Ich als Text - Thomas Meinecke - E-Book

Ich als Text E-Book

Thomas Meinecke

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Beschreibung

»Meinecke baute einen Plattenspieler auf und legte zum Auftakt seiner Vorlesungsreihe den Song »False Start« von Bikini Kill auf. Anschließend zitierte er Texte über seinen Roman »Tomboy«. Konsequenter kann man die Erwartungen, die mit der Poetikdozentur verbunden sind, nicht enttäuschen. Ihre Spielregeln hat der Autor zwar mit der Annahme der Dozentur anerkannt. Allerdings steht er in der Tradition der Dekonstruktion: Es gilt, »mit« den Spielregeln »gegen« diese zu spielen. Meinecke macht sich in seiner Vorlesung zugleich zur erzählten Figur. Mit seiner Aneinanderreihung von Zitaten hat er eine brillante Performance zur Dekonstruktion des Autorbegriffs geliefert. Wer zwischen den Zeilen lesen kann, wird in den vorgetragenen Zitaten zugleich eine präzise Beschreibung von Meineckes Erzählweise erkannt haben.« Jesko Bender in der »Jungle World«

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Thomas Meineckes Frankfurter Poetikvorlesungen im Wintersemester 2011/12 in erweiterter Fassung.

»Meinecke baute einen Plattenspieler auf und legte zum Auftakt seiner Vorlesungsreihe den Song False Start von Bikini Kill auf. Anschließend zitierte er Texte über seinen Roman Tomboy. Konsequenter kann man die Erwartungen, die mit der Poetikdozentur verbunden sind, nicht enttäuschen. Ihre Spielregeln hat der Autor zwar mit der Annahme der Dozentur anerkannt. Allerdings steht er in der Tradition der Dekonstruktion: Es gilt, mit den Spielregeln gegen diese zu spielen. Meinecke macht sich in seiner Vorlesung zugleich zur erzählten Figur. Mit seiner Aneinanderreihung von Zitaten hat er eine brillante Performance zur Dekonstruktion des Autorbegriffs geliefert. Wer zwischen den Zeilen lesen kann, wird in den vorgetragenen Zitaten zugleich eine präzise Beschreibung von Meineckes Erzählweise erkannt haben.«

Jesko Bender in der Jungle World

 

Thomas Meinecke ist Schriftsteller, Musiker und DJ im Radio und in urbanen nächtlichen Clubs, außerdem Mitbegründer der Band F.S.K., in der er bis heute spielt. Seine Romane erscheinen im Suhrkamp Verlag, zuletzt Lookalikes (2011).

Thomas Meinecke

Ich als Text

Frankfurter Poetikvorlesungen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Suhrkamp

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2012

Erste Auflage 2012

edition suhrkamp 2651

© Suhrkamp Verlag Berlin 2012

Originalausgabe

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlag gestaltet nach einem Konzept von Willy Fleckhaus: Rolf Staudt

 

eISBN 978-3-518-78730-4

www.suhrkamp.de

Ich als Text

 

I  Dienstag, 10. Januar 2012

GESCHLECHT UND CHARAKTER / PARIS IS BURNING / GENDER TROUBLE / DIE IMAGINIERTE WEIBLICHKEIT / KUNSTSTOFF / I WANNA BE YOUR JOEY RAMONE

 

BIKINI KILL: FALSE START

(Hanna/Vail/Wilcox/Karren) aus der LP REJECT ALL AMERICAN, Kill Rock Stars, 1996 (aufgenommen 1995) 3:09

 

Silvia Bovenschen in Deutschlandfunk, 02.12.1997:

Studio LCB: Thomas Meinecke liest aus (seinem Manuskript) Tomboy

(…) Für mich ist das schon so etwas wie eine Menschliche Komödie, die hier noch mal versucht wird – von Balzac’scher Dimension. Also, das könnte man unendlich ausweiten. Nur, daß hier eben nicht mehr die Vorstellung besteht, daß man unmittelbar ins pralle Leben greifen kann, (…) sondern das Ganze ist ein Beobachten, was der Erzähler hier vornimmt, ein Beobachten der dritten Ordnung. Auch die Figuren definieren sich ja als beobachtete Beobachter. (…) Sie beobachten sich selbst, sie beobachten einander, sie definieren sich über diese Beobachtungen selbst. Ja, sie stellen sich sozusagen selber her. Und kommen jetzt, da sie sich auf höchstem Niveau sozusagen beobachten, aufgrund zum Beispiel dieser Gender-Diskussionen und anderer subjektauflösender Theorieelemente, in große Schwierigkeiten. (…)

 

Jochen Bonz, Meinecke, Mayer, Musik erzählt, Verlag Intro, Osnabrück, 1998, S. 38ff.:

Im Sinne von Thomas Meinecke

(…)

Thomas Meinecke: Aber was du mit dem Anderen gemeint hast, weiß ich jetzt immer noch nicht genau.

Jochen Bonz: Damit meine ich die Subkultur, sie ist das Andere zum Mainstream.

TM: Weil es ja auch so ein Modethema überhaupt ist: DAS ANDERE, THE OTHER – das ist ja jedes zweite Routledge-Buch.

JB: Was ja noch nicht so war, als du The Church of John F. Kennedy geschrieben hast.

TM: Überhaupt nicht. Das ist ’90 bis ’92 geschrieben. Während der Zeit, in der es auch handelt. Es ist aber erst ’96 erschienen. Und in dem Ding, das ich jetzt geschrieben habe, geht es ganz stark NUR um diesen Kram.

JB: In diesem Gender-Roman.

TM: (Lacht.) Der hoffentlich nicht als »dieser Gender-Roman« bekannt werden wird.

JB: Der Gender-Roman heißt Tomboy und spielt zwischen dem Odenwald und Ludwigshafen; die BASF in Ludwigshafen und der Odenwald sind so die beiden Begrenzungsreihen.

(…)

TM: Ich finde es auch super da, was da alles zusammenkommt: (…) Heidelberg ist das Headquarter der U.S. Army. Dann ist die BASF Erbe der IG Farben und hat diese ganzen Kunststoffe mit erfunden, diese 60er-Jahre-Kleidungskunststoffe, was auch eine ganz große Rolle in dem Buch spielt. Dieser Nylon-Kram. Und der Odenwald wiederum ist so eines dieser komischen mythosgeladenen Mittelgebirge, mit den Nibelungen, komischen Pilzraucherkommunen, die da drin rumwohnen, Krautrock. Ein wunderbares Gemisch. Dann hat Judith Butler in Heidelberg eine Zeitlang studiert.

JB: Tritt sie in deinem Roman auch auf?

TM: Ja, aber sie tritt dummerweise in München auf. (Lacht.)

JB: Wieso?

TM: Sie hat in München einen Vortrag gehalten, und ich bin dann da hin und habe sie hinterher gefragt, ob sie ihn auch in Heidelberg hält, was sie, glaube ich, eine etwas merkwürdige Frage fand. Weil sie es eben nicht getan hat. In Berlin hat sie ihn noch gehalten, nicht in Heidelberg. Für mich wäre das aber sehr praktisch gewesen, dann hätte ich das so schön in meinen Roman einflechten können …

JB: Warum nimmst du es da so genau mit der Wahrheit?

TM: Nehme ich irgendwie schon. Ich habe dann meine Figuren extra nach München fahren lassen.

(…)

Ich habe Anfang der 80er noch nicht gewußt, daß die ganze Zeit schon Leute wie Foucault das tolle Zeug schreiben. Und ich habe auch den Eindruck, daß das alles heute viel besser verfügbar ist. Natürlich auch mit dem Fluch dieses Segens: daß man dann vielleicht in einem Meer von Theorie einfach so rumpaddeln kann. Was Lacan angeht, habe ich schon länger geahnt: Da ist was. Ich weiß aber auch jetzt noch nicht ganz genau, was. Vielleicht muß man Lacan eher so wie Jazz nehmen. Ich kann ihn gar nicht so viel anders nehmen, wie wenn ich mir ein Solo anhöre. Cecil Taylor, Archie Shepp, so etwas. Etwas, das an der Grenze der Verständlichkeit dahinschlingert. Das ist okay, weil ich ja nicht wissenschaftlich arbeite. Ich bin nur so wahnsinnig neugierig auf das ganze Zeug, wo ich instinktiv merke, das muß mich jetzt was angehen.

(…)

 

Helmut Böttiger in Frankfurter Rundschau, 29.08.1998:

Theorie ist Pop

Eine Tonspur geht in die andere über: Thomas Meineckes Roman Tomboy

Unmerklich ist in den letzten Jahren die Theorie zur Literatur geworden. Während das angestrengt Belletristische immer mehr an Boden verliert, hat das Wissenschaftliche immer phantastischere Züge angenommen. Waren schon die typischsten Sätze Adornos reine Wortmusik, so führte das über seinen unwillkürlichen Nachfolger Foucault hin zu den wahrhaft belletristischen Autoren nach der Moderne: Wer würde Lacan, Derrida, Deleuze anders lesen können denn als Assoziationsfreiräume für eigene Selbstvergewisserungen, für jenes Entrücken in andere Sphären, das vormals der Literatur vorbehalten war? Die Begriffe der Erkenntnis überlappen schon längst die ursprüngliche Naivität, die früher Voraussetzung für literarische Fiktionen war, sie sind mittlerweile oft vor den konkreten Erfahrungen da. Deswegen wirken literarische Konstruktionen immer bemühter und verkrampfter, während das theoretische Diskurs-Vokabular viel soundbetonter zu sein scheint. So wird beispielsweise Judith Butler heute mit derselben Haltung gelesen wie früher Ingeborg Bachmann oder Christa Wolf. Mit ihrem Gender Trouble, dem Unbehagen der Geschlechter, hat die US-Amerikanerin genau jenen Nerv getroffen, den auch die beiden Vorgenannten meinten. Und sie liefert, als Nebenprodukt, das spürbarste Unterfutter für Thomas Meineckes Gegenwartsroman Tomboy, der das landläufige Erzählen zwar völlig ignoriert, aber dennoch ein genaueres Zeitpanorama entwirft als viele, die das literarisch plakativ wollen.

(…) Die Figuren in diesem Roman sind Spielfiguren, die den landläufigen Zuschreibungen von Identität nicht entsprechen: Vivian Atkinson, der Tomboy, ist zwar als Identifikationsfigur angelegt, als »Heldin«, aber das hat mehr als nur einen doppelten Boden. Vivian ist keine Identifikationsfigur, sie bildet einen Text. (…) Vivian, Frauke, Korinna, Hans und die anderen gerieren sich zwar wie Comicfiguren, immer auf die jeweilige Situation bezogen, ohne Vergangenheit, ohne Zukunft – aber sie bilden etwas ab, was von der konkreten Zeitgeschichte vorgegeben ist.

(…) Das Erzählen ist Meineckes Sache nicht. Er setzt Assoziationen aneinander, er sampelt, er spielt mit bereits Vorhandenem. Endlos scheinende Theorie-Suaden wirken wie Rhythmusmaschinen. Es geht zwar immer um Ver- und Enthüllung, um Verführung, um die äußeren Reize der Mode und der Körper – doch die Figuren sind nur Puppen, Satzglieder. Die einzige Sexszene, die in diesem Buch voller Gender-Debatten und erotischer Aufladung stattfindet, ist eine sorgsam aufgebaute Modellsituation, ein Höhepunkt: Korinna dringt mit einem Dildo in Vivian ein. (…) Tomboy ist ein Text, der seine Un-Form lustvoll ausstellt, er kümmert sich nicht um literarische Kategorien. Und er entzieht sich auch dem wohlfeilen Lob, gegen politische Correctness zu verstoßen. Er hat nichts mit der literarischen Tradition zu tun, bringt aber eine neue ein. Tomboy ist ein Beleg dafür, wie sich die Grenzen zwischen den Kulturen zu verschieben beginnen und die in sich geschlossenen Zirkel der Musikszene nun bis ins Haus Suhrkamp hinüberdiffundieren können, weil sie mittlerweile selbst eine Geschichte haben. Pop, das Rhythmus- und Selbstgefühl des Augenblicks, wird in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur eine immer größere Rolle spielen. (…)

 

Thorsten Jantschek in Journal am Morgen, RadioBremen (2), 01.09.1998:

Thomas Meinecke: Tomboy

Thorsten Jantschek: (…) Interessanterweise spielt das Buch einmal nicht in Berlin, sondern im Dreieck aus dem altehrwürdigen Mannheim, dem von der modernen Arbeitswelt der BASF geprägten Ludwigshafen und dem universitären Heidelberg. Als sollte es das Motto für Meineckes entmetropolisierte Literatur sein, wird der Ludwigshafener Ernst Bloch zitiert: »… das Alte zu plündern, zu Neuem zu montieren, gelänge vom Standort solcher Städte am besten.« – Das Alte plündern, zu Neuem montieren, besser läßt sich diese Art von Literatur kaum charakterisieren: Meineckes Roman ist nämlich aus Hunderten von Textfragmenten lustvoll montiert, oder, musikalisch gesprochen, gesamplet.

Thomas Meinecke: Was mich fasziniert an der Musik und am Sampling, ist, daß es möglich ist, mit Zitaten zu arbeiten und sie zu rekontextualisieren, dadurch auch anders aufzuladen, auch zu entladen und gar nicht mehr spürbar werden zu lassen – praktisch dieses Arbeiten mit zwei Plattentellern, wo man – mit einem Crossfader – sozusagen zwei Musiken gleichzeitig laufen lassen kann, die eine in die andere übergehen lassen kann und plötzlich die Platte runternimmt vom Plattenteller, von der das Publikum die ganze Zeit denkt, sie zu hören. Und so habe ich eigentlich auch mein Buch geschrieben. Ich hatte nicht eine Kiste Platten stehen hier an diesem Tisch, sondern mehrere Stapel Bücher standen hier rum. Ich hatte einfach das Gefühl, nach einer gewissen Strecke Butler wäre es mal wieder Zeit für ein bißchen Weininger oder Mark Twain oder de Maistre … Das wäre die Plattenkiste, wo ein Alban Berg und daneben ein jodelnder Cowboy steht.(…)

 

Hans-Peter Kunisch in Süddeutsche Zeitung, 05./06.09.1998:

Berichte aus bohemistischen Kreisen

Thomas Meinecke sucht die deutschen Spuren amerikanischer Feministinnen auf

(…) Warum schreibt ein Mann über vierzig einen Roman über sehr dekorative Feministinnen? Äußerst korrekt und alle Vorurteile von vornherein unterwandernd, hat Thomas Meinecke seinen neuen Roman »Meiner Mutter, meiner Frau, meiner Tochter« gewidmet. Darin liegt nicht allein Ironie. In einem Interview hat Meinecke im März dieses Jahres seine Faszination durch die vom Unbehagen am Geschlecht inspirierten amerikanischen Denkerinnen nicht unglaubwürdig begründet: es fehle ihnen noch »diese Definitionsarroganz«, wie sie viele philosophische Diskurse längst entwickelt hätten. (…) Doch Tomboy ist weder Theorie noch »schöne Literatur« im klassischen Sinn. Mit einer an Thomas Mann erinnernden Grazie und Geschwätzigkeit, die sich selber immer wieder ironisiert, sorgt Meinecke für einen literarisch-theoretischen Zwischenbereich, der sich weder aufs »logische Argumentieren« noch auf krachledernes Taten-Erzählen allein verlassen will. (…) Ohne die kindliche Vorstellung von abschließenden »Ergebnissen« bedienen zu wollen, unter der zu viele theoretische Texte leiden, wirft Meinecke die ideensucherischen Netze seiner artistischen Sprache aus und fördert, im nichtsnutzigen Tun und Gerede seiner Figuren »aus bohemistischen Kreisen« funkelnde Denk-Anregungen zu Tage. Und entwirft Beispiele von Lebenspraxis, die unübersehbar einiges Schöne für sich haben. (…) »Identität« zeigt sich nicht mehr in qualitativen Sprüngen. Sie manifestiert sich in unendlicher Differenzierung. Von Meinecke, 1955 in Hamburg geboren, Pop-Musiker, Radio DJ und Schriftsteller, wird man keinen staatstragenden Gesellschafts-Roman erhalten. Aber genau beobachten und schreiben, das kann er.

 

Jörg Drews in Badische Zeitung, 15.09.1998:

Alle Menschen werden Schwestern

Gedanken-Pop: Thomas Meineckes Roman Tomboy

(…) Was den Jargon angeht, war das übrigens in Kotzebues Hyperboräischem Esel nicht anders, nur wurde damals die wuchernde idealistisch-frühromantische Begriffsbildung (sprich: Kauderwelsch) aufs Korn genommen. Allerdings ist Tomboy keine Satire, der Autor gar nicht gehässig, vielmehr auf eine undurchsichtig wohlwollende Weise fair gegenüber seinem Personal, und das macht die Sache erträglicher und unheimlich zugleich. (…) Mit Pokerface und sehr agil laviert er zwischen einer Heiligsprechung seiner Figuren wie deren theoretischer Idole und deren Satirisierung. Er inszeniert sie mit einer Art lächelndem Respekt, und gerade das macht seine – gewissermaßen »objektive« – Ironie umso durchdringender.

(…) Meinecke schlüpft scharfsinnig in alle Arten von Diskursen und kann – da Miss Atkinson Notizen zu ihrer Diss zu machen hat – alles zitieren, was nicht niet- und nagelfest ist: Otto Weininger und Lukács, Donna Haraway und Žižek, Xavier de Maistre und Sir Galahad, so daß man sich wie in einem auf charmante Weise wildgewordenen elektronischen Notebook vorkommen kann – und in einem Heimatroman zwischen der BASF und Ludwigshafen, Heidelbergs schöner steinernen Brücke und dem östlichen Odenwald, wo Vivian ihre schwangere Freundin Korinna Kohn besucht, deren Heiner verhaftet worden ist …, was aber nur ein augenzwinkernder Tribut ist an sowas wie »Handlung« oder »Verwicklung«.

(…) Wir (…) erwähnen noch, daß Meineckes Erzählrhythmus analog ist dem drive der Nervosität, der Eleganz von gewissen Pop- und Rockstücken; und diese außerordentliche Qualität des Buches zu beschreiben, gibt es noch kein brauchbares Vokabular. (…)

 

Thomas Groß in die tageszeitung, 18.09.1998:

Sohn des Krauts

Der Autor als literarischer Plattenspieler: In seinem Roman Tomboy folgt Thomas Meinecke den komplizierten Windungen zwischen Text, Mann und Frau – und das mit beträchtlicher Geschwindigkeit. In der Disco drehen sich 120 Widersprüche pro Minute!

Die beträchtliche Umdrehungsgeschwindigkeit des Romans ist bereits nach drei Seiten erreicht. (…) Höhepunkte im Sinne von Pointen sind dabei weniger von Interesse als gleitende Kommunikationsprozesse. (…) Die ganze Welt ist diesen wilden Deutern zum Text geworden. (…) Tomboy hat kein Zentrum, aber eine Art Leitmotiv. (…) Je promisker die Diskurse werden, desto rapider sinkt die Chance der ProtagonistInnen, sich noch auf irgendeine Weise geschlechtlich zu vermischen. Es kommt zu dem Paradox, daß vor lauter Reden über Sex keiner mehr stattfindet. (…) In Tomboy simuliert Thomas Meinecke – wie in all seinen Schriften – das Drehmoment eines Turntables. In endlosen Windungen, die immer dann, wenn das Arrangement auf eine Pointe hinauszulaufen scheint, breaken, die Tonart wechseln, weiteres Material zugespielt bekommen, zirkuliert der Text um eine verborgen bleibende Mitte wie ein literarischer Plattenspieler. Als Diskursmischmaschine aber sprengt er die Schablonen des psychologischen Erzählens. Meineckes Figuren sind keine HeldInnen »aus Fleisch und Blut«, sie sind Textgeburten, die in einer Versuchsanordnung begehrend wie reflektierend aneinandergeraten. Das Reflektierenmüssen sei »die tiefste Melancholie jedes echten und großen Romans«, heißt es an einer Stelle im Rekurs auf Georg Lukács. In Variation dieses Motivs sind Vivian, Hans, Frauke und die ganze Bande sprechende Puppen für ein Arrangement des Autors selbst. (…) Meinecke nimmt kein Milieu »aufs Korn«, er prozessiert die Widersprüche, in die die Gefühle sich verstricken, wenn die Gedankenbewegung erst einmal in Gang gesetzt ist, exemplarisch aus. Tomboy ist also weniger ein Roman als eine Theorieerzählung, ein Essay über Identität und deren produktive Verfehlung. (…) Klar, daß das beim Lesen nicht nur Spaß macht, es nervt auch – aber mit Attitüde. Die phänomenale Leistung dieses Gedankenromans bemißt sich an dem, was er nicht ist: kein Sittengemälde in Plakafarbe, keine traditionelle Rückkehr des Erzählens, kein weiterer Frontbericht aus der kleinen Welt des Rave – ganz generell nichts, was nicht mit sich selbst im Streit läge. (…)

 

Irene Bazinger in Jungle World, Die linke Wochenzeitung, 30.09.1998:

»Do We Truly Need a True Sex?«

Thomas Meineckes Roman Tomboy ist Trivial Pursuit für Gender-Fans

(…) Tomboy ist eine endlos lange, souverän in sich variierende Minimal Music. Man muß das Buch nicht am Anfang beginnen, man kann vor- und zurückspringen und hat dabei keinen Verlust. Es passiert wenig, erzählt wird kaum, gequatscht wird unaufhörlich. Geschickt hat sich Meinecke eine Strategie des Fragezeichens zugelegt, mit der er die unvermeidlichen theoretischen Abgründe überwinden kann: »Wie hatte es kommen können, daß das Männliche, als lauthals tönendes, identitätsstiftendes Prinzip, dem Weiblichen lediglich die stille Nebenrolle als dessen diffuses Anderes eingeräumt hatte? Beziehungsweise: Lag in der damit identitätszersetzenden Funktion des Femininen nicht gerade dessen Qualität?« Diese und weitere Probleme beschäftigen auch die weibliche Hauptfigur Vivian Atkinson, genannt Tomboy. (…) Warum gilt der Ausdruck Tomboy ausschließlich für Mädchen? Was ist ein Hemdblusenkleid? »War Vivians Vulva ein materiell-semiotischer Erzeugungsknoten? Fraukes Busen nichts als das zwingende Resultat einer ausschließlich diskursiven Konstruktion? Was sollte an Homosexualität perverser sein als Heterosexualität mit Verhütungsmitteln? Gilt denn der Dildo als Dekonstruktion oder Rekonstruktion des männlichen Kostüms, und was steckt da nun eigentlich in mir drin: ein Penis oder der Phallus?«

(…) Die Leistung des Autors besteht darin, daß Theorie nicht trocken raschelt, und wenn, dann mit Absicht. Getragen von einer ironisch-groovigen Baßlinie, kommt Tomboy wunderlich leicht daher. Tomboy ist als Trivial Pursuit für Gender-Fans von beachtlichem Gebrauchswert. (Wer schrieb 1980: »Do We Truly Need a True Sex?« – Richtig, Foucault im Vorwort zu den Memoiren des 1868 verstorbenen Hermaphroditen Herculine Barbin.)

 

Ulrich Kriest in Spex, Magazin für Popkultur, Nr. 10/1998:

Spröder werden!

Was haben Sleater-Kinney mit Judith Butler mit BASF mit Heidelberg zu tun? Thomas Meinecke sampelt Schriften, Alltag, Theorie und bleibt seiner alten Prämisse treu: »Keine Geschichte erzählen, nichts erfinden.«

(…)

Ulrich Kriest: Die Figuren in Tomboy lesen, denken, diskutieren, überprüfen ihre Thesen im Alltag, betreiben ihren Alltag mittels ihrer Theorien, lesen sich ihre Exzerpte vor. Ist dieses Verwischen der Grenzen nicht auch etwas paranoid und nebenher etwas spröde?

Thomas Meinecke: Es ist nicht so, daß Theorie gelebt wird, sondern ich finde es spannender, daß Alltag theoretisiert wird. Überschwappen der Theorie ins Alltägliche. Leute, die denken und lesen, das ist meiner Meinung nach Action genug. Denken als Handlung. Insofern wird schon eine Geschichte erzählt, irgendwo.

UK: An einigen Stellen von Tomboy herrscht eine auffällige und auch komische Windstille. Da ist dann kein Gesprächspartner, kein Buch, kein Zettelkasten zur Hand. Das wird thematisiert. Macht sich das Buch auch über die vorgeführte Szene lustig? Oder ist das selbstironisch?

TM: Das Buch ist voller Respekt geschrieben. Und wenn es Ironie darin gibt, dann ist es vielleicht eine romantische Ironie. Oder eben eine Selbstironie. Wenn gelacht wird, dann lache ich über mich selber. Über mein Unvermögen, mit diesen Issues wirklich adäquat umgehen zu können, weil es mir einfach auch zuviel ist. Man lacht also vielleicht auch über den Autor, der inmitten dieses Geflechts auch verschwindet, vielleicht. Hoffentlich!

(…)

 

Jochen Hörisch in Neue Zürcher Zeitung, 06.10.1998:

Fremdgehende Heimatliteratur

Thomas Meineckes Roman Tomboy

Um bei der Besprechung eines Romans, der (dazu noch zumeist in Frageform) ständig um Fragen der richtigen Etikettierungen und der korrekten Etikette zwischen den vielen Geschlechtern kreist, mit literaturkritischen Etikettfragen zu beginnen: Kann ein Roman zugleich postmodern den Dernier cris der strukturalistischen, dekonstruktivistischen und feministischen Theorieszene nachhören und zugleich ein Heimatroman sein? Ja, er kann, es geht, sie kommen zusammen – die beiden Stränge des Romans Tomboy von Thomas Meinecke. (…)

Das Eigenartige an diesem Buch: Was sich in einer solchen Zusammenfassung eher abstoßend modisch liest, ist lustvolle, witzige, geistreiche und durchaus auch spannende Lektüre. Und dies, obwohl oder weil Meinecke auf die vom Figurenarsenal doch naheliegende Möglichkeit verzichtet, einen erotischen bis pornographischen Roman zu schreiben. Um einen verwegenen Vergleich ins Spiel zu bringen – das Alltagsleben des Heidelberger Tomboys ist so spannend wie das von Hans Castorp auf dem Zauberberg. So als wollte sich Thomas Meinecke über den ewigen Geschichtsidentitätssucher Thomas Mann und dessen Konversationsroman lustig machen, multipliziert Meinecke die von Mann anvisierten Geschlechtsprobleme ins Unendliche. (…)

 

Hubert Winkels in Die Zeit, 08.10.1998:

Was ist die Sache, Mann? Die Frau

Thomas Meinecke betreibt den Geschlechterdiskurs in Romanform

(…) Ein außergewöhnliches Programm, für das man so leicht kein literarisches Beispiel wird beibringen können. Thomas Meinecke hat sich entschieden, einen ganz besonderen theoretischen Diskurs, nämlich den feministischen der Gender Studies, nicht nur zum Romanthema, sondern zum Roman selbst zu machen. (…) Meinecke erzeugt einen Textzwitter aus Erzählung und theoretischer Spekulation, arbeitet, nicht vertiefend, sondern verwischend, an der Differenz zwischen Literatur und Theorie.

(…) Diesem Abheben, den Übergängen gilt Meineckes besonderes Augenmerk. Der praktizierende Discjockey zeigt sein poetisches Geschick nicht nur in den Kreuzblenden, mit denen die philosophischen und literarischen Diskurse ineinandergeschoben werden, sondern auch im Gegenschnitt von banalen nordbadischen Realien mit den sexuell stimulierten Zerebralien seiner studentischen Romanbesatzung. Es ist bemerkenswert, wie viele Binnenreime und auch Kalauer Meinecke auf dem Feld sexueller Lektüre des Alltags erntet. Allerdings: Die Figuren des Romans, die jenseits einer diskursiven Rollenzuweisung kaum eine Identität gewinnen – getreu dem zitierten Grundsatz, das Subjekt sei nur eine Schnittstelle von diskursiven Praktiken, sozialen Einschreibungen und politischen Machtdispositiven –, die Figuren des Romans kommen in erster Linie als Kleiderständer für grassierende Theoriemoden in Betracht. Und diese Formulierung ist hier nicht despektierlich gemeint. Kommt doch dem Kleiderwechsel eine enorme Bedeutung zu.

(…) Zwar ist Ironie Meineckes Mittel, all die anflutenden theoretischen Ansprüche zu brechen in bizarren Personenkonstellationen, Übertreibungen und ornamentalen Ausschweifungen. Aber daß er überhaupt in der Lage ist, über 250 Seiten eine gewisse Intensität zu halten, das hat schon mit der nachgerade paranoiden Klarsicht des von einer einzigen Signifikationsmacht besessenen Erzählers zu tun. Es gibt keinen Funken Kontingenz im Roman. Nichts ist einfach, was es ist. (…)

 

Jörg Lau in Tages-Anzeiger, 16.10.1998:

Die Frau ist ein Mann, den es nicht gibt

Thomas Meinecke hat einen Roman über die Irrungen und Wirrungen des Geschlechterthemas geschrieben.

In Tomboy gibt’s wenig Handlung, dafür viel Grübelei

Seit einigen Jahren gewinnt auch im deutschsprachigen Raum eine Theorie an Bedeutung, für die es bisher keinen überzeugenden deutschen Terminus gibt: Gender studies. (…) Man sollte sich von der modischen Anmutung des Materials dieses Romans nicht blenden lassen: Es werden zwar exquisite Fundstücke aus dem Pop-Wissen des Autors einmontiert (Meinecke ist Discjockey und spielt in seiner eigenen Band F.S.K.). Es wird zwar kaum eine denkbare Konstellation der Geschlechter ausgelassen in diesem Reigen – Höhepunkt: Penetration Vivians durch die unterdessen schwangere, bisexuelle Korinna mittels eines Dildo. Aber in gewisser Weise hat Tomboy, ein Ideenroman der Geschlechterrollen, etwas ungeheuer Altmodisches, eigentlich Vormodernes: Die Figuren sind ganz und gar Allegorien eines Problems, einer Haltung, einer Meinung. Sie werden dadurch zu Objekten einer Autorenherrlichkeit, die mit ihren leeren Platzhaltern ganz ohne Einschränkungen durch Psychologie oder Plotgesetze nach Gutdünken verfahren kann. Wäre da nicht eine alles durchziehende Ironie, so würde die Lektüre oft ziemlich unerträglich. Sie wird es manches Mal freilich gerade wegen der Ironie. So benutzt der Erzähler etwa penetrant abgenutzte Stilmittel aus dem Journalismus, um Distanz zu seinen Figuren zu markieren. Noch nach mehr als hundert Seiten werden uns längst wohlbekannte Personen wie Vivian und Korinna mit öden Wendungen wie »die vierundzwanzigjährige Heidelbergerin« beziehungsweise »die siebenundzwanzigjährige Karlsruherin« vorgestellt. Das hat, pardon, bei aller Formbewußtheit etwas vom Muff vergangener Zeiten, als Fahrräder gerne »Drahtesel« genannt wurden. Ein ernsthafteres Problem von Tomboy ist, daß die Handlung des Romans nicht recht von der Stelle kommt. Seine Struktur, wenn man so sagen kann, ist Grübeln. (…) Dies freilich hängt aufs Engste mit der zugrundeliegenden Theorie zusammen, die aus dem Nicht-Ankommen eine Tugend gemacht hat. Die Gender studies ziehen ja schon das Thema selbst, die bloße Vorhandenheit einer binären Opposition, in den Mahlstrom ihrer Analysen. Anders als der auf Anerkennung, Integration und Gleichberechtigung zielende Feminismus der ersten Phase zielt der postmoderne Differenzfeminismus Judith Butlers auf Dekonstruktion, Subversion und letztlich Überwindung des Geschlechterschemas selbst. (…) Man kann sich fragen, ob dies – die Auflösung des Körpers im Text – nicht gerade eine typisch männliche Phantasie ist, mag sie auch als letzte mögliche Steigerung des Feminismus daherkommen. Immerhin, man kommt durch dieses Buch auf solche vertrackten Fragen. Man wird mehr und mehr in eine grüblerische Angeregtheit versetzt, was kein geringes Lesevergnügen bedeutet. Thomas Meinecke hat den ersten Roman unseres Fin de siècle geschrieben, in dem sich die letzten Hoffnungen auf einen radikalen gesellschaftlichen Wandel zusehends auf das Geschlechterverhältnis beschränken. Wer ihn liest, weiß am Ende mehr über die Chancen und Sackgassen dieser Engführung des Denkens. Und von welchem neuen Roman der letzten Jahre hätte man dergleichen schon behaupten wollen?

 

Manfred Hermes in Texte zur Kunst, 8. Jg., H. 32/1998:

Vivian rennt.

Tomboy von Thomas Meinecke

Das neue Buch von Thomas Meinecke – Gründungsmitglied der Münchner Popband F.S.K und neuerdings verstärkt im Literaturbetrieb aktiv – ist äußerst positiv aufgenommen worden. Fast sieht es so aus, als hätte das deutsche (Pop-)Feuilleton in seinem Projekt, aus feministischer Theoriebildung und ihrem sozialen Niederschlag im Universitätsmilieu einen Roman zu machen, eine politisch korrekte Alternative zur neodezisionistischen Prosa eines Rainald Goetz gefunden. Doch Meineckes methodische Entscheidungen erscheinen nicht weniger fragwürdig: Wer sich in den Alltag von Theorieszenen hineinimaginiert, die immer die Frage nach dem Ort und Status von Sprechhandlungen gestellt haben, muß auch den Schreibtisch beleuchten, an dem feministische Geschichtsschreibung in Literatur verwandelt wird. Ist der Autor auch tot, so schreibt er doch weiter. Nicht aus Eigennutz, sondern als Instanz, die aus vorhandenen Texten neue macht. Zu diesem Zweck hat sich Thomas Meinecke in das Geheimwissen der Geschlechtertheorien verbissen. Er ging daraus nicht als Feminist, sondern als Romancier hervor. Im Roman Tomboy wurde kaum etwas ausgelassen. (…) Aus diesen Bausteinen errichtet Meinecke ein Gebäude, das nicht zuletzt auch auf den Stilmerkmalen Verumständlichung, sprachliche Ältlichkeit oder Anglizismenvermeidung errichtet ist. In dieser Distanzattitüde ist die Vorliebe einer Zeit gut erkennbar, da der Ironie noch jedes Mittel recht war, um sich etwa den Wunsch zu erfüllen, deutsche Gegenwart darzustellen. Für das Gender-Thema hat das zur Folge, daß es einerseits zum Kanon und kompakten Wissensgebiet stilisiert, andererseits in die völlige Ambivalenz gezogen wird: Alles ist ironisch und ernstgemeint, anmaßend und beflissen, spitz und ungenau, zu dick und zu dünn, ausgeklügelt und nicht ausgeklügelt genug. Das ist gut an der Beschaffenheit der Beschreibungen zu erkennen. Obwohl hier einiges Aufheben um das Thema Mode gemacht wird, verharrt dieses auf einem eher traurigen Niveau. Ähnliches könnte man über die Beschreibung von Landschaften und Körpern sagen. (…) Vor allem aber gilt: »Everybody is gay«, bloß Meinecke selbst nicht. (…)

 

Eckhard Schumacher in Bielefelder StadtBlatt, 03.12.1998:

Gender Studies

Thomas Meineckes Tomboy

(…) Hätte Tomboy, der neue Roman, ein Zentrum, würde dort vermutlich Judith Butlers Gender Trouble stehen und all jene Diskurse vernetzen, die sich um Fragen der Dekonstruktion von Feminismus und Identitätspolitik winden. Aber auch wenn damit ein Feld beschrieben ist, auf dem sich der Roman – von Heidelberg aus – bewegt, funktioniert es nicht unbedingt als einheitsstiftende Kraft. Tomboy erzählt, ohne große Psychologisierung oder Handlungsfixierung, immer schon mehr als eine Geschichte, die man nacherzählen kann. Als Ergebnis von ausufernden Lektüren stellt der Roman vielmehr den Versuch dar, Theorietexte in Form der Erzählung zu bringen – und sie dabei mit dem zu konfrontieren, was ihnen auch im sogenannten wirklichen Leben zustoßen kann. Mit Mißverständnissen und merkwürdigen Aneignungen. (…) Während sich an den Universitäten bemerkenswerte Widerstände gegen das formiert haben, was der Einfachheit halber als Mode abqualifiziert wird, hat sich in den letzten Jahren an den Rändern der Akademien eine Form des Lesens ausgebildet, bei der ›Theorie‹ nicht mehr nur wissenschaftsintern durchgearbeitet, sondern auch mit Kunst-, Politik- oder Popdiskursen kurzgeschlossen wird – und dabei durchaus an die Stelle tritt, die traditionell für ›Literatur‹ vorgesehen ist. (…) Aber Tomboy ist nicht nur ein Buch über Formen ›illegitimer‹ Theorierezeption zwischen dekonstruktivem Feminismus und nordwestamerikanischen Frauenpunkrockplatten. Der Roman ist auch selbst ein Produkt dessen, was er beschreibt. (…)

 

Rainald Goetz, Abfall für alle. Roman eines Jahres,

Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1999, S. 634ff.:

(…)

1934. Hubert Winkels lehnt an Warhols Hesse, erklärt mir, warum alle Hesse so hassen. Erzählt von seiner neuen Fernsehsendung, die Bestenliste, dem Literaturmagazin. Kapielski, beim Voraus-Essen am Abend vor der Aufzeichnung, mit dem Gestus: ihr werdet nicht erfahren, wer ich bin. Jochen Hörisch kommt dazu, er hat auch über Meinecke geschrieben, auch heute, oder war es gestern?, in der Zürcher oder wo?, Hubert Winkels in der Zeit. Sie reden über ihre Kritiken, über Meinecke, wie sie ihn finden. Da steht er auch schon selber. Wird gefragt, ob er die Kritiken schon gelesen hat. Ja, nein, vielen Dank. Er bedankt sich bei Herrn Hörisch für die positive Kritik, entschuldigt sich bei Hubert Winkels, daß er die Kritik zwar gesehen hat, aber noch nicht gelesen hätte. Ich: jetzt muß man sich bei den Leuten schon bedanken, für die Kritiken. Meinecke macht einen Bückling, ironisch.

(…)

1757. Dann sitze ich in einer brüllheiß überheizten Badewanne, so heiß, daß es mich nur so fröstelt von innen her, und lese Hubert Winkels Meinecke-Kritik. Die ist vielleicht lang. Was Hubert Winkels von dem Buch denkt, erfährt der Leser nicht. Ich weiß es ja, weil er es gestern mündlich gesagt hat, in etwa 17 Sekunden. Warum schreibt er es nicht? Weil er das Buch erklärt, anstatt es zu kritisieren. Langweilig. Daumen runter, braucht kein Mensch, verstehende Kritik. Kritik muß doch selber Gas geben, nach eigenem Gesetz.

1840. Frauen, Körper, Phallus, die ganze speziell daran drangehängte Theorie: ich weiß nicht, wie man sich als Nichtfrau dafür interessieren kann. Meineckes Buch wird es mir ja vielleicht erklären. Wir reden über die geplante Werbung für unsere Bücher. Die Überschrift muß, wenn dann, natürlich POP heißen, finde ich. Thomas hatte gedacht an »Plattenspieler«. Wir laufen zusammen durch die Hallen, einmal runter und rüber und wieder rauf, richtung Beute. Er meint: du folgst mir, indem du vor gehst, genau richtig, wie ich sage, ich folge dir. Hallo bei Katja Diefenbachs B-Books, die wegen Negri mit Fanzis ID-Verlag im Streit liegen. Später, wie ich bei Kiepenheuer sitze, erklärt mir Uwe Timm, daß das doch ziemlich nerven würde, bei mir: das von ihm sogenannte Namedropping. Interessante Vorstellung, daß man als Schriftsteller was GEGEN NAMEN haben kann. Bei ID bewundern wir das Cover des Alien-Buches.

(…)

020. Mit Thomas Meinecke, Andreas Neumeister und Peter Weber sitze ich dann am anderen Tisch. Sie erzählen vom gestrigen Beute-Abend, wie alles war. Zweieinhalb Stunden Podium, statementartig: zwanzig Minuten geht das, z.B. Ebermann. Dann kommt Isabelle Graw. Redet von was anderem. Dann der nächste. Wenn man sich inhaltlich locker machen kann, hält man es wahrscheinlich ganz gut aus oder hat sogar daran Spaß. Thomas ist demnächst auch vorgeladen, bei Texte zur Kunst, er hat gestern seine Vorladung gekriegt, sagt er. Dann reden wir noch mal über die geplante Werbung. Thorsten Ahrend kommt dazu. Es soll jetzt also supersimpel werden. Links steht ein Wort: POP. Dann kommen die Umschläge der Bücher, ohne Text. Dann, schön groß: SUHRKAMP VERLAG. Fertig.

(…)

110. Drinnen ist es gar nicht so übervoll. Thomas: vielleicht ist irgendwo was sogenanntes Wichtiges. Er zuckt zusammen und stöhnt leicht angestrengt, wie ich wieder zum Notizbuch greife. Verstehe ich. Die Notiererei nervt natürlich alle, auf die Dauer, klar. Zerstört immer neu die Unmittelbarkeit der Situation, für die anderen, für mich besteht die eh nicht. Egal. Was war eben noch wichtig? Wichtig für uns ist jetzt vorallem Bier. Andreas und Thomas bestellen Grappa. Es wird auch überhaupt nicht aufgehört zu reden. Ganz im Gegenteil, ganz im Gegenteil.

(…)

1236. Der Platin-Style der jungen Wilden bei Kiepenheuer macht so gute Laune. Der Anzug von Benjamin von Stuckrad-Barre, in der schönsten Farbe der Welt, ich weiß nicht wie sie in Klamottendeutsch heißt, eine Art Silbergrau, und perfekt geschnitten und sonstwas, es schaut einfach NUR gut aus. Und kommt mir selber als ein solcher Fortschritt vor, styletechnisch gesehen, gegenüber uns, den Suhrkamp-Boys, den B-Boys aus München, Neumeister, Meinecke und ich. Style ist ja Gabe, Gegebenes, kann man gar nichts dran drehen. Jeder hat seinen Vorteil, seinen Ort, sein Spezielles. Ich bin natürlich gerne B-Boy, ist ja klar. Dann aber mit Platin-Style-Menschen zusammen sein und böse Dinge tun, böse.

(…)

2010. Abfall – denke ich plötzlich, wie ich in der Küche sitze, ein Süppchen esse und im Falter, den ich aus Wien mitgebracht habe, ein Interview-Porträt von Thomas Meinecke als DJ Gender Studies lese – ist genau genommen mein zweiter Roman. Nach Irre. Personal, Abenteuer, Welt, Held, Leben.

(…)

 

Hubert Winkels in Deutsche Literatur 1998, Jahresüberblick, hg. von Volker Hage, Rainer Moritz und Hubert Winkels, Reclam, Stuttgart, 1999, S. 24f.:

Einleitung

(…)

Ein Extrem, an dem man sich gut orientieren kann, markiert der Münchner Autor Thomas Meinecke mit seinem Roman Tomboy. Er schließt seinen Text ganz direkt an einen spezifischen universitären Diskurs an, an den feministischen oder Gender Studies, der vor allem in den USA populär ist und großen Einfluß sowohl in den Kulturwissenschaften wie in den öffentlichen Debatten hat. Es ist schon ein Kunststück, wie es Meinecke gelingt, Theoriekonstruktionen auf personale Verhältnisse zu übertragen. Der Roman zitiert häufig das Wort von der »gender impersonation«, also der Geschlechtsverkörperung, das im Kern besagt, das Geschlecht einer Person sei ein kulturelles Konstrukt, und wenn schon nicht frei gewählt, so doch keinesfalls natürlich gegeben. Nach diesem Modell kann man auch Meineckes Konstruktion der handelnden Figuren begreifen. Sie verkörpern einen Mix aus Theorieversatzstücken. Was besagt, daß sie über das Zitieren und Reflektieren zeitgenössischer Theoreme hinaus nicht nur ihre gesamte Weltwahrnehmung entsprechend strukturieren, sie handeln auch wie Vollzugsorgane eines ihnen vorgängigen Diskurses. (…)

In den Figuren, die ihr Leben wie einen zu schreibenden Text angehen, gibt Meinecke seine Konstruktionsarbeit rückhaltlos preis. Er macht erst gar keinen Versuch, seine Figuren lebendig oder die Handlung suggestiv zu machen. Er freut sich, auf das Konstruktive aller Weltverhältnisse deuten zu können. Zur diebischen Freude an der Entoriginalisierung der Welt in der Anverwandlung fremder Rede, kommt die Lust an der Zuspitzung und Übertreibung. Das sexuelle Feld wird von Meinecke mit textuellen Verweisen extrem und damit komisch gedehnt. (…)

 

Claudia Kramatschek in ndl, neue deutsche literatur, 47. Jg., H. 1/1999:

Am Mischpult

Sound und Sampling in neuer Erzählliteratur

(…) Mit Tomboy, einem Roman über das postmoderne Thema schlechthin: über die Theorie der Geschlechterkonstruktion, hat Meinecke zugleich auch ein hypermodernes Textgebilde geschaffen. Wie in einem rhizomartigen Gebilde schließt er darin das von ihm zugrundegelegte und bedachte Material – nichts weniger als die Geschichte des Ich, dessen Grabesruhe in diesem Jahrhundert der Psychoanalyse und der Dekonstruktion empfindlich gestört wurde – mit sich selbst kurz, verkettet in bewußt hybriden Satzkaskaden alles mit allem und entwickelt in dieser Überlagerung eine Art Kartographie, die die Komplexität der heutigen Welt bzw. die Unmöglichkeit eindeutiger Sinnzuschreibungen noch formal zum Ausdruck bringt. (…) Meinecke ersetzt den erzählten Fortgang seiner Geschichte durch einen überwiegend interrogativ verfaßten Satzstil und erfindet so eine Art Text- und Lesemaschine, die sich selbst beständig generiert und destruiert – der Leser weiß da nicht immer, ob er fluchen oder lachen soll. Autorisierte Chronologie wird hier abgelöst durch eine Diachronie der Ereignisse. Wie am Mischpult fügt Meinecke in die Fragen seiner Protagonisten vielschichtige Anekdoten – da ist mal die Rede von Judith Butler, die selbst in Heidelberg studierte, oder von D. H. Lawrence, der seine Braut fast nötigt, ein Dirndl zu tragen; oder von Elvis Presleys künstlicher Aufrüstung seines Phallus – und verwandelt anhand dieser ›Stimmen‹ den Text in ein Tondokument, dessen diverse ›Spuren‹ auf vorwitzige Weise geschichtsträchtig sind. (…)

 

Nathalie Gremme in Freiburger FrauenStudien, 4. Jg., H. 2/1998, Cross-dressing und Maskerade:

Flüssig-kristallin wachsende Theorie zum Mitmischen

Thomas Meinecke: Tomboy

(…) Denken und Lesen ist action genug für Meinecke. Und so fragt die eine oder andere geneigte Leserin während der Lektüre von Tomboy, warum da eigentlich wirklich ›nur‹ über Genderthemen oder gendertheoretisch über andere Theorien oder gendertheoretisch über Kultur und Politik gesprochen wird. Daß die Figuren sich, wie oft von KritikerInnen lamentiert wurde, nicht entwickeln würden, stellt sich jedoch bei genauerer Betrachtung als nicht richtig heraus. Es handelt sich hier allerdings nicht um einen bürgerlichen Bildungsroman, nicht um die Herausbildung einer idealen Identität und nicht um die richtige Darstellung der Geschichte, sondern um Perspektiven und Fragmente. Die Figuren, die sich um Vivian und ihre Magisterarbeit zum Thema gender trouble tummeln und die unterschiedlichsten Materialisierungen von Fragestellungen verkörpern, mit ihren unterschiedlichen Hintergründen und Lebenssituationen, dienen hierfür als Kleiderständer (übrigens textil und textuell). (…) Aber eigentlich gibt es sie in Tomboy doch, die so oft vermißten Tränen, Fehlreaktionen, emotionalen Auswege, Verhaltenstestphasen und Lernprozesse. (…)

 

Eberhard Rathgeb in Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.05.1999:

Vom interplanetarischen Wesen überwältigt

Nackte Helden pflegen keine Körperkontakte mehr

Es werden, sagt Michel Houellebecq in seinem 1994 auf französisch und in diesem Jahr auf deutsch erschienenen erfolgreichen Roman Ausweitung der Kampfzone, »zwischenmenschliche Beziehungen zunehmend unmöglich«. Mit deren Verlust verringere sich die Zahl der Geschichten. Michel Houellebecqs Roman nimmt eine Stimmung auf, die über Frankreich hinausreicht, auch in anderen Neuerscheinungen zu finden ist und ihre Vorläufer hat. (…) Von einem besonderen Nebel, den Theorien über Geschlecht und Charakter und Körper, handelte Thomas Meineckes Ende letzten Jahres veröffentlichter Roman Tomboy. Meinecke ließ ein, zwei, drei junge Menschen in das Universum der Zuschreibungen und Deutungen sich aufmachen, auf der Suche nach einer passenden theoretischen Fiktion über den Körper, die ihrem Selbst eine Form geben könnte. Der Körper ist da, doch welche Bedeutungen er trägt, welche Wörter ihm passen, das ist nicht von vornherein ausgemacht. Nicht einmal die sinnliche Gewißheit ist so gewiß. Was bleibt also vom Ich nach den Ideologien, nach den Gewißheiten darüber, was Realität ist? Das Selbst ist erstmal nur noch eine Fiktion, die einen nicht abstürzen läßt, ein Sicherheitsgurt, den man um seinen Körper schnallt. (…)

 

Gerald Fiebig in testcard, Nr. 7/1999, Pop und Literatur:

Jäger und Sampler

Literatur und DJ-Culture – eine Nachlese

Drei Jahre, nachdem Ulf Poschardt in DJ Culture den vom (Selbst-)Verständnis als DJ-als-Musiker herbeigeführten Paradigmenwechsel in der Popmusik kulturtheoretisch aufgearbeitet hat, vollzog sich dieser Wechsel 1998 nun auch in der Literatur. Oder zumindest in den Klappentexten: in Tomboy von Thomas Meinecke würden die verschiedenen inhaltlichen Facetten »zu einem mehrspurigen Track abgemischt«, (…). Bei genauerem Hinsehen erweist sich jedoch jeder Roman als ein ›mehrspuriger Track‹ bzw. mehrstimmiger Text aus verschiedenen gesellschaftlichen Sprechweisen, Jargons, Argots, Fachsprachen, Codes und Dialekten, der, ob nun in Form des wörtlichen Zitats oder einfach durch die Dialoge zwischen verschiedenen Figuren, nie mit ›der‹ Stimme des Autors redet. »Der Autor hat gleichsam keine eigene Sprache, doch er hat einen eigenen Stil, sein organisches, einheitliches Gesetz des Spiels mit Sprachen und der Brechung seiner ursprünglichen (…) Intentionen in diesen Sprachen.« So formulierte bereits in den Vierzigern, also lange vor dem Anbruch der selbsterklärten literarischen DJ-Culture, der sowjetische Literaturtheoretiker Michail M. Bachtin in seinem Aufsatz Das Wort im Roman. Weil er unter Stalin meist in der sibirischen Verbannung lebte, wurde er im Westen, genauer gesagt zunächst in Frankreich, erst Ende der Sechziger bekannt. (Der Popintellektuelle würde ergänzen: gerade, als dort auch das Wort ›discothèque‹ aufkam!) Ebenfalls in Frankreich hatte derweil Roland Barthes, einer der Wegbereiter des Poststrukturalismus, (…) eine ähnliche Theorie der Mehrstimmigkeit des Romantextes aufgestellt, welche das Konzept der Stimme (im geschriebenen Text ja immer eine bloße Metapher!) so ernst nimmt, daß sie einerseits mit Notenbeispielen, andererseits mit Begriffen wie fading, off-Stimme und Stereophonie arbeitet. (…) Poschardt bescheinigt der Praxis des DJs, daß sie den anmaßenden Begriff des Autors bzw. des Künstlers als aus den Tiefen seiner Seele schöpfendes und schaffendes Genie zurechtgestutzt habe: denn der DJ zeigt ja jedem, der es sehen will, daß er nicht aus einer vagen Tiefe schöpft, sondern aus seiner Plattenkiste. Indem er diese Platten mixt, gehen die einzelnen, einem autonomen Autor zugeschriebenen ›Kunstwerke‹ (die einzelnen Stücke) in dem größeren Ganzen des Clubabends (bzw. dem Mix) auf. Damit ›schafft‹ der DJ aus vorhandenem Platten-Material etwas neues, indem er es für seine Zwecke mixt und manipuliert – er legt ja eben nicht nur ›eine Platte nach der anderen auf‹, sondern vollbringt, wenn man so will, eine kreative Leistung. (…) »Da der Zuhörer das miterlebt, werden zwar weder der Künstler/Autor/DJ noch er selbst als Subjekt aufgehoben, sie sind aber erst recht auch nicht das EINE Subjekt«, sondern »Vielheiten, die durch Bassline und Groove in der Spur gehalten werden«. – Soweit Jochen Bonz, der in seinem aufschlußreichen Interview-Essay Meinecke, Mayer, Musik erzählt der Funktion des Samples in verschiedenen Musiken sowie in den Texten von Meinecke und Poschardt nachgeht. Er identifiziert dabei zwei unterschiedliche Funktionen von Sampling, die einem je unterschiedlichen Kunstverständnis zugeordnet werden können. Eine dieser Tendenzen, für die das Sample – wie z.B. im HipHop das Sample von früherer Black Music, von Vorläufern, auf die man sich berufen will – ein mit historischen und sozialen Bedeutungen aufgeladenes Zitat ist, ein Text, mit dem (eine) Geschichte und damit eine politische Bedeutung assoziiert ist, sieht Bonz zurecht in Meineckes Schreibweise sowie in der Musik von dessen Band F.S.K. verwirklicht. Wenn Meinecke sich diese Metapher zu eigen macht, illustriert er damit jenes Verfahren, mit dem sein Text aktuelle Realität und historische Topografien einblendet (z.B. durch die Nachrichten vom Studentenstreik oder die Zitate aus der faschistischen Firmengeschichte der BASF) und durch die ›Kreuzblende‹ (Meineckes schöne Eindeutschung für das Crossfading von einem DJ-Plattenspieler zum anderen) zu Textpassagen von feministischen Theoretikerinnen mit politischen Bedeutungen aufzuladen versucht. Das genau ist das Thema von Tomboy, für das die erzählte Handlung sichtlich nur einen Rahmen liefert: Können subversive Theorien in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation in politisches Handeln überführt werden, und wenn ja, wie (ein Studentenstreik wird doch wohl nicht reichen!)? Indem er den nicht-originalen Samplingcharakter seines Textes so stark betont, macht Meinecke unsere Sicht der Welt als eine immer schon durch (z.B. von ihm zitierte) Texte produzierte, von bestimmtem (auch politischen) Interesse geleitete Konstruktion kenntlich. Wie der DJ auf Vinyl fixierte Musik aus der Kiste auswählt, wählt der Autor, so Meineckes Position, nur textlich fixierte Realitätspartikel und damit Blickwinkel aus, zu denen der Leser selbst Stellung nehmen muß. »Man lacht also vielleicht auch über den Autor, der inmitten dieses Geflechts auch verschwindet, vielleicht. Hoffentlich!«, so der wohl meistinterviewte Autor der letzten Saison in Spex 10/98. Daß nicht nur in zahlreichen Zeitschrifteninterviews, sondern auch in Bonz’ Buch zeitgleich zu Tomboy bereits eine Art Theorie dieses Romans vorliegt, kommt Meineckes Ansatz entgegen, für den der rudimentäre Handlungsrahmen von Tomboy – den es trotz seiner Skepsis gegen das ›naive‹ Erzählen eben doch gibt! – ein Experimentierfeld ist, auf dem er seine Figuren austesten läßt, wie tragfähig zeitgenössische philosophische Theorie (v. a. Judith Butlers Buch über das Unbehagen der Geschlechter) für das Verständnis des eigenen Alltags ist. Dieser Selbstreflexion seiner literarischen Fiktion, die Meinecke im Zeichen des ›Sampling‹-Begriffs betreibt, kommt die zeitgenössische Theoriebildung ja ohnehin entgegen, wenn sie darüber reflektiert, daß auch wissenschaftliches Schreiben sich der Formen des Erzählens bedienen muß. (…)

 

Daniel Lenz und Eric Pütz, LebensBeschreibungen.

Zwanzig Gespräche mit Schriftstellern, edition text + kritik, München, 2000, S. 152:

Ich muss nicht schreiben, um nicht verrückt zu werden

Gespräch mit Thomas Meinecke – 11. Dezember 1998

(…)

Daniel Lenz/Eric Pütz: Die Pop-Bewegung ist angetreten, um die Festung der sich abschließenden Hochkultur zu stürmen. Mittlerweile aber gehört die Pop-Literatur augenscheinlich längst zum literarischen Establishment. Wie wird sie sich ohne diesen Antagonismus weiterentwickeln?

Thomas Meinecke: Ich habe damit immer ein bisschen Probleme, Pop als Movement zu sehen. Pop darf sich eigentlich gar nicht strategisch als Ganzes verhalten, sondern besteht aus unheimlich vielen, schnellen, unberechenbaren Einzelprozessen. Was mir in der Diskussion über die Pop-Literatur manchmal schief vorkommt, ist, dass Pop irgendetwas Homogenes sei, das sich jetzt irgendwie verhalten müsse, reagieren müsse auf Vereinnahmungsstrategien des bürgerlichen Lagers. Ich finde, dass Pop gar nicht erst ein eigenes Manifest haben darf. Rainald Goetz, Andreas Neumeister und ich – um mal die Suhrkamp-Autoren zu nennen –, wir verstehen uns natürlich unter diesem Begriff »Pop«. Auf der anderen Seite haben schon allein wir drei völlig andere Interessen damit und kommen auch aus unterschiedlichen Löchern. Am liebsten würde ich Pop nur als eine Art Diagnose für irgendetwas akzeptieren, nicht aber als Prognose. Daran liegt mir gar nichts. (…)

 

Eckhard Schumacher, Vortrag (Manuskript), X. Internationaler Germanistenkongress Wien 2000, September 2000:

Pop – Kultur – Wissenschaft

Schreibweisen zwischen Universität und Pop-Diskurs

(…) So wie sich seit Ende der 1970er Jahre in den Kulturwissenschaften, zunächst vor allem in den anglo-amerikanischen Cultural Studies, Versuche abzeichnen, Pop-Phänomene aus wissenschaftlicher Perspektive zu reflektieren, lässt sich etwa zeitgleich auch im Pop-Diskurs ein neues Interesse an Theorie feststellen, das Schreibweisen generiert, mit denen sowohl eingefahrene Modelle von Popjournalismus wie auch akademische Auseinandersetzungen mit Poststrukturalismus, Cultural Studies oder eben Pop problematisiert und konterkariert werden. Über drei Schnitte, verkürzend perspektiviert durch Texte von Rainald Goetz, Diedrich Diederichsen und Thomas Meinecke, werden im Folgenden sowohl popspezifische Umgangsweisen mit Theorie wie auch Verschiebungen auf dem Feld skizziert, das sich in den letzten Jahren zwischen akademisch und popkulturell geprägten Milieus formiert hat. (…)

Was im Pop-Diskurs in den letzten Jahren verschiedentlich etwas aus dem Blick geraten ist, rückt Thomas Meinecke in seinem 1998 veröffentlichten Roman Tomboy ins Zentrum der Aufmerksamkeit: die performativen, nicht immer vorhersehbaren Effekte von Schreibweisen, programmatischen Äußerungen und Theorie-Anwendungen. An die Stelle von Grundsatzprogrammen und Berichten zur Lage, die er Anfang der 1980er Jahre selbst vielfach ausbuchstabiert hat, tritt eine Form der teilnehmenden Beobachtung, in der im Modus literarischen Schreibens sowohl Ausprägungen der ›illegitimen Theorie-Kultur‹ wie auch universitäre Diskussionen aufgenommen und reformuliert werden. Mit erkennbar popgeschultem Misstrauen gegenüber Konzepten wie Erfindung oder Originalität übersetzt Meinecke in Tomboy Theorie, in diesem Fall Judith Butlers Version von Gender Studies, in eine Form von Fiktion, die nur insofern fiktional zu nennen ist, als sie einem Realismus verpflichtet bleibt, der seinen drive gerade dadurch entwickelt, dass er immer nur vorgefundene Konstellationen aufnimmt und weiterprozessiert. Das, was Diederichsen ›illegitime Theorie-Kultur‹ nennt, wird in Tomboy gleichermaßen zum Thema und Verfahren des Schreibens, zum Objekt und Subjekt der Darstellung. Meinecke vergleicht sein Schreibverfahren mit der Arbeit des DJs, der verschiedene Schallplatten aufeinander abstimmt, ineinander überblendet oder gegeneinander ausspielt. Er sampelt und rhythmisiert – im Medium Schrift – das Material, das sich auf und neben seinem Schreibtisch stapelt, konfrontiert seine studierenden Romanfiguren mit Judith Butler und Silvia Bovenschen, Punk Rock und House Music, Modezeitschriften und Magisterarbeiten, und schreibt dabei, lesend und übersetzend, mehr oder weniger einfach mit. Die zuweilen abenteuerlichen, eher metonymisch als metaphorisch motivierten, durch Missverständnisse und merkwürdige Aneignungen noch verstärkten Zusammenhänge, die sich in Tomboy zwischen Mannheim, feministischer Theorie, Krautrock, Laufmaschen, Zwangsheterosexualität, Identitätspolitik und House Music abzeichnen, verdanken sich vor allem einer extremen Aufmerksamkeit gegenüber der Sprache. Meinecke entdeckt noch in den alltäglichsten Sprachverwendungen theoretisch, politisch und literarisch affiziertes Material, dessen Mehrfachcodierungen und Ambivalenzen in seiner Verarbeitung nicht geklärt und aufgelöst, sondern offensiv ausgestellt werden. Als Thema und Verfahren des Buchs treten an die Stelle von Antworten Fragen, die ein deskriptives Potential entfalten, das auch die Probleme und Möglichkeiten, die sich zwischen Universität und Pop-Diskurs abzeichnen, sehr genau adressiert. Meinecke nimmt sowohl Positionen auf, die der Grenzziehung von Goetz nahe kommen, wie auch jene Grenzüberschreitungen, die Diederichsen beschreibt und vollzieht. Er überführt sie jedoch nicht in normative Modelle, sondern stellt in der Arbeit an der Sprache das aus, was auf einer anderen Ebene bei Judith Butler zu einem zentralen Moment von theoretischer und politischer Praxis wird: durch Zitation und Resignifikation produzierte Formen von Ambivalenz. Meineckes Text führt auf diese Weise also nicht zuletzt vor, dass sich die hier über die Begriffe ›Differenz‹, ›Transformation‹ und ›Ambivalenz‹ unterschiedenen Positionen durchaus auch annähern und überschneiden können. Ihr Verhältnis zueinander ist von ähnlichen Interferenzen bestimmt wie das Feld, das die Begriffe ›Pop‹, ›Kultur‹ und ›Wissenschaft‹ umreißen. Aber gerade diese Interferenzen, die auch die Verortung der Schreibweisen zwischen universitären und popspezifischen Diskursen betreffen, sind in diesem Zusammenhang äußerst signifikant. (…)

 

Christine Kanz in Postmoderne Literatur in deutscher Sprache: Eine Ästhetik des Widerstands?, hg. von Henk Harbers, Rodopi, Amsterdam/Atlanta, 2000, S. 123ff.:

Postmoderne Inszenierungen von Authentizität?

Zur geschlechtsspezifischen Körperrhetorik der Gefühle in der Gegenwartsliteratur

Feminist theory and postmodernism have developed into today’s leading ways of thought. There are a number of affinities in their critique of the enlightenment of modernity, but there are also fundamental differences. There is a common agreement in contemporary theories that categories like ›body‹, ›woman‹, ›man‹, ›sex‹ and ›gender‹ are discursive products. As far as German literature is concerned, a discrepancy can be noticed between literary theory and literary practice. In the nineties, many literary texts again favour the concept of body as a guarantee of authenticity. Contrarily, we can more easily find postmodern features in the literary texts of former decades, for example in literary texts of the seventies, such as those of Ingeborg Bachmann. The different ways emotions like anxiety are displayed by body-talk and are described in literary texts show the effects of conscious re-staging. The mimetic re-staging of the so-called authentic articulation of emotion by female body-talk (like other so-called natural phenomena) in literary texts shows that the body is artificially constructed both as a place where different kinds of discourses meet and as a place of dissimulation. Those texts (which present the mimetic re-staging of ›authentic‹ articulation of feelings) show that ›femininity‹ and ›masculinity‹ are only cultural constructions and that their ›authenticity‹ (their so-called essence) can be shifted in a playful way. So, some literary texts in the seventies are more postmodern than most of the literary texts in the nineties. Thomas Meinecke’s novel Tomboy, which was published in 1998, can be regarded as an exception.

(…)

1998 erschien ein Text, der kein Nischenroman ist, und der, obwohl der Genderdiskurs und Feministinnen im Mittelpunkt stehen, schwerlich zur sogenannten Frauenliteratur gerechnet werden dürfte. Er ist von einem Mann geschrieben, und nicht nur für Kennerinnen und Kenner der gender studies, sondern auch für Popculture- und Trashculture-Fans gleichermaßen konzipiert. (…) Sämtliche Women-, Men-, Gender-, Queer-, Cyber- und Cross-dressing-Strömungen laufen hier zusammen. Neben der Gendertheoretikerin Judith Butler tummeln sich Namen wie Marjorie Garber, Donna Haraway, Nancy Fraser, Caroline Walker Bynum, Barbara Vinken, Barbara Duden, Silvia Bovenschen oder Luce Irigaray. (…) Alle reden, singen, schreiben in dem Text überall und immerzu über gender. Immer wieder läßt Meinecke relativ konkretes gendertheoretisches Wissen einfließen. Wie etwa die These, daß Männlichkeit und Weiblichkeit lediglich soziokulturelle Diskursprodukte sind, daß auch sex, das biologische Geschlecht, dem kulturell konstruierten gender nicht vorgängig sein kann, da es selbst nur mehr ein diskursives Konstrukt ist, und daß Lacan den Begriff »Phallus« lediglich metaphorisch verwendet wissen will. Seine Kenntnisse zeigen sich auch dann noch, wenn traditionelle Geschlechterrollen ganz offensichtlich vertauscht werden oder wenn Geschlechterklischees auf die Spitze getrieben und dadurch persifliert werden sollen. Fast so wie es Judith Butler in Unbehagen der Geschlechter eingefordert hat. Ob Thomas Meinecke wirklich Texte von Lacan gelesen hat oder von Freud ist dabei letztlich gleichgültig. Im Text heißt es denn auch einmal lakonisch: »Wozu Freud lesen, wenn Butler ihn für uns gelesen hat?«

Meinecke hat sämtlichen postmodernen Ansprüchen Genüge getan. Er hat die gender studies in einen neuen Kontext gestellt und, für alle, neu aufbereitet. Was hier über sie zu lesen ist, wirkt auf die Gendertheoretikerin im universitären Elfenbeinturm genauso lächerlich wie auf den Trashculture-Fan auf der Straße. Männliche wie weibliche Gendertheoriediskutanden werden entmystifiziert. Die Geschlechterdifferenz wird in den literarischen Text eingeschrieben, eine grundlegende Skepsis gegenüber den Ansprüchen feministischer Vernunft artikuliert. Damit macht Meinecke mit der feministischen Theorie das, was die postmodernen Theoretiker mit der Moderne im Sinn hatten.

Im Gegenzug dazu hat die feministische Theorie verstärkt darauf zu achten, daß ihre ursprünglichen Ziele nicht ›wegrecycelt‹ werden.

 

Hans-Peter Kunisch in Aufgerissen. Zur Literatur der 90er, hg. von Thomas Kraft, Piper, München, 2000, S. 160f.:

Ein Schelm und alle Theorie

Thomas Meinecke und seine musikalische Buch-Schriftstellerei

(…)

Meinecke experimentiert hier, wie Norbert Niemann in Teilen von Wie man’s nimmt (1998), mit der Möglichkeit eines Gedanken- und Theorieerzählens, das am ehesten noch in der Tradition von Robert Musil steht und bei Meinecke eine wunderbare Leichtigkeit gewinnt. Wesentlich entpolitisiert – zum ersten Mal hat Meinecke sich in seinem Text weitgehend rausgehalten –, werden seine Figuren von den harmlosen Studentenprotesten des Herbstes 1997, an denen die ältere Frauke Stöver teilnimmt, beim Krocketspielen im Garten, im Dirndl- und Teddybärenkostüm, überrascht. Ein Sittenbild der Gegenwart. Doch Meinecke, spätestens seit der Vereinigung von DDR und BRD repolitisiert, zeigt kurz eine parallele Welt, einen Diskussionszirkel, der die RAF-Kampfschrift Stadtguerilla und Klassenkampf (1972) debattiert. »Deren Inhalt in Kürze: Konzerne und Staat; die westdeutsche Innen- und Außenpolitik als Politik der Konzerne; die multinationale Organisation der Konzerne und die nationale Beschränktheit des Proletariats (…), die objektive Aktualität der sozialen Frage, sprich Armut in der BRD; dagegen die subjektive Aktualität der Eigentumsfrage; Reformismus und der Unterschied zwischen CDU und SPD«, kurz: eine Liste von noch zu Beginn des dritten Jahrtausends aktuellen Fragen.

(…)

 

Moritz Baßler, Der deutsche Pop-Roman. Die neuen Archivisten, C. H. Beck Verlag, München, 2002, S. 135ff.:

Thomas Meinecke oder Der Diskurs

Der Diskurs ist die Musik, und nicht umgekehrt. Thomas Meinecke (*1955) ist zwar Discjockey und Musiker der Gruppe Freiwillige Selbstkontrolle (F.S.K.), und er hat die Technik seines Romans Tomboy (1998) mit Plattenauflegen und Samplen verglichen, aber es geht in seinem Buch nicht um Musik, sondern es geht um die literarische Archivierung eines Diskurses. Meinecke wählt dazu den Gender-Diskurs der 1990er Jahre, und diese Wahl darf man getrost als kühn bezeichnen. Denn erstens ist das ein Diskurs, der vorwiegend von Feministinnen getragen wird, wodurch dem unambig männlichen Autor von vornherein eine wenig glückliche Position zugewiesen scheint, und zweitens ist es ein durch und durch akademischer Diskurs und damit scheinbar das Gegenteil von Pop, wenn nicht von Literatur überhaupt. Fettnäpfchen allenthalben. Meinecke übersteigt sie durch zwei überaus traditionelle, im gegebenen Falle aber geradezu geniale Kunstgriffe: Er lokalisiert und terminiert den Diskurs. Der Roman spielt in der Umgebung der Universitätsstadt Heidelberg, deren Features – American Barracks, Odenwald, Steinbrüche, Ludwigshafen, BASF – durchaus ein Eigenleben gegenüber dem Diskurs entwickeln, und er folgt dem Verlauf des Jahres 1997, dessen Nachrichtenereignisse konsequent mitberichtet und von den handelnden Personen reflektiert werden. Das ist eine Art freiwillige Selbstkontrolle (…): einigermaßen überschaubare Koordinaten, innerhalb derer sich der Vollständigkeitswahn, wie er jedem Archivierungsprojekt innewohnt, produktiv austoben kann. Denn das Ganze ist zwar durchaus als Experiment »mit der Möglichkeit eines Gedanken- und Theorieerzählens« denkbar, aber weniger, wie Kunisch meint, »in der Tradition von Robert Musil«. In Tomboy dient die narrative Form nämlich nicht, wie im Mann ohne Eigenschaften, als Medium der Theorie – der Text ist überhaupt nicht essayistisch –, sondern eben als Medium der Archivierung eines Theoriediskurses mit Sitz im – wie auch immer akademischen – Leben. Also wenn schon, dann – statt Musil – wieder einmal eher Flaubert. Wie dessen Bouvard und Pécuchet, so sind auch Meineckes Helden, allen voran die Hauptfigur Vivian, sowohl Kopisten als auch (Selbst-)Versuchskaninchen des Diskurses. Vivian schreibt eine Magisterarbeit, die das Werk Otto Weiningers mit aktuellen Fragestellungen aus dem Gender-Bereich verbindet. Der Roman nimmt das als Lizenz für das Exzerpieren zahlreicher Zitate, angeeigneter Gedanken und origineller Überlegungen, die die Protagonistin denkt, liest, kommuniziert oder – konsequent in Frageform – »in den Flüssigkristall hämmert«, soll heißen: ihrem Laptop anvertraut. Parerga und Paralipomena einer Heidelberger Magisterarbeit in Gender-Studies – daß man so etwas mal freiwillig als Roman würde lesen wollen! Aber weite Teile des Textes sind exakt in dieser Manier gemacht:

»Hans kratzte sich am Hinterkopf. Mal eine ganz dumme Frage, sagte er: Wenn nun tatsächlich, nach Judith Butler, der Körper ein Text ist und das Subjekt als solches gar nicht existiert, also vielmehr von einer Art, dein Ausdruck, Frauke, Perpetuum mobile auszugehen ist, welches sich in einem, ich sage mal, unablässig plappernden Prozeß der gestischen bis verbalen Sinngebung sowohl manifestiert als erschöpft, ist natürlich auch das sogenannte Weibliche ein Effekt dieser Praxis. Und wenn, wie es bei Meret Oppenheim heißt, die Männer ihre weiblichen Anteile auf die Frauen, welche das patriarchalische Zentralgestirn, Trabanten gleich, umkreisen, projizieren, stellen diese dann eine ausgelagerte Teilmenge dessen dar, was wir einst als männliches Subjekt mißverstanden, nämlich überschätzt haben? Oder eine Restmenge dessen, was, vor Judith Butler, als Objekt zu bezeichnen gewesen wäre? Schon bei Luce Irigaray ist ja sowohl das Selbe als auch das Andere männlich markiert. Ja, was ist denn nun eigentlich eine Frau, mischte sich Angela Guida ganz plötzlich, auffallend ungeduldig, geradezu suggestiv, wieder ein, und was ist in ihr drin?«