Hypnophobia - Oliver J. Petry - E-Book

Hypnophobia E-Book

Oliver J. Petry

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Beschreibung

8 Kurzgeschichten über 8 Albträume! Klassische und dystopische Horrorstories. Von Hexen, Werwölfen, Vampiren und Voodoo bis hin zu durchgeknallten Robotern, selbstfahrenden Autos und bösartigen Fitnesstrackern!

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Seitenzahl: 157

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Buchbeschreibung:

8 Kurzgeschichten über 8 Albträume! Klassische und dystopische Horrorstories. Von Hexen, Werwölfen, Vampiren und Voodoo bis hin zu durchgeknallten Robotern, selbstfahrenden Autos und bösartigen Fitnesstrackern!

Über den Autor:

Oliver J. Petry wurde 1965 in Saarbrücken geboren und ist seiner saarländischen Heimat bis heute treu geblieben. Der Kfz-Prüfingenieur und Sachverständige betreibt im Nordsaarland eine kleine Prüfstelle. Seine spannenden Kurzgeschichten und Romane sind von seiner Liebe zur Technik, Musik, Natur, Tieren und Kunst geprägt.

Inhaltsverzeichnis

1. Hypnophobie

2. Fellnasen in Not

3. Schwester Jaqueline

4.Viskosität

5. House of Pain

6. Fit-Bite

7. Level 5

8. Caninoid

1. Hypnophobie

Ich muss damals neun oder zehn Jahre alt gewesen sein. Vielleicht war ich auch erst acht oder doch schon elf, so genau kann ich mich nicht mehr erinnern. Jedenfalls kamen sie jede Nacht zu mir, um mich zu quälen. Die Albträume waren so realistisch, dass ich meistens schweißgebadet aufwachte und eine Heidenangst hatte, wieder einzuschlafen. Denn sobald ich einschlummerte, waren sie erneut hinter mir her. Früher gab es noch keine Zombies, zumindest nicht in meinen Träumen. Auch über durchgeknallte Roboter oder bösartige künstliche Intelligenz musste ich mir zu der Zeit keine Gedanken machen. Der einzige Roboter, den ich damals kannte, entstammte der Kinderserie: „Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt“ und war alles andere als furchteinflößend. Allerdings war das nicht unbedingt von Vorteil, denn da waren immer noch Vampire, Werwölfe und abgrundtief böse Hexen, die mich Nacht für Nacht heimsuchten. Des Öfteren war es Dracula selbst, der mich durch ein altes Schloss oder eine Burg jagte.

Bei Vollmond war ich in seinem düsteren Reich unterwegs, weit weg von zu Hause. Wahrscheinlich hatte mich mein Traum direkt nach Transsilvanien teleportiert. Auf einem riesigen Holztisch standen Kerzenleuchter. Die blutroten Kerzen flackerten, als ob sie jeden Moment erlöschen müssten. Im offenen Kamin brannte zwar ein Feuer, aber als ich ausatmete, kondensierte die Luft. Der große Empfangssaal war eiskalt. Irgendwoher ertönte theatralische Orgelmusik. Jetzt hörte ich das Knarren von schweren Schritten. Irgendwer oder irgendetwas stampfte langsam die riesige Treppe hinunter. Etwas Böses kam auf mich zu. Natürlich wollte ich weglaufen, aber ich war voller Angst und erstarrte regelrecht zur Salzsäule. Dann sah ich ihn! Es war der Oberblutsauger persönlich, der langsam, aber sicher auf mich zukam. Ich wollte fliehen, aber ich konnte mich immer noch nicht bewegen. In einen tiefschwarzen Umhang gehüllt, sah dieser Graf wie eine Mischung aus Christopher Lee, Bela Lugosi und Klaus Kinski aus. Kein Mensch half mir, als Dracula mich mühelos hochhob und seine Eckzähne in meinen dünnen Hals schlug, um mein Blut zu trinken. Ich roch seinen modrigen Atem und fühlte überaus reale Schmerzen, als er zubiss.

Dann wachte ich voller Angst auf und schaltete panisch das Nachtlicht an. Ich war nassgeschwitzt und griff mir gleich an den Hals, der absurderweise wehtat. Als Nächstes betrachtete ich mir meine Handflächen. Vielleicht erwartete ich ja, mein eigenes Blut darauf sehen zu müssen. Aber da war Gott sei Dank nichts. Alles nur geträumt. Die Nachttischlampe würde ich nicht wieder ausschalten. Denn mit der Dunkelheit kämen die Gespenster sicherlich zurück. Wenn ich nur die Augen schloss, sah ich den Blutsauger erneut vor mir. Gerade weil der Traum so überaus realistisch war, brannte sich seine böse Fratze regelrecht in mein inneres Auge, vielleicht sogar in meine unschuldige Kinderseele ein. Ich wusste insgeheim, dass er nur auf mich wartete. Sobald ich wieder eingenickt war, würde dieses Monster mich erneut verfolgen, stellen und anschließend töten. So kam es dann auch. Krampfhaft versuchte ich, wach zu bleiben, aber irgendwann überfiel mich dann doch die Müdigkeit, um mich wiederum in die tiefsten Karpaten zu schicken.

Der Albtraum begann so grausig, wie der Vorherige geendet hatte. Der Blutjunkie oder vielmehr die Blutjunkies, denn Dracula hatte mittlerweile Verstärkung angefordert, verfolgten mich diesmal durchs halbe Schloss, bevor sie mich letztendlich anfielen. Noch konnte ich zwar fliehen, allerdings nur in Zeitlupe. Ich wollte wegrennen, aber meine Beine fühlten sich tonnenschwer an. Natürlich holten die Monster mich wild fauchend ein. Wieder spürte ich die schmerzhaften Bisse, bevor ich starb und Sekunden später völlig aufgelöst in meinem Bett erwachte.

Ungefähr vierundzwanzig Stunden später träumte ich von einer Winterlandschaft. Diesmal war ich mit zwei Schulfreunden zusammen und wir rodelten mit unseren Holzschlitten einen kleinen Abhang hinunter. Keiner von uns hatte damals eine Armbanduhr, aber wenn die Kirchenglocke siebenmal schlug, machten wir uns wie jeden Abend auf den Heimweg. Eigentlich war es schon dunkel, aber da das Mondlicht die schneebedeckte Landschaft erhellte, sahen meine Kameraden und ich verhältnismäßig gut. Wir waren spät dran und zogen spaßend unsere Schlitten hinter uns her. Um den Weg zum Dorf abzukürzen, mussten wir ein Stück am Waldrand vorbeimarschieren. Als eine Eule unerwartet schrie, machten wir uns fast in die Hosen, aber zugegeben hätte das natürlich keiner von uns. So stampften wir weiter durch den tiefen Schnee und blieben erst stehen, als aus dem Dunkel plötzlich ein langgezogenes Heulen zu vernehmen war. Kurz danach hörte ich aus dem Wald ein tiefes, kehliges Knurren. Gleichzeitig knackten brechende Äste im Unterholz. Die beiden anderen Kinder und ich blieben weiterhin stehen und starrten ins Dunkel der Baumschatten. Einer meiner Freunde wollte mir irgendwas sagen, was ich aber akustisch nicht verstand. Der Junge kam aber auch nicht mehr dazu, die Worte zu wiederholen, denn wie aus dem Nichts sprang ihn ein riesiger Werwolf an, um ihm innerhalb einer Sekunde den Kopf abzureißen. Geradezu fontänengleich spritzte das Blut aus dem Hals des armen Kindes, um den weißen Schnee umgehend dunkel einzufärben. Mein anderer Freund und ich selbst schrien wie am Spieß und liefen panisch davon. Wir rannten um unser Leben, aber der hohe Schnee ließ keine Sprinteinlagen zu. Ich war schneller als mein Freund, aber das zottelige Untier, das uns folgte, war schneller als wir beide. Eigentlich logisch, da der „Vierpfotenantrieb“ des Monsters bedeutend mehr Grip schaffte, als wir mit unseren Schneestiefeln erreichen konnten. Als Nächstes hörte ich meinen Freund verzweifelt schreien. Er musste ausgerutscht und hingefallen sein. Das Ungeheuer hatte ihn. Ohne mich umzuschauen, lief ich einfach weiter. Auch hörte ich nach dem Geräusch von brechenden Knochen keine Schreie mehr. Dort vorne war der Wald zu Ende, vielleicht hätte der Werwolf ja mit seinen beiden Opfern genug, aber da hatte ich mich getäuscht. Diese Bestie sprang mich mit aller Wucht an und als ich auf dem Rücken im Schnee lag, stand sie über mir. Angewidert schaute ich dem Monster in seine schwefelgelben Augen, bevor mich unsagbare Schmerzen überfielen. Dieses Drecksvieh begann mich zu fressen, obwohl ich noch lebte. Dann fiel ich aus dem Bett und wachte auf. Einen Moment lang hatte ich das Gefühl, als ob mich die leuchtenden Augen des Werwolfs noch aus einer dunklen Zimmerecke heraus beobachteten, aber als ich die Deckenbeleuchtung meines Kinderzimmers einschaltete, waren sie verschwunden.

Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass mir diese Nächte keine Erholung brachten. So war ich ständig unausgeschlafen und auch im Schulunterricht weder konzentriert noch aufnahmefähig. Wenn mich meine Eltern oder irgendein Lehrer vorwurfsvoll darauf ansprachen, entgegnete ich beschämt, nur schlecht geschlafen zu haben. Darauf hatten die Erwachsenen nur eine Lösung. Ich sollte gefälligst früher ins Bett gehen, um am nächsten Morgen ausgeschlafener zu sein. Heutzutage bezeichnet man diese Art von Schlafstörung als „Nachtschreck“ oder auch mit seinem lateinischen Namen: „Pavor nocturnus“, aber zu meiner Kinderzeit waren es nur schlechte Schlafphasen, da sollte ich mich tunlichst nicht so anstellen. Hätte ich ihnen meine Albträume erzählt, wäre mir ihr geheucheltes Mitleid sicher gewesen. Schließlich gab es keine Monster, das müsste mir doch schon in meinem kindlichen Alter klar sein. Sie waren weder unter meinem Bett, noch versteckten sie sich in Kleiderschränken. Alles nur Fantasie, aber genau das war das, oder vielmehr mein Problem. Wie gerne hätte ich einmal durchgeschlafen.

Eine Nacht später träumte ich von einem Schulausflug. Meine Mitschüler und ich wurden in einer Herberge mitten im Wald untergebracht. Eine nette ältere Frau, die Herbergsmutter, begrüßte unsere Lehrerin und uns ausgesprochen überschwänglich. Da wir den ganzen Tag noch nichts gegessen hatten, hatte sie für uns schon das Abendessen zubereitet. Im Speisesaal stand schon alles auf den Tischen. Nur ich selbst hatte ein komisches Gefühl. Die Herbergsmutter war zwar überaus freundlich, aber ihr permanentes Lächeln wirkte geradezu aufgesetzt und regelrecht eingefroren. In etwa so, als wären ihre hochgezogenen Mundwinkel festgetackert. Als ob es sich bei diesem immer lächelnden Gesicht nur um eine Maske handeln würde. Meine Mitschüler saßen alle schon brav am Tisch, tranken Tee und aßen Nudeln in Hackfleischsoße. Irgendetwas trieb mich dazu, die Gastgeberin im Auge zu behalten. So folgte ich ihr unauffällig in die große weißgekachelte Küche des Schullandheimes. Die Frau wollte noch etwas Hackfleisch bringen, da sie den Heißhunger der Kinder augenscheinlich unterschätzt hatte. Die alleinige Chefin der Herberge ging zum Herd, öffnete den Deckel eines überdimensional großen Kochtopfes und nahm ein Stück Fleisch heraus. Anschließend jagte sie es schmunzelnd durch einen riesigen Fleischwolf, der unmittelbar danebenstand. Ich konnte kurz einen Blick auf dieses Fleischstück erhaschen, bevor es durch den Wolf gedreht wurde. Es war der abgetrennte Oberarm eines Kindes. Völlig geschockt musste ich mir die Hand vor den Mund halten, um nicht hysterisch loszubrüllen. Fast hätte ich dennoch panisch geschrien, aber indem ich mir in die eigene Hand biss, konnte ich gerade noch verhindern, dass ich mich verriet. Jetzt sang die Frau sogar ein Kinderlied. Ich glaubte dabei die Worte „Hänsel und Gretel“ herauszuhören. Danach kicherte sie, und als ich wieder zu ihr sah, spiegelte sich ihr allzeit lächelndes Gesicht gerade in einer polierten Edelstahlabdeckung. Wieder musste ich mir in die Hand beißen, um nicht angsterfüllt loszuschreien. Die Spiegelung zeigte ihr wahres Gesicht. Es war das fürchterliche Antlitz einer alten Hexe. Ich musste jetzt handeln. Schnellstmöglich müsste ich unsere Lehrerin und meine Schulkameraden vor diesem Ungeheuer warnen. Aber irgendetwas musste mich verraten haben, denn als die Hexe mit der Zubereitung des Hackfleischs zugange war, blinzelte sie kurz in meine Richtung, nahm einen Knochen aus dem Kochtopf und nagte genüsslich das Fleisch herunter. Das war zu viel. Ich gab meine Deckung auf und rannte, so schnell ich konnte zum Speisesaal. Das bösartige Lachen der Hexe verfolgte mich. Ich hatte schon ein komisches Gefühl, bevor ich eintrat, denn die Stimmen der Kinder waren alle verstummt. Völlig außer Atem sah ich, dass all meine Schulkameraden leblos über den Tischen hingen oder auf dem Boden lagen. Wahrscheinlich waren sie allesamt vergiftet worden. Der Tee oder das Essen, Gott sei Dank hatte ich nichts zu mir genommen. Aber plötzlich bewegte sich doch etwas in dem großen Raum. Unsere junge Klassenlehrerin Frau Kroll winkte mir freudestrahlend zu. Ich hätte sie fast nicht wiedererkannt, da ihre schwarzen Haare nun schlohweiß waren. Den roten Lippenstift, den die eitle Frau normalerweise halbstündlich einsetzte, musste sie sich völlig unkontrolliert durch ihr komplettes Gesicht gezogen haben. Aber halt, das war keine Schminke. Gerade würgte Frau Kroll einen blutigen Bissen hinunter, der vom Oberschenkel unserer allseits beliebten Klassensprecherin zu kommen schien. Die Lehrerin saß an einem Tisch und hatte ihren Arm auf die Schulter der Schülerin gelegt. Einen Moment lang sah es so aus, als wollte sie mit dem Kind schunkeln, aber in der nächsten Sekunde biss sie ihrer Vorzeigeschülerin in den Hals, um mich anschließend hämisch anzugrinsen. Auf einem blutigen Fleischfetzen kauend winkte Frau Kroll mich zu sich. Voller Abscheu wollte ich nun wegrennen, aber ich konnte nicht flüchten, da mich eine Hand oder doch eher eine Klaue an meinem linken Ohr festhielt. Die Herbergsmutter zog mich zu Frau Kroll, die heiser kicherte. Dann warf mich diese fürchterliche Hexe regelrecht in die Arme meiner Lehrerin. Frau Kroll hielt mich an den Händen fest und kicherte weiter. Gleichzeitig griff sich die Herbergsmutter meine Füße. Nun trugen mich die beiden wieder in den Küchenbereich. Die Hausherrin öffnete eine Klappe in der Wand und nachdem sich die Frauen kurz beratschlagt hatten, warfen sie mich mit Schwung dort hinein. Nachdem ich drin lag, wurde die Klappe wieder geschlossen. Durch die dicke Glasscheibe konnte ich die beiden gut erkennen. Jetzt hatten sie ihre menschlichen Masken abgelegt und stierten mich mit zunehmendem Appetit auf Kinderfleisch an. Sie betätigten irgendwelche Knöpfe, Drehregler oder was auch immer. Jedenfalls wurde es in dieser Wandkammer warm und immer wärmer. Jetzt war mir sehr wohl bewusst, was sie mit mir vorhatten. Ich war in einem Backofen gefangen und sollte gebraten werden. Die Hitze schmerzte und wieder biss ich mir in die Hand, um nicht schreien zu müssen. Ich schlug panisch gegen die Ofenscheibe, aber draußen lachten die Hexen nur. Irgendwann gab ich auf, fügte mich meinem Schicksal und versuchte, die Sache positiv zu sehen. Zumindest fraßen mich die beiden Hexen nicht bei lebendigem Leibe auf, aber die Ofenhitze bereitete mir nicht weniger Schmerzen.

Ich verbrannte, doch dann fand der Albtraum Gott sei Dank ein jähes Ende. Schreiend und verzweifelt wachte ich auf. Mein Schlafanzug war völlig durchgeschwitzt und meine rechte Hand hatte ich mir im Schlaf blutig gebissen.

Am darauffolgenden Abend machte ich mir vor dem Zubettgehen einige Gedanken. Mittlerweile konnte ich mich schon nicht mehr erinnern, wann ich das letzte Mal halbwegs gut geschlafen hatte. Seit Wochen plagten mich die schlechten Träume und ich wusste, dass ich aus reiner Selbsterhaltung etwas ändern musste. Wenn das so weiter ging, würde ich sowohl körperlichen als auch seelischen Schaden nehmen. Kurz bevor ich in die Traumwelt abglitt, musste ich mir immer wieder sagen, dass die Monster, die mich in jeder Nacht heimsuchten, nicht echt waren. Während meiner REM-Phasen träumte ich doch schließlich nur. Das müsste ich mir verinnerlichen. Ich musste gegen die Gespenster gewappnet sein. Ich dürfte mich nicht passiv in meine Albträume ziehen lassen, um dann barfuß und im Schlafanzug in irgendeinem Horrorszenario letztlich zu sterben. Nein, ich musste eine aktive oder vielmehr eine offensive Rolle in meiner Traumwelt einnehmen, denn ich war nun lange genug regelrecht das Schlachtopfer gewesen. Dracula und all die anderen müssten heute Nacht ihr blaues Wunder erleben, denn ich konzentrierte mich auf das, was unweigerlich passieren würde. Als ich kurz vor dem Einschlafen war, flüsterte ich zu mir selbst: »Es ist nur ein Traum und das weißt du auch!«

Eine halbe Stunde später befand ich mich wieder in dieser alten Burg, mitten in den Karpaten. Einen Moment lang fürchtete ich mich, als ich knarrende Schritte hörte, die immer näherkamen. Wieder bekam ich am ganzen Körper eine Gänsehaut, und wieder stand ich barfuß auf dem kalten Steinboden der riesigen Halle. Dracula kam wie immer theatralisch die Treppe herunter und ich hatte ihm nichts entgegenzusetzen. Im Schlafanzug wartete ich voller Angst auf mein kommendes Ende. Als er vor mir stand, nach mir griff und mich hochhob, war alles wie immer. Gleich würde er mich beißen. Ich konnte seinen modrigen Atem riechen. Aber plötzlich wusste ich, dass ich mich nur in einem schlimmen Albtraum befand. Ich trat mit aller Gewalt zu und erwischte den Oberblutsauger an einer empfindlichen Stelle. Völlig überrascht ließ Dracula mich los und krümmte sich vor Schmerzen. Damit hätte der transsilvanische Graf nicht gerechnet. Jetzt, da ich mich meinem Schicksal nicht devot ergeben hatte, änderte sich alles. Ich mutierte in meinem Traum schlichtweg zum Superhelden. Kurzzeitig schaute ich gewissermaßen aus der Vogelperspektive auf mich selbst herab. Wenn ich mich recht erinnere, sah ich nun aus wie eine Mischung aus Van Helsing, dem Gestiefelten Kater und Superman. Dracula, der zu schrumpfen schien, schaute mich immer noch völlig entgeistert an, während er böse fauchte. Allerdings übersah er den Holzpflock, den ich völlig unerwartet aus meinem langen Ledermantel zog. »Nimm das ... du blödes Monster«, schrie ich ihn an, als ich den Pfahl in seine Brust rammte. Der Vampir schaute mich noch einmal völlig verdutzt an, bevor er zu Staub zerfiel. Durch das Geschrei angelockt, tauchten nun aber noch fünf oder sechs weitere Vampire auf, die mich regelrecht einkesselten. Doch ich blieb in der Offensive und eliminierte einen Blutsauger genauso, wie ich es gerade mit seinem Chef gemacht hatte. Nun musste ich die anderen noch loswerden. So sprang ich in die Luft, schwang mich am Kronleuchter elegant auf die riesige Treppe und rannte mit meinen Verfolgern im Schlepptau auf ein abgedunkeltes Fenster zu. Kraftvoll riss ich die schweren purpurfarbenen Vorhänge herunter, da ich insgeheim wusste, was gleich passieren würde. Goldgelbe Sonnenstrahlen erhellten schlagartig den Raum, und schnell und alles andere als schmerzlos verbrannten die übrig gebliebenen Blutsauger.

Triumphierend erwachte ich tausende Meilen entfernt in meinem Bett und grinste über das ganze Gesicht. Nach diesem Traum, der für mich eher ein Superheldenabenteuer als ein Horrorspektakel war, fühlte ich mich ausgeruht und voller Energie. Morgen Nacht würde ich den Werwolf ein Stöckchen apportieren lassen und eine Nacht danach hätten auch die Hexen schlechte Karten.

Aber es kam anders. Die Albträume mit all ihren Monstern hatten jetzt keine Macht mehr über mich und somit die Lust an mir endgültig verloren.

2. Fellnasen in Not

Heute war mal wieder so ein Tag, an dem er seine Kleintierpraxis am liebsten gar nicht erst geöffnet hätte. Nach der dritten Kastration und diverser Gesundheitschecks fühlte Georg sich unendlich matt und müde, aber seine Angestellte Frau Südermann hatte den Terminplaner wie immer komplett vollgeschrieben. Sicherlich liebte er seine Arbeit, aber zu viel war einfach zu viel. Die Hunde und Katzen, die er tierärztlich versorgte, machten ihm nur selten Stress. Es waren eher ihre beratungsresistenten Besitzer, die ihn des Öfteren zur Verzweiflung brachten. Für den einen oder anderen Hunde- oder Katzenhalter stellte Hasso oder Kitty schon lange kein Haustier im eigentlichen Sinne mehr dar. Durch die immer weiter fortschreitende Vermenschlichung taten die Leute ihren Schützlingen sicherlich keinen Gefallen. So sehr Georg auch auf manche Tierhalter einredete, es brachte letzten Endes nichts. Oma Lieschen fütterte ihren Dackel Poldi auch weiterhin mit Süßigkeiten zu Tode und der bekennende Veganer Kai-Uwe versuchte, seine Siamkatze prinzipiell mit Tofu sattzukriegen. Georgs Hinweise und Predigten über artgerechte Haltung und Ernährung fruchteten immer seltener. So war der fast Sechzigjährige schlicht und ergreifend desillusioniert. Heute Abend hatte der Veterinär noch einen letzten Impftermin, dann würde er es sich zu Hause erst einmal bei einem Glas Rotwein und entspannender Musik bequem machen. Nun klingelte es auch schon wieder. Nachdem Frau Südermann ihren grau melierten Haarschopf in sein Behandlungszimmer gestreckt hatte, nickte er nur, um gleichzeitig seinen Kittel zu richten.

»Frau Kunze wartet mit ihrem Hund Lupo draußen. Einmal Tollwutimpfung und das Übliche; Chef«, flüsterte Frau Südermann schon fast mechanisch. Georg ließ sich einen Moment lang Zeit, dann öffnete er die Tür zum Wartezimmer, um Frau Kunze hereinzubitten. Der langjährige Tierarzt war etwas verdutzt, als die gutaussehende Frau mit seinem neuen Patienten an der Leine eintrat.

»Wo haben Sie denn den her?« Georg kratzte sich etwas nervös am Kopf, als er sich den Hund näher betrachtete. Der Tierarzt wusste, dass das ein neuer Trend bei Hundehaltern war. Heutzutage reichte kein Schäferhund mehr, es musste schon ein Hund sein, der einem Wolfverdammt ähnlichsah. Mittlerweile hatte er einige Wolfshybriden in Kundschaft, die sich alle in ihrem Wesen unterschieden. Es waren meist tschechoslowakische oder Saarloos-Wolfshunde. Oftmals handelte es sich dabei um