Im Bann des Drachens: Das westliche Ringen mit dem Aufstieg Chinas - Wolf D. Hartmann - E-Book

Im Bann des Drachens: Das westliche Ringen mit dem Aufstieg Chinas E-Book

Wolf-D. Hartmann

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Beschreibung

Weltmacht China am Vormarsch – wie reagiert der Westen? Chinas Aufstieg fasziniert, sorgt aber auch für Beunruhigung. Steht ein geopolitischer Zeitenwandel bevor? Wie kann der Westen dem "Bann des Drachens" widerstehen und seinen Platz in der Weltwirtschaft und Weltpolitik behaupten? Die Autoren Wolf D. Hartmann, Wolfgang Maennig und Walter Stock geben umfassende Antworten auf ein komplexes, tagesaktuelles Wirtschaftsthema. •Wie Europas Schwäche und Trumps Protektionismus Chinas Aufstieg verstärken •Vom Klimakiller zum Klimaretter: Imagewandel in China. •Können die chinesischen Kommunisten inzwischen besser Kapitalismus als die Erfinder des Systems selbst? •Ein Buch für China-Interessierte, China-Kenner und Wirtschaftsexperten, die den Wandel verstehen wollen. •Mit aktuellen Einsichten aus Studienreisen und Erfahrungen deutscher Firmen in China. China holt auf. Welche Folgen hat die geopolitische Zeitenwende? China holt nicht nur beim Wirtschaftswachstum auf, sondern setzt in allen Bereichen auf Innovation - sei es Infrastruktur, Energie, Technologie oder Bildung. Chinesische Wissenschaftler sprechen von "Globalisierung 3.0". Das alles geschieht aus historischer Sicht in einer vergleichsweise kurzen Zeitspanne. China war zwar einmal als "Reich der Mitte" die älteste Staatsnation der Welt, verlor jedoch im Laufe der Geschichte die Führungsrolle. Mit der Ausrufung der Volksrepublik China 1949 begannen Entwicklungen, die vom Westen moralisch beurteilt wurden und bis heute oft werden. Fakt ist jedoch, dass viele Experten die Wachablöse durch China bereits eingeleitet sehen. Es bleibt zu hoffen, dass die neue Weltmacht China an einer stabilen Entwicklung im Rahmen der bestehenden Ordnungen und Regeln der internationalen Beziehungen interessiert ist. Doch wie kann der Westen dem Dilemma zwischen Kooperation und Konkurrenz mit der Wirtschaftsmacht China begegnen? Erfahren Sie von renommierten Autoren, wie wir mit kreativen und innovativen Lösungen den Wirtschaftsstandort Deutschland wieder stärken können.

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Wolf D. Hartmann, Wolfgang Maennig, Walter Stockunter Mitarbeit von Run Wang

Im Bann des Drachens

Das westliche Ringen mit dem Aufstieg Chinas

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen

Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Copyright: FAZIT Communication GmbH

Frankfurter Allgemeine Buch, Frankenallee 71 – 81,

60327 Frankfurt am Main

Umschlaggestaltung: Oliver Hick-Schulz, Frankfurt am Main

Titelgrafik: © alexzeer Adobe Stock

Satz: Wolfgang Barus, Frankfurt am Main

Druck: CPI books GmbH, Leck

Printed in Germany

1. Auflage, Frankfurt am Main 2018

ISBN 978-3-96251-023-7

eISBN 978-3-96251-051-0

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, vorbehalten.

Inhalt

Vorwort

1.Aufstieg Chinas bei Stagnation oder gar Abstieg des Westens?

Folgen der geopolitischen Krise des Westens

Konsequenzen der selektiven US-Strafzollpolitik für den Welthandel

Dynamik Chinas als neue Großmacht im internationalen Wettbewerb Siegt die Demografie über die Ökonomie?

Ist Chinas weiterer Aufstieg auf friedliche Weise möglich?

Treiber chinesisch-amerikanischer und europäischer geostrategischer Rivalität

2.Wirtschaftsmacht China und die zukünftige Weltwirtschaftsordnung

Der Westen als Zauberlehrling beim Wirtschaftsaufstieg Chinas?

Widersprüche und Defizite des chinesischen Wachstumsmodells

China im Kampf um globale wirtschaftliche Führerschaft

Nationaler Reformprozess und weltwirtschaftliche Positionierung Chinas

Globalisierung auf Chinesisch

3.Das sicherheitspolitische Gewicht Chinas in einer sich wandelnden Weltordnung

Das sicherheitspolitische Dilemma des wirtschaftlichen Aufstiegs Chinas

Die labile Sicherheitsarchitektur im regionalen Umfeld Chinas – die Krisenherde Ost- und Südchinesisches Meer sowie Westpazifik

Ausweitung chinesischer Sicherheitsinteressen auf andere Weltregionen

Möglichkeiten eines friedlichen Managements der sicherheitspolitischen Konflikte mit China

4.Soft Power im geopolitischen Machtkampf

Chinas Position im globalen Wettstreit um Werte und Soft Power

Das Soft-Power-Defizit und die kulturell-historische Reorientierung Chinas

Exkurs: Erfolge im Hochleistungssport als wichtiger Puzzlestein der Soft Power

Das Soft-Power-Defizit Chinas und die Legitimation des Ein-Parteienstaates

Informationspolitik und Menschenrechts-Agenda im westlichen Rivalitätsarsenal

Neue Herausforderungen durch Big Data und soziales Ranking

Soft-Power-Wirkung der Belt & Road-Initiative und neue „Sharp Power“

5.Das China-Dilemma – Steht der Westen im Bann des Drachens?

Vor einer strategischen Wende des Westens gegenüber China

Re-Balancing der westlichen Wirtschaftsstrategie

EU und Deutschland – zwischen den Fronten eines globalen Machtkampfes

China als Partner des Westens im Kampf um Klima- und Umweltschutz

Chinakompetenz in Deutschland und der EU erhöhen

Anmerkungen

Die Autoren

Vorwort

Können die chinesischen Kommunisten inzwischen besser Kapitalismus als die Erfinder des Systems selbst? Das westliche Ringen mit dem Aufstieg Chinas unterstreicht das. Hintergrund sind die frappierenden Unterschiede in den Wirtschafts- und Handelsstrategien zwischen den USA, China und der EU. Die Chinesen investieren überwiegend in den Aufbau der Infrastruktur, in die weltweite Energie- und Ressourcenwirtschaft mit oft großzügigen Rückzahlmodalitäten für gewährte Kredite, bevorzugt entlang der geplanten Großprojekte der neuen Seidenstraße. Chinesische Wissenschaftler interpretieren diese als neues Modell der Globalisierung 3.0.

Der Brexit erschüttert die EU, und anhaltende finanz- und wirtschaftspolitische Probleme unter den Mitgliedsstaaten werden nur zögerlich angegangen. Deutschlands Industriepolitik für das 21. Jahrhundert fehlt oder besteht in Ankündigungen für neue Digitalisierungs- oder E-Mobilitätsstrategien mit eher bescheidenen Resultaten.

China entwickelt sich inzwischen vom Klimakiller zum Klimaretter, holt im Innovationswettbewerb und Bildungssektor auf, verwirklicht federführend das weltgrößte Entwicklungsprogramm im Rahmen der neuen Seidenstraßeninitiative mit über 65 Partnerstaaten, wie der chinesische Botschafter in Deutschland in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt informierte, nach dem über 100 Staaten an der Pekinger Konferenz im Mai 2017 teilnahmen.1

Das alles geschieht aus historischer Sicht in einer vergleichsweise kurzen Zeitspanne. China war zwar einmal als „Reich der Mitte“ („Zhongguo“) die älteste Staatsnation der Welt, verlor jedoch im Laufe der Geschichte die Führungsrolle. Noch im 18. Jahrhundert wurde China als kulturvolles, vernunft- und moralbestimmtes Reich in Europa stark idealisiert, aber auch eher exotisch betrachtet. Das wandelte sich im 19. Jahrhundert. Ab dann galt China als unbeweglich, rückständig, entwicklungsunfähig. Die gewaltsame Öffnung erfolgte durch die als Opiumkriege in die Geschichte eingegangenen Auseinandersetzungen mit Großbritannien sowie einen erzwungenen westlichen Kulturtransfer. Der Westen erhob sich wie die Japaner über die Chinesen, die vergeblich versuchten, an ihrer Mauer und an ihrem Sinozentrismus festzuhalten.

Nach dem sich das Land aus einem halbkolonialen Zustand in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Zweiten Weltkrieg befreite, rief Mao Zedong am 1. Oktober 1949 die Volksrepublik China aus. Im Rahmen der dann herrschenden Diktatur erfolgten Wandlungen, die vor allem durch die Kulturrevolution von 1966 und die gewaltsame Unterdrückungen von chinesischen Oppositionellen im Westen moralisch beurteilt wurden und oft bis heute werden. Das verhindert den Blick auf sich gerade seit Beginn des 21. Jahrhunderts in China vollziehende, weitergehende Öffnungen, wirtschaftspolitische Veränderungen und unbestritten auch sozialökonomische Fortschritte. Der Westen, hier verstanden als die 88 Staaten, in denen politische Parteien demokratisch um die (Regierungs-)Macht ringen, hielt und hält unbeirrt an seinen Wertvorstellungen, gesellschaftlichen und sozialökonomischen Entwicklungsmodellen fest, oft mit belehrendem Zeigefinger gegenüber anderen Staaten, insbesondere China.

Schon Theodor Fontane lehnte in einem Brief an James Morris, ein Freund und Briefpartner, vom 16. April 1897 „das Weltregierenwollen im Jeremiasstil, das Politikmachenwollen nach Sittlichkeitsgesetzen“2 ab. An gleicher Stelle verurteilt er die Hohlheit und Heuchelei altruistischer Argumente, die Verbrechen, denen sich die Großmächte schuldig machten, beim Versuch, „dem Universum Gesetze vorschreiben“3 zu wollen.

Nicht nur hier zeigt sich eine erstaunliche Aktualität des vor ca. 200 Jahren geborenen Fontanes, sondern auch bei der durch Donald Trumps wieder hochaktuellen Politik des Mauerbauens. Fontane benutzte Mauern als politische Metapher: „Sich abschließen, heißt sich einmauern und sich einmauern ist der Tod.“4 Trump setzt dennoch mit seiner „America First“-Sichtweise auf Abgrenzung und die Durchsetzung längst obsoleter protektionistischer Instrumente in der internationalen Politik.

Von Trump per Twitter verkündete Kriegsdrohungen erinnern an die verheerende Wirkung der von Kanzler Bismarck zurechtgestutzten und der Presse übergebenen „Emser Depesche“, die zum Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 führte. Man mag sich nicht vorstellen, was passieren würde, wenn Russlands Präsident Putin genauso zurück twitterte. Es ist daher kein Horrorszenarium, dass aus solchen Äußerungen und faktischen Sezessionen ukrainischen Territoriums durch Russland schnell eine offene weltweite Konfrontation entstehen könnte.

Viele Experten und Wissenschaftler der westlichen Welt sehen die Wachablöse durch China bereits eingeleitet. Der langjährige russische Außenminister sprach auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2017 sogar bereits von einer „post-westlichen Weltordnung“. Es bleibt zu hoffen, dass die neue Weltmacht China an einer stabilen Entwicklung im Rahmen der bestehenden Ordnungen und Regeln der internationalen Beziehungen interessiert ist.

Seit der Finanz- und Weltwirtschaftskrise von 2007/8 hielten vor allem von China ausgehende Impulse und Konjunkturprogramme die Weltwirtschaft im Gang. Zehn Jahre später ist die geopolitische Situation unübersichtlicher und es bestätigt sich deutlicher, dass die weltpolitische Nord-West-Dominanz in eine süd-östliche überzugehen scheint, wobei die Konturen der sich abzeichnenden neuen Weltordnung noch längst nicht klar sind. Dies gilt bezüglich der Konsequenzen für global agierende Unternehmen und besonders für den Mittelstand.

Bei den Analysen der geopolitischen Transitionen darf nicht vergessen werden, dass durch die erhebliche Beschleunigung des weltweiten Durchsetzens globaler Innovationstrends, durch die Auswirkungen disruptiver Technologien und insbesondere der Künstlichen Intelligenz und Digitalisierung neue Herausforderungen durch die global vorherrschenden Technologiekonzerne gegeben sind. In Verbindung damit vertiefen sich nicht nur weltweit, sondern auch in der EU und anderen Wirtschaftsräumen wie der eurasischen Region, die technologischen und besonders informationstechnischen Lücken und Sicherheitsgefahren und die sozialen Spannungen und Ängste.

Das Verkünden und Durchsetzen von Strafzöllen durch die USA, der Rückzug aus internationalen Verträgen wie dem Atomabkommen mit dem Iran sowie zahlreiche Debatten um die Persönlichkeit des US-Präsidenten verwirren nicht nur Akteure der (Welt-)Politik, sondern auch viele international agierende Konzernchefs und Unternehmer.

Das vorliegende Buch greift die vielfältigen Aspekte der offenkundigen geopolitischen Zeitenwende auf. Es wendet sich an ein breites Publikum und erörtert vor allem die viele Führungskräfte und Politiker aller Parteien beschäftigende Frage, wie der Westen dem chinesischen Wirtschafts- und Entwicklungsmodell dauerhaft Paroli bieten kann.

Viele Erstbesucher Chinas sind heute überrascht, mit welcher Fülle von neuen, verunsichernden und fremden Eindrücken sie bei Reisen oder Geschäftskontakten über die Sprache und Schrift hinaus konfrontiert werden. Neuste Einsichten aus Studienreisen nach China fließen daher genauso in das vorliegende Buch ein wie Erfahrungen deutscher Firmen in China und die Landeskunde des Kollegen Run Wang von der Hubei Universität in Wuhan sowie anderer Kollegen aus China.

Eins bleibt gewiss: „Nie zuvor war unsere Zukunft so mit China verknüpft wie heute. Und das nicht nur im Hinblick auf unsere Arbeitsplätze und unser wirtschaftliches Wohlergehen, sondern auch auf unsere Art zu leben und die Bewahrung des Weltfriedens.“5

Das Buch zeigt, was jeder wissen und tun sollte, um „dem Bann des chinesischen Drachens“ europaweit kreativ und vor allem mit nachhaltig zukunftsfähigen Innovationen zu begegnen.

1.Aufstieg Chinas bei Stagnation oder gar Abstieg des Westens?

Folgen der geopolitischen Krise des Westens

„Wer rettet den Westen?“ titelte Der Spiegel Nr. 17 vom 21. April 2018 mit einem in Flammen stehenden Trump, einer weinenden Kanzlerin Merkel und einen mit Augenzwinkern den Feuerlöscher schwingenden Macron. Die Ausgabe trägt den Untertitel „Es geht um Freiheit und Demokratie – Macron braucht Hilfe, doch Deutschland versagt.“1 Solche Berichte lösen bei Manchem Fragen aus. Übertreiben die Journalisten und Kassandrarufer wie der Ex-Außenminister Joschka Fischer in seinem Buch „Der Abstieg des Westens – Europa in der neuen Weltordnung des 21. Jahrhunderts?“2

Sachlich betrachtet, muss man leider feststellen, keineswegs. Im Gegenteil, es entsteht der Eindruck, als ob viele die Wucht und Schnelligkeit der sich bereits vollziehenden geopolitischen Neuausrichtungen noch gar nicht richtig realisieren. Noch schlimmer, viele sehen die gefährliche Zuspitzung der militärischen Konfrontation insbesondere gegenüber Russland nicht und die damit verbundene Gefahr einer ernsthaften Konfrontation, die keinen Sieger kennt. Daran hat sich auch durch das überraschende Gipfeltreffen von US-Präsident Trump mit Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un in Singapur nicht viel geändert, weil viele Details noch völlig offen sind.

Gefordert ist eine andere Dimension der Weltsicht als die bloße Frage, ob die alte unipolare Weltordnung unter Führung der USA bröckelt und welche Rolle Deutschland außenpolitisch spielt. Eine weitsichtigere Weltperspektive muss sowohl dieses Spiel mit dem atomaren Feuer als auch die offenbaren Klimaveränderungen und damit verbundenen Überlebensfragen der Menschheit einschließen. Das geschieht leider viel zu wenig, weil der Blickwinkel auf Wirtschaftsfragen verengt ist.

In der langen Phase der Selbstbeschäftigung Deutschlands mit der quälenden Regierungsbildung seit September 2017 bis März 2018 wurde von allen politischen Parteien der Zeitfaktor unterschätzt. Mit wem sollte verhandelt oder nur gesprochen werden, wenn keine Klarheit über die künftige Mehrheit herrschte und sogar Neuwahlen drohten? Das politische Gewicht Deutschlands hat sich damit wohl verringert, kann aber steigen, wenn gerade wir Deutschen vor dem Hintergrund zweier Weltkriege alles daran setzen, einen dritten zu verhindern. Im Grunde genommen spielt es keine Rolle, welche Regierung unter welcher Kanzlerschaft mit sich selbst beschäftigt ist, statt mit weltpolitischen Problemen. Das änderte sich auch nach der mühevollen Zwangskoalition durch den erneut entflammten Zank um die Flüchtlingspolitik nicht. Nunmehr erfolgte erste Regierungsbesuche der Deutschen bei Trump und anderen international maßgebenden Regierungschefs gehen mit kleinen protokollarischen Abstrafungen einher, denen die Medien dann oft noch größere Aufmerksamkeit widmen als den Inhalten der politischen Gespräche. Deutlich wurden die Unterschiede zwischen dem „Staatsbesuch“ von Emmanuel Macron bei US-Präsident Trump mit Gattin und Angela Merkels „Arbeitsbesuch“ in der gleichen Woche Ende April mit geringen Erwartungen.3

Geopolitisch gesehen geht es nicht um solche Äußerlichkeiten, sondern um die Frage, wie sich die Welt den drängenden Zukunftsfragen in der sich abzeichnenden Zeitenwende stellt. Ein wirklicher Erfolg des Staatsbesuches von Emmanuel Macron bei Donald Trump wäre eine Rückkehr der USA zu den Pariser Klimaverträgen gewesen. Aber an diese denkt schon kaum noch jemand.

Genauso wäre es geopolitisch zukunftsträchtiger, die Rüstungsausgaben zu begrenzen und global zurückzufahren statt permanent zu erhöhen. So werden sie aber permanent erhöht – 2017 weltweit auf 1,739 Billionen US-Dollar.4 Die neu entfachte Rüstungsspirale verändert das geopolitische Gleichgewicht zusätzlich, wie noch ausführlicher gezeigt wird, und hilft nicht bei der Lösung drängender globaler Entwicklungsprobleme sowie Neujustierung der Weltordnung.

Wenn Staaten wie die USA die internationalen wirtschaftspolitischen Spielregeln einseitig und ohne Konsultation ihrer wichtigsten westlichen Verbündeten und unter Beachtung langjährig geltender internationaler Ordnungen außer Kraft setzen, gerät das im 20. Jahrhundert entstandene Machtgefüge der Welt durcheinander.5 Der im Mai des gleichen Jahres verkündete Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen mit dem Iran impliziert eine derzeitige Unberechenbarkeit des wichtigsten westlichen Bündnispartners.6 Die einseitige Aufkündigung des jahrelang und mühevoll verhandelten Abkommens unter Ignoranz der vom Sicherheitsrat einstimmig getroffenen Verabredungen schockierte die Welt und alle beteiligten Staaten. Die damit zugleich erneut in Kraft gesetzten Sanktionen gegen den Iran sollten vor allem auch von deutschen Firmen eingehalten werden, wie schon kurz nach seinem Amtsantritt der neue US-Botschafter, Richard Grenell, in Berlin auch per Twitter forderte.7 Die Europäer werden in einen neuen Handelskrieg gedrängt. Nach dem faktischen Scheitern des letzten G-7-Gipfels in Kanada wurde das offenkundig.

Überrascht vom Brexit

In der EU traf die Brexit-Bejahung der Mehrheit der Briten das politische Brüssel und Berlin trotz aller gegenteiligen Beteuerungen letztlich unvorbereitet und ohne ausgearbeitete Scheidungspapiere. Seither wird ein hoher Anteil an politischem Gestaltungswillen und -kraft durch die im Grunde genommen kontraproduktiven Austrittsverhandlungen und die Gestaltung der künftigen Beziehungen zwischen der geschwächten EU und Großbritannien absorbiert. Die „Remainer“ in Großbritannien und Optimisten in Europa hoffen inzwischen auf einen Brexit, der kein wirklicher ist, sondern nur dem Namen nach, also ein „Brino“. Hinter dem neuen Akronym verbirgt sich die Hoffnung „Brexit in name only“ wie die Süddeutsche Zeitung Ende April berichtete.8 Wörtlich heißt es: „Brino könnte das sein, was am Ende übrig bleibt, wenn die britische Regierung alle roten Linien geräumt, die meisten Schlachten gegen Brüssel verloren und das Parlament endgültig gegen sich aufgebracht hat: ein Brexit, mit dem Großbritannien zwar am 29. März 2019 formal aus der EU aus- und in eine status-quoähnliche Übergangsfrist einträte, aber ab Winter 2020 ein Partner der EU bliebe: in einer Zollunion, vielleicht im Binnenmarkt, mit dem Verbleib in EU-Agenturen und -Programmen, mit der Fortzahlung von Beiträgen für gemeinsame Projekte, mit weitreichenden Rechten für EU-Bürger.“ Viele überzeugte Europäer fragen sich zu Recht, wie es dazu kommen konnte und wieso Großbritannien glaubt, durch den Austritt seine alte Rolle des 18. und 19. Jahrhunderts wieder zu gewinnen.

Wo bleibt bei der Lage Spielraum für strategische geopolitische Gemeinsamkeiten Europas gegenüber China und den USA oder anderen Staaten, wenn innereuropäische Tagesbelange den Blick verstellen? Ohne Pathos muss noch einmal betont werden, dass der Brexit zwar politisch seitens der EU und auch der deutschen Regierung als verkraftbar dargestellt wurde, aber in Wahrheit einer Torpedierung des wichtigsten und bedeutendsten europäischen Einigungsprozesses des 21. Jahrhunderts entspricht, deren finale Folgen noch gar nicht absehbar sind. Das wird aus der Sicht der vielen anderen europäischen Problemstaaten wie Italien, Spanien, Griechenland, Ungarn und Polen verstärkt. Auch Emmanuel Macron hat die innerfranzösischen Reformprojekte längst noch nicht gegen die massiven Streiks seiner starken Gewerkschaften durchgesetzt, und alle Fachleute wissen, dass auch die währungspolitische Stabilität des Euros keineswegs sicher ist.

Statt als „Westen“ gemeinsam nach angemessenen strategischen Entwicklungsmodellen auf die chinesischen Herausforderungen zu suchen, befindet sich Europa wieder in einer Lage, die eher an die Situation im 19. und 20. Jahrhundert erinnert.9 Weltpolitik wurde damals über militärische Machtpolitik durchgesetzt, beginnend mit den beiden Opium-Kriegen bis zu den gewaltsamen Auseinandersetzungen der acht verbündeten westlichen Staaten gegen China im Rahmen des sogenannten Boxeraufstandes oder besser Boxerkrieges.10 Damals spielte gerade die von Kaiser Wilhelm II. ausgegebene harte Linie gegen die Aufständischen eine verheerende und nachhaltig negativ wirkende Rolle.11

Chinas zivilisatorische Rolle

Als Xi Jinping als erster Staatspräsident Chinas im Jahre 2014 das EU-Hauptquartier in Brüssel und Belgien besuchte und eine Rede hielt, betonte er die historischen Gemeinsamkeiten zwischen China und den Europäern, insbesondere durch ihre zivilisatorische Verbundenheit. Was Europa für den Westen war und ist, beansprucht China aus kulturhistorischer Sicht über die letzten 5000 Jahre für die östliche Zivilisation.12 Für Europas Rolle im 21. Jahrhundert wird entscheidend sein, „ob Europa mehr als die geografische Bezeichnung eines Kontinents sein wird und sein will, ob es zu einer politischen und wirtschaftlichen Einheit, ja zu einer gemeinsamen europäischen Identität finden wird.“13 Durch den Brexit hat Großbritannien dieser Vision und Zukunft schon ein klares Nein entgegengesetzt, und Ex-Außenminister Joschka Fischer warnt davor, dass ein Rückzug der Europäer auf ihre nationalstaatliche Identität wie im 19. Jahrhundert den Abstieg noch verstärken wird.14 Sein Plädoyer für ein Europa der zwei Geschwindigkeiten durch eine Koalition der „Willigen“ kann aus unserer Sicht nur als eine kleine Ersatzlösung für ein geeintes und starkes Europa sein, das auch eine Tür für Russland offenhalten sollte, denn immer wieder wird vergessen, dass ein großer Teil Russlands auch historisch europäisch geprägt war und ist.

Fehlbewertungen nach Trumps Wahlsieg

Einen ähnlichen Schock wie der Austritt Großbritanniens aus der EU löste das letzte Wahlergebnis in den USA im November 2016 in Europa und hierzulande aus. Offenbar hatte auch in diesem Fall kein Politiker und keine Partei ein ernsthaftes Szenarium in der Schublade, wie mit einem Präsidenten umzugehen sein wird, der das im Wahlkampf Versprochene Punkt für Punkt umsetzt. Das gibt nicht nur einen tiefen Einblick in die Glaubwürdigkeit des Politikbetriebes an sich, sondern auch in das Selbstverständnis, mit der offenbar eigene Wahlversprechen nach dem Stimmenauszählen zu behandeln sind. Es herrschte nicht nur Ratlosigkeit, sondern es fehlten sogar Kontaktdaten, wie man denn den Neuen in der Administration erreichen konnte.

„Wie die Suche nach einem Außerirdischen“15 überschrieben die Stuttgarter Nachrichten die Lage und das Bemühen, über die Republikaner mit Trump in Kontakt zu kommen. Was wie ein Witz klingt, lässt tief blicken. Niemand hatte einen Wahlsieg Donald Trumps für möglich gehalten, und als er dann eintrat, fehlten nicht nur die elementaren Voraussetzungen, um ins Gespräch zu kommen, sondern viele politisch Verantwortliche glaubten offenbar auch nicht daran, dass man längere Zeit mit Trump an der Spitze leben müsste und seinen gegen Freihandel und speziell Deutschland vorgetragenen Drohungen Taten folgen würden. Das Trauerspiel setzte sich fort, nachdem sich die führenden Politiker persönlich kennenlernten und Donald Trump voller Stolz wie ein Erstklässler jedes seiner neuen Dekrete mit Großunterschrift in die Kameras hielt. Viele glaubten, dass sich die außenpolitischen Leitlinien bald besser erkennen lassen würden. Spätestens nach dem Rauswurf von Rex Tillerson im März 2018 wurde klar, dass Trump sich nicht steuern lässt und die Unberechenbarkeit das entscheidende Markenzeichen seiner Politik bleiben wird. Der als „Rexit“16 erwartete Schritt des Rauswurfs oder Rücktritt des US-Außenministers wurde schon deshalb wahrscheinlich, weil Tillerson den Präsidenten im vertraulichen Kreis „Schwachkopf“ nannte und sich nichts schneller verbreitet als Gossip.

Drei Fallen behindern den Westen

In der Geschichte des Westens17 gab es bisher wohl kaum eine Krise, die mit der gegenwärtigen Situation vergleichbar wäre. Das liegt vor allem an drei Faktoren:

1.Den lang anhaltenden ungelösten Konflikten durch überwiegend islamistisch motivierte Terrorangriffe in den Zentren des Westens inklusive den nicht gewinnbaren Kriegen von Afghanistan bis Syrien und in afrikanischen Staaten sowie den damit einhergehenden, Europa destabilisierenden Flüchtlingsströmen. Die Gefangenheit in der Terror- und Migrationsfalle schwächt den Westen geopolitisch, weil die damit verbundenen erhöhten Ängste und Sorgen dazu zwingen, permanent die Sicherheitsanstrengungen zu erhöhen und schon erreichte Fortschritte in der Mobilität, im Datenaustausch und Internet, der Reisefreiheit, der freien Meinungsäußerung usw. einzuschränken. Sobald Terrorverdacht besteht, ist jedes Mittel Recht und werden viel beschworene westliche Werte unter der Fahne der Antiterrormaßnahmen ignoriert, wodurch die Gewaltspirale wächst, statt eingedämmt zu werden.

2.Der über Jahrzehnte verfolgten Strategie der Produktionsverlagerung in sogenannte Billiglohnländer insbesondere nach Asien und der westlichen Konzentration auf den „Blaupausen- bzw. Designexport“ inklusive Entwicklung einer überproportional profitablen „Finanzindustrie“ gegenüber der „Realwirtschaft“ mit entsprechenden Folgen für den Erhalt und die Modernisierung von Arbeitsplätzen im Industriesektor inklusive der Fachkräfteausbildung. Diese hier verkürzt Verlagerungsfalle genannte Outsourcing- und Strukturveränderungsstrategie führte in allen westlichen Staaten dazu, dass die Lohnarbeits-Karawane auf der Suche nach den billigsten Arbeiterinnen und Arbeitern weiter um den Globus wanderte. Nun stößt sie aber selbst in China auf höhere Lohnforderungen als etwa in Vietnam, Bangladesch oder in Afrika. Diese Verlagerungsstrategie führte im Falle Chinas und Amerikas zu dem von Niall Ferguson und Moritz Schularick 2006 geprägten Terminus „Chimerica“ als Ausdruck der ursprünglich nicht beabsichtigten Symbiose der Volkswirtschaften.18 Wie sie sich bei ernsthaften Konflikten auflösen kann, ist bisher unerforscht, genauso wie etwa ein Abbruch der über Jahrzehnte stabilen Gaslieferungen aus Russland in die EU und nach Deutschland.

3.Den Westen behindern zunehmend die überregulierten Genehmigungsund Zulassungssysteme für neue Produkte, Technologien und Dienstleistungen inklusive vielfach ordnungspolitisch legitimierter Einspruchsmöglichkeiten der Bevölkerung bei Genehmigungsverfahren aller Art, kleinen und großen Bauvorhaben wie etwa dem Berliner neuen Flughafen in Schönefeld. Gleiches gilt für Umweltschutz- und Sozialauflagen und selbst viele Modernisierungen an vorhandenen Objekten bis hin zu Auflagen, die völlig überzogen und nachweislich nur kostentreibend wirken. Diese hier vereinfacht Mitsprachefalle genannte Problematik behindert staatliche Entscheidungen und verlängert die notwendigen Genehmigungen keinesfalls nur bei Großprojekten, sondern auch öfter im regionalen Bereich.

Es ist offensichtlich bisher zu wenig erforscht, warum ein zentralstaatlich geleitetes Regulierungssystem in Innovationsprozessen gegenüber einem demokratisch legitimierten permanenten Auseinandersetzen mit Widerspruchsverfahren bislang scheinbar relativ gut funktioniert.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die geopolitische Zeitenwende viel näher ist als viele glauben. Sie muss über die wirtschaftspolitischen Themen hinausgehend die Frage der globalen Friedenssicherung und des Klimawandels sowie der sozialen Ungleichheit und Armutsbekämpfung einschließen. Das muss keine Ängste auslösen, wie Xi Jinping auf seinen Auslandsreisen betont. Es muss nur ernsthafter als bisher analysiert und strategisch beachtet werden.19

Konsequenzen der selektiven US-Strafzollpolitik für den Welthandel

Von Beginn seiner Regierungszeit an drohte Trump den anderen Staaten mit der Einführung von Strafzöllen und protektionistischen Maßnahmen. Das sollte vor allem dem Schutz der einheimischen Industrie und dem Wiederbeleben von Industrieregionen dienen, die als „Rust-Belt“ Muster für unbewältigten Strukturwandel in den USA darstellen. Auch wenn formal die Drohungen vor allem gegen China und Russland gerichtet waren, blieb es illusionär zu glauben, dass Trump dauerhaft Europa oder genauer der EU Ausnahmen gewähren würde. So äußerte sich schon Macron nach seinem Staatsbesuch Ende April 2018 zurückhaltend. Die Kurzreise der Kanzlerin für ein Zweieinhalbstunden-Gespräch mit Trump begleiteten von Anfang an pessimistische Einschätzungen.

Trump nutzte wie stets die Chance, lautstark über die Ungerechtigkeiten im Außenhandel speziell mit Deutschland zu lamentieren und zu fordern, die deutsche Exportpolitik zurückzuschrauben. Obwohl Deutschland dieser Forderung auf politischem Wege oder per Dekret nicht nicht nachkommen kann, erstaunt, wie wenig man hierzulande vorliegende Studien zu den wachsenden protektionistischen Maßnahmen der USA ernst genommen hat. Laut Global Trade Alert Data nahmen deren diskriminierende Maßnahmen zwischen 2009 und 2017 von 1047 auf 1191 zu. Das entspricht fast einer Verzehnfachung und wurde offenbar nirgends als Alarmzeichen gewertet.20 Die USA stehen damit an der Spitze der G-20-Staaten, gefolgt von Indien und Russland.

Historische Vorbilder der Zollpolitik

Die jahrtausendealte Zollpolitik hatte zu antiken Zeiten bekanntlich ursprünglich lokale Wurzeln als Weg- und Warenzoll und erfuhr erst im 19. und 20. Jahrhundert seine internationale regulatorische Dimension. Das GATT vom 30. Oktober 1947 („General Agreement on Tariffs and Trade“) setzte hierfür die Maßstäbe als Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen unter dem Dach der Vereinten Nationen. Ziel war die Ausweitung des weltweiten Warenverkehrs ohne Zollbelastung und sonstige Handelsschranken.21 Das GATT wurde zum 1. Januar 1995 von der WTO, der World Trade Organization (Welthandelsorganisation) auf maßgebliches Drängen der USA abgelöst.

Das kritische Verhältnis von Donald Trump zu dieser Organisation ist genauso bekannt wie seine Auffassung über ungerechte Zölle und Benachteiligungen für die amerikanische Wirtschaft. Und tatsächlich liegen die durchschnittlichen Importzölle der USA bei 3,5 Prozent gegenüber europäischen von 5,2 Prozent. Sein „America first“ kam und kommt gut bei vielen seiner Wähler an, so verunsichert der Rest der Welt auch auf die Wiedergeburt des Protektionismus ausgerechnet im freisten Land der Welt schaut. Trumps Vorwürfe, dass insbesondere China und Deutschland mit unfairen Mitteln Vorteile im internationalen Handel erreichen, sind keineswegs neu. Sie begründen sich aus hohen Überschüssen der Exporte beider Länder bzw. der EU und Chinas gegenüber den USA. Die Strafzölle auf Aluminium und Stahl wurden zunächst bis zum 1. Mai 2018 außer Kraft gesetzt, dann noch einmal im letzten Moment um einen Monat verlängert, bevor sie dann endgültig in Kraft gesetzt wurden. Die Bundesregierung versuchte im Rahmen eines Blitzbesuches Ende April das Schlimmste zu verhindern und will, wenn nicht alles so bleibt wie bisher, über Industriezölle im Paket neu verhandeln. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes Wiesbaden führte Deutschland für 50,5 Milliarden Euro mehr Waren in die USA aus, als von dort importiert wurden.22

An den Fakten des Handelsdefizites der USA gibt es wenig zu rütteln, außer dass es – zumindest im Verhältnis zur EU – durch einen Überschuss in der Dienstleistungsbilanz weitestgehend kompensiert wird. Auch lässt Trump sich wenig dadurch beirren, dass mit der einseitigen Einführung von Strafzöllen seitens der USA praktisch die gesamte Architektur der internationalen Handelsabkommen zum Einsturz gebracht wird. Trumps bekundete Absicht, gegebenenfalls mit den einzelnen Staaten neue separate Abkommen zu verhandeln, scheitert am EU-Recht und beanspruchte großen zeitlichen Aufwand. Experten raten dazu, das nicht zu Ende verhandelte transatlantische Handelsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) wieder zu beleben. Allgemein zu erwarten, dass Donald Trump seine Auffassungen von fairem und liberalem Handel ändern würde, sei illusionär. Solange seine Überzeugung darin besteht, „über den Tisch gezogen zu werden“, wird er kaum nachlassen. Hier schimmert dann allerdings auch eine Lösung durch: China und die EU sollten in Ruhe analysieren, welche Argumente von Trump berechtigt sind – und gegebenenfalls ihre Politik anpassen.

Negative Auswirkungen auf die Weltwirtschaft

International wird sich das selektive Vorgehen der US-Regierung gegen einzelne Staaten, allen voran China und Deutschland bzw. die EU, negativ auf die Weltwirtschaft auswirken. Auch wenn Streitigkeiten um Handelsbarrieren, Zollhöhen und unfaire Regulierungspraktiken keineswegs neu und auch gegenüber China vorhanden sind, sollten sie über die Welthandelsorganisation geregelt werden. Gerade die USA als Initiatorin der Organisation wenden sich nun von ihr ab. Wie sollen dann andere Staaten davon abgehalten werden, eigene neue protektionistische Regeln durchzusetzen? Das Verschieben der Strafzölle um einen Monat verlängerte das Pokern, betraf nicht allein die EU, sondern auch die Nachbarstaaten der USA, Kanada und Mexiko. Auf Stahl wurden 25 Prozent und auf Aluminium 10 Prozent Strafzölle erhoben. Mit Südkorea wurde eine Einigung im Rahmen des gemeinsamen Freihandelsabkommens erreicht. Mit weiteren Staaten wie Brasilien, Australien und Argentinien sollen die Verhandlungen finalisiert werden.

„In all diesen Verhandlungen konzentriert sich die Administration auf die Einführung von Quoten, welche die Importe begrenzen, Transitlieferungen aus Drittländern verhindern und die Nationale Sicherheit der USA gewährleisten“, berichtete ZEIT online über eine Erklärung des Weißen Hauses.23

Obwohl die Diskussionen über Trumps Strafzölle weltweit und in Europa hohe Wellen schlagen, darf nicht übersehen werden, dass die geradezu genervt scheinenden Reaktionen seitens der Europäischen Union nicht so berechtigt sind, wie durch die Medien vermittelt wird. Viele strittige Fragen sollten bereits im nicht abgeschlossenen transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP geregelt werden, das wiederum auch von Trump abgelehnt wurde. Auch in Deutschland und anderen europäischen Staaten gab es erbitterte Proteste gegen dieses Abkommen.

Außerdem verweist Trump in seinen Reden nicht zu Unrecht auf bestehende große Differenzen im derzeitigen Zollsystem. Während Autoimporte aus der EU und damit Deutschland gegenwärtig in den USA nur mit 2,5 Prozent Zoll belegt sind, erheben wir für US-Autos 10 Prozent. Derartige Beispiele unterstreichen anschaulich, was Donald Trump seinen Wählern als unfaire Handelsformen vor Augen hält und damit gut im eigenen Land punktet. Schon Barack Obama hatte auf bestehende Widersprüche im Handel mit der EU verwiesen und vor allem Deutschland aufgefordert, seine hohen Handelsüberschüsse durch geeignete innenpolitische Maßnahmen, besonders höhere Löhne, abzuschmelzen. Auch die Währungsparitäten werden als keineswegs austariert betrachtet, und es werden Forderungen nach einer Aufwertung des Euros laut.24

Späte Reaktionen in der EU und Deutschland

Geschehen ist innenpolitisch in Deutschland wenig bis nichts. Die jetzige Situation ist daher auch hausgemacht und man könnte seitens der EU größere Flexibilität erwarten. Das ständige Wiederholen bekannter Positionen und Androhen von Gegenmaßnahmen hilft wenig, einen neuen globalen Handelskrieg zu verhindern. Auch die Gespräche bzw. Telefonate zwischen der EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström mit US-Handelsminister Wilbur Ross brachten keine Einigung. Anstelle gegenseitiger Vorwürfe wäre die Übernahme einer Mitverantwortung durch die Europäer für die unterschiedlichen Positionen hilfreicher. Die EU hatte eine Einigung auf Obergrenzen wie auch jede andere Bedingung der USA abgelehnt. Das Hauptziel ist lediglich eine grundsätzliche Ausnahme für die EU hinsichtlich der Zölle zu erreichen, ohne sich um die Konsequenzen für den internationalen Handel zu kümmern. Eine solidarische Politik mit dem wichtigen Handelspartner China ist das nicht, sondern auch nur ein versteckter EU-Protektionismus.

Natürlich wirkt es nervenzehrend, dass die Entscheidung für eine nochmalige Verlängerung der Diskussion um die beabsichtigten Strafzölle auf Stahl und Aluminium in Washington nur knapp vier Stunden vor Inkrafttreten der Zölle getroffen wurde. Die EU hat bereits Gegenmaßnahmen bezüglich Motorrädern, Bourbon Whiskey oder Jeans eingeleitet, deren Wirksamkeit jedoch aufgrund der höheren Markenbindung und der entsprechend geringeren Nachfrageelastizität bezweifelt werden. Die Begründungen der USA für Strafzölle auf Stahl und Aluminium insbesondere hinsichtlich der dadurch gefährdeten nationalen Sicherheit wirken an den Haaren herbeigezogen, denn es handelt sich bei den EU-Staaten um NATO-Partner und Bezieher amerikanischer Rüstungsgüter.

Konsequenzen protektionistischer Maßnahmen

In einer Studie des ifo-Instituts im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung wird deutlich, welche Konsequenzen die neue protektionistische Handelspolitik hat.25 Darin heißt es: „Die ökonomischen Konsequenzen einer durch die USA inthronisierten protektionistischen Handelspolitik wurden in dieser Debatte bisher nicht umfassend quantifiziert. Auch ist davon auszugehen, dass eine Abschottung des US-Marktes in der Welt nachgeahmt wird und eine weltweite Zunahme der Handelsprotektion nach sich zieht. Es droht im schlimmsten Fall eine Kettenreaktion von protektionistischen Maßnahmen, die zum Scheitern des multilateralen Handelssystems führen kann.“26

Darüber hinaus zeigt sich an der US-amerikanischen Aufkündigung des Iran-Abkommens und der damit verbundenen Androhung von Strafmaßnahmen an EU-Unternehmen, wenn sie weiter mit dem Iran Geschäfte machen oder neue anbahnen, eine rücksichtslose Politik gegenüber den engsten westlichen Verbündeten. Die Versprechen von EU-Haushaltskommissar Günter Oettinger, davon betroffenen Unternehmen finanziell helfen zu wollen, klingen vage, denn keiner weiß bisher in Brüssel, wie das realistisch geschehen könnte.

Dynamik Chinas als neue Großmacht im internationalen Wettbewerb

In den letzten vier Jahrzehnten hat sich der Aufschwung Chinas dank der Öffnungspolitik von Deng Xiaoping kontinuierlich fortgesetzt. Der 19. Kongress der KP Chinas im Herbst 2017 begründete die Nachhaltigkeit dieser Strategie, was vom Volkskongress im Frühjahr 2018 bestätigt wurde. Präsident Xi sprach von einer neuen Phase der Reform und Öffnung, wenn auch mit verlangsamtem Wachstumstempo von zuletzt nur ca. 6,5 Prozent. Diese Position wurde in Boao beim Wirtschaftsforum Asiens – als Gegenstück zum Davoser Wirtschaftsforum – von Präsiden Xi Jinping wiederholt.

„Chinas Tore der Öffnungspolitik werden nicht geschlossen, sondern nur noch weiter aufgestoßen“, sagte Xi Jinping auf der Konferenz. „Öffnung führt zu Fortschritt, Zurückgezogenheit lässt einen zurückfallen.“ China verfolge eine stärkere Verbundenheit mit dem Rest der Welt und wolle eine Globalisierung fördern, die offen und vorteilhaft für alle sei. „Wir werden den Marktzugang bedeutend ausweiten“, versprach Xi Jinping.27 Auch wenn dazu noch konkrete Maßnahmen weitgehend fehlen, gehen viele davon aus, dass China sein globales Entwicklungsmodell der Öffnung und Vernetzung konsequent weiter entwickeln wird.

Neue Rolle Chinas in der Weltwirtschaft

Die neue Rolle Chinas in der Weltwirtschaft wurde in vielen Publikationen vor allem in der ersten Dekade des neuen Jahrtausends mit Sorge beleuchtet. Typisch dafür ist James Kynges Buch „China Shakes The World.“28 Im Deutschen wirkt das Wort „schüttelt“ oder auch „rüttelt“ die Welt noch bedrohlicher. Das Buch beschreibt den Aufstieg einer hungrigen Nation in neun Kapiteln sachlich mit zahlreichen Beispielen und gewann den Business Book Award 2006 in Großbritannien.

Der Vergleich des Aufstiegs von industriellen Großstädten wie Chongqing im Südwesten Chinas, heute größte Stadt der Welt mit über 32 Millionen Einwohnern, gegenüber Chicago mit maximal drei Millionen in der Metropolregion zeigt den gravierenden Unterschied. Ähnliches gilt für das High-Tech-Zentrum Shenzhen als Sonderwirtschaftszone im Vergleich zu Hongkong. Erst vor drei Jahrzehnten gegründet, wohnen und arbeiten in Shenzhen vor allem junge kreative Leute aus der Elektronik- und Unterhaltungsbranche.

Im aufstrebenden China vollzieht sich alles rascher und ungestümer29