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Das Buch "Ideologie der Technologie" erweitert die "Google-Kritik" um eine neue Perspektive, indem es sich dem Spannungsverhältnis zwischen Mensch und Suchmaschine, zwischen Ideologie und Technologie widmet. Die Autorin zeigt, wie tief der neoliberale Imperativ Googles Auswahl- und Steuerungsverfahren eingeschrieben ist.
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Seitenzahl: 163
GERALDINE EDELIDEOLOGIE DER TECHNOLOGIE
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
© 2016 Promedia Druck- und Verlagsgesellschaft m.b.H., Wien
Alle Rechte vorbehalten
Gestaltung und Lektorat: Paul Winter
ISBN: 978-3-85371-407-2
eISBN: 978-3-85371-849-0
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Geraldine Edel, geboren 1984, studierte Internationale Entwicklung an der Universität Wien. Während ihres Studiums forschte sie zu den Ursachen und Auswirkungen sozialer und globaler Ungleichheiten und befasste sich im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit in einer Online-Marketing-Agentur ausgiebig mit der Funktionsweise von Google.
Abschnitt I – Theoretische Grundlagen
1.
Einleitung
2.
Technik und Mensch
2.1
Der soziologische Technikbegriff
2.2
Techniksoziologie – Geschichte und Strömungen
3.
Ideologie und Ideologiekritik
3.1
Marx und Engels – Ideologie als falsches Bewusstsein
3.2
Gramsci – Kämpfe um Hegemonie und Ideologie als gelebte Praxis
3.3
Cultural Studies – Ideologie als Ergebnis von Bedeutungskämpfen
3.4
Habermas und Marcuse – Ideologie der Technik
4.
Neoliberalismus
4.1
Begriffsursprung
4.2
Vom Liberalismus zum Neoliberalismus
4.3
Zur Ideologie des Neoliberalismus
Abschnitt II – Suchmaschinen
5.
Praxis, Geschichte und Wissenschaft der digitalen Suche
5.1
Funktionsweise und Nutzerverhalten
5.2
Historische Entwicklung nach Elizabeth Van Couvering (2008)
5.3
Wissenschaftliche Verortung
5.4
»Search« als neue Alltagspraxis
6.
Der »Suchmaschinenriese« Google
6.1
Technikgenese
6.2
Google-Dominanz
6.3
Google-Euphorie
6.4
Google-Kritik
7.
Ideologie der Technologie
7.1
Google im Geist des Kapitalismus
7.2
Googles neoliberaler Imperativ
7.2.1
Spontane Ordnungen und die »Weisheit der Vielen«
7.2.2
Selbstregulierung und systemerhaltende Regulierung
7.2.3
Formalisierung, Mathematisierung, Kommerzialisierung
7.2.4
Optimierung und Anpassung
7.2.5
Privatisierung und Ökonomisierung des Öffentlichen
8.
Ausblick und Conclusio
9.
Quellenverzeichnis
In nur 15 Jahren erreichte das Internet seinen Siegeszug zum globalen Massenmedium. Mehr als drei Milliarden Menschen1, das entspricht rund vierzig Prozent der Weltbevölkerung, nutzen das World Wide Web. Unumstritten ist, dass dadurch die Kommunikation auf globaler Ebene erleichtert und gefördert wird, wie auch der globale Daten- und Informationsaustausch.
Durch die Fülle der im Internet vorhandenen Datenmenge ist es notwendig geworden, Technologien zu entwickeln, die die vorhandenen Informationen strukturieren und dadurch die Auffindbarkeit bestimmter Inhalte sowie eine gezielte Suche danach ermöglichen. Suchmaschinen übernehmen genau diese Aufgabe, sie sind Programme, die der Recherche von Dokumenten auf der Grundlage von Suchbegriffen dienen, sie sind »an information retrieval system that allows for keyword searches of distributed digital text« (Halavais 2009: 5f.).
Auch wenn Suchmaschinen selbst keine eigenen Inhalte zur Verfügung stellen, so besitzen sie wesentliche Macht darüber, welche Information2 Internetbenutzer schlussendlich erhalten.
So leisten Suchmaschinen einen wesentlichen Beitrag für den Bereich der Informationsvermittlung, da eben erst mit ihrer Hilfe die Informationsressourcen im Netz der breiten Masse zugänglich gemacht werden können. Was mich betrifft, so benutze ich mehrmals täglich dieses »Wunderwerk der Technik«, um Antworten auf viele meiner Fragen zu finden. Und auch ich wühle mich nicht durch die Tiefen des World Wide Webs, sondern vertraue – beinahe instinktiv – den ersten paar Vorschlägen, die mir eine der Suchmaschinen präsentiert.
Trotz unterschiedlichster Ausprägungen, wie beispielsweise Metasuchmaschinen, Katalogsuchmaschinen, Robotersuchmaschinen, semantische Netzwerksuchmaschinen und Suchmaschinen einzelner Unternehmen, existiert vor allem ein Akteur, der das Feld der digitalen Suche dominiert: Google Inc. – ein Konzern, der völlig entgrenzt, völlig entfesselt agiert – und das über drei Viertel des Erdballs hinweg. Es hat sich eine Technologie etabliert, die seit Beginn des 21. Jahrhunderts unser aller Leben hinsichtlich Quellenrecherche und Informationsgewinnung veränderte.
Doch unter welchen Aspekten wird darüber entschieden, welche Suchergebnisse adäquat für die jeweilige Suchanfrage sind? Auf welcher Logik fußt die Relevanzbewertung von Webinhalten? Nach welchen Prämissen operiert das System, welcher Systematik folgt es und welche subtilen Botschaften werden uns – den Nutzern – dadurch vermittelt?
Sowohl die Suchmaschine Google als auch das Unternehmen Google Inc. geraten vor allem aufgrund ihrer Quasi-Monopolstellung und ihrer datenschutzrechtlichen wie auch persönlichkeitsrechtlichen Probleme immer öfters in die öffentliche wie auch rechtliche Kritik. Die Google-Kritik des »Mainstreams« greift jedoch oftmals zu kurz, um das »Phänomen Google«3 in seiner Gesamtheit zu erfassen und vor allem die Suchmaschine Google ausreichend zu analysieren.
Trotz der wissenschaftlichen Betrachtung von Technologien im Rahmen der Techniksoziologie und Technologiefolgenabschätzung, insbesondere innerhalb des Paradigmas eines konstruktivistischen Technikverständnisses, finden die in Googles Suchtechnologie eingebetteten und von dieser produzierten und/oder reproduzierten Ideen und Denkmuster in der öffentlichen Google-Kritik nur wenig Beachtung. In der Wissenschaft (vgl. Pasquinelli 2009) wird daher hinsichtlich einer kritischen Betrachtungsweise der Suchmaschine Google dafür plädiert, weniger Googles Monopolstellung in den Fokus der Kritik zu stellen, sondern die von Google zwangsläufig produzierten Werte in den Mittelpunkt der Debatten zu rücken. Denn die sozialpolitischen Konsequenzen von Googles Datenmonopol seien lediglich die Folge des durch Google produzierten und etablierten Wertekanons. Vor allem die Arbeiten von Mager (2012) sowie Röhle (2010a) befassen sich eingehend mit Machtstrukturen und Grundlogiken innerhalb der Suchmaschine Google.
Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen möchte ich mit diesem Buch einen weiteren Beitrag zur ideologiekritischen Analyse Googles leisten, indem es die Gedanken Magers (2012), Pasquinellis (2009) und Röhles (2010) aufgreift und die neoliberale Ideologie dieser Technologie aufzeigt. Ziel dieses Buches ist es daher nicht zwangsweise, neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu liefern, als vielmehr den Leserinnen und Lesern die komplexe Thematik des technologischen ideologischen Fundaments der Suchmaschine Google näherzubringen und damit die Tür für einen kritischeren Umgang mit Technologie, Google und der digitalen Suche zu öffnen sowie etwaige Denkanstöße für zukünftige Forschungen zu liefern.
Es folgt daher eine kurz gehaltene Darstellung zum Verhältnis von Mensch und Technik in den Sozialwissenschaften, um dem Leser die auf den ersten Blick verborgene soziale Komponente von Technik näherzubringen. Da sich dieses Buch mit Ideologien und Ideologiekritik beschäftigt, wird im darauffolgenden Kapitel der Begriff der Ideologie anhand der wichtigsten Definitionen und Theoretiker diskutiert. Obwohl sich der vorliegende Titel stark davon distanziert, eine tief gehende Neoliberalismus-Analyse und -Debatte anzubieten, ist es für das Verstehen der Bedeutungszusammenhänge essenziell, zumindest die Grundzüge des Neoliberalismus kennenzulernen. Alle theoretischen Grundlagen werden in Abschnitt I erläutert. Abschnitt II gibt einen Einblick in die technologische Entwicklung von Suchmaschinen. Es folgt eine kurze Abhandlung zu Funktionsweise und Nutzerverhalten, um den Praxisbezug zu verdeutlichen. Da sich die Ideologiekritik in diesem Buch ausschließlich auf die Suchmaschine des Unternehmens Google Inc. bezieht, werden bedeutende Aspekte wie ihre Marktmacht und ihre Entstehung im sozio-politischen Kontext beleuchtet.
All diese Perspektiven sind wichtig, um den eigentlichen Kern – die Ideologie der Technologie – in seiner Gesamtheit erfassen zu können. Das Buch zeigt die Verschränkung der neoliberalen Doktrin mit der Funktionsweise Googles: Beide sind der kapitalistischen Logik verschrieben, beide stellen ihr Handeln als naturwüchsig und alternativlos dar, beide akzeptieren Regulierung nur zum eigenen Systemerhalt, beide haben den Anspruch, alle Bereiche des menschlichen Lebens zu formalisieren, um sie danach kommerzialisieren zu können, beide fordern von seinen Systemsubjekten permanente Optimierung, Anpassung und Konformität, beide sehen sich dem Credo »Mehr privat, weniger Staat« verpflichtet und beide präsentieren sich als dem Wohle der Gesellschaft dienend, wobei sie gleichzeitig dem Diktat ihrer je eigenen Logik unterworfen wird.
1Vgl. International Telecommunication Union (ITU): ICT Facts and Figures 2015; abrufbar unter: http://www.itu.int/en/ITU-D/Statistics/Documents/facts/ICTFactsFigures2015.pdf
2Der Begriff »Information« wird dem Begriff »Wissen« vorgezogen, da die im Web auffindbare Information nicht notgedrungen mit Wissen gleichzusetzen ist.
3Unter dem »Phänomen Google« verstehe ich alle wirtschaftlichen, technischen, sozialen, politischen, rechtlichen und kulturellen Aspekte, die mit dem Unternehmen Google Inc. und seinen Technologien, Diensten und Marketingstrategien in Verbindung stehen. Durch die Heterogenität seiner Dienstleistungen und den komplexen Verflechtungen in verschiedenen gesellschaftlichen und globalen Sphären, der permanenten Anpassung und Veränderung seiner Technologien sowie der stetigen Expansion in unterschiedliche Felder ist eine umfassende Analyse des Unternehmens, das alle Aspekte berücksichtigt, meiner Meinung nach nicht möglich. Mit dem Begriff »Phänomen Google« soll diesem Umstand Rechnung getragen werden.
Die sich in den 1980er-Jahren entwickelnde Wissenschaftsdisziplin der Techniksoziologie widmet sich jenen Fragen, die im Zuge der zunehmenden Technisierung und Virtualisierung in allen gesellschaftlichen Bereichen auftreten. Dabei befasst sie sich sowohl mit den sozialen Prozessen, die der Erzeugung und Nutzung von Technik und digitalen Verfahren zugrunde liegen, als auch mit der Frage, in welcher Beziehung Technik, virtuelle Medien und Gesellschaft zueinander stehen. Dabei hat die Techniksoziologie bereits das Verständnis durchsetzen können, dass Technologien keine objektiven Einheiten darstellen. Eine der bekanntesten Forschungen auf diesem Gebiet stellt die Arbeit von Pinch und Wiebe (1995) dar, die am Beispiel der Geschichte des Fahrrads aufzeigen konnten, dass das Resultat technischer Entwicklungen – wie der des Fahrrads – kein wertneutrales Ergebnis ist, sondern deren Gestaltung auf sozialen Erwartungen und Bedeutungszuschreibungen fußt. Die sozialen Folgen der Techniknutzung sind ebenfalls Gegenstandsbereiche der Techniksoziologie und werden zum Gebiet der Technikfolgenabschätzung gezählt.
Um das Verständnis für den Gegenstandsbereich vorliegender Arbeit zu schärfen, diskutiere ich zunächst den Technikbegriff aus sozialwissenschaftlicher Perspektive. Im Anschluss daran findet sich eine kurze Darstellung der wissenschaftlichen Beschäftigung der komplexen Beziehung von Mensch und Technik im Rahmen der Techniksoziologie.
Erste Überlegungen zur Beziehung von Technik und Gesellschaft finden sich bereits im 19. Jahrhundert bei Karl Marx (vgl. 1975). Für Marx ist Arbeit ein Grundbegriff seiner Gesellschaftstheorie. Arbeit hatte gemäß Marx die Eigenschaften sowohl gesellschaftsbildend als auch stoffumwandelnd zu wirken. Arbeit wandelt also Stoffe um, sie erzeugt Gegenstände, Güter, Techniken. Für Marx war Technik ein Moment der Verdinglichung der Gesellschaft (vgl. auch Halfmann 2003).
Technik lässt sich grundsätzlich als Sachtechnik oder Handlungstechnik definieren. Unter Sachtechnik werden sachliche Artefakte bezeichnet. Diese können – je nach Epoche – unterschiedliche Ausprägungen aufweisen. Eine Sachtechnik wäre demnach sowohl ein steinzeitliches Werkzeug als auch der Computer oder ein komplexes Radarsystem zur Satellitensteuerung.
Die Handlungstechnik hingegen ist die Wurzel des Technischen an sich. Sie gibt wieder oder bezeugt, wie innerhalb bestimmter Gesellschaften und Gruppen auf eine bestimmte Weise gehandelt, miteinander kommuniziert und interagiert wird (vgl. Schulz-Scheffer 2000b). Eine Beschränkung der Analyse einer Technik auf deren Sachtechnik (Artefakt) greift zu kurz, die Handlungstechnik muss ebenfalls Berücksichtigung finden. Als Beispiel sei der Pyramidenbau genannt. Weniger die Sachtechniken (Hebel, Rolle, etc.) waren das Beeindruckende am Pyramidenbau als vielmehr die technische Arbeitsteilung (Handlungstechnik).
Wie Schulz-Schaeffer (vgl. 2000a: 49f.) anmerkt, durchbricht die Techniksoziologie die Grenzen des Sozialen – verstanden als soziale Handlung oder sinnhafte Kommunikation – und begreift Sachtechnik als besondere Form des Sozialen. Argumentiert wird, dass Sachtechnik als Folge sozialer Handlungen, die Teile der sozialen Welt sind, nicht als außersoziales Phänomen begriffen werden kann. Techniksoziologie begreift Technik daher als einen sozialen Prozess, wenn auch einen sehr komplexen. Die Standarddefinition von Technik in der Techniksoziologie lautet daher:
»Unter Technik sind alle künstlich hervorgebrachten Verfahren und Gebilde zu verstehen, die in soziale Handlungszusammenhänge zur Steigerung ausgewählter Wirkungen eingebaut werden.« (Rammert 1989: 725)
Im Zuge der Debatte über die Materialität von Technik, die in den 1980er- und 1990er-Jahren geführt wurde, und zwar innerhalb einer Soziologie, die ihrerseits die Technik als soziale Prozesse begreift, und der andererseits eine vermeintliche Technikvergessenheit vorgeworfen wurde, entwickelte Rammert (vgl. 1993: 10f.) einen »engen« und einen »weiten« Technikbegriff. Der »enge« Technikbegriff umfasst alle »sachlichen Artefakte«. Er trägt demnach der Materialität von Technik Rechnung. Der »weite« Technikbegriff umfasst »alle Verfahren eines Handelns und Denkens« und die methodischen Operationsregeln, die aus diesem Verfahren erfolgen. Angestrebt wird die Erreichung eines bestimmten strategischen Zweckes, genannt »Handlungstechnik zur erfolgreichen Zweckerreichung« (vgl. ebd.: 11).
Abbildung 1: Der Technikbegriff nach Rammert 1993 (zitiert nach Weyer 2008: 37).
Techniksoziologen wie Rammert bemerken, dass der Technikbegriff trotz dieses Versuches, Technik in seiner gesamten Ausformung zu erfassen, weiterhin problematisch sei. Der »enge« Technikbegriff reduziere Technik auf materielle Artefakte, der »weite« Technikbegriff entgrenze den Gegenstandsbereich und mache ihn für eine Analyse daher nahezu unmöglich (vgl. ebd.: 11f.).
Sowohl die Soziologie als auch die Techniksoziologie sind vergleichsweise junge Wissenschaften. Grundsätzlich wird zwischen der Makro- und der Mikrosoziologie unterschieden. Während sich die Makrosoziologie mit den Gesellschaften als Gesamtheit befasst, mit den Kollektiven, ihren Systemen und ihrer Struktur, konzentriert sich die Mikrosoziologie auf die einzelnen Personen und deren Handeln und Interaktionen. Sowohl innerhalb der Makrosoziologie als auch innerhalb der Mikrosoziologie entwickelten sich die verschiedensten soziologischen Schulen; in Ansätzen mancher Schulen werden makro- und auch mikrosoziologische Aspekte berücksichtigt (vgl. Baur/Korte/Löw/Schroer 2008: 23). Max Weber, ein wichtiger Begründer soziologischer Denkweisen, versteht die Soziologie als
»eine Wissenschaft [im hier verstandenen Sinne dieses sehr vieldeutig gebrauchten Wortes], welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinen Ablauf und in seinen Wirkungen ursächlich erklären will.« (Weber 1972: 1)
Soziologie hat demnach mit den Handlungsweisen der Menschen innerhalb von Gesellschaften zu tun und mit Gesellschaften als eine Gesamtheit. Diese gilt es deutend zu erfassen und zu verstehen, was über rein empirische Forschungsmethoden hinausgeht.
Die Techniksoziologie entwickelte sich aus der Soziologie in Verbindung mit der im 20. Jahrhundert äußerst rasch vorangehenden Entwicklung der Technik. Techniksoziologie entstand aus gesellschaftlichen und politischern Notwendigkeiten heraus, da durch die Verbreitung von Technik auch die Zunahme irreversibler sozialer und ökologischer Schäden zu verzeichnen war.
Aus dem Bereich der Techniksoziologie hat sich nachfolgend die Technikfolgenabschätzung entwickelt. Sie dient unter anderem dem Zweck der Verhinderung von schweren Technikfolgeschäden für die Gesellschaft. Sie ist zu einer bedeutenden Disziplin herangewachsen, deren gesellschaftliche Relevanz aufgrund folgender Aspekte nicht unterschätzt werden darf:
1.Technik hat erhebliche Folgen für die Menschen und deren Zusammenleben; nicht nur für die Gegenwart, sondern auch für zukünftige Generationen.
2.Die Interaktion zwischen den Menschen und die diesbezüglichen politischen Entscheidungen bestimmen die Gestaltung und Entwicklung der Technik.
3.Die Technikfolgenabschätzung wertet Technikfolgen aus und liefert damit wichtige Erkenntnisse für die politischen Entscheidungsträger auf globaler Ebene.
Die Techniksoziologie widmet sich vor allem dem zweiten Aspekt, also der Interaktion, den Abhängigkeitsverhältnissen und den Spannungen zwischen Technik und Menschen, sowie den Wechselwirkungen der Aspekte 1 und 2.
Die Frage, die sich vor allem für den Bereich der Techniksoziologie aufdrängt, ist, wie sich Technik und vor allem virtuelle Technik mit ihrer Entwicklung und ihrem Entwicklungspotenzial in der globalen Welt verstehen lässt. Ist Technik als komplexes Handlungsgeschehen oder lediglich als ein Mittel der Kommunikation zu begreifen, oder aber als ein rein anwendungsorientiertes Problemlösungsmittel? Wie auch immer die Antwort ausfallen mag, sicher ist, Technik und virtuelle Welten sind Teile von Gesellschaften, in welchen sie erfunden und genutzt werden. Die Weltanschauungen, die diesen Gesellschaften und den an der Gestaltung der jeweiligen Technik beteiligten Akteuren zugrunde liegen, fließen somit in die Konstruktion derselben ein. Diese Weltanschauungen stellen Ideologien dar und manifestieren sich folglich in den jeweiligen Techniken.
Dem Begriff der Ideologie werden verschiedene Bedeutungen zugeschrieben. Geprägt wurde der Begriff zunächst im Rahmen der Aufklärung in Frankreich Ende des 18. Jahrhunderts und beschrieb vorerst wertfrei eine Wissenschaftsdisziplin (Ideologenschule), die sich mit der Entstehung von Ideen beschäftigte. Eine vergleichsweise neutrale Beurteilung des Begriffes Ideologie wird etwa angewandt, um ein Bündel geteilter Zielvorstellungen von Menschen, Organisationen oder Gruppen zu beschreiben. Tatsächlich neutral kann eine Betrachtung jedoch kaum vollzogen werden, blicken doch die Betrachter selbst stets aus ihrer eigenen (ideologischen) Verortung auf ein Phänomen.
Dementsprechend ist ein kritisch-negativer Bezug zu Ideologie weitaus gebräuchlicher, auf den sich auch die Ideologiekritik bezieht. Ihren ideengeschichtlichen Ursprung hat sie vor allem in den (Früh-)Werken von Karl Marx und Friedrich Engels,4 die mit einer Kritik des Bewusstseins den Weg für eine Kritik des Bestehenden öffnen. In der »Deutschen Ideologie« verstehen sie den Begriff der Ideologie als »falsches Bewusstsein«, das die realen Machtverhältnisse verschleiert und damit rechtfertigt, da es den realen, ökonomischen Realitäten und Lebensverhältnissen nicht entspreche.
Diese Verschleierung lähme die Kraft der Unterdrückten und stärke damit die herrschende Klasse. Dieses »falsche Bewusstsein« beruht darauf, dass sich die Partikularinteressen der herrschenden Klassen erfolgreich als Allgemeininteressen durchsetzen können (vgl. MEW 3 1978: 163). Ideen und Ideologien haben damit einen gesellschaftlichen, materiellen Ursprung5, der vor allem im Klassencharakter und damit in der unterschiedlichen Stellung der Individuen im Produktionsprozess gesehen wird:
»Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken, d. h. die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht. Die Klasse, die die Mittel zur materiellen Produktion zu ihrer Verfügung hat, disponiert damit zugleich über die Mittel zur geistigen Produktion, so dass ihr damit zugleich im Durchschnitt die Gedanken derer, denen die Mittel zur geistigen Produktion abgehen, unterworfen sind.« (MEW 3 1978: 46)
Neben diesem klassentheoretischen Begründungszusammenhang lässt sich bei Marx in den Ausführungen des »Kapitals« aber auch eine komplexere Argumentationslinie finden, die der Vorstellung wirksam entgegenwirkt, dass Ideologien lediglich bewusste Inszenierungen machtbesessener Personen und Gruppen sind, sondern vielmehr »falsches Bewußtsein als eine gesellschaftlich bedingte Notwendigkeit« (Lenk 1994: 29). Demnach gründet die Verkehrung des Bewusstseins, die den Blick auf die wahren Verhältnisse verstellt, in einer realen Verkehrung in der kapitalistischen Warengesellschaft, ihrem Fetischcharakter und Prozessen der Verdinglichung.6 Mit dem Begriff des »Warenfetischismus« macht Marx darauf aufmerksam, dass sich gesellschaftliche Phänomene von den Bedingungen ihrer Entstehung loslösen und diese nicht mehr wahrgenommen werden: »Sie gewinnen damit den Schein der Naturwüchsigkeit, Allgemeingültigkeit und Unveränderbarkeit.« (Lenk 1994: 29) So werden die Gesetze des Marktes etwa als neutrale und wertfreie Instanzen gesehen, die Naturgesetzlichkeiten folgen und damit die dahinterliegenden Macht- und Ausbeutungsverhältnisse und die Schaffung dieser Institutionen eben durch menschliches Tun verschleiern. Ähnlich zu der Form, in der etwa die Wertform der Ware nicht mehr auf bestimmte gesellschaftliche Verhältnisse – Produktionsverhältnisse und die Beziehung des Tauschverhältnisses, das die gesellschaftliche Struktur konstituiert – bezogen wird, sondern der Wert als Eigenschaft der Dinge selbst gesehen wird, werden auch die Ideen verdinglicht. Sie erscheinen als abstrakte Wahrheiten, quasi autonom, obwohl sie von Menschen, die in einem ganz spezifischen Kontext und Produktionsprozess verortet sind, produziert wurden, damit gesellschaftlichen Ursprungs sind. Die Prozesse der Verselbstständigung, die das Konzept der Verdinglichung beschreibt, führen dazu, dass Dinge und Logiken Menschen beherrschen und Handlungsimperative darstellen, obwohl eigentlich genau dies Ergebnisse des eigenen Tuns beziehungsweise sozialer Prozesse sind. Zusammenfassend beschreibt Lenk Ideologien als
»Stabilisierung der eine Zeit bestimmenden ökonomischen und politischen Verhältnisse, ihre Abdichtung gegen Erfahrungen und Vorstellungen, die diese sprengen könnten – im Interesse jener, die an der Aufrechterhaltung des status quo interessiert sind.« (Lenk 1994: 30)
Die Marx’sche Perspektive wurde im 20. Jahrhundert von verschiedenen Theoretikern aufgenommen und weiterentwickelt. Zu nennen sind etwas Ernst Bloch (Geist der Utopie 1918), Georg Lukács (Geschichte und Klassenbewusstsein 1923) und Mitglieder der Frankfurter Schule, vor allem Horkheimer, Adorno und Marcuse.
Die Kritische Theorie hat den Hintergrund ihrer Ideologiekritik aus den Erfahrungen der »totalen« Ideologie in der Zeit des Nationalsozialismus.7 Unter anderen führte ihr Schüler Jürgen Habermas ideologiekritische Elemente mit hermeneutischen Methoden zusammen und erweiterte damit die Erkenntnistheorie.
Den neomarxistischen Fortführungen der Ideologiekritik ist eigen, dass sie den Zusammenhang von Ideen und (wissenschaftlichen) Theorien mit sozio-ökonomischen Strukturen beziehungsweise Verhältnissen sozialer Ungleichheit aufdecken und der Funktionalisierung von Theorien zur Stabilisierung dieser Verhältnisse entgegentreten wollen. Spannende und fruchtbare Erweiterungen der Marx’schen Ideologiekritik und eine Erweiterung des Ideologiebegriffs bieten Gramsci und Althusser an.
Antonio Gramsci analysiert die »Apparate, Intellektuellen und Praxisformen, die bestimmte ideologische Effekte auf Handlungs- und Denkweisen erzeugen« (Rehmann 2008).
Dabei sind drei spannende Einsichten herauszustreichen, die im Folgenden erläutert werden: Ideologien werden als Kräfte mit eigener Dynamik und Wirksamkeit angesehen und nicht als eine reine Widerspiegelung der Produktionsverhältnisse, Ideologie ist im Alltagsverstand wirksam und damit als soziale Praxis zu verstehen und Ideologie muss im Kontext von Kämpfen um Hegemonie gefasst werden. Eine zentrale Einsicht Gramscis ist, dass Herrschaft nicht nur durch Zwang und Gewalt aufrechterhalten wird, sondern durch zuvor in der Zivilgesellschaft errungene Hegemonie, die Ausdruck einer erfolgreichen Universalisierung eines Partikularinteresses ist.