Ich nix lügen. Wenn ich lügen, du mir Zunge abschneiden - Simon George - E-Book

Ich nix lügen. Wenn ich lügen, du mir Zunge abschneiden E-Book

Simon George

4,7

Beschreibung

Eine Wahrheit gibt es kaum. Es gibt nur Sichtweisen. Auch in der schweizer Alpenrepublik geht es nicht immer beschaulich zu. In dieser humoristischen Anekdotensammlung mit Sinn für das Absurde erzählt ein Thurgauer Jurist von sägenden Häftlingen, untreuen Ferrarifahrern, Jungfrauengeburten, tiefgefrorenen Schoßhündchen und von Dirnen, die das (Stoff-)Herz nicht am richtigen Fleck tragen. Kurz gesagt: vom alltäglichen Wahnsinn in seiner Anwaltskanzlei. Facettenreich, witzig und wirklich passiert! Mit farbigen Illustrationen.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Der Räuber der AHV-Rente

Der Hühnertausch

Heirat macht frei – nicht von der Lohnzahlungs-Pflicht des Arbeitgebers

Never feed the horses you can`t ride

Die Dirne mit dem Scheuermann

The house of ill fame

Die (Seiten-)sprünge von Staatsraat Sauterelle

Zwei Wohnungen und zwei Flaschen Aigle les Mureilles

Die verführten Jungfrauen

I`ll be home for Christmas, if only in my dreams

Seekaviar und Lex Mitior

Ferraris, Lamborghinis und Aston Martins

Tierliebe

Zwei Hochstapler im gleichen Gefängnis

Der unbeteiligte Unfallbeteiligte

Cabaret, Affen- und Reptilienhaus

Ein Schweizer Anwalt vor dem Oberlandesgericht Thüringen

Der Fall Fall (oder der Fall des Mustafa Fall)

Der inflationäre Wert der Ehe

Der Grossbrandstifter

Was ist ehrverletzend?

Daniel Düsentrieb und Dagobert Duck beim Anwalt

Klapprige Gebisse und wackelnde (Holz-)Beine

„Mein Freund ist ein Ästhet“ oder die missglückte Schönheitsoperation

Der 87-jährige Ehebrecher

Greise am Steuer

Stronzo, Varfanculo

Die unbefleckte Empfängnis

Der Postbeamte und die Dirne aus dem Rheintal

Die Kirschdiebe und der Schütze

Das Raumschiff

Der anarchistische Kursleiter, der die Kippa verweigerte

Der Anwalt als Schweizermacher

Der Altunternehmer im Kampfanzug

Die wehrhafte Wirtin

Zitate aus dem Götz von Berlichingen

Korpsmaterial der Polizei

Zwei südamerikanische Ehefrauen

Der manische Autofahrer

Der gefrorene Yorkshire-Terrier

Ungewöhnlicher Hauskauf

Karibische Romanzen

Ein Kind ist kein Schaden

Poldi, der Travestiekünstler

Soziale Kosten des Ausbüchsens oder des Dranges „back to the roots“

Strichjungen vor Gericht

Teurer Ausflug ins Verkehrshaus

Schuster bleib bei deinen Leisten

War es Vergewaltigung und Unzucht mit einem Kind?

Der Steuerhinterzieher

Zeugnisfähigkeit und Zuverlässigkeit

Catch as catch can

Trouble um verschwundene Menschen

Generalversammlungen und Sitzungen des Verwaltungsrates

Das Au-Pair-Mädchen aus der Westschweiz

Mit den Herren Rüdisühli und Dibeli in London

Von Dirnen, die das (Stoff-)Herz nicht am rechten Fleck tragen

Die fliegende Porschebrille

Bauernsohn heiratet Thailänderin

Feurige Eifersucht unter Latinas

Eine verdorbene Familie

Gruppenvergewaltigung

Eine Taubstumme und ein Pakistani geben sich das „Ja“-Wort

Der Geistheiler und der vietnamesische Mörder

Er leckte seinem Lehrer die Füsse

Streit um den Mietzins für ein Massageinstitut

Der Autor

Vorwort

Wenn Sie, lieber Leser, sich ohne die nachstehenden Erläuterungen ins Geschehen stürzen wollen, sei dies Ihnen unbenommen. Sie dürfen dieses Vorwort ohne weiteres überspringen. Sie könnten ohnehin nicht daran gehindert werden. Immerhin gibt es hier einige Erklärungen, welche der Autor Ihnen mitgeben möchte und die für Sie in der nachfolgenden Lektüre nützlich oder interessant sein können, weshalb auch dieser Abschnitt Ihnen zum Lesen empfohlen wird.

Die nachstehenden Geschichten sind Fälle aus dem täglichen Berufsleben eines Rechtsanwaltes, dessen Tätigkeit ein Spiegelbild des Alltags seiner Klienten aus den unterschiedlichsten sozialen Schichten in den verschiedensten Lebenslagen ist.

Die Geschichten spiegeln das Leben in seiner Widersprüchlichkeit, seinem (zum Teil unfreiwilligen) Humor, seiner Absurdität und seiner Schicksalshaftigkeit.

Der Anwalt ist oft nicht nur der Rechtsberater seines Klienten, sondern dessen Coach in allen Lebenslagen, indirekter Teilhaber an dessen Schicksal und Lösungssucher und -helfer, wobei er sich immer auf einer Gratwanderung zwischen Empathie in seiner Helferrolle einerseits und der Schaffung der notwendigen Distanz zum Klienten andererseits befindet, welche für eine erfolgreiche Mandatsführung erforderlich ist. Er muss sich immer wieder den dafür nötigen Abstand verschaffen, sonst riskiert er, sich zu verlieren, betriebs- oder fallblind zu werden und nicht mehr als Betreuer seines Klienten, sondern ausschliesslich als sein Sprachrohr, als „his masters voice“ zu agieren.

Der Anwalt hat oft kreativ mit Akten und Fakten umzugehen und sie nicht immer so zu interpretieren, wie der Klient sie sieht, sondern so, dass sie dem Richter, der Behörde oder einem Dritten eine Subsumptions- oder Interpretationshilfe bieten. Es kommt vor, dass er seinen Adressaten Aspekte suggeriert, welche im Interesse des Klienten sind, aber von diesem nicht immer ganz verstanden oder geteilt werden. Dieser würde vielleicht seinen Standpunkt anders darlegen. Der Anwalt wird deshalb im Volksmund manchmal als „Wahrheitsverdreher“ betitelt. Wer von Wahheitsverdrehung spricht, der setzt voraus, dass es in jedem Sachverhalt eine objektive Wahrheit gibt. Eine solche gibt es aber oft kaum. Meistens gibt es nur Sichtweisen, herrschende Sichtweisen, stringente Sichtweisen, geteilte Sichtweisen, abweichende Sichtweisen, unrealistische Sichtweisen, absurde Sichtweisen, und so weiter. Was aber nicht ist, kann nicht verdreht werden. Der Anwalt muss den Fall in einer Optik darstellen, welche die grösstmögliche Chance zum Erfolg, das heisst zur Durchsetzung der Interessen seines Klienten bietet. Er muss eine Erklärung seines Klienten und dessen Verhalten präsentieren, die dem Richter selbst logisch und plausibel erscheint und ihn damit auf eine schlüssige rechtliche Subsumption hinführt.

Müssen in Straffällen die Person des Klienten, seine Motive und sein Vorleben geschildert werden, so gilt es das hervorzuheben, was ihn besonders sympathisch oder weniger unsympathisch macht. Der Anwalt muss ihn dem sozialen Umfeld des Richters näher bringen, die Motive des Klienten erklären und verständlich machen. Denn, wenn der Richter die Beweggründe versteht und er sogar eine gewisse Sympathie für den Täter empfindet, ist er eher geneigt, ein milderes Urteil zu fällen. So wird auch die Empathie im Richter angerufen, denn diese ist vor allem dann wichtig, wenn er über ein Strafmass entscheiden muss. Bei alledem kann die anwaltliche Tätigkeit sehr kreativ sein. Maître Verges, einer der berühmtesten Strafverteidiger Frankreichs, hat dazu vor Jahren in einem Interview im deutschen „Spiegel“ erklärt: „Ein Anwalt agiert wie ein Gesichtschirurg. Er verpasst seinem Patienten ein möglichst angenehmes Äusseres.“ Dieser Vergleich ist zutreffend. Der Anwalt präsentiert eine Person vorteilhaft, damit er einen Erfolg im Sinne eines Freispruchs oder einer möglichst milden Strafe erzielen kann. Ähnlich präsentieren sich häufig auch Zivilfälle, beispielsweise Scheidungen, überall dort, wo persönliche und nicht nur rein rechtliche Fragen im Vordergrund stehen.

Die folgenden anekdotisch geschilderten Fälle sollen der Unterhaltung und der Erbauung des Lesers dienen. Sie haben sich mit kleinen Änderungen, welche der Autor aus Persönlichkeitsschutzgründen vorgenommen hat - so sind Namen, Nationalitäten und persönliche Daten geändert worden -, wirklich zugetragen. Natürlich hat er die wahren Begebenheiten aus einiger Distanz als Anwalt und mit dem ihm eigenen Sinn für deren absurde und humoristische Facetten geschildert. Mit diesem Sinn betrachtet empfiehlt sich dieses Buch als erbauliche Unterhaltung für den Leser, wenn auch für die Betroffenen leider der Ernst ihres Erlebnisses überwogen haben mag und ihr Schicksal nur zum Teil und erst in der Retrospektive zur Geschichte oder gar zur komischen oder lustigen Geschichte wurde.

Dr. Simon George

1. Der Räuber der AHV-Rente

Der Täter war IV-Rentner. Er besass keinen Führerschein und kein Auto, aber er war stolzer Inhaber eines frisierten Motorfahrrades, womit er leidlich vorankam. Dieses verhalf ihm auch zur erfolgreichen, wenn auch nicht geräuschlosen Flucht nach seiner ersten vollendeten Tat. Obwohl damals noch keine Helmpflicht für Motorfahrräder bestand, trug er bei der Fahrt immer einen auffälligen blauen Helm, auch zum Schutz im Falle einer seiner epileptischen Anfälle.

Er machte sich in einer Nacht in seinem Dorf auf den Weg in der Absicht, seine IV-Rente aufzubessern, und stattete zu mitternächtlicher Stunde der etwas heruntergekommenen und chaotischen Behausung eines alleinstehenden AHV-Rentners eine Visite ab. Der Täter behielt den blauen Helm auf, obwohl er kein UNO-Soldat auf Friedensmission war. Vielleicht tat er dies zur Tarnung, wohl eher aber zufälligerweise. Zur Camouflage war er nämlich ungeeignet, denn er war wie erwähnt auffallend schrill blau, nicht integral und hatte kein Visier.

Der Blauhelm versuchte vorerst, durch den Vordereingang des alten Hauses einzudringen und, als er diesen abgesperrt fand, schlich er ums Haus, stieg eine Aussentreppe hoch, drückte die Türklinke des unverschlossenen Hintereingangs und schlich ins Haus. Er konnte den mitgebrachten Hammer und den Stechbeitel unbenutzt bei der Türe liegenlassen. Mit einer Taschenlampe suchte er die Räume im Parterre ab, wo er sich durch ein riesiges Durcheinander von Gartengeräten, Schläuchen, Gabeln, Drähten, Kabelbindern, Werkzeugen, Farbtöpfen, Hobel- und anderen Werkbänken kämpfte. Er schlich die Treppe hoch ins erste Geschoss, in einen kombinierten Koch-, Ess- und Messieraum, voller Speiseresten in schmutzigem Geschirr, welches auf den Abwasch des Hausherren, respektive nächtlicher Heinzelmännchen wartete. Auf einem Tisch befand sich ein Durcheinander von Dokumenten, Papieren und unerledigtem Bürokram.

Dann folgte er einem quietschenden, sägenden Schnarchgeräusch ins Obergeschoss, Hundegebell war zum Glück keines zu hören und er stand unvermittelt vor einem Bett mit schnarchendem Inhalt, den er unsanft wach schüttelte. Der Master of Disaster erwachte langsam aus seiner schweren Agonie und fragte schlaftrunken: „Was willst du?“

„Dein Geld“, war die schroffe Antwort.

„Ich habe keins“, erwiderte der Alte kleinlaut. „Dann gehen wir eben suchen“, antwortete der Blauhelm und komplimentierte sein Opfer aus dem Bett, worauf die beiden mit einer mehr oder weniger systematischen Hausdurchsuchung begannen, was sich angesichts des Tohuwabohus als kein leichtes Unterfangen herausstellte. Sie suchten erst im zweiten Obergeschoss, dann im ersten und zuletzt im Erdgeschoss.

Einträglich war die Hausdurchsuchung nicht. Die liquiden Mittel des AHV-Rentners waren beinahe aufgebraucht und an Speiseresten hatte der Blauhelm kein Interesse. Er hatte ein ungünstiges Datum für den Hausbesuch gewählt, nämlich ein Monatsende. Die AHV wird in der Regel aber erst am Monatsbeginn für den Vormonat ausbezahlt. Messie liess sie sich damals noch von der Post schicken und hatte kein Postkonto.

Lediglich auf dem Küchentisch zwischen einem angebissenen Konfiturebrot und einer halb ausgetrunkenen Tasse Kaffee fanden sich in einem weissen Plastikbecher 17 Franken und 50 Rappen an Münzgeld, welche Blauhelm einstrich.

Der Einbrecher schimpfte über die mangelnde Liquidität des Hausherrn, nachdem weiter nichts Geldwertes mehr zu finden war und dieser beklagte fast sich selbst entschuldigend, dass die AHV halt erst anfangs des nächsten Monats kommen würde, worauf der Einbrecher erklärte, er komme wieder, wenn mehr Geld da sei. Er überliess den Alten seinem Schicksal, stieg die Treppe hinunter und verschwand diesmal durch die Vordertür. Er schwang sich aufs Mofa und donnerte so geräuschvoll davon, dass ein aufmerksamer Beobachter und Lauscher den Fluchtweg fast bis zum Wohnort des Täters hätte akustisch verfolgen können. Der Alte hatte ihm zuvor noch nachgerufen: „Muesch nüme cho“! Ein Rat, den Blauhelm nicht befolgen würde.

Zum mutmasslichen Datum der Auszahlung der Rente kehrte Blauhelm an den Ort der bösen Tat zurück und die nämliche Prozedur wiederholte sich. Er schlich in das Obergeschoss, weckte den Schnarchenden, welcher erschreckt hochfuhr und rief: „Ah du bisches wieder“.

Auch diesmal schüttelte er ihn aus den Federn zwecks Hausdurchsuchung. Diesmal war sie ertragsreicher und der Einbrecher machte sich mit ein paar Hundert Franken davon - oder wollte sich davon machen. Denn weit kam er nicht. Er wurde in flagranti ertappt. Kaum hatte er sein frisiertes Mofa gestartet, stand ein Streifenwagen der Polizei vor ihm. Zwei Polizisten stellten ihn, legten ihm Handschellen an, beschlagnahmten sein Höllenmotorfahrrad und verlegten ihn nach der Konfiskation des Diebesgutes in die Untersuchungshaft. Das nächtliche Licht im Hause des Alten war den Nachbarn aufgefallen und sie hatten die Polizei avisiert. Der Alte hatte ihnen vom nächtlichen Unheil und dessen möglicher Wiederholung in der Woche zuvor berichtet.

Die Gerichtsverhandlung fand in einem alten ehrwürdigen Gerichtsgebäude im Rokokostil statt. Viele Schnörkel verzierten die Treppengeländer, die Möbel und die Stuckaturen an den Decken. Der ganze Prunkbau war in süssem Rosa gehalten. Das Verhandlungsthema hingegen war weniger feierlich und für den Angeklagten peinlich, hatte er doch sogar als Dieb versagt. Das Opfer, der Messie, hinterliess mit seinem fünf-Tage-Bart und seinen schlecht sitzenden Brockenhauskleidern einen ebenso wenig würdigen Eindruck. Ich hatte dem Gericht zur Erbauung der anwesenden Zuschauer und der in solchen Fällen gerne anwesenden Boulevardpresse die komische Geschichte ein wenig ausgeschmückt wiedergegeben und den Ablauf der Diebstähle mit einem Slapstick aus einem schlechten Film verglichen. Zur Belustigung habe ich die Dialoge der Akteure im Plädoyer in direkter Rede und in Nachahmung des Originaltons wiedergegeben, was beim Publikum heiteres Gelächter auslöste. Die Pressevertreter wollten natürlich mein Manuskript haben. In einer Boulevardzeitung wurde mein Plädoyer fast wörtlich abgedruckt und mit einer deftigen Karikatur illustriert. Das Gericht fand den Vortrag allerdings weniger lustig, und goutierte vor allem meinen Vergleich dieser Vorfälle mit Slapsticks von Laurel and Hardy nicht - obwohl die Richter in der geheimen Urteilsberatung gelacht und geschmunzelt hatten, wie ich später auf offiziösem Weg durch den Gerichtspräsidenten erfuhr. Ihr Amusement durften die Richter aber in ihrer mündlichen Begründung nicht zugeben, denn der Richter hat eine moralische Verantwortung gegenüber dem Opfer, dem Täter und der Öffentlichkeit, er muss präventiv auf den Täter einwirken und er darf sich in einer Urteilsbegründung nicht belustigt zeigen, auch wenn er den Tathergang als komisch empfindet. So musste das Gericht bei der Befragung des Alten Contenance bewahren und durfte ob seiner naiven dümmlichen Bemerkungen nicht lachen. Es war seine Aufgabe, dem vor Scham rot angelaufenen Blauhelm, der weitgehend schwieg, wie der Sankt Nikolaus ins Gewissen zu reden.

Letztendlich erhielt der Blauhelm eine gerechte Strafe und hütete sich künftig, auf die vorgefallene Art seine IV aufzubessern. Allerdings gelang die Individualprävention nicht zu 100%, wie der nachfolgende, nicht strafrechtlich geahndete Fall zeigt, von dem ich später erfuhr.

2. Der Hühnertausch

Künftig war der Blauhelm beim sich Verschaffen eines persönlichen Vorteils vorsichtiger in der Auswahl seiner Opfer und Taten. Einmal haben er und sein bester Freund beschlossen, die Bestände ihrer Hühnerställe zu verjüngen. Die Zeit war knapp bis zu Ostern, der Hauptsaison für den Absatz der Eier von Legehennen. Also musste alles unternommen werden, die Produktionslücke möglichst schnell auszufüllen. Natürlich hatten sie die Absicht, in ihren Ställen das Wachstum der Küken mit Hormonen anzutreiben. Aber Blauhelm wollte mit einem schnellen Start seinem Hühnerstall einen möglichst grossen Vorsprung gegenüber seinem Freund verschaffen. Dies gelang ihm Dank seines Invalidenrentnerstatus. Da sein Freund während der Woche der Arbeit nachgehen musste, beauftragte er den Blauhelm nämlich damit, auch für ihn zwei Dutzend Küken einzukaufen, was dieser wie vereinbart tat. Nach dem Kauf prüfte Blauhelm die Akquisitionen akribisch. Dabei fielen ihm die unterschiedlichen Grössen der Jungtiere auf. Und er fand es ungerecht, dass auch in seinem Karton sich weniger entwickelte Jungtiere neben kräftigeren befanden. Dem schuf er Abhilfe, indem er kleine Küken aus seinem Karton gegen grosse aus dem Karton seines Freundes Zug um Zug tauschte, mit der Folge, dass er seinem Freund am Abend 24 Leichtgewichte ablieferte, während er in seinem Stall die Gesunden und Kräftigen aussetzte.

Der Schwindel blieb nicht lange unentdeckt. Ein Verdacht, den der Freund schon am Abend der Auslieferung hegte, bestätigte sich anlässlich seiner nächsten Stallvisite beim Blauhelm am folgenden Samstag. Der Grössenunterschied der Küken war frappant und wurde vom Freund sofort angesprochen. Er lasse sich nicht mit der zweiten Qualität der Küken abspeisen, erklärte er, während der Schlaumeier die erste Auslese für sich behalte. Das Schlitzohr zeigte alsbald Reue und war bereit, eine neuerliche, diesmal gerechtere Rochade vorzunehmen. Geschadet hat der Hühnertausch der Freundschaft der beiden dank der Grossherzigkeit des Übervorteilten nicht und sie blieben Freunde bis zu Blauhelms Rückreise in sein Heimatland ein paar Jahre später. Jahre, die er ohne noch einmal straffällig zu werden überstand.

3. Heirat macht frei - nicht von der Lohnzahlungspflicht des Arbeitgebers

Ein Marktfahrer war der Meinung, dass er seiner Angestellten, die er ehelichte, nach Eingang der Ehe keinen Arbeitslohn mehr bezahlen müsse und er erklärte ihr nach der Hochzeit: „Jetzt sind wir verheiratet, damit bin ich nicht mehr dein Arbeitgeber sondern dein Ehemann und muss dir keinen Lohn mehr zahlen.“ Eine Logik die sie, eine Asiatin, zwar vorerst stoisch hinnahm, aber zurecht nicht verstand, denn mit der Eingehung einer Ehe zwischen dem Arbeitgeber und der Arbeitnehmerin wird der Arbeitsvertrag nicht einfach aufgehoben.

Nach kurzer Zeit, zur kältesten Winterzeit, suchte sie mich in meiner Kanzlei auf und klagte mir ihr Leid:

„Dr. George, mein Husband böse, seit Heirat, er mir keine Lohn zahlen. Ich kein Geld zum Einkaufen. Er mir die Fahrradnummer abschrauben, damit ich nicht mit Fahrrad herumfahren soll. Ich aber trotzdem fahren. Ich will scheiden. Er sowieso haben neue Frau in Thailand. Ich will meine Geld und meine Lohn und andere Arbeit machen.“

„Haben Sie Kinder?“, fragte ich.

„In Thailand schon Kinder haben. Aber von andere Mann. Diese schon gross. Mit diese Mann keine Kinder nur Heirat,“ war ihre Antwort. Zur Zeit wohnte sie bei ihrem Noch-Ehemann in einem kleinen Dorf 15 km von meiner Kanzlei. Sie war Ende Dreissig, zierlich, fürs Alter hübsch, Analphabetin. Wie sie den Weg in meine Kanzlei gefunden hatte, war mir unbekannt. Vielleicht hatte sie eine frühere Ehefrau gefragt, wer der Anwalt gewesen sei, welcher sie in der Scheidung vertreten habe, oder vielleicht hatte der Ehemann so viel über mich geflucht, dass sie gefunden hat, ich wäre der Richtige.

Mir war ihr Ehemann aus früheren Scheidungsfällen bekannt. Er war ein Liebhaber asiatischer Frauen und ehelichte öfters eine solche, wobei er in der Regel das Angenehme mit dem Nützlichen verband und die jeweilige Liebe und spätere Ehefrau bei sich arbeiten liess. Bei den Vorgängerinnen hatte er es gleich gehalten. Er verliebte sich in sie, stellte sie an, heiratete sie, unter Streichung des Arbeitslohnes, leitete nach einer Weile die Scheidung ein und schickte sie zurück, woher sie gekommen war.

Früher hatte er auch Erfahrungen mit Frauen anderer Herkunft. So war er mit einer Landsmännin verheiratet gewesen, von der er sich in einer kostspieligen Scheidung erlösen musste. Geläutert von Engagements mit Schweizerinnen, schwebten seine Interessen vorerst ins nähere, später ins fernere Ausland. Mit Erfolg, was die Anzahl der Beziehungen, aber mit Misserfolg, was deren Dauer anbelangte. Die Erweiterung seiner ehelichen Beziehungen über die Landesgrenze hinaus führte aber nicht zur Erweiterung seiner geografischen Kenntnisse und seines kulturellen Horizonts. Das ethnische Umfeld seiner Ehefrauen interessierte und kümmerte ihn wenig. So hatte er in einem Nachtclub eine Tanzkünstlerin aus der Dominikanischen Republik kennengelernt und geheiratet, ohne auch nur den Hauch einer Ahnung zu haben, wo dieses Land liegt. Da sie schwarz war, hatte er vermutet, dass sie aus einem afrikanischen Staat oder irgend einem Homeland von Südafrika stamme. Aber so wichtig erschien ihm das auch wieder nicht. Erst als seine Frau eine Passverlängerung brauchte und er zufällig ihr Land googelte und bei Wikipedia forschte, fand er heraus, dass er sich bei der Herkunft seiner Frau im Kontinent geirrt hatte. Ein Irrtum, der ihn nicht störte, solange sie ihm gegenüber ihre Dienste versah. Dies war irgendwann dann nicht mehr der Fall, weshalb der Marktfahrer seine heiratspolitischen Ufer nach Asien ausdehnte.

Zurück zu meiner Klientin. Auf dem Rückweg traf ich sie vor der Kanzlei im winterlichen Schneematsch ohne Wintermantel. Sie schlotterte erbärmlich, als ich 20 Minuten nach der Besprechung die Kanzlei verliess. Vom Taxi, das sie bestellt hatte, war keine Spur. Die sie erlösende Heimfahrt wurde dann durch die Anwaltssekretärinnen organisiert.

Dieser Vorfall passte exakt ins Bild dieser Ehe. So liess er sie nicht genau wissen, wo ihr vorehelicher Lohn thesauriert war. Er sprach kein Deutsch, sondern nur Pidgin-Englisch mit ihr. Auf meine Frage, wo sie ihr Geld deponiert habe, antwortete sie: „In a small bank“. Dies löste wegen des Bankgeheimnisses eine komplizierte Umfrage von mir bei den Banken aus. Glücklicherweise habe ich bei der Angabe “in a small bank“ nicht an eine Grossbank gedacht, sondern an die Raiffeisenbank und die Kantonalbank und wurde, da ich deren Verwalter kannte, bald fündig. Mindestens war die Frau nicht mittellos. Ihr Lohn aus früherer Arbeit war noch da und nicht vom Ehemann verbraucht.

Bei der güterrechtlichen Auseinandersetzung glaubte der Ehemann, er sei besonders grosszügig, als er seiner Frau ihre Kleider beschauend erklärte: „You can have your clothes for free.“ Offensichtlich war allerdings kein Wintermantel dabei. Weniger grosszügig war er bei der Finanzierung ihrer Rückreise, als er erklärte: „I will pay you one way ticket to your country.“

Sie antwortete: „I want to have return ticket.“

Sein Einwand lautete: „What do you want to do in Europe. You are lost without me here?“

Worauf sie im Unterton der Entrüstung zurückgab: „No problem I can work, I have pussy.“

Darauf wandte ich ein Schmunzeln unterdrückend ein: „Ja, dieses Arbeitswerkzeug müssen Sie ihrer Frau überlassen, dieses können Sie ihr nicht wegnehmen. Dies ist ein überzeugendes Argument, ihr ein Rückflugticket zu finanzieren, zumal es nicht viel mehr kostet als ein Hinflugticket.“

Darauf lenkte der Mann grosszügig ein, sie erhielt das Rückflugticket, kam nach der Scheidung zurück, nahm aber angesichts der Tatsache, dass sie bald das kanonische Alter erreichen würde, auf mein Anraten zwar nicht den Beruf einer Pfarreiköchin, aber denjenigen einer Raumpflegerin in einem öffentlich-rechtlichen Betrieb an, wo sie sehr beliebt war. Der Gang (oder die Rückkehr) ins horizontale Gewerbe blieb ihr so erspart.

Ihren Arbeitslohn konnte sie natürlich behalten. Aber da die Ehe nur kurze Zeit gedauert hatte und keine Kinder daraus hervorgegangen waren, musste er ihr nur eine kurze Übergangsrente zahlen und kam wie schon öfters zuvor und danach um grössere Unterhaltszahlungen herum.

Der Ehemann trieb sein Heiratsunwesen weiter mit weiteren Asiatinnen. Eine überlebte ihn, erbte sein doch ansehnliches Vermögen und kam in den Genuss einer Witwenrente. Für sie hatte sich die Heirat zumindest materiell gelohnt, mithin war sie zur rechten Zeit am richtigen Ort.

4. Never feed the horses you can't ride.

Das Zitat im Titel wird John Wayne zugeschrieben, entspricht aber wohl eher einer alten Cowboy-Weisheit. Der Abschnitt vier handelt wie der Abschnitt drei von Männern, die sich bezüglich der Behandlung ihrer Familien weniger an Eherecht und Ethik, sondern mehr an Tierhaltungsmethoden vor Einführung des Tierschutzgesetzes orientieren.

Der hier beschriebene Herr wusste im Gegensatz zu jenem im vorherigen Fall genau, woher seine Frauen stammten, denn er hatte sie jeweils vor Ort, d.h. in Brasilien rekrutiert, wobei ihm weniger hohe Intelligenz, sondern besonders üppige Formen wichtig waren. Und, wenn diese noch üppiger oder schlaffer wurden und ihm nicht mehr gefielen, schickte er seine Frauen in die Wüste, drehte er ihnen den Geldhahn zu und ging auf neue Scoutingtour nach Südamerika, wie ein Fussballtrainer. Wobei er dabei weniger im Maracana-Stadion als vielmehr in düsteren Lokalen herum pirschte.

Im Falle des hier beschriebenen Opfers hatte er die Rechnung allerdings ohne den Wirt, oder konkreter ohne den von der Fürsorge eingesetzten Offizialanwalt, Dr. George, gemacht.

Seine Ehefrau war ihm, obwohl auch er kein Schwergewichtsringer des Intellekts war, intelligenzmässig stark unterlegen. Sie war annähernd debil, und nicht nur sprachlich nicht in der Lage, die einfachsten Dinge des Lebens zu bewältigen. Als er sie nach erfolgreichem Scounting einer neuen Anwärterin in Südamerika aus der Wohnung geworfen hatte, fand sie kein existenzielles Einkommen. Eigentlich hätte er für sie aufkommen müssen. Aber über Jahre hatte es die Fürsorgebehörde, welche die Frau betreut hatte, versäumt, entsprechende Forderungen an ihn zu stellen. Sie konnte nicht einmal als Putzfrau arbeiten und wurde von der Gemeinde in einem sozialen Beschäftigungsprogramm eingesetzt, wo sie unter Aufsicht Büros putzte und wo ihr beispielsweise erklärt werden musste, dass sie nur Frischblumen, nicht aber Seidenblumen zu tränken hatte. Sie erhielt Unterstützung von der Fürsorge, welche ihr auch eine Einzimmerwohnung zugewiesen hatte, wo sie meist allein, aber, wenn sie das Besuchsrecht ihrer Kinder ausüben konnte, mit ihrem 19-jährigen Sohn und der 20-jährigen Tochter hauste. Zustände, wie sie in der Schweiz sonst nicht vorkommen. Die Fürsorge fand diese Situation aus Kostengründen allerdings nicht unhaltbar, war aber doch froh, dass ich mich erfolgreich für deren Verbesserung einsetzte.

Als der Schürzenjäger mit einer neuen Trophäe aus Südamerika angereist war, klagte er auf Scheidung und wollte seine Ehefrau definitiv loswerden. Ich schilderte dem Gericht in drastischen Worten, dass der Trophäenjäger in Intervallen immer neue Frauen aus Südamerika importiere, solange sie ihm gefielen füttere und sie danach, wie das Kind ein altes Stofftier, wegstelle und sie der Fürsorge für die kostenträchtige Entsorgung überlasse, was nicht Sinn des Sozialstaates sei. Er handle nach dem Lebensprinzip, welches John Wayne nachgesagt werde und laute: „Never feed the horses you can't ride.“ Der Mann habe der Frau bis zu deren Eintritt ins AHV-Alter einen angemessenen Unterhaltsbeitrag zu bezahlen und ihr einen Teil seines Vermögens abzutreten unter Bestellung eines amtlichen Vermögensbeistandes für die Frau.

Der Scout for girls (natürlich nicht der Girlscout) und sein Anwalt protestierten an der Gerichtsverhandlung und zeigten wenig Verständnis für die Anliegen der scheidenden Frau. Zu guter Letzt erklärte ich dem Gericht, dass man diese Frau nicht wie ein Kamel in die Wüste schicken könne. Das Gericht hatte Verständnis für dieses Argumente und schützte meine Begehren. Auch die Fürsorgebehörde war hocherfreut, denn die bisherige Unterstützung der Frau hatte bereits ein grosses Loch in die Fürsorgekasse gerissen, welches auf diese Weise wieder aufgefüllt werden konnte und der Prozessgewinn reichte sogar aus, Rücklagen für künftige Kosten zu bilden. Das erstrittene Kapital wurde ihrem Beistand zur Verwaltung übergeben. Sie hätte das Papiergeld wie die Papierblumen wohl täglich gegossen, ohne dass es gewachsen wäre oder sie hätte es noch weniger sinnvoll verwendet.

5. Die Dirne mit dem Scheuermann

Die Dirne war ca. 50 Jahre alt und blickte beim ersten Termin bei Dr. George auf stolze 34 Jahre einschlägige Berufserfahrung im horizontalen Gewerbe zurück. Offensichtlich hatte sie in dieser langen Zeit ihren Rücken gehörig gescheuert. Sie kam in die Anwaltskanzlei, weil sie chronisch unter starken Rückenschmerzen litt und eine Invalidenrente beantragen wollte. Sie erklärte, sie leide an einem Scheuermann.

Die Bezeichnung Scheuermann kommt nun allerdings nicht von scheuern, sondern vom Erstbeschreiber einer Krankheit, dem dänischen Radiologen Holger Werfel Scheuermann (Siehe Wikipedia unter Scheuermann). „Scheuermann“ war daher, anders als die Dirne meinte, nicht die richtige Diagnose für den durch ihre Tätigkeit „abgescheuerten“ Rücken. Dass der Rücken hier besonders gescheuert würde, stünde im übrigen auch nicht zu vermuten, denn bei dieser Tätigkeit gibt es andere Körperteile, die viel eher und schneller der Abscheuerung unterliegen, als der Rücken. Zudem würde diese Art der Missbildung der Wirbelsäule von den Ärzten kaum als berufskausal betrachtet werden. Die Scheuermankrankheit ist in der Regel, anders als die Dame meinte, Folge einer juvenilen Wachstumsstörung. IV-technisch handelte es sich dabei also nicht um eine Berufskrankheit. Wenn man allenfalls noch von einer Berufskausalität hätte sprechen können, dann deshalb, weil die Dirne ihren Beruf im zarten Alter von 16 Jahren, also im Zeitpunkt des juvenilen Wachstumsstadiums der Wirbelsäule, aufgenommen hatte und der Scheuermann allenfalls als Spätfolge ihrer anfänglichen beruflichen Tätigkeit zu sehen war.

Mir war schnell klar, dass ich bei der IV-Behörde nicht argumentieren konnte, die Dirne leide an einer Berufskrankheit wie beispielsweise ein Bäcker an einer Mehlallergie oder ein Giesser an einer Staublunge, typische Berufskrankheiten, bei denen Erfolgschancen auf Zusprechung einer Rente bestand. Eine berufstypische Krankheit bei Dirnen wurde in Judikatur und Doktrin nie beschrieben und auch nie anerkannt. Auch war damals nicht so klar, ob die Tätigkeit einer Dirne überhaupt ein Beruf ist und ob die Unmöglichkeit von deren Ausübung einen materiellen Schaden im Sinne des IV-Gesetzes und der entsprechenden Verordnung darstellte. Immerhin ist der Dirnenlohn zivilrechtlich nicht einklagbar, weil die Tätigkeit als Dirne als sittenwidrig gilt. Dies alles legte ich meiner Klientin dar und kam zum Schluss, dass sie, auch wenn sie derart am Rücken leide, kaum eine Chance auf eine Rente habe. „Ja, was soll ich dann machen?“, war ihre Frage und meine Antwort: „Wechseln sie den Beruf! Oder mindestens die Stellung bei der Arbeit, sodass ihr Rücken weniger beansprucht wird. Sie erreichen ohnehin bald das Alter, das sie zwingt, einer anderen Tätigkeit, wie Raumpflegerin, Hilfspflegerin, Hundeausführerin etc. nachzugehen. Jedenfalls sollte es eine Tätigkeit sein, welche ihren Rücken weniger belastet als jene im horizontalen Gewerbe.“

Die Frage, die sich weiter stellte, war, ob die IV eine Umschulung akzeptieren würde. An sich setzte eine Umschulung eine frühere Berufsschulung voraus. Eine solche hatte sie nicht. Allerdings ist die IV nicht so kleinlich und grammatikalisch in der Auslegung des Begriffs Umschulung. Deshalb schlug ich ihr vor, einen Antrag auf Umschulung zu stellen, doch sie wollte, offenbar nach dem Sprichwort, Schuster bleib bei deinen Leisten, den Beruf partout nicht ändern. Die Dirne wollte also bei ihren Freiern bleiben, dachte aber, die Praktiken, Techniken und Arbeitsstellungen zu verändern, sodass sie weniger physischen Belastungen und vor allem nur kleineren Belastungen des Rückens ausgesetzt sein würde. Später wurde noch ihre Frage des Erhalts einer Arbeitslosenunterstützung erörtert und verworfen, nachdem ich ihr erklärt hatte, eine solche käme nicht in Frage. Nachdem sie selbständig erwerbstätig gewesen sei, habe sie keinen Anspruch auf Arbeitslosengelder. Auch als Unselbständige hätte sie keinen solchen, da ihr Erwerb und das damit verbundene Einkommen unsittlich gewesen sei.

Im Verlaufe des weiteren Brainstormings meinte ich dann, sie könne bei ihrer weiteren Dirnentätigkeit sich wechselbelastend beschäftigen. Eine wechselbelastende Tätigkeit würden die IV-Ärzte jeweils den Patienten in ihren Gutachten auch vorschlagen. Das heisse im Klartext, dass sie mit ihren Kunden jeweils nach kurzer Zeit die Position und die Stellung ändere und einmal sitzend und dann wieder stehend also wechselbelastend verkehre. Mit anderen Worten, solle sie bei ihrem Job das Kamasutra durchspielen.

An den nächsten Anwaltstermin kam sie hocherfreut und erklärte mir die Umsetzung einer veränderten Tätigkeit. Sie habe sich ein Sado-Maso-Gerät bauen lassen.

„Ja, wie funktioniert dieses denn“, fragte ich.

„Ganz einfach,“ war die Antwort, „Der Kunde läutet an der Tür. Ich öffne und befehle: „Wirf 300 Franken auf den Boden. Jetzt bist du ein Hund. Fass das Geld mit deiner Schnauze, aber zerbeiss es nicht. Jetzt gehst du die Treppe hoch auf allen vier Pfoten ohne zu bellen, sonst verlierst du nämlich das Geld. Dort machst du Männchen, stehst in den aufgestellten Holzrahmen und ich binde deine Hinter- und den linken Vorderpfoten an den Holzrahmen, wenn du Rechtshänder bist.“

Vorne sei ein grosser Spiegel. Sie stelle sich mit Lederstiefeln, Ledercorselage und Reitgerte hinter ihn und triebe ihn, ihm durch den Spiegel streng in die Augen blickend, an, kräftig Hand an sich zu legen, bis er auf den Boden ejakuliere. Dann werde er ausgespannt und habe dem Befehl zu folgen: „Jetzt leck das vom Boden auf“.

Anerkennend stellte ich fest, dass die kreative Idee mit dem Sado-Maso-Gerät wohl die Lösung für Ihre Beschwerden wie auch für ihren Geldbeutel sei und sie zudem damit die Kassen der IV entlaste. Immerhin sei dabei festzustellen, dass sich die Freier dieser Prozedur freiwillig unterziehen würden und wegen Einwilligung des Verletzten auch keine Tätlichkeit oder Körperverletzung an ihnen begangen würde. Die Dirne kam nie wieder in die Anwaltskanzlei, weshalb ich annahm, sie habe sich keine neue Berufskrankheit, wie z.B. einen Tennisarm vom Peitschen zugezogen.

6. The house of ill fame

Die Bezeichnung, „the house of ill fame“ trifft auf eine Bar/Dorfbeiz in einem kleinen gemütlichen Ostschweizer Dorf bis heute noch zu. Sie war einmal eine anständige Dorfbeiz in der Nähe des örtlichen Bahnhofes, wo sich die Männerriege, die Dorfmusik und der Damenchor zum Stamm und zu den Vereinsanlässen trafen, wie auch die Mitglieder der Käsereigenossenschaft nach dem Milchzahltag, wenn sie den Abend bei ein paar Bieren ausklingen liessen. Zu Hause wurden bei den Bauern nur die Eigenprodukte Saft und Süssmost getrunken, denn das Dorf liegt in Mostindien.

Seit einem Vorfall allerdings war die Dorfbeiz mit einem Fluch belastet. Im Besenschrank im oberen Stock des Lokals wurde nämlich die Leiche einer Dame aus der Karibik gefunden. Was sie dort genau getan hatte, bevor sie verblich, und wie sie in den Besenschrank kam, wurde nie richtig abgeklärt. Mindestens wurde dies den Dorfbewohnern nie mitgeteilt. Es jagten sich Gerüchte, sie habe dort nicht geputzt und sei nicht deshalb in den Besenschrank gelangt. Sie sei dort im Kunstgewerbe als Tänzerin und in der Freizeit im Gunstgewerbe als Dirne tätig gewesen. Aber das waren keine Erklärungen dafür, wie sie in die verschlossene Besenkammer gekommen war. Da sie keine Entfesselungskünstlerin war, dürfte sie nicht im Rahmen einer Probe freiwillig dort hineingelangt sein, ohne sich wieder befreien zu können. Ein Unfall konnte es also nicht sein.

Ob es Mord oder Selbstmord, Erstickungstod oder Tod durch Putzmittelvergiftung im Besenschrank war, blieb nach Wissen der Bevölkerung bis heute ungeklärt.

Es gab seit einiger Zeit Gerüchte, wonach in diesem oberen Stock der Dorfbeiz sich Dirnen herumtreiben würden. Im unteren Stock war neben der Dorfbeiz eine Bar eingerichtet worden. Der Damenchor verkehrte mittlerweile nicht mehr dort, er hatte schon vor einiger Zeit ein neues Stammlokal gefunden. Die Männervereine blieben aber weiterhin dort, wobei immer intensiver geflüstert wurde, sie täten dies nicht nur, um ihre Vereinsangelegenheiten zu erledigen, sondern auch, um die Bar zu besuchen, wo sich immer mehr Frischfleisch herumtrieb. Die Ehefrauen sahen diesem Treiben nicht gerne zu und manch eine verbot ihrem Mann den Besuch der Bar.

Die Wirte gaben sich die Türklinke, wurden immer offensiver und es entstand mit der Zeit eine Kontaktbar. Die Geschäftsideen ihrer Betreiber wurden immer gewagter. So wurde im Erdgeschoss zwischen der eigentlichen Bar und der Dorfbeiz, welche halbwegs getrennt waren, eine Rodeoanlage errichtet. Eine Anlage wie in Texas, die man besteigen kann und auf deren Sattel man möglichst lange ausharren muss, während der künstliche Stier immer wildere Bewegungen und Verrenkungen vollbringt, um den Reiter abzuwerfen. Vorliegend sah aber das Gerät nicht wie ein Stier aus. Nur dessen technischer Unterbau war vorhanden. Aber das Fell des Stiers, sein Kopf und sein Sattel fehlten. An deren Stelle waren oben auf dem kahlen Gestängegewirr sechs Dildos unterschiedlicher Grössen angebracht, auf denen nackte Tänzerinnen sassen, welche in ihrem Teufelsritt auf den Dildos sitzend Halt fanden. Dieser Rodeotanz mit fliegenden Brüsten und Verrenkungen wurde von Lichteffekten begleitet, die die Frauen in Bildrissen einmal hoch in der Luft mit Busen vor dem Kinn und in die Luft geworfenen Armen, im nächsten Bildriss zusammengedrückt von der Schwerkraft fast auf dem Gestänge zeigten. Die Körper der Amazonen mussten, so schien es, extremsten Schwerkraftsbelastungen, wie sie Kampfpilotinnen oder Astronautinnen ausgesetzt sind, aushalten. Auf ihrem Stierkampf oder Dildoritt wurden sie von den Gästen, welche rund um den Rodeo herumstanden, frenetisch angefeuert. Da die Frauen auf den Dildos nicht so schnell Halt verloren wie geübteste Cowboys auf ihrem Sattel, dauerte die Vorstellung deutlich länger. Dies zur Erbauung und zum Amüsement auch aus anderen Gegenden kommender, immer zahlreicher werdender Besucher. Aber bald machten Gerüchte über das üble Treiben in der Bar die Runde und kamen auch den Landfrauen zu Ohren, was zu erhitzten Diskussionen im Dorf und der Umgebung führte.

Bald bekamen auch die Behörden Wind von dieser Art der Führung des Etablissements und eine Delegation des Gemeinderats führte unangekündigt einen Augenschein durch. Der Ausschuss des Gemeinderates war, gelinde gesagt, „not amused“. Die weitere Kontrolle ergab nämlich auch, dass im oberen Stock des Restaurants Privatzimmer für die Weiterführung des Rodeos in privatem Rahmen bereit standen, welche stundenweise an die Amazonen mit ihren männlichen Rodeos vermietet wurden, wobei die Barwirtin von den Berittenen noch jeweils 100 Franken für Bettwäsche, Bademantel und Frottiertüchlein abnahm, und zwar nicht pro Nacht sondern pro Kunde und Schäferstunde. Dabei sei (fast überflüssig) erwähnt, dass die einzelnen Zimmer jeweils mehrmals pro Nacht vermietet wurden. - Das Lokal wurde superprovisorisch und provisorisch geschlossen und gegen die Wirtin ein Strafverfahren wegen dem damals noch im Gesetz verankerten Straftatbestand der Kuppelei eröffnet.

Beides nahm die „Geschäftsleitung“ nicht einfach hin und schaltete Dr. George ein. Ich musste mich im Verwaltungsverfahren und im Strafverfahren für die Wirtin einsetzen. In letzterem war das Problem, dass die Wirtin die Zimmer nicht einfach pro Nacht vermietet, sondern jedes Mal wie erwähnt noch 100 Franken verlangt hatte, somit von der Unzucht im Einzelfall profitiert und damit den Straftatbestand der Kuppelei erfüllt hatte. Die Schwierigkeit im Verwaltungsverfahren war, dass ihr schlechte und unsittliche Geschäftsführung vorgeworfen wurde. - Ich riet ihr nach Prüfung der Sachlage, auf einen langwierigen Verwaltungsrechtsweg zu verzichten, weil einem Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung zugestanden und das Lokal bis in ungewisse Zukunft geschlossen bleiben würde. Der Verlust wäre also enorm. Sie solle besser das Mietverhältnis per sofort auflösen, dem Vermieter eine geringfügige Abgeltung leisten und andernorts einen neuen Betrieb mit einen vorsichtigeren Geschäftskonzept eröffnen. Es sei nur eine Schliessung und kein Patententzug verfügt worden, sie könne persönlich weiter wirten. Diesen Rat befolgte sie unverzüglich. Ich regelte die Probleme mit dem Vermieter und der Hydra wuchs andernorts ein neuer Kopf.

Die Dorfbeiz wurde allerdings ihren üblen Ruf nicht los und blieb ein „house of ill fame“. Noch heute kann man an einem heissen Sommerabend vor dem Eingang und den Schaufenstern wasserstoffperoxid behandelte, langbeinige kurzbejupte Blondinen auf den Sonnenuntergang und die Dämmerung warten sehen, denn auf Freiers Füssen schleicht es sich im Dunkeln unbemerkter an das „Haus der Sünde“ heran.

7. Die (Seiten)sprünge von Staatsrat Sauterelle

Dauergast in der Anwaltskanzlei war eine Dame, welche das mutmassliche Pensionsalter für Dirnen, welches nicht so genau festgelegt ist, längst überschritten hatte, als sie sich aus dem Gunstgewerbe zurückzog und nur noch einzelne wohlhabende ältere Privatkunden betreute. Immer, wenn sie in die Kanzlei eintrat, begrüsste und küsste sie alle Anwesenden, Partner, angestellte Anwälte und Sekretärinnen. Sie brachte zuweilen Kuchen und vor Weihnachten Weihnachtsguetsli mit, welche sie selber gebacken hatte. Die besten und variantenreichsten Weihnachtsguetsli, welche man sich überhaupt vorstellen konnte. Sie backte offensichtlich mit Leib und Seele. Ob sie ihrer Hauptberufung auch mit Leib und Seele nachging, entzieht sich der Kenntnis des Schreibenden. Sicher war sie mit dem Leib dabei, denn diesen verkaufte sie stundenweise.

Nicht immer aber waren ihre Umarmungen angenehm, vor allem nicht, wenn sie sich in der Öffentlichkeit abspielten. Ich erinnere mich an eine Begegnung mit ihr und ihrem Hund in einem Supermarkt. Ich trug einen eleganten Massanzug und, während die Dame mich umarmte und küsste, klemmte der Hund meine edelbetuchten Beine zwischen seine Vorderläufe und begann, sie rhythmisch zu bearbeiten, worauf ich verlegen mit allen Vieren versuchte, die Liebesangriffe abzuschütteln, was mir letztendlich auch gelang, bevor ich den Anzug in die Chemische Reinigung bringen musste.

Sie war mit den Beratungen in der Anwaltskanzlei derart zufrieden, dass sie einem jungen Anwalt anbot, ihm und dessen Frau eine Reise nach Wien zu schenken und währenddessen seine Kinder zu hüten. Das freundliche Angebot wurde allerdings abgelehnt.

Die Dame hatte immer gut verdient und selbst in ihrem kanonischen Alter haben die Herren sie für ihre Dienstleistungen fürstlich honoriert. In besten und auch noch in guten Zeiten hatte sie wichtige Persönlichkeiten bedient und sie behauptete vor Schranken meinem Kollegen gegenüber einmal, der Gerichtspräsident, vor dem sie gerade stünden, habe verschiedentlich vor ihr gelegen, allerdings nicht wie jetzt im schwarzen Anzug, sondern wie Gott ihn geschaffen hätte. Selbst, wenn diese Behauptung zugetroffen hätte, was wir aufgrund der Sachlichkeit des Richters bezweifelten, hätte die Rechtsfindung nicht darunter gelitten, denn die ehrbare Dame fand ihre gerechte Strafe für ein Strassenverkehrsdelikt.

Die Ehrbare war übrigens durchaus auch eine Wehrbare, denn immer wieder musste sie in kleineren Streitigkeiten vor Gericht vertreten werden, Ehrverletzungen und Nachbarkonflikte, z.B. wenn die Partys im und am Pool zu laut wurden. Das üble Treiben zu ihren besten Zeiten fand nämlich nicht nur im hausinternen Studio, sondern überall auf ihrem ansehnlichen Grundstück statt und, wenn es die Temperatur erlaubte, draussen im oder um den Pool. An der (fehlenden) Bademode am FKK-Pool konnten die Nachbarn keinen Anstoss nehmen, denn das Grundstück der Dame war von einem hohen Sichtschutz umgeben.

Böse Nachbarn rächten sich mit einer Immissionsklage vor Gericht, welche auf Anraten des Richters wieder zurückgezogen wurde. Darauf warfen sie einen mit Rattengift behandelten Cervelat über den Sichtschutz, den der Hund der Dame verzehrte, worauf er unter schrecklichen Qualen in die ewigen Jagdgründe abberufen wurde.

Der Sichtschutz erfüllte auch seinen Zweck, als, so schilderte sie, in einer Nacht sich zwei Politiker und ein Anwalt - nicht der Schreibende - bei ihr mehr oder weniger zufällig zu einem Stelldichein, oder sagt man bei einer Gruppe Stellteuchein?, eingefunden hatten. Der Sprunggewaltigste der Anwesenden, Staatsrat Sauterelle - nomen est omen - war schon vorher auf dem Zimmer der Dame gewesen, als die zwei anderen Herren nach einer Sitzung beschlossen, zur fröhlichen Abrundung des Abends noch einen Abstecher in das Haus der Freuden zu unternehmen. Sie läuteten. Nach geraumer Zeit öffnete sich die Tür und die leicht zerzauste Dame im Morgenmantel musterte und begrüsste sie und führte sie ein in die gute Stube, wo alte Freunde, nämlich Sauterelle und die zwei Neuankömmlinge sich trafen und angenehm überrascht begrüssten.

Die gemütliche Runde trank zur Stimmungsmache zuerst eine oder zwei schöne Flaschen Dom Perignon und entschloss sich dann zu einem fröhlichen Badeplausch im Pool der Gastgeberin. Die