Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Anregend geistreich und erfrischend böse: Olga Flors bloggende Alice entführt uns in Spiegelwelten wechselnder Identitäten. Als Modebloggerin macht sich NextGirl in der Szene schnell einen Namen. Sie nimmt sich kein Blatt vor den Mund, ihr Urteil ist stets unverblümt, so unverblümt, wie das Urteil eines »Girls« nur sein kann. Das Wunderland, durch das uns Alice in ihrem Blog führt, ist ein Fantasiereich erschreckend realer Figuren. Im Austausch mit Bianca, dem Model, in dem ein Wurm zu monströser Größe heranwächst, erzählt sie, wie sie den »genialen« Modeschöpfer Josef kennenlernt, der ausgerechnet in dem Museum für Naturgeschichte, in dem ihr Vater arbeitet, eine große Show plant. Und wie jede gute Show endet auch diese mit einem Knalleffekt.Kunstvoll und mit leichter Hand verknüpft Olga Flor in ihrem Blog-Roman Kurztexte, Kommentare, Links und Bilder zu einem engmaschigen Netz. Was sie darin aus den Tiefspeichern einer faszinierend fremden Welt zwischen Mode und Körperdesign zutage fördert, schillert in den grellen Farben einer Gegenwart, in der sich der Mensch selbst überlebt hat und zur Fantasiegestalt, zum »Real-Life-Avatar« einer viel reelleren Webidentität wird. Es bleibt die Frage: Wer fälscht wen?
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 220
Veröffentlichungsjahr: 2015
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Ich in Gelb
© 2015 Jung und Jung, Salzburg und WienAlle Rechte vorbehaltenDruck: Theiss GmbH, St. Stefan im LavanttalISBN 978-3-99027-067-7
Roman
Natürlich hat mein Museumswärter mich am Ende hineingelassen. Auch wenn ich ihm versprechen habe müssen, niemandem davon zu erzählen und mich so unsichtbar wie möglich zu machen. Bin ich, habe ich gesagt, ganz hinten auf der obersten Balustrade. Vor allem darf Josef nichts davon wissen. Das kann ich mir aber nicht entgehen lassen, Josefs Museumsevent, die Show dieses unglaublich genialen Designers im Naturhistorischen Museum, ganz egal, wie es zwischen uns steht. Komische Formulierung eigentlich: Was steht denn zwischen uns? Diese eine Sache. Nein, noch viel mehr.
Ich bin schließlich wer: die jüngste Bloggerin der Szene. Immer noch, auch wenn ich das jetzt schon seit über einem Jahr mache. Habe übrigens demnächst Geburtstag, Einladung folgt! Ich gehe dem Museumswärter nach, der ganz in seinem Element ist, höchstens manchmal ein wenig neben der Spur. Ich folge ihm durch die langen Gänge und die Hinterzimmer und die Treppen, die sich mühen, die Höhendifferenzen zu überbrücken (die Arbeitsräume sind viel niedriger als der Ausstellungsbereich). Da fühlt man sich immer gleich besonders, wenn man so von der Versorgungsseite in ein Haus hineinkommt. Auch wenn das für mich eigentlich nicht so besonders ist. Undercover, das ist neu.
Wir sind da, das geht dann immer sehr plötzlich: von einem kleinen, hingeduckten Gang aus öffnet sich die Tür zu dem schmalen Balkon, der rund um die Innenseite der Kuppel läuft, und da steht dann: Anthropologie Geologie Paläontologie Zoologie Botanik und noch irgendwas, das ich vergessen habe. Das ist der Hauptraum des Museums, sein Zentrum, das durch ein Loch in der Mitte mit der Eingangshalle verbunden ist, vom Scheitel bis zur Sohle 64 Meter, wie der Wärter meines Vertrauens sagt. Auch der obere Teil allein ist gut 40 m hoch. Das ist der Ort, an dem sich alles abspielen wird. In der Mitte hängt auch schon das Plexiglasding, wie eine Riesenlinse, kugelig, eine Kugellinse, ein perfekter runder Wassertropfen, in den Raum geblasen, von drei erstaunlich dünnen Stahlseilen gehalten. Ich habe unauffällig spioniert beim Aufbau, habe so getan, als wäre ich eine ganz normale Besucherin, Teil einer Schulklasse, eine von denen, denen heiß wird beim Anblick von alten Knochen und eingelegtem Gemüse (sag jetzt niemand, das wäre ich eh). Der offene Flaschenhals ist nach oben gestülpt wie der Rand einer Blumenvase.
Ein Schlund, hat Josef gesagt, durch den sie schlüpfen wird, die Glückliche, das Glückskind, zurück ins Fruchtwasser! Die Erfüllung des einen wahren Menschheitstraums, seien wir ehrlich, geht es denn je um etwas anderes?, hat er gesagt. Das kann nur funktionieren, wenn ihr Körper durchpasst, und bei Bianca weiß man das nie so genau. Ich glaube aber, die Öffnung ist groß genug, da kann das Würmchen sich noch so sehr anstrengen. Die Blase körperwarm, tauchsiedertemperiert, wenn erst einmal das Wasser drin sein wird. Aber erst, Test, Test, kommt der Probetaucher mit diesem Sauerstoffzelt über dem Kopf, Nautic Shield heißt das, ganz was Neues. Drückt bestimmt auf die Ohren, aber egal, dafür macht es so einen angesagten Fischkopf, vergrößert optisch die Augenpartie von der Nasenwurzel bis über die Schläfen.
Jetzt habe ich genug gestarrt, ich verziehe mich, bevor es auffällt. Ich bin mir sicher, dass das alles Sinn macht, Josef weiß, was er tut, da kann man nichts sagen. Sonst hätte ich mich ja nie für ihn interessiert. Übrigens, dabei wird auch Biancas Anemonengefühl ganz real umgesetzt, ein Gefühl, in das ich mich richtig einfühlen kann, so oft habe ich die Bilder gesehen.
Mein Netzwerkdetektor sucht schon wieder unbotmäßig Anschluss. Euer nextGirl.
Hier geht es also um Folgendes:
Wer bin ich? Das immer schon übernächste neueste Mädchen natürlich.
Woher weiß ich das? Na, von hier, innen, von dort, wo man die Hand aufs Herz legt.
Warum will ich, dass die anderen das auch erfahren? Bedingung des Soziallebens, hab ich gehört.
Oder will ich das am Ende gar nicht, will ich womöglich nur, dass die anderen etwas in mir sehen, das ich vorher festlege? Na, das werde ich hier bestimmt nicht verraten.
Wie bringe ich die anderen dazu, das in mir zu sehen, von dem ich will, dass sie es in mir sehen? Das verrate ich schon viel eher. Ausgewogen und als Videofernkurs.
Eure einzigste Übernächste.
Dachbodendurchforstung: Wo ich die Sachen aufbewahre, die ich nicht mehr trage. Das habe ich mit meiner Mutter ausverhandelt, sie ist schließlich stolz auf mich, genau wie mein Vater, doch, sowas spürt man.
Das Aussuchen und Kaufen und manchmal auch Ändern ist eines. Dann das Tragen, und irgendwann packe ich die Sachen in Klarsichtfolie. Unter dem Dach wohnen nicht nur Gespenster … Oder vielleicht sind das auch welche: die Geister meiner Lieblingsoutfits, nach Monaten geordnet. Eine ganze Lebensgeschichte des letzten Jahres, über die ich meine Fingerspitzen streichen lassen kann. Die Motten haben sich bis jetzt noch nicht eingenistet. Alles voll Lavendel.
Außerdem sehen die Säckchen hübsch aus. Ihr meint, ich werde alt? Meint das ruhig. Eigentlich mag ich sogar den Geruch. Allerdings zerbröseln die getrockneten Blüten irgendwann, und der Lavendelstaub steigt auf wie bei diesen Pilzen, wenn man draufdrückt, mir fällt der Name gerade nicht ein. Ein ganzes Jahr, na, nicht sentimental werden. nG
Zur Fotosache, 13.10.:
Es war nicht nur der Winkel falsch, ganz offensichtlich. Ein deckenhohes Bild eines deckenhohen Spiegelbildes (larger than life) von mir und einer unbekannten alten Frau war es, vor dem Josef besonders gern posierte.
Das Ganze passierte bei einer großen Werkschau seiner Fotoarbeiten. Er sieht sich selbst ja mehr so als Fotokünstler, immer nur Kleider machen ist doch langweilig. Die Eröffnung extra früh angesetzt, damit er nicht wegen Verletzung des Jugendschutzgesetzes Schlagzeilen macht, wie er sagte. Jugendschutz, selten so gelacht. Die Hand als Schattenriss am Bildrand ist ein gutes Feature, muss ich zugeben. Das gibt dem Foto so was Schwebendes, so als würde die Hand, die Josef da ins Bild gerutscht ist, das Bild selbst halten, diese vom Goldstuck gerahmten Rückenansichten vor dem Spiegel. Eine alte, eine junge Silhouette, schöner Kontrast in diesem Wahnsinnsstiegenhaus, das musste ihm gefallen. Eigentlich wirkte die Hand eher so, als würde sie den Riesenspiegel halten, vor dem wir standen. Ich bewunderte dieses Detail also und sagte auch etwas zu Josef, jaja, murmelte er auf die für ihn typische Art, die so klingt, als wäre es ihm peinlich, gelobt zu werden. Storchenkind, sagte er und verschränkte die Hände hinter dem Rücken, was nicht gut war, denn sie hinterließen Staubflecken auf seinem Gehrock, und sein Assistent begann schon wieder, an ihm herumzuputzen.
Da verstand ich plötzlich, was so schwebend und unbestimmt wirkte: Der Hautrand sah sandig aus, wie aufgepixelt, was man aber nur erkennen konnte, wenn man wirklich sehr nah ran ging. Es brannte wild im Magen, ich sah mich nach Josef um.
Sofort natürlich klar, dass ich ihn nichts von meiner Aufregung merken lassen wollte, in einem Sekundenbruchteil, wie man so sagt. Doch Josef war ohnehin mit anderem beschäftigt, er unterhielt sich gerade fröhlich mit einer Gruppe von Leuten – leutselig steht in alten Büchern, das ist ja auch so ein Wort: selig vor lauter Leuten? Er lobte das besondere Feeling in den Ausstellungsräumen, die Frau, der die Galerie gehörte, hing an seinen Lippen, eine von diesen Schwarzesachenrotermundknallrotehaareartsy-Typen, die auf der ganzen Welt gleich aussehen. Er erzählte gerührt, wie die Frau ihn doch bekniet hätte, ein wenig Licht in ihre bescheidene Hütte zu tragen. Ich starrte währenddessen auf meinen Hintern, hinter dem noch ein kleines Stück der gespiegelten Vorderseite zu erkennen war. Ganz genau betrachtete ich mich, damit nicht auffiel, dass ich eigentlich die Hand untersuchen wollte, aber das war überflüssig, weil Josef mit der Galeristin ein wenig fürs Fernsehen posierte. Dabei dachte ich drüber nach, warum man sich den Körper so vorstellt, als wäre er kastenförmig, so mit Vorder- und Hinterseite und zwei Seitenteilen links und rechts, die klar voneinander zu unterscheiden sind. Die Kanten müssten jeweils über den höchsten Punkt der Hüfte verlaufen, ein Knochengerüst, das den Körperraum aufspannt.
Dann wanderte ich unauffällig weiter, endlich zur Hand, die vom Bildrand abgeschnitten wurde, untersuchte den Handrücken und war mir sicher, dass das kein Sand war, der die Umrisslinie so unscharf machte wie eine Küstenlinie, die, je genauer man sie betrachtet, umso mehr Vorsprünge und Buchten zeigt: Ich sah gepuderte Haut. Josefs Haut. Eine fraktale Küstenstruktur.
Was das hieß, war klar: Wenn das Josefs linke Hand war, die da ins Bild hineingriff, dann konnte er unmöglich selbst fotografiert haben. Konsequenz: Das konnte nicht das Bild sein, das er gemacht hatte, als wir im Stiegenhaus standen, das war das Bild von jemand anderem. Eddies Bild. Eddie, der an diesem Tag mal wieder wie ein Hilfssheriff hinter Josef herscharwenzelt war. Naja, wer tut das nicht.
So Vater-Sohn-Gespanne bildet Josef gerne. Als ob Eddie das noch nötig hätte. Dann findet er irgendwas, das ihm nicht passt und fragt: Bin ich die Heilsarmee? Und gibt den Sohn zum Abschuss frei, jetzt kann ich das ja sagen. Es herrscht schließlich nie Mangel an Neuem, Rohmaterial, Frischfleisch, aus dem sich was machen lässt und das ihn, Josef, den Erfinder, strahlen lässt. So läuft der Hase. Weiß ich doch. Nur bei mir ist er sich noch nicht so sicher, in welche Richtung das Tierchen hoppeln wird.
Nein, Eddie hat sowas nicht nötig, der hat Bianca, oder umgekehrt. Weiß nicht, wie ich das sagen soll. Jedenfalls: ein Erfolgsgespann.
Als ich das mit dem Bild begriffen hatte, wollte ich davonlaufen. Ich richtete mich auf, sah mich vorsichtig um und suchte Papa, oder Eddie, ich weiß nicht mehr. Im Männerklo fand ich Bianca, sie schreckte vom Waschtisch hoch und drückte den Handrücken gegen den Mund, der zweite Arm wippte in Richtung einer Kabinentür. Ich sah ein, dass das kein guter Ort war, um über meine Entdeckung zu sprechen, dabei wollte ich das unbedingt, manchmal muss man einfach reden. Biancas Haare von ungewöhnlichem Blau, fast wie die Armbeuge. Irgendwas an diesem Setting kommt mir bekannt vor, aber vielleicht beginne ich, Gespenster zu sehen. Alles so Gothic. Das Blau harmoniert aber durchaus mit den Glassteinen der Wand. Dieser Blick für die Farbe ist tödlich. Kann man das Datum ablesen am Farbwert, sage ich. Zumindest auf den Monat genau. Berufskrankheit einer Modebloggerin, nein, so nenne ich mich nicht. Das tun die anderen. nG
Nichts zu tun, bitte sehr. Was mache ich hier? Mich umschauen und überprüfen, was die anderen so treiben. Was sind die letzten hundertvierzig Zeichen, die letzte Duftmarke, auf die ich meine setzen kann? Da haben wir die Redefreiheit, und was haben wir davon? Auch wenn gelegentlich Aufläufe und Aufstände herbeigezwitschert werden, wir teilen lieber unseren aktuellen Beschäftigungszustand mit.
Einkaufen. Wenn nichts mehr geht, einkaufen geht immer. Das neue Schwarz ist Gelb, allerdings eine echt schwierige Farbe. Da kommt die Galle hoch, blass vor Neid. Gelb schmeckt bitter. Ich bin sein Seismograph, hat Josef immer gesagt. Ich sollte nicht von ihm reden, das habe ich eigentlich versprochen.
So sage ich ihm halt meine Meinung, vielmehr: habe ich gesagt. Vergangenheit, immer Vergangenheit! Ich denke, das hat ihm an mir gefallen. Direkt, sagt er, direkt ins Gesicht, das ist das Schöne. Ich verstehe nicht ganz, was er meint, während ich zwischen den Garderobenstangen herumstreiche und mit den Fingern die Stoffe berühre, wobei ich jedes Mal auf den Kitzel eines kleinen elektrischen Schlages warte: Wie sonst soll man seine Meinung denn sagen? Er sagt: Das wirst du schon noch lernen, Storchenkind. Aha, sage ich. Aber solange ich noch meine Storchenbeine habe, Zahnstocherbeine, so nenne ich sie, er lacht, kann ich sagen, was ich will. Die Beine schießen in die Länge, ohne dass sich sonst an meinem Körper irgendwas in Richtung Fertigsein bewegen würde. Wie er drauf kommt? Das mit den Störchen vor jedem Haus, wo sie ein Kind bekommen haben, nimmt überhand. Vielleicht deshalb. nG
Heute ein Exkurs über Puder. Das mit dem Händepudern ist so eine Sache. Im Familienerbe finde ich ein Benimmbuch für höhere Töchter (Gebrauchsanweisung für die gepflegte junge Dame) mit der Empfehlung, bei Begrüßungen dem Gegenüber keine Schweißhand zuzumuten. Folgende Gegenstrategien werden zur Auswahl gestellt:
(a)Händewaschen (Akutmaßnahme)
(b)Talkpuder (vorbeugend)
(c)Handschuhe (sicher und dauerhaft, verstärken aber den Trend zu feuchten Händen, mittelfristig nicht empfehlenswert)
Diese Ratschläge muss Josef kennen, alt genug ist er. Seine Generation, was immer er auch behauptet, rechnen kann ich noch. Talkpuder und Schweißblätter unter den Achseln. Oder war es die Schneiderkreide, die ihn darauf gebracht hat, Puder aus Gummibeuteln, mit denen man die Saumhöhen markiert?
Traut sich ja keiner, ihn zu fragen, wo er die Wahnsinnsidee her hat. Trockene Hände sind die Höflichkeit des Kaisers. (Als ob man dem Herrn Kaiser mal eben so die Hand geben dürfte.) Nur den weißen Staub unauffällig von den Stoffteilen fegen, die er berührt hat. Nicht mal das Gesicht verziehen. So ist das. nextGirl.
Kaum fängt das Schuljahr so richtig an, kommt schon wieder die Schulpsychologin. Soll ich diese blöden Sätze vervollständigen, ihr wisst schon. Was fällt euch da ein?
Ich wünsche mir … hitzefrei.
Ich stelle mir oft vor … die Sonne würde bleiben, ganz heliozentrisch.
Was mich ärgert … Schulpsychologinnen.
Manchmal …
Ich fühle mich oft …
Andere in meinem Alter …
Wenn ich etwas gar nicht kann …
In der Schule …
Sport …
Ich denke manchmal … nichts.
Ich leide … unter dem Übernächsten. Euer nächstes Mädchen.
Der König, ein Pariser Auslaufmodell. Habe ich schon erwähnt. Den dekadenten Haute-Couture-Shows will Josef etwas Frisches, Neues entgegen setzen, sagt er, versteh ich nicht ganz, er ist doch der Meister der opulenten Dekadenz:
In der Zwischenzeit richtet er dem jüngsten Milliardär-turned-politician ein Privatkasino ein. Oder verwechsle ich da was? Zuerst Politiker, dann Milliardär? Auch kein Problem, wenn’s um Geld geht, soll man nicht wählerisch sein. Für die Jagd nach den richtig guten Einrichtungsobjekten schickt er schon mal sein Privatflugzeug vor, in dem speziell beauftragte Interior Scouts sich dann auch richtig um die Fundstücke kümmern, sie aufpolieren und versorgen. Jeden Tag eine gute Tat. Eine gute Tat pro Tag und Hordenmitglied ergibt, wenigstens für das Hordenmitglied, Aufschub bis morgen. Kein Rausschmiss. Dem Kandidaten wird der Hinterkopf geschoren. nG
Josef hat schon wieder alles umgeschmissen. Nichts mehr mit Saurierskelett. – Also, die Idee ist die, hat Josef noch vor zwei Wochen gesagt: Bianca, unsere biologische Sensation, reitet auf einem Saurierskelett, see the picture? Aber alles überholt, eine neue Idee ist geboren, es wird schon mit der Immobilienverwaltungsgesellschaft verhandelt. Dagegen ist der Denkmalschutz ein Häkelkreis, sagt Josef.
Jetzt nämlich: Wassertank. Die Direktorin ist willig darauf eingestiegen. Wir brauchen Eyecatcher! Also nicht bloß kaiserselige Eingangshalleninstallationen wie früher, Geheimlogenguckkästen inklusive Mozart- und Hofmohrenfiguren, ausgestopfte Kaiserinnenschoßhunde und Ähnliches. Dass auch der schwarze Logenbruder Soliman ein postmortales Dasein als ausgestopftes Schauobjekt im Naturalienkabinett fristete, wurde nicht erwähnt. Das muss mir erst mein Museumswärter erzählen. Später dann nur noch Präparation von Einzelkörperteilen: isolierte Extremitäten.
Jedenfalls ist klar, dass die zentrale Museumshalle, der Museumsdom, der zum imposanten Stiegenhaus hinführt, in Zukunft fluider in die Ausstellungsbereiche eingegliedert werden muss. Einen solchen Raum verschenkt man nicht, da sind sich Josef und die Direktorin einig. Ein Herzstück, Ausgangs- und Schlusspunkt des Rundgangs muss da hinein. Das Thema: der Körper. Dann sagt Josef: Die Kugel, der Raum braucht die Kugel! Mit Wasser gefüllt, was sonst, jetzt schreit er fast vor lauter Aufregung: Und drinnen, drinnen, Bianca, das Menschtierhybrid als Summe evolutionärer Anstrengungen.
Also, das Ameisengitter wird entfernt (da müsst ihr jetzt reinzoomen). Und ganz oben hinter dem Balkongitter ich. Sieht man mich gar nicht, wie man sieht. nextGirl.
Da war die Sache mit dem Foto: Josef, Eddie und ich im Stiegenhaus, er hasst das Konzept Familie, sagt Josef. Hier eines von Eddies Bildern kurz davor, was ihr drauf nicht seht: mitten in der Menge, spiegelbildlich das Gesicht einer Frau, die ihre eigene Vorderseite in einem kleinen Teil der über zwei Stockwerke reichenden Wandverspiegelung sorgfältig aufpoliert und die exakt geschnittenen schwarzgefärbten Stirnfransen in Reih und Glied kämmt, während das strähnige Haar des Hinterkopfs die nackte Kopfhaut zeigt. Und diese Frau samt ihrer Glatze musste Josef natürlich festhalten. Eine Nacktheit, von der die Frau wohl nichts weiß, sonst würde sie sich doch nicht im Stiegenhaus, diesem Durchgangsort, bei Verschönerungsversuchen beobachten lassen? Sich in einer Position präsentieren, die ihre Bemühungen von hinten torpediert, zu der Lüge macht, die sie sind? Oder ist es eher das Gegenteil, lässt vielleicht gerade die Offensichtlichkeit der Bloßstellung die Sache zu einem Kampf um Schönheit werden, den die Frau schon dadurch gewinnt, dass sie ihn öffentlich austrägt? Ich weiß nicht, was ich denken soll. (Hierhin ist vielleicht Bianca abgebogen, wer weiß. Diese Abkürzungen und Querverweise, was soll man machen.)
Josef hält sich jetzt wirklich für einen Fotografen, sagt Eddie später, nicht Mode, sondern wirklich so Kunst. Mehr Licht und Schatten, grafisch, sozusagen, wie Josef sagt, sagt Eddie.
Ich finde, die Bilder waren toll, ja, sicher. Josef versteht sein Handwerk, und er lud mich ein zur Eröffnung seiner allerjüngsten Werkschau. Ich natürlich hin. Er hatte so eine Idee: Maß nehmen an der Menschenhand. Seiner Hand natürlich. Da staubt das Puder, dass es nicht mehr schön ist. Ich muss an Meerwasser denken, das Salzkristalle hinterlässt auf der Haut, wenn es verdunstet. Ich frage mich, ob dieses Puder-Schweiß-Gemisch wohl vom Kamerainneren fernzuhalten ist und warum dieser allgegenwärtige Staub auf den Bildern nicht zu sehen ist. Na, du stellst Fragen, sagt Eddie und zieht das letzte Wort in die Länge.
Mittendrin das Bild, das Spiegelbild, auf dem nämlich eine alte Frau zu sehen ist, die sich die Stirnfransen kämmt vor der gut zwanzig Meter hohen Spiegelwand des Museumsstiegenhauses, und von der Josef so begeistert war, dass er spontan aus dem Bauch heraus beschloss, mich neben der Frau zu fotografieren, noch ehe sie den Kamm einstecken konnte. Ich weiß schon, es wird passieren, obwohl es unglaublich scheint, dass man selbst einmal so verfallen könnte. Man sieht den Tagen zu, noch geht es aufwärts, jeder Tag verändert den Körper ein bisschen, doch in positive Richtung, dem Höhepunkt zu, einem Alterszenit, von dem man sich dann nicht mehr verabschieden möchte, so achtzehn, zwanzig, schätze ich. Ich verstand Josefs Handbewegung sofort, beugte mich vor und tat so, als wollte ich mir Gel in die Haare schmieren. Ich schielte nach ihm, nur damit ich mein Gesicht nicht sehen und mich für das hassen musste, was ich gerade tat. Wenn man nämlich das Jagen aufgibt, weiß man, dass man sich selbst aufgegeben hat. Ich machte mit bei Josefs Jagd, und ich gebe zu, dass ich mich heute dafür schäme.