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Patrick wird durch ein Weinen aus dem Schlaf gerissen. Seine Frau Sam liegt zusammengerollt auf dem Boden des Schlafzimmers und schluchzt. Als er versucht, Sam zu trösten, lässt sie sich nicht von ihm anfassen. Und dann dreht sie sich zu ihm um und sagt mit der unschuldigen Stimme eines kleinen Mädchens: »Ich bin nicht Sam«. In den folgenden Tagen muss Patrick zusehen, wie seine geliebte Frau eine völlig neue Persönlichkeit entwickelt. Die Frau, die einst Sam Burke war, ist jetzt die fünfjährige Lily ... Packender psychologischer Schrecken. Lieben wir den menschlichen Körper oder die menschliche Seele? Ketchum und McKee haben mit ICH BIN NICHT SAM ein beunruhigendes kleines Meisterwerk geschaffen. Die Buchausgabe ist nur über die Verlagswebseite zu beziehen: https://www.festa-verlag.de/ich-bin-nicht-sam.html
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Seitenzahl: 149
Veröffentlichungsjahr: 2019
Aus dem Amerikanischen von Thomas Schichtel
Impressum
Die amerikanische Originalausgabe I’m Not Sam
erschien 2012 im Verlag Sinister Grin Press.
Copyright © 2012 by Dallas Mayr & Edward Lucky McKee
Copyright © dieser Ausgabe 2019 by Festa Verlag, Leipzig
Titelbild: Arndt Drechsler
Lektorat: Marion Mergen
Alle Rechte vorbehalten
eISBN 978-3-86552-798-1
www.Festa-Verlag.de
Ich bedanke mich für dieses Buch bei Paula White, Alice Martell und Kristy Baptist – jede von ihnen weiß sehr gut, warum – sowie bei Caroline, Ana und Jodi von der Theke für ihre Kleine-Mädchen-Modetipps.
– Jack Ketchum
Zwei Namen stehen auf dem Titelblatt dieses Buches, aber niemand würde diese beiden Namen zusammen sehen, wenn nicht die Trägerin eines dritten dafür gesorgt hätte: Alice Martell. Ich danke dir dafür, Alice, dass du unsere Arbeit mit Niveau vertrittst. Ich schätze, wir ergeben ein prima Trio. Auf mehr! Ich bin froh, von dir vertreten zu werden.
– Lucky McKee
Von Lucky McKee:
»Das Netteste auf der Welt, was du für jemanden tun kannst, ist ihm zu erlauben, dass er dir hilft.«
– John Steinbeck, SWEET THURSDAY
Von Jack Ketchum:
»Liebe ist Freundschaft, die Feuer gefangen hat.«
– Bruce Lee
Einleitung
von Jack Ketchum
Im Alltagsleben sieht man keine Anfänge und keine Abschlüsse. Selbst die erstaunlichsten, das Leben umwälzenden Ereignisse werden – es sei denn, sie sind tödlich – in einem fort und anhaltend durch andere Ereignisse gepuffert und umtost, was den Einfluss jedes einzelnen dämpft.
Anders in Erzählungen. Erzählungen sind wie Musik. Sie beginnen und enden in Stille. Zunächst ist da gar keine Musik, dann spielt sie und dann ist sie verstummt. Und wiederum wie bei der Musik – falls sie gut ist – sollte die Stille am Ende eine Resonanz ergeben, die über sich hinauswächst. Ein lautes oder leises Summen im Ohr, das sowohl dich, den Leser, als auch die spezielle Story zufriedenstellt.
Weil eine Erzählung etwas aussagen will. Manchmal vieles. Sie möchte erreichen, dass du an ihrem Ende stockst und nachdenkst und etwas fühlst. Sie braucht also einen klaren Entwurf, ihre Ausrufezeichen, einen Vorhang, der sich öffnet und schließt. Das Leben hat nur einen Vorhang, den, der sich schließt. Das ist Mist.
Ich bin nicht Sam nahm seinen Anfang als Idee zu einer Kurzgeschichte, die Lucky und ich für einen kurzen Film adaptieren wollten.
Dann wuchs das verdammte Ding.
Die Grundidee, an sich recht einfach, erzeugte immer wieder neue Triebe und Zweige und Blätter, während wir durch tägliche E-Mails, die zwischen uns hin- und hergingen, daran arbeiteten. Wir wurden ein bisschen verrückt. Wir verliebten uns in die Figuren. Wir hatten Spaß.
Als wir uns ans Schreiben machten, wurde recht bald deutlich, dass sich der Text zu einer Novelle auswachsen würde, nicht nur zu einer Kurzgeschichte – und noch dazu einer recht langen Novelle. Kein Problem. Eine Novelle hat so ziemlich die perfekte Länge, um sie für einen Film zu adaptieren. Macht man das mit einer Kurzgeschichte, muss man erweitern und hinzufügen. Bei einem Roman muss man komprimieren und weglassen.
Die Sache ist die: Die Regeln und Erfordernisse von Prosa sind nicht die gleichen wie die eines Films. Prosa ist viel lockerer.
Der moderne Film ist meistens in drei klar erkennbare Akte unterteilt. Wie viele Autoren und Regisseure jedem gern erklären, ist das ein schrecklicher Fall von falscher Voraussetzung, denn die Akte werden nicht von der Komplexität der Story definiert oder von der Vision des Regisseurs, sondern einfach von der Laufzeit. Der Vertrieb und die Kinobetreiber möchten ihren Film etwa alle zwei Stunden abspielen, um möglichst viele Vorstellungen anbieten zu können und dadurch ein Maximum an Geld einzustreichen. Die Tage von Spartacus und Ben Hur und prachtvoller Einleitungen und langsam aufziehender Vorhänge sind vorbei, Leute!
Der erste Akt eines modernen Films dauert vielleicht 20 oder 30 Minuten. Er etabliert den Ausgangspunkt, stellt die Charaktere vor und leitet die Action ein.
Der zweite Akt ist etwa 45 Minuten bis eine Stunde lang. Er kompliziert die Ausgangslage und baut die Charaktere weiter auf. Er versucht, den Zuschauer tiefer ins Geschehen hereinzuziehen.
Dann folgt der dritte Akt. Der dritte Akt verknüpft hoffentlich alle losen Fäden, die bislang gesponnen wurden, und treibt die Handlung auf den Höhepunkt, sodass sich der Zuschauer freut, sein schwer verdientes Geld ausgegeben zu haben, statt die Zeit zu Hause mit einem Bier und Kabelfernsehen zu verbringen. Der dritte Akt ist wieder etwa 20 bis 30 Minuten lang.
Für einen Prosatext existieren solche Regeln nicht. Sicher, jede Prosa, die es lohnt, gelesen oder geschrieben zu werden, hat einen Anfang, eine Mitte und ein Ende, aber niemand steht dabei mit der Stoppuhr hinter dem Autor. Der Anfang kann ein paar Absätze umfassen, wenn man möchte. Das Ende kann in einem schlichten Hieb in den Bauch bestehen.
Solange man die Regel der Stille einhält.
Eine Stille mit Resonanz und Bedeutung.
Als wir mit Ich bin nicht Sam fertig waren, hatten wir das Gefühl, einen ziemlich guten Song gespielt zu haben. Wir waren mit dem Text glücklich und zufrieden. Wir fanden, dass er funktionierte.
Dass er als Novelle funktionierte. Nicht jedoch als Film. Nicht ganz.
Das Ende war wirklich ein einzelner Hieb in den Bauch. Absolut okay, soweit es uns als Prosaautoren anging.
Aber als Film fehlte ihm der dritte Akt.
So ein Mist!
Lucky und ich arbeiten aber ziemlich gut zusammen. Also brauchten wir nicht lange, um uns auf eine Lösung zu einigen.
Sam würde bleiben, wie es war, eine eigenständige Novelle. Wir wollten nicht versuchen, den Text zu erweitern. Wir nahmen uns jedoch vor, ein weiteres Stück zu schreiben, eine direkte Fortsetzung der Story, die genau an dem Punkt ansetzt, an dem Sam endet – eine Story mit einer gänzlich anderen Form von Resonanz und dem Titel Wer ist Lily? Und das taten wir dann.
Als Film würden beide Storys nahtlos ineinandergreifen. Aber hier auf den Textseiten sollte jede davon eigenständig bleiben. Dieselben Charaktere, gänzlich andere Motive und Farbnuancen.
An dieser Stelle kommst du, der Leser, ins Spiel.
Wir bitten dich um einen Gefallen, Lucky und ich. Hoffentlich findest du das nicht zu aufdringlich von uns. Wir bitten dich nur darum, weil wir glauben, dass es vielleicht deine Leseerfahrung mit der Story vertieft, dir mehr Spaß bereitet und uns mehr Spaß bei dem Gedanken macht, dass du uns diesen Gefallen tust.
Wenn dir Ich bin nicht Sam gefällt, besteht vielleicht die Versuchung, dich gleich auf Wer ist Lily? zu stürzen. Als wäre es nur ein weiteres Kapitel in einer fortlaufenden Erzählung. Als blendete eine in die andere über. Fast so, als wäre es das Leben und keine Erzählung. Wir bitten dich darum, es nicht so zu sehen.
Wir bitten dich, es langsamer anzugehen. Die Anfänge und die Enden zu verdauen.
Sam sich eine Zeit lang setzen zu lassen.
Ein paar Minuten. Ein paar Stunden. Vielleicht einen Tag. Was auch immer.
Wir bitten dich, erst eine Zeit lang der Stille der ersten Erzählung zuzuhören, ehe du den Vorhang zur zweiten öffnest. Es sind durchaus unterschiedliche Melodien, das verspreche ich dir.
Tu dir keinen Zwang an und sag ruhig: Zum Teufel!
Du hast die Knete hingeblättert. Du hast jedes Recht dazu.
Aber wir versuchen, hier eine kleine Musik zu spielen, weißt du?
Könnte nicht schaden, ihr zuzuhören.
– 27. April 2012
Ich bin nicht Sam
Am Morgen wache ich auf und höre Zoey weinen.
Ich habe es zuvor schon oft gehört. Es sind nicht die üblichen Laute einer Katze und es ist meilenweit von einem Miau entfernt. Es klingt mehr nach einem gedämpften Jammern, als würde sie leiden. Obwohl ich weiß, dass sie es nicht tut.
Es hört sich an, als würde ihr das Herz brechen.
Ich weiß, was da los ist.
Sie hat wieder dieses Spielzeug.
Zoey ist eine schwarz-weiße Katze, das Gleiche gilt für ihr Plüschtier. Ich weiß nicht mehr, wer es ihr gegeben hat, vermutlich irgendein Freund von uns, der Katzen mag, aber das liegt lange zurück – und obwohl über dem linken Ohr ein klein bisschen Füllmaterial austritt, ist das Ding wundersamerweise nach wie vor intakt, und das nach Jahren im gar nicht so sanften Gebiss meiner 19 Jahre alten Katze.
Sie beschützt dieses Spielzeug. Sie macht damit auf zart.
Und da ist wieder dieses Jaulen.
Ich werfe einen Blick auf Sam neben mir und sehe, dass sie auch wach ist. Sie gähnt.
»Wieder mal?«, fragt sie und lächelt.
Zoey ist neun Jahre früher in mein Leben getreten als Sam, aber Sam liebt diese Katze so sehr, wie ich es tue.
»Wieder mal«, sage ich.
Ich stehe auf und schlurfe über den kalten Hartholzboden, und da ist Zoey draußen auf dem Flur und blickt mich aus diesen großen goldenen Augen an, ihr Spielzeug liegt mit dem Gesicht nach oben vor ihr.
Ich beuge mich vor, um sie zu streicheln, und sie hebt mir den Kopf entgegen. Ich nutze diese Gelegenheit, diese Ablenkung, um mit der freien Hand das Spielzeug zu stehlen und es mir in den Hosenbund des Pyjamas zu stecken.
Ich streichle Zoeys Kopf und ihren langen knochigen Rücken. Sie hat eine schlimme Arthritis, deshalb bin ich ganz behutsam zu ihr. Ich weiß genau, wie ich sie anfassen muss, welches Gewicht und welchen Druck meiner Hände sie auf ihrem Körper mag.
Ich konnte das schon immer. Bei Tieren und bei Menschen. Ich wusste schon immer, wie man sie anfasst.
Und da schnurrt sie auch los. Heutzutage ganz weich. Als sie noch jung war, habe ich es mehrere Zimmer weit gehört.
»Hi, Mädchen. Guten Morgen, gutes Mädchen. Hungrig? Möchtest du Happie?«
Ja, Happie!
Katzen sprechen auf diesen ie-Laut an. Ich will verdammt sein, wenn ich den Grund wüsste, aber sie tun es einfach.
Sie trottet vor mir in die Küche, ein bisschen wacklig auf den Beinen, aber bereit fürs Frühstück.
Ich ziehe ihr Spielzeug aus dem Hosenbund und werfe es mit Schwung ins Wohnzimmer. Sie wird es früher oder später finden, aber vorläufig hat sie anderes im Kopf.
Dieses Spielzeug. Diese schwarz-weiße Plüschkatze mit mehr oder weniger Zoeys Fellmuster. Ein Geheimnis umweht dieses kleine Stofftier. Eines, von dem ich weiß, dass ich es nie herausfinden werde.
Es ist das einzige Spielzeug, über das sie jammert. Alles andere interessiert sie irgendwann nicht mehr. Alles andere wirft sie eine Zeit lang durch die Gegend und verliert dann jedes Interesse daran. Ich finde diese Dinger dann, wie sie unter dem Sofa oder in einer Ecke unter meinem Schreibtisch Staub ansetzen, und einmal auch auf dem Rost im Kamin. Wie es hinter die Schutzverkleidung kam, das weiß nur Zoey.
Zoey ist ursprünglich an einem kalten Samstagabend im März aufgetaucht und hat an meiner Tür gekratzt. Sie wollte herein. Ich habe gerade im Arbeitszimmer gezeichnet, als ich sie hörte. Als ich die Tür öffnete, war da diese dürre Katze, dieses sanfte Wesen, nach Einschätzung des Tierarztes damals sechs Monate alt, hatte Milben in beiden Ohren und war offensichtlich ausgehungert.
Ich habe mich immer gefragt, woher sie wohl kam.
Wir wohnen hier ganz schön weit draußen im Nirgendwo.
Sie war ohne Eierstöcke, als sie bei mir auftauchte. Also hatte sie irgendwo Leute. Jemanden, der für sie sorgte.
Treiben sich da draußen noch mehr herum?, habe ich mich gefragt. Ihre Mutter vielleicht? Gehörte sie zu einem Wurf?
Irgendwann stellte ich mir die Frage, ob vielleicht eine Verbindung zwischen Spielzeug und Katze bestand. War es möglich, dass dieses kleine leblose Ding sie an irgendwas erinnerte? Eine Familie? War es möglich, dass dieses gewöhnliche, katzenminzefreie Stoffkätzchen etwas in ihr bewegte, etwas, das schon lange und tief in ihr steckte? Das erschien mir möglich. Tut es immer noch.
Wenn jemand die Sehnsucht in diesem Laut hört, den sie von sich gibt, wird er es verstehen.
Es liegt Jahre zurück, dass mir diese Idee gekommen ist. Ich weiß noch, wie ich damals das Gefühl hatte, die Welt der Geheimnisse zu betreten, das Reich des Unerklärlichen. Das Mysterium.
Ich habe es nie mehr abgeschüttelt. Es überfällt mich heute noch, jedes Mal.
In der Küche nehme ich ihre Wasser- und Futternäpfe auf und stelle sie in die Spüle, und während Zoey geduldig dasitzt und wartet, öffne ich eine Dose Friskies-Thunfisch, fülle diese mit Ei und Haferflocken in einen sauberen Napf, gieße frisches Wasser für Zoey ein, stelle alles auf den Boden und sehe zu, wie sie reinhaut.
Im Bad höre ich Wasser laufen. Sam ist aufgestanden. Ich hoffe, sie wird dort schnell fertig. Ich muss pinkeln. Als der Kaffee gerade zieht, steht Sam hinter mir, eine Hand auf meiner Schulter. Wir beide blicken zum Fenster über der Spüle hinaus auf den Fluss.
Es ist ein schöner Frühlingsmorgen. Kaum ein Lufthauch bewegt die Zweige. Ein Weißkopfseeadler gleitet im thermischen Aufwind über das Wasser. Er berührt die Wasseroberfläche und schwenkt zum Weideland am anderen Ufer. Er hat etwas gefangen. Wir sehen das goldene Glitzern von Fischschuppen in der Sonne.
Kaum ein Tag geht vorbei, an dem man hier draußen keine wilden Tiere sieht. Wir haben Füchse, Kojoten, Wildschweine. Zoey bleibt im Haus. Andernfalls wäre sie nie knapp 20 Jahre alt geworden.
Ich drehe mich um, gebe Sam einen flüchtigen Wangenkuss und gehe zum Bad. Sam riecht nach Schlaf und frischer Seife.
Bei Sam riecht das ganz und gar nicht schlecht.
Ich bin kein großer Frühstücker – mehr der Typ für eine Tasse Kaffee und eine Zigarette. Ich denke mir, Essen kann darauf warten, dass ich eine Pause vom Zeichenbrett einlege. Aber Sam steht auf Frühstück. Der Kaffee ist fertig, Sam hat sich schon eine Tasse mit Milch und Zucker eingeschenkt, ich rieche Rosinenbrot im Toaster.
Ich gieße mir selbst eine Tasse ein und setze mich an den großen Eichentisch. Ich mag meinen Tisch. Er stammt von einer Hausratversteigerung in Joplin. Verdammt, ich mag mein ganzes Haus! Wir sind umgeben von fünf dicht bewaldeten Morgen Land und einem Fluss – wie eine Überraschung, die nur auf jemanden wartet.
Das Wohnzimmer ist ganz aus gebeiztem Holz, mit hohen von Hand geschnittenen Eichenbalken, die vielleicht 100 Jahre alt sind. Ein gemauerter Kamin. Das Zimmer steht zur Küche hin offen, sodass ich den kompletten Raum vor mir sehe.
Während ich der Frau, mit der ich seit acht Jahren verheiratet bin, dabei zusehe, wie sie ihren Toast dick mit Butter und Erdbeermarmelade beschmiert, geht mir durch den Kopf, dass wir uns in praktisch jedem Winkel hier geliebt haben. Überall auf dem Hartholzboden, der Couch und dem dick gepolsterten Sessel.
Sam hat sich ihren wunderschönen Hintern eines Abends am Kamin angesengt. Bei der Erinnerung muss ich lächeln.
»Was?«, fragt sie und schluckt einen Bissen Toast.
»Ich habe nur nachgedacht.«
Sie blickt mich aus zusammengekniffenen Augen an. »Du machst wieder dieses Gesicht, Patrick.«
»Wirklich?«
»Wirklich. Ich muss mich beeilen, mein Frühstück beenden und pinkeln, duschen und die 45 Minuten nach Tulsa fahren, damit ich die Autopsie an Stephen Bachmann vornehmen und herausfinden kann, ob es Tabletten waren, Scotch, gute alte holländische Dummheit oder eine Kombination aus diesen drei Möglichkeiten, was ihn in unser Kühlfach gebracht hat. Ich habe keine Zeit für dich.«
»Ooch …«
»Komm mir jetzt nicht mit ›ooch‹, Mister.«
»Ooch …«
»Was macht Samantha?«
»Sie steht kurz davor, sich auf Anweisung ihrer Folterer das Hirn mit einer Schrotflinte wegzupusten. Bis morgen sollte ich sie wiederbelebt haben. Morgen oder Samstag.«
Sam nimmt einen langen Männerschluck Kaffee, schluckt ihn runter und lächelt.
»Ich weiß bis heute nicht so recht, ob ich mich von der Tatsache, dass du ihr meinen Namen gegeben hast, geschmeichelt oder misstrauisch fühlen sollte. Du verspritzt ihr Gehirn über die ganze Wand, mein Gott!«
»Ja, aber dann kehrt sie ins Leben zurück. Und ich würde dich nie verspritzen.«
Ich liebe es, wenn sie mich mit dieser hochgezogenen rechten Braue ansieht. Sie steht auf, kommt heran, beugt sich vor und küsst mich. Der Kuss zieht sich in die Länge.
Nach all diesen Jahren zieht er sich in die Länge.
Sie beendet ihn.
»Ich weiß, ich weiß«, erkläre ich ihr. »Duschen, pinkeln, die Zähne putzen und zu deinem Holländer düsen. Möchtest du Gesellschaft? Unter der Dusche, meine ich. Nicht bei dem Holländer.«
»Ich denke, nein. Vielleicht heute Abend nach der Arbeit. Wie üblich stinke ich dann. Was steht zum Abendessen an?«
»Reste vom Teriyakigulasch in Rotweinsoße. Von vorgestern Abend. Es hat dir geschmeckt.«
»Es war lecker«, sagt sie und verschwindet im Bad hinter der Ecke.
Ich höre eine halbe Stunde später den Honda Accord die Einfahrt verlassen und denke, was ich doch für ein Glück habe. Ich darf meinem Wunschberuf nachgehen, zeichne meine Graphic Novels – und verdiene damit einen recht anständigen Lebensunterhalt. Ich habe ein Zuhause, das ich liebe, eine sehr geliebte alte Katze und diese forensische Pathologin, die verrückt genug ist, mich zu lieben.
Ich würde sagen, dass ich zur Arbeit gehe, aber das wäre gelogen. Ich gehe spielen.
Das Spiel läuft gut.
Als ich den Honda wieder auf die Einfahrt einbiegen höre, ist das Muster der Blutspritzer an der Wand hinter Samanthas Kopf vollständig. Ich würde es ja von Sam auf Korrektheit prüfen lassen, aber ich habe schon viel von ihr gelernt und denke, dass ich es richtig hinbekommen habe.
Wirklich eine Knallerseite gleich zu Beginn der Geschichte.
Es ist fast sieben Uhr und die Abenddämmerung zieht herauf, Sams übliche Ankunftszeit. Ich habe die Katze gefüttert und das Rotweingulasch köchelt auf kleiner Flamme. Das Knoblauchbrot ist gebuttert und gewürzt und erwartet die sanfte Berührung des Bratrosts. Jetzt muss ich nur noch die chinesischen Nudeln kochen, den Wein einschenken und das Abendessen ist fertig.
Ich decke alles zu und tappe barfüßig ins Wohnzimmer, als Sam gerade zur Haustür hereinkommt. Mir fällt auf, dass ich schon den ganzen Tag lang keine Schuhe trage. Einer der Vorzüge meiner Arbeit.
Ich gehe Sam entgegen, umarme sie und küsse ihre Wange. Sie stinkt im Grunde nicht. Sie hat schon auf der Arbeit geduscht. Das macht sie immer. Nach wirklich schlimmen Fällen haben wir aber manchmal einen Drei- oder Vier-Duschen-Abend. Heute Abend rieche ich nur den Hauch von etwas in ihren Haaren. Gerade genug, um die Nase zu rümpfen.
»Ich weiß«, sagt sie. »Es war nicht der Holländer.«
»Nein? Was hat den Typ erledigt?«