Ich werde dich so glücklich machen - Anne B. Ragde - E-Book

Ich werde dich so glücklich machen E-Book

Anne B. Ragde

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Beschreibung

»Desperate Housewives« hinter Häkelgardinen

Trautes Heim, Glück allein? Eigentlich könnte das Leben in der Neubausiedlung am Rande Trondheims nicht angenehmer sein: Die Zeit des Nachkriegsmangels ist endgültig vorbei, die Wohnungen bieten modernen Komfort; und Tütensuppen, Staubsauger und Tiefkühltruhe erleichtern den Hausfrauen den Alltag. Doch was tun mit der neugewonnenen Freiheit? Mal sehen, was die Nachbarn treiben – schließlich muss man doch informiert sein, was unter dem eigenen Dach so vor sich geht. Putzt Frau Åsen aus dem Erdgeschoss etwa schon wieder die Treppe im ersten Stock? Muss der Sohn von Rudolfs seine Musik so laut aufdrehen? Und was treibt eigentlich die unverschämt gutaussehende Peggy-Anita Foss aus dem Dritten, wenn ihr Mann auf Geschäftsreise ist?

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Inhaltsverzeichnis

Teil Eins
So gutes Wasser
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Teil Eins

So gutes Wasser

Sie wollte doch nur helfen. Sie machte gern sauber, machte sich gern nützlich. Sie mischte gern das Seifenpulver ins Wasser, blickte gern in den sauberen Schaum, der sich im Plastikeimer bildete. Danach empfand sie die Befriedigung, ungeheuer schmutziges Wasser auszugießen. Je schmutziger das Wasser war, umso bessere Arbeit hatte sie geleistet. Deshalb freute sie sich immer, wenn sie in den Schaum schaute, während das Wasser in den Eimer strömte und der Salmiakdunst verheißungsvoll in Nase und Augen brannte. Außerdem hatte sie noch dazu die Zeit, sich es hier in ihrem Treppenhaus behaglich zu machen, da sie und Egil keine Kinder hatten.

Sie konnte es nicht fassen, dass es als persönliche Beleidigung betrachtet wurde, wenn sie die Treppe bis zum ersten Stock hinauf putzte, obwohl sie dazu nicht verpflichtet war. Natürlich war es unten bei ihnen immer am schmutzigsten, da sie nun einmal im Erdgeschoss wohnten und alle an ihrer Tür vorbeikamen. Und wenn sie sich trotzdem die Mühe machte und weiter nach oben putzte … Wieso begriffen die nicht, dass sie das aus purer Nettigkeit tat? Das konnte sie einfach nicht verstehen. Schon als Kind hatte sie gelernt, dass zusätzliche Arbeit geschätzt wurde. Das Unerwartete daran, dass sie sich größere Mühe gab als unbedingt nötig. Für sie ging es fast ein wenig um Liebe oder jedenfalls um Fürsorge. Aber in diesem Treppenhaus konnte von Fürsorge wohl kaum die Rede sein.

Fast niemand wischte sich vor dem Betreten des Treppenhauses die Schuhe ab, egal welches Wetter draußen war, obwohl sie jeden einzelnen Tag einen sorgfältig zusammengefalteten Wischlappen gleich neben die Haustür legte. Die Kinder waren am schlimmsten. Und der Briefträger natürlich. Aber der musste ja durch so viele Treppenhäuser hier in der Siedlung und hatte bestimmt keine Zeit, der Arbeit anderer Respekt zu erweisen. Und dann waren da die schmutzigen Kinderwagenräder des jungen Paares von gegenüber, die junge Mutter stellte den Wagen immer unter den Briefkästen ab, obwohl sie ihn doch wirklich die paar Stufen zu ihrer Wohnung hätte hochziehen können. Und sie putzte nie, ganz einfach nie.

Aber vielleicht würde es eines Tages passieren, dass Frau Rudolf aus dem ersten Stock doch noch ein schlichtes »Danke« für sie übrig hatte. Man durfte die Hoffnung nicht aufgeben. Dass sie sich eines Tages darüber freuen und nicht mehr glauben würde, die Nachbarin putze die Treppen, um ihr eins auszuwischen.

Und sie war fast beim Treppenabsatz des ersten Stocks angekommen, als Frau Rudolfs Wohnungstür geöffnet wurde und der Geruch von gekochtem Kohl herausströmte, der sogar stärker war als der von grüner Seife mit Salmiak.

»Wie ist es möglich?«, sagte Frau Rudolf. »Schon wieder?«

»Ich hatte nur gerade so gutes Wasser«, sagte Frau Åsen ohne aufzublicken. Sie starrte einfach nur Frau Rudolfs Knöchel an, weiße Söckchen in den Pantoffeln und nackte Waden, obwohl es doch erst Mitte April war. Sie spürte ihren Puls bis ganz unten in den Handgelenken. Sie konnte jetzt die oberste Stufe nicht putzen, denn Frau Rudolf hörte sich wie immer überhaupt nicht begeistert an. Also presste sie den Wischlappen langsam mit der Hand zusammen und rutschte Stufe für Stufe rückwärts die Treppe hinunter, ehe sie nach dem Geländer griff und sich aufrichtete, den Lappen in den Putzeimer mit dem guten Wasser fallen ließ, sich umdrehte und ganz gelassen und ruhig die Treppen hinunterging, noch immer ohne Frau Rudolf anzusehen. Sie wusste ganz genau, welche Anklagen hinter ihr auf der Lauer lagen.

Frau Rudolf ließ ihre Zigarettenasche auf ihren eigenen Türvorleger fallen. Dass Frau Åsen ihren Blick nicht erwiderte, verschaffte ihr die Möglichkeit, sich dieses Walross von Frau genauer anzusehen, das mehrere Männer im Block als eine Mischung aus Amazone und Sirene bezeichneten. Als ob sie hier nicht schon genug Sirenen hätten mit Peggy-Anita Foss im dritten Stock.

Frau Åsen hatte sich die Schürze um ein blaugemustertes Kleid gebunden, das nicht entworfen oder genäht worden war, um weiblichen Formen zu huldigen, das bei Frau Åsen aber genau das tat. Die hat nie ein Kind geboren, dachte Frau Rudolf. Vielleicht war das der Grund dafür, dass ihre Hüften weiter herausragten als ihr Bauch. Ihr Kleid war außerdem an der Naht unterhalb des Reißverschlusses im Rücken geplatzt, man konnte durch lange, glänzende Nylonfäden, die fast schon zerschlissen waren, ihr Kreuz sehen.

»Es interessiert mich nicht im Geringsten, wie gut Ihr Wasser ist«, sagte Frau Rudolf. »Das hier sind meine Treppen, meine und Frau Larsens. Ich weiß ja, dass Sie mich für eine Schlampe halten, aber ich putze immer erst nach dem Mittagessen, und wenn ich an der Reihe bin.«

Vielleicht würde ihr so ein Kleid auch passen, so übel sah sie ja eigentlich nicht aus. Aber natürlich eins in einer viel kleineren Größe.

»Ich halte Sie doch gar nicht für eine …«

»Aber warum müssen Sie ums Verrecken an allen möglichen anderen Orten putzen als dort, wo Sie das eben müssen?«

»Ich hatte nur gerade so gutes Wasser, ich wollte das nicht wegschütten«, sagte Frau Åsen.

Frau Rudolf musterte ihren krummen Rücken, den Abdruck des BH-Trägers, der sich ins Rückenfett bohrte.

»Sie können es doch einfach auskippen. Wasser ist Wasser. Oder vielleicht sollten Sie den Bürgersteig draußen putzen.«

»Den Bürgersteig putzen?«

»Ja. Der kann sicher auch ein bisschen gutes Wasser vertragen. Sie können zuerst putzen, und Ihr Mann kann danach mit Wasser nachspülen«, sagte Frau Rudolf und spürte die zusätzliche Irritation, die daraus entstand, dass sie ihr Gespräch mit einem wogenden Rücken führte, der die Treppe hinunter unterwegs war.

»Aber ich halte Sie wirklich nicht für eine …«

»Jetzt muss ich das Essen fertig machen. Und danach werde ich meine Treppe selber putzen«, sagte Frau Rudolf zu dem blaugemusterten Rücken, der langsam in Richtung Erdgeschoss verschwand. Es war unglaublich, mit wie viel Frechheit so manche Leute gesegnet waren. Als ob sie ihre beiden Treppen nicht selber rechtzeitig und zufriedenstellend putzen könnte.

Sie hörte Frau Åsen da unten übertrieben gründlich ihren Putzlappen ausspülen. Jetzt würde sie den Lappen fest um ihre Türmatte falten, und da würde er dann liegen und einige Stunden lang stolz und frisch gewaschen riechen, bis er Gott sei Dank wieder zu einem trockenen und ereignislosen Wischlappen würde.

Frau Rudolf sah ihren eigenen Wischlappen an, der als brauner, sandiger, verschmutzter Haufen auf der Fußmatte aus hellgrün geriffeltem Gummi lag. Sie zog wütend an ihrer Zigarette, musste husten, schnippte die Asche von der Mentholzigarette diesmal auf ihre oberste Treppenstufe, blieb stehen und lauschte auf das Echo von Frau Åsens Eingangstür, die geöffnet und geschlossen wurde, ehe sie selbst zum Mittagessen zurückkehrte. Sie wollte weiße Soße zum Kohl machen. Owe liebte Schmorkohl mit Muskat zu seinen Frikadellen, er behauptete, eigentlich gar keine Kartoffeln zu brauchen, wenn er nur Schmorkohl bekam.

Frau Åsen hob die Klobrille und goss das schmutzige Putzwasser in die Toilettenschüssel, ließ aus dem Hahn in der Badewanne einen Spritzer Wasser in den Eimer laufen und schüttelte es im Eimer so heftig herum, dass der feine Sand hochgewirbelt wurde. Dann kippte sie auch dieses Wasser in die Toilettenschüssel und zog ab. Sie holte ein wenig mehr Wasser, diesmal warm, und goss es in die Toilettenschüssel, zusammen mit einem Spritzer Chlorin und etwas Ata, und machte sich dann mit der Klobürste ans Werk. Immer im Kreis nach unten und an den Seiten der Kloschüssel nach oben, dann am Rand entlang und unter dem Rand, so weit sie mit der Bürste kam.

Das warme Wasser machte die Bürste weich und biegsam. Frau Åsen riss großzügige Mengen von rosa Klopapier ab, feuchtete es unter dem Hahn im Waschbecken an und rieb damit am Rand des Porzellans entlang, drehte es um und rubbelte sich einmal um das Klo herum. Sie holte noch mehr Papier, feuchtete es an und wischte bis zum Spülkasten und unter der Brille. Was für eine Vorstellung, so früh zu Mittag zu essen. Das taten aber alle, die Kinder hatten. Sie bückte sich und schnupperte am Nylonfell, das sie um den Klodeckel gebunden hatte. Noch roch es nicht unangenehm, sie hatte es ja erst in der vergangenen Woche gewaschen. Die Schnur auf der Unterseite, mit der es festgebunden wurde, roch nach einer Weile, weil Egil zum Pinkeln nicht immer die Brille hochklappte. Sie dachte an den Kohlgeruch aus Frau Rudolfs Wohnung, vielleicht machte die ja Kohlrouladen. Gute Idee, das würde sie auch bald kochen. Mit Preiselbeeren und weißer Soße mit Zwiebeln. Sie und Egil aßen immer zu den Fernsehnachrichten um halb acht mit den Tellern auf dem Schoß.

Im vergangenen Jahr zu Weihnachten hatte sie zwei Fernsehteller gekauft, viereckige Teller mit besonders hohem Rand und kleinen Stegen, die den Teller in drei Bereiche aufteilten: einen großen für Fleisch, Fisch oder Geflügel und zwei kleinere für Kartoffeln und Gemüse. Diese Fernsehteller waren eine phantastische Erfindung, denn damit riskierte man nicht mehr, sich die Knie zu verschmutzen, wenn die Nachrichten so umwerfend oder aufwühlend waren, dass man vergaß, die Teller gerade zu halten. Aber wenn man Kinder hatte, musste man das Mittagessen ja früh genug fertig haben, damit die kleinen Ungeheuer auch noch Abendessen in sich hineinstopfen konnten, ehe sie ins Bett mussten. Sie und Egil waren die Einzigen, die so spät aßen, oder vielleicht tat Peggy-Anita Foss das auch, auch sie hatte ja kein Kind. Aber … da Frau Foss vom Land und aus einer Bauernfamilie kam, aß sie vielleicht auch schon um zwei. Und sie kaufte ja so viel leicht zuzubereitende Kost, sogar O’Boy-Kakao hatte sie schon eingekauft, das hatte Frau Åsen im Laden gesehen.

Auch wenn ihr Mann Vertreter für Suppen und Bouillonwürfel von Toro war und so gesehen einfache Haushaltslösungen vertrat, musste es doch möglich sein, normalen Kakao zu nehmen, der noch dazu weniger kostete als O’Boy. Aber da hatte sie gestanden, die riesige Dose vor sich auf dem Tresen, total schamlos. Dieser O’Boy kostete sicher fünfmal mehr, als wenn man richtigen Kakao kochte, das hätte ihr Mann wissen sollen, wo er doch mit Frucht- und Aprikosensuppe durch das ganze Land reiste und fast nie zu Hause sein konnte. Aber das Schlimmste war, dass sie absolut jederzeit fertiges Brot kaufte. Es konnte ja immer vorkommen, dass jemand am Samstag einmal übermütig einen Hefezopf erstand. Aber Madame Foss kaufte sich mitten in der Woche Weißbrot und anderes fertig gebackenes Brot. Der arme Mann.

Niemals würde sie selbst auch nur eine einzige Tütensuppe kaufen und Frau Foss auf diese Weise unterstützen. Weder Aprikosen- noch Backpflaumen- noch Hagebuttensuppe. Die Toro-Suppen kosteten pro Tüte eine Krone und achtundfünfzig Öre. Dabei konnte man die Suppen für weniger als den halben Preis selbst kochen, für sehr viel weniger. Man musste doch nur getrocknete und zerschnittene Aprikosen oder Pflaumen über Nacht in Wasser einweichen und sie danach aufkochen und mit Kartoffelmehl binden. Bei Hagebutten war das natürlich nicht so einfach, da musste man die zottigen Kerne vorher herausholen, aber das Einfachste war, sie ganz zu kochen und dann durch ein großes Sieb zu pressen.

Ohne dieses Flittchen oben im Dritten wäre das Leben hier im Haus so unendlich viel besser. Es gab kein Mannsbild, dem nicht die Zunge aus dem Hals hing, wenn sie hüftwackelnd über den Fußweg stolzierte auf hohen Absätzen und mit Chiffonkopftüchern, die im Wind immer aufgingen und herunterrutschten, so dass sie hinterherlaufen und sie fangen und aufheben musste, während der kurze Rock alles von hier bis China zeigte. Was für ein Luder.

Dann fiel ihr glücklicherweise das Kreuzworträtsel ein, mit dem sie angefangen hatte, ja, jetzt wären eine Tasse Kaffee und das Kreuzworträtsel genau richtig. Bei dem Gedanken war sie sofort besserer Laune. Sie nahm die Schürze ab und hängte sie an den Haken hinter der Badezimmertür, holte sich von dem frisch gewaschenen Stapel einen sauberen Waschlappen und wusch sich gründlich unter den Armen und zwischen den Brüsten, am Ende dann auch unten. Sie müsste abnehmen, dachte sie, dann würde sie nach dem Treppenputzen sicher nicht so schwitzen. Sie hörte die Eingangstür, die Schritte verrieten ihr, dass es Karlsen aus dem dritten Stock war, der rannte immer die acht Treppen hoch, dachte keine Sekunde daran, welchen Krach er machte, dachte nur an sich, wie auch bei sonst allem. Ja, sie müsste abnehmen, auch wenn Egil behauptete, noch den kleinsten Teil ihres Körpers zu lieben, und es auch immer wieder bewies, ohne dass dabei ein Kind entstand. Aber daran wollte sie jetzt nicht denken. Hatte sie nicht in einer Illustrierten gelesen, dass Männer sich Frauen wünschten, die nachts dick waren, tagsüber aber schlank?

Sie nahm sich noch einen Waschlappen und ließ das kalte Wasser laufen, bis der Hahn beschlug, dann feuchtete sie den Waschlappen an und wusch sich Nacken, Hals und den Haaransatz. Dabei dachte sie an das Essen, sie wollte Fischpudding braten und dazu Rohkost mit geriebenen Möhren und Rosinen machen. Sie hatte keinen Apfelsinensaft, sie würde die halbe Zitrone, die noch übrig war, nehmen und zusätzlich zuckern müssen. Kartoffeln hatte sie noch von gestern, die könnte sie zusammen mit dem Fischpudding braten. Wenn Kartoffeln in guter Butter gebraten wurden, schmeckten sie eigentlich besser als frisch gekocht.

Sie ging in die Küche und öffnete das Küchenfenster, um den Rauch auszulüften, ehe sie sich eine ansteckte. Egil ließ seine Zigaretten einfach immer nur im Aschenbecher vor sich hin qualmen, wenn er Garn für seine Teppiche zurechtschnitt. Er knüpfte jetzt gerade einen türkisen, der auf dem Boden des Gästezimmers liegen könnte, des Zimmers, das sie nie benutzten, weil sie nie Gäste hatten. Aber es war ein schönes Zimmer, die Tür stand immer offen, falls nicht der Junge von Rudolfs in seinem Zimmer ein Stockwerk höher seine schreckliche Musik laufen ließ, dann musste sie die Tür zumachen und die Wohnung schien sozusagen zu schrumpfen.

Der Teppich, an dem er gerade arbeitete, zeigte eine große Rosette, die mit einem hellblauen Kern anfangen und ganz am Rand in einem knalligen Türkis enden sollte. Sie zog energisch an der Zigarette und musterte ihn, wie er dort mit einem Lineal saß und die Fäden nebeneinanderlegte, ehe er immer genau zehn Zentimeter abschnitt. Die kurzen Reste legte er ordentlich auf Haufen, im Moment schnitt er die Farbnuancen auf dem Weg zum Türkis zurecht. Die Garnhaufen sammelte er auf dem Deckel der Tiefkühltruhe, er hatte zum Glück daran gedacht, den bestickten Läufer wegzunehmen, der sonst dort lag, und ihn in einer Ecke des Deckels sorgfältig zusammengefaltet.

»Fertig mit dem Treppenputzen?«

»Kannst du die Zigarette nicht rauchen oder ausmachen? Die qualmt doch nur.«

»Ach. Die hatte ich vergessen«, sagte er.

»Frau Rudolf ist herausgekommen, bevor ich ganz fertig war.«

»Und sie war sauer?«

»Sie hätte sich ja wohl eher höflich bedanken können. Ich begreife das nicht. Das bin ich nicht gewöhnt.«

»Und ich begreife nicht, wie du es über dich bringst, die beiden zusätzlichen Treppen zu putzen, wo du doch weißt, dass sie das nicht will.«

»Ich hatte gerade so gutes Wasser.«

»Das sagst du immer.«

»Solange es heiß ist, ist es gut. Ich mache es immer so heiß, dass ich mich anfangs fast verbrühe, dann bleibt es viel länger so gut.«

»Alles klar.«

»Soll ich uns bald mal Kohlrouladen machen? Es ist so lange her. Igitt, da sind so viele Fussel auf dem Boden, wenn du deine Fäden schneidest.«

»Es gibt noch mehr Fussel, wenn ich den Teppich knüpfe.«

»Ja, aber dann sind sie immerhin zu etwas gut. Werden zu etwas.«

»Nicht ohne diese Garnstücke, meine Liebe.«

»Lust auf Kaffee?«

»Gern.«

»Irgendwas Spannendes heute im Fernsehen?«

»Fernsehspiel«, sagte er.

»Ja, das weiß ich doch, es ist doch Dienstag, aber was gibt es?«

»Irgendwas mit Veslemøy Haslund.«

»Aha. Darauf freust du dich ja sicher.«

»Du hast ein bisschen Ähnlichkeit mit ihr. Toralv Maurstad spielt auch mit.«

»Wie gut. Aber der hat keine Ähnlichkeit mit dir.«

Er schaute auf und lachte, sie blies ihn mit Rauch an, ging zum Herd und schob den Kaffeekessel auf die kleine Schnellkochplatte.

»Ich mach das nur schnell warm, ist dir das recht?«

»Sicher doch.«

Sie erinnerte sich gut an den Sonntag, als alle aus ihrem Treppenhaus verreist waren oder einen Ausflug machten, oder was immer die alle treiben mochten. Damals hatten sie die Hütte noch nicht, es musste also über ein Jahr her sein. Seit sie die Hütte hatten, fuhren sie ja fast jedes Wochenende mit dem Bus nach Skaun, es sei denn, es hatte zu heftig geschneit. Aber an diesem Sonntag waren sie zu Hause gewesen, und sie hatte gehört, wie einer nach dem anderen durch die Haustür verschwunden war. Da sie im Erdgeschoss wohnten, erkannte sie alle im Haus an ihren Schritten, und plötzlich war ihr aufgegangen, dass alle weg waren. Egil war an diesem Tag mit einem orangefarbenen und braunen Teppich beschäftigt gewesen, dem Teppich, der jetzt über dem Fernseher an der Wand hing. Sie hatte sofort gutes Seifenwasser gemischt, glühend heiß mit Driva-Seife und ein wenig Salmiak, und oben im dritten Stock angefangen auf der Treppe vor der Wohnung von Peggy-Anita Foss links und Karlsens gegenüber.

Drei volle Eimer gutes Wasser hatte sie gebraucht, ehe der ganze Aufgang nach frisch geputzter Treppe gerochen hatte. Sie hatte sogar bei allen die Wischlappen durchgespült und um die Fußmatten gewickelt. Wenn sie sich das richtig überlegte, war das einer der allerbefriedigendsten Tage gewesen, seit sie vor zwei Jahren in den Block gezogen waren. Natürlich hatte sich niemand bedankt, aber für den Moment hatte es keine Rolle gespielt. Vielleicht hatten sie nicht einmal bemerkt, wie sauber es war, als sie nach Hause gekommen waren. Oder sie hatten allesamt und alle für sich geglaubt, die Familie von gegenüber habe geputzt. Dann hatte Frau Rudolf geglaubt, Frau Larsen habe geputzt und umgekehrt, und keine hatte einen Grund zu irgendeiner Kritik gesehen.

Sie goss für sich und Egil Kaffee ein, suchte Haferkekse hervor und bestrich sie mit Ziegenkäse. Sie hatte das Kreuzworträtsel schon mehr als zur Hälfte gelöst, und morgen würden die neuen Illustrierten erscheinen, das war etwas, worauf sie sich freuen könnte.

Sie hörte, wie oben die Küchenstühle verschoben wurden. Jetzt setzten sie sich an den Tisch zu ihren Kohlrouladen. Oder vielleicht hatte Frau Rudolf Schmorkohl gekocht, auch Schmorkohl schmeckte sehr gut. Und war billig, nicht zuletzt billig. Vor allem für Rudolfs, da oben fehlte es sicher nie an Kohl.

Sie knabberte einen Keks und vertiefte sich in das Kreuzworträtsel. Akzeptieren … hinnehmen. Gelebt … existiert. Knapp … wenig. Fluss … Ob oder Po. Dann ging die Haustür, sie lauschte. Deutlich hörte sie Susy, die Rudolfs gegenüber wohnte, schimpfen, aber sie hörte nicht, dass der kleine Bruder antwortete. Susys Pflichten als große Schwester bestanden jeden Nachmittag darin, den zehn Jahre alten Oliver zu suchen und ihn zum Essen nach Hause zu holen. Und der konnte wirklich sonst wo sein, das konnte sie bestätigen. Der Bengel trieb sich einfach überall herum: im einen Moment oben auf dem Klettergestell, im nächsten mit seinem Fahrrad an der Straßenkreuzung. Ein Wunder, dass die Kleine sich diese tägliche Fron gefallen ließ, aber Frau Larsen war zu bequem, um den Jungen selbst zu Tisch zu holen, das stand immerhin fest. Frau Larsen war der einzige Mensch aus England, den sie je kennengelernt hatte. Oder, na ja, kennengelernt war wohl übertrieben. Sie grüßten einander, das war wohl zutreffender, und ab und zu gab es ein wenig Geplauder, Frau Larsen in gebrochenem Norwegisch, aber in der Wohnung war sie nie gewesen. Dass Engländerinnen so faul waren, war ihr ganz neu gewesen. Sie war auch in den anderen Wohnungen noch nie gewesen, abgesehen von der gegenüber, als es dort den Wasserschaden gegeben hatte und Egil ihnen gezeigt hatte, wo der Haupthahn der Wohnung war. Sie war einfach mitgekommen in der ganzen Aufregung. Aber damals hatten noch Øverbergs dort gewohnt, ehe Herr und Frau Moe eingezogen waren, und sicher hatten sie alles neu gestrichen und tapeziert, und natürlich hatten sie ganz andere Möbel. Bei Øverbergs waren alle Küchenschranktüren hellgrün gestrichen, und sie hatten grüne Häkelbezüge über den Gardinen gehabt, das wusste sie noch, es hatte sehr hübsch ausgesehen. Von außen sah sie jetzt, dass Moes dunkelrote Vorhänge hatten, die rein gar nicht zu dem Hellgrün passten, und da hatten sie sicher auch ihre Küchenschranktüren angestrichen.

»Nimm dir doch einen Keks, Egil.«

»Ist da Butter drauf?«

»Ja, natürlich ist da Butter drauf.«

»Dann wird das Garn klebrig.«

»Du kannst doch eine kleine Pause machen.«

»Nein, ich möchte das hier jetzt fertig kriegen.«

»Möchtest du vielleicht einen mit nur Käse?«

»Ja, danke. Die Amerikaner haben heute vierzehnhundert Marinesoldaten an Land gesetzt. Das haben sie im Radio gesagt«, sagte er.

»Großer Gott«, sagte sie und schnitt zwei Scheiben Ziegenkäse ab.

»Das kann man wohl sagen, ja.«

»Möchtest du einen oder zwei Kekse?«

»Zwei.«

Jetzt würden sie in den Nachrichten unendlich viel über Vietnam bringen, und das fand sie wahnsinnig langweilig. Das sagte sie Egil natürlich nicht, der alle Nachrichten über den Vietnamkrieg verschlang und unbedingt mit ihr darüber reden wollte. Sie hatten ja sonst hier im Haus keinen Kontakt, schon gar nicht mit Leuten aus Treppenhaus C oder B, und da hatte er wohl das Bedürfnis, mit ihr darüber zu sprechen. Bei seiner Arbeit interessierten sie sich auch nicht besonders für diesen Krieg, Bankleute hatten offenbar ganz andere Dinge im Kopf als Vietnam.

»Was Herr Rudolf wohl dazu sagen würde«, sagte sie.

»Wozu denn?«

»Das mit Vietnam. Wie du gesagt hast«, sagte sie und presste die Käsescheiben mit flacher Hand auf die Kekse, damit sie daran festklebten.

»Das interessiert mich nicht. Dieser Nazi«, sagte er.

»Das kannst du doch gar nicht wissen.«

»Doch, das weiß ich. Eigentlich müsste der doch sein Obst und sein Gemüse in einem Borgward ausfahren und nicht in dem Bedford. Die Markthalle hat im Krieg mit der Wehrmacht zusammengearbeitet, das wissen doch alle.«

»Aber Herrgott, da hatte Herr Rudolf ja noch nicht mal den Führerschein, da war er doch noch ein Junge! Und vielleicht stimmt es ja auch gar nicht. Vielleicht mussten sie zusammenarbeiten. Alle brauchten doch Kartoffeln und Kohl und Möhren. Du musst endlich mit deinem Nazigerede aufhören. Du weißt es doch nicht. Es ist gefährlich, so viel zu klatschen, Egil.«

»Pah. Wenn hier jemand Klatsch liebt, dann ja wohl du.«

»Keinen gefährlichen Klatsch.«

»Und was ist mit der Verwandtschaft, die im vorigen Sommer hier war? Aus Deutschland? Wenn ich fragen darf? In diesem Jahr kommen die bestimmt wieder. Die Deutschen lieben feste Gewohnheiten. Typisch Nazi.«

»Es gibt ja wohl viele Arten von Deutschen. Bestimmt auch normale Menschen. Die keine Nazis waren.«

»Sicher, sicher. Aber ein deutscher Kriegslastwagen würde besser zu ihm passen. Ein Borgward wäre das passende Fahrzeug für einen, der …«

»Dann würde es dich noch mehr ärgern, wenn er hier gleich vor unseren Fenstern parkte.«

»Dann würde ich ihm die Reifen aufschlitzen.«

»Aber Egil!«

Sie lachte laut.

»Das ist mein Ernst«, sagte er.

»Das weiß ich doch«, sagte sie. »Aber du würdest dich niemals trauen.«

Nationalität … italienisch oder tschechisch. Kleidungsstück … Anzug. Egil könnte einen neuen brauchen. Sie hob den Blick und schaute aus den frisch geputzten Fenstern. Der junge Mann mit dem Werkzeuggürtel radelte in wildem Tempo über den Plattenweg auf einem Rad, das für ihn viel zu klein und kindlich wirkte. Sie hatte ihn in letzter Zeit mehrmals gesehen, sicher war er bei der Hausverwaltung angestellt. Und da kam Hausmeister Pettersen, der in Aufgang C im Block gegenüber wohnte, er kam über den Gehweg, hielt einen Laubrechen in der Hand und trug den seltsamen blauen Stoffhut, den er immer aufhatte. Der Hausmeister rief dem Jungen etwas hinterher, sicher eine Ermahnung, er solle auf den Gehwegen nicht so schnell fahren. Es wurde auch wirklich Zeit, dass jemand diesen Knaben zur Ordnung rief. Auf den Fußwegen sollten sich alle sicher fühlen können, dass sie nicht über den Haufen gefahren werden würden.

Er hatte jetzt sicher gute Tage, der Hausmeister  – kein Schnee mehr zu schippen, noch kein Rasen zu schneiden. Eine Art Zwischenperiode, dachte sie, fast wie eine Art Nebensaison. Jetzt harkte er hier und dort und fand die seltsamsten Dinge, nun, da der Schnee geschmolzen war. Handschuhe und Skistöcke, Rodelbretter, Mützen und Türschlüssel. Da Pettersen für alle fünf Blocks zuständig war, legte er alles, was er fand, auf das überdachte Trockengestell vor dem mittleren Block, damit die Mütter in regelmäßigen Abständen dort suchen und möglicherweise etwas wiedererkennen konnten. Das Reisig, das er zusammenharkte, verbrannte er fast jeden Abend in einem großen Feuer, während die Kinder herumjohlten, bevor sie zum Abendessen ins Haus gerufen wurden. Der Mann tat ihr leid. Er hatte doch die herzkranke Tochter und wohnte ganz oben im dritten Stock. Sie lächelte immer freundlich, wenn sie ihm begegnete. An schönen Sommertagen trug er die Kleine nach unten, und dann konnte sie ein wenig auf einer Bank in der Sonne sitzen, eingehüllt in eine Decke. Sie hatte immer blaue Lippen und Nägel, würde aber erst operiert werden können, wenn sie älter wäre und ihr Herz nicht mehr wuchs.

»Der Arme«, sagte sie.

»Wer denn?«

»Der Hausmeister.«

»Ist der arm?«

»Seine Tochter.«

»Ja, die, ja. Die mit dem Herzen.«

»Alle haben ein Herz, Egil.«

Sein rechter Mittelfinger tat jetzt weh vom Schneiden, und die Muskeln in seinem Nacken brannten. Er schnitt jetzt seit fast zwei Stunden Garn, seit er von der Arbeit nach Hause gekommen war. Er wollte gern genug für drei Abende Knüpfen schneiden, denn dann würde er sich auf die abendliche Schicht mit der Knüpfnadel freuen können. Er liebte das Zierliche und Präzise an dieser Arbeit. Dem Muster folgen, sehen, wie der Teppich vor dem Hintergrund aus grobem und genau durchlöchertem Hanf entsteht. Und die Teppiche wärmten gut, wenn sie auf dem Boden lagen, die Wohnung war ja immer fußkalt, da sie im Erdgeschoss wohnten. Der Hobbyraum des Blocks lag unter ihrer Wohnung, und es stieg nur Wärme auf, wenn Herr Larsen dort unten war. Er benutzte den Raum als Einziger. Sie merkten es genau, wenn Herr Larsen abends oder am Wochenende den Heizkörper im Hobbyraum aufdrehte.

Else bestand darauf, einige Teppiche an die Wand zu hängen. Er hätte gern alle auf dem Boden gehabt, aber auch er sah ja, wie dekorativ sie waren, wenn das Muster nicht plattgetreten und die Farben vom Gebrauch matt wurden. Es wäre witzig, es mit dünnerem Garn zu versuchen, mit komplizierten Mustern die Perserteppiche nachzuahmen, bei denen das Knüpfen oft mehrere Jahre dauern konnte. Aber dann würde er einen Holzrahmen brauchen, da diese Teppiche mit straffem Kettfaden geknüpft wurden. Jeder Wollknoten wurde jeweils in einen Kettfaden geknotet, es war eine Ewigkeitsarbeit. Ein winzig kleiner Teppich würde sicher ein ganzes Jahr dauern. Und er wurde gern im Laufe von höchstens einem Monat fertig, um dann Muster und Farben wechseln zu können.

Er war immer ganz und gar von der Farbskala geprägt, in der er gerade arbeitete. Im Moment war er von Kopf bis Fuß auf Türkis eingestellt. Er bemerkte überall unterschiedliche türkise Farbtöne, bei Kleidern und Werbeplakaten, in Zeitschriften, am Himmel, an Schmuckstücken von Frauen. Peggy-Anita Foss hatte türkise Ohrringe getragen, als er ihr am Nachmittag an der Haustür begegnet war. Herrgott, was war sie attraktiv. Und sicher ausgehungert, wo ihr Mann doch fast die ganze Zeit auf Geschäftsreise war. Er konnte sich gut erinnern, wie Else ihm einmal erzählt hatte, dass Peggy-Anita Foss den freitäglichen Hausputz immer im Evaskostüm vornahm. Peggy-Anita Foss hatte es angeblich im Laden selbst gesagt. Es sei so praktisch: Sie schaltete das Radio ein und putzte splitternackt die ganze Wohnung gleich nach dem Aufstehen, schweißnass und heiß ging sie danach unter die Dusche, zog saubere Kleidung an und konnte dann ihren Morgenkaffee in einer frisch geputzten Wohnung trinken. Die Teppiche warf sie einfach vor die Wohnungstür und trug sie später am Tag zum Ausklopfen nach unten.

Seit damals phantasierte er darüber. Dass sie nackt und verschwitzt dastand, mit einem Wischlappen in der Hand über die Bodenleisten der Küche gebückt, während das Radio muntere Morgenmusik spielte, sie dazu summte und er unbemerkt hinter sie glitt und eindrang, kurz und bündig und ohne ein Wort. Er hatte es einmal gemacht mit Else draußen im Badezimmer. Hatte einfach die Kittelschürze nach oben geschoben und ihr die Unterhose nach unten gerissen. Es war ein glühend heißer Sommertag, und ihr Körper troff geradezu vor Schweiß. Es war, nachdem sie ihm von Peggy-Anita Foss’ freitäglichen Putzritualen erzählt hatte, doch Else war noch Stunden danach verlegen und seltsam gewesen und er hatte es niemals wieder gemacht. Aber er war gekommen, darüber freute er sich, und deshalb dachte er später noch oft daran. Doch sie sprachen ja niemals über diese Dinge, sie taten sie nur, im Doppelbett, im Dunkeln, zwei- oder dreimal die Woche. Vor allem hier zu Hause, fast nie in der Hütte, weil Else es so schwierig fand, sich danach richtig zu waschen. Draußen gab es nur eine Waschschüssel, und sie mussten das Wasser zuerst in einem Kessel warm machen, und nachdem sie in die neue Wohnung gezogen waren, könnte sie einfach nicht mehr leben, ohne danach zu duschen, sagte sie.

Sie könnten ja zusammen duschen, aber das hatte er nie vorgeschlagen. In der Cocktail gab es Bilder von Männern und Frauen, die zusammen duschten. Er hätte gern gewusst, ob andere aus dem Haus zusammen duschten. Wenn überhaupt, dann Peggy-Anita Foss, wenn ihr Suppenkaspar zu Hause war. Oder vielleicht Larsens. Engländerinnen ließen sich möglicherweise eher gehen, aber sie wirkte doch zu mager, um sich gehen zu lassen.

»Aber wir könnten ganz schön viel Geld sparen, wenn wir mit ihnen befreundet wären«, sagte sie plötzlich.

»Mit wem?«

»Mit Rudolfs natürlich. Frau Larsen bekommt immer Obst und Gemüse, wenn sie ihnen die Haare schneidet.«

»Denen schneidet sie also auch die Haare?«

»Natürlich tut sie das. Und sie legt Frau Rudolf immer ihre Dauerwelle. Sie war in England ja Friseuse.«

»Das weiß ich doch. Warum gehen wir nicht zu ihr?«

»Aber Egil. Dir schneide ich die Haare, und ich habe Naturlocken und brauche keine Dauerwelle. Wenn man Naturlocken hat, ist es auch nicht schwer, sich selbst die Haare zu schneiden. Die Locken verdecken es doch, wenn eine Stelle nicht gerade ist. Aber Frau Rudolf bezahlt mit Obst und Gemüse.«

»Aber das ist nicht ganz frisch. Das sind doch unverkaufte Waren.«

»Das spielt doch keine Rolle, ob man bei einem Blumenkohl oder einem Apfel etwas wegschneiden muss, wenn es gratis ist! Frau Larsen bekommt immer eine Menge Apfelsinen. Und dann kocht sie englische Marmelade, und es riecht im ganzen Treppenhaus.«

»Du sagst immer, sie ist faul, aber sie schneidet Haare und legt Dauerwellen und kocht Marmelade«, sagte er.

»Ich sehe es den Kindern an. Und ihm.«

»Ach? Jetzt bin ich mit meiner Schneiderei fertig. Gott sei Dank.«

»Du willst das doch selbst.«

»Sicher. Ich beklage mich ja auch nicht.«

»Die sind schlampig angezogen«, sagte sie.

Er zog einen Faden aus jedem Haufen und wickelte ihn darum, so wie er das bei der Arbeit mit den Geldscheinen machte. Er war fleißig gewesen, vielleicht würde es ja sogar für vier Abende reichen, und dann hätte er die Stelle direkt um den Kern der Rosette herum erreicht. Er rieb sich mit dem Daumen über den Mittelfinger, dort, wo die Schere sich eingeprägt hatte, war der Finger rot und blank.

»Ich finde, die sehen ganz normal aus«, sagte er.

»Sie bügelt nicht, Egil. Alles, was sie anhaben, ist zerknittert. Ich wette, dass sie auch Handtücher und Bettwäsche nicht bügelt.«

»Vielleicht ist das in England nicht üblich.«

»Unsinn.«

Er musterte sie zum ersten Mal an diesem Feierabend. Seine Frau. Sie hatte den Bleistift über dem Kreuzworträtsel erhoben, während ihr Blick aus dem Fenster wanderte. Er liebte sie, aber das sagte er nicht mehr. Er hoffte jedoch es ihr zu zeigen. Also, wenn sie Liebe mit Leidenschaft verband. Aber da war er sich nicht sicher. Er wusste nicht einmal, ob es ihr kam, über solche Dinge sprachen sie nicht, er las nur darüber. Er fragte sie ab und zu, ob es schön für sie sei, und dann antwortete sie immer mit Ja. Und gegen Ende stöhnte sie, also vielleicht. Es war ja so hellhörig im Haus, dass sie beide nicht wagten, nachts Geräusche zu machen. So gesehen wäre die Hütte perfekt, aber da war eben die Sache mit der Dusche. Vielleicht sollte er ihr eine Freiluftdusche bauen? Mit einer Art Wasserbehälter oben?

»Uns kann das doch egal ein«, sagte er, »ob sie ihre Handtücher bügelt oder nicht.«

»Ich denke ja nur an den armen Mann«, sagte sie.

»Und wir haben doch den ganzen Winter Äpfel und Kartoffeln unten im Keller«, sagte er. »Das hat sonst niemand.«

Sie erwiderte seinen Blick.

»Da hast du allerdings recht«, antwortete sie.

»Was gibt es heute zu essen?«

»Fischpudding und Bratkartoffeln und Rohkost. Und für den Kaffee nachher habe ich einen Marmorkuchen gebacken. Ich habe noch zwei weitere gebacken und eingefroren.«

Die Tiefkühltruhe war ihr ganzer Stolz. Sie waren die Einzigen in ihrem Treppenhaus, die eine Tiefkühltruhe besaßen. Er begriff nicht so ganz, was so toll daran sein sollte, alles in viel zu

Die norwegische Originalausgabe erschien 2011 unter dem Titel Jeg skal gjøre deg så lykkelig bei Forlaget Oktober A S, Oslo.

1. Auflage

Copyright © 2011 by Forlaget Oktober A S, Oslo

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2012 by btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

eISBN 978-3-641-10475-7

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