der Tür mit der Aufschrift Umkleide angekommen war, wurde Doro erneut ein wenig flau. Von innen konnte sie Stimmen und Gelächter hören. Noch bevor sie sich durchringen konnte, den Raum zu betreten, wurde die Tür vor ihr aufgerissen, und zwei Frauen kamen heraus, wobei die erste beinahe in Doro hineingelaufen wäre und mit einem erschrockenen Aufschrei stehen blieb. Sie war etwas größer als Doro und hatte kurzes, braunes Haar, das ihr frech in die Stirn fiel.

Nach einer kurzen Pause lachte ihr Gegenüber kurz.

»Entschuldige bitte, ichnicht damit gerechnet, dass jemand hier steht.«

»Meine Schuld«, antwortete Doro, die sich am liebsten umgedreht hätte und weggelaufen wäre. Was stand sie auch wie ein Trottel vor der Tür herum. Die beiden Frauen hatten gleich den richtigen Eindruck von ihr gewonnen.

»Ich …«, sie machte eine kurze Pause, fing sich dann jedoch. »Ich wollte gerade hereinkommen, aber ich war mir nicht ganz sicher, ob ich hier richtig bin.«

»Kommst du zum Poledance?«, fragte die Kurzhaarige.

Doro nickte.

»Prima. Dann kannst du dich hier umziehen und danach zu uns herüberkommen. Wir trainieren in Saal eins.« Sie deutete kurz den Gang hinunter.

»Bis gleich.«

Sie ging in die Richtung, in die sie gerade gezeigt hatte. Die zweite Frau, eine Blondine mit einem unglaublich durchtrainierten Körper, lächelte Doro kurz an und folgte ihrer Freundin dann.

Ohne ihnen nachzusehen, betrat Doro die jetzt leere Umkleide, in der bereits einige Klamotten und Taschen lagen. Sie schlüpfte in ihre neuen Sportsachen. Ein Blick auf die große Uhr über der Tür verriet ihr, dass ihr noch gut fünf Minuten bis zum Unterrichtsbeginn blieben, also machte sie sich gleich auf die Suche nach Raum eins. Die Tür stand weit offen, sodass Doro sich gleich einen Überblick verschaffen konnte. Der Raum öffnete sich weit nach rechts und bot eine Menge Platz vor einer großen Spiegelwand. Über den Raum verteilt waren mehrere Tanzstangen angebracht. Links von sich sah Doro einen Stapel Yogamatten sowie einige Regale, die anscheinend zur Aufbewahrung von diversem Trainings- und Tanzzubehör verwendet wurden. Neben Hanteln und Therabändern entdeckte sie auch Federboas und mehrere Paar High Heels, die aussahen, als könne man nicht einmal darin laufen, geschweige denn tanzen. In der hinteren linken Ecke befand sich eine gemütlich wirkende Sitzgruppe. Auf den beiden Sofas saßen bereits mehrere Frauen, die sich angeregt unterhielten. Die meisten von ihnen trugen knappe Shorts und noch knappere Bustiers, aber einige hatten auch wie Doro selbst lange Hosen und einfache T-Shirts an.

Doro überlegt gerade, ob sie hinüber zu Sitzecke gehen sollte, als sie von hinten angesprochen wurde.

»Du bist bestimmt Doro, nicht wahr?«

Sie drehte sich um und stand der Frau vom Flyer gegenüber. Allem Anschein nach also Sarah, die Studiobesitzerin.

Doro nickte.

»Prima, ich bin Sarah. Dann geh doch rein, wir fangen gleich an.«

Sie ließ Doro im Türrahmen stehen, rief ein lautes »Hallo, Mädels« in den Raum und ging hinüber zur Spiegelwand, an deren Seite ein halbhohes Regal mit einer großen Musikanlage stand. Sie durchsuchte einen Papierstapel, zog schließlich ein Blatt heraus, legte es auf das Regal und schob eine CD in den Player.

»Alles klar, Mädels, fangen wir an?«

Die Frauen in der Sitzecke erhoben sich und verteilten sich im Raum.

»Doro, bist du so gut und schließt die Tür? Mädels, das ist Doro, sie möchte sich mal angucken, was wir hier so machen. Also benehmt euch heute.«

Die Anwesenden lachten und drehten sich zu Doro um. Diese errötete schon wieder, drehte sich schnell zur Tür um und drückte sie ins Schloss. Dann suchte sie sich einen Platz im hinteren Bereich. Kaum angekommen, dröhnte auch schon ein fetter Bass aus den Boxen.

Das Warm-up war anstrengend. Nach einem ersten aerobicartigen Teil, bei dem die anderen Frauen problemlos den Schritten Sarahs folgten, während Doro hauptsächlich damit beschäftigt war, nicht gegen eine der Stangen oder die anderen Teilnehmerinnen zu laufen, kam etwas, das Sarah als Conditioning ankündigte. Nachdem sie die Yogamatten ausgebreitet hatten, stellte sich heraus, dass es sich dabei um eine üble Mischung aus Yoga, Pilates und anderen Foltermethoden handelte, mit denen verschiedene Muskelpartien, oder auch alle gleichzeitig, wie Doro gequält feststellte, trainiert wurden.

Als Sarah mit einem Grinsen im Gesicht die Gruppe fragte, ob denn alle aufgewärmt genug seien, fühlte Doro sich schon, als hätte sie einen halben Tag in einem Steinbruch gearbeitet. Sie warf einen verstohlenen Blick auf die Uhr, es waren gerade einmal zwanzig Minuten vergangen und mehr als fraglich, ob sie die nächsten sechzig überstehen würde. Außerdem musste sie zugeben, dass sie ein wenig enttäuscht war. Immerhin war sie zu einer Poledancestunde gekommen und nicht zur Bauch-Beine-Po-Gymnastik. Sie warf einen halb sehnsüchtigen Blick zu der Stange, die ihr am nächsten stand. Wie es sich wohl anfühlte, sich schwerelos an ihr zu drehen?

Sarahs Stimme riss Doro aus ihren Gedanken. Sie forderte die Gruppe auf, kurz etwas zu trinken und sich dann an den Stangen aufzuteilen.

»Zwei Frauen pro Stange, das geht ja heute gut auf. Doro, du kannst zu mir hier nach vorn kommen.«

Auch das noch, dachte Doro. Jetzt musste sie sich vor allen anderen blamieren. Hoffentlich stellte sie sich nicht zu dumm an.

»Ich werde Doro einige Basics zeigen, währenddessen macht ihr bitte schon mal ein paar Kräftigungsübungen an der Stange, Chopper, Princess Grip, Tuck Hold und so weiter.«