Ich bin noch da - Joy Peters - E-Book

Ich bin noch da E-Book

Joy Peters

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Beschreibung

André Cartier alias Jochen Hablecker hat Sprosse für Sprosse die Leiter zu künstlerischem Erfolg und Anerkennung erklommen. Seine fesselnde Biografie zeigt dem Leser, dass man seine Ziele niemals aus den Augen verlieren darf und wie aus dem sprichwörtlichen Licht am Ende des Tunnels gleißendes Scheinwerferlicht wurde. Bühne frei für André Cartier.

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Seitenzahl: 517

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort - Mama

Vorwort - Marcella Micelli

Vorwort - Niddl

Vorwort - Christoph Siegl

Vorwort - Joy Peters

Kapitel Eins

Kapitel Zwei

Kapitel Drei

Kapitel Vier

Kapitel Fünf

Kapitel Sechs

Kapitel Sieben

Kapitel Acht

Kapitel Neun

Kapitel Zehn

Kapitel Elf

Kapitel Zwölf

Kapitel Dreizehn

Kapitel Vierzehn

Kapitel Fünfzehn

Kapitel Sechzehn

Kapitel Siebzehn

Kapitel Achtzehn

Kapitel Neunzehn

Kapitel Zwanzig

Kapitel Einundzwanzig

Kapitel Zweiundzwanzig

Kapitel Dreiundzwanzig

Kapitel Vierundzwanzig

Kapitel Fünfundzwanzig

Kapitel Sechsundzwanzig

Kapitel Siebenundzwanzig

Kapitel Achtundzwanzig

Kapitel Neunundzwanzig

Kapitel Dreißig

Kapitel Einunddreißig

Kapitel Zweiunddreißig

Kapitel Dreiunddreißig

Kapitel Vierunddreißig

Kapitel Fünfunddreißig

Kapitel Sechsunddreißig

Kapitel Siebenunddreißig

Kapitel Achtunddreißig

Kapitel Neununddreißig

Kapitel Vierzig

Kapitel Einundvierzig

Kapitel Zweiundvierzig

Kapitel Dreiundvierzig

Kapitel Vierundvierzig

Kapitel Fünfundvierzig

Kapitel Sechsundvierzig

Kapitel Siebenundvierzig

Kapitel Achtundvierzig

Kapitel Neunundvierzig

Kapitel Fünfzig

Kapitel Einundfünfzig

Kapitel Zweiundfünfzig

Kapitel Dreiundfünfzig

Epilog

Vorwort - Mama

An einem 31. Mai kam mein 7. Kind zur Welt.

Mein Mann wollte das Kind nicht, aber für mich kam eine Abtreibung nicht in Frage.

Ich wünschte mir immer eine kleine Tochter, mit den Namen Tamara oder Liane, aber es war ein Junge, den ich dann Jochen nannte – er war für mich mein kleiner Sonnenschein, den ich hegte und pflegte.

Ich weiß es noch, wie er so war mit ca. zwei Jahren, kam er eines Tages mit einem Röckchen von seiner Schwester in den Garten. Ich sagte zu ihm, na, du bist doch ein Junge, aber er gab mir nur zur Antwort, ich will auch ein Mädchen sein. So wuchs er mit seinen Geschwistern zu einem braven Kind heran.

Ich als seine Mutter hatte nie Probleme mit ihm, er wurde nur von seinem Vater verstoßen.

Das war grausam.

Nach der Schulausbildung machte Jochen eine Lehre zum Friseur und Perückenmacher.

Er hatte es in seinen jungen Jahren immer sehr schwer, als es aufkam, dass er schwul ist.

Ich gab ihm die Kraft, dass er durchhält und sprach ihm immer Mut zu. Er konnte immer mit jedem Problem zu mir kommen und wir besprachen alles gemeinsam.

Eines Tages sagte er zu mir, er tritt in einer Travestie Show auf.

Das war damals natürlich noch nicht so einfach für uns.

Nun ist er ein sehr großer Künstler und alle lieben ihn.

Ich als seine Mutter bin SEHR stolz auf ihn und wünsche ihm auf seinem weiteren Lebensweg mit seinem Mann Markus alles Liebe und Gute für die Zukunft.

Deine Mutter, die dich sehr liebhat!

Vorwort - Marcella Micelli

Vor vielen, vielen Monden, ich war gerade mal achtzehn Jahre jung und als Kellner in einen renommierten Hotel in Kärnten tätig, gastierte eines Abends eine Travestieshow im Hotel, was ich bisher nur vom Fernsehen kannte und mich schon seit Kind an immer begeisterte.

Schon am späten Nachmittag war ich nervös, als die Gruppe mit Ihren Vorbereitungen begann. Am Showabend konzentrierte ich mich wohl mehr auf die Showdarbietung als auf die anwesenden Gäste, die ich zu bewirten hatte - die Begeisterung war groß – einfach umwerfend. Nach der Show sprach mich Jochen an, frech und witzig zugleich – es war Liebe auf den ersten Blick. Nicht die große Liebe, die man dann heiratet, sondern eine LIEBE die wohl einzigartig auf der Welt war und ist. Das Wort "Beste Freunde" erscheint mir nicht genug, Jochen wurde für mich mein LEBENSMENSCH.

Seit diesem Tag an waren wir unzertrennlich und erlebten Dinge in 26 Jahren, die wohl manch anderer in seinem ganzen langen Leben nicht erleben wird. Durch Jochen wechselte ich schnell meine Kellneruniform gegen High Heels und so begann mein Weg in die Travestiewelt.

Anfangs arbeiteten wir noch in einer Travestiegruppe, bis wir uns entschlossen, uns selbstständig zu machen und die "Manne"-quins gegründet hatten. Anfangs war es sehr schwer, belächelt von vielen, aber wir waren ein unschlagbares Team und im Laufe der Jahre wurden wir die Erfolgreichsten in Österreich.

Aber viel wichtiger vor allem die ERFOLGREICHSTEN FREUNDE der Welt, egal in welchen Lebenssituationen wir auch waren, gemeinsam schafften wir einfach alles, auch die sehr sehr schweren Zeiten.

Ich kann mit Sicherheit sagen, hätte jemals einer von uns vom anderen eine Niere gebraucht - wir hätten ohne eine Sekunde zu zögern, uns gegenseitig eine Niere gegeben, so unendlich groß war und ist unsere LIEBE.

Mittlerweile sind wir beide mit unseren Männern verheiratet, sind erfolgreich und leben natürlich viel ruhiger und erwachsener als damals, aber unsere Leidenschaft für die Show und den Spaß, den wir gemeinsam immer noch haben wie am ersten Tag, das ist unübertreffbar.

Ich wünsche meinem LEBENSMENSCH, dass er EWIG glücklich ist und gesund bleibt, er nie wieder enttäuscht oder verletzt wird, ich wünsche ihm alles alles erdenklich Gute – und auch wenn ich selbst nicht weiß, was im Leben noch auf uns zu kommt, eines weiß ich mit SICHERHEIT: Unsere Liebe endet NIE!!!

Jochen, ICH LIEBE DICH von ganzem Herzen!

Deine Marcella

Vorwort - Niddl

Ich ging eines Tages mit meiner Mutti zu einer Veranstaltung in unserer Gegend. Ein Freund von mir trat in einer sehr erfolgreichen Travestie Show, the „Manne“-quins auf - ein sehr lustiger Abend.

Während einer Nummer kam singend die Dame, die für Comedy zuständig war, zu unserem Tisch und sagte- „SERVAS I BINS DIE OIDE CATIER“.

Seitdem war es Liebe.

Jochen Hablecker alias André Cartier, war von da an aus meinem Leben nicht mehr wegzudenken. Privat und Beruf konnten wir gemeinsam verbinden und es wurde daraus eine wunderbare Freundschaft, die seit Jahren anhält. André Cartier - der Künstler - ein Meister seines Faches.

Die besonderen Stärken dieses Künstlers liegen darin, eine unendlich scheinende Datenbank an Scherzen, Jokes und Witzchen zu haben, welche, immer parat, eingesetzt werden. Ich kann hier ewig lange davon berichten, wie großartig André Cartier in seinem Beruf ist. Lieber Laser, sollten Sie sich noch nicht davon selbst ein Bild gemacht haben, wird es aber Zeit. Ich erinnere mich da an Auftritte beim Familientausch, wo André Cartier in einem Bauerndörferl ins Wirtshaus ging, in voller Montur, natürlich die Blicke auf sich zog und mit den Worten: „Huia Huia homma gsunga, hams uns unsere Männer gnumma, Huia Huia sing ma nimma, sie kenntns uns ja wieder bringa“, um dann mit den vor Ort sitzenden Stammgästen mit einem Schnapserl anzustoßen. Oder als sie in selbiger Sendung, ebenfalls in vollem Outfit, am Dach die Ziegeln neu antackerte. Sie ist für jeden Spaß zu haben. Gemeinsame Stunden in meinem Privatstudio treiben mir noch nach wie vor die Tränen in die Augen - vor Lachen, aber auch vor Stolz, wie sehr André Cartier, der Künstler, nie stehenbleibt, immer am Ball ist und sich weiterentwickelt. Als Privatmensch kann man auf Jochen jederzeit bauen. Egal was. Ob einmal fett abkofern oder ausheulen, bei Autopannen, Regen oder auf hoher See und rauem Wind - wird er daherkommen, einen Witz reißen und mir helfen. Mittlerweile kann ich sagen, dass aus der Freundschaft Liebe geworden ist. Wenn ich Jochen oder Frau Cartier ansehe weiß ich, dieser Mensch egal welche Person er gerade ist, ist Teil meiner Familie.

Vorwort - Christoph Siegl

Mein Name ist Christoph Siegl, aufgewachsen in einem Lokal in Wien. Mittlerweile bin ich fünfunddreißig Jahre, nicht mehr in diesem Lokal, aber eines blieb noch immer gleich, meine Freundschaft zu André!!

Vom Anfang ... meine Eltern hatten ein Lokal, in dem regelmäßig Events veranstaltet wurden. Unter anderem auch eine Travestie Show. Damals war ein junger Künstler dabei, André Cartier, ich selber war damals vier bis fünf Jahre ... Da ich eigentlich immer nach der Schule und am Wochenende im Lokal war, war ich auch an den Veranstaltungstagen da und hab André bei den letzten Proben für die Abendshow zugesehen. Angeblich, so erzählt sie es zumindest heute, habe ich damals zu ihr gesagt:

wenn ich einmal groß bin, dann heirate ich dich mal! Tja ... leider bin ich nur einssiebzig geworden ...

Wir haben uns dann einige Jahre aus den Augen verloren, bis ich... zehn Jahre später die „Manne“quins in einem Lokal gesehen habe! Jochen und ich haben uns ewig nicht gesehen und hatten uns einiges zu erzählen!!! Und da ich damals schon aktiv in unserem elterlichen Betrieb tätig war, hat es nicht lange gedauert und André stand wieder bei mir im Lokal auf der Bühne! Wir haben uns sofort wieder sehr gut verstanden, haben sehr viel gelacht, aber auch über sehr viel ernste Themen sehr lange gesprochen!!!

Für mich war damals eine sehr schwere Zeit! Meine Partnerin hat sich von mir getrennt! Ich war am Boden zerstört! Es war genau der Tag, als die „Manne“quins bei mir aufgetreten sind! André ist ein Mensch, der mich sehr lange kennt und ich ihn ebenso... wir wissen sofort, wenn es dem anderen nicht gut geht! Und so war es auch damals.... André hat mich geschnappt und nach dem Auftritt gemeint, heute ziehen wir gemeinsam durch die Nacht und vergessen unsere Sorgen! Es war eine der lustigsten Party-Nächte ever ... André war für mich in einer sehr schwierigen Phase meines Lebens für mich da!!! Auch die Woche darauf!! Wir waren viel spazieren, haben viel gesprochen und waren auch viel unterwegs! So auch in einem Club (Nachschicht) in Wien! Wir hatten es wie immer sehr lustig.... irgendwann stand da ein Kellner und ich habe bemerkt, wie sein Blick sich immer mehr in Richtung Cartier gerichtet

hat! Die Nudel neben mir hat das aber nicht bemerkt!! Und so kam es, dass ich den Kontakt zwischen dem Herrn hinter der Bar – Markus – und André hergestellt habe.... so lernten sich zwei Menschen kennen und lieben, die heute über Jahre verpartnert sind und sich bald das Ja-Wort geben werden!!! Darauf bin ich persönlich extrem stolz!!!!

André ist ein Mensch – ein Freund – wie man ihn ganz selten findet! Ein Mensch mit ganz, ganz großem Herz, ein toller Künstler und ... ein unglaublicher Freund ... der immer für mich da war und ist! Ich bin froh, dass ich damals für ihn da war und heute Jochen und Markus super Freunde von mir und meiner Frau Nicole sind.

Lieber Jochen, vielen Dank, dass es dich gibt!

Vorwort - Joy Peters

Lieber André,

in den vielen Jahren, in denen ich selbst als Travestiekünstler auf der Bühne stehe, und obwohl wir beide aus Wien kommen, war ich dir vorher noch nie persönlich begegnet und ich kannte eigentlich nur das Ensemble, in dem du viele Jahre künstlerisch tätig warst.

Umso mehr hat es mich überrascht, als du mich im Theater Center Forum vor zwei Jahren angesprochen hast, ob ich nicht deine Biografie schreiben könnte.

Du hast mir erzählt, dass du meine anderen Bücher gelesen hättest und dass dir mein Stil zu schreiben gut gefällt und das hat mich wirklich sehr sehr gefreut.

Natürlich bin ich als Künstler, und in diesem Fall in meiner Eigenschaft als Autor, immer an interessanten und aufregenden Lebensgeschichten interessiert und ich habe wirklich gehofft, dass du mir eine solche erzählen wirst. Meine Hoffnungen wurden nicht enttäuscht und wenn ich daran denke, wie mühsam ich so manchem meiner Figuren die nötigen Informationen förmlich aus der Nase ziehen musste, so war ich gleichermaßen verblüfft und hoch erfreut über die unglaubliche Menge an Geschichten und Details, die du mir über dein weiß Gott nicht gewöhnliches Leben und deinen künstlerischen Werdegang erzählt hast.

Denn auch ich scheue besondere Herausforderungen nicht und so haben wir gemeinsam auf dreihunderetachtundsechzig Seiten „Krieg und Frieden“ neu interpretiert.

Ich wünsche mir, dass du mit unserem Werk glücklich und zufrieden bist und dass es viele begeisterte Leser findet.

Ich danke dir, dass ich dich kennenlernen durfte.

Bussi Joy

EINS

Jetzt ist es also soweit und es gibt kein Zurück, ich soll mich an mein Leben erinnern.

Das macht mich schon ziemlich nervös und es tut mir fast ein bisschen leid, dass dieses Buch, wie soll ich sagen, ein wenig traurig beginnt. Ich spüre aber, dass es sich von Seite zu Seite zum Positiven wenden wird und auch das Lachen und die wirklich manchmal haarsträubend komischen Situationen in meinem Leben nicht zu kurz kommen werden. Aber wie das in einem Leben eben so ist, ist nun mal nicht alles zum Brüllen komisch und wenn ich schon mit meiner Kindheit beginne, dann wollte ich durchaus die Wahrheit erzählen. Ich habe lange überlegt, ob ich meine, ja, man kann sagen nicht so schöne Kindheit, einfach weglassen soll. Aber ich hab mich dann doch dagegen entschieden und denke, dass gerade diese Zeit einen Menschen prägt und tiefe Erkenntnisse wachsen lässt und für die Zukunft wegweisende Weichen stellt.

Und heute kann ich sagen, ja, es gab einen Lichtschein am Ende des Tunnels.

Wenn man bei der Geburt beginnen möchte, und das wäre ja eigentlich das logische, kann ich schon sagen, dass bereits dieses Ereignis wahrlich einige komische Elemente aufzuweisen hatte. Ich glaube nämlich, dass mein Geschäftssinn und mein gutes Umgehen mit Zahlen und rechnerischen Dingen sich durchaus schon bei meiner Geburt gezeigt hatte.

Ich weiß aus vielen Erzählungen meiner Mutter, dass an diesem einunddreißigsten Mai, dem Tag meiner Geburt, die Hebamme nach sechsunddreißig Stunden Wehen gemeint hat: „Also Frau Hablecker, es wäre ganz gut, wenn Sie sich jetzt ein wenig beeilen würden, denn wenn Sie das Kind noch vor zwölf Uhr Mitternacht zur Welt bringen, bekommen Sie die Kinderbeihilfe für den Mai noch nachbezahlt.“

Offensichtlich habe ich dieses Gespräch im Bauch meiner Mutter mit gehört, und da regte sich bereits mein geschäftliches Talent und ich hab mir schnell überlegt, und da war es bereits elf Uhr fünfundvierzig, doch jetzt einen Zahn zuzulegen, und es gelang mir tatsächlich, zehn Minuten vor Mitternacht mit drei Kilo zwanzig das Licht der Welt zu erblicken.

Sowohl meine Mutter als auch die Hebamme haben sich darüber sehr gefreut und tatsächlich hat meine Mama das extra Geld bekommen und sicherlich auch gut brauchen können. Meine Mutter lag dann in einem Zimmer gemeinsam mit einer Bäuerin, die bereits ihre sechste Tochter zur Welt gebracht hatte und jetzt mit der siebten Geburt in den Wehen lag und die ganze Zeit herumjammerte, dass ihr Mann gedroht hätte: „Mit einer siebten Tochter brauchst du überhaupt nicht mehr nach Hause kommen, ein Sohn muss her.“

Als es dann eines Tages soweit war und der Bauer zu seiner Frau ins Krankenhaus kam, hat er nur die Türe aufgerissen, rein geguckt und gesagt: „Na was haben wir?“

Die Frau hat gleich zu weinen begonnen und ist tatsächlich zu meiner Mutter gegangen und hat sie gefragt, ob sie nicht vielleicht die Babys tauschen könnten.

Meine Mutter hat das natürlich abgelehnt und gleich dem Arzt erzählt, der dann den Bauern zur Rede stellte und versuchte, die Sache im Sinne der Vernunft zu regeln. Ich habe das Ganze natürlich nur am Rande mitbekommen und bin meiner Mutter schon sehr dankbar, dass sie sich auf diesen Handel nicht eingelassen hat und ich heute kein Leben als Bäuerin zwischen Schweinen, Kühen und EU-Subventionen verbringen muss. Ich meine, ich bin mir ganz sicher, es gibt auch glamouröse Gummistiefel und ich könnte als Travestie-Künstlerin am Bauernhof bestimmt ganz neue Facetten in unseren Beruf bringen. Aber im Großen und Ganzen bin ich dann doch heilfroh, dass meine Mutter es nicht getan hat.

Aber auch ich bin ja in eine große Familie hineingeboren worden, denn ich war das siebte Kind und das so genannte Nesthäkchen. Ein Umstand, der mich und meine Mutter bis zum heutigen Tage auf besondere Art und Weise verbindet.

Meine anderen Geschwister wollen das natürlich nicht hören und wahrhaben, aber ich war natürlich das Lieblingskind.

Meine älteste Schwester heißt Marina, dann kamen Herbert, Rainhard, Manuela, Karl, Ingrid und dann kam ich.

Mein Vater, oder ich würde ihn lieber meinen Erzeuger nennen, hat mir das Leben immer sehr schwer gemacht und auch wenn ich es selbst nicht gerne höre, muss ich doch zugeben, dass ich mein künstlerisches Leben und mein dazugehöriges Talent von meinem Vater geerbt habe.

Er war früher auf Jahrmärkten und Volksfesten ein sogenannter Steilwand-Fahrer. Man nennt es auch Todeskugelfahrer und er war, abgesehen davon, dass er halsbrecherisch Motorrad fahren konnte, auch sonst künstlerisch wirklich sehr begabt.

Ich muss noch erwähnen, dass er damals natürlich noch nicht so viel oder vielleicht auch noch gar nicht getrunken hat. Meine Mutter stand in der Schießbude und dort hatte sie ihn auch kennengelernt. Er hat sich halt leider im Laufe seines Lebens in eine falsche und schlechte Richtung entwickelt, aber trotzdem bleibt es dabei, dass ich das Künstlerische offensichtlich nur von ihm haben kann und wenn er diesen Bruch in seinem Leben nicht gehabt und einfach dort weiter gemacht hätte, wären wir ganz bestimmt heute eine angesehene und wohlhabende Künstlerfamilie. Aber leider ist ihm der Alkohol dazwischen gekommen.

Zu meinem Bedauern schaue ich ihm auch ein wenig ähnlich. Meine Mutter kann es sich bis heute nicht erklären, warum er mich nie wollte und immer abgelehnt hat. Ich hab ihn zwar jetzt bereits zweimal meinen Vater genannt, aber es fällt mir sehr schwer, das zu akzeptieren, denn die Dinge, die er mit mir in meinem späteren Leben angetan hat, macht kein Vater, das macht nur ein sehr schlechter Mensch

An dieser Stelle fällt mir eine Geschichte ein, die ganz typisch für sein Verhalten war. Wir wohnten zu dieser Zeit noch in unserem alten Haus, das diesen Namen wirklich verdiente. In der Küche stand ein großer gemauerter Ofen, mit dem man sowohl heizen also auch kochen konnte und der ein riesengroßes Backrohr hatte.

An besagtem Tag war meine Mutter gerade dabei, Topfengolatschen zu machen und wie man sich denken kann, ist das für sieben Kinder ein ziemlich großer Aufwand.

Ich war zwei Jahre alt und saß bei meiner Mutter in der Küche und hab dabei zugesehen, wie sie in einer Riesenschüssel jede Menge Teig anrührte und hab mich wahrscheinlich schon wahnsinnig auf die leckeren Topfengolatschen gefreut.

Meine Liebe für Süßes ist mir bis heute geblieben, leider sieht man es auch ein bisschen. Lange Rede gar keinen Sinn, in dem Moment, als meine Mutter kurz aus der Küche gehen musste, kam mein Vater sturzbetrunken nach Hause, packte mich, setzte mich in die Schüssel, beschmierte meinen ganzen Körper mit Teig und war gerade dabei, mich ins Backrohr zu schieben. Gottseidank kam meine Mutter in dem Augenblick wieder zurück und verhinderte mein Max und Moritz Schicksal. Aus heutiger Distanz klingt es natürlich durchaus auch ein bisschen komisch, ich weiß aber, dass es todernst war und ich in wirkliche Gefahr geschwebt hatte.

Erlebnisse wie dieses charakterisieren meinen Vater am besten, und eigentlich kann jedes meiner Geschwister ähnliche Geschichten erzählen, denn er hatte im Grunde nur ein Lieblingskind, das aber im Laufe der Zeit auch dahinter gekommen ist, dass der Erzeuger ein vom Grunde seines Herzens her schlechter Mensch und gar nicht in der Lage war, jemanden wirklich zu lieben.

Warum ein Mann, der Kinder doch eigentlich überhaupt nicht mochte, trotzdem sieben davon in die Welt gesetzt hat, ist mir bis heute ein Rätsel und ich glaube, dass ich darauf auch keine Antwort finden werde. Außer ich würde ihn im nächsten Leben wieder treffen und zur Rede stellen können.

ZWEI

Manches Mal, wenn er um zwei, drei Uhr morgens von seiner Sauftour nach Hause gekommen war, mussten wir Kinder aufstehen, für ihn Tee kochen und um ihn herum sitzen, ganz egal, ob wir den ganzen Tag gearbeitet haben oder zu Schule müssen. Er führte einen psychologischen Krieg gegen alle seine Kinder.

Auf eine ganz perfide Art und Weise wollte er uns einfach unsere Kindheit stehlen.

Meine ältere Schwester Marina hatte ein wenig mehr Glück gehabt, denn sie ist nicht bei uns aufgewachsen. Sie wurde gleich nach der Geburt zu meiner Großmutter gegeben, weil mein Vater der Meinung war, erst müsse ein Erbe ins Haus und da kommt ein Mädchen nicht in Frage. Also gewissermaßen dieselbe Denkart wie der Bauer aus dem Krankenhaus.

Natürlich waren das damals andere Zeiten und die Menschen hatten andere Ideale und Vorstellungen vom Leben und Kinder hatten vielleicht nicht denselben Stellenwert, den sie heute in der Familie genießen. Auch das Leben und die Stellung der Frau war zumindest in manchen Familien grenzwertig und wenn ich meine Mutter betrachte, die sieben Kinder geboren hat und von ihrem Mann fast ihr ganzes Leben lang erniedrigt und geschlagen wurde, man könnte sagen, er hat versucht ihr den Lebensmut zu rauben, dann grenzt es fast an ein Wunder, dass sie heute eine so lustige, lebensbejahende und fest im Leben stehende Frau ist.

Viele haben das nicht so geschafft und sind an diesen erdrückenden und grausamen Lebensumständen zerbrochen.

Meine Mutter hat nach dem Tod ihres Mannes ihr Leben ganz neu entdeckt und ich glaube behaupten zu können, dass ich auch einen guten Teil dazu beigetragen habe, dass sie diese Zeit vergessen konnte und neu gelernt hat, das Leben zu genießen und überhaupt zu begreifen, was es bedeutet zu leben.

Ich erinnere mich, dass ich in meiner Jugend und Kindheit viel Zeit damit verbracht habe, auf unseren Feldern Steine zu suchen und kleine Bäume zu pflanzen.

Meine Eltern waren Besitzer einer kleinen Baumschule. Eigentlich wäre es uns wirtschaftlich immer sehr gut gegangen, wenn mein Vater nicht einen Großteil der Einnahmen ins leider viel zu nahe gelegene Gasthaus getragen hätte, so dass man eigentlich sagen kann, dieses Wirtshaus gehört uns. Er hat es quasi über viele Jahre hinweg finanziert und am Leben gehalten. Aber egal.

Ich war sechs Jahre alt, als wir das erste Mal Besuch vom Jugendamt hatten.

Da ich mich immer schon, wenn meine Geschwister und ich nur von weiten des knatternde Moped meines Vater kommen hörten, in Panik versteckte, war ich leider auch Bettnässer geworden.

Ich hatte von anderen Kindern gehört, dass man sich eigentlich als Kind freuen sollte, wenn die Eltern nach Hause kommen, aber diese Erfahrung habe ich mit meinem Vater leider nicht gemacht.

Das Jugendamt bestimmte, dass drei meiner Geschwister und ich auf einen Erholungsaufenthalt geschickt werden sollten. Und tatsächlich wurden wir nach Mödling in ein unheimliches, altes, fast wie ein Schloss anmutendes, so genanntes Erholungsheim gebracht.

Das alte Gebäude machte mir schon von außen durch seine düstere Erscheinung Angst, ich fand es ganz schrecklich.

Es gab zwar einen großen Garten, was ich sehr schön fand, aber die Schlafsäle, mit, glaube ich, mindestens zwanzig Betten, waren zur Erholung eigentlich nicht so gut geeignet. Ursprünglich sollten wir für zwei Monate dort einziehen, damit wir ein bisschen Abstand von unserer häuslichen Situation gewinnen können und sich vielleicht auch mein Bettnässen in den Griff bekommen lässt.

Fakt war allerdings, dass ich mich nicht eine einzige Sekunde in diesem Frankensteinschloss wohl fühlte und ich meine Mama sehr vermisste.

Diese enge Verbindung zu meiner Mutter zieht sich bis zum heutigen Tage durch mein Leben, ich bin immer ein echtes Mama-Kind gewesen und gebe es offen zu, dass ich auch heute jeden Tag mit meiner Mama telefoniere und wir unsere innige Verbindung nie verloren haben.

Nach diesen zwei Monaten hatte das Jugendamt allerdings beschlossen, dass meine Geschwister und ich nicht mehr in die Familie zurückkehren werden. Meine Mutter durfte uns bei unserem Erholungsaufenthalt auch nur einmal besuchen. Ich hab an diesem Tag sehr geweint, da ich fest der Meinung war, sie würde mich gleich wieder mitnehmen.

Das war ein schlimmes Erlebnis für mich. Eigentlich kann ich das bis heute nicht verstehen, denn meine Mutter hatte sich ihren Kindern gegenüber nie etwas zu Schulden kommen lassen. Und eigentlich wäre es logischer gewesen, meinen Vater aus der Familie zu entfernen, als meiner Mutter die Kinder wegzunehmen. Die einzige Schuld, die meine Mutter trägt, ist, dass sie von sich aus zu schwach war, um sich gegen diesen gewalttätigen Mann zu wehren und leider konnte sie in dieser Zeit damals auch auf keine Unterstützung durch die Gesellschaft rechnen.

Meine Mutter ist wirklich mehrmals beim Jugendamt gewesen und hat um ihre Kinder gekämpft, leider waren ihre Bemühungen vergeblich. Wenn ich es heute betrachte, gab es dann fast eine komische Wendung in der ganzen Angelegenheit. Das Jugendamt kam nämlich auf die grandiose Idee, dass, wenn die Nachbarin, Frau Zehethofer, die im Haus gegenüber wohnte, eine Erklärung unterschreibt, dass wir in Zukunft bei ihr leben, dann dürften wir wieder in den kleinen Ort zurückkehren.

Eine Behördenentscheidung, die schon leichte Züge eines Schildbürgerstreichs in sich trägt.

Aber gesagt getan, so ist es dann auch passiert. Ich bin Frau Zehethofer bis heute sehr dankbar, dass sie diesen Geniestreich des Jugendamtes unterstützt hat und wir wieder nach Hause konnten.

Also offiziell fast nach Hause.

Natürlich haben wir niemals bei der Nachbarin gewohnt und sind direkt in unser Elternhaus zurückgekehrt.

So froh ich darüber auch war, wieder bei meiner Mutter sein zu können, kann ich diese Entscheidung des Jugendamtes natürlich bis heute nicht nachvollziehen, denn sie haben uns dadurch quasi unserem Vater wieder ausgeliefert. Ich bin allerdings auch überzeugt davon, dass selbst wenn wir ins gegenüberliegende Nachbarhaus gezogen wären, hätte mein Vater Mittel und Wege gefunden, um uns das Leben schwer zu machen. Also war es eigentlich völlig egal.

Und wenn wir heute über Kindeswohl sprechen, dann wäre natürlich die richtige Entscheidung gewesen, uns komplett aus dieser Familie herauszunehmen.

Zweifellos ist dieser doch fast elend lange sechs Monate dauernde Erholungsaufenthalt nicht spurlos an mir vorbeigegangen, denn ich habe in diesem halben Jahr eine ganze Menge Schulisches verpasst

Und als ich wieder in die erste Klasse zu meiner Lieblingslehrerin Frau Schober zurückkehrte, konnten die anderen Kinder das ABC bereits vollständig, während ich nur drei Buchstaben beherrschte. Es war eigentlich ganz klar, dass ich diese Klasse in Form einer Ehrenrunde noch einmal wiederholen durfte.

Und obwohl ich eigentlich überhaupt nicht dumm war, habe ich dieses Spiel in der dritten Klasse noch einmal wiederholt. Vielleicht war ich auch ein bisschen faul, aber dort wo andere Kinder möglicherweise Unterstützung im Elternhaus erfahren haben, war ich immer auf mich selbst gestellt und da war das Lernen nicht so wichtig.

Rechnen konnte ich übrigens immer hervorragend und wenn die ganze Schule nur aus Mathematik bestanden hätte, dann wäre es für mich überhaupt kein Problem gewesen, direkt bis zur Matura (Abitur) durchzuziehen. Aber leider gibt es ja auch noch jede Menge andere Fächer und die haben mir schon sehr zu schaffen gemacht. Deutsch kann ich bis heute nicht und meine Lehrerin war immer ganz traurig, weil sie mir öfter eine Fünf geben musste, da ich so irrsinnig viele Rechtschreibfehler hatte, obwohl der Aufsatz stilistisch und fantasiereich geschrieben war.

Aber manchmal hat sie mir dann doch einen Einser gegeben und großzügig über meine mangelnde Rechtschreibung hinweg gesehen.

Es ist, glaube ich, unnötig zu erwähnen, dass mein Vater niemals mit mir Hausaufgaben gemacht hat. Ich glaube, es wäre ihm auch gar nicht möglich gewesen, einen klaren Gedanken zu fassen, da ich mich wirklich nicht erinnern kann, ihn jemals richtig nüchtern gesehen zu haben

Meiner Mama mache ich natürlich auch keine Vorwürfe, denn wie sich jeder denken kann, ist eine Frau, die unter einer derartigen Anspannung lebt und dabei so ganz nebenbei noch sieben Kinder groß ziehen muss, vielleicht doch nicht so ganz in der Lage, sich um jeden so individuell zu kümmern, wie es vielleicht nötig gewesen wäre.

Ich muss jetzt noch einmal laut sagen, ich habe ihn niemals nüchtern erlebt.

Und kann mich auch nicht daran erinnern, dass es jemals einen persönlichen, geschweige denn einen persönlichen emotionalen Moment zwischen uns gegeben hätte. Es gab auch keine Geburtstagsgeschenke und ich bin sicher, nicht einmal ein „Alles Gute“.

Wie es war, als ich noch ganz klein war, daran kann ich mich natürlich nicht erinnern, aber später dann war immer eine Mauer zwischen uns.

Umgekehrt verhielt es sich natürlich ganz anders, wenn wir ihm nicht gratuliert haben, konnten wir die Ohrfeigen schon riechen. Später in der Hauptschule hatte ich dann eine Lehrerin, die war, ich glaube es gibt gar kein anderes Wort dafür, einfach nur furchtbar. Ich muss allerdings sagen, sie konnte mich auch nicht leiden und da ich sowieso in der Klasse immer ein bisschen Einzelgänger und Außenseiter war, passte das ganz gut ins Bild. Ich glaube, dass meine Mitschüler immer schon geahnt oder gefühlt haben, dass ich irgendwie anders bin und auch ich selbst war, obwohl ich es mir noch nicht eingestanden habe, oder vielleicht auch noch gar nicht wusste, in welche Richtung es geht, der Überzeugung, dass ich mich irgendwie vom Rest der Menschheit unterschied.

Freund oder Freundin mit nach Hause mitnehmen war sowieso ein Ding der Unmöglichkeit. Meine Mutter hätte sich, glaube ich, sehr geniert, wenn die anderen Kinder meinen betrunkenen Vater erlebt hätten. Und das wollte ich ihr natürlich nicht zumuten.

Allerdings wurde ich auch nie irgendwohin eingeladen, weder zu Geburtstags- noch sonstigen Feiern, sodass mein gesellschaftliches Leben praktisch nicht stattfand. Meine Lehrerin, die mir ja auch nicht freundschaftlich zugetan war, begleitete mein Leben allerdings drei Jahre lang und wurde nicht müde, mir immer und immer wieder zu erklären, wie dumm ich doch bin und dass aus mir sowieso nie etwas Anständiges werden könnte. Ich habe mir allerdings vorgenommen, dass ich fest daran glaube, dass man sich immer zweimal im Leben trifft. Sollte das wirklich so sein und sie mir über den Weg läuft, werde ich ihr die ganze Wahrheit über ihr pädagogisches Versagen kundtun.

Einige meiner Mitschüler verstanden es hervorragend, sich die Zuneigung dieser Frau sozusagen zu erkaufen, in dem sie ihr zum Beispiel ihre Tasche durch die Gegend getragen haben. Na soweit wird es gerade noch kommen, dass ich meiner Lehrerin die Tasche hinterher trage, nur damit sie mich vielleicht ein bisschen lieber hat.

Und so hatte sie eben eine Gruppe ihrer Lieblingsschüler um sich und ich war für sie der Trottel. Aber ich freue mich heute schon auf den Moment, wo ich ihr sagen kann, was ich in meinem Leben alles erreicht habe und wie vielen Leuten ich durch meine Kunst Freude bringen darf. Vielleicht schicke ich ihr auch dieses Buch. Eigentlich gar keine so schlechte Idee.

Die vierte Klasse und auch den polytechnischen Lehrgang habe ich mir dann geschenkt, da ich der Meinung war, ich habe bereits zwei Klassen wiederholt und das reicht. Ich bin dann auf die Idee gekommen ich könnte doch Konditor werden, das habe ich mir wunderbar vorgestellt, da ich immer schon eine Vorliebe für Süßes hatte und ja auch selber sehr süß bin. LOL.

Obwohl ich bis zu meinem zwölften Lebensjahr immer ein sehr schlankes Kind war, änderte sich das in der Pubertät dann doch ziemlich stark.

Die Aussicht darauf, in einem Beruf zu arbeiten, in dem man immer mit süßen Sachen umgeben ist, war verlockend, aber für meine moppelige Figur vielleicht doch nicht das Ideale.

Ich war allerdings auch der Einzige in unserer Familie, der seine Figur nicht im Griff hatte.

Alle meine Geschwister hatten offensichtlich die Gene meiner Mutter geerbt, nur ich schlug offensichtlich in eine Richtung, die ich mir gar nicht erklären konnte. Gut, man kann jetzt sagen, es mag vielleicht daran gelegen haben, dass ich sehr gerne und sehr viel gegessen habe. Das will ich nicht abstreiten, aber erklären kann ich es mir trotzdem nicht.

Ups, jetzt fällt mir doch spontan noch etwas aus meiner Kindheit ein, dass ich dringend loswerden muss.

Ich liebe Weihnachten, man kann wirklich sagen, die Weihnachtszeit ist meine Lieblingszeit im Jahr. Gottseidank habe ich heute einen Partner, der diese Vorliebe mit mir teilt und mich nicht vollkommen für verrückt hält, wenn ich im Spätherbst bereits weihnachtliche Dekorationsanfälle erleide.

Vielleicht hole ich dadurch auch die weihnachtlichen Lücken auf, die meine Kindheit geprägt haben. Wir hatten immer nur einen sehr spärlichen, krüppeligen, ja geradezu jämmerlichen Weihnachtsbaum und meine Mutter tat wirklich ihr Möglichstes, um uns diese Zeit ein bisschen schön zu machen.

Und da mein Vater, wie wir bereits wissen, das meiste Geld in die Gastwirtschaft um die Ecke getragen hat, ist sie in eine Fabrik für Rasenmäher-Messer arbeiten gegangen. Das war keineswegs so wie heute, mit vielen Maschinen, sondern eine ausgesprochen körperlich schwere anstrengende Arbeit, die sie auf sich genommen hat, um uns ein bisschen etwas bieten zu können.

Sie leidet übrigens bis heute darunter und ihre Gelenke sind bei dieser schweren Arbeit kaputt gegangen.

Traditionell gab es bei uns dann immer Truthahn zu essen, diesen Brauch habe ich bis heute beibehalten. Ich bewundere heute noch meine Mutter, wie sie es damals geschafft hat, Truthahn für sieben Kinder, einen betrunkenen Mann und sich selbst zu zubereiten.

Leider blieb unsere Weihnachtsfeier nur so lange friedlich, bis mein Vater sternhagelvoll aus dem Wirtshaus zurück kam, lautstark herum pöbelte und zu guter Letzt den Weihnachtsbaum schwungvoll aus dem Fenster warf. Er hat uns dann als Schmarotzer beschimpft und uns gedroht, er würde uns jetzt alle erschießen. Er würde uns faule Bande jetzt ein für alle Mal ausrotten. Diese Inszenierung durften wir jedes Jahr aufs Neue erleben

Aber, die Geschichte ist damit leider noch nicht zu Ende und Gottseidank wohnte direkt neben uns meine Tante Elfi, die bereits genau wusste, dass jedes Jahr um ungefähr einundzwanzig Uhr das Weihnachtsfest in meiner Familie eskalieren würde und sie, die alleine mit ihren Töchtern lebte, ihre Haustüre aufschließen musste. Das ganze Szenario lief ungefähr folgendermaßen ab. Truthahn essen, Geschenke, mein Vater kehrt heim, schreit, „Ich bringe euch jetzt alle um“, meine Mutter ruft „lauft“, und wir rannten in Panik ins Nachbarhaus zur Tante Elfi.

Aber nicht dass jetzt vielleicht der Eindruck entsteht, dass mein Vater nur leere Drohungen ausgestoßen hätte, nein, nein, während wir um unser Leben liefen, ging er in seinen Schuppen und holte eines seiner zahlreichen Gewehre. Denn zu allem Unglück war mein alkoholkranker Vater auch noch ein Waffennarr und besaß bestimmt fünfzehn verschiedene dieser todbringenden Geräte.

Dass da niemals jemand eine Anzeige gemacht hat, dass ein schwerer Alkoholiker so viele gefährliche Waffen besitzt, ist mir bis heute ein Rätsel

Wir Kinder haben uns bei meiner Tante weinend unter dem Tisch versteckt, während meine Tante Elfi, eine stattliche Frau, meinem Vater mit der Bratpfanne entgegen lief und ihm drohte, ihm damit eins über den Schädel zu ziehen.

Filmreif.

DREI

Erstaunlicherweise hatte er vor dieser Frau offensichtlich Respekt oder Angst, denn er traute sich nicht in ihre Wohnung.

Es war fast so eine Situation wie „Der Nikolaus und der Krampus“, erst kam das Christkind in Gestalt meiner Mutter, und gleich hinten drann der Teufel.

Wir sind dann immer noch eine Zeit lang bei Tante Elfi geblieben und so gegen ein Uhr morgens konnten wir es dann wagen, wieder nach Hause zurück zu gehen. Denn dann war mein Vater bereits so stark betrunken, dass er besinnungslos in irgendeiner Ecke schlief.

Offensichtlich haben sich diese Erlebnisse so tief in meine Seele eingebrannt, dass ich heute jedes Jahr, fast wie eine Heilung alter Wunden, Weihnachten mit meinem Mann ganz besonders feiere. Es glitzert, es funkelt, es ist still und gleichzeitig ist es auch ein bisschen verrückt.

Naja, was soll ich sagen, im Grunde genommen waren wir immer in Gefahr und ich erinnere mich noch ganz genau, dass es kein Weihnachten brauchte, damit mein Vater gewalttätig wurde. Er schlug meine Mutter nicht nur mit der Hand, sondern sogar mit einem so genannten Ochsenziemer, mit dem normalerweise die Bauern das Vieh auf die Alm treiben.

Einmal war es so schlimm, dass sie einen Schädelbasisbruch erlitt und für mehrere Wochen ins Krankenhaus musste.

Natürlich hat er überall erzählt, dass das alles nicht stimmt und hat irgendeine abenteuerliche Ausrede erfunden, bei welchen Unfall meine Mutter eine solche Verletzung davongetragen hatte.

Als ich ungefähr zwölf Jahre alt war, bin ich immer nach der Schule zu meinem Bruder Herbert und seiner Frau Traude gefahren, um nicht gleich nach Hause zu müssen. Meiner Mutter war das ganz recht, denn sie hat ohnedies bis sieben Uhr abends gearbeitet und so war ich sozusagen in guten Händen.

Mein Bruder und seine Frau betrieben ein Gasthaus, das alleine war schon spannend und aufregend.

Aber sie hatten noch eine Tochter, auf die ich dann immer aufgepasst habe. Von meiner Schule zu meinem Bruder bin ich immer mit dem Zug gefahren, die Strecke führte direkt an meinem Elternhaus vorbei und zu diesem Elternhaus möchte ich gerne noch etwas sagen. Mein Vater, der handwerklich eigentlich gar nicht so ungeschickt war, hatte es mehr oder weniger selbst um- und angebaut, das seltsame war, dass man in die Wohnung über eine Freitreppe nur direkt von der Straße aus gelangte und dass diese Unterkunft die Bezeichnung Wohnung eigentlich gar nicht verdiente.

Für eine Familie von neun Personen hat er nämlich nur eine kleine Küche, ein winziges Bad mit einer noch kleineren Toilette, ein Vorzimmer, ein Schlafzimmer und ein Kinderzimmer für sieben Kinder gebaut. Denn er war der Überzeugung, dass wir nicht mehr Platz brauchten, weil er seine ungeliebten Kinder sowieso, sobald sie einigermaßen auf eigenen Füßen stehen können, aus dem Haus werfen würde. Und das hat er dann auch mit allen getan, sobald sie fünfzehn, sechzehn Jahre alt waren. Und die, welche er nicht aus dem Haus geworfen hatte, die waren freiwillig gegangen.

Unser Kinderzimmer war winzig und in diesem extrem kleinen Raum standen drei Stockbetten für sechs Kinder. Meine Schwester Marina war ja, wie ich bereits erwähnte, nicht bei uns zu Hause. Und um den Luxus perfekt zu machen, war das Kinderzimmer auch noch ein so genanntes Durchgangszimmer, durch das man gehen musste, um ins elterliche Schlafzimmer zu gelangen. Jetzt kann sich jeder vorstellen, wie es war, wenn mein Vater betrunken von seinen Sauftouren nach Hause kam und versuchte, in sein Bett zu gelangen. Da braucht man, glaube ich, gar nicht viel Fantasie dazu, um sich das auszumalen.

Einmal als ich wieder auf dem Weg zu meinem Onkel und meiner Tante war, fuhr ich also an unserem Haus vorbei und sah meine Eltern auf diesem Treppenaufsatz lautstark streiten. Soweit ich es sehen konnte, wollte er wohl den neuen Kühlschrank aus dem Haus werfen und meine Mutter versuchte mit aller Kraft, das zu verhindern.

Ich hab gar nicht lange nachgedacht und bin an der nächsten Station ausgestiegen und so schnell ich konnte nach Hause gelaufen.

Obwohl ich erst zwölf Jahre alt war, bin ich wie in Rage auf

meinen Vater los und habe meine gesamten Aggressionen, die sich in den letzten Jahren angestaut haben, auf ihn abgeladen. Ich habe ihn alles genannt, was mir so in den Sinn kam und zu guter Letzt habe ich ihn dann am Kragen gepackt und wollte in die Treppen runter schmeißen.

Er hat mich nur mit seinen betrunkenen großen Augen angeguckt und meine Mutter hat das Schlimmste verhindert. Sie hat mich zurückgehalten und immer wieder gesagt: „Tu es nicht, du ruinierst dir damit dein ganzes Leben!“. Ich hab es dann natürlich nicht getan und hab ihn losgelassen, worauf er laut schimpfend weggelaufen ist und immer wieder geschrien hat: „Ich werde dich erschießen“. Und wie wir ja alle schon wissen, wäre mein Vater durchaus dazu in der Lage gewesen. Ich wollte natürlich in meiner kindlichen Naivität meiner Mutter zu Seite stehen und auch unseren neuen Kühlschrank retten, den wir nach langem endlich bekommen hatten. Weil er ja der Meinung war, wir bräuchten keinen Kühlschrank und auch kein Essen, weil er ja nicht bereit wäre, uns verkommene Brut auch noch durchzufüttern.

Plötzlich rief meine Mutter: „Jochen, duck dich!“ und reflexhaft habe ich das Gott sei Dank auch getan und spürte noch, wie irgendetwas meinen Hinterkopf streift.

Mein Vater hatte mir einen Vorschlaghammer nachgeworfen und wenn ich mich nicht wirklich blitzschnell geduckt hätte, wäre ich heute wahrscheinlich nicht mehr hier oder würde für den Rest meines Lebens schwer behindert, als Zimmerpflanze, in einer Ecke sitzen.

Aber die ausgleichende Gerechtigkeit hat dafür gesorgt, dass der Hammer direkt in sein Glashaus geflogen ist und es total zerstörte. Karma ist eine Bitch.

Ich ertappe mich jetzt die ganze Zeit, dass ich ihn doch immer wieder „Vater“ nenne, aber ich will gar nicht Vater zu ihm sagen, Erzeuger reicht eigentlich.

Ich habe diese Geschichte erzählt, damit man einen ungefähren Eindruck erhält, wie meine Kindheit abgelaufen ist, hin und her gerissen zwischen der Liebe meiner Mutter, ihrer Verzweiflung, ihrer Ohnmacht und der ständigen Gefahr, in die uns ein gewalttätiger Vater gebracht hat.

Am Ende der dritten Hauptschul-Klasse stand ich also sozusagen alleine vor der Entscheidung, wie mein weiteres Leben aussehen soll. Ich hab ja schon erwähnt dass ich mich praktisch nur von Süßem ernähren könnte und so war die Aussicht, einen Beruf zu erlernen, in dem man ständig von leckeren Süßigkeiten umgeben ist, natürlich sehr verlockend.

Dass es vielleicht ganz besonders in Hinblick auf mein ständig schwankendes Körpergewicht, dass mir leider bis heute mit dem Yo-Yo Effekt immer wieder Freude bereitet, nicht die beste Entscheidung gewesen wäre, Zuckerbäcker zu lernen, war mir damals natürlich nicht bewusst. Obwohl meine Mutter es bis heute abstreitet, weiß ich genau, dass sie damals zu mir gesagt hat: „Also Jochen, du bist jetzt schon so dick, wo soll denn das hinführen, wenn du auch noch Konditor lernst und immer mit Kuchen und Torten zu tun hast!“.

Sie bestreitet es bis heute, jemals so etwas, oder so etwas Ähnliches gesagt zu haben, aber es hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Ich hab dann entschieden, wenn ich nicht Konditor werden darf, dann werde ich halt Friseur. Da sowohl meine Großtante, die sogar drei Friseursalons besaß, und eine meiner großen Schwestern Friseurinnen waren, lag das eigentlich nahe. Außerdem kam mir dieser Beruf insofern entgegen, da ich ja immer schon ein bisschen anders war und es zu der damaligen Zeit wirklich noch eine Sensation, wenn nicht sogar ein Skandal war, wenn in einem Friseursalon ein junger Mann seine Ausbildung machte. So etwas gab es auf dem Land nicht und sorgte natürlich für reichlich Gesprächsstoff und Gerüchte.

Die Tratschweiber in einem kleinen Dorf, in dem die Menschen ohnedies nicht so offen mit brisanten Themen, mit denen man heute wie selbstverständlich umgeht, vertraut waren, war es natürlich schon etwas Besonderes wenn ich als kleiner schwuler Bub jetzt eine Friseurlehre machen wollte.

Ich selbst hatte niemals Probleme mit meinem schwul sein, das war mir schon mit zwölf Jahren völlig bewusst, und ich wollte auch nie etwas anderes sein, nur um gesellschaftlich besser angepasst zu sein, oder um anderen damit sozusagen einen Gefallen zu tun. Mir war immer klar, dass mir die Jungs besser gefallen als die Mädchen und in vergangener Zeit, in der man noch nicht so freizügigen Zugang zu einschlägiger Literatur hatte wie heute über das Internet, war der Quelle Katalog mit seinen männlichen Models für mich sehr interessant.

Aufgeklärt wurden wir natürlich auch nicht und so war das, was ich langsam selbst entdeckte, für mich immer richtig und ist es bis heute geblieben.

Und ich bin froh, dass ich mich nie nur auf Druck, von damals herrschenden Moralvorstellungen, verstellen musste und kann heute sagen, ich habe niemals im Irrtum gelebt.

Komischerweise war meine Mutter sofort mit meiner Berufswahl einverstanden, so dass ich eventuelle Alternativen, über die ich auch noch nachgedacht hatte, zum Beispiel Koch, gar nicht mehr in Betracht ziehen musste.

Ich hab auch gar nicht viel Zeit verstreichen lassen und bin sofort aktiv geworden und habe mir aus dem Telefonbuch diverse in Frage kommende Friseursalons herausgesucht, um mich dort zu bewerben. Ich glaube, meine Mutter war ganz stolz auf mich, dass ich das alles aus eigener Kraft und Initiative heraus schaffe und es war ja auch wirklich ein bisschen aufwändiger als heute, wo man eine Bewerbung einfach per Internet abschickt. Ob der heutige Weg der bessere ist, wage ich allerdings zu bezweifeln

Ich habe mir auch damit selbst bewiesen, dass ich bereits, obwohl ich noch so jung war, ziemlich selbstständig handeln konnte.

Natürlich war diese Selbstständigkeit auch den Umständen geschuldet, in denen ich aufgewachsen bin, denn wenn die Mutter den ganzen Tag arbeiten muss und der Vater meist betrunken in der Ecke liegt, dann bleibt dir als Kind nicht viel anderes übrig, als dein Leben selbst in die Hand zu nehmen.

Und ich wollte ja auf gar keinen Fall meiner Lehrerin Recht geben, die ja meinte, dass aus mir ohnedies nichts Anständiges werden könnte.

Der Betrieb, in dem ich dann mein erstes Probearbeiten begonnen hatte, war in dem malerischen Örtchen Steinakirchen am Forst. Einem ganz kleinen Fleckchen Erde, in dem es außer der Kirche und der Kneipe tatsächlich auch einen Frisiersalon mit Friseurmeister gab.

Und ich hatte Glück und Herr Ewald wollte mich wirklich als Lehrbub nehmen. Meine Freude und die Freude meiner Mutter über diese gute Nachricht waren wirklich sehr groß und so sind wir am folgenden Samstag nach Steinakirchen gefahren, um den Lehrvertrag zu unterschreiben. Meine Mutter meinte noch:

„Wenn du etwas beginnst, musst du es aber auch bis zum Ende durchhalten.“

Das war für mich kein großes Versprechen, denn ich bin bis heute kein Typ, der Dinge oder Projekte halb fertig liegen lässt.

Leider gab es aber auch in meiner Lehrzeit einen kleinen Wehmutstropfen, denn eine Kollegin konnte mich partout nicht leiden und so setzte sich mein Schicksal wie gewohnt fort. Eine Situation, die ich von der Schule und von meiner Familie her ja schon ausreichend kennen gelernt hatte. Es konnte natürlich nicht anders sein, als dass ausgerechnet sie für meine Ausbildung zuständig war. Aber ich habe mir ganz fest vorgenommen, Augen zu und durch.

Und so komisch es klingt, bin ich Frau Tina im Nachhinein sogar ein bisschen dankbar, dass sie mich so hart rangenommen hat, denn ich habe wirklich viel bei ihr gelernt. Viele Jahre später habe ich sie dann einmal in ihrem eigenen Friseursalon besucht, und habe ihr erzählt dass sie mir mit ihren penetranten Spitzfindigkeiten und kleinlichen Anweisungen das Leben sehr schwer gemacht hatte und ich ihr damals nicht nur die Pest an den Hals gewünscht habe.

Ich war ziemlich überrascht, als sie mir sagte, dass sie damals oftmals nach Hause gegangen ist und sich selbst Vorwürfe gemacht hat, ob sie doch vielleicht zu streng mit mir ist, aber irgendwie immer gefühlt hat, dass ich besonderes Talent für diesen Beruf hätte und man mit wischiwaschi einfach nicht weiterkommt, wenn man es zu etwas bringen möchte.

Sie hat mir allerdings auch einiges zugetraut, denn im zweiten Lehrjahr hatte ich bereits meinen eigenen Kundenstamm und habe fast so gearbeitet, als wäre ich schon fertig. Also bin ich ihr sehr sehr dankbar und wenn man den anderen Glauben schenken darf, bin ich ja auch ein guter Friseur geworden. Ein Umstand, der mir in meinem künstlerischen Beruf als Travestie-Künstler natürlich immer wieder zugutegekommen ist.

In meinem ersten Lehrjahr habe ich natürlich noch zu Hause gewohnt, bis eines schönen Tages, meine Mutter war auf einem längeren Kuraufenthalt, mein Wohnungsschlüssel nicht mehr sperrte. Als mir mein Erzeuger dann laut pöbelnd die Tür aufschloss, habe ich gesehen, wie eine unserer Nachbarinnen, eine circa eins fünfzig untergroße moppelige Schönheit, aus dem Schlafzimmer kam. Ich hatte sie also gerade in einer pikanten Situation erwischt.

Was diese Frau an meinem Erzeuger fand, bleibt mir bis heute ein Rätsel. Wo sie doch sicherlich als Nachbarin die näheren Umstände in meiner Familie kannte.

Natürlich habe ich meine Mutter sofort angerufen und ihr alles erzählt, das hat sie ziemlich mitgenommen und sie hat meinen Vater daraufhin zur Rede gestellt. Davon habe ich natürlich nichts gewusst und als ich am nächsten Tag nichts ahnend nach Hause kam, hat er schon auf mich gewartet. Er hat mich gepackt und ins Bett geworfen, wo er dann pausenlos auf mich einschlug und obwohl ich mir ganz fest vorgenommen hatte, dass, wenn er mich noch einmal anfassen sollte, würde ich mich ganz massiv wehren, konnte ich überhaupt nichts gegen seine Schläge ausrichten. Dass er mir wieder damit drohte, mein Leben endgültig auszulöschen, weil ich ja ein derart gemeiner Mensch bin, der seine Ehe zerstört, versteht sich von selbst. Als er dann endlich von mir abließ, lief er in den Keller und ich flüchtete zu meiner Tante Elfi ins Nachbarhaus.

Ich rief laut um Hilfe und als sie gesehen hat, dass ich blutüberströmt vor ihrer Haustür stand, hat sie mich natürlich sofort herein gelassen und ist zur nächsten Telefonzelle gelaufen, um meine Schwester Manuela anzurufen, die dann mit mir ins Krankenhaus gefahren ist.

Mit meiner Schwester Manuela verbindet mich eine ganz besondere Beziehung. Obwohl ich zu allen meinen Geschwistern ein gutes Verhältnis habe und sie alle heute hinter mir stehen, ist meine Beziehung zu meiner Schwester Manuela etwas ganz besonderes.

Im Krankenhaus hat man mich gleich auf Verdacht innerer Verletzungen von oben bis unten durchleuchtet und Gottseidank hatte ich wirklich nur äußerlich Schaden genommen. Ich konnte dann einige Nächte bei meiner Schwester in ihrer kleinen Ein-Zimmer-Wohnung bleiben, aber das war natürlich auch keine Dauerlösung, denn erstens war die Wohnung wie gesagt sehr klein und meine Schwester hatte damals auch bereits ein kleines Kind. Nach Hause konnte ich natürlich auch nicht, meine Mutter war noch auf Kur, und was mir blühen würde wenn ich wirklich nach Hause ginge, das möchte ich mir gar nicht ausmalen.

Ich vermute, dass er mich dann wirklich umgebracht hätte.

VIER

Ich bin meiner Schwester bis heute für ihre Hilfe sehr dankbar und Gott sei Dank habe ich mich mit meiner Schwester Manuela immer gut verstanden, sodaß es auch in den beengten Verhältnissen gut geklappt hat. Mit meiner anderen Schwester, Ingrid, die mich nach ein paar Tagen bei Manuela aufgenommen hatte, war es ein bisschen schwieriger, denn meine Schwester Ingrid und ich waren als Kinder nicht immer so harmonisch miteinander umgegangen und es war mehr so ein Hund und Katze Verhältnis. Wir arrangierten uns aber wohl oder übel in ihrem kleinen gemieteten Haus, das im Winter nur eine Elektroheizung hatte, für die aber das nötige Kleingeld fehlte, um sie richtig aufzudrehen, so dass wir eigentlich immer ein wenig gefroren haben.

Mein Lehrlingsgehalt war genau wie die Wohnung dementsprechend klein, ich glaube, es waren etwa zweitausend Schillinge, das sind heute knapp hundertfünfzig Euro. Davon konnte man auch damals schon nicht richtig leben.

Die Umstände, in denen wir da zusammen waren, gestalteten sich daher zunehmend problematischer. Nichts desto trotz, bin ich meiner Schwester bis zum heutigen Tage dankbar dass sie mich, trotz unseres nicht ganz spannungsfreien ein Verhältnisses, sofort und ohne zu zögern aufgenommen hatte.

Zu meiner Freude bekam ich später das Angebot meines Chefs, gemeinsam mit einer meiner Lieblingskolleginnen einen neuen Friseursalon, der ungefähr eine halbe Stunde mit dem Auto entfernt lag, zu übernehmen. Es passte ganz gut, da gerade in dieser Zeit meine Ausbilderin, von der ich ja schon erzählt hatte, schwanger wurde und ich eigentlich nur hoffte, dass sie recht bald aufhören würde zu arbeiten. Da kam mir die Aussicht, in ein neues Geschäft zu wechseln, natürlich sehr recht.

Ich habe mir ziemlich lange sehr große Vorwürfe gemacht, dass ich meiner Ausbilderin, mit der ich ja bekanntlicherweise kein gutes Verhältnis hatte, immer im Stillen gewünscht habe, sie hätte eine ganz besonders komplizierte Schwangerschaft und war dann doch erleichtert, als ich hörte, dass sie ihr Kind gesund und munter zur Welt gebracht hat.

Die Ereignisse überschlugen sich plötzlich, denn die weitere Entfernung des neuen Geschäftes und die beengte Wohnsituation mit meiner Schwester, machten mir sehr zu schaffen und als ob das alles nicht genug wäre, kam dann auch noch der Prozess. Selbstverständlich hatte die Klinik, in die ich eingeliefert wurde, als mein Vater mich im wahrsten Sinn des Wortes krankenhausreif geprügelt hatte, sofort das Jugendamt verständigt und da es sich in diesem Fall um eine ernsthafte gefährliche Körperverletzung handelte, wurde natürlich auch Anzeige erstattet. Meine Aussage und die Gutachten des Krankenhauses und auch weitere Zeugenaussagen, wie zum Beispiel durch meine Tante Elfi, führten dann eben dazu, dass ein Prozess eröffnet wurde.

Ich war in dieser Zeit ein nervliches Wrack, da ich immer noch von Albträumen geplagt wurde und panische Angst davor hatte, diesem Mann zu begegnen und ich leider sagen muss, dass ich aufgrund dieser Erfahrungen bis heute an Depressionen leide. Es wurde mir aber im Vorfeld glaubhaft versichert, dass er aus diesen Gründen persönlich am Prozess nicht teilnehmen wird, da man mir eine Konfrontation mit ihm dann doch nicht zumuten wollte. Zum Entsetzen aller Beteiligten saß er aber doch im Gerichtssaal und erst einige Zeit später stellte sich heraus, dass der Richter ein guter Jugendfreund meines Erzeugers war und der Anwalt des Jugendamtes dann einen Antrag auf Befangenheit stellte. Wir hatten uns nämlich die ganze Zeit gewundert, dass der Richter wie mit Engelszungen auf mich einredete, ich sollte doch wieder brav zurück zu meinem Vater gehen.

So eine kleine Auseinandersetzung wäre doch nur eine Lappalie und an einer kleinen Ohrfeige ist auch noch nie jemand gestorben.

Dass ich blutüberströmt mit Prellungen und Verdacht auf innere Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert wurde, schien in seinen Augen überhaupt keine Rolle zu spielen.

Die näheren Umstände dieses Prozesses zu beschreiben ist sehr schwierig, da es offensichtlich in den damaligen Augen der Justiz durchaus legitim war, seine Kinder bis zur Bewusstlosigkeit zu schlagen und so kam es dann im Endeffekt nur mit Ach und Krach zu einer Verurteilung. Das Urteil ist aus heutiger Sicht geradezu lächerlich, denn er wurde nur zu einer Entschädigungszahlung in Höhe von monatlich fünfhundert Schilling (fünfunddreißig Euro), zahlbar bis zu meinem achtzehnten Geburtstag, verurteilt.

Nun, man kann sagen, besser als gar nichts, aber von Gerechtigkeit im Sinne des Kindeswohls kann ja wohl nicht die Rede sein.

Aber wer jetzt glaubt, dass diese Gerichtsposse nicht schon haarsträubend genug war, der irrt sich. Denn meinem Vater ist es tatsächlich gelungen mit dem Richter noch einen Deal auszuhandeln.

Und so wurde ich im Gegenzug mit einem gerichtlichen Hausverbot für mein Elternhaus belegt, denn nur dann wollte er sich einverstanden erklären, mir diese fünfhundert Schilling monatlich zu überweisen. Wenn ich dran denke, wird es mir heute noch schlecht. Folge dieses ganzen Kasperletheaters war, dass ich meine Mutter nur noch am Gartenzaun oder an einer anderen Stelle außer Haus treffen konnte. Und offensichtlich hatte mein Erzeuger nichts anderes zu tun, als am Fenster hinaus zu sehen, denn sobald ich mich dem Haus näherte, stürzte er wie ein Geisteskranker aus dem Haus und beschimpfte mich aufs übelste. Ich hab sehr lange gebraucht, um zu begreifen, warum meine Mutter sich diese Behandlung und ein derartiges Leben so lange hat gefallen lassen. Aber es waren einfach andere Zeiten und so wie heute eine Frau in Not einfach in ein Frauenhaus geht oder ernsthaft sich Hilfe holen kann und dabei auch tatsächlich ernst genommen wird, das war eben nicht gegeben. Sie lebte einfach ständig in Angst, dass sie wieder ihre Kinder verliert oder dass das Jugendamt irgendeine seltsame Entscheidung trifft, die nicht in ihrem Sinne ist.

Erstaunlicherweise konnte man aber auch nicht auf Hilfe durch die Nachbarn oder Bekannte hoffen, obwohl wir in früheren Zeiten eine durchaus angesehene Familie in dieser Gegend waren. Die Männer in dieser Familie waren immer im Baugewerbe, also Maurer.

Und Handwerker waren zu dieser Zeit eben respektable Bürger. Ich weiß heute, dass mein Erzeuger durchaus eine Art Doppelleben geführt hat, denn wenn er auf seinen Baustellen war, spielte er den kompetenten Häuserbauer, der noch gerade Wände errichten konnte. Bier und ein Schnaps waren damals auf einer Baustelle noch gang und gäbe und er mutierte erst zu Hause zum aggressiven Tyrannen.

Leute, für die er Häuser baute, hatten von diesem Doppelleben natürlich keine Ahnung und so war im Endeffekt dann noch ich der Schuldige, denn wie könne ich es wagen, diesem netten Mann so etwas anzutun und quasi seinen Ruf so in den Dreck zu ziehen.

Die meisten waren tatsächlich davon überzeugt, dass er niemals im Leben zu so viel Aggressivität und Brutalität in der Lage wäre.

Ich musste tatsächlich erleben, dass andere Jugendliche in diesem Dorf mit Steinen nach mir geschmissen haben, nachdem sie herausgefunden hatten, dass ich nicht nur meinen „lieben“ Vater so schlecht behandle, sondern auch noch schwul bin und mit so jemanden wollten sie natürlich auf gar keinen Fall etwas zu tun haben.

Und auch für meine Mutter war es eine ganz schlimme Zeit, sie wurde beim Einkaufen doch tatsächlich einmal gefragt, wie das denn so ist mit einem schwulen Sohn und ob sie denn jetzt nicht auch Krankheiten hier mit in den Laden bringt. Ich hatte nur das Glück, dass ich aus beruflichen Gründen bereits etwas Abstand gewonnen hatte und mein tägliches Leben nicht mehr in diesem Umfeld verbringen musste. In meinem neuen Frisiersalon fühlte ich mich sehr wohl, denn dort kannte niemand meine Geschichte und ich musste keine Erklärungen abgeben.

Die schwierige Wohnsituation war natürlich immer noch vorhanden, aber nach einiger Zeit gab es doch einen zarten Lichtschein am Ende des Tunnels, denn dank lieber Freunde und der unermüdlichen Bemühungen meiner Schwester habe ich ein kleines Zimmer im Schloss Hubertendorf bekommen.

Dieses heruntergekommene Schloss war als Wohnhaus für sozial schwache Menschen eingerichtet worden. Heute ist es wunderschön renoviert und mehr ein Touristenziel. Und so konnte ich in einem Schloss mein erstes eigenes vierzig Quadratmeter kleines Reich beziehen. Unsere Freunde Steffi und Camillo halfen mir mit ganzer Kraft und so wurde auf Flohmärkten gestöbert, alles neu gemalert und auch dank einer finanziellen Mithilfe beim Möbelkauf, von meiner Freundin Steffi gemütlich eingerichtet.

Aus eigener Kraft hätte ich mit meinen finanziellen Möglichkeiten das alles nicht schaffen können.

Eigentlich konnte ich mein Glück kaum fassen, denn ich hatte jetzt eine super Arbeitsstelle und eine eigene Wohnung in einem Schloss.

Jetzt konnte mein richtiges Leben beginnen.

In meiner kleinen Wohnung im Schloss Hubertendorf war also fürs Erste meine Welt in Ordnung.

Eigene vier Wände, eine gute Arbeitsstelle und keine Bedrohungen durch meinen Erzeuger, der Himmel war also sozusagen doppelt blau.

In meinem Salon lief auch alles wie am Schnürchen, es gelang mir in kürzester Zeit meinen eigenen Kundenstamm aufzubauen und mir einen klingenden Namen als Haarkünstler bei der örtlichen Damenwelt und vereinzelt auch bei den Herren der Schöpfung zu schaffen.

Nun sollte man meinen, dass ich auch in meinem kleinen privaten Reich, das ich mir aus Möbeln vom Sperrmüll königlich eingerichtet hatte, glücklich sein müsste.

Und eigentlich war es auch so. Wenn ich wie eine Prinzessin auf

meiner ungeheuer geschmacklosen, großgeblümten, Siebziger-Jahre Couch gesessen habe, dann fühlte ich mich schon sehr edel und königlich.

Nur leider änderte sich dieses Glücksgefühl jedes Mal schlagartig, wenn es Abend wurde und mich ein starkes Gefühl der Einsamkeit überfiel.

Es quälten mich immer noch extreme Albträume und das Schlafengehen war jedes Mal eine Tortur für mich. Die tiefen Depressionen, die mich an manchen Tagen fest im Griff hielten, umklammerten mich so fest, dass es mir unmöglich war, aufzustehen und am normalen Leben teil zu haben. Jeder, der selbst schon einmal an Depressionen gelitten hat, weiß wie ohnmächtig und hilflos man sich in diesen Situationen fühlt. Ein Kreislauf aus Angst, Hilflosigkeit und dem immer wiederkehrenden Albtraum, der mich um den Schlaf brachte. Immer wieder träumte ich, dass mein Erzeuger plötzlich mit einem Messer vor meinem Bett steht und wieder und wieder auf mich einsticht.

Das war dann immer der Moment, in dem ich schweißgebadet aufwachte und danach war ich meist nicht mehr in der Lage, ruhig weiter zu schlafen. All die vielen wirren Gedanken, die in diesen Nächten durch meinen Kopf schossen, brachten mich fast um den Verstand. Ich war ja noch so jung und konnte nicht richtig einordnen, warum ich eigentlich jetzt schon alleine leben muss und nicht, so wie die meisten meiner Schulfreunde, in einem geschützten Umfeld einer Familie aufwachsen darf.

Meine Mutter fehlte mir in diesen Tagen ganz besonders und ich konnte es einfach nicht verstehen und begreifen, warum sie immer noch bei diesem Mann lebte, der doch so viel Unglück über unsere Familie gebracht hatte.

Darüber hinaus hatte ich offensichtlich meine liebe Not mit meinem schwul sein zurande zu kommen, denn irgendwie hatte ich das Gefühl, ich wäre der einzige Junge, der auf Männer steht. Heute weiß ich natürlich, dass es auch in meinem kleinen Dorf jede Menge Jungs und Männer gab, die schwul waren und wahrscheinlich unter ähnlichen Problemen der Selbstfindung litten.

Und da alles unter der Tischdecke blieb und sozusagen heimlich ablaufen musste, kannte man sich einfach nicht und jeder dachte wahrscheinlich, der „einzige Schwule im Dorf“ zu sein.

Eine Situation, die sich Jugendliche heutzutage im Zeitalter von Gay Romeo und anderen online-Portalen zum Kennenlernen, gar nicht mehr vorstellen können.

Man fühlte sich sehr alleine, der Körper und die Seele spielten verrückt und erst als ich mich meiner mütterlichen Freundin Steffi, die sich immer sehr lieb um mich kümmerte, anvertraute, empfand ich ein wenig Befreiung.

Als meine Mutter erfahren hatte, dass ich schwul war, hat sie mich in meinem Schloss angerufen und sie überschüttete mich mit Unverständnis und Verzweiflung.