Ich suche nicht, ich finde - Fernand Braun - E-Book

Ich suche nicht, ich finde E-Book

Fernand Braun

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Beschreibung

"Ihr tragt alle Wahrheit in euch" Meister Eckhart

Kontemplation, wie Fernand Braun sie versteht und anbietet, ist ein Weg, auf dem Übende christlicher Mystik begegnen und der Spiritualität des fernen Ostens. Wer sich in Stille und Gelassenheit übt, dem wird sich das Herz öffnen und neue Kräfte entstehen. Eine christliche Tradition wird überkonfessionell neu belebt und für die Menschen von heute zugänglich gemacht.

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Seitenzahl: 156

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Über den Autor

Fernand Braun, geboren 1960 in Belgien, studierte Theologie in Bonn und Lyon. Bis zu seiner Heirat war er Mitglied im Franziskanerorden. Von Willigis Jäger wurde er in die Leitung »Wolke des Nichtwissens«–Kontemplationslinie Willigis Jäger berufen. Er lebt auf dem Benediktushof in Holzkirchen bei Würzburg.

Über das Buch

Immer wieder gab es in Fernand Brauns Lebens diese Momente, die ihm die Wirklichkeit mit allen Chancen zur Veränderung schlagartig bewusst machten. Doch er konnte keines dieser teilweise dramatischen Ereignisse willentlich herbeiführen – sie kamen zu ihm. Mehr und mehr vertraute er sich einer offenen Haltung dem Leben gegenüber an. So wurde aus dem franziskanischen Ordensmann zuerst ein Familienvater und dann der spirituelle Nachfolger von Willigis Jäger in der von ihm gegründeten Kontemplationslinie. Wie aufregend es ist, sich auf das Wagnis der Absichtslosigkeit einzulassen, beschreibt Fernand Braun in diesem Buch.

Fernand Braun

Ich suche nicht, ich finde

Hinführung zur Kontemplation

Kösel

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Copyright © 2017 Kösel-Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlag: Weiss Werkstatt, München

Umschlagmotiv: © plainpicture/Millennium/Roberta Murray

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-20015-2V001

www.koesel.de

Inhalt

Zum Geleit

Ein heiliges Abenteuer

Mein Weg zur Kontemplation

Ergriffen von der Tiefe des Zen

Erfahrung des Göttlichen in Auschwitz

Das Schreckliche zeigt sich widersprüchlich

Sich öffnen für Schuld und Vergebung

Der Augenblick, in dem sich Gott ereignet

Grundlagen der Kontemplation

Wenn das Schweigen spricht

Die Erfahrung des Jetzt

Die drei Stufen der Kontemplation

Die drei Götter des Materialismus

Eins werden mit sich und dem Du

Die Wirklichkeit liegt hinter den Konzepten

Die Wahrheit des Wandels

Anhang

Textnachweis

Dank

Zum Geleit

Ich suche nicht, ich finde.

Suchen, das ist das Ausgehen

von alten Beständen

und das Findenwollen

von bereits Bekanntem.

Finden, das ist das völlig Neue.

Alle Wege sind offen,

und was gefunden wird,

ist unbekannt.

Es ist ein Wagnis,

ein heiliges Abenteuer.

Die Ungewissheit solcher Wagnisse

können eigentlich nur jene auf sich nehmen,

die im Ungeborgenen sich geborgen wissen,

die in der Ungewissheit,

Führerlosigkeit geführt werden,

die sich vom Ziel ziehen lassen

und nicht selbst das Ziel bestimmen.

Dieses Offensein für jede neue Erkenntnis im Außen und Innen:

Das ist das Wesenhafte des modernen Menschen,

der in aller Angst des Loslassens doch die Gnade des Gehaltenseins

im Offenwerden neuer Möglichkeiten erfährt.

Pablo Picasso

Wann dieser Text mir zum ersten Mal in die Hände fiel, kann ich heute nicht mehr sagen, doch sicher war es so, wie Pablo Picasso eingangs sagt: Ich habe ihn nicht gesucht, vielmehr gefunden … er fand zu mir!

Diese Zeilen Picassos begleiten mich nun seit vielen Jahren, und je älter ich werde und je länger ich den spirituellen Weg gehe, umso mehr spüre ich, dass diese Verse eine »Essenz« beinhalten, die mich immer wieder neu dazu ermutigt, weiterzugehen, nicht stehen zu bleiben und die »Räume von Nichtwissen, Nichthaben und Nichtwollen« zu durchschreiten und die damit verbundenen Ängste hinter mir zu lassen. Sie standen am Anfang meiner Praxis in der Kontemplation. Sie waren der Grund, mich der Praxis der Kontemplation zuzuwenden.

Mögen sich nun die Leserinnen und Leser vielleicht zu Beginn des Buches die Frage stellen: Picasso … Welche Essenz dieser exzentrischen Persönlichkeit ist in der Lehre der Kontemplation der west-östlichen Weisheiten wiederzufinden? Die Antwort liegt in seinem und in unser aller Wissen um die Existenz des kostbaren Geschenkes, welches das Durchschreiten der materiellen Begrenzung verbirgt. Dieses Geschenk – das wir im christlichen Kontext als »Gnade« bezeichnen würden – wurde mir zuteil ohne mein Suchen, ohne mein Bemühen, es finden zu wollen. Mehr und mehr wuchs in mir das Bedürfnis, meine Egozentrik, meine Identifikationen, welcher Art auch immer, zurückzulassen und mich durch meine erwachende Sehnsucht leiten zu lassen. Und ich stehe noch immer am Anfang. Täglich ringe ich um dieses Bemühen, aber es entmutigt mich nicht. Zu jeder Zeit haben wir die Möglichkeit anzufangen. Das ist entscheidend. Nicht »ich-bestimmt« meine Ziele zu setzen, sondern mich vom Ziel ziehen zu lassen, wie Picasso es in seinen Versen ausdrückt. Und je länger ich mich auf dem »weglosen Weg« befinde, umso weiter scheint das Ziel in die Ferne zu entweichen: Ein »pfadloser Pfad ohne Ziel« scheint mir ein treffender Ausdruck des kontemplativen Weges zu sein. Es ist das »nichtbestimmte Ziel«, das letztlich den kontemplativ Übenden führt und leitet in eine innere Freiheit und Weite, die alle Vorstellungen des menschlich begrenzten Geistes übersteigen. Diese Freiheit und damit verbundene Klarheit kann jedoch tatsächlich nicht erreicht werden durch das ständige Üben von »mitfühlender Achtsamkeit« und »vertrauender Hingabe«, sondern es ist die unmittelbare Erfahrung und das damit verbundene Erkennen, dass das Wesen des Menschen Klarheit, Wahrheit, Liebe und Mitgefühl ist. Es ist ein »werdeloses Werden« wie Meister Eckhart es bezeichnet. Auch wenn wir das Empfinden einer Entwicklung oder eines Weges haben, befindet sich der Übende schon am Ziel. Wir üben nicht auf etwas hin. »Wir leben in Gott, wir bewegen uns in Gott, wir sind in Gott!« (Apostel Paulus in der Apostelgeschichte, vgl. Apg 17,28). Im Grunde sind wir schon angekommen; wir sind nie weggegangen.

Ein heiliges Abenteuer

Der »Weg« ist ein Paradoxon für den denkenden Geist, für die tiefen Gefühle und Empfindungen eine dauerhafte Ent-Täuschung, wie es der Zen-Meister Alexander Poraj formuliert. Aber nirgendwo sonst kann der Mensch wirklich Mensch sein – als an dem Ort, wo alle seine Vorstellungen, Selbstbilder und Bilder, Erwartungen und Befürchtungen in sich zusammenfallen. Im spirituellen Kontext ist es der Tod des Egos, eine radikale Befreiung.

Diese Befreiung wurde immer klarer zu einer Essenz meines spirituellen Werdens. Das Wagnis, sich diesem Wissen durch die Bejahung der Ungeborgenheit hinzugeben, um sich in dieser geborgen zu fühlen, verlangt Mut und Vertrauen, wird jedoch belohnt mit der Freiheit und Befreiung von materiellen und existenziellen Ängsten.

Dies anzugehen hat nichts gemeinsam mit dem Irren in der Führungs- bzw. Haltlosigkeit narzisstischer Denkmuster. Es bedeutet vielmehr, sich willentlich, aber absichtslos von der materiellen Welt, die uns lediglich vermeintlich Sicherheit und Geborgenheit verspricht, abzuwenden. Sich der Ungewissheit hinzugeben, führt hindurch in eine neue Geborgenheit, die sich im entwickelnden Vertrauen gründet. Führungslosigkeit zu bejahen, heißt loszulassen vom Bekannten, wobei wir doch mit unserer Geburt gelernt haben, die vordergründige Realität als »die« Wirklichkeit zu betrachten. Die Führerlosigkeit zu bejahen, bedeutet, die Führung unserer Geschicke nicht weiter willentlich von unserem Ego steuern zu lassen. Es beinhaltet die Bereitschaft, nicht weiter der verinnerlichten Tendenz in uns zu folgen.

Kontemplation ist eine Einladung zu einfachem, absichtslosem Praktizieren und ein möglicher Weg, sich auf neue spirituelle Erfahrungen einzulassen. Kontemplation spiegelt einfaches Dasein wider, die Offenheit und die Hingabe an diesen Augenblick, ohne es mit meinem egozentrischen, bewertenden Geist zu zerreißen. Jeder Augenblick, auch wenn er vergeht, ist einzigartig und neu. In der Tat, es ist ein heiliges Abenteuer. Heilig, aber nicht als Gegensatz zu profan. Heilig, weil mir in dieser Absichtslosigkeit nichts geschehen kann, und von daher gibt es auch kein Wagnis. Das Wissen um die Geborgenheit jenseits aller Widerstände lässt uns in der Kontemplation mutig das Wagnis der Führungslosigkeit eingehen. Wir können uns der Übung hingeben, werden gleichsam durch sie gezwungen, uns für die spirituelle Realität zu öffnen und uns der tragenden, heilsamen Kraft dieser göttlichen Präsenz gewahr zu werden.

Und noch heute habe ich das Gefühl, dass ich in meinem Leben nur wenig gesucht – jedoch vieles gefunden habe. Und genau das – die Dinge zu finden, die wir nicht suchen – zieht sich wie ein wunderbarer Pfad durch mein Leben. Vielleicht, weil ich mich privat wie spirituell – und oft unter schmerzvollem Ringen – sozusagen vom Ziel ziehen ließ und nicht selbst das Ziel bestimmt habe.

Veränderung geschieht

Offenheit und völlig neue Erfahrungen verbinden uns mit dem Leben: Dass wir etwas in dem Augenblick, in dem es uns geschieht, nicht verstehen, dass wir den tieferen Sinn dessen, was es für uns bedeutet, nicht erfassen, gehört zur Lebendigkeit und färbt unser Dasein bunt, manchmal auch grau. Aus einem zeitlichen Abstand, und wenn sich unsere Perspektive geweitet hat, sehen wir klarer und können das Geschehene in einen größeren Zusammenhang einordnen.

Haben wir dies verstanden, dann kann daraus echte Erkenntnis entstehen. Es wird noch einmal neu entschieden, losgelassen, getrauert und angenommen. Und das Leben fordert uns auf weiterzugehen.

Nein, wir werden uns nicht wirklich verändern, weil wir es wollen. Unsere Veränderung liegt in der Entscheidung, sie geschehen zu lassen. Nehmen wir unser egozentrisches Wollen zurück, halten nicht weiter an Bekanntem fest – weder an dem, was Veränderung verlangt, noch an der Ich-Vorstellung einer verbesserten Situation –, kommen die Dinge in Bewegung. Veränderung geschieht. In der Angst, vor der Ungewissheit zu erstarren, ist keine Veränderung möglich. Veränderung geschieht in der Offenheit und durch Vertrauen. Damit kommt die innere Erstarrung wieder in Bewegung, damit finden wir zur Lebendigkeit zurück.

Durch Offenheit und Vertrauen geschieht Heilung. Die Praxis der Kontemplation erfordert von uns, die absolute Bejahung loszulassen, den Mut sich fallen zu lassen in die Gegenwart dessen, was ist. Wenn wir in uns zu einer Entwicklung oder Entscheidung ein Nein hören oder spüren, dann sollen wir dieses Nein ebenfalls ganz bejahen und darauf vertrauen, dass es so stimmt. Das ist Klarheit und Treue zum Weg.

Die grundlegende Bejahung, die ich gegenüber dem Leben spürte und auch heute noch spüre, ist jedoch nicht fatalistisch in dem Sinn, dass ich einfach alles geschehen lasse, mich meinem Schicksal ergebe oder aufgebe. Vielmehr ist es ein Hören auf mein Inneres und die Akzeptanz dessen, was wahrgenommen wird. Und das kann auch in einem Nein deutlich werden. Vielleicht sogar in einem Nein zu einem Lebensentwurf, den ich einmal aus tiefster Überzeugung bejaht habe, der nun für mich nicht mehr trägt und mich darüber hinausführt.

Diese Offenheit, aber auch diese Furchtlosigkeit dem Leben gegenüber, dieser Mut, das Leben zu leben, ist schließlich etwas, das ich gern weitergeben will und im Weg oder der Haltung, die der Kontemplation zugrunde liegt, auch wiederfinde. Der Weg als solcher ist eher metaphorisch zu verstehen: Ich gehe nicht von hier nach da, sondern der Weg ist da, und es gilt, ihn zu erkennen und zu entdecken. Ich kann allerdings die Menschen nur so weit leiten, wie ich selbst gegangen bin, soweit ich auch selbst um eine solche Erfahrung weiß und soweit ich selbst diese Erfahrung oder die Erkenntnis, die ich daraus gewonnen habe, selbst lebe.

Mitgefühl und Liebe

Ein Schwerpunkt meiner kontemplativen Übung ist die »Herzenspraxis«. Diese »Praxis des Mitgefühls und der Liebe« soll den Praktizierenden unterstützen, das »Herz« noch tiefer und weiter zu öffnen. Mit »Herz« ist nicht das physische Herz gemeint, auch wenn die Aufmerksamkeit durchaus im Herzen oder im Brustraum sein kann, sondern es bezeichnet die »Mitte« des Menschen, sein wahres Selbst, sein wahres Wesen, das letztlich im ganzen Leib des Menschen vorhanden ist. Auch bei dieser Praxis ist die Haltung der Absichtslosigkeit maßgeblich. Auch hier gilt es, nichts Bestimmtes erreichen oder bewirken zu wollen, sonst würden wir nur wieder unseren eigenen egozentrischen Wünschen – unserem Ego – folgen. Unsere mitfühlende Achtsamkeit ist jene Haltung, sich ohne den bewertenden Geist diesem Augenblick anzuvertrauen, sich ihm hinzugeben, ohne mentale Blockaden, ohne sich zurückzuziehen auf ein bestimmtes System, beispielsweise Weltanschauungen und Religionen, und auch ohne sich auf sich selbst zurückzuziehen. Der bewertende Geist, das kleine Ich, ist wählerisch und bedürftig. »Das Ich hätte gerne etwas, wüsste gerne etwas, wollte gerne etwas«, beschreibt es der deutsche Mystiker Johannes Tauler zu Beginn des 14. Jahrhunderts. Ohne Unterlass bewertet es alles als richtig oder falsch, gut oder schlecht, will ich oder will ich nicht. Es ist die »Krankheit des Geistes«, wie es im Zen genannt wird. Im Grunde ist es nur eine Vermeidungsstrategie, sich in totaler Offenheit und vollkommener Hingabe jeder Situation und jeder Begegnung anzuvertrauen. Dein Herz, dein wahres Selbst ist voller Vertrauen und nimmt und lebt den Augenblick als ein kostbares Geschenk, als eine einmalige Gelegenheit zu leben und zu lieben. Ein solches Leben ist durchdrungen von der Liebe. Es wird als Möglichkeit empfunden, mit dem Schmerz umzugehen und sich nicht in ihm zu verlieren.

In meiner Arbeit als Kontemplationslehrer möchte ich den Menschen, die sich mir auf ihrem spirituellen Weg anvertrauen, Mut machen, das Wagnis der Absichtslosigkeit und des Erwachens zu sich selbst einzugehen. Die Menschen auf dem Weg in ihrem Finden zu begleiten, ist mir ein Anliegen, ist aber nicht mein Ziel.

Um in diese Haltung hinein zu wachsen und sie heute in meinen Beziehungen lebendig werden zu lassen, waren in meinem Leben einige schwierige Ereignisse und vielfältige Begegnungen notwendig. Damit Sie, liebe Leserin, lieber Leser, besser nachvollziehen können, wie sich geistiges Wachstum und spirituelles Reifen gestalten können, habe ich im ersten Teil des Buches einige Erlebnisse geschildert, die ich erfahren durfte. Es sind keine außergewöhnlichen Erfahrungen. Viele Menschen, die ich auf ihrem Weg begleiten durfte, haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Solche Erlebnisse sind nicht Ausdruck einer krankhaften Psyche, sondern Erfahrungen, die typisch sind, wenn wir über bestimmte Grenzen hinausgehen. Dabei können Krankheit, tiefgreifende Erlebnisse wie Tod oder Trennung eine Art Katalysatoren sein.

Im zweiten Teil meines Buches geht es um die Grundlagen der Kontemplation.

Ich wünsche Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, dass Ihnen die Lektüre dieses Buches hilft, den Mut aufzubringen, sich auf den Weg der Kontemplation zu begeben und die Erfahrung zu machen, sich im Ungeborgenen geborgen zu wissen, sich in der Führungslosigkeit geführt zu wissen und vom sich nicht selbst bestimmten Ziel ziehen zu lassen.

Holzkirchen, im Frühjahr 2017 Fernand Braun

Mein Weg zur Kontemplation

Alles beginnt mit der Sehnsucht,

immer ist im Herzen Raum für mehr,

für Schöneres, für Größeres.

Das ist des Menschen Größe und Not:

Sehnsucht nach Stille, nach Freundschaft und Liebe.

Und wo Sehnsucht sich erfüllt, dort bricht sie noch stärker auf.

Fing nicht auch Deine Menschwerdung, Gott,

mit dieser Sehnsucht nach dem Menschen an?

So lass nun unsere Sehnsucht damit anfangen, Dich zu suchen,

und lass sie damit enden, Dich gefunden zu haben.

Nelly Sachs zugeschrieben

In jedem Menschen ist eine Sehnsucht, die auf diese Dimension hinweist. Johannes vom Kreuz nennt sie »das Erwachen Gottes im Menschen«. Das bedeutet: Wir machen uns nicht auf den Weg, weil wir es wollen, sondern weil uns die Sehnsucht zieht. »Alles beginnt mit der Sehnsucht«, heißt es im Gedicht. Oft haben wir das Gefühl: Ich suche, aber im Grunde stimmt das nicht. Da ist kein Ich, das etwas sucht, sondern eine Sehnsucht, die sich zeigt. Wir können uns ihr hingeben und beobachten, wo sie uns hinführt – weit über das hinaus, was die Welt uns verspricht. Um den Weg vom Suchen zum Finden zu gehen, folgte ich schon früh der Sehnsucht, ohne zu wissen, wohin sie mich führen sollte.

Das Weiterziehen soll im Folgenden nicht als Wegziehen verstanden werden. Jede Veränderung erfordert ein Durchschreiten einer Krise mit dem Durchleben aller Gefühle, großer Trauer und schwerem Abschiednehmen. Ich empfand diese Krisen stets als Wendepunkt voller Schmerz, unabhängig ob sie durch mich oder andere herbeigeführt waren. Ohne Krisen kann man nicht wachsen, und dies kann nur mit der Einsicht eigener Fehlverhalten einhergehen. Dann wird aus dem Weiterziehen ein befreites Sich-neu-Finden. Es wurde nicht gesucht!

Wie sich mir das Göttliche zeigte

Erste spirituelle Erfahrungen

Meine ersten Erinnerungen an eine göttliche Präsenz stammen aus meiner frühen Kindheit. Meine Heimat ist der deutschsprachige Teil Belgiens, wo ich 1960 als Sohn einer Bauernfamilie zur Welt kam. Dieser Teil Belgiens gehörte bis 1918 zu Deutschland und ging als Reparationszahlung mit Ende des Ersten Weltkriegs an Belgien. Die Gegend ist sehr ländlich geprägt und dünn besiedelt. Größere Städte waren damals nicht ohne Anstrengungen zu erreichen, wirtschaftlich und politisch bedeutungslos. Ich bin also von eher unzugänglichen Menschen und der Nähe zur Natur geprägt. Es ereignete sich nicht wirklich etwas, es gab weder außergewöhnliche gesellschaftliche Ereignisse, noch kriminelle Vorfälle. Angst vor körperlicher Gewalt oder Übergriffen brauchten wir nicht zu haben. Auch war es nichts Besonderes, dass die Eltern ihre Kinder tagsüber allein durch die Natur streifen ließen. Nach der Schule wurden Hausaufgaben gemacht, und danach gingen wir nach draußen. Ich mochte die stundenlangen Aufenthalte mit unserem Hofhund im Wald. Er war mein Begleiter und in gewisser Weise auch mein Bewacher.

Die Natur ist ein sehr wichtiger Aspekt in meinem Leben. Gerade im Hinblick auf meine Spiritualität spielte und spielt sie eine zentrale Rolle. Für mich war und ist die Natur ein heiliger Raum, ein Raum, in dem ich eine numinose Präsenz spürbar wahrnehmen konnte und wo ich mir selbst sehr nahe sein kann.

Eine bestimmte Erfahrung in der Kindheit hatte meinen zukünftigen Weg und die Sichtweise auf das Leben nachhaltig geprägt, ohne dass ich mir dessen wirklich bewusst war. Erst viel später in der intensiven Praxis der Kontemplation wurde es mir klar. Ich war noch ein Kind, schätzungsweise fünf Jahre alt, und lag wie so oft in der Nacht wach in meinem Bett und blickte in den beleuchteten Gang im Obergeschoss unseres Hauses. Plötzlich veränderte sich meine Wahrnehmung. Soweit ich mich erinnern kann, hatte dieser Augenblick eine andere Intensität und Klarheit, und ich »hörte« die Worte in mir: »So ist das Leben.« Es war völlig unspektakulär oder erschreckend. Es war einfach das, was es ist, auch wenn ich nicht begriff – bis heute nicht –, was es war. Eine bestimmte Qualität dieser Erfahrung ist die bedingungslose Bejahung des Lebens; meine Antwort darauf ist ein bedingungsloses Vertrauen in die ständigen, unberechenbaren Veränderungen in das, was wir Leben (für mich ein Synonym für das Göttliche) nennen. Ich werde es nicht begreifen können, geschweige denn in den Griff bekommen. Ich kann mich in jedem Augenblick diesem Geschehen anvertrauen. Es scheint mir eine zentrale Haltung der kontemplativen Übung schlechthin, die Übung der Hingabe und der radikalen Akzeptanz dessen, was jetzt ist, ohne an der Vergangenheit zu kleben oder hängen zu bleiben oder mich in meinen Erwartungen und Befürchtungen an die Zukunft wegtragen zu lassen oder mich in meinen Ängsten zu verlieren.

Im Folgenden möchte ich eine andere Erfahrung schildern, die ich als siebenjähriger Junge machen durfte und die über lange Zeit meine kindliche Frömmigkeit prägte und mir das Bewusstsein einer göttlichen Wirklichkeit gab.

Meine Mutter bat mich, zusammen mit meinem Cousin Futter für unsere Kaninchen zu suchen. Am liebsten fraßen sie Löwenzahn, und an der Hecke, wo es immer etwas schattig und feucht war, wuchs er besonders gut. Meine Mutter schärfte mir ein, gut auf das Messer aufzupassen, mit dem wir den Löwenzahn ausstechen sollten: »Es ist mein bestes Messer«, sagte sie.