Irish Disaster - Oliver J. Petry - E-Book

Irish Disaster E-Book

Oliver J. Petry

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Beschreibung

Fast zwei Jahre, nachdem Jean und seine Kameraden ein verbrecherisches Netzwerk in den Pyrenäen zerschlagen konnten, versucht der Antiheld nun, ein weitestgehend angepasstes Familienleben in der spanischen Metropole Barcelona zu führen. Das ändert sich abrupt, als seine Freundin wegen eines Trauerfalls nach Irland reisen muss. Nachdem Elena sich nicht mehr meldet, macht sich der ehemalige Fremdenlegionär Jean Sarre auf die Suche. Dabei kommt er einer IRA-Splittergruppe in die Quere, die für den Karfreitag einen weltbewegenden Terroranschlag plant. Obwohl diese brutale Bande auch nicht davor zurückschreckt, ihre Feinde lebendig zu begraben, sollte es zumindest mit heiliger Hilfe und irischer Magie möglich sein, die Gerechtigkeit am Ende doch siegen zu lassen.

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Seitenzahl: 229

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Buchbeschreibung:

Fast zwei Jahre, nachdem Jean und seine Kameraden ein verbrecherisches Netzwerk in den Pyrenäen zerschlagen konnten, versucht der Antiheld nun, ein weitestgehend angepasstes Familienleben in der spanischen Metropole Barcelona zu führen. Das ändert sich abrupt, als seine Freundin wegen eines Trauerfalls nach Irland reisen muss.

Nachdem Elena sich nicht mehr meldet, macht sich der ehemalige Fremdenlegionär Jean Sarre auf die Suche. Dabei kommt er einer IRA-Splittergruppe in die Quere, die für den Karfreitag einen weltbewegenden Terroranschlag plant. Obwohl diese brutale Bande auch nicht davor zurückschreckt, ihre Feinde lebendig zu begraben, sollte es zumindest mit heiliger Hilfe und irischer Magie möglich sein, die Gerechtigkeit am Ende doch siegen zu lassen.

„Irish Disaster“ ist mehr als ein Mystery-Thriller. Der Roman ist auch eine Hommage an Dublin, Galway und Salthill, an frisch gezapftes Guinness und feinen irischen Whiskey. Die „Grüne Insel“ hat ein ganz besonderes Flair. Ich wünsche Ihnen, dass Sie dieses zauberhafte Fleckchen Erde auch einmal besuchen dürfen.

Über den Autor:

Oliver J. Petry wurde 1965 in Saarbrücken geboren und ist seiner saarländischen Heimat bis heute treu geblieben. Der Kfz-Prüfingenieur und Sachverständige betreibt im Nordsaarland eine kleine Prüfstelle. Seine Kurzgeschichten und Romane sind von seiner Liebe zur Technik, Musik, Natur, Tieren und Kunst geprägt.

Für Maria (»Gruß an Olli«) Rach

»Lieben Gruß zurück!«

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1: Parc de la ciutadellaKapitel 2: CalandraKapitel 3: Bienvenido a casaKapitel 4: La salidaKapitel 5: Brain-FogKapitel 6: FoxgraveKapitel 7: Temple Bar-DublinKapitel 8: Cemetery-BluesKapitel 9: GalwayKapitel 10: LeprechaunKapitel 11: Little Red Riding HoodKapitel 12: PreparationsKapitel 13: Old Town-BelfastKapitel 14: KilloransKapitel 15: Sweet HomeKapitel 16: Padre e hijaKapitel 17: Shotgun-TangoKapitel 18: Rabies FreeKapitel 19 Resurrection and DeathKapitel 20 La Caminata

Kapitel 1: Parc de la ciutadella«

Sobald Jean Sarre den Triumphbogen hinter sich gelassen hatte, fühlte er sich frei. Ähnlich ging es auch dem kleinen Terrier, der unbedingt von der Leine wollte. »Lucy bei Fuß!« Das Kommando war zwar kurz und prägnant, aber die Ablenkung durch herumsitzende Vögel ... riesengroß. Die Jagdterrierhündin begann abwechselnd zu bellen und zu knurren, woraufhin die Tauben panisch davonflatterten. Ausschimpfen oder Maßregeln brachte bei dem zweijährigen deutschen Jagdterrier in diesem Moment ohnehin nichts. Jean lächelte und verbuchte es einfach mal unter jagdlicher Passion. Eine Dame, die ungefähr fünfzehn Meter weiter auf einer Parkbank gesessen hatte, sah hingegen nicht so glücklich aus. Wie jeden Morgen fütterte sie „ihre Vögel“, aber schon wieder vertrieb dieses kleine schwarz-braune Biest ihre besonderen Lieblinge. Zu allem Überfluss, hatten ihre gefiederten Freunde, sie vor lauter Schreck, auch noch eingekotet.

Die Señora, mit der seit neuestem weiß gefleckten, aber vormals roten Bluse schimpfte wie ein Rohrspatz. Sarre winkte ihr überaus freundlich zu. Er sah Lucy an und flüsterte: »Dann soll sie sich halt morgen vorsichtshalber eine weiße Bluse anziehen!«

Die beiden steigerten nun ihr Schritttempo. Lucy und er wurden erst langsamer, als sie gut und gerne hundert Meter Distanz zu der tobenden Person aufgebaut hatten. Einige Zeit danach kamen Jean und seine Hündin an einem größeren Teich vorbei. Darauf paddelte ein Paar ziemlich unbeholfen in einem kleinen Ruderboot. Ein Mädchen konnte sich nicht für eine Richtung entscheiden, während ein junger Mann ihr mit ausufernden Gesten irgendwelche Anweisungen zu geben schien. Weiter hinten saßen drei Typen auf der Wiese unter einem Baum. Zuerst unterhielten sie sich lautstark. Vor Ihnen lag der Inhalt einer Frauenhandtasche. Scheinbar hatten die Räuber ihre Beute bereits geteilt, denn einer steckte ein paar Geldscheine ein, ein anderer begutachtete ein Smartphone in einer pinkfarbenen Hülle, und der dritte entsorgte gerade die rotbraune Tasche in einer nahen Hecke. Dann tranken sie gemeinsam aus einer Schnapsflasche und rauchten. Der Wind trieb den süßlichen Qualm in Sarres Richtung. Als Lucy etwas davon abbekam, musste sie lauthals niesen. Einer der drei Männer machte eine abwertende Handbewegung, um Sarre damit anzudeuten, dass er wohl besser rasch verschwinden sollte. Der Mann mit dem kleinen Hund wurde daraufhin weder langsamer noch schneller. Er ging einfach im gleichen Tempo weiter. Es war ein schöner Frühlingsmorgen in Barcelona und Jean wollte nur gemütlich mit seinem Hund im „Parc de la ciutadella“ spazieren.

Etwas später trafen der schlanke Mann und seine schwarz-braune Begleiterin auf einen Straßenmusiker. Mit viel Fantasie und Musikalität konnte man erkennen, dass der langhaarige Künstler gerade „Let it be“ auf einem alten Saxophon zum Besten gab. Jean liebte Musik über alles, aber das, was der Instrumentalist da machte, grenzte schon fast an Körperverletzung. Um so viele Fehler in den berühmten Beatles Song zu packen, musste man schon absolut talentfrei sein.

»Na ja, vielleicht hat er das Altsaxophon erst seit gestern, oder er übt gerade«, dachte Sarre sich und steckte dem Mann fünf Euro in seinen abgelegten Hut. Schließlich musste man unter Musikern solidarisch sein, dabei hoffte Jean insgeheim, so nicht irgendwann einmal sein Geld verdienen zu müssen. Der Saxophonist bedankte sich artig, um dann vollends zur Höchstform aufzulaufen. Jetzt versuchte er sich auch noch an „The Boys are back in town“ von Thin Lizzy. Der Sachverständige liebte den Song, aber das war jetzt wirklich etwas viel für seine Gehörgänge. Als Lucy ihn auch noch hilfesuchend ansah und dabei leise wimmerte, spazierten sie doch schnell außer Hörweite. Langsam, aber sicher füllte sich der Park mit Touristen und Einheimischen. Unter den Bäumen und auf den Parkbänken saßen Familien und junge Leute, die sich rege unterhielten oder Fotos mit ihren Smartphones machten. »Nächsten Monat ist schon wieder Mai, dann müssen wir uns eine andere Gassi-Runde überlegen. Das wird mir hier zu voll«, dachte Jean, während er seine kleine Fellnase liebevoll anschaute. Lucy zog mal wieder an der Leine, als ihnen ein alter Mann mit einem weißen Schäferhund entgegenkam. In Höhe des Brunnens nahm Sarre auf einer noch freien Parkbank Platz und nahm Lucy auf den Schoß.

»Na, meine kleine Hexe, wie gerne wäre ich jetzt mit dir auf dem Land. Die Großstadt ist doch nichts für uns beide. Irgendwo im grünen Wald müssten wir jetzt jagen, stimmts?« Lucy knurrte zustimmend und genoss Jeans Streicheleinheiten.

Wieder einmal dachte der Sachverständige an seinen Dobermannrüden Arthos, der vor fast zwei Jahren getötet wurde, und bekam unwillkürlich einen Kloß im Hals. Lucy war irgendwie ein kleiner Abklatsch seines vorherigen Begleiters. Sie hatte die gleiche Fellfarbe. Ja, sogar die gleichen schwarzen Punkte auf den braunen Pfoten und war genauso temperamentvoll oder eher noch temperamentvoller. Er hatte den DJT (deutschen Jagdterrier) von einem befreundeten Jäger bekommen, aber nur, weil Sarre zugesichert hatte, den Hund auch jagdlich zu führen. Für die Saujagd, also für die Jagd auf Wildschweine, war Jean seine kleine Lucy zu schade. Schlagartig fiel ihm dieser monströse Keiler aus den Pyrenäen ein, der ihn hin und wieder in seinen Albträumen heimsuchte und immer noch die Gedärme von Juan Falgas hinter sich herzog.

Das Risiko, dass der kleine Hund von einem Wildschwein, egal welcher Größe, getötet wurde, wollte und würde sein Besitzer nicht eingehen. Deshalb trainierten die beiden meist die Fährtenarbeit. Jean überlegte sich schon, Lucy beim Mantrailing an der Schleppleine einzusetzen.

Irgendwie musste er seine passionierte Hündin auch auslasten, denn die Hunderasse ging nicht ohne Grund nur vom Jäger an den Jäger. Aber mittlerweile war ihm das Töten von Tieren und die Jagd fast schon zuwider. »Alles ändert sich irgendwann«, dachte Jean, während er dem kleinen Vierbeiner zärtlich über den Rücken streichelte.

Sein derzeitiges Leben bereitete Jean Sarre allerdings zunehmend Kopfzerbrechen. Der Alltag in Barcelona gestaltete sich trotz blauen Himmels immer häufiger mausgrau. Elena ging abends aus der Wohnung und kam erst morgens wieder nachhause. Sie managte nach wie vor Henrys Nightclub. Auf der einen Seite war Sarre natürlich froh, dass seine Freundin einen Job hatte, aber auf der anderen Seite litt die Beziehung unter Elenas Arbeitszeiten. Wenn Jean aufstand und Katharina Schulbrote schmierte, schlief ihre Mutter und war bis abends selten ansprechbar. So hatte sich auch ihr Sexleben auf ein Minimum reduziert. Wenn es dann mal zwischendurch zur Sache ging, stand auf einmal die kleine Katharina im Raum.

»Warum ist die Tür abgesperrt? Kämpft ihr beiden miteinander?« Sowas oder Ähnliches kam dann schon mal aus ihrem Kindermund. So blieb für Zweisamkeit eigentlich nur die Schulzeit und leider gab es bald wieder Ferien.

Nein, Jean empfand die kleine Katharina natürlich nicht als Störfaktor. Er mochte sie wirklich gern und sah in ihr auch auf irgendeine Art und Weise seine eigene Tochter. Allerdings konnte das Kind auch ganz schön anstrengend werden. Fast so anstrengend wie sein hippeliger Terrier.

Verdammt, da sollte man(n) auch noch zufrieden sein? Jean betrachtete den Hund auf seinem Schoß, der nervös im Schlaf zitterte. »Wahrscheinlich träumt sie gerade davon, eine der Enten da drüben zu jagen,« dachte er sich und sprach sie leise an.

»Lucy, komm! Aufstehen! Lass uns wieder nachhause spazieren.«

Der kleine Hund gähnte. Dann sprang Lucy mit einem Satz von der Bank. Sie hatte etwas mit ihm gemeinsam. Auch sie fand ihre Befriedigung derzeit nur in ihren Träumen.

Auf dem Weg zum Parkausgang kamen Jean die jungen Männer entgegen. Der kleinste von den Dreien alberte mit einem Butterflymesser herum, während er zwischen den beiden anderen hin und her tänzelte. Die Männer machten sich extrem breit. Sie benahmen sich, als ob ihnen der gesamte Weg gehören würde. Sarre ahnte, dass sie es auf ihn abgesehen hatten. Lucy legte schon die Ohren an und knurrte so dunkel, wie man es von einem Hund dieser Größe gar nicht erwarten würde. Es gab jetzt genau zwei Möglichkeiten. Jean malte sich vor seinem inneren Auge seine bevorzugte Option aus. Er würde sich den verrücktesten der drei Kerle schnappen, um ihm glatt ein Ohr abzubeißen. Wenn der arme Dieb dann völlig geschockt wie ein kopfloses Huhn in der Gegend herumlief, hätten die beiden anderen höchstwahrscheinlich die Hosen gestrichen voll. Bei dieser blutigen Auseinandersetzung müsste er einfach noch mehr »Mad Man« sein als die durchgeknallten Halunken. Wo waren denn eigentlich die Policia Local oder irgendwelche Mossos? Wahrscheinlich Kaffee trinken oder auf der anderen Parkseite? Ausnahmsweise hätte sich Jean Sarre einmal über die Anwesenheit der Polizei oder irgendwelcher Securityleute gefreut. Er überlegte kurz, um dann doch die zweite Alternative zu wählen. Als die drei Spinner noch etwa zwanzig Meter entfernt waren, verließ er den breiten Gehweg und wich ihnen über die Wiese aus. Die Männer fühlten sich dadurch noch stärker und der kleinste wuchs daraufhin noch mindestens einen Meter.

»Corre Cap a la teva Mare (lauf zu Deiner Mutter)«, rief der kleine Dieb und johlte laut.

»Fill de puta estupid, corre (Blöder Hurensohn, lauf)«, rief ein anderer Jean grölend zu.

»Wenn die Spinner wüssten«, dachte sich der ehemalige Legionär, während er mit seinem Hund dem Parkausgang entgegenging.

»Kapitel 2: Calandra«

Zuhause angekommen, wollte Jean erst mal seinen Terrier füttern. Lucy ahnte das, daher wich sie nicht von seiner Seite. Katharina war in der Schule und Elena schlief wahrscheinlich. Wie immer stand ihr schwarzer Golf GTI, schlecht geparkt, unten auf der Straße. Er nahm sich gerade den Dosenöffner aus der Küchenschublade, da schrillte die Türklingel. Widerwillig schaute der schlanke Mann aus dem Fenster. Unten stand Henry mit seinem Fila Brasileiro vor der Tür.

Jean ging zur Gegensprechanlage und sprach in das Mikrophon. Dabei versuchte er halbwegs leise zu reden, um Elena nicht unnötig aufzuwecken.

»Hola! Wer stört?«

Jean grinste innerlich, denn er wusste, was jetzt kam.

»Hey, Pendejo! Ouvrez la porte, Cabron! Drück endlich auf den verfickten Türöffner oder komm runter. Beeil Dich, mein Hund hat noch nichts gefressen.«

Jean musste lachen.

»Henry, du nerviger schwarzer Teufel! Meinen Hund hältst du gerade vom Fressen ab.«

»Was für einen Hund meinst du? Doch hoffentlich nicht diese kleine Trethupe, die auf den Namen Lucy hört.«

»Jetzt aber keine Beleidigungen!« Jean lachte, und auch über die Gegensprechanlage hörte man Henry lauthals grölen.

»Ich, beziehungsweise wir, kommen runter! Außerdem schuldest du mir noch ein Frühstück, Cabron.«

Vor der Tür umarmten sich die beiden Männer freundschaftlich, und genauso freundschaftlich begrüßten sich auch ihre beiden Hunde. Lucy freute sich, ihre Spielkameradin wiederzusehen, während sie wie verrückt um den fünfundsechzig Kilogramm schweren Vierbeiner herumrannte. Calandra wedelte zwar mit dem Schwanz, blieb aber tiefenentspannt wie fast immer. Selbst bei der überschwänglichen Begrüßung ihrer Hundefreundin.

Die Fila Brasileiro-Hündin konnte aber auch ganz anders!

Calandra war ungefähr sieben Jahre alt und eine typische Vertreterin ihrer Rasse. Sie konnte sehr liebevoll und vorsichtig mit Menschen umgehen. Aber nur, wenn sie die Leute gut kannte und vor allem in ihr großes Herz geschlossen hatte. Bei Fremden war sie sehr reserviert und äußerst wachsam. Ein Unbekannter hätte den Molosser nie anfassen dürfen, ohne dass für ihn die Gefahr bestanden hätte, schwer gebissen zu werden. Aber Kindern und Alten gegenüber war die Hundedame ausgesprochen tolerant. Fila Brasileiro wurden früher in Südamerika zur Jaguar-Jagd eingesetzt. Zudem wurde mit ihnen nach entflohenen Sklaven gesucht. Henry Batiste machte sich darüber des Öfteren seine eigenen Gedanken. Immerhin bestand doch die Möglichkeit, dass ein Vorfahre von Calandra auf eine Fährte seiner Ahnen angesetzt worden war.

»Du hast wirklich eine lebhafte Fantasie, Henry!«, entgegnete Jean, wenn sein bester Freund wieder einmal über seinen Hund philosophierte.

Kurze Zeit später schlenderten sie durch ein nahegelegenes Gewerbegebiet. Calandra und Lucy trotteten einträchtig nebeneinanderher, während sich die beiden Männer lebhaft unterhielten.

»Lass uns da vorne mal ins Schaufenster kucken!«

Henry grinste seinen Kameraden an.

»Welches Schaufenster?«, fragte Sarre.

»Da vorne, Jean! Das BMW-Autohaus. Dort steht der neue 5er Touring. Was hältst du von der Kiste?«

»Brauch ich nicht! Mir reicht mein verbeulter Jeep!«, antwortete der Sachverständige. Lucy zog mittlerweile an der Leine, als ob sie sich den Wagen, als Erste anschauen wollte. Jean ermahnte sie deshalb, währenddessen Henry, wie immer, seinen Senf dazugab.

»Hast du Dein Monster nicht unter Kontrolle?« Jean ignorierte den Spruch schmunzelnd. Als sie vor dem Showroom des Autohändlers standen, fachsimpelten die beiden Freunde über die Unterschiede zum Vorgängermodell. Über Styling, Optik, Leistungsdaten und natürlich auch über den Preis.

»Ein wirklich schöner Wagen, aber ich würde so viel Geld nicht ausgeben wollen. Selbst wenn ich es hätte! Im Übrigen fahre ich meinen alten Jeep ausgesprochen gern.

Allerdings bin ich ehrlich und trauere meinem Landcruiser noch nach. Aber was mit dem Toyota passiert ist, das weißt du ja, Henry!«

Henry lächelte und klopfte seinem Freund auf die Schulter.

»Im Gegensatz zu dir, hab` ich zwar die Kohle. Aber mir reicht mein alter Kombi auch. Den kann Calandra weiter zerkratzen, ohne dass es mir wehtut.«

»Stimmt!«, bemerkte Sarre.

»Aber Elena, gefällt dieses Auto«, entgegnete Henry grinsend. »Deshalb habe ich dich eigentlich hierher manövriert. Sie möchte den Kombi eventuell kaufen.«

»Wieso das denn? Sie hat doch den Golf GTI. Was will sie denn verfickt nochmal mit einem Kombi?«

Jean sah Henry fragend an, während der leise flüsterte:

»Tja, mein Freund. Lebenspläne ändern sich, das weißt du ja selbst. Vielleicht hat der Kombi einfach mehr Platz als der Golf. Vor allem für die beiden Kindersitze!«

Sarre schluckte, und Lucy schaute ihr Herrchen fragend an. Auch Calandra roch plötzlich noch etwas anderes als die schlechte Luft des Gewerbegebietes. Die große Hündin sah verdutzt zu den Männern. Jean wiederum brauchte ein paar Sekunden, um die Worte seines besten Freundes zu verkraften. Er merkte aber selbst, dass ihm durch diese Nachricht der kalte Schweiß ausbrach. Seine Freundin konnte doch nicht wirklich schwanger sein. Schließlich war sie doch schon …?!

Jetzt grölte sein schwarzer Freund und Jean wurde in seiner Unsicherheit noch weiter bestärkt.

»Hey, mon ami, was bist du denn urplötzlich so leichenblass? Okay, ne Kalkleiste warst du ja immer schon!«

Henry lachte wieder und ja, er lachte seinen Freund nicht an, sondern aus.

»Wieso weiß ich darüber nichts? Warum hat mir Elena nicht erzählt, dass wir ein Kind bekommen? Verfickt nochmal!«

Henry schaute seinen bleichen Kameraden an. Langsam tat er ihm leid. Jean Sarre war immer noch konfus, während sich sämtliche Rädchen seines Denkapparates gegenläufig drehten. Na ja, immerhin verbrachte Lena mehr Zeit mit Henry als mit ihm. Durch ihre häufigen Nachtschichten in Henrys Nightclubs und Bars redeten seine Freundin und sein Freund ja tagtäglich miteinander. Aber hätte sie es ihm nicht als Erstes erzählen können. Warum schickte sie mit dieser wichtigen Nachricht seinen besten Freund vor?

Der Gutachter grübelte noch, als Henry ihn sanft aus seinen Überlegungen weckte.

»Erde an Jean! Erde an Jean! Komm schon. Jetzt sei mir nicht böse. Es war doch nur ein „Joke“. Elena hat mir gegenüber nur erwähnt, dass ihr das Auto gefällt. Mehr ist da nicht, Amigo!«

»Connard stupide, blödes Arschloch!« Wie oft wohl, hatten sich die beiden ehemaligen Legionärskameraden früher schon so betitelt?

Jetzt musste Sarre auch lachen. Diese humoristische Einlage hätte sich Henry, heute Morgen wirklich sparen können. Und das auch noch vor dem Frühstück.

Am liebsten hätte Jean seinem ehemaligen Waffenbruder jetzt in den Allerwertesten getreten. Henry hatte wirklich Glück, dass Calandra eine solche Aktion auch missverstehen konnte. Sie liebte Jean natürlich auch, aber ihr Herrchen war für sie allemal das Lebewesen, um das sich alles drehte.

»So wie sich die Erde um die Sonne dreht«, dachte der Sachverständige, bevor sie vor dem kleinen Straßencafé haltmachten.

»Hast du gestern Abend ferngesehen?«, fragte Henry.

»No...Nein, musste noch eine Schadenkalkulation fertigmachen. Warum?«

»Ach, nichts Besonderes. Es ging um einen australischen Rugbystar, der im Nachtclub eines Freundes ums Leben kam. Traurige Geschichte. Viel zu früh gestorben, der arme Kerl.«

»Wie genau, ist der Mann denn zu Tode gekommen?«, fragte Jean.

»Ich habe es nicht richtig mitgekriegt, Amigo. Calandra hatte es sich vor dem Fernseher gemütlich gemacht. Und du weißt ja, wenn sie schnarcht, dann schnarcht sie extrem laut.

Das erinnert mich dann immer an das Schnarchen eines volltrunkenen Leichtmatrosen.« Darauf lachten beide Männer. Als ob die Fila Brasileiro-Hündin wusste, dass es bei dem Gespräch auch um sie ging, bellte sie kurz.

Calandra schaute die beiden Männer nacheinander interessiert an, um dann zu gähnen. Dabei gab sie einen Laut von sich, den man durchaus als „Mama“ interpretieren konnte.

Die Männer grölten.

»Jetzt muss sie nur noch „Papa“ sagen können, oder was meinst du, Jean?«

»Durchgeknallter N…!«

Henry hob langsam, aber demonstrativ den Zeigefinger.

»Hey Cabron, keine rassistischen Beleidigungen!

Du Kalkleiste.«

Als Antwort darauf zeigte ihm Sarre, demonstrativ seinen ausgestreckten Mittelfinger.

Jetzt mussten beide wieder lauthals lachen und nachdem sie sich mit Milchkaffee und einigen Bocadillios gestärkt hatten, gingen sie wieder ihrer Wege.

Henry lud Calandra in seinen Kombi und fuhr in einen nahegelegenen Baumarkt, um Material zu bestellen. Jean versuchte die Wohnungstür leise zu schließen, um seine Freundin nicht aufzuwecken, und Lucy bekam endlich ihr lang ersehntes Futter.

»Kapitel 3: Bienvenido a casa«

»Hola!« Elena kam schlaftrunken aus dem Bad und zeigte Jean ein müdes Lächeln.

»Buenos Dias Lena, habe ich dich geweckt?«

»No, mi Amor!«

Sarre ging auf sie zu, aber Elenas erster Weg führte sie nicht zu ihrem Freund, sondern zum Kaffeeautomaten.

»Wo sind denn die Espressopads für die Maschine?«

Jean lief an ihr vorbei, öffnete den Küchenschrank, um ihr lächelnd eine neue Packung zu reichen.

Er wollte ihr einen Kuss auf den Mund geben, aber sie drehte sich weg.

»Lass mich erstmal wach werden, du Nimmersatt!«

»Nimmersatt?«, dachte er und ärgerte sich insgeheim schon über ihre Aussage.

Wieso Nimmersatt? Das letzte „Kampfkuscheln“ musste doch schon mindestens vierzehn Tage her sein. Wenn Katharina später von der Schule nachhause kam, spielte sich ohnehin nichts mehr ab.

»Hast du nichts zu tun, Jean?«

Sarre verhielt sich so, als ob er ihren kaschierten Vorwurf nicht gehört hätte. Lucy witterte wieder trübe Stimmung im Paradies und beschloss, lieber ihr Körbchen aufzusuchen.

Dort angekommen, reagierte sich die Jagdterrierhündin erstmal an ihrem Lieblingsspielzeug ab. Sie liebte es, ihre Beute tot zu schütteln.

Jean verkrümelte sich unterdessen in sein kleines Arbeitszimmer, um ein Gutachten für die Estrella-Versicherung auszutüfteln. Die Frau des Hauses schnippelte in der Zwischenzeit Gemüse und bereitete das Mittagessen vor.

Kurz darauf kam Katharina aus der Schule. Sie war extrem aufgedreht, weil eine Freundin sie zu einer Geburtstagsfeier eingeladen hatte.

»Henry hat mir heute ganz schön Angst gemacht, Lena!«

»Ja, schön!«, entgegnete Elena.

Jean stutzte. War das jetzt schon Phase zwei? Erst gab es keine Schmuseeinheiten mehr, und in der zweiten Stufe konnte er ihr erzählen, was er wollte. Jetzt hörte sie ihm nicht einmal mehr zu.

Jean war irgendwie angepisst! Er hätte Elena wirklich gerne seine Meinung gesagt, aber er beherrschte sich. Schließlich saß Katharina auch am Tisch.

Dann klingelte Elenas Smartphone und riss Sarre aus seinen unangenehmen Gedanken. Sofort sprang Katharina auf und reichte ihrer Mutter das Telefon.

»Danke, mein Schatz.«

»Gerne Mama!« Das Mädchen verbeugte sich wie eine kleine Primaballerina, und selbst Jean musste lachen.

»Still jetzt, ich telefoniere!«, ermahnte Elena ihn, während sie ihre Tochter liebevoll anlächelte.

Das nun folgende Telefongespräch konnte Sarre aber nicht wirklich verstehen. Seine Freundin redete Russisch und die einzigen Worte, die der Sachverständige auf Russisch verstand, waren »Prost und Schnell«. Elena wurde jedenfalls ziemlich laut und versuchte zwischenzeitlich, ihren unbekannten Gesprächspartner wieder und wieder zu besänftigen.

Jean und Katharina schauten sich fragend an. Das kleine Mädchen sorgte sich sehr, weil sie solche Emotionen ihrer Mutter nicht gewohnt war. Katharina begann zu weinen.

Dann rutschte sie vom Stuhl und rannte auf direktem Weg zu Jean, der sie nur langsam und mit gutem Zureden beruhigen konnte.

Nachdem Elena das Telefongespräch beendet hatte, riss sie ihre Tochter fast aus Sarres Armen.

»Hey, gehts noch. Was soll das denn?«

Jean musste sich wirklich beherrschen, um seine Freundin jetzt nicht anzufauchen.

»Mein Bruder hat mich aus Irland angerufen. Seine Frau ist gestern unerwartet gestorben. Er ist total fertig! Ich muss nach `Foxgrave`, um ihm bei der Beerdigung zu helfen.«

Sie nahm ihre Tochter auf den Schoss und strich zärtlich über Katharinas langes blondes Haar.

»Herzliches Beileid«, entgegnete Jean leise. Elena nickte nur leicht, während sie dem sechsjährigen Mädchen mit einem Papiertaschentuch die Tränen aus den Augen wischte. Dann sah Elena zu Jean, um ihm ein kurzes „Sorry“ zuzuflüstern.

»Ihr beiden kommt doch ein paar Tage ohne mich klar, oder?«, sagte die blonde Frau, um dabei abwechselnd zu ihrem Freund und ihrer Tochter zu schauen. »Claro, sicher kommen Kathi und ich hier klar. Außerdem geht Familie doch über alles, und wenn dein Bruder dich braucht, ist das für uns natürlich okay, stimmts Kathi?« »Claro Jean! Wenn Mama helfen muss, ist es für mich auch okay!« Katharina begann wieder leicht zu lächeln, als Jean laut lachen musste.

»Irland ist ja auch nicht so weit entfernt, oder?«, sagte die Kleine. »Nein, mein Schatz. Es ist gar nicht so weit weg.

Vielleicht ein bisschen weiter als ein Katzensprung«, antwortete Elena leise. »Ich verspreche euch, dass ich so schnell wie möglich wieder zurück bin.«

Jean musste Katharina anschließend ein paar Kurzfilme über die „Grüne Insel“ zeigen. Er hatte nicht geahnt, dass seine Freundin auch Verwandtschaft in Irland hatte, aber langsam wurde ihm klar, dass sie generell viel zu wenig voneinander wussten.

Die Verabschiedung am nächsten Tag verlief irgendwie frostiger, als Sarre es gedacht hätte. Der Flughafen war gut besucht, denn bald war Ostern. Der Gutachter hatte wider Erwarten einen Parkplatz ganz in der Nähe der Eingangshalle gefunden. Er trug Elenas Koffer, aber das behagte seiner Freundin nicht besonders.

»Lass doch, Jean. Fahr am besten schnell wieder zu Katharina nachhause! Der Koffer ist doch nicht schwer. Ich bin im Höchstfallauch nur drei Tage weg.«

Sie gab ihrem Freund noch einen halbherzigen Kuss und verschwand dann im Gewühl des Aeropuerto.

Sarre hatte ein mulmiges Gefühl, als er zurück, in Richtung Ausgang schlenderte. Dort drüben waren doch die Schließfächer. Was würde wohl jetzt im Schließfach Nummer 635 liegen? Vor ungefähr zwei Jahren lagen dort noch fünfhunderttausend Euro, eine Pistole und so manch anderes. Seine Pulsfrequenz verdoppelte sich schlagartig, während er das dringende Bedürfnis bekam, „635“ erneut zu öffnen. Aber wahrscheinlich wären heute dort nur schmutzige Wäsche oder irgendjemandes Ehering zu finden. »Das waren noch Zeiten«, dachte er, als er sich beschwingt auf dem Weg zu seinem Jeep machte. Aber alles hatte seine Zeit, und Jean Sarre musste jetzt schnell nachhause. Henry schickte seinem Freund unterdessen eine Sprachmitteilung. Ihm war das Schreiben oft zuwider, und für ein langes Telefongespräch hatte er nur selten Lust.

»Hey Cabron, kommt heute Nachmittag um halb fünf zu mir. Wir grillen und reden dummes Zeug, Amigo!

Gewissermaßen „Chill and Grill“… Hahaha.«

Um siebzehn Uhr stand Henry am Bratrost und wendete ein paar Würstchen. Sarre machte sich über seine Schürze lustig, die schon einige Fettspritzer abbekommen hatte.

Henrys Freundin Isabella hatte sie ihm vor kurzem geschenkt.

»Das Schwarze kann man abkratzen!«, war in großen Buchstaben darauf gedruckt.

»Toller Spruch Henry. Passt und kann man fast schon wieder als subtilen Rassismus verstehen. Je nachdem, wer die Schürze anzieht!«

Henry lachte. »Hey Amigo, ich bin stolz drauf, und wenn du wirklich willst, kannst du in jedem dritten Satz die Rassismus-Keule schwingen. Schau dich an, Cabron!

Letztlich bist du doch auch das „Schwarze Schaf“ deiner Familie. Dabei bist du `ne Kalkleiste!«

»Ja, die Gesellschaft dreht langsam durch. Als ob wir sonst keine anderen Probleme hätten, dabei ist dein Blut genauso rot wie meines!« Jean prostete seinem Freund zu und nahm einen großen Schluck. Dann stellte er die Bierflasche wieder vor sich auf den Tisch. »Henry, lass uns nachher ein bisschen Musik machen. Hoffentlich hast du mittlerweile deine Westerngitarre neu besaitet. Wenn nicht, mache ich das gleich. Es wird ohnehin Zeit, dass ich bei dir mal neue Saiten aufziehe!« Henry hob demonstrativ den Zeigefinger.

»Aber du darfst anschließend keinen Blues spielen, Jean.

Das wäre schließlich kulturelle Aneignung!« Jean Sarre zeigte seinem Freund lächelnd den Mittelfinger.

»Genau, ich darf nur noch französische Chansons oder deutsche Volkslieder spielen, während du Tag und Nacht den Blues hast!« Die beiden Freunde grinsten sich an.

»Jetzt iss verdammt nochmal deine Wurst und hör auf, so einen Bullshit zu labern!«, entgegnete Sarres schwarzer Freund schmunzelnd.

Zeitgleich winkte Henry seiner Isabella zu, die mit der kleinen Katharina das Schwimmen übte. Die Sechsjährige war eine richtige Wasserratte, aber Jean ließ sie nur unter Aufsicht, in Henrys neues Schwimmbecken. In der Mitte des zwölf Meter langen Pools war am Grund ein Mosaik zu sehen. Es war die 7-flammige Granate, das Symbol der französischen Fremdenlegion.

Darunter stand „Legio Patria Nostra“, das ist die lateinische Übersetzung für „Die Legion ist unser Vaterland“. Das Motto der LÈGION ÉTRANGÈRE.

Nachdem Isabella und Katharina Platz genommen hatten, tischte der Hausherr auf.

»Na, was möchtest du trinken, Kathi?«

»Cola!«, antwortete die Kleine.

Isabella sah Jean fragend an.

»No, Señorita! Für dich gibts keine Cola. Du kannst Wasser oder Limonade haben«, antwortete Jean. Isabella nickte zustimmend und stellte ein mächtiges Glas Limonade vor Katharina auf den Tisch.

Das kleine Mädchen packte es mit beiden Händen und setzte zu einem großen Schluck an.

»Langsam Kathi. Es trinkt dir hier keiner was weg. Nachher bekommst du Bauchschmerzen, Mäuschen!«, bemerkte der Gutachter sanft.

Isabella sah Henry an und beide mussten lächeln. Ja, sein alter Freund Jean hatte sich doch wirklich zu einem liebevollen Vater entwickelt. Wer hätte das gedacht?

Sarre schaute beim Essen zu Isabella und freute sich, dass sie sich so toll um Katharina kümmerte. Mit dieser Frau hatte sein bester Freund wirklich einen tollen Fang gemacht.

Sie war so ganz anders als seine vorherigen Liebschaften!

Die beiden hatten sich in Barcelona wegen eines Restaurants kennengelernt, das Henry Batiste gerade erwerben wollte. Isabella war Notarin, und in ihrer Kanzlei war es dann für beide Liebe auf den ersten Blick. Isabella oder auch „Bella“, wie Henry sie gerne nannte, war für den ehemaligen Kriminellen wie ein Lottogewinn. Er hörte Ad hoc mit seinen illegalen Geschäften auf und versuchte, fortan ein redliches Leben zu führen.