Ich weiß, was du mir sagen willst - Stephanie Lang von Langen - E-Book

Ich weiß, was du mir sagen willst E-Book

Stephanie Lang von Langen

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Beschreibung

Die Signale eines Hundes sind offen und eindeutig - wenn man den Code dafür kennt. Stefanie Lang von Langen hat ihn geknackt. Als Kind war sie fast blind, aber Hunde gaben ihr Orientierung und Halt. Intuitiv lernte sie, richtig mit ihnen zu kommunizieren. Ob die Bedeutung der Laute, Mimik oder Körpersprache: Die studierte Tierpsychologin weiß genau, was sie uns sagen wollen. Hier gibt sie dem Leser das Vokabular an die Hand und verrät das Geheimnis für ein harmonisches Miteinander von Mensch und Hund.

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Seitenzahl: 313

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Über die Autorinnen

Stephanie Lang von Langen wurde 1976 in München geboren, hat aber den größten Teil ihrer Kindheit in Kenia verbracht. Die Familie zog nach Bad Tölz, als sie 11 Jahre alt war. In Zürich studierte Stephanie Lang von Langen Tierpsychologie für Hunde und arbeitet heute im Raum München als Hundetrainerin und Ausbilderin. Ihre Schwerpunkte sind: Verhaltenstraining für Problemhunde und Auslandshunde, Ausbildung von Therapiehunde-Teams und Ausbildung zur Personensuche (Mantrailing). Mehr über ihre Arbeit auf: www.langvonlangen.com und www.wunjo-projekt.de

Shirley Michaela Seul, geboren 1962, hat zahlreiche Bücher in verschiedenen Genres veröffentlicht, darunter auch eine Hundekrimiserie, die im bayerischen Fünfseenland spielt. Als Ghostwriterin hat sie an einigen Bestsellern mitgewirkt. Die Autorin führt einen Hundeblog unter www.flipper-privat.de

Stephanie Lang von Langen und Shirley Michaela Seul

Ich weiß, was du mir sagen willst

Die Sprache der Hunde verstehen

Vollständige eBook-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Originalausgabe

Copyright © 2014 by Bastei Lübbe AG, Köln Textredaktion: Dr. Ulrike Strerath-Bolz, Friedberg Umschlaggestaltung: Manuela Städele-Monverde Umschlagmotiv: © Claudia Sturm, München eBook-Produktion: Dörlemann Satz, Lemförde

ISBN 978-3-8387-5849-7

www.luebbe.de

www.lesejury.de

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Damit die kulturelle Vielfalt erhalten und für die Leser bezahlbar bleibt, gibt es die gesetzliche Buchpreisbindung. Ob im Internet, in der Großbuchhandlung, beim lokalen Buchhändler, im Dorf oder in der Großstadt – überall bekommen Sie Ihre verlagsneuen Bücher zum selben Preis.

Für Hummel

Inhalt

Über die AutorinnenHundeflüsterei ist keine HexereiWer liest wen?Besuch kommt! Oder: Hier wache ichWer tanzt nach der Hundepfeife?Der KampfdackelNicht beachten führt zu AchtungIgnorieren – besser als MissverständnisseIgnorieren – wie oft und wie lange?Die Milchbar hat geschlossen – vom Umgang mit Frust und EnttäuschungDie Disco öffnetDas perfekte KartenhausIn welchem Dialekt spricht Ihr Hund? RassemerkmaleDer passende Hund für SieHunde brauchen die richtige AufgabeJägerlateinWie viel Energie haben Sie und Ihr Hund?Polizeihund Rex und die AhnentafelKindheit in Kenia – wie alles anfingEndlich richtig sehenZurück in DeutschlandZwischen Züchter und Tierschutz: Welches Karma bringt der Hund mit?Schlechte ErfahrungenProbleme lassen sich lösenDie Hunde der MasaiMitleid schwächtIn welcher Stimmlage bewegt sich eine Führungspersönlichkeit?Das Auftreten eines RudelführersHarmonie und VertrauenKeine GewaltLeine los!Hunde als Helden: die RettungshundestaffelImmer der Nase nachWunjo im EinsatzMit Pongo auf den Hund gekommen – eine harte Lehre für die »Hundeflüsterin«Sally und Herr Hansen: der traurige ClownHunde auf der Couch – wie ich meine Berufung fandDer UnfallTherapiehundeGut im FutterDas Wunjo-ProjektSarah und der schwarze RieseZugzwangDas Basisvokabular der HundespracheWetten, dass mein Hund der beste istDas i-Tüpfelchen: LeckerlisLiebe geht durch den MagenHunde-KniggeKnurren – nur ein LautGleiche Chancen für alleTête-à-tête im Luitpoldpark: Winston und TizianFlucht Richtung Bundesstraße: Asta und LupoGesamtpersönlichkeit Hund – Wenn die Vergangenheit eine Rolle spieltHundrum glücklichDanksagung

In einem alten Buch, einem Ratgeber für Landwirte, dessen Sütterlinschrift ich kaum entziffern konnte, entdeckte ich sinngemäß Folgendes:

Wenn man einen neuen Hofhund hat, soll man drei Stücke Brot nacheinander mit Bedacht zerkauen, dem Hund entgegenspucken, sodass er sie frisst, und jedes Mal sagen: »Du gehörst zu mir.« Dann läuft er nie weg.

Ganz so einfach ist es nicht. Aber fast.

Hundeflüsterei ist keine Hexerei

Für mich sind Hunde eine wunderbare Bereicherung im Leben. Sie begleiten meinen Alltag und kennen mich ganz genau. Besser als die meisten Menschen, würde ich sogar behaupten. Ich finde es immer wieder faszinierend, dass sie in der Lage sind, eine so tiefe Beziehung mit uns einzugehen, obwohl wir doch zwei Beine weniger haben und uns manche ihrer Fähigkeiten fehlen. Verglichen mit ihnen, sind wir taub, hören sehr schlecht, riechen kaum etwas und benehmen uns in vielen Situationen seltsam. Vergnügungen wie Vorspülen an der Geschirrspülmaschine, Socken verschleppen, Speisereste vergraben, auf Holz herumbeißen meiden wir. Wir kauen, ehe wir schlucken, und sind wegen unserer minderwertigen körperlichen Ausstattung nicht in der Lage, mit dem Schwanz oder wenigstens Hinterteil zu wedeln. Trotz dieser groben Unzulänglichkeiten halten Hunde uns die Treue. Was für ein Glück! Wie arm, grau und leer wäre das Leben ohne sie!

Hunde sind für mich darüber hinaus eine Erweiterung meiner Sinnesorgane. Mit einem Hund an meiner Seite höre ich mehr, ich sehe mehr, ich rieche mehr. Mit einem Hund als Begleiter gehe ich aufmerksamer durchs Leben. Und ich bin im Jetzt. Das ist übrigens auch die einzige Möglichkeit, einen Hund dazu zu bringen, mir zu folgen. Ich kann ihn nur im Jetzt erreichen, weil er dort sein Revier hat. Auch darin unterscheiden sich Hunde von Menschen. Wir neigen ja dazu, eher im Gestern und Morgen zu leben als im Heute, und bilden uns auch noch ein, das könnte funktionieren.

Viele Menschen neigen allerdings dazu, ihre Hunde zu vermenschlichen. Während das die meisten wissen, ist nur wenigen bewusst, dass Hunde uns Menschen verhundlichen. Natürlich gibt es noch eine Reihe anderer Unterschiede zwischen Menschen und Hunden, doch der fehlende gemeinsame Nenner in der Kommunikation ist der Grund zahlreicher Missverständnisse. Ihnen möchte ich in diesem Buch auf den Pelz rücken. Denn ich weiß, wie schwer das Leben mit einem Hund sein kann, der nicht folgt. Und ich weiß, wie schön das Leben ist, wenn das Mensch-Hund-Team gut aufeinander eingespielt ist.

Sobald wir Hunde vermenschlichen, tappen wir in eine Falle. Einem Hund menschliche Gedankengänge unterzuschieben, führt immer zu Missverständnissen. Denn bei aller Liebe sind Hunde keine Menschen und Menschen keine Hunde. Deshalb brauchen wir eine Übersetzungshilfe. Auf den folgenden Seiten möchte ich Sie mit der Sprache Ihres Vierbeiners vertraut machen. Keine Sorge: Chinesisch ist viel schwieriger, auch wenn Ihr Hund Sie manchmal so anzusprechen scheint. Fachchinesisch gibt es bei mir übrigens nicht, und die Hundegrammatik ist schnell erklärt. Deshalb werden sich einige Missverständnisse in der Mensch-Hund-Kommunikation rasch aufklären, und schon bald können Sie wie in einem aufgeschlagenen Buch in Ihrem Hund lesen. Das ist er nämlich. Wenn man dieses Buch einmal geöffnet hat, erschließt sich der Inhalt wie von selbst, manchmal sogar schwanzwedelnd. Ein Hund, der spürt, dass er verstanden wird, ist glücklich. Bilden Mensch und Hund ein Team, sind beide glücklich. Eine solche Beziehung gründet auf dem tiefen Vertrauen, dass jeder weiß, was er vom anderen erwarten kann.

Viele Hundebesitzer vergessen in ihrer großen Zuneigung immer wieder, dass ihr Gegenüber, das sie lieb haben wie einen Menschen, keiner ist. Natürlich darf man einen Hund lieb haben und aufs Sofa lassen. Aber er bleibt ein Hund und ist deswegen als solcher anzusprechen. Einem Menschen würden wir im übertragenen Sinne wohl kaum ein Stück von unserem Leberwurstbrot zuwerfen – als Zeichen unserer Zuneigung.

Doch in welcher Sprache ist es am besten, mit dem Hund zu sprechen? Ist es wichtig, bitte zu sagen, wie es viele Hundehalter tun? Bitte bring mir den Ball? Oder wäre ein Knurren angebracht, wenn der Ball ausbleibt? Oder gleich losbrüllen: Aus! Ausss! Auuuuuuussssss! Oder gar nichts sagen und auf Telepathie hoffen: Jetzt kennt er mich schon so lange, da muss er doch wissen, was ich will.

Wohin man auch blickt, lauern Missverständnisse in der Kommunikation, und diese können zu unglücklichen Mensch-Hund-Beziehungen führen. Das tut mir oft sehr leid, denn ich weiß ja, wie einfach es sein kann, wenn der Mensch das richtige Vokabular benutzt. Nicht seines, sondern das des Hundes. Und das machen wir jetzt: Wir knacken den Code der geheimen Sprache der Hunde, die natürlich gar nicht geheim im Wortsinn ist. Und doch keine Selbstverständlichkeit, wenn man die vielen missglückten Interaktionen zwischen Mensch und Hund beobachtet.

Auf den folgenden Seiten möchte ich Sie als Dolmetscherin zwischen Ihnen und Ihrem Hund begleiten. Unterwegs werden wir auch einigen Hunden und ihren Halterinnen und Haltern begegnen, und ich erzähle Ihnen Geschichten aus meinem Alltag rund um den Hund. Außerdem schnuppern wir ein wenig in die Arbeit mit Rettungs- und Therapiehunden hinein.

Als Kind hielt ich mich selbst ein bisschen für einen Hund. Ich wuchs am Strand des Indischen Ozeans in Ostafrika auf. Da ich damals nur sehr schlecht sehen konnte, nutzte ich ein Hunderudel zur Orientierung. Die Hunde zeigten mir stets den Weg. Sie wiesen mich auch auf Gefahren hin: An ihrer Körperspannung konnte ich wahrnehmen, ob jemand, der sich uns näherte, vertraut oder fremd war. Auch als ich in der Pubertät zurück nach Deutschland kam, da meine Eltern ihre berufliche Tätigkeit in Afrika beendeten, und mir durch eine Operation vollständige Sehfähigkeit geschenkt wurde, begleiteten mich stets Hunde, wenn auch nicht immer eigene. Doch, und hier spreche ich aus eigener Erfahrung: Mit Hunden groß zu werden, immer welche um sich zu haben, ist kein Garant, sie auch zu verstehen.

Im Studium der Tierpsychologie mit dem Schwerpunkt Hunde lernte ich meine Vokabeln – die Theorie der Hundesprache. Heute arbeite ich als Hundepsychologin in Einzelarbeit und Gruppen und als Ausbilderin für Therapiehunde, wozu ich ein eigenes Zentrum gegründet habe, das Wunjo-Projekt. Ich bin Mitglied der Bayerischen Rettungshundestaffel und Trainerin für Verhaltensprobleme, Hundebeschäftigung im Alltag und Mantrailing. Während ich als kleines Mädchen am Strand von Ostafrika davon überzeugt war, die geheime Sprache der Hunde – natürlich als einziger Mensch auf der ganzen Welt – zu verstehen, weiß ich heute, dass jeder sie verstehen kann. Auch Sie, sobald Sie die grundlegenden Vokabeln kennen. In diesem Sinne würde ich vorschlagen, dass wir nun aufbrechen zu unserem Abenteuer-Gassi in die Welt der Hunde.

Wer liest wen?

Seit mindestens 15000 Jahren, also seitdem Menschen mit Hunden leben, wissen Hunde, dass Menschen Plappertaschen, Quatschbeutel, Ratschkathln, Quasselstrippen sind. Menschen reden dauernd, manche fast zwanghaft. Nicht nur, dass sie alles, was sie sagen, wiederholen: Sitz, sitz, sitz. Sie haben quasi ein eingebautes Echo. Platz, Platz, Platz. Und manchmal geht alles durcheinander. Hier, Mogli! Hier! Fuß jetzt! Komm her! Aus! Bleib! Und das in einem Atemzug. So was muss man erst mal schaffen. Der Hund müsste nicht nur Multitasking beherrschen, sondern darüber hinaus eine artistische Ausbildung absolviert haben, wenn er das gleichzeitig Gewünschte umsetzen wollte.

Menschen reden aber nicht nur ständig mit Hunden, sondern auch über sie. Stellen Sie sich einmal vor, jemand würde alle Ihre Regungen kommentieren: Jetzt lacht er. Jetzt hat es eben in seinem linken Mundwinkel gezuckt. Er schaut zu Boden. Er kratzt sich an der Backe … und so weiter.

Zu Beginn würden Sie vielleicht noch verunsichert lachen. Wenn Ihr Gegenüber aber nicht aufhören würde und Sie keine Möglichkeit hätten, aus dieser Situation herauszukommen, würden Sie entweder verrückt werden oder auf Durchzug stellen. Genau das tun viele Hunde, die der Plappertasche Mensch – die es, das möchte ich betonen, nur gut meint – ausgeliefert sind:

Kuck mal, wie süß sie an ihrer Pfote knabbert.

Jetzt juckt es ihn: Juckt es dich, hm? Juckt es dich? (Echo!)

Schau mal, wie goldig er ausschaut. So goldig schaut er aus.

Oje, dir ist aber heiß heute, gell, so heiß ist dir, kleiner Wuckel. Musst du schwitzi-schwitzi machen?

Eine Ameise. Ja, so was. Krabbelt die einfach über deine Pfote. Böse, böse Ameise!

Was kuckst du mich so drollig an? Fehlt dir was? Was fehlt dir denn?

Was mir fehlt? Meine Ruhe! Bitte!! Die kehrt aber nicht ein, und so klinkt sich der Hund irgendwann aus. Er wird »harthörig«. Dies ist die Folge davon, dass er vorher sehr gut gehört, aber nicht verstanden hat, was von ihm erwartet wurde. Er wurde ständig zugetextet, konnte aber den Sinn der Wörter nicht verstehen, wusste nicht, wann er wirklich gemeint war. Er schaltete ab.

Ich weiß auch nicht, was mit meinem Hund los ist! Er folgt nicht. Er hört nicht.

Es geht dem Hund vielleicht so, wie es einem Menschen ergehen würde, der Tag für Tag mit einem Kollegen aus einer anderen Kultur konfrontiert wäre. Und eine andere Sprache benutzt der auch, sagen wir: Chinesisch. Unglücklicherweise redet er sehr gern, von früh bis spät. Der Fluchtweg ist versperrt, die Tür abgeschlossen … Wie lange halten Sie das aus, ehe Sie harthörig werden? Hunde hören nicht schlecht, weil sie ihre Menschen ärgern wollen – sie handeln aus Notwehr.

Lenken Sie Ihre Beobachtung einmal von Ihrem Hund weg zu sich selbst. Gehören Sie zu jenen Hundehaltern, die dem Hund zu wenig Ruhe gönnen? Kommentieren Sie sein Verhalten häufig? Wäre es Ihnen vielleicht möglich, dies ein wenig einzuschränken? Das heißt ja nicht, dass Sie gar nicht mehr mit dem Hund sprechen, ihn gar nicht mehr beachten sollen. Doch Sie sollten ihm auch Zeiten der Ruhe gönnen. Er wird Sie mit erhöhter Aufmerksamkeit erfreuen, wenn Sie ihn dann wieder ansprechen.

»Leider« reden wir Menschen nicht nur mit unseren Stimmen, sondern auch mit den Körpern. Und das fast noch lauter. Je nachdem, wie wir uns fühlen und was wir denken, drücken wir etwas mit unserem Körper aus. Die Art, wie wir stehen, wie wir gehen, wie wir die Hand nach der Tasse ausstrecken. Die Festigkeit unseres Schrittes, die Frequenz unseres Atems – mit all diesen oft unbewussten Äußerungen teilen wir dem Hund etwas mit. Hunde sind Meister im Lesen der Körpersprache, im Wahrnehmen von Gefühlen und Stimmungen. Die Fähigkeit, Gefühle und Stimmungen zu lesen, ist für sie wie Sprechen, da sie im Rudel auch über Stimmungsübertragung kommunizieren. Hund und Mensch übersetzen das, was sie wahrnehmen, in ihre eigene Sprache. Was dabei herauskommt, führt oft zu Frustrationen auf beiden Seiten. Zwei Beispiele:

Sabine lässt Nelly nur ungern von der Leine, weil sie Angst hat, dass Nelly dann durchbrennt. Sie sind im Park unterwegs, Nelly läuft frei. Da ruft Sabine: »Nelly!« Ihre Stimme klingt ängstlich, denn sie befürchtet ja schon, dass Nelly nicht reagiert. Nelly spitzt die Ohren: Was ist da los? Frauchen hat Angst, Gefahr droht! Da warte ich lieber erst mal ab, in sicherem Abstand. Sabine ruft immer gestresster. Nelly wägt ab, ihr Mut überwiegt, sie fasst sich ein Herz und läuft zu ihrem Frauchen. Dort wird sie lautstark gescholten. Nelly versteht nicht, warum. Auch einen Feind kann sie nirgends entdecken. Zutiefst verunsichert zeigt Nelly in ihrer Hundesprache Stresssignale: Sie leckt sich über die Schnauze. Das wird von Sabine leider nicht verstanden, sie teilt Nelly eingeschnappt mit: »Zu fressen gibt’s jetzt aber nichts!« Nelly duckt sich bei dem unfreundlichen Tonfall. »Na, du hast aber ein schlechtes Gewissen«, interpretiert Sabine erneut falsch. Sie leint Nelly an und zerrt den Hund, der sich mit seinem ganzen Körper von ihr weglehnt, nach Hause. Beide sind unglücklich, beide sehnen sich nach Harmonie und verstehen nicht, warum es nicht funktioniert zwischen ihnen. Dabei liegt der Grund auf der Hand: Sie benutzen nicht dieselbe Sprache.

Beispiel zwei: »Wissen Sie«, sagte die Frau zu mir, die mich anrief, weil ihr Hund nicht allein bleiben konnte, »mein Prinz hängt wahnsinnig an mir. Er läuft mir überall nach, sogar in der Wohnung. Weg kann ich ohne ihn gar nicht, das hält er nicht aus, so sehr liebt er mich. Er ist schon ein besonders treues Kerlchen.«

Nein, Prinz ist nicht treu, er kontrolliert sein Frauchen. Denn er hat den Eindruck, sie ist nicht in der Lage, ihr Leben zu meistern. Deshalb muss er so gut auf sie aufpassen.

Hunde sind Meister in der Anpassung und Strategiefindung, wie sie am besten mit ihrem Menschen auskommen. Gehen Sie davon aus, dass Ihr Hund alles für Sie tut. Er würde sich wahrscheinlich das Herz für Sie rausreißen. Aber er muss wissen, was Sie von ihm erwarten. Sein Ungehorsam ist oft nur ein Versuch, es seinen Menschen recht zu machen.

Hundeerziehung ist keine Schwerstarbeit, sondern beschert viel Freude, weil die Vierbeiner so schnell reagieren – und oft auch so dankbar sind. Sie merken sofort, wenn sie verstanden werden, und belohnen uns reich dafür mit Blicken, ihrem Verhalten, ihrer Lebensfreude, mit Treue und Vertrauen. Es gibt unendlich viele Wege, ein gewünschtes Verhalten beim Hund zu erreichen, denn Hunde sind neugierig und lernbegierig. Sie können davon ausgehen, dass ein normal sozialisierter Hund gerne tut, was von ihm erwartet wird – wenn er begreift, was das ist. Als Rudeltier hat für ihn erste Priorität, dass die Luft in seinem Rudel nicht dick wird. Er möchte Friede, Freude, Eierkuchen. Hat er das Glück, über sich eine kompetente Chefin oder einen Chef zu haben, wird ihm das wohl gewährt sein. Probleme gibt es, wenn der Chefsessel nicht besetzt ist. Aber dazu später mehr.

An dieser Stelle sollten Sie bitte verinnerlichen, dass der Hund Ihnen gerne gefällig ist. Er macht gerne, was Sie von ihm wollen. Das ist doch sein Job als Haustier, oder? Er ist ja schließlich kein Wildtier. Nein, er gehört zur Familie. Dort wünscht er sich Anerkennung. Und er ist bereit, alles dafür zu tun, wenn ihm doch endlich mal diese Arbeitsplatzbeschreibung, die nur in Chinesisch vorliegt, übersetzt werden würde. Was wollen die von ihm? Alles, was er versucht, scheint falsch zu sein. Und wenn er mal etwas anderes ausprobiert, interessiert sich niemand mehr für ihn. Man hält ihn offenbar für doof. Sollte das des Rätsels Lösung sein? Das erwartet man von ihm? Okay, können sie haben. Ohren zu und durch.

Ein Hund unternimmt nichts, um einen Menschen zu ärgern. Der Hund denkt nicht: Jetzt hast du mich allein gelassen, also nage ich mal das Bein dieses antiken Sekretärs an, den du von deiner Lieblingstante geerbt hast. Der Hund tut, was er tut, weil er ein Hund ist.

Bitte tun Sie etwas, weil Sie ein Mensch sind: Sie sind die oder der Große in dieser Beziehung. Ihre Aufgabe ist es, dem vierbeinigen Mitarbeiter sein Tätigkeitsfeld zu erklären. Wenn er Sie nicht versteht, werden Sie nicht ungeduldig oder unterstellen Sie Trotzverhalten. Geben Sie ihm die Chance, den richtigen Weg zu finden. Und glauben Sie an Ihren Hund! Denken Sie nicht: Das kapiert der nie. Vertrauen Sie ihm und lernen Sie von ihm. Ein Hund ist nicht nachtragend. Enttäuscht oder beleidigt zu sein sind menschliche Verhaltensweisen, die Hunden in dieser Form fremd sind. Auch wenn Sie Ihren Hund einmal anschreien, wird er Ihnen im nächsten Atemzug seine Liebe und Treue zu Füßen legen. Hunde beißen sich nicht fest an schlechten Stimmungen. Für den Hund ist alles immer ganz schnell wieder gut. Lassen Sie sich davon anstecken: Etwas hat nicht geklappt, Sie verwarnen Ihren Hund mit der Stimme, er reagiert darauf – und gleich sind Sie wieder freundlich. Das ist er nämlich auch.

Ihre Verhaltensveränderung wird schnell zu einer Änderung im Verhalten des Hundes führen. Keine Sorge: Sie müssen Ihren Hund nicht jahrelang trainieren. Irgendwann hat er kapiert, wo es lang geht, und dann sind nur noch kleinere Kurskorrekturen nötig, wenn überhaupt. Halten Sie sich in schwierigen Momenten Ihr schönes Ziel vor Augen, die Glück spendende Beziehung zwischen Mensch und Hund. Vielleicht so wie diese:

Da laufen zwei am Waldrand entlang. Eine Frau und, entspannt neben ihr, ein schwarzer Riese, sacht wedelnd. Ein Team, ohne Frage. Hin und wieder hebt der Hund den Kopf und schaut sie an. Sie erwidert seinen Blick. Ein festes, aber unsichtbares Band scheint die beiden zu verbinden. Ein Reh taucht auf. Rasch blickt der Hund zu seiner Chefin. »Hast du es gesehen?« Natürlich hat sie es gesehen. Sie ist die Chefin. Sie sieht alles. Und er wiederum weiß, dass er dableiben soll. Und er bleibt da. Denn es gibt nichts Schöneres als den Platz neben der Chefin. Da fühlt er sich wohl. Da ist er sicher. Da gehört er hin.

Da laufen zwei durch die Fußgängerzone einer großen Stadt. Locker hält der Mann die Leine in der Hand, geschmeidig schlängeln sie sich an Passanten vorbei. Der mittelhohe Hund mit den fuchsfarbenen Schlappohren lässt sich von keinem schreienden Kind und von keinem kläffenden Artgenossen beeindrucken. Dicht bleibt er bei seinem Menschen, schaut manchmal hoch, vergewissert sich: alles okay. Sein Mensch erwidert den Blick seines vierbeinigen Gefährten: alles okay. Und so verschwinden sie im U-Bahn-Schacht.

»Das würde bei mir und Luna-Bella-Mogli-Blacky niemals funktionieren«, höre ich oft. Tut mir leid, ich muss widersprechen. Natürlich funktioniert es. Wenn Sie Ihren Hund in seiner Sprache anreden und wenn Sie an ihn und sich, an Sie beide als Team glauben. Der Rest ist Geduld, Training und Konsequenz. Je nachdem, welche Rassemerkmale einen Hund prägen, dauert es länger oder kürzer. Aber machbar ist es. Viele Menschen vermuten, dass Hundelesen Zauberei sei. Ich wiederhole: Ist es nicht. Der Hund ist so gut, wie wir an ihn glauben. Wenn wir an ihm zweifeln, zweifelt er an sich selbst.

Besuch kommt! Oder: Hier wache ich

»Es wäre wunderbar, wenn Sie es schaffen würden, dass unser Hund nicht mehr ausrastet, wenn Besuch kommt«, sagte Frau Kunze am Telefon zu mir.

»Sie selbst werden das schaffen«, erwiderte ich. »Ich werde Ihnen erklären, was er mit seinem Verhalten bezwecken möchte.«

»Also besteht Hoffnung?«

»Natürlich! Für das Verhalten des Hundes ist fast immer der Mensch verantwortlich.«

»Um Gottes willen«, entfuhr es Frau Kunze. Dann lachte sie. »Na, das ist aber auch eine Chance.«

»Genau«, bestätigte ich.

Der zirka dreijährige Hombre lebte seit zwei Monaten bei Frau Kunze. Er stammte aus Spanien. Zuerst war alles gut gelaufen, doch nun zeigte er einige Macken: Katzen jagen, an der Leine zerren und das Schlimmste: Ausflippen bei Besuch. Hombre war für Frau Kunze ein Symbol des Wiedereinstiegs in ihr selbstbestimmtes Leben. Die Tochter war bereits aus dem Haus, der Sohn wollte nach dem Abi im Ausland studieren – und dann? Die Liste mit den Ideen, was sie tun könnte, um sich zu verwirklichen, wurde immer länger. Frau Kunze schrieb gern Listen, wie ich aus unserem Mailverkehr wusste.

In einem Vorort Münchens parkte ich vor einem hübschen Einfamilienhaus, das sich in seiner betonten Individualität kaum von den anderen hübschen Einfamilienhäusern in diesem Viertel unterschied. Vorne ein kleiner Garten, hinten ein großer, Schmuckkugeln, getöpfertes Namensschild, Fußabstreifer mit einem witzigen Spruch. Ich klingelte am Gartenzaun. Sofort sprang die zweite Klingel an: aufgeregtes wildes Bellen. Es gibt verschiedene Arten von Bellen. Dieses klang leicht hysterisch. Der Summer ertönte, ich betrat das Grundstück. Ich hatte Frau Kunze gebeten, bei meinem ersten Besuch alles so zu machen wie immer. Nun hörte ich ihre Stimme durch das gekippte Fenster. »Nein, Hombre. Nein, aus. Komm her jetzt. Nein. Bleib. Aus. Schluss jetzt. Warte. Schluss. Nein.«

Die Haustür öffnete sich einen Spalt. Als Erstes sah ich auf Kniehöhe eine Hundeschnauze, als Zweites Frau Kunze, nicht auf Augenhöhe, sondern zwischen Hund und mir. »Kommen Sie rein.« Gebückt hielt die sportliche Frau um die vierzig den kläffenden Hombre am Halsband und zog ihn zurück. Hombre war ein schöner Kerl, Grundfarbe Weiß, darauf braun und schwarz gefleckt, Schlappohren, mittelhoch, irgendein Jagdhund war da bestimmt mit im Spiel. Hombre hustete und röchelte, kläffte aber unverdrossen weiter.

»Der tut nichts«, sagte Frau Kunze zu mir. Das amüsierte mich ein wenig, aber wir hatten ja vereinbart, dass sie mich behandeln sollte wie jeden anderen Besuch, und da gehörte der Spruch wahrscheinlich zum Repertoire.

Ich schloss die Tür hinter mir und bat Frau Kunze: »Lassen Sie ihn los.« Verwundert schaute sie mich an und kam dann meiner Bitte nach. Hombre bellte noch zweimal, dann trollte er sich. Frau Kunze stammelte: »Normalerweise bellt er ewig weiter. Man kann kein Wort wechseln. Er ist völlig außer sich! Was haben Sie mit ihm gemacht? Können Sie zaubern?«

Nein, leider nicht. Alles, was ich getan hatte, war, den Hund zu ignorieren. Damit signalisierte ich ihm in Hundesprache: Ich will nichts von dir. Ich greife dich nicht an. Ich lasse dir Raum. Kannst mich ja, wenn du willst, auf die Entfernung schon mal ein bisschen kennenlernen. Mit dieser Haltung reagiere ich auf die Erwartungen des Hundes: Jemand kommt. Ein Neuer im Rudel? Der Hund weiß nicht, dass der Besuch nur zum Kaffee vorbeischaut. Es könnte ein neues Rudelmitglied vorstellig werden, das für immer bleibt. Das muss natürlich sofort untersucht werden. Der Hund will wissen: Wer bist du? Stehst du über oder unter mir? Machst du mir meine Stellung streitig, ist mein Napf gefährdet? Diese Fragen zu klären ist für den Hund überlebenswichtig.

Frau Kunze führte mich ins Wohnzimmer, Hombre beschnupperte mich kurz und ging dann ruhig weg. Wir setzten uns an einen Esstisch, und ich packte mein Notizheft aus, in das ich mir stets Stichpunkte zu den einzelnen Fällen notiere. Alter des Hundes, Herkunft, ist er kastriert, wenn ja, wann. Das alles sind wichtige Hinweise, um ein Verhalten zu erklären. Ich werde in diesem Buch noch darauf zurückkommen.

»Also, ich verstehe das nicht«, staunte Frau Kunze noch immer. »Der benimmt sich völlig anders als sonst, das ist der Vorführeffekt, oder?«

Ich wollte Frau Kunze gerade erklären, wie sie in Zukunft Besuch empfangen sollte, da schlurfte ein schlaksiger junger Mann herein.

»Mama, wo ist die Jeans? Die eine.«

Ich wunderte mich ein wenig.

»Sebastian, möchtest du nicht erst mal Grüß Gott sagen?«, forderte Frau Kunze ihren Sohn auf.

»Äh, Grüß Gott, und wo ist jetzt die Jeans?«

»Ich hab sie dir in deinen Schrank gelegt.«

Ich wunderte mich erneut.

»Da ist sie nicht.«

»Warte, ich schau nach.«

Frau Kunze wandte sich zu mir. »Entschuldigung«, sagte sie und verließ das Wohnzimmer. Hombre folgte ihr. Im ersten Stock des Hauses fiel etwas um. Ich hörte einen gereizten Wortwechsel. Dann kam Frau Kunze zurück. Sie nahm mir gegenüber Platz, verdrehte die Augen und seufzte: »Pu-ber-tät.«

Ich setzte gerade an, um fortzufahren, da erschien Sebastian erneut. »Und meine Turnschuhe?«

»Wo sind sie wohl?«, fragte Frau Kunze.

Er schwieg.

»Na, wo sie immer sind«, erklärte sie.

»Und äh, wo?«

»Im Keller.«

»Wieso im Keller?«

»Weil ich dein Zimmer aufgeräumt habe.«

Ich wunderte mich abermals.

Als Sebastian dann auch noch seine Badehose gefunden hatte, konnten wir ohne weitere Unterbrechung fortfahren. Hombre lag in einer Ecke und döste.

»Wenn er immer so wäre bei Besuch«, wünschte sich Frau Kunze, und ich dolmetschte den Stress des Hundes.

Sie nickte. »Das springt total auf mich über. Ich rege mich genauso auf. Ich will schon gar nicht mehr, dass uns jemand besucht. Ich weiß ja, was dann passiert.«

»Hombre spürt, dass Sie nervös sind. Er weiß nicht, warum, er nimmt es einfach wahr. Dann klingelt es an der Tür. Ihre Anspannung steigt. Hombre kombiniert, das müsse etwas mit dem Menschen zu tun haben, der gleich kommt. Sonst würden Sie ja anders reagieren. Der Besuch macht Sie nervös. Hombre solidarisiert sich mit Ihnen.«

Frau Kunze starrte mich verblüfft an. »Also bin ich es, die den Zirkus initiiert?«

»Gewissermaßen, ja.«

»Und was soll ich jetzt machen?« Sie grinste. »Ich weiß schon, was Sie empfehlen. Sie raten mir, dass ich cooler werde, dass ich mich nicht so aufrege, dann regt Hombre sich auch nicht auf.«

Ich lächelte. »Nein, das rate ich Ihnen nicht. Hunde spüren sehr genau, ob etwas nur vorgetäuscht oder wahr ist. Und ich glaube nicht, dass Sie im Moment schon cool sein können. Sie könnten es höchstens spielen.«

»Das stimmt«, seufzte Frau Kunze, und ich erklärte ihr das Vorgehen.

»Erstens: Sie sind hier der Türsteher, nicht Hombre. Sie entscheiden, wer hier reinkommt.«

»Aber wenn es klingelt, kann ich ihn kaum bändigen!«

»Sie sind ihm gegenüber im Vorteil, denn oft wissen Sie, wann Sie Besuch bekommen. Sollte Hombre trotz Ihrer Ansage nicht auf seinem Platz bleiben, leinen Sie ihn vorher an. Gibt es an seinem Platz eine Möglichkeit, die Leine festzumachen?«

»Sie meinen, ich soll ihn hier im Haus anbinden?«

Ich nickte. Viele Menschen haben Probleme bei der Vorstellung, ihren Hund in der Wohnung anzuleinen, doch um ein neues Verhalten zu lernen und, in diesem Fall, um Hombre aus dem Stressbereich herauszubringen, war das wichtig. Frau Kunze zögerte nicht: »Ich könnte die Leine an der Heizung befestigen.« Fragend schaute sie mich an.

»Das ist gut. Die zweite Vorbereitung betrifft die Besucher, die Sie erwarten. Bitte sagen Sie ihnen vorher, dass sie Hombre unbedingt ignorieren sollen.«

»So wie Sie das gemacht haben?«

»Genau. Hombre hat dann weniger Stress. Denn wenn sich die Besucher gleich zu ihm wenden, glaubt er, sie wollen ihn austesten, wie er sie austesten möchte: Wer bist du? Wer von uns beiden darf zuerst an den Napf?«

Frau Kunze nickte nachdenklich. »Aber das klappt nur, wenn ich weiß, wer mich besucht. Was mache ich bei überraschendem Besuch?«, fragte sie.

»Sobald es klingelt, leinen Sie Hombre an und führen ihn an seinen Platz, wo Sie ihn festmachen. Er wird schnell lernen, dass er da bleiben muss, und die Leine wird dann nicht mehr nötig sein.«

»Und wenn er an der Leine Terror macht?«

»Sie können ihn auch in ein anderes Zimmer bringen.«

»Die Gästetoilette?«, schlug Frau Kunze vor.

»Zum Beispiel. Wichtig ist, dass er nicht zur Haustür rennen kann.«

»Aber bis ich das alles geregelt habe, ist der Besuch doch weg!«

»Sie können ja mal durch die geschlossene Tür rufen, dass Sie gleich kommen. Wichtig ist, dass Hombre konsequent gezeigt wird, was Sie von ihm erwarten. Es klingelt, er bleibt auf seinem Platz, die Chefin bestimmt, wer das Haus betritt, der Besuch hat nichts mit ihm zu tun, er kann sich entspannen. Der Besuch ignoriert den Hund so lange, bis Ruhe eingekehrt ist. Dann können Sie Hombre ableinen, und er darf mal schnuppern. Während dieser Zeit soll sich der Hund auf keinen Fall isoliert fühlen. Aber er soll lernen, dass Besuch Chefsache ist. Zum Üben können Sie ja in nächster Zeit öfter mal jemanden einladen.«

Frau Kunze lachte. »Ich wollte eigentlich gar keinen Besuch mehr, weil es immer so stressig ist, aber …« Sie schaute zu Hombre. »Da müssen wir jetzt durch, mein Freund.«

Dann schrieb sie gewissenhaft Punkt für Punkt auf.

Bei meinem zweiten Besuch drei Wochen später, Hombre sollte Leinenführigkeit lernen, amüsierten mich zwei Zettel. Der erste hing am Gartentor: Achtung! Nach Betätigung der Glocke 1 bis 2 Minuten warten. Den zweiten entdeckte ich innen an der Haustür. Frau Kunze erklärte: »Das ist für meinen Mann und meinen Sohn.« Ich überprüfte die Gebrauchsanweisung für Besuch:

Es klingelt.

Hund auf seinen Platz befehlen oder ihn hinbringen.

Sicherstellen, dass er dort bleibt, eventuell anleinen.

Durchatmen.

Tür öffnen. Besuch begrüßen. Besuch bitten, den Hund erst mal zu ignorieren. Besuch hereinbitten, Platz nehmen etc.

Wenn Situation entspannt: Hund aus dem Platz befreien, Leine los. Hombre darf den Besuch begrüßen.

Wie beim ersten Mal nahmen wir im Wohnzimmer Platz und Sebastian tauchte grußlos auf.

»Mama, gib mir mal einen Fünfer.«

»Nein«, sagte sie.

Ich wunderte mich nicht: Das Hundetraining zeigt häufig auch Auswirkungen in anderen Lebensbereichen, von denen man zu Beginn nichts ahnt.

Wer tanzt nach der Hundepfeife?

Wenn Ihr Hund zu Ihnen kommt und Ihnen einen Ball vor die Füße wirft … wie reagieren Sie? Heben Sie den Ball auf und werfen ihn?

Wenn Ihr Hund den Napf bringt – was tun Sie? Sind Sie stolz, weil er so schlau ist, und geben ihm ein wenig Futter, obwohl es noch gar nicht Zeit dafür ist?

Wenn Ihr Hund die Leine bringt, interpretieren Sie das als wohlgemeinten Ratschlag, dass Sie jetzt mal dringend an die frische Luft sollten?

Und wenn Ihr Hund seinen Kopf auf Ihren Oberschenkel legt – freuen Sie sich über diese charmante Aufforderung, ihn zu kraulen?

Wenn er Sie anstupst, den Kopf unter Ihren Arm schiebt, sind Sie gerührt, weil er Ihnen damit zeigt, dass er sie mag und gestreichelt werden möchte?

Wenn Sie all das oder fast alles mit Ja beantworten, sollten Sie darüber nachdenken, wer hier wen bewegt: der Hund Sie oder Sie den Hund.

Im Idealfall geben Sie die Richtung und den Takt vor, und der Hund folgt Ihnen. Im Alltag vieler Hundehalter sieht es sehr häufig anders aus. Der Hund schwingt den Taktstock, und seine Menschen tanzen nach seiner Pfeife. Und das tun sie auch noch gern. Drehen sich drollig im Kreis und machen Männchen und Frauchen. Der Hund findet das erst mal klasse. Da er sehr lernbegierig ist, verinnerlicht er Folgendes: Ich bin hier der Bestimmer. Ich geben den Ton an. Gemacht wird, was ich will.

Und so beginnen die Probleme. Beim Welpen sind sie noch niedlich, beim Junghund wachsen sie sich aus, und beim erwachsenen Hund droht Verzweiflung: Warum macht der nicht, was ich will?

Weil er gelernt hat, dass Sie machen, was er will.

Ich meine hier ausdrücklich nicht, dass Sie niemals auf Ihren Hund reagieren sollen. Es geht um die Häufigkeit: Wer ist der überwiegende Initiator der Interaktion? Wenn Sie nur noch zu einem Drittel die Initiative ergreifen, wenn in zwei Dritteln Ihrer gemeinsamen Aktivitäten der Hund bestimmt, sollten Sie etwas verändern.

»Also der Bärli, der zeigt mir schon, was er gernhat«, sagt das Frauchen der putzigen Promenadenmischung. »Aber das gefällt mir ja gerade so gut. Und außerdem wartet er vorm Futternapf so lange, bis ich ›Mahlzeit, Bärli‹ sage. Vorher geht der nicht ran.«

Insgeheim nenne ich diese Antwort den Futternapf-Irrtum. Seltsamerweise sehen viele Hundehalter in diesem Verhalten den Beweis dafür, dass ihr Hund tipptopp folgt, dass sie der Chef im Rudel sind und dass es keine Probleme gibt. Leider ist dem nicht so. Wenn die Übung vor dem gefüllten Napf die einzige ist, die klappt, besteht dringend Handlungsbedarf. Denn blöd ist so ein Hund ja nicht. Gönnt er seinem Herrchen oder Frauchen ebendiese kleine bedeutungslose Dressurnummer – und ansonsten macht er, was er will, und Herrchen und Frauchen hecheln eifrig hinterher. Das hat sich der Hund nicht selbst ausgedacht. Er erlebt es Tag für Tag und schließt daraus, dass es so sein soll. Sonst würden die Menschen sich ja wohl anders benehmen … oder?

Auch hier haben wir es mit einem Übersetzungsproblem zwischen Hundesprache und Menschensprache zu tun. Die meisten Menschen legen Wert auf Höflichkeit. Wenn sie um eine kleine Gefälligkeit gebeten werden, sagen sie Ja, an der Kasse lassen sie jemanden vor, der nur einen Artikel bezahlen möchte, sie warten, bis ältere Menschen die Straße überquert haben, und sagen meistens bitte und danke. Wenn ihnen eine Frage gestellt wird, geben sie Antwort. Es wäre unhöflich, eine Frage nicht zu beantworten. Das tut man nicht.

Genau davon profitiert der Hund beziehungsweise er leidet darunter. Der Hund stellt eine Frage: Wirfst du den Ball, kraulst du mich, gibst du mir was zu essen? Sein Mensch beantwortet diese Frage, wie er es gewöhnt ist: höflich. Er denkt womöglich gar nicht darüber nach. Die Höflichkeit ist ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Für den Hund allerdings stellt Höflichkeit keinen Wert dar. Im Hunderudel gibt es kein kultiviertes Frage-Antwort-Spiel. Da werden Fragen im Normalfall nicht beantwortet. Und keiner stört sich dran. Ein Hund rempelt einen anderen auffordernd an: Hey, Lust, ’ne Runde zu spielen? Der Gefragte reagiert nicht. Na, dann eben nicht, erkennt der Fragesteller. Er nimmt es dem anderen nicht übel, wieso auch? Wer sagt, dass man Fragen beantworten muss?

Der Mensch sagt das.

Darüber hinaus möchte der Mensch seinen Hund nicht enttäuschen. Wenn er mir sein Spielzeug schon so nett in den Schoß legt. Wenn er mich so lieb anstupst, damit ich ihn kraule. Da kann ich doch nicht so tun, als hätte ich das nicht bemerkt! Also beantwortet der Mensch die Frage des Hundes – nicht nur aus Höflichkeit, sondern auch, weil er sich in den Hund hineinversetzt. Aber natürlich als Mensch, nicht als Hund. Und als Mensch wäre er enttäuscht, wenn seine Frage nicht beantwortet würde. Er stellt sich vor, er lädt einen anderen zu etwas ein, und der reagiert überhaupt nicht darauf. Nicht mal mit nein danke. Er würde sich mies behandelt und zurückgesetzt fühlen. Dieses Gefühl der Enttäuschung möchte der Mensch seinem Hund ersparen. Also wirft er das Spielzeug, krault den Hund. Was ist schon dabei?

Leider eine Menge: Der Hundehalter lässt sich von seinem Hund bewegen. Der Hund drückt auf die Fernbedienung, der Mensch reagiert. Fernbedienungen gehören eigentlich nur in die Hände von Chefs. Doch einen solchen auf zwei Beinen gibt es in dieser Konstellation nicht. Der Hund hat seinen Menschen fest im Griff, eigentlich ist sein Mensch nur noch eine Marionette. Und das merkt der nicht mal. Diese Masche klappt so lange, bis irgendwas Schlimmes passiert oder sich die Ärgernisse häufen. Der Hund entscheidet nämlich dann nicht nur, wann er gekrault und bespielt werden möchte, er entscheidet auch, wann er wohin geht, wann er zurückkommt … und ob überhaupt. Und er sieht es überhaupt nicht ein, seine Privilegien aufzugeben. Er hat sich daran gewöhnt, dass seine Wünsche erfüllt werden. Schließlich wurde ihm das immer wieder bestätigt.

Ein Hund kann gar nicht anders, als die erhaltenen Signale folgendermaßen zu übersetzen: Ich trage hier die Verantwortung. Ich bin in dieser Gruppe der Entscheider. Als solcher sieht er logischerweise keine Veranlassung, eine an ihn herangetragene Forderung zu erfüllen. Wieso soll er ordentlich an der Leine gehen? Wieso soll er den Ball bringen? Will er jetzt im Moment spielen? Nee, will er gerade nicht. Also tut er es auch nicht. Denn derjenige, der diesen Antrag einreicht, ist ja nicht ernst zu nehmen. Der steht unter ihm, wie er durch sein Verhalten ständig beweist. Und von jemandem, der sich allzu oft als Führungspersönlichkeit disqualifiziert hat, lässt sich der Hund eben nichts sagen.

Mit diesem Verhalten ist der Hund weder gemein noch böse, er verhält sich absolut korrekt. Sein Mensch hat sich so benommen, dass der Hund zu diesem Schluss kommen musste. Denn er ist ein Hund. Kein Mensch. Merken Sie, wie wichtig es ist, den Hund in seiner Sprache anzusprechen anstatt in unserer? Der Hund lernt die Fremdsprache Mensch, wie Sie wissen, wesentlich schneller und erfolgreicher, als wir uns in seiner Sprache zurechtfinden. Er lernt sie sogar so gut, dass er oft weiß, was in uns vorgeht, lange bevor wir es auch nur ahnen. Weil er in unserer Körpersprache unsere Stimmungen liest.