Huschelchen und andere Schulmädelgeschichten - Else Ury - E-Book

Huschelchen und andere Schulmädelgeschichten E-Book

Else Ury

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Beschreibung

Ein wunderbares Buch über Freundschaft, Mut, Familienzusammenhalt und das Erwachsenwerden! Die jungen Heldinnen in Else Urys Kurzgeschichtensammlung "Huschelchen und andere Schulmädelgeschichten" erleben daheim und in der Schule allerlei Abenteuer. Dabei lernen sie – innerhalb und außerhalb des Klassenzimmers – wichtige Lektionen. Mit dem ihr eigenen Humor und Charme liefert Ury ein zeitloses Werk für Leseratten ab sechs Jahren.-

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Else Ury

Huschelchen und andere Schulmädelgeschichten

 

Saga

Huschelchen und andere Schulmädelgeschichten

 

Coverbild/Illustration: Shutterstock

Copyright © 1914, 2021 SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788726884340

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

 

www.sagaegmont.com

Saga Egmont - ein Teil von Egmont, www.egmont.com

Erzählungen für Mädchen von 8-12 Jahren

Huschelchen

Vater und Mutter, Schwester Edith und sogar der fünfjährige Hansel, alle nannten sie die kleine Irene »Huschelchen« – es war wirklich empörend!

Bittere Tränen hatte Irene schon deswegen vergossen, aber wenn sie weinend mit dem Fuße aufstampfte und rief: »Ich will aber nicht ›Huschelchen‹ heißen – nein – ich will aber nicht!«, dann sagte Mutti ernst: »Du trägst den Namen, den du verdienst, Kind, nimm dich zusammen und sei weniger huschelig, vergiß nicht alles, was man dir aufträgt, dann wird dich kein Mensch mehr so nennen!«

»Unser Huschelchen müßte sich eine Tafel in ihrem Gehirnkasten befestigen, auf der sie alles notiert, wofür ihre neunjährige kleine Persönlichkeit verantwortlich ist«, neckte der Vater.

Ja – wenn es solch eine Gehirntafel gäbe!

Aber leider war eine solche noch nicht erfunden, und so mußte Huschelchen das hübsche Köpfchen mit dem dunkelblonden Gelock selbst anstrengen.

»Ich will dir ein feines Mittel verraten, Huschelchen, wie du nie etwas vergessen kannst,« sagte Schwester Edith geheimnisvoll, als Irene beim Schlafengehen noch schnell in allen Ecken nachschaute, wo denn bloß ihr schön gespitzter Bleistift zur morgigen Zeichenstunde hingekommen sei.

»Was denn? – Bitte, bitte, liebe Edith, sage es mir,« bat die kleinere Schwester begierig, Spielsachen und Bücher in aufgeregtem Suchen durcheinanderwirbelnd.

»Du mußt jedes Ding, das du tun willst, gleich tun, nichts aufschieben, da kannst du es nicht erst vergessen.« Edith war für ihre vierzehn Jahre schon recht verständig.

»Dummes Zeug!« murrte die Kleinere, die nicht allzuviel Respekt vor der großen Schwester besaß. Sie hatte geglaubt, Edith würde ihr irgendeinen Wunderspiegel, durch den man alles sah, oder ein goldenes Zaubersieb, in dem man die unnützen Gedanken von den nützlichen aussieben konnte, verraten – wie es in ihren Märchenbüchern stand. Für Moralpredigten dankte sie – die kostete sie schon von Eltern und Lehrerinnen zur Genüge.

»Na, denn nicht, Fräulein Huschelchen, dann suche dir deinen Bleistift selber, wenn du obendrein noch einen großen Mund hast.« Damit verließ Edith das Zimmer.

In den großen, braunen Kinderaugen begann es feucht zu schimmern. Denn Irene hatte Edith von Herzen lieb. Aber gleich darauf tröstete sich das sorglose Huschelchen.

»Pah – sie wird schon wieder gut werden – wenn ich nur erst meinen Bleistift hätte,« und sie begann nun auch in der bereits gepackten Mappe eine wüste Unordnung zu veranstalten. Dabei kam ihr das Geschichtenbuch, das sie von ihrer Freundin Eva geliehen hatte und morgen wieder abgeben wollte, in die Hand. Die eine Erzählung, die mit dem armen, verwaisten Büblein, hatte ihr besonders gefallen, die mußte sie schnell noch einmal lesen.

Huschelchen dachte nicht mehr an den verlegten Bleistift. Wenn sie irgendwo ein Geschichtenbuch ergatterte, war sie für alles andere nicht mehr zu haben. Sie kauerte beim Schein eines Lichtes an ihrem Arbeitspult und las mit heißen Wangen die schöne Erzählung. Daß Mutti beim Gutenachtkuß gesagt hatte, sie solle unverzüglich zu Bett gehen, damit sie morgen zum Diktat gut ausgeschlafen habe, daran dachte das kleine Mädchen nicht mehr. Auch nicht an Vaters Verbot, niemals abends bei offenem Licht zu lesen, da es den Augen schädlich sei und überdies leicht Feuer entstehen könnte. Dafür war sie ja das Huschelchen.

Seite um Seite schlug sie um, das Papier knisterte, und das Licht flackerte. Die Blätter von Evas Buch bekamen einen gelblichen Schein, bald einen bräunlichen; ein sengender Geruch durchzog das Zimmer – Irene merkte es nicht.

Da – Schritte auf dem Korridor – Anna holte sich die Stiefel zum Putzen – Huschelchen kehrte aus ihrem Geschichtenbuch wieder in die Wirklichkeit zurück. Sie löschte hastig, in dem Gefühl, bei etwas Unerlaubtem ertappt zu werden, das Licht aus und kroch geschwind ins Bett.

Der Kuckuck steckte den Kopf aus dem Fenster der kleinen Schwarzwälder Uhr – ein – zweimal vernahm es Irene noch, aber beim neunten Kuckucksruf schlief sie bereits.

Kurz darauf betrat Edith, die mit der jüngeren Schwester das Zimmer teilte und eine Stunde länger aufbleiben durfte, das Stübchen.

Es war ein heißer Sommerabend, an dem man die Fenster geöffnet ließ; die Linden sandten ihren süßen Blütenhauch in das Zimmer der beiden Mädchen.

Aber was war das? Ein seltsam sengender Geruch schlug Edith entgegen; den vermochte der Lindenduft nicht zu betäuben.

Um Himmels willen – was hatte das Huschelchen da wieder angestellt? Mit bebenden Fingern machte Edith Licht. Sie beleuchtete das ruhig schlummernde Kind, ein befreiender Atemzug hob ihre Brust.

Gottlob – Huschelchen war unversehrt; aber damit gab sich Edith noch nicht zufrieden. Sie hatte oft genug davon gehört, daß ein achtlos hingeworfenes Streichholz auf Teppichen und Decken stundenlang schwelte, bis ein Windzug es zur hellen Flamme entfachte. Sie suchte allenthalben nach der Ursache des brenzligen Geruchs, aber sie fand dieselbe nicht. Doch etwas anderes fand sie – Huschelchens schön gespitzten Bleistift. Aus den Tiefen des Puppenwagens, wo ihn die kleine Schwester zum Schulespielen benutzt und dann vergessen hatte, zog Edith ihn hervor. Schweren Herzens mußte sie sich endlich unverrichtetersache ins Bett legen. Wären die Eltern nicht noch ausgegangen, hätte die bedachte Edith sie sicherlich gerufen, so aber konnte sie nur beten: »Lieber Gott, laß uns morgen früh nicht verbrannt sein!«

Nein, verbrannt waren sie am anderen Morgen nicht, aber so verschlafen, daß Anna dreimal wecken mußte, ehe sich die kleinen Fräulein gähnend zum Aufstehen entschlossen. Das späte Zubettegehen rächte sich.

In aller Eile wurde Toilette gemacht. Eine war der anderen im Wege, sie schubsten sich am Waschtisch, und jede wollte zuerst von Anna frisiert werden. Der neue Tag, den die beiden Schwestern, die sich gut vertrugen, sonst mit Lachen und Scherzen zu begrüßen pflegten, ließ sich höchst unerfreulich an.

»Du hast ja deine Schulsachen noch alle im Zimmer herumliegen, du kommst sicher zu spät,« damit eilte Edith ins Speisezimmer, um noch schnell ihr Frühstück zu verzehren.

Huschelchen schleuderte aufgeregt in die Mappe, was ihr gerade in die Hand kam. Auch Evas Buch war darunter. Ans Frühstücken dachte sie nicht mehr, mit eiligem Adieu wollte sie aus dem Haus hinter Edith her, da begegnete ihr zum Unglück der Vater, der schon von der Praxis kam.

Der Arzt sah sein hastendes Töchterchen mißbilligend an.

»Kakao getrunken, Huschelchen?« fragte er.

Irene war huschelig und unzuverlässig, doch zu lügen vermochte sie nicht.

»Ich habe es vergessen,« gestand sie kleinlaut, »aber jetzt muß ich fort, wir schreiben Diktat.«

»So viel Zeit muß sein, dann stehe ein andermal früher auf.« Das kleine Mädchen wußte: Diesem Tone des Vaters gegenüber gab es keine Widerrede.

Im Stehen goß sie den Kakao hinunter und merkte es nicht einmal, daß ein Teil der braunen Flüssigkeit auf das saubere Waschkleidchen tropfte. Denn die Serviette vorzubinden, hatte Huschelchen natürlich vergessen, auch sich den Mund noch einmal zu waschen: der Kakaoschnurrbart nahm sich lustig in dem rosigen Kindergesicht aus.

Blieben deshalb die Kurgäste, die von der Brunnenpromenade kamen, stehen und sahen dem hübschen Doktortöchterchen nach?

Die Stadt, in der Irenes Vater praktizierte, war ein großer böhmischer Kurort, und die reizenden Kinder des beliebten Badearztes waren allgemein bekannt. Aber Huschelchen vergaß in der Eile, vor Vaters Patienten einen Knicks zu machen, ja selbst den netten Herrn Geheimrat, der ihr neulich die große Tüte mit Pralinés mitgebracht hatte, lief sie fast um, ohne ihn zu grüßen.

Sein »Hallo, kleines Fräulein, so eilig – – –« verklang ungehört.

Gott sei Dank – es gelang ihr noch, vor Fräulein Sturm in die Klasse zu flitzen; um das gefürchtete Nachbleiben wegen Zuspätkommens kam sie noch einmal.

Das Diktatschreiben begann.

Irene war von der Hetzjagd noch so aufgeregt, daß sie ihre Gedanken gar nicht sammeln konnte. Sie schrieb »viele« mit ieh, und der Geist, der in dem alten Schlosse spukte – spuckte bei ihr.

Die gefürchtete Stunde war vorüber. Irene gab ihrer Freundin Eva mit Dank das geliehene Buch zurück. Sie ahnte nicht, wie dasselbe inwendig ausschaute.

»Evchen, du wolltest mir nach Irene das Buch borgen, darf ich es mir gleich nehmen?« Miezi, die Erste der Klasse, ließ Evas schönes Geschichtenbuch in ihre Mappe wandern.

Die nächste Stunde war Französisch.

Die französischen Exerzitien wurden abgegeben.

» Eh bien, vite – vite,« sagte Monsieur nun schon zum dritten Male.

Aber Huschelchen kramte noch immer in ihrer Mappe. Sie wußte es doch ganz genau, sie hatte das französische Heft heute morgen hineingelegt. Und nun fand sie's nicht!

Da – da ist's – nein, o Schrecken, es ist ja das Diktatheft, das denselben blauen Deckel hat; in ihrer Eile hat Huschelchen das Diktat in das französische Heft geschrieben!

Monsieur machte ein unzufriedenes Gesicht, und bei Fräulein Sturm, die Irene nach der Stunde um Auswechselung der Hefte bitten mußte, setzte es einen Sturm der Entrüstung über das unordentliche Mädchen.

»Wie kann man nur solch ein Huschelchen sein!« sagte die Lehrerin zum Schluß ein wenig freundlicher, als sie sah, wie tief der Kleinen die Strafpredigt ging.

»Huschelchen« – da war es wieder, das verhaßte Wort, selbst hier in der Schule verfolgte es Irene.

»Ich will mir aber von nun an bestimmt Mühe geben, nichts mehr zu vergessen,« gelobte sich das kleine Mädchen, »damit der gräßliche Name verschwindet.«

Ja – wenn das Huschelchen nur nicht zu allererst dieses Versprechen vergessen hätte, dann wäre ihr ihre Vornahme am Ende gelungen.

Als sie mittags nach Hause ging, kam unweit der Schule die Frau Mirzenbacher, Muttis Waschfrau, hinter Irene hergeprescht.

»Klein's Fräulein – klein's Fräulein –,« rief sie schon von weitem, »gehen's heim?«

Irene bejahte freundlich.

»Ach, da täten's mir einen großen Gefallen erweisen, wenn's dem Herrn Papa bestellen möchten, ob er nicht gleich amal nach meinem Bub schauen könnt', er liegt nun schon den ganzen Tag mit feuerrotem Köpfle im Bett und schwätzt gar verwunderliches Zeug, da brauch' ich ihn halt net so lang allein zu lassen, den Bub – aber vergessen's ums Himmels willen net.« – Die geängstigte Mutter lief schon wieder zurück zu ihrem fiebernden Kinde.

Was – der Mirzenbacher Franzl krank – das nette Büblein, das seine Mutter stets abends abholen kommt? Die gutherzige Irene hat ihm manchen Bonbon und manch einen rotbackigen Apfel geschenkt – nein, das wird sie sicher nicht vergessen!

Sie öffnete die Gittertür zu dem parkartigen Garten, in dem die Doktorvilla lag.

Nanu – ein galonierter Diener dort zwischen den Büschen? Der imponierte der Kleinen sehr. Er fand sich anscheinend in dem großen Garten nicht zurecht.

»Sie wünschen?« fragte Irene höflich.

»Eine Empfehlung von der Frau Gräfin von Metternich, und der junge Graf haben Schnupfenfieber, der Herr Doktor möchte doch heute noch vorsprechen.« Der Bediente war froh, daß er seine Bestellung so schnell erledigt hatte.

Irene aber stürmte ins Haus, in Vaters Sprechzimmer.

»Vater, ein galonierter Diener war eben da, du sollst schnell zum jungen Grafen Metternich kommen, er hat das Schnupfenfieber,« bestellte sie aufgeregt. Den armen Mirzenbacher Franzl hatte das Huschelchen über den jungen Grafen ganz vergessen.

Den ganzen Tag dachte sie nicht mehr an die ihr aufgetragene Bestellung der armen Waschfrau. Aber sie erkundigte sich angelegentlich beim Vater, ob der junge Graf mit einer Krone im Bett läge.

Andern Tags gab's in der Schule große Aufregung. Die drei Freundinnen Miezi, Eva und Irene kündigten sich die Freundschaft. Miezi hatte das gestern entliehene Buch von Eva wieder mitgebracht, um dieser zu zeigen, daß einige Seiten darin versengt seien, damit die Schuld nicht auf sie fiele.

Eva wandte sich an Irene. Die aber behauptete steif und fest, das Geschichtenbuch in tadellosem Zustande zurückgegeben zu haben.

»Sogar einen Umschlag habe ich mir sogleich gemacht!« rief sie voll Eifer.

Daß sie abends bei Licht noch darin gelesen, daran dachte Fräulein Huschelchen schon längst nicht mehr. Eva weinte, daß ihr schönes Buch verdorben sei, Irene und Miezi stritten sich, wer es getan habe, und als Miezi zum Schluß aufgebracht meinte: »Schau deine Bücher nach und die meinigen, meine sind alle sauber und ordentlich, und du bist selbst mit deinen Schulbüchern huschelig,« da kam's zum Bruch.

Die drei Schulfreundinnen sahen sich nicht mehr an.

Irene, die ein weiches Herz hatte, kränkte sich sehr darüber. Aber die nächste Stunde, Deutsch Gedicht, goß Balsam auf ihre wunde Seele.

Fräulein Sturm brachte ein Gedicht, das sie selbst verfaßt hatte, mit und ließ es von einigen Schülerinnen vortragen. Irene sprach am lautesten und ausdrucksvollsten.

»So magst du das Gedicht morgen sprechen, wenn die Erzherzogin eintrifft, und ihr dabei den Blumenstrauß zum Willkomm überreichen, Irene – wirst du es noch lernen können?«

Na, ob sie es noch lernen konnte! Und wenn es zehnmal länger gewesen wäre!

Daß die Schulkinder in weißen Kleidern, mit Rosenkränzen im Haar, beim Empfang der Fürstin Spalier stehen sollten, war schon längst bestimmt. Aber von einem Gedicht war bisher noch nichts verlautet.

Irene strahlte, daß sie diejenige sein sollte, die zur Erzherzogin sprechen durfte.

»Die Erste mag jedenfalls das Gedicht als eventueller Ersatzmann mit lernen,« meinte Fräulein Sturm noch.

Pah – Irene würde sich schon hüten, daß sie nicht heiser wurde bis morgen, und wenn die Welt aus ihren Fugen ging, sie mußte das Gedicht aufsagen!

An diesem Tage hatte sie für nichts anderes Sinn als für den morgigen Empfang. Wo sie ging und stand, ertappte sie sich dabei, daß sie den tiefen Knicks übte, den sie vor der Erzherzogin zu machen gedachte.

»Huschelchen, vergiß nur den Knicks nicht, oder gar die Ansprache,« neckte sie der Vater.

»Ich würde mich halbtot ängstigen, wenn ich sprechen müßte,« meinte die schüchterne Edith.

»Ich gar nicht,« fiel der kleine Hansel keck ein, und »Ka Spur!« rief auch Irene, ausgelassen im Kreise herumwirbelnd.

Hatte Huschelchen da wohl Zeit, an eine Mutter zu denken, die um das Leben ihres Kindes bangte?

Frau Mirzbacher hatte nicht wieder geschickt. Sie war eine bescheidene Frau und wagte es nicht, den berühmten Arzt, der so vornehme Patienten hatte, noch einmal zu bitten, um ein »Vergelt's Gott!« nach ihrem Franzl zu schauen.

So kam der festliche Tag heran. Im Kurort herrschte bewegtes Leben. Die Badegäste wohnten gleichfalls dem Empfang der Fürstin bei, es war eine stattliche Menge, die sich auf dem bekränzten Bahnhofe eingefunden.

Irene sah wie ein Elfchen aus. Das graziöse Kind im weißen Spitzenkleid, den Rosenkranz in den dunkelblonden Locken und die strahlenden Braunaugen voll Jubel und Seligkeit, erregte allgemein Aufsehen.

»Huschelchen, deinen Strauß vergiß nicht!« rief die Mutter, als das vergeßliche Töchterchen sich ohne denselben zu ihren Schulkameradinnen begeben wollte.

Irene wandte sich zurück, um den herrlichen La-France-Rosenstrauß in die Hand zu nehmen. Da sah sie die Anna atemlos auf den Vater zueilen, der sich gerade zu den übrigen Herren, welche die Kurverwaltung zum Empfang beordert hatte, begeben wollte.

Gleich darauf trat der Vater zu ihnen heran.

»Ich muß leider fort, die Mirzbacher hat geschickt, ihr Bub läge im Sterben; daß die Leute auch immer erst schicken, wenn es Matthäi am letzten ist! Na, mach deine Sache brav, Huschelchen!« Damit eilte der Arzt an das Krankenbett.

Huschelchen aber dachte nicht mehr an die Erzherzogin, die in wenigen Minuten eintreffen mußte, noch an die ehrenvolle Aufgabe der Begrüßung.

»Der Mirzenbacher Franzl liegt im Sterben – durch deine Vergeßlichkeit muß der arme Bub' sterben!« Das war das einzige, was Irene denken konnte. Sie wußte kein Wort mehr von Ihrem Gedicht, ihre zitternden Lippen vermochten nur lautlos die Worte zu bilden: »Lieber Gott, hilf – er darf nicht sterben!«

Es wurde ihr schwarz vor den Augen.

»Irene, Irene – flink – der Zug ist in Sicht!« rief man aufgeregt vom Perron her.

Das kleine Mädchen vermochte sich nicht von der Stelle zu bewegen.

»Ich kann nicht – mir ist nicht gut!« kam es tonlos von ihren Lippen.

Mutti beugte sich erschreckt zu ihr herab, während der Rosenstrauß geschwind Miezi, dem Ersatzmann, in die Hand gegeben wurde.

Wie durch einen Schleier sah Huschelchen, daß Miezi vor der Erzherzogin knickste, ihr Gedicht sprach und den Willkommenstrauß darbot. Jetzt neigte sich die Fürstin lächelnd zu dem kleinen Mädchen und strich ihr dankend über das dunkle Haar. Dann winkte sie einem Begleiter, und dieser überreichte der glückselig errötenden Miezi ein kleines Lederetui mit einem Medaillon an einem Goldkettchen.

Aber kein Gefühl des Bedauerns oder gar des Neides kam in Huschelchens Herz, das war ja alles so gleichgültig – so schrecklich gleichgültig!

Die Freundinnen umstanden mitleidig die blasse Irene, keine dachte mehr an den Streit, der sie entzweit.

»Mutti, der Mirzenbacher Franzl stirbt!« schluchzte die Kleine fassungslos, als sie endlich wieder daheim war.

»Aber Kind – Kind, deshalb darfst du dich doch nicht so aufregen, der Vater hat doch oft schwere Patienten!« begütigte die Mutter liebevoll.

Da kam's stoßweise von Huschelchens Lippen, die schwere Schuld, die sie durch ihre huschlige Vergeßlichkeit auf sich geladen.

Mutti war tief betrübt über ihr Töchterchen. Aber auch sie bat den lieben Gott von Herzen, das Kind nicht so schwer für seinen Fehler zu strafen.

Es wurde Abend. Vater kam noch immer nicht nach Hause. Nur die Operationsinstrumente hatte er sich holen lassen.

Irene war nicht ins Bett zu kriegen. Mit verweinten Augen stand sie am Fenster und schaute nach dem Vater aus.

Endlich, endlich tauchte seine Gestalt zwischen den Jasminbüschen auf.

Huschelchen wagte es nicht, dem Vater entgegenzugehen. Ihre Füße waren ihr so schwer wie Blei.

Da stand der Vater hinter ihr.

Er las die bange Frage mehr in den braunen Kinderaugen, als daß er sie von den zuckenden Lippen seines Töchterchens vernahm.

Es war dem Vater selbst schwer, daß er nichts weiter als ein Achselzucken für die Seelenpein seines Kindes hatte. Die Operation war gelungen, aber ob die erschöpften Kräfte des kleinen Kranken aushalten würden, das ließ sich nicht sagen.

Eine schwere, böse Nacht kam für das leichtsinnige Huschelchen. Kein Auge schloß das kleine Mädchen, und als der Vater in aller Frühe schon zu dem kranken Kinde ging, da fand er bei der Heimkehr sein Töchterchen im langen Nachthemd auf der Treppe kauern; sie hatte es im Bett nicht ausgehalten.

»Der Bub ist gerettet!« Wie die Stimme eines Engels klangen ihr Vaters Worte ins Ohr, ein heißer Tränenstrom löste die Pein der langen Nacht. Und dann beugte sich Huschelchen herab und küßte voll Dankbarkeit Vaters Hand, die wieder gutgemacht hatte, was sein Töchterchen versäumt.

Der Arzt aber wies ernst gen Himmel: »Dem Vater droben danke, Kind, ich war nur sein Werkzeug!«

Von diesem Tage an ist der Name »Huschelchen« aus der Doktorvilla geschwunden – Irene vergißt sobald nichts wieder!

Elses erstes Konzert

»Mutter, wir machen eine Aufführung, alle Schulkinder aus jeder Volksschule sollen mitsingen, im ganzen zweitausend! Und ich darf sogar beim Sologesang mitwirken!« Mit heißen Wangen stürmte die zwölfjährige Else in das kleine Dachstübchen, in dem die Nähmaschine von morgens bis abends rasselte.

Die Mutter hob das versorgte Gesicht von der Arbeit.

»Setz die Kartoffeln ans Feuer, Kind, und schau mal nach den Buben, die raufen sich heute den lieben langen Tag schon wieder drunten auf der Gasse. Ja, wenn die Vaterhand fehlt!« – sie nickte bekümmert vor sich hin.

Else, um deren frischen Mund es noch eben wie Enttäuschung gezuckt hatte, daß die Mutter an der die ganze Schule in Aufregung versetzenden Neuigkeit so wenig Anteil nahm, tat schnell und geschickt nach ihrem Geheiß. Sie wußte als Älteste, was für ein Sorgenpäcklein die Mutter jahrein, jahraus fast klaglos auf ihren zarten Schultern schleppte.

Es war nicht leicht, mit Mäntelnähen vier hungrige Mäulchen sattzumachen. Die Stiefel und Höschen der wilden Buben bedurften auch ständig der ausbessernden Hand. Ordentlich und sauber sollten ihre vier gehen, darauf hielt Frau Reinhardt, wenn sie auch nur eine arme Witwe war.

Da rasselte denn die fleißige Nähmaschine oft schon an dunklen Wintermorgen beim Zitterschein der kleinen Petroleumlampe, wenn die Kinder noch in festem, traumlosem Jugendschlaf lagen. Nur Else, Mutters rechte Hand, erhob sich dann manchmal schlaftrunken von ihrem Lager, schlich sich zum Herd und stellte ein Töpfchen Kaffee in die noch vom Abend gehaltene Kohlenglut, daß die arme Mutter doch einen Schluck Warmes bekam. Und wenn sie dann wieder im molligen Bett lag, dachte sie wohl, während ihre Gedanken schon mit dem eintönigen Geräusch der Nähmaschine ins Land der Träume hinüberirrten: »Ach, wäre ich doch erst groß und könnte auch was verdienen, daß sich mein Mutterchen nicht mehr so arg zu plagen brauchte!«

Wie sie es wohl möglich machen könnte, ebenfalls etwas zum Lebensunterhalt beizusteuern, nahm auch im Wachen Elses Gedanken oft in Anspruch. Denn sie war über ihre Jahre verständig.

Aber was sie der Mutter auch vorschlug, Gebäck-, Milch- oder Zeitungsaustragen, eine Laufmädchen- oder Kindermädelstelle für den Nachmittag, Mutter wollte davon nichts hören.

Nein, ihre Else, ihr hübsches, blondes Mädel, sollte nicht in den Jahren des Wachstums durch zu schwere Arbeit verkümmern. Lieber plagte sie sich selbst noch mehr. Ein Mädel von zwölf Jahren braucht ausreichend Schlaf, den wollte selbstlose Mutterliebe ihrem Kinde nicht verkürzen. Und eine Nachmittagsstelle – sicher würden die Schularbeiten darunter leiden! Sie war doch zu stolz darauf, daß ihre Else durch alle Klassen hindurch die Erste war, das begabte Mädel sollte es mal später im Leben bester haben als ihre Mutter!

So blieb es denn bei Elses Wunsch: »Ach, wäre ich doch erst groß!«

Aber sie versäumte mit Gedanken, die in die Zukunft schweiften, nicht die Gegenwart. Da regte sie vorläufig mal im Hause die fleißigen Hände. Jede Arbeit nahm sie der Mutter geschickt ab. Morgens, ehe sie in die Schule ging, hatte sie schon mehr getan als die meisten anderen Mädchen den ganzen Tag über. Sie bürstete Zeug und Stiefel, sie wusch die Kleinen und kleidete sie an. Und während sie lustig mit dem Besen den Staub aus den Ecken kehrte, lauschte sie auf das Summen des Kaffeewassers, das die kleine Köchin rief. Ja, oft summten ihre frischen Lippen selbst ein Lied mit dem Wasserkessel um die Wette.

Heute war sie ganz besonders zum Singen aufgelegt. Während sie die vielen Stiegen hinabsprang, schmetterte sie mit heller Stimme eins der Lieder, die sie in der Schule zu der bevorstehenden Aufführung einübten. Da ließ manch einer der Hausbewohner lauschend die Arbeit bei den jungen, glockenreinen Tönen sinken und schmunzelte: »Potztausend, Reinhardts Else – ja, so kann's keine!«

Else aber war indessen in den engen, winkligen Hof gesaust, wo die Kinder paarweise um einen Leierkastenmann nach den Klängen »Sancta Lucia« herumtanzten. Ein kleines Mädchen, nicht größer als Else, begleitete das Gedudel des Vaters mit schriller Kinderstimme.

Elses musikalisches Ohr berührten die scharfen Töne geradezu schmerzhaft. Und trotzdem stand sie wie gebannt. Aus den Fenstern ringsum flogen allenthalben in Zeitungspapier gewickelte Geldstücke, die das kleine Leierkastenmädchen mit einem Dankesknicks jedesmal aufhob und in die Büchse warf.

Das war etwas, was sie auch konnte! Ja, viel schöner konnte sie noch singen als das fremde Mädchen. Hatte der Musiklehrer sie nicht heute erst die gesangliche Stütze der ganzen Klasse genannt?

Mindestens zehnmal hatte sich das kleine Mädchen nach den Nickelstücken gebückt, denn es wohnten viele Leute in dem großen Mietshause. Oh, wieviel Geld konnte man verdienen, wenn man von Hof zu Hof herumzog! Es schwindelte Else förmlich bei dieser Aussicht. Dann sollte es ihr Mutterchen mal gut haben! Eine warme Winterjacke wollte sie ihr kaufen und dem Rudi feste Stiefel. Paul und Peter brauchten auch neue Sonntagshosen ... Herrgott, sie sollte die Buben ja suchen, das hatte Else über ihre herrlichen Pläne vollständig vergessen!

Im Hof waren sie nicht, die Rangen, da trieben sie sich sicher auf der Straße umher. Richtig – aus den langen, schwarzen Gasröhren, welche Arbeiter hier aufgestapelt, lugte ein bekanntes rot und blau geringeltes Bein hervor. Das gehörte sicher zu Peter.

Else zog kraftvoll daran, und bald hatte sie den kleinen, vierjährigen Burschen ans Tageslicht befördert. Auch sein Zwillingsbrüder Paul wurde auf ähnliche Weise aus einer zweiten schwarzen Gasröhre hervorgezogen, welche die kleinen Kerle beim Spiel als ihre Höhlen benutzten. Rudi aber, der Abcschütz, war nirgends zu finden. Bis der Schwester scharfes Auge ihn schließlich hoch oben auf einem Laternenpfahl entdeckte, an dem er seine Kletterübungen machte. Die Schulhosen sahen lustig aus. Sie bestanden fast nur noch aus Löchern. Da hatte die arme Mutter wieder für den Wildfang zu sticheln.

Endlich saß das vierblättrige Kleeblatt um den sauber gescheuerten Holztisch im Dachstübchen. Die Kartoffeln dampften und schmeckten den hungrigen Kleinen so gut wie der schönste Braten.

»Mutterchen, ich weiß, wie ich dir helfen kann, Geld zu verdienen,« begann Else und wurde abwechselnd rot und blaß vor Aufregung.

Die Mutter sah lächelnd auf ihr Mädel, das in rührender Weise bemüht war, ihr die Arbeitsbürde zu erleichtern.

»Nun, Kind, was hast du heute wieder ausgeheckt?«

»Ich geh' singen, Mutter, ich kann es besser als das kleine Leierkastenmädchen vorhin. Ich nehme meine Zither mit. Mutterchen, die von Vater, auf der ich fast jedes Lied spielen kann. In allen Häusern sing' ich, und wenn ich dann abends heimkomme, sollst sehen, Mütterchen, wieviel Geld ich verdient habe!« Elses Augen leuchteten.

»Verdient – erbettelt meinst du wohl! Mein Gott, ist es so weit mit uns gekommen, daß mein Kind um Almosen singen muß?!« Die Mutter schlug in jähem Schmerzensausbruch die Hände vor das Gesicht.

Das hatte Else nicht erwartet. Sie hatte wohl, wie schon öfters, Einwände gefürchtet, aber dieser Jammer der Mutter erschreckte sie aufs tiefste. Beide Arme schlang sie, selbst mit den Tränen kämpfend, um die Weinende.

»Mutter – Mutterchen, sei nicht traurig, ich will ja ganz gewiß nicht mehr davon sprechen, wenn es dich kränkt!« bat sie zärtlich, während die Kleinen mit erstaunten Augen auf die große Schwester blickten. War sie unartig gewesen?

Es wurde kein Wort mehr über Elses Absicht gewechselt. Die Mutter ging wieder an ihre Nähmaschine und ihr Töchterchen an den Mittagsaufwasch.

Auch Elses Gedanken kehrten kaum noch zu jenem Luftschloß zurück. Die wanderten jetzt andere Wege.

In der Schule wurde von nichts anderem mehr gesprochen als von dem bevorstehenden Kinderkonzert. Zu wohltätigen Zwecken fand es statt, in erster Linie sollte der Erlös armen Kindern zugute kommen.

Eine Hauptfrage bestand darin: »Was ziehst du an?«

Jedes Kind wollte sich so schön als nur irgend möglich machen, die meisten hatten weiße Sommerkleider.

Else stand vor dem kleinen Garderobenschrank und musterte ihr Sonntagskleidchen. Sie hatte für Winter und Sommer dasselbe. Rot kariert war es, Mutter hatte es vor vier Jahren selbst genäht. Inzwischen war die Else tüchtig in die Höhe geschossen, und auch das Rotkarierte hatte einen breiten schwarzen Streifen als Ansatz erhalten müssen. Das war es aber nicht allein, was schwere Sorgenfalten auf die weiße Kinderstirn rief.

Auch andersfarbige Ärmel hatte es bekommen, da kein Stoff mehr zum Ausbessern gewesen. Und nun hing von jeder Seite ein schwarzer Ärmel wie ein düsterer Tintenklecks hernieder.

Ach, würden die spottlustigen Kameradinnen lachen, wenn sie in dem bunten Stieglitzkleid erschien!

War es nicht besser, sie trat lieber ganz von der Aufführung zurück? Doch was würde Herr Schmidt, der Gesanglehrer, dazu sagen? Und der Chordirigent, der sie heute, wo schon viele Schulen zusammen geübt hatten, ganz nach vorn geholt hatte, weil ihre Stimme besonders schön geklungen?

Nein – nein – sie konnte nicht darauf verzichten, mitzusingen! Der Lehrer hatte gesagt, das sei eine Erinnerung für das ganze Leben. Auch der kaiserliche Hof wurde erwartet, vor dem Kaiser und der Kaiserin sollten sie singen – da mußte sie dabei sein!

Aber in dem alten Kleide? Die Solosängerinnen putzten sich bestimmt alle mit weißen Kleidern. Jeden Tag schlüpfte Else unschlüssig zum Schrank, doch das Kleid wollte nicht schöner werden.

Ihrem Mütterchen sagte Else nichts von ihren Toilettensorgen, die hatte genug anderes, um das sie sich sorgen mußte. Else schämte sich sogar oft, wenn sie dachte, wegen welch nichtiger Dinge sie sich trübe Gedanken machte. Aber in solch kleiner Evastochter, ob sie auch erst zwölf Jahre alt ist, wohnt doch schon ein ganz Teil Eitelkeit. Immer wieder kehrte Elses Denken zu dem Rotkarierten zurück.

Eine Mutter hat scharfe Augen. Selbst wenn sie den ganzen Tag kaum den Blick von ihrer Näharbeit hebt, sie weiß doch, was in dem Herzen ihres Kindes vorgeht.

Frau Reinhardt grübelte und grübelte. Tausendmal mehr als das Kind empfindet ja die Mutter ihre Unzulänglichkeit, wenn sie dem Liebling, wie sie es so gern getan, nicht helfen kann. Soviel die Mutter auch sann und rechnete, es wollte nicht zu einem neuen Kleide langen.

Da kam Else eines Tages aus der Schule, die sonst so rosigen Wangen blaß, die lachenden Augen trüb. Aber sie biß tapfer die Zähne zusammen, die kleine Else, daß nur ihr Mutterchen nichts von ihrem Kummer merken sollte.

Aber als das Töchterchen kaum die Suppe anrührte und ihre helle Stimme, die sonst zur Freude der Mutter all die reizenden Lieder, die sie zur Aufführung gelernt, zu jubilieren pflegte, heute ganz verstummt war, nahm sich Mutter ihr Mädel vor.

Da kam's denn heraus.

Sie hatten heute die erste Stellprobe gehabt. Das Konzert fand im Zirkus statt, da derselbe die größte Menschenmenge faßte. Die Stimmen der Solosänger waren geprüft worden. Und da hatte man Else ganz dicht neben die kaiserliche Loge postiert, da ihre Stimme eine der schönsten gewesen. Der Herr Dirigent aber hatte ihr über das Blondhaar gestrichen und anerkennend gesagt: »Mädel, aus dir wird noch mal was, du hast ja einen wahren Schatz in der Kehle!«

Und darüber war Else traurig? Nein, das hatte sie stolz und glücklich gemacht. Aber gleich darauf war es ihr eingefallen, wie sich wohl das Rotkarierte neben der kaiserlichen Loge ausnehmen würde, ob nicht am Ende die jungen Prinzen und Prinzessinnen ebenfalls über das Stieglitzkleid spotten würden.

»Ach, Mutterchen, hätte ich den Schatz doch lieber in der Hand als in der Kehle, daß ich dafür was kaufen könnte!« sagte sie unter Lachen und Weinen.

»Sei dankbar, Kind, daß dir der liebe Gott eine schöne Stimme zu deiner und deiner Mitmenschen Freude geschenkt hat, die ist mehr wert als ein schönes Kleid,« tröstete die Mutter ihr Kind und sich selbst.