Die Frau mit den roten Haaren - Joy Peters - E-Book

Die Frau mit den roten Haaren E-Book

Joy Peters

0,0

Beschreibung

Joy Peters erzählt uns in seiner Autobiografie von seinem Weg aus der Provinz auf die Bühnen der Welt als "Die Frau mit den roten Haaren".

Das E-Book Die Frau mit den roten Haaren wird angeboten von Books on Demand und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:
Travestie, Show, Joy Peters, Varieté, Sänger

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 183

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Vorwort

Prolog

Was Anständiges...

Haben Sie Kinder?

80er, Italo & Co.

Karriere oder brotlose Kunst?

Ganz am Anfang

Pythons, Dackel & Punks

Wer heilt, hat recht

Menschenkenntnis

Lützower Lampe & Co.

Madame GIGI

Madame Lothar

Immer unterwegs

Drugs, Fans & Woodoo

Nur ein Blick

Chris, Schiffe & Mutti

Herta & Berta

Heimat

Untermieter usw.

Portraits

Jogging

Freundschaft

Travestie? Sowas hätte es früher nicht gegeben

ART WORKS

Epilog

Danksagungen

Zu guter Letzt...

Vorwort von Dagmar Frederic

Meine liebe „rote Frau“, in meinem erwachsenen Leben habe ich viele Menschen kennenlernen dürfen, liebenswerte, tolle, begabte und solche, an die ich keinen Gedanken verschwendet habe.

Ein ganz besonderer Tag: Hamburg, Einschiffung auf die Europa - mein Liebster und ich ziemlich angespannt, mein erstes Engagement auf der „MS Europa“.

Alle Sinne auf 100 Prozent - da schauen wir Beide uns an (ich denke: oh, ich mag keine sichtbar schwarz gefärbten Haare), aber Deine Augen geben mir sofort Vertrauen und Wärme.

Es wurde eine sehr nachhaltige Reise, wir hatten viele gute Gespräche, auch mit Deiner Schwester.

Ich lernte Dich als „Tante“ (bei Herta und Berta), als „Sexyweib“ mit der roten Perücke und als Kerl mit der Wahnsinnsstimme kennen.

Am Ende dieser aufregenden Reise habe ich mich mit dem Versprechen verabschiedet: Melde mich!

Deine Antwort: Ja, ja das kenne ich, das sagen sie alle.

Wir haben Wort gehalten, haben uns nicht aus den Augen verloren, auch wenn wir Beide nicht zu Hause rumsitzen.

Ich erinnere mich an Euer Richtfest, bei dem ich drei tolle Frauen, Hunde und Katzen kennenlernte.

Dein erfinderisches Weib, der Fels in der Brandung, und Deine tollen Töchter. Zu alledem kann ich Dir nur gratulieren: dem Mann, der seinen Mann in jeder Situation steht und dem Mann, der auf der Bühne die formvollendete Dame ist.

Ich habe sehr gern mit Dir ein Duett auf Deiner CD gesungen und Du gibst von dem Erlös ab - an mein Elternhaus der Ronald McDonald Kinderstiftung in Cottbus - Danke!

Den Titel des Liedes habe ich verinnerlicht: Ich bin da, um Dich zu lieben!!!

Dein Singezahn

Prolog

Liebe Leserin und lieber Leser, an dieser Stelle möchte ich Ihnen einen oder mehrere zauberhafte Momente wünschen, wo immer Sie auch dieses Druck -werk zur Hand nehmen, um darin zu lesen. Ich bin mir fast sicher, dass Sie in diesem magischen Augenblick Ihr geliebtes, schier unentbehrliches Mobiltelefon, in Fachkreisen auch „Handy“ genannt, dabei haben, und mir sind natürlich auch die nahezu unendlichen und wunderbaren technischen Möglichkeiten bewusst, die Ihnen damit zur Verfügung stehen.

Daher möchte ich Sie aus persönlichen Gründen bitten, dieses Buch weder zu fotografieren noch kleine lustige Filmchen damit herzustellen, um damit die weltweite Facebook-Gemeinde auf´s kurzweiligste zu erfreuen.

Bücher sind kleine oder manchmal auch große sensible Geschöpfe, die durch direkte Einwirkung von Blitzlicht schwerste seelische Schäden davontragen können. Desgleichen gilt übrigens auch für den Autor.

Ich freue mich auch wahnsinnig, wenn Sie mir, wie erst kürzlich geschehen, begeistert davon erzählen, dass Sie doch alle meine Bücher zum, man glaubt es kaum, GRATIS-Download auf irgendeiner obskuren und illegalen Internet-Plattform gefunden haben und Sie so glücklich darüber sind, dass Sie jetzt mein Buch nicht kaufen müssen.

Bravo! Danke Internet!

Gott sei Dank gibt es Brötchen und dergleichen noch nirgendwo zum Gratis-Download und dem geneigten Esser bleibt der Weg zum Bäcker noch nicht erspart.

Sollten Sie, liebe Leserin und lieber Leser, aber zu jener kleinen wunderbaren Gruppe Menschen gehören, die das gedruckte Wort noch zu schätzen wissen und denen die Investition einiger weniger Euronen in einen Freund fürs Leben – ein richtiges Buch – nicht zu viel war, dann seien Sie herzlich willkommen in meiner Welt.

Was Anständiges...

Ich hätte ja auch was „Anständiges“ lernen können, aber nein, ich muss ja unbedingt der holden Kunst meine sämtlichen Energien zur Verfügung stellen. Und so verbringe ich heute meine Abende in Theatern, Cabarets,Varietés und diversen anderen Unterhaltungs -tempeln, um meine Berufung mit ganzem Herzen auszufüllen, zu leben und dennoch immer wieder gefragt zu werden: „Und was machen Sie eigentlich beruflich?“

Und das nur, weil es offenbar nicht ins Verständnis der „Normalbürger“ zu passen scheint, dass ein Beruf, von dem der Zuschauer in der Regel nur einen Bruchteil, nämlich das Endergebnis der Bemühungen zu sehen bekommt, seine Vorstellungskraft übersteigt, und weil eben dieses Endergebnis von zwanzig Minuten bis vielleicht zwei Stunden in sein Lebensmodell Marke „Anständige Menschen arbeiten acht Stunden am Tag“ partout nicht hineinpassen will.

Vielleicht fragen Sie sich ja, was denn „etwas Anständiges“ so sein könnte.

Nun, da gibt es ja tatsächlich unzählige Möglichkeiten und die Chancen sind extrem bunt und vielfältig. Bäcker zum Beispiel, das ist doch was Reelles - gegessen wird immer. Oder Bestattungsunternehmer - gestorben wird auch immer. Aber das sind für jemanden, der schon seit seiner frühesten Kindheit ganz tief in sich gespürt hat, dass er eben nicht so ist wie die anderen, und eben nicht dem „Anständigen“ hinterher hechelt, um bloß in ein von der ihn umgebenden Gesellschaft schon parat gehaltenes Lebensförmchen hinein zu springen, keine akzeptablen Lebensinhalte.

Vielleicht fragen Sie sich auch, ob man denn überhaupt derartige Gefühle bereits als Kind haben kann. Und da muss ich ziemlich laut herausschreien – Ja – selbstverständlich!

Natürlich ist mir bewusst, und das bezweifle ich auch gar nicht, dass man auf seinem Lebensweg nachhaltig und immer wieder von den verschiedensten Einflüssen und Vorgelebtem geprägt wird. Aber ich weiß auch genauso sicher, dass das große Ziel, auf das man unbewusst zusteuert, schon immer tief in jeder Seele schlummert, und auch die noch so gekonnt und raffiniert gesteuerten Erziehungsversuche im Grunde doch nur Beiwerk sind. Die wirkliche Bestimmung ist jedem Menschen von ganz oben mit dem ersten Atemzug mitgegeben worden.

Natürlich bin ich mir sehr bewusst, das intensivste Bestrahlung mit elterlichen, verwandtschaftlichen und natürlich auch freundschaftlichen Beeinflussungen oftmals sehr, sehr mächtig ist und das zarte Pflänzchen, das in einem jungen Menschen ganz im Verborgenen keimt, sich oftmals ganz ordentlich schwer tut mit dem Durchbrechen der Erdkruste der Seele. Ich spreche da aber nicht nur von künstlerischen Ambitionen, sondern ganz bestimmt auch von emotionalen und geschlecht -lichen Neigungen, die, und da besteht ja hoffentlich im aufgeklärten Teil unserer Erde kein Zweifel mehr, niemals von außen bestimmt werden, sondern immer schon im individuellen Bauplan jedes Menschen vorbestimmt und verankert sind.

In meinen hmmmmundhmmmmzig bisher auf dieser Welt verbrachten Lebensjahren habe ich keinen einzigen Mann oder Frau getroffen, die ihre sexuelle Orientierung als Jugendliche plötzlich freudig änderten und schwul oder lesbisch geworden sind, weil irgend ein „lieber Onkel“ oder eben die „liebe Tante“ ihr oder ihm in der Kindheit zu nahe getreten ist. Ich denke, man ist was man ist, und derartige traumatische und verwerfliche Erlebnisse hatten und haben wohl kaum einen verführerischen Effekt.

Ganz im Gegenteil, führen sie doch eher in ein Leben von Unsicherheit mit dem eigenen Selbstverständnis und vielleicht sogar zu Ablehnung und Vorurteilen, die sich nicht nur gegen den „Täter“ richten, sondern gegen Mitmenschen mit anderen Lebensmodellen im Allgemeinen.

Ups, jetzt ist es mir doch passiert und ich habe gleich zu Anfang ein ganz ernstes Thema angesprochen, dabei möchte ich Ihnen doch nur von meinem Lebensweg erzählen. Aber Sie können es sich vielleicht gar nicht vorstellen, dass selbst nach so vielen Jahren im Leben und auf der Bühne der Kampf gegen das Schubladen -denken immer noch ein fast tagtägliches Ereignis für mich darstellt.

Die doppelte Persönlichkeit der Bühnenfigur und des Privatmenschen, die für manchen selbsternannten Psychiater vielleicht gar nicht mehr künstlerisch erscheint, sondern bereits pathologisch ins Reich der Schizophrenie gehört, ist für den einzelnen Zuschauer eine harte Nuss, die er oftmals nicht zu knacken vermag.

Da werden Schubladen in den abenteuerlichsten Farben virtuos aufgezogen, und so schnell kann man gar nicht wegzucken und zurückspringen – Schwups – schon liegt man kopfüber drin und zappelt nur noch ein wenig, bis man den Willen zur Erklärung oder den Missions–Gedanken erschöpft aufgibt.

„Na das glaube ich Ihnen aber jetzt nicht, dass Sie verheiratet sind und zwei Kinder haben!“ - „Sie treten doch als Frau auf, so geschminkt und verkleidet – wir haben gedacht, Sie sind so.....na Sie wissen schon, so andersrum.“

Jahrelang bin ich in solchen Situationen immer zum Frontalangriff übergegangen und habe dann ein Referat über Vorurteile und gängige Klischees gehalten. Friseure, Krankenpfleger und Floristen teilen ja mit mir das gleiche Schicksal. Oftmals wurde ich dann aber auch missverstanden, denn meine Erklärung, dass dies ja nur eine vorgefertigte Meinung sei, sollte ja gar nicht heißen, dass ich nicht vielleicht schwul oder bisexuell sein könnte, sondern mich ärgerte nur dieser ungeb -remste Sturz in die bereits aufgezogene Schublade.

Erstaunlicherweise tritt dann in solchen Situationen auch der künstlerische Wert des eben Dargebrachten teilweise oder sogar völlig in den Hintergrund. Es hat mich immer grenzenlos fasziniert, in welchem Zusammenhang, in den Augen manches Zuschauers, meine künstlerischen Leistungen als Sänger(in), Schauspieler(in) oder Kabarettist(in), mit dem Um -stand, mit wem ich mein Nachtlager zu teilen pflege, steht.

Eigenartigerweise konnte mir das auch nach insistierendem Nachfragen bis heute keiner der hoch -geschätzten Zuschauerschaft befriedigend erklären. Kommt man nämlich auf den Punkt und fragt gezielt nach, dann wird das gerade eben noch in reinstem „schubladistisch“ Gesagte ziemlich schnell relativiert und am Ende bleibt dann ein „Aber es war trotzdem schön.“

„Trotzdem???????“

Trotz was? – Trotz, dass man es eigentlich nicht erwartet hätte.

Trotz, weil man ja nur gekommen war, um seine Klischees bestätigt zu bekommen und um dann im Endeffekt und zur eigenen großen Überraschung festzustellen, dass das bis zur Unkenntlichkeit geschminkte Wesen eben nicht NUR bunt war und sich bewegte, sondern auch noch drei vernünftige zusammenhängende Sätze sprechen konnte und zu allem Überfluss auch noch ganz passabel gesungen hatte.

Manch einer der geschätzten Leser und Leserinnen mag in meinen Worten bisweilen ein ganz klein wenig Ärger oder sogar Bitterkeit herauslesen, und da möchte ich Ihnen auch nicht sofort energisch wiedersprechen. Ich hätte mir nach so manchem erfolgreich absolviertem Abend ein wenig mehr Auseinandersetzung mit der Kunst und ein wenig weniger Beschäftigung mit meinem Liebesleben gewünscht.

Seit ich im Showgeschäft arbeite, und ganz besonders in der Sparte „Travestie“, werde ich, ganz genauso wie meine Kollegen, immer wieder mit den sonderbarsten Fragen des Publikums konfrontiert.

Im Grunde genommen kann ich das Interesse am Dahinter ja sehr gut verstehen. Wir sind für Frau Müller und Herrn Meier so etwas wie Wesen von einem anderen Stern und da kann ich mir gut vorstellen, dass die eine oder andere Frage aufkommt, wenn der Normalbürger zum allerersten Mal Kontakt mit Außerirdischen hat.

In der Regel beschränken sich die gewünschten Informationen auf Dinge wie, „Wie können Sie bloß auf diesen Schuhen gehen?“ oder „Schminken Sie sich eigentlich selbst?“

Na ich sage dann meistens „Einfach anziehen und gehen, ist ja alles eine reine Übungssache“.

Und betreff des Schminkens, „Aber natürlich schminken wir uns nicht selbst, jeder von uns hat seinen eigenen Maskenbildner, Schneider, Garderobier und einen Buttler, der ihn bei Bedarf durch die Garderobe trägt damit die Schuhe nicht abgenutzt werden.“

Ja ich weiß, das ist ein bisschen böse, aber ich denke, dass es sich die Leute ein bisschen zu einfach machen, und schon ein wenig nachdenken würde durchaus helfen.

Ich muss zu meinem Bedauern sagen, dass es sich heute fast kein Theater, und schon gar kein Nachtclub, leisten kann oder will, einen Maskenbildner oder eine Garderobiere zu beschäftigen. Und so ist in unserer Branche jeder für sein eigenes Gesicht zuständig und hält seine Kostüme persönlich in Ordnung. Selbst in großen Musicalproduktionen wie König der Löwen oder Phantom der Oper kommt der Maskenbildner nur in der ersten Zeit, um die aufwendigen Masken zu entwickeln und den Darstellern beizubringen, wie man es macht. Dann wird ein Foto gemacht, und ab diesem Zeitpunkt ist jeder Schauspieler selbstständig für seine Maske verantwortlich.

Nur das Fernsehen leistet sich noch den Luxus Masken- und Garderobenpersonals.

Ich bin allerdings der Meinung, dass es ganz besonders in der Travestie wichtig ist, dass jeder seine eigene Maske selbst entwickeln sollte. Denn kein Außen -stehender kann mein Gesicht so verändern, dass am Ende das zweite Ich entsteht, welches mir in meiner blühenden Phantasie so vorschwebt.

Da gilt es, wie bei allen künstlerischen Dingen, üben, üben, üben.

Meine ungeschlagene Lieblingsfrage, die mir seit sechzehnhundertdreiundzwanzig immer wieder gestellt wird, ist aber:

„Und was machen Sie eigentlich beruflich?“

Na Ihnen kann ich es ja heute mal verraten. Beruflich arbeite ich auf dem Bau. Ich habe da so eine kleine Wanderbaustelle, die ich immer mit auf Tournee nehme. Jetzt habe ich sie auch hinter dem Theater auf dem Parkplatz festgebunden, wenn Sie mal in der Nähe sind, gehen Sie ruhig hin und streicheln sie. Sie beißt nicht, sie will nur spielen.

Soviel zum Thema „Vor dem Fragen Gehirn einschalten“.

Warum denken denn tatsächlich jede Menge Leute, dass man eine professionelle Show, die in der Regel zwischen zwei und drei Stunden dauert und in einem Theater oder Varieté stattfindet, so nebenbei machen könnte, und noch Zeit findet, einem richtigen Beruf nachzugehen. Meine Profession IST ein richtiger Beruf, mehr noch, eine Berufung, und das erfordert weit mehr Zuwendung und Zeitinvestition, als den vielleicht kurzen Augenblick, der dann offen sichtbar fürs Publikum auf der Bühne stattfindet.

Lieder und Spielszenen entwickeln sich nicht von selbst, und die Tausenden Stunden, die meine Kollegen und ich bei (meist unbezahlten) Proben verbringen, kann man im Laufe der Jahre nicht mehr zählen.

Eine Zeit lang dachte ich, in meiner jugendlichen Naivität, dass diese spezielle Frage ein travestie -typisches Phänomen wäre. Da ich oftmals die Erfahrung machen musste, dass es jede Menge Zuschauer gibt, besonders im Cabaret oder Nachtclub, die tatsächlich unsere Darbietungen nicht als Kunst bewerten, sondern mehr als Ausdruck einer perversen oder zumindest seltsamen Neigung.

Ich habe Menschen kennenlernen dürfen, die ins Cabaret gekommen waren, um über uns zu lachen und nicht mit uns.

Immer nach dem Motto – Jetzt gucken wir uns die geschminkten Schwulen an, die ihre Neigung ausleben, Strumpfhosen zu tragen.

Zur Ehrenrettung des Publikums muss ich aber sagen, dass diese Art zu denken zum Glück weniger geworden ist, und die große Mehrheit der Zuschauer mit Interesse und durchaus auch einer Prise Faszination in unseren Shows sitzen und sehr wohl die individuelle künstlerische Leistung zu würdigen wissen. Aber so ab und zu läuft man dann doch einem Kandidaten in die Arme, der das Vorurteilskästchen schon parat hält.

Aber jetzt gibt es ja für Sie, interessierte Leserin und interessierter Leser, dieses Buch, und ich will Ihnen ja nicht schon am Anfang mit allzu vielen tiefschürfenden Problemwälzungen die Lust am Lesen verderben. Aber bei aller Leichtigkeit, die man in meinen Beruf allzu gerne hineininterpretiert, und die an dieser Stelle ganz bestimmt nicht zu kurz kommen soll, möchte ich es nicht versäumen, Sie auch manchmal ein wenig und manchmal ein wenig mehr hinter die Kulissen zu führen und das Licht der Scheinwerfer in der strahlend schönen Traumfabrik der leichten Muse zeitweise etwas zu dimmen. Dann möchte ich Sie bei der Hand nehmen und Ihnen erzählen, wie weit der Weg war, den ich bisher gehen durfte, wie oft ich gestolpert bin und wie oft ich im Rückblick die falsche Abzweigung genommen habe.

Obwohl so ganz sicher, ob es die falsche Richtung war, kann ich eigentlich ja gar nicht mit Bestimmtheit sagen. Wenn ich es heute aus jahrelanger Distanz betrachte, dann kommt mir so manche Entscheidung eben falsch oder übereilt vor, obwohl ja auch gerade diese Entscheidungen mich dorthin gebracht haben, wo ich heute bin und mich zu dem Leben geführt haben, mit dem ich heute sehr zufrieden und glücklich bin. Aber so ganz ist man wohl vor den „hätte, könnte, würde“ Gedanken nie sicher.

Meine Entscheidung, eine eigene Familie zu gründen und den berühmten Baum zu pflanzen, habe ich aber keine einzige Sekunde in meinem Leben bereut. Obwohl es mir dann doch nicht gelungen ist, den zum obigen Spruch und Baum dazugehörigen Sohn zu zeugen, so bin ich doch mit meinen zwei Töchtern vom Lebensglück überreichlich beschenkt worden und fühle mich in meinem Weiberhaushalt sehr, sehr wohl.

Alle zauberhaften Lebewesen, meine Frau, meine Kinder, die Hunde und die Katzen, die sich im Hause Peters so herumtreiben, sind nämlich Damen. Sogar ich verdinge mich ja als Teilzeitfrau und beim Kater ist auch nicht mehr alles am richtigen Platz.

Er war allerdings der Einzige, der es sich nicht selbst aussuchen konnte und ich hoffe, er hat mir verziehen.

Haben Sie Kinder?

Ja? Dann brauche ich Ihnen ja eigentlich nichts über diese wundervollen kleinen und später dann größeren oder mitunter auch sehr großen Geschöpfe zu erzählen. Meine geliebte Frau und ich haben, wie bereits erwähnt, glücklicherweise zwei dieser Gottesgeschenke.

Der Altersunterschied beträgt sechs Jahre und das bedeutet, dass meine Lieblinge sehr lange Zeit aber auch so rein gar keine Interessen miteinander teilen, außer sich bei jeder Gelegenheit, in passenden und gleichermaßen in unpassenden Momenten, wie die Bierkutscher zu streiten. Wobei natürlich keine der beiden Goldmäuse auch nur der Hauch einer Schuld trifft.

Meine mittlerweile fünfundzwanzigjährige Tochter nennt zeitweise durchaus die Diplomatie und das emotionale Einfühlungsvermögen der wilden tibetanischen Beutelratte ihr Eigen.

Während ihre neunzehnjährige Schwester bei der Stirn an Stirn Kollision mit einem ostfriesischen Hammel garantiert keinerlei Verletzungen davonträgt. Für den Hammel würde ich meine Hand allerdings nicht ins Feuer legen. Sie ist eine Elfe, aber eine Elfe aus Stahl. Und gerade deshalb liebe ich sie über alles, und wenn ich manches Mal von anderen Vätern höre, dass ihnen ihre Kinder seit ihrer Geburt noch keinen einzigen Tag Freude bereitet hätten, dann denke ich mir nur im Stillen: “Ja, aber vorher.“

Nun werde ich des Öfteren von Besuchern meiner Shows, die um meine familiäre Situation wissen, gefragt, wie denn meine Kinder zu meinem Beruf stehen, und wie sie es denn so finden, dass Papa als Frau auf der Bühne seinen Mann steht. Und die Antwort ist ganz einfach. Sie haben damit überhaupt keine Probleme. Welches Mädchen findet eine Welt, in der es schöne Kleider, Make-up und jede Menge Glitzer und Glamour gibt, nicht toll.

Möglicherweise haben meine Frau und ich aber auch den richtigen Weg gewählt, unserer Umwelt meinen, ja doch in mancher Leute Augen ungewöhnlichen, Beruf zu präsentieren. Schauspieler wäre ja, glaube ich, gar nicht das Problem, aber Travestiekünstler. Da beginnt sich oftmals erfahrungsgemäß bei vielen schon ein recht vorurteilbelastetes Gedankenkarussell zu drehen. Geholfen hat ganz bestimmt auch der Umstand, dass ich die ganze Verkleiderei ja tatsächlich rein beruflich betreibe und zu Hause höchst selten, also eher gar nicht, bunt herumlaufe. Ich bin aber auch sicher, dass der eine oder andere Vater oder Mutter der Klassenkameraden meiner Kinder mich erstmal eine Zeit lang sozusagen beobachtet hat, bevor er die möglicherweise schon geöffnete Schublade wieder geschlossen hat.

Und was hinter dem Rücken gesprochen wird, weiß man ohnedies nie so ganz genau und ich denke, das ist auch gut so.

Meine Kinder hatten, meines Wissens nach, niemals mit irgendwelchen dummen Bemerkungen zu kämpfen und wenn doch, so sind sie offenbar ziemlich souverän damit umgegangen.

Ich werde auch oft gefragt, ob denn meine Kinder auch künstlerisch ambitioniert wären und ob sie vielleicht auch einen Beruf auf der Bühne ergreifen wollen. Natürlich hätte ich da nichts dagegen, obwohl ich mir der Schwierigkeiten und Mühen, die ein Beruf wie meiner mit sich bringt, sehr bewusst bin. Soweit ich aber weiß, ist der Drang auf die Bühne bei beiden nicht extrem ausgeprägt und über zwangsweisen Klavierunterricht hinaus, hege ich auch keinen Anspruch, meine Häschen in irgendeine Richtung zu drängen.

Meine ältere Tochter hat nach dem erfolgreichen Abitur eine Ausbildung zur Veranstaltungs Kauffrau gemacht und hängt jetzt noch ein Pädagogik Studium dran. Und die Jüngere träumte längere Zeit von einer Karriere als Maskenbildnerin bei Film, Funk und Fernsehen und studiert jetzt Medien Design in Berlin. Ich lasse mich immer gerne überraschen und weiß genau, dass meine klugen und selbstbewussten Kinder die richtigen Entscheidungen treffen werden.

Na und wenn ich ihnen durch meine Verbindungen im Showgeschäft dabei helfen kann, ihre Träume zu verwirklichen, dann will ich das sehr gerne tun.

80er, Italo & Co.

Wenn ich zurückdenke, wie bekloppt wir alle in den 80er Jahren waren und wieviel Spaß wir hatten, wird mir heute noch ganz anders zu Mute. Doch der Spaß und die spontane Lebensfreude wurden Anfang des neuen Jahrzehnts plötzlich unterbrochen. Ich gucke mir Bilder oder Plakate aus dieser Zeit, zum Beispiel aus dem CHEZ NOUS, an und muss feststellen, dass ich auf so manchem Bild der einzige Überlebende bin – so viele Kollegen und Freunde haben diesen Planeten bereits verlassen und manche waren vielleicht gerade mal Anfang zwanzig.

Die meisten wurden Opfer von AIDS, dieser schreck -lichen Krankheit, von der wir alle erstmal überhaupt keine Ahnung hatten, was das ist oder wie man sich ansteckt. Ich weiß noch ganz genau, dass die ersten Kollegen, die erkrankten dann auch ziemlich schnell verstarben.

Die in der Branche unvergessene POMPILIA war ein hochtalentierter Künstler, mit einer guten Stimme und einem unvergleichlichen Talent atemberaubende Perücken zu knüpfen und zu frisieren. Er war sehr oft in New York und machte dort wohl die Clubs und Saunen unsicher. Das war sein dramatisches Schicksal. Erstaunlicherweise haben wir alle die Tragweite seines Todes nicht sofort begriffen.

Natürlich war es schrecklich, dass er tot war, aber was das für uns alle und unsere Zukunft bedeutete, war uns nicht klar. Dieser enorme Einschnitt und die erneute Beschränkung der sexuellen Freiheit und Freizügigkeit, die sich die Generation der 60er und 70er Jahre gerade erst mühsam erkämpft und erstritten hatte, war in ihren Grundfesten erneut erschüttert. Und religiöse Fanatiker fanden bereits wieder Argumente, um Sexualität, und ganz besonders gleichgeschlechtliche Sexualität, erneut zu verdammen und wieder einmal in das Schattenreich des Bösen zu verbannen.

AIDS war also die Strafe Gottes fürs schwul sein.