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Eigentlich werden ja nur die Anderen immer älter - an einem selbst geht die Zeit vollkommen spurlos vorüber. Zumindest solange, bis plötzlich diese Falten auftauchen und man die Speisekarte im Restaurant in den Nebenraum stellen muss, um sie ohne Brille lesen zu können. Auch als Alexandra Reinwarth die 40 überschritt, waren das die ersten Anzeichen dafür, dass sich etwas veränderte und wie sich im Laufe der Zeit herausstellte, war es nur der Anfang. Denn plötzlich gehört man eben nicht mehr zu den jungen Wilden, für die Spaß, Karriere, die Suche nach dem perfekten Partner und die Verwirklichung der Lebensträume ganz oben auf der Agenda stehen. Im Gegenteil setzt man sich damit auseinander, wie das Leben bisher gelaufen ist, man muss sich von Träumen verabschieden, man verliert Menschen, die einem nahe stehen, Ehen werden geschieden, Kinder werden groß, Eltern alt – das erste künstliche Hüftgelenke im Freundeskreis gibt es auch schon. Und natürlich ist der behandelnde Arzt jünger als man selbst. In ihrer unnachahmlichen humorvollen Art widmet sich Bestsellerautorin Alexandra Reinwarth in ihrem neuen Buch dem großen Thema Älterwerden. Und weil es eben Alexandra Reinwarth ist, bleibt auch in ihrem neuen Buch kein Auge trocken, es darf wie immer gelacht und auch sonst jedes Gefühl gezeigt werden.
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Seitenzahl: 203
Ich weiß nicht, warum das Älterwerden immer mit Bauarbeitern und Nachpfeifen in Verbindung gebracht wird – das Älterwerden von Frauen wohlgemerkt. So wie ich das sehe, sind Bauarbeiter das geringste Problem an der ganzen Älterwerden-Sache. Also eigentlich gar keines. Ich kenne auch keine Einzige, die jemals gesagt hätte: »Also, dass diese dicken, schwitzenden Typen mir jetzt nicht mehr ›Hey Puppe!‹ hinterherrufen, das fehlt mir irgendwie schon.« Das hat noch nie eine gesagt, jemals. Vielleicht ist es eher symbolisch gemeint für diesen komischen Moment, in dem man merkt, dass auch diejenigen Herren, die durchaus noch ins eigene Beuteschema fallen, an einem vorbeisehen wie an einer Zimmerpflanze.
Wann hat dieses Älterwerden überhaupt angefangen? Wenn ich mich recht erinnere, war ich vor ein paar Tagen noch Mitte/Ende zwanzig. Oder irgendwas mit dreißig. Jedenfalls sprach mich noch niemand mit »Sie« an, was einen besonders trifft, wenn man sich selbst insgeheim denkt: Ach, du siehst aber süß aus. – Aua.
Das war kurz nachdem ich merkte, dass ich mit ›Jugend‹ schon länger nicht mehr gemeint war, und als die Klamotten wieder modern wurden, die ich noch getragen habe, als sie das erste Mal modern waren.
Schließlich häuften sich die Schlüsselmomente und aus meinem Mund kamen Sätze, die ich von meiner Mutter kannte – und die plötzlich Sinn ergaben! Hat das erst einmal angefangen, geht es dahin:
Man scrollt auf Webseiten eine halbe Ewigkeit, bis man beim eigenen Geburtsjahr angekommen ist – und wundert sich, dass die 1987 Geborenen heute auch schon 30 Jahre alt sind!
Die erste teure Augencreme zieht ins Badezimmer ein und man erwischt sich dabei, dass man den Artikel über die Hyaluron-Wunder-Faltenauffüllung jetzt echt gelesen hat.
Die beste Freundin bekommt eine künstliche Hüfte (echt wahr! Jana hat jetzt eine Titanhüfte!) und klar – der behandelnde Arzt ist JÜNGER ALS MAN SELBST!
Außerdem kann man die Speisekarte im Restaurant nur noch lesen, wenn jemand so nett ist und sie an der nächsten Straßenecke für einen hochhält. Es ist eine Frechheit.
Irgendwann stellt man sich dieser Ansammlung unschöner Neuerungen und sieht den Tatsachen ins Auge: Alles deutet darauf hin, dass man tatsächlich nicht ewig jung bleibt. Das wusste man natürlich schon vorher, hat aber dieses Wissen trotzdem irgendwie nicht auf sich bezogen.
Wenn dann noch das Lied »Ich war noch niemals in New York …« im Radio kommt und man tatsächlich noch nie in New York war, dann gute Nacht. Nicht wenige Männer in meinem Umkreis halten nun den Moment für gekommen, eine Affäre oder das Motorradfahren anzufangen, und die Frauen sehen erst mal dumm aus der Wäsche. Dann rappeln sie sich auf, machen doch diese Hyaluron-Sache oder lassen sich zumindest die Haare färben und gehen anschließend in Rudeln aus, um auch eine Affäre anzufangen.
Während all diese Sachen passierten, schrieb ich gerade an einem Buch, das Am Arsch vorbei geht auch ein Weg 1 hieß, in dem ich eine unliebsame Freundin losgeworden bin: Kathrin.
Einige haben damals schon Bekanntschaft mit Kathrin gemacht, wer sie nicht kennt, dem sei so viel gesagt:
Kathrin ist ganz, gaanz arm dran. Wenn man ihr so zuhört beim Beschweren, Lamentieren und Leiden, ist man fast versucht, eine Hilfsorganisation zu gründen: Rettet Kathrin e. V.! Doch irgendwann merkte ich: Kathrin braucht gar keine Hilfsorganisation, sondern einen Tritt in den Hintern.
Das dauerte allerdings eine Zeit lang, eine Zeit, in der ich sie nach Kräften unterstützte, auf ihren Hund aufpasste und auf ihr Haus, ihr Erledigungen abnahm und ihr alles lieh, was sich in meinem Haushalt befand, außer L. Wobei – beinahe hätte sie den auch noch in Anspruch genommen: L. hat nämlich eine Motorsense – ein unfassbar lautes Gerät, das man laut L. aber AUF JEDEN FALL braucht, wenn man einen Flecken Gras vor der Türe daran hindern will, in den Himmel zu wuchern.
»Duuuu? L. hat doch so eine Motorsense?«, hat mich Kathrin da mit einem Blink-Blink-Augenaufschlag gefragt, als wolle sie mit mir in die Kiste. Und während ich noch dachte, ich müsste ein klein wenig Überzeugungsarbeit leisten, wenn ich L. die Sense aus den Rippen leiern will, um sie Kathrin zu leihen, war die schon einen Schritt weiter: Ob L. ihr nicht den Rasen in Ordnung bringen könnte? Weil sie doch keine Zeit hätte? Blink-Blink?
Das war der Moment, in dem ich zum ersten Mal etwas stockte. Lustigerweise war das nicht ein Moment, in dem es darum ging, dass ich ausgenutzt werde, sondern in dem L. ausgenutzt werden sollte, und das wiederum bringt so freundlich-dämliche Leute wie mich in einen Zwiespalt, denn ich will ja weder den einen noch die andere verstimmen. Aber dieser Fall war eine Pattsituation. Ich habe ihr dann auch prompt nicht sofort das Fell über die Ohren gezogen, sondern bin nach Hause gedackelt und habe L. ausgerichtet, was Frau Blink-Blink da von ihm wollte. Dann zog L. Kathrin das Fell über die Ohren – verbal, versteht sich. Ob die denn noch alle Tassen im Schrank hätte? Dass seine Zeit genauso wichtig wäre wie ihre und dass er nicht im Traum daran denke, ihr Grundstück zu bearbeiten – wo wir da hinkämen? Und während L. so dahinschmetterte, kam mir eine ganz abstruse Erkenntnis: dass ja eventuell auch meine Zeit ebenso wichtig ist wie die Kathrins!
Als ich Kathrin dann schließlich mit einem herzlichen »Fick dich!« und einem Blink-Blink zum Teufel schickte, spürte ich das erste Mal diese unglaubliche Erleichterung, die sich breitmacht, wenn man genau das tut, was für einen richtig ist. Ohne sich darum zu scheren, wie das alle anderen finden.
Daraus resultierte das ›Arsch-vorbei-Projekt‹, bei dem ich mich in meinem Leben umsah, was ich sonst noch an ebendiesem vorbeizischen lassen könnte. Das war lustig und befreiend und hat mir viele erholsame Nickerchen auf der Couch beschert, die ich ansonsten bei Umzügen von Freunden, Konfirmationen von Kindern von Freunden oder unsagbaren Poetry-Slam-Auftritten von Tom verbracht hätte. Unbezahlbar.
Ich merkte aber auch während dieses Projekts, dem allem liegt eine Gemeinsamkeit zugrunde, etwas Wichtigeres, das sich in den letzten Jahren langsam entwickelt hat:
Ich will generell meine Zeit nicht mehr vergeuden.
Nicht in dem Sinne, vor dem man früher von den Eltern immer gewarnt wurde, wenn man auf dem Sofa lag und den ganzen Tag nichts machte außer Tetris zu spielen oder Ähnliches.
Nein, in dem Sinn, dass ich keine Zeit mit Leuten oder Dingen verbringen möchte, die ich blöd finde (und stattdessen zum Beispiel lieber den ganzen Tag auf dem Sofa liege und Candy Crush spiele).
Ich will meine Zeit nicht mehr verschwenden, aber vor allem: Ich will alleine entscheiden, was verschwendete Zeit ist. Und Wörter wie Sofa oder Candy Crush kommen in diesem Zusammenhang mit Sicherheit nicht vor.
Das hat sich langsam entwickelt und es ist für mich die bedeutendste Auswirkung des Älterwerdens. Das, und dass man nicht mehr ohne Geräusche zu machen vom Boden aufstehen kann.
Wenn es Ihnen ähnlich geht und Sie auch keinen Bock haben, wegen grauer Haare oder ein paar Falten zu verzweifeln, und sich gerne mit mir ansehen, was Älterwerden tatsächlich so mit sich bringt und was daran absolut fantastisch ist, dann gehen wir es an. Wir haben keine Zeit zu verlieren!
1 Am Arsch vorbei geht auch ein Weg, mvg Verlag 2010
Dass ich keine Zeit mehr verschwenden will, hat eine recht konkrete Auswirkung auf meine Umwelt, ich habe nämlich gemerkt, dass ich viel ungeduldiger geworden bin. Ich habe einfach keinen Nerv mehr für – Scheiß.
Besonders bekommen das meine Mitmenschen zu spüren, denn ich habe immer weniger Geduld mit Leuten.
Ich kann mich auch noch erinnern, dass ein Freund der Familie, Holger, der rund fünfzehn Jahre älter ist als ich, irgendwann einmal sagte: »Ich habe immer weniger Geduld mit dummen Leuten«, und ich mir damals dachte: Du arrogante Wurst.
Das sehe ich heute anders. Ich würde dem inzwischen vorbehaltlos zustimmen und erweitere auf:
Ich habe immer weniger Geduld mit dummen Leuten, außerdem mit Leuten, die nichts zu sagen haben und einfach so dahinlabern, nur damit die Luft scheppert. Oder mit Leuten, die sich immer nur dann melden, wenn sie etwas von einem brauchen: einen starken Arm beim Umzug, ein Ohr zum Reinjammern, etwas Know-how für ihre Webseite … Man ist fast geneigt zu fragen: »Und? Darf es noch etwas sein? Eine Niere vielleicht?« Darunter fällt zum Beispiel Kathrin, die blöde Gans.
Es fällt mir auch deutlich schwerer als früher, mit denen geduldig zu sein, die sich permanent nur selbst profilieren, bei denen man immer zum Publikum wird oder die andere niedermachen, um sich besser zu fühlen. (Jetzt, wo ich es so aufschreibe, fällt mir auf: Auch darunter fällt Kathrin, die blöde Gans.) Ich wende mich auch schnell ab von zynischen und missgünstigen Menschen und von denen, die nicht empathisch sind. (Wie Kathrin! Die ist echt ein Volltreffer!) Mir sind Menschen suspekt, die Tiere nicht mögen oder Fehler immer nur bei anderen suchen, und ich bemühe mich nicht mehr wie eine Bekloppte darum, dass mich alle Menschen reizend finden – vor allem, wenn sie es offensichtlich nicht tun.
Ich will nur noch Menschen um mich haben, die ich mag und die mir guttun. Irgendwie war ich viele Jahre dem wirklich dummen Irrtum aufgesessen, es gäbe Leute, die sind so cool und so toll, dass es ganz normal ist, dass die nicht nett zu mir sind. Die hängen eben nur mit anderen, ebenfalls echt tollen Leuten ab.
Wenn sich dann jemand mir gegenüber nicht gut benahm, dachte ich so etwas wie:
Der/die weiß eben nicht, dass ich ganz reizend bin, aber wenn ich mich anstrenge und es nur genug zeige, dann …
Oder noch besser:
Der/die ist einfach viel toller als ich.
Das hat sich gelegt. Wenn sich heute jemand mir gegenüber nicht gut benimmt, denke ich:
Ach schau, ein Arschloch!
Ich kann auch inzwischen Leute, die mir nicht guttun, viel schneller erkennen! Das ist nämlich mitunter gar nicht so leicht:
Maria zum Beispiel, die ist auf den ersten Blick wirklich nett. Sie ist sehr interessiert, kann gut zuhören und bietet immer ihre Hilfe an – und irgendwann merkt man, da stimmt was nicht. Maria macht einem nämlich alles und alle madig.
Du erzählst ihr von einem neuen Kunden, den du für die Werbeagentur an Land gezogen hast:
»Die Werbebranche ist ein echt mieser Verein.«
Du erzählst, wie süß dein Kind Huffalabumm statt Luftballon sagt:
»Na hoffentlich hat es keinen Sprachfehler.«
Du sagst, du hast einen Bestseller geschrieben, zum Beispiel ›Am Arsch vorbei geht auch ein Weg‹:
»Na ja, Pseudo-Ratgeber gehen wohl immer.«
Merken Sie was?
Wenn die einen nicht zu sich runterziehen kann, geht die Tür nicht zu. Sind diese Spitzen selten, fällt das erst mal gar nicht so auf, aber nach einem Treffen mit Maria ist man immer so ein bisschen – gedrückt. Maria ist wie eine faule Frucht: Sie schimmelt vor sich hin, und hast du nicht gesehen, riecht man selbst auch ein bisschen komisch.
Eine andere Nummer ist Richard (der sich selbst englisch ausgesprochen als Ritschard vorstellt). Ritschard weiß nämlich, wie alles ist. Immer. Alles. Wenn Sie jemals Fragen haben sollten zum Nahostkonflikt, ob man Zahnseide verwenden sollte oder falls Ihnen nicht ganz klar ist, was die einzig wahre Methode ist, ein Stück Fleisch zu braten: Fragen Sie Ritschard. Der hält mit seinem Wissen ü-ber-haupt nicht hinterm Berg. Kein Argument kann ihn verunsichern und kein Zweifel hat je seine Meinung getrübt. Selbst Erfahrungsberichte dienen Ritschard als Steilvorlage.
Ich: »Ich Depp habe gestern die heiße Pfanne angefasst, das brennt immer noch wie Feuer!«
Ritschard: »Das ist nicht ganz richtig, die gefühlte Temperatur von Feuer ist … bla, bla, bla.«
Dass dem noch niemand die Gurgel umgedreht hat, ist ein Wunder.
Oder Markus, die alte Rübe. Das ist der größte Pessimist, den die Welt je gesehen hat. Freut man sich auf Weihnachten, prangert Markus den Konsum an, isst man ein Sandwich, enthält es bestimmt etwas sehr Ungesundes, sehr aufwendig Produziertes oder vom Aussterben Bedrohtes, und wenn eine Gruppe niedlicher Kinder vor uns herumspringt, macht Markus sich Gedanken zur Überbevölkerung. Man erwähnt besser kein Land, in dem man mal im Urlaub war, sonst bekommt man umfassend Bescheid über die Missstände desselben, und denken Sie nicht, Sie kämen mit Finnland oder so ungeschoren davon: Markus weiß bestimmt, dass die dort Joghurt quälen oder zu viele Dotterblumen anbauen oder was weiß denn ich.
Man verstehe mich nicht falsch, jedes einzelne Thema ist es wert, dass man sich darum kümmert – aber manchmal will man einfach nur ein verdammtes Pastrami-Sandwich essen oder ohne schlechtes Gewissen erzählen, dass man sich auf einen Italienurlaub freut. Nach Italien fahren ist laut Markus übrigens so ungefähr das Schlimmste, was man machen kann (direkt hinter den USA).
Markus, Ritschard und Maria sind keine schlechten Menschen und sie haben auch gute Eigenschaften und es gibt sicher irgendeinen Grund für ihr Verhalten – aber ich möchte ihn eben nicht erfahren. Ich möchte lieber woanders sein, zum Beispiel in Italien und dort in Ruhe mein Sandwich essen.
Kann sein, dass einem aufgrund dieser Ungeduld mit Leuten die eine oder andere menschliche Perle durch die Lappen geht, denn manchmal ist der Liebreiz ja ein bisschen versteckt. Im Fall meiner Freundin Anne ist der Liebreiz unter ein paar sehr dicken Schichten esoterischem Gedöns versteckt. Ich kenne Anne schon seit unserer gemeinsamen Kindergartenzeit, also lange bevor die Schutzengel, diverse Karmas und andere dubiose Energien in ihr Leben getreten sind. Weil ich Anne liebe, kann ich die Schutzengel in Kauf nehmen, sie stören mich nicht. Also zumindest fast nicht. Die Rechnung Anne mit Schutzengel oder Keine Anne geht immer zu Annes Gunsten aus.
Würde ich Anne heute erst kennenlernen und würden wir uns da erst etwas hin und her unterhalten – also, wenn sie dann die Schutzengel auspackte: Ich käme am nächsten Tag nicht drauf, sie zum Kaffee zu treffen, sondern würde L. erzählen, was ich von Schutzengeln halte. Deswegen hat man die Freunde von früher auch so gerne. Man muss sich nicht mehr anstrengen, die kennt man schon! (Und sie kennen dich auch, was zumindest heißt, dass sie dich trotzdem leiden können.)
Es war früher auch viel leichter, jemanden kennenzulernen: Zum einen verbrachte man überdurchschnittlich viel Zeit mit den zunächst Unbekannten – man war über einen langen Zeitraum zusammengepfercht (in der Schule, respektive Uni) – und hatte einen gemeinsamen Feind (Lehrer, in der Regel Mathe). Heute ist man zwar auch mit zunächst Unbekannten zusammengepfercht, und zwar in der Arbeit, und in der Regel gibt es auch irgendjemanden, den man gemeinsam hassen kann, aber: Man beschäftigt sich nicht mehr so sehr miteinander. Klar weiß man, wie die anderen heißen, dies und das über ihre Lebenssituation, aber es ist doch so: Sobald sich ein Moment der Ruhe ergibt, zum Beispiel weil man auf den Beginn eines Meetings warten muss oder im Aufzug steht, schauen alle auf das Smartphone in ihrer Hand! Statt dass man von einem Meetingstühlchen zum anderen fragt: »Wie geht es deinem Vater nach der OP? Erholt er sich gut? Ist er schon wieder zu Hause?«, guckt man lieber noch schnell ein Video mit betrunkenen Bibern, das man gerade per WhatsApp bekommen hat. – Ich nehme mich da nicht aus.
Abgesehen von dieser wirklich beunruhigenden Entwicklung siebt man Leute auch viel schneller aus als früher, ich erwische mich da permanent:
Unbekannte: »Also vom Sternzeichen her müsste ich ja viel mehr … bla, bla, bla«, und schon wandert meine Aufmerksamkeit zu anderen, interessanteren Dingen. Zum Beispiel zu einer Ameisenstraße. Oder ich überlege, was ich heute zu Mittag essen könnte. Das geht inzwischen zipp-zapp bei mir. Und es geht nicht nur schneller mit dem Aussieben, die Löcher im Sieb sind auch größer geworden.
Unbekannte: »Ich widme mich dem Outsourcing im Finanzsektor, was im Globalisierungszeitalter ein durchaus probates Mittel …«, und schon denke ich: Pasta mit Meeresfrüchten! Das wär’s!
Beinahe wäre mir durch diese Sieblöcher auch die gute Hummel durchgeflutscht. Die Hummel heißt mit Nachnamen tatsächlich Hummel und ich habe sie in einem Schminkkurs kennengelernt. Ich gehe normalerweise nicht zu Schminkkursen, ich schminke mich noch nicht mal besonders gerne, aber ich hatte mich ja auch nicht dafür angemeldet: Meine Freundin Jana hatte mich angemeldet, die wollte nämlich nicht alleine hingehen. Ich ließ mich breitschlagen und wer dann doch nicht konnte, war, genau: Jana. Der Kurs fand nicht in der Volkshochschule statt, wo ich sonst gerne hingehe, sondern bei einem erfolgreichen Film-und-Fernseh-Hair-und-Make-up-Artist. Als ich das erfuhr, habe ich eventuell da schon das erste Mal mit den Augen gerollt. »Erleben Sie, was Make-up kann!«, hieß es in der Bestätigungsmail von unserem Artisten und nur die Höhe des Beitrags hielt mich davon ab, an dem Abend doch lieber ein Nickerchen zu machen. Das und dass ich immer mindestens fünf Versuche brauche, bis ich mit meinem Eyeliner diesen blöden Kajal-Lidstrich auf die Augen hinbekomme, inklusive mehrmaligem Abwischen, woraufhin ich schwarze Ringe um die Augen habe und aussehe wie ein Panda. Nur nicht so niedlich. Vielleicht ließe sich das ja ändern – und ganz vielleicht hoffte ich irgendwo in meinem Inneren, doch noch eine wunderschöne Prinzessin zu werden …
Jedenfalls stand ich zusammen mit vier anderen Damen an einem schönen Donnerstagabend (zur besten Voice-of-Germany-Sendezeit) im Eingangsbereich eines Reihenhauses in Oberbröckelaurach. Dort wurde vor Ziegelsteintapete und Echtholzgarderobe ein Glas Prosecco gereicht. Unser erfolgreicher Film-und-Fernseh-Make-up-Artist (»Ich bin der Basti«) wohnte nämlich im Dachgeschoss bei seinen Eltern.
»Wenn man so viel in der ganzen Welt unterwegs ist wie ich, ist so eine Homebase totaaal wichtig«, sagte er, und eine kleine Stimme in meinem Hinterkopf raunte: und totaaal billig. Er wackelte vor uns die Treppe nach oben und schwang dabei die Hüften, als wolle er Dinge zur Seite befördern, die da gar nicht standen.
Der Artist war Mitte vierzig, braun gebrannt, hatte blonde Strähnchen und trug weiße Turnschuhe sowie eine dieser bescheuerten Wollmützen, die so nach hinten lappen, und auch er hoffte tief in seinem Inneren, doch noch eine wunderschöne Prinzessin zu werden, so viel war klar. Ich konnte ihn sofort nicht leiden. Früher fand ich so extrem tuntige Typen lustig – aber seit mir irgendwann aufgefallen ist, dass ich bei Frauen so ein überzogenes Getue auch nicht ausstehen kann, geht es mir bei Männern auch auf den Keks.
»Sooo, willkommen in meinem Schloss«, flötete es und dann standen wir in einem ausgebauten Dachboden mit Mini-Küchenecke und einem riesigen Bücheregal als Raumteiler, hinter dem sich das Bett befand. Hätte man heimlich und aus neugierigen Gründen einen Blick hinter das Bücherregal geworfen, hätte man auf dem Bett eine kuschelige Tiger-Tagesdecke sehen können sowie einen riesigen Stofftiger, der dort diagonal drapiert war – das hätte man, hätte man um das Regal gelurt.
Auf dem kleinen Esstisch war ein Profi-Schminkkoffer aufgeklappt, dahinter ein Spiegel mit überproportional vielen Glühbirnchen drum herum. Die vier anderen Damen waren eine Gruppe der Marke Junggesellinnenabschied: ein Haufen unentwegt plappernder und giggelnder Hühnchen in zu engen Slim-Stretch-Jeans, die sich über unseren Schmetterling wegschmissen vor Lachen.
Das ganze Trara um die Schminkerei zog sich dann fast zwei Stunden und ich habe das meiste vergessen, außer dass man Liquid Make-up nicht bis zum Gesichtsrand auftragen soll, das gäbe sonst immer Ränder. Das ist eine magere Ausbeute für knapp zwei Stunden Unterricht, finden Sie? Das finde ich auch, aber als der Make-up-Artist anfing, über die Unterschiede zwischen Business Make-up und Abend-Gala-Make-up zu referieren, ging es bei mir wieder los:
Oder wie wäre es mit Lasagne? Vielleicht Gamba-Lasagne? Und danach einen Flan? Muss man zu italienischem Essen eigentlich italienische Nachspeisen reichen? Usw. …
Das eigentlich Interessante an diesem Abend passierte eh erst hinterher, ich vergaß nämlich meinen Schal beim Make-up-Artist. Den guten Schal aus der Unterwolle von irgendeinem sehr, sehr weichen Tier, den mir meine Mutter vor Jahren geschenkt hat. Das ist an sich noch nichts Besonderes, ich musste lediglich den ganzen Weg nach Oberbröckelaurach wieder zurückfahren, aber als ich klingelte und sich die Tür öffnete, stand da ein sehr, sehr verheulter Make-up-Artist und zog hörbar den Rotz hoch.
Basti Hummel, die Hummel, war soeben recht kurz und ruppig von seinem Freund per WhatsApp verlassen worden. So tun, als wäre nichts, den Schal schnappen und weg, wäre eine Option gewesen – aber das bringt ja kein Mensch übers Herz und so fragt man natürlich doch, was denn los sei, und während das Hummelchen noch beteuerte, alles wäre schon in Ordnung, springen ihm die Tränen aus den Augen wie aus einem Wasserspeier.
An diesem Abend habe ich Sebastian Hummel kennengelernt, und eins ist gewiss: Wer die Hummel kennt, liebt sie. Sie ist nämlich tatsächlich eine wunderschöne Prinzessin, wenn auch mit einem fragwürdigen Geschmack in Sachen Mützen und Männer. Das affige Getue – well. Wenn es zu schlimm wird, denke ich an Annes Schutzengel und dann geht es wieder. Oder ich haue der Hummel einen Ellbogen in die Seite, sie hält nämlich was aus. Sie ist außerdem mein wandelndes, tuntiges Mahnmal all jener coolen Menschen, die ich nicht in mein Leben gelassen habe, weil ich ungeduldig, vorschnell und eine arrogante, oberflächliche Kuh geworden bin. Jeder sollte eine Hummel haben.
Wer unter meiner mangelnden Geduld noch mehr zu leiden hat als mein privates Umfeld, ist mein berufliches Umfeld sowie alle Menschen, von denen ich etwas will oder brauche und die sich in dem betreffenden Moment nicht sehr geschickt anstellen.
Freundliche Nachsicht mit begriffsstutzigen Kollegen finde ich anstrengend und manchmal rolle ich so sehr mit den Augen, dass sie mir fast in den Kopf fallen. Mehr oder weniger gut versteckt. Ich werde ungeduldig am Telefon, auf Ämtern sowie generell, wenn jemand für eine Handlung meinem Empfinden nach einfach zu lange braucht. Das ist nicht besonders sympathisch und auch nicht besonders hilfreich, was mein Anliegen angeht, ABER ICH HABE EBEN NICHT DEN GANZEN TAG ZEIT!
In meinem Job in der Werbeagentur sieht das so aus, dass ich versuche, nur noch mit denjenigen Kollegen der anderen Fachbereiche zusammenzuarbeiten, die Erfahrung haben in dem, was sie tun, und hell auf der Platte sind. Das klappt natürlich nicht immer und hat zur Folge, dass ich Sachen sage wie:
»Kannst du mir die Antworten auf meine Fragen bitte in einer Mail zusammenfassen, statt fünf Mails zu schicken?«, oder:
»Kannst du bitte die lustigen Emojis weglassen?«, oder, mein Favorit:
»Hast du meine Mail bekommen? Kannst du bitte drauf antworten?«,
und am Abend muss ich dann gleich noch ein Glas Wein mehr trinken und das ist ja auf Dauer auch nicht gesund. Daher trifft es mich auch schwer, dass meine Lieblingskollegin Birgit gekündigt hat. Wenn ich Birgit fragte: »Bis wann brauchst du den Text?«, kam als Antwort kurz darauf ein konkretes Datum plus die Info, um wie viele Tage ich die Abgabe maximal überziehen kann. Damit kann man arbeiten. Frage ich das Gleiche eine ihrer (zwanzig Jahre jüngeren) Nachfolgerinnen, kommt erst mal: nichts. Die müssen sich nämlich erst mal schlaumachen, kalkulieren, vergessen dann, mir kurz zu antworten, und schreiben Tage später auf meine Nachfrage (siehe »Hast du meine Mail bekommen? Kannst du bitte drauf antworten?«): »Am 3. März!« – mit drei lachenden, hüpfenden Emojis. Zwei Wochen später kommt dann ein aufgeregter Anruf, man hätte sich mit der Zeit vertan und alles müsste jetzt doch schon morgen fertig sein oder besser noch heute Nachmittag – ob das ginge?
All das ist natürlich verständlich, die Nachfolgerinnen haben noch nicht so viel Erfahrung, je jünger, desto Emoji, und sie siezen mich mit einer gewissen freundlichen Vorsicht. – Aber wie Hape Kerkelings wunderbare Figur Gisela das so schön sagte: »Isch möschte das nischt.«
Isch möschte Birgit, die alte Hupe.