Im dunklen Tal 1 - Tad Williams - E-Book
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Im dunklen Tal 1 E-Book

Tad Williams

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Beschreibung

»Ein meisterhafter Geschichtenerzähler« Brandon Sanderson Die Geschichte von Osten Ard reicht tief zurück in eine uralte Vergangenheit. Auch wenn die Menschen hier ihre Königreiche, die miteinander im Streit liegen, errichtet haben, droht doch immer wieder Gefahr von den unberechenbaren Wesen, die alle Zeiten überdauert haben.  Der Hochthron von Erkynland wackelt, die königliche Familie ist gespalten und geschwächt. Königin Miriamel wurde in einen brutalen Aufstand im Süden verwickelt. Ist sie, wie man glaubt, tatsächlich bei einem Überfall in ihrer eigenen Kutsche verbrannt? Und der Thronfolger und Enkel Morgan wurde von einer Soldatin Utuk'kus in den Ruinen einer verlassenen Stadt gefangengenommen. König Simon aber versinkt in Trauer und Hoffnungslosigkeit, ohne dass er weiß: Hinter vielen dieser Katastrophen steckt ein übler Verräter am eigenem Hof im Hochhorst... »Bahnbrechend« Patrick Rothfuss »Inspirierte mich dazu, selbst eine siebenbändige Trilogie zu schreiben ... Es ist eine meiner liebsten Fantasy-Serien.« George R. R. Martin »Ein fesselndes Epos mit einer Mischung aus Abenteuer, Intrige und Magie« LOCUS

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Seitenzahl: 709

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Cover for EPUB

Tad Williams

Im dunklen Tal 1

Der letzte König von Osten Ard 3

Aus dem Amerikanischen von Cornelia Holfelder-von der Tann und Wolfram Ströle

Klett-Cotta

Impressum

Wegen des großen Textumfangs erscheint Im dunklen Tal. Der letzte König von Osten Ard 3 in zwei Teilbänden.

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Hobbit Presse

www.hobbitpresse.de

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Into the Narrowdark.

The Last King of Osten Ard« im Verlag DAW Books, New York

© 2022 by Beale Williams Enterprise

© Karten by Isaac Stewart

Für die deutsche Ausgabe

© 2023 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Cover: Birgit Gitschier, Augsburg

Illustration: © Max Meinzold, München

Gesetzt von C.H.Beck.Media.Solutions, Nördlingen

Gedruckt und gebunden von GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-608-98736-2

E-Book ISBN 978-3-608-12200-8

Widmung

Es ist noch dieselbe Geschichte, nur in verschiedene Bände aufgeteilt, deshalb bleibt die Widmung dieselbe wie für die beiden ersten Bücher, nämlich:

Ich widme diese Bücher meinen Lektorinnen und Verlegerinnen Betsy Wollheim und Sheila Gilbert und meiner Frau und Partnerin Deborah Beale. Ich kann mir nicht vorstellen, wie mein Leben ohne sie aussehen würde, und schon gar nicht, dass diese Bücher ohne sie entstanden wären.

Inhalt

Vorwort

Erster Teil

Zeit des Sammelns

1

 Die scharfe Schneide

2

 Wölfe an der Tür

Hakatri

Erstes Intermezzo

3

 Mummenschanz

4

 Ein Weg nach draußen

5

 Eine Hütte am Fluss

6

 Pfeilträger

7

 Ein lästiger Priester

8

 Aufstieg

9

 Ein alter Bekannter

10

 Blut und Poesie

11

 Wolkenfuß

12

 Krähe im Gebälk

13

 Frische Wunden

14

 Ein Gesicht, das nicht einmal Gott lieben könnte

15

 Eine Spur von Hexenholz

16

 Ädons Segen

17

 Ein bisschen verwirrend

18

 Die Gräber seiner Leute

19

 Die Goldenaug

20

 Die offene Tür

21

 Nadel

Bemerkung des Autors zur Trilogie in vier Bänden

Dank

Glossar

Personen

Erkynländer

Hernystiri

Nabbanai

Nornen (Hikeda’ya)

Perdruineser

Qanuc

Rimmersgarder

Thrithingbewohner

Sithi (Zida’ya)

Tinukeda’ya

Wranna

Andere

Geschöpfe

Orte

Sonstige Namen und Begriffe

Sterne und Sternbilder

Die Feiertage

Die Wochentage

Die Monate

Wurfknöchel

Die acht Schiffe

Orden der Hikeda’ya

Die Clans der Thrithinge (und ihr Thrithing)

Wörter und Sätze

Hernystiri

Nornen (Hikeda’yaso)

Qanuc

Sithi (Zida’yaso)

Sprache der Thrithinge

Anderes

Zusammenfassung von Die Hexenholzkrone 1 und 2

Über dreißig Jahre sind in Osten Ard vergangen, seit der verheerende Sturmkönigskrieg endete – ein Krieg, der beinahe das Ende der Menschheit bedeutet hätte. König Simon und Königin Miriamel, beim Sieg über den Sturmkönig fast noch Kinder, herrschen jetzt auf dem Hochthron über die Länder der Menschen, aber sie haben den Kontakt zu ihren einstigen Verbündeten, den unsterblichen Sithi, verloren. Tanahaya, die erste Sithi-Gesandte seit Kriegsende, wird auf ihrem Weg zum Hochhorst, dem Sitz des Hochkönigspaars, aus dem Hinterhalt überfallen und durch Giftpfeile schwer verletzt.

Während der Gelehrte Tiamak, Ratgeber und enger Freund des Hochkönigspaars, zusammen mit seiner Frau Thelía das Leben der Sitha zu retten versucht, sind Miriamel und Simon auf einer Hochkönigsreise, die sie zuerst in das Nachbarland Hernystir und zu dessen König Hugo führt. Hugo und seine neue Geliebte, Gräfin Tylleth, irritieren das Hochkönigspaar mit ihrem Verhalten. Königinwitwe Inahwen warnt Graf Eolair, die Hand des Throns, dass Hugo und Tylleth den Kult der Morriga wiederbelebt haben, einer mörderischen alten hernystirischen Göttin.

Auch auf der Hochkönigsreise hat Prinz Morgan, Simons und Miriamels Enkel, nichts anderes im Kopf, als mit seinen Kumpanen Astrian, Olveris und dem alten Porto zu trinken und sich mit jungen Frauen zu amüsieren. Morgans Vater, Prinz Johan Josua – Simons und Miriamels einziges Kind – ist vor einigen Jahren an einer seltsamen Krankheit gestorben. Hinterblieben sind seine Kinder Morgan und die kleine Lillia, seine Witwe Idela und das immer noch trauernde Hochkönigspaar.

Wenn Tiamak gerade nicht die vergiftete Sithi-Gesandte pflegt, sammelt er Bücher für eine Bibliothek, die er zum Gedenken an Johan Josua errichten will. Als sein Gehilfe Bruder Etan die Habseligkeiten des verstorbenen Prinzen durchsieht, findet er ein verbotenes, verrufenes Buch: Abhandlung über die ätherischen Flüsterstimmen. Tiamak ahnt Böses, weil die Abhandlung einst dem Schwarzmagier Pryrates gehörte, der zusammen mit dem Sturmkönig die Vernichtung der Menschheit plante, was allerdings scheiterte.

Der Friede, der Simons und Miriamels Herrschaftszeit prägte, ist zunehmend bedroht. Im eisigen Norden, in der Höhlenstadt Nakkiga unter dem Berg Sturmspitze, ist die Nornenkönigin Utuk’ku aus einem langen magischen Schlaf erwacht. Ihr wichtigster Getreuer, der Zauberer Akhenabi, beordert Viyeki, den Großmagister der Bauleute, zu einer Audienz bei der Königin, die erklärt, dass sie einen neuen Angriff auf die Sterblichenlande plant. Bei einer bizarren Zeremonie wird Ommu, eine Dienern des Sturmkönigs, die beim gescheiterten Angriff der Nornen auf den Hochhorst umkam, von der Nornenkönigin wieder zum Leben erweckt.

In Elvritshalla, der Hauptstadt von Rimmersgard, treffen Simon und Miriamel ihren alten Verbündeten Sludig und dessen Frau Alva sowie ihre Qanuc-Freunde Binabik und Sisqi wieder. Sie lernen auch die Tochter des Trollpaars, Qina, und deren Verlobten Klein-Snenneq kennen.

Das Hochkönigspaar kommt gerade noch rechtzeitig nach Elvritshalla, um Abschied vom sterbenden Herzog Isgrimnur zu nehmen, der Simon und Miriamel zuletzt noch bittet, die Suche nach Prinz Josua (Miriamels Onkel, Simons Mentor und Johan Josuas einem Namenspaten) sowie dessen Frau Vara und den Zwillingskindern Derra und Deornoth wieder aufzunehmen – alle vier sind vor zwanzig Jahren auf ungeklärte Art verschwunden. Klein-Snenneq, der von Binabik zum Singenden Mann ausgebildet wird, lernt Morgan kennen und prophezeit, dass er für Morgan genauso wichtig werden wird, wie es Binabik für dessen Großvater, König Simon, war.

Auf einer Burg in Südrimmersgard, wo das Hochkönigspaar und sein Hofstaat auf der Rückreise übernachten, wird Simon bewusst, dass er seit langem nicht mehr geträumt hat. Zur Abhilfe gibt ihm Binabik einen Talisman. In dieser Nacht träumt Simon von seinem toten Sohn und von der Stimme des Mädchens Leleth, die er schon vor dreißig Jahren in Träumen gehört hat. Leleth sagt: »Die Kinder kehren zurück.« Nachdem Simon durch sein Schlafwandeln den ganzen Haushalt erschreckt hat, zerstört Miriamel den Talisman, und Simon verliert wieder die Fähigkeit zu träumen.

Noch weiter im Norden wird die Opfermutige Nezeru, Tochter des Nornenadligen Viyeki und seiner menschlichen Geliebten Tzoja, als Teil einer »Hand« genannten Gruppe von Nornenkriegern ausgeschickt, die Gebeine von Hakatri, dem Bruder des besiegten Sturmkönigs Ineluki, nach Nakkiga zu holen. Angeführt von Makho finden Nezeru und ihre Kameraden die Gebeine, die von den sterblichen Inselbewohnern verehrt werden, und entführen sie. Auf der Flucht vor den Inselbewohnern schafft es Nezeru nicht, ein Kind zu töten, und wird dafür von Makho streng bestraft.

Doch bevor die Hand die Gebeine nach Nakkiga bringen kann, trifft sie auf den Erzzauberer der Königin, Akhenabi, der die Gebeine übernimmt und die Hand mit dem neuen Auftrag, das Blut eines lebenden Drachen zu beschaffen, auf den Berg Urmsheim schickt. Als Unterstützung gibt er dem Trupp den versklavten Riesen Goh Gam Gar mit.

Auf dem Weg zum Berg Urmsheim begegnet die Hand dem Sterblichen Jarnulf, der einst Sklave in Nakkiga war und geschworen hat, die Nornen und ihre unsterbliche Königin Utuk’ku zu vernichten. Da die Hand ihren Echo – ihren ausgebildeten Nachrichtenübermittler – verloren hat, kann Jarnulf die Nornen überzeugen, ihn als Führer mitzunehmen, wobei er jedoch seine eigenen Ziele verfolgt. Der Trupp zieht zu dem Berg, der die letzte bekannte Heimstatt von Drachen ist, und unterwegs hört Jarnulf die Nornen darüber reden, dass ihre Königin die Sterblichen besiegen will, indem sie etwas namens »Hexenholzkrone« zurückerlangt.

In Zentralrimmersgard trifft die Nornenhand auf die königliche Reisegesellschaft, und Jarnulf kann Miriamel und Simon heimlich die Botschaft zukommen lassen, dass die Nornenkönigin nach der geheimnisvollen Hexenholzkrone sucht. Simon, Miriamel und ihre Ratgeber sind alarmiert: Sie haben genügend Anzeichen für die wiedererwachte Aggression der Nornen wahrgenommen, um Jarnulfs Botschaft ernst zu nehmen, obwohl sie noch nie von ihm gehört haben.

In Nabban kümmert sich eine Wranna namens Jesa um Serasina, die kleine Tochter von Herzog Saluceris und Herzogin Canthia, loyalen Verbündeten des Hochthrons. Allerdings ist Nabban wachsenden Spannungen ausgesetzt: Graf Dallo Ingadaris paktiert mit dem Bruder des Herzogs, Graf Drusis. Sie schüren die Angst vor den nomadischen Thrithingbewohnern, deren Lande an Nabban grenzen. Drusis beschuldigt Saluceris, zu feige zu sein, um die Barbaren in ihre Schranken zu weisen und tiefer in ihr Grasland zurückzutreiben.

Unterdessen überfallen Thrithingmänner eine nabbanaische Siedlung. An dem Überfall beteiligt sind der grauäugige Unver, ein adoptiertes Mitglied des Kranich-Clans, und sein Clanbruder Fremur. Bei der anschließenden Flucht rettet Unver Fremur das Leben, vielleicht auch, weil er sich Hoffnungen macht, Fremurs Schwester Kulva heiraten zu können.

Der hernystirische Ritter Aelin erreicht die königliche Reisegesellschaft mit Briefen für seinen Großonkel, den Grafen Eolair. Großkanzler Pasevalles, Eolairs temporärer Vertreter auf dem Hochhorst, schreibt von seinen Befürchtungen Nabban betreffend, und Königinwitwe Inahwen von Hernystir berichtet, dass König Hugo und Gräfin Tylleth immer offener die Verehrung finsterer alter Gottheiten betreiben. Eolair schickt Aelin mit diesen schlechten Nachrichten zu einem vertrauenswürdigen Verbündeten, dem Grafen Murdo. Doch wegen eines Unwetters übernachten Aelin und seine Männer in einer Grenzfestung unter dem Befehl von Baron Curudan, einem Hauptmann der Elitetruppe König Hugos. In der Nacht sieht Aelin außerhalb der Festung schemenhaft ein großes Heer von Nornen, und er beobachtet, wie Curudan sich mit diesen schlimmsten Feinden der Menschheit trifft. Doch ehe Aelin und seine Männer losreiten und diesen Verrat melden können, werden sie von Curudans Soldaten festgesetzt.

In der Nornenstadt Nakkiga wird Viyeki mit seinen Bauleuten von Akhenabi auf eine geheime Mission in die Sterblichenlande geschickt, begleitet von einer kleinen Nornenstreitmacht. Tzoja erkennt, dass sie in Viyekis Abwesenheit in Lebensgefahr ist, denn Viyekis Frau Khimabu hasst sie, weil Tzoja ihm ein Kind – Nezeru – geboren hat, während Khimabu keines bekommen konnte. Tzoja weiß, sie muss fliehen, wenn sie überleben will.

Als Tzoja an ihre Zeit bei den Astalinischen Schwestern in Rimmersgard und an ihre Kindheit in Kwanitupul zurückdenkt, wird klar, dass sie in Wirklichkeit Derra ist, eins der verschwundenen Zwillingskinder des Prinzen Josua und seiner aus den Thrithingen stammenden Frau Vara. Tzoja flieht in Viyekis leerstehendes Festzeithaus an einem See in einer Höhle tief unter der Stadt.

Als die königliche Reisegesellschaft wieder auf dem Hochhorst ist, ersuchen Simon und Miriamel den Ratgeber Tiamak, Isgrimnurs letzte Bitte zu erfüllen und eine neue Suche nach Prinz Josua und dessen Familie einzuleiten. Tiamak schickt seinen Gehilfen Bruder Etan in den Süden, um herauszufinden, was vor zwanzig Jahren passiert ist.

Indessen erklettert Morgan, von Snenneq herausgefordert, den verrufenen Hjeldinsturm und kommt dabei beinahe um. Er glaubt, ganz oben im Turm den längst verstorbenen Pryrates gesehen zu haben, und nimmt Klein-Snenneq ein Schweigeversprechen ab.

Die Anzeichen für neue Angriffspläne der Nornen mehren sich und Simon und Miriamel erkennen, dass diese uralten Feinde mit ihren magischen Kräften zu stark sind, um ihnen allein entgegenzutreten. Daher beschließen sie, Kontakt mit den Sithi aufzunehmen, speziell mit ihren alten Verbündeten Aditu und Jiriki. Auf Simons Drängen willigt Miriamel widerstrebend ein, Prinz Morgan mit Eolair und einem Trupp Soldaten in den Wald Aldheorte zu schicken, um die Sithi zu finden und ihnen die Gesandte Tanahaya zu übergeben, damit sich Sithi-Heilerinnen weiter um sie kümmern können.

Viyeki zieht von Nakkiga in Richtung der Sterblichenlande, begleitet von einer Nornenstreitmacht, die die Sterblichenfestung Naglimund anzugreifen plant. Viyeki erfährt, dass er und seine Bauleute das unter der Festung gelegene Grab des legendären Tinukeda’ya Ruyan Ve ausgraben und dessen magische Rüstung bergen sollen. Viyeki kann sich nicht vorstellen, wie das gehen soll, ohne einen neuen Krieg mit den Sterblichen zu verursachen. Die Tinukeda’ya oder »Wechselwesen« kamen einst mit den Sithi und Nornen nach Osten Ard, sind aber von anderer Art als diese Unsterblichen. In Osten Ard haben die Tinukeda’ya vielerlei Gestalt angenommen und verschiedene Aufgaben erfüllt.

Prinz Morgan und Graf Eolair können schließlich am Rand des Aldheorte tatsächlich Kontakt mit den Sithi aufnehmen. Die Unsterblichen haben ihre Siedlung Jao é-Tinukai’i verlassen, und ihre Matriarchin Likimeya ist, nachdem sie von Sterblichen angegriffen wurde, in einen tiefen, magischen Schlaf gefallen. Khendraja’aro aus dem herrschenden Sithi-Geschlecht namens »Haus der Tanzenden Jahre« hat sich selbst zum Protektor seines Volkes ernannt und weigert sich, den Sterblichen zu helfen, was zu Reibereien mit Likimeyas Kindern Jiriki und Aditu führt. Aditu ist schwanger, bei den Sithi eine Seltenheit. Der Kindsvater ist Yeja’aro, Neffe und militanter Anhänger Khendraja’aros.

In den Thrithingen tötet Unver seinen Rivalen um Fremurs Schwester Kulva im Zweikampf. Kulvas Bruder, Than Ordrig, will seine Schwester jedoch keinem Außenseiter geben und schneidet ihr stattdessen die Kehle durch. Unver tötet Odrig, flieht aus dem Kranich-Clan und kehrt in den Hengst-Clan seiner Mutter Vara zurück. Unver, so erfahren wir, ist in Wirklichkeit Deornoth, das andere Zwillingskind von Josua und Vara. Als Unver von seiner Mutter wissen will, warum er weggeschickt wurde und wo seine Schwester geblieben ist, erklärt ihm Vara, er sei auf Befehl ihres Vaters, des Thans Fikolmij, weggeschickt worden und Derra sei kurz danach weggelaufen.

Than Gurdig, Ehemann von Varas Schwester Hyara und Fikolmijs Nachfolger, greift Unver an, und in der allgemeinen Verwirrung tötet Vara ihren inzwischen alten und siechen Vater Fikolmij. Ein riesiger Krähenschwarm taucht aus dem Nichts auf und attackiert Gurdig und seine Männer, woraufhin viele Thrithingbewohner behaupten, Unver sei der neue Shan, der Herrscher über die gesamten Thrithinge. Unver tötet Gurdig und wird neuer Than des Hengst-Clans.

Hoch im Nordosten schaffen es Makhos Hand und Jarnulf, einen jungen Drachen zu fangen, aber der Mutterdrache taucht auf und es gibt einen Kampf, bei dem Handführer Makho von Drachenblut schwer verbrannt wird und ein anderes Mitglied der Hand umkommt. Die Übrigen machen sich daran, den jungen Drachen den Berg hinabzutransportieren.

Eolair und Morgan kehren von der Mission bei den Sithi in ihr Lager am Rand des Aldheorte zurück, aber ihr Begleittrupp wurde inzwischen überfallen. Alle Soldaten sind getötet worden, und es sind immer noch Thrithingbewohner vor Ort, um zu plündern. Eolair und Morgan werden getrennt, und der Prinz irrt allein durch den Aldheorte.

Auf dem Hochhorst werden Simon und Miriamel zu einer wichtigen Hochzeit in das von Unruhen zerrissene Herzogtum Nabban eingeladen. In der Hoffnung, die Präsenz des Hochkönigspaars werde zur Schlichtung des Konflikts zwischen Herzog Saluceris und dessen Bruder Drusis beitragen, nehmen sie die Einladung an. Wegen der wachsenden Nornengefahr und beunruhigender Nachrichten aus Hernystir können sie nicht beide reisen, also beschließen sie, dass Miriamel zu der Hochzeit fährt und Simon auf dem Hochhorst bleibt.

Großkanzler Pasevalles trifft seine heimliche Geliebte, Johan Josuas Witwe Idela. Als sie ihm einen Brief aus Nabban gibt, den er verloren hat, sieht Pasevalles, dass das Siegel erbrochen ist. Er befürchtet, dass Idela den Brief gelesen hat, und stößt sie die Treppe hinunter. Als er feststellt, dass der Sturz sie nicht getötet hat, bricht er ihr das Genick.

Im Aldheorte erholt sich die Sitha Tanahaya endlich von ihrer schweren Vergiftung und ist nun wieder bei Jiriki und Aditu. Trotz ihrer Genesung sieht die Zukunft düster aus, denn es ist klar, dass die Nornenkönigin Utuk’ku einen Krieg gegen die Sithi und die Menschenwelt plant.

Zusammenfassung von Das Reich der Grasländer 1 und 2

Nach Jahren des Friedens versinkt Osten Ard in Chaos und Krieg. Und König Simon und Königin Miriamel haben sich zu einer Zeit, in der sie einander am meisten brauchen würden, weit auseinandergelebt.

Während Simon zu Hause auf dem Hochhorst in Erkynland bleibt, fährt Miriamel mit dem Schiff nach Nabban zu einer Hochzeit, die zwei mächtige Familien vereinen soll. Drusis, der streitbare Bruder von Herzog Saluceris, heiratet die junge Turi Ingadaris, deren Angehörige die größten Rivalen des Herzogs sind. Doch noch bevor Miriamel sich näher mit der Politik von Nabban befassen kann, kommt von zu Hause die schreckliche Nachricht vom Tod ihrer Schwiegertochter, Prinzessin Idela. Alle glauben an einen Unfall, doch in Wahrheit wurde Idela von Großkanzler Pasevalles ermordet.

Simon muss auf dem Hochhorst nicht nur mit dem Tod seiner Schwiegertochter fertigwerden, sondern auch mit dem Verschwinden seines Enkels, Prinz Morgan, des Thronerben. Morgan und Graf Eolair haben sich mit Jiriki und Khendraja’aro vom Volk der Sithi getroffen und sind dann im weiten Grasland westlich von Erkynland von Thrithingmännern überfallen worden. Eolair wurde gefangen genommen, Morgan ist in dem riesigen Waldgebiet Aldheorte verschwunden. Während der alte Ritter Porto und die vier Trolle Binabik, Sisqi, ihre Tochter Qina und deren Verlobter Klein-Snenneq Morgan suchen, droht der vermisste Prinz im Wald zu verhungern. Doch dann rettet er ein eichhörnchenähnliches Tier, das er Riri nennt und gesund pflegt. Anschließend lebt er mit Riri und deren Artgenossen, die er Tschikri nennt, in den Bäumen und lernt, in der fremden Umgebung zu überleben.

Graf Eolair wird von den Banditen, die ihn entführt haben, zum Thantreffen gebracht, zu dem alljährlich um Mittsommer die Thrithingbewohner zusammenkommen. In diesem Jahr hat der mächtigste Than, Rudur Rotbart, Berichte von Unver gehört (eigentlich »Deornoth«, eines der Zwillingskinder von Josua und Vara), den viele Grasländer für den Shan halten, einen großen Anführer, der in Sagen angekündigt wird. Der eifersüchtige Rudur nimmt Unver gefangen und verurteilt ihn zu Folter und Aussetzung, aber Unver, der grausam ausgepeitscht und über Nacht an einen Pfahl gekettet wird, überlebt und es finden sich Hinweise darauf, dass Wölfe ihn aufgesucht und ihm gehuldigt haben – zumindest ist das eine Geschichte, die sein Freund Fremur und seine Mutter Vara bei den Thrithingleuten verbreiten. Rudur gerät in Bedrängnis und will Unver vergiften, aber irgendwie gibt der Schamane Volfrag Rudur den falschen Becher und er trinkt das Gift selbst. Mit seinem Tod kommt Unver frei und wird zum Shan der Thrithingbewohner ausgerufen.

Unterdessen scheint es Königin Utuk’ku von den Nornen – den ebenfalls unsterblichen Verwandten der Sithi – nach dem Land der Sterblichen zu gelüsten. Sie denkt sogar trotz ihrer katastrophalen Verluste im Sturmkönigskrieg an einen regelrechten Angriff auf die Sterblichen. Die Nornen schließen ein Abkommen mit König Hugo, dem Sterblichenkönig von Hernystir, das es ihnen erlaubt, heimlich sein Land zu durchqueren. Sein Verrat an den Menschen wird allerdings von Ritter Aelin entdeckt, Graf Eolairs jungem Verwandten. Hugos Soldaten wollen Aelin und seine Männer einsperren, aber sie können fliehen und beschließen, andere vor Hugos Verrat und der heranrückenden Nornenarmee zu warnen.

Inzwischen macht sich Großmagister Viyeki, ein wichtiger Nornenführer, wegen Königin Utuk’kus Plänen zum ersten Mal wirkliche Sorgen. Nach der vernichtenden Niederlage der Nornen im letzten Krieg hält er einen zweiten Angriff auf die Sterblichen für eine schlechte Idee. Aber er ist nur einer von wenigen, die Zweifel haben, und bald stellt sich heraus, dass die Nornen Naglimund, die wichtige Festung der Sterblichen, angreifen wollen.

Ritter Aelin und seine Männer eilen nach Naglimund, um die dortige Garnison zu warnen, aber die Armee der Nornen trifft am Abend desselben Tages ein wie sie. Es kommt zu einem grausamen und kurzen Kampf. Die Nornen reißen die Mauern von Naglimund ein und töten die meisten Verteidiger. Es überleben nur die, die Viyeki als Arbeiter für die ihm gestellte Aufgabe braucht, nämlich das Grab Ruyans des Seefahrers zu öffnen, eines Helden des Volks der Tinukeda’ya (oder »Vao«). Dieses Volk von Wechselwesen ist vor Jahrtausenden zusammen mit den Sithi und den Nornen auf den Acht Schiffen nach Osten Ard gekommen, als ihre gemeinsame Heimat, der Garten, von einer tödlichen, unaufhaltsamen Gewalt namens Nichtsein zerstört wurde.

Viyekis sterbliche Geliebte Tzoja wurde als »Derra« geboren und ist das andere verschollene Zwillingskind von Josua und Vara. Nachdem Viyeki Nakkiga im Auftrag der Königin verlassen hat, bekommt Tzoja die Rache von Viyekis mordlustiger Frau Khimabu zu spüren. Sie kann aber fliehen und versteckt sich in den Tiefen Nakkigas, wo sie seltsam deformierten Leuten begegnet, den sogenannten Verborgenen. Sie wird schließlich erwischt, zu ihrer Überraschung aber nicht der rachsüchtigen Khimabu ausgeliefert. Stattdessen soll sie aufgrund ihrer früheren Erfahrungen mit der Sekte der Astalinnen Königin Utuk’ku als Heilerin dienen. Utuk’ku, die als Einzige aller Lebewesen den Garten noch mit eigenen Augen gesehen hat, leidet an ihrem hohen Alter und dem Verlust der Hexenholzbäume, deren Früchte ihr Leben um viele tausend Jahre verlängern konnten. Und als Königin Utuk’ku zum ersten Mal seit einer Ewigkeit Nakkiga verlässt und sich auf den Weg zum eroberten Naglimund im Land der Sterblichen macht, nimmt sie Tzoja und außerdem Hunderte von Nornen-Adligen mit.

Im Hochhorst in Erkynland haben König Simon und andere vom Überfall der Thrithingmänner auf ihre Gesandtschaft zu den Sithi und vom Verschwinden Graf Eolairs und des königlichen Erben Prinz Morgan erfahren. Im Glauben, der neue Shan der Grasländer, Unver, halte Morgan womöglich als Geisel fest, entsendet Simon eine Armee unter Morgans anderem Großvater Herzog Osric, um mit Unver über Morgans Freilassung zu verhandeln. Shan Unver hat unterdessen Graf Eolair von den Banditen, die ihn gefangen hielten, gekauft und will ihn als Gesandten für Verhandlungen zwischen sich und dem Hochthron von Erkynland einsetzen. Doch Eolair wird von Ritter Astrian und Ritter Olveris befreit. Vor der Flucht aus Unvers Lager will Eolair noch Vara überreden, mit ihm zu kommen, da Simon und Miriamel sie und ihren verschollenen Mann, Prinz Josua, schon seit Jahren suchen. Aber Vara weigert sich und greift Eolair mit einem Messer an. Zufällig verletzt sie dabei ihre Schwester Hyara, gibt aber Eolair die Schuld daran, der flieht. Unver und die anderen Anführer der Thrithinge fühlen sich durch König Simon verraten, und als es durch einen unglücklichen Zufall zum Kampf zwischen Herzog Osric und den Grasländern kommt, beschließt Unver, in Erkynland einzufallen, um an König Simon Rache für dessen vermeintliches Doppelspiel zu nehmen.

In Nabban, tief im Süden, trifft Königin Miriamel sich unterdessen mit den Ältesten der Niskies und erfährt, dass diese (und andere Nachfahren der Tinukeda’ya, des Volks der Wechselwesen, das mit den Sithi und Nornen aus dem verlorenen Garten gekommen ist) lebhafte Träume haben, die sie aufrufen, nach Norden zu ziehen. Aber Miriamel hat größere Sorgen und gerät schon bald mitten in den tödlichen Machtkampf zwischen Herzog Saluceris und dem mächtigen Haus Ingadaris (in das der Bruder des Herzogs, Drusis, eben erst eingeheiratet hat), der zu einem Bürgerkrieg auszuarten droht. Während die Anhänger der beiden Lager auf den Straßen der alten Stadt aneinandergeraten und Miriamel Lüge und Verrat sogar im Haushalt des Herzogs entdeckt, wird Drusis ermordet. Natürlich gibt man die Schuld daran Saluceris. Die Witwe des Toten, die Kindsbraut Turia Ingadaris, legt Miriamel nahe, Nabban wegen der bevorstehenden gewalttätigen Auseinandersetzungen zu verlassen. Es ist mehr eine Drohung als eine gutgemeinte Warnung.

Im Wald Aldheorte wird Prinz Morgan von der kleinen Riri und ihrer auf Bäumen hausenden Truppe von Tschikri getrennt, als sie über steile Hügel in ein geheimnisvolles Tag voller Nebel und seltsamer Geschöpfe gelangen. Bevor Morgan den anderen noch durch das Tal folgen kann, greift ihn ein riesiges Ungeheuer im Nebel an und er überlebt nur, weil Tanahaya ihn rettet, die Sithi-Gesandte, die im ersten Band, Die Hexenholzkrone, auf dem Weg zum Hochhorst angegriffen wurde und fast ums Leben gekommen wäre. Morgan hat sie zusammen mit Graf Eolair zu ihren Leuten zurückgebracht, die sie heilen konnten. Auf dem Rückweg nach Erkynland hat sie zufällig Morgans Spur entdeckt und ist ihr gefolgt. Auch eine Gruppe von Nornen-Soldaten ist hinter ihm her, doch er und Tanahaya können aus dem Tal fliehen und entkommen. Tanahaya will ihn an einen sicheren Ort in den Bergen bringen, das Zuhause ihres Lehrers Meister Himano, aber sie müssen feststellen, dass die Nornen vor ihnen da waren und den alten Mann ermordet haben. Bei seiner Leiche findet Tanahaya ein Pergament, auf dem steht, dass die Nornen auf der Suche nach Hexenholzsamen sind, die vor langer Zeit unter dem Hochhorst vergraben wurden, der damals noch eine Festung der Sithi war und Asu’a hieß. Tanahaya will diese Nachricht unbedingt an Jiriki und Aditu weitergeben, ihre beiden engen Verbündeten bei den Sithi, aber sie hat keinen »Zeugen«, einen Gegenstand, mit dem man sich auf magische Weise verständigen kann. Deshalb sucht sie mit Morgan die alte Sithi-Stadt Da’ai Chikiza auf, in der Hoffnung, dort einen zu finden. Die beiden werden allerdings von den gegenwärtigen Bewohnern der Stadt gefangen genommen, einer Sekte namens die Reinen, die sich von den Sithi abgespalten hat. Weil Morgan ein Sterblicher ist, droht ihm die Hinrichtung. Als Tanahaya den Reinen allerdings von Himanos Tod und dem Pergament erzählt, erlauben sie ihr widerstrebend, Jiriki mittels eines Zeugen über die Hexenholzsamen zu benachrichtigen, die vielleicht unter dem Hochhorst versteckt sind. Tanahaya kann Jiriki gerade noch sagen, dass Utuk’ku wahrscheinlich versuchen wird, den Hochhorst zu erobern, da werden sie gewaltsam von einer Truppe von Nornensoldaten unterbrochen, die Da’ai Chikiza angreift. Es kommt zum Kampf. Tanahaya kann die Decke eines Saals zum Einsturz bringen. Viele Nornen werden getötet, aber auch sie und Morgan und die anderen Reinen werden unter den Trümmern begraben.

Nicht weit entfernt gelingt Aelin und seinen letzten Männern die Flucht aus Naglimund, sie werden allerdings gleich wieder im Aldheorte gefangen genommen. Doch haben sie Glück: Diesmal sind sie in die Hände der Sithi gefallen, nicht der Nornen.

Auf dem Hochhorst kämpfen Simon, Tiamak und dessen Frau Thelía mit vielen Problemen. Tiamaks Gehilfe Bruder Etan ist im Süden und sucht dort nach Nachrichten von dem seit vielen Jahren vermissten Prinz Josua. Von Bischof Boez erfahren sie, dass mehrere tausend Goldstücke aus der königlichen Schatzkammer fehlen. Es scheint nur noch schlechte Nachrichten zu geben – soeben hat Simon vom Ausbruch des Bürgerkriegs in Nabban erfahren. Er hat Angst um Miriamel, die sich noch dort aufhält.

Und tatsächlich hat sich die Lage in Nabban weiter verschlechtert. Aufgebrachte Bürger, deren Zorn durch verschiedene geheimnisvolle Morde und die Propaganda der Ingadaris geschürt wurde, stürmen den Herzogspalast. Herzog Saluceris wird vom Mob getötet, aber Königin Miriamel hilft seiner Frau, Herzogin Canthia, mit ihren beiden Kindern und dem Kindermädchen Jesa, die aus dem Wran kommt, zu fliehen. Sie gibt Canthia ihren Ehering, damit Simon weiß, dass die Botschaft, die die Herzogin überbringen soll, auch wirklich von Miriamel stammt. Doch dann entgeht Miriamel selbst nur knapp dem Mob und der Zerstörung des Palastes. Allein muss sie durch unwegsames Gelände nach Norden reiten und versuchen, ins sichere Erkynland zurückzukehren. Doch wird sie von Banditen überfallen. Zwar kann sie entkommen, aber ihr Pferd wird getötet und sie fällt einen Hang hinunter und verliert das Bewusstsein. Canthia und Jesa haben sogar noch weniger Glück. Ihre Kutsche wird von Söldnern aus den Thrithingen verfolgt und angezündet. Die Herzogin und ihr kleiner Sohn werden getötet, Canthia verbrennt im Wagen, der von Brandpfeilen getroffen wurde. Das Kindermädchen Jesa kann mit der kleinen Serasina aus der Kutsche fliehen, aber die beiden sitzen jetzt mittellos in einem fremden Land fest und werden immer noch gnadenlos gejagt.

Im Aldheorte suchen Binabik und die anderen Trolle Prinz Morgan, aber der Überfall der Nornen auf Da’ai Chikiza verhindert, dass sie ihn finden. Außerdem stellen sie fest, dass viele Lebewesen und Kreaturen – Menschen, Ghants und sogar Kilpa – wie von einer unsichtbaren Kraft angezogen nach Norden ziehen. Sie beschließen, sich aufzuteilen. Binabik und Sisqi sollen den Hochhorst darüber benachrichtigen, was im Süden passiert, ihre Tochter Qina und deren Verlobter Klein-Snenneq wollen im Wald weiter nach Morgan suchen.

Inzwischen ist Königin Utuk’ku persönlich in der eroberten Festung Naglimund eingetroffen – zum ersten Mal seit Menschengedenken hat sie Nakkiga verlassen, die Stadt im Berg. Viyeki, sein Orden der Bauleute und seine zwangsrekrutierten sterblichen Sklaven öffnen das alte Grab Ruyans des Seefahrers und finden die sagenumwobene Rüstung des Tinukeda’ya-Fürsten. In einer sonderbaren Zeremonie stecken die Zauberer von Utuk’kus Sängerorden die Gebeine Hakatris in Ruyans Rüstung. Hakatri ist der Bruder des Sturmkönigs. Er hat sich am Blut eines Drachen verbrannt und bis zu seinem Tod schreckliche Schmerzen gelitten. (Die Gebeine wurden zuvor von Nezeru und ihren Nornengefährten gefunden und geborgen.) Anschließend wird der Drache, den Nezeru und die anderen auf dem Urmsheim gefangen haben, geopfert. Das Blut wird in die Rüstung gegossen, während Königin Utuk’ku einen schrecklichen Zauber beschwört. Jarnulf, ein Sterblicher, der sich in die Expedition zum Urmsheim eingeschleust und sie dann wieder verlassen hat, hofft auf eine Gelegenheit, die Nornenkönigin von einer Stelle, von der aus er die Zeremonie überblicken kann, mit einem Pfeil zu töten. Aber die Kräfte, die Utuk’ku entfesselt, sind so schrecklich, dass er in Panik flieht. Sogar Viyeki, der bereits erlebt hat, wie Ommu die Flüsternde in einer Zeremonie wiederbelebt wurde, empfindet Ekel, als Ruyans Rüstung, nunmehr beseelt von Hakatris gequältem Geist, zum Leben erwacht. Der auferstandene Sitha tut einen so grässlichen Schrei, dass sogar Vögel tot vom Himmel fallen.

Auf dem Hochhorst erfahren Simon und seine engsten Berater neben anderen schrecklichen Nachrichten – vom Angriff der Nornen auf Naglimund im Norden und vom Vorrücken von Unvers Grasländern über die westliche Grenze –, dass man an der Grenze zwischen Nabban und Erkynland in der Asche einer Kutsche eine Leiche gefunden hat. Sie ist bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, trägt aber Miriamels Ehering. Simon ist am Boden zerstört und ganz Erkynland trauert um seine geliebte Königin.

Vorwort

Tanahaya stand am Rand eines Tals mit Obstbäumen und glaubte zu träumen. Dieses üppige Tal mit seinen blühenden Gehölzen, die beide Flussufer bedeckten, konnte nur Shisae’ron sein. Sie wusste es mit schmerzlicher Gewissheit – sie hatte ihre Kindheit hier verbracht. Doch noch während die Äste der Bäume in der sanften Brise erzitterten, wusste sie zugleich, dass es unmöglich war. Denn auch wenn es den Fluss noch geben mochte, gehörten die Obstbäume und das Zuhause ihrer Kindheit doch längst der Vergangenheit an.

Verwirrt machte sie sich an den Abstieg durch fallende Blütenblätter, die wie Schneeflocken tanzten. Nur ein Gedanke trieb sie an, obwohl sie wusste, dass sie durch ihre Vergangenheit ging: Wo ist meine Mutter? Wenn die Obstbäume blühen, ist sie noch hier. Und Weidenhall steht dann auch noch!!

Genauso wie sie wusste, dass sie träumte, wusste sie auch, dass die Obstbäume, die ihr Vater so liebevoll gepflanzt hatte, ihre Mutter nicht lange überlebt hatten. Siriaya war lange dahingesiecht und die Trauer um Tanahayas Vater hatte ihr Gemüt zunehmend verdüstert und zuletzt wahnhafte Züge angenommen. Die meisten Mitglieder ihres Herzsamen-Clans hatten sie verlassen und das schöne Dorf war nach und nach verfallen – als hätte es wie Siriaya den Willen verloren, weiterzuleben. Doch hier stand es wieder erfüllt von blühendem Leben vor Tanahaya, und wenn es die Gärten noch gab, dann auch ihre Mutter. Dann musste das Haus, in dem sie aufgewachsen war, ebenfalls noch über dem Tal stehen, von wo es über den Fluss und die Bäume geblickt hatte. Offenbar konnte alles zurückgeholt werden. Der schreckliche bisherige Verlauf der Zeit konnte geändert und Siriaya und das Haus Herzsamen gerettet werden.

Die Äste der Obstbäume, die anfangs ein zartes Geflecht gebildet hatten, wurden immer dicker und dichter, je tiefer Tanahaya in das Tal eindrang, bis sie den Himmel kaum noch sehen konnte. Sie streckten sich nach ihr wie hungrige Geister, kamen ihr von allen Seiten entgegen und schon bald war sie ganz darin gefangen. Sie wollte sich befreien, aber dann war der Himmel auf einmal weg, es wurde stockdunkel und sie konnte sich nicht mehr rühren.

Beschütze es!, hörte sie eine Stimme in ihrem Kopf sagen, die Stimme einer Person, die sie fast so gut kannte wie sich selbst, aber aus irgendeinem Grund nicht benennen konnte. Es darf ihm nichts passieren!

Dem Ei, fiel Tanahaya ein. Rasch und wie selbstverständlich verband sich ein Traum mit dem anderen. Das Hexenholzei, das ich gefunden habe, ist in Gefahr!

Noch während sie das dachte, spürte sie den eiförmigen Gegenstand glatt und warm an ihrem Körper.

Die Bäume umschlossen sie fest und sie schien drauf und dran, sich selbst in einen Baum zu verwandeln. Aber das sind nicht unsere alten Weiden, dachte sie unglücklich. Es sind die Bäume des neuen Landes, nicht unseres geliebten Gartens. Sie werden mich ersticken und das Ei zerstören, sie werden uns zuwuchern und keine Spur von dem zurücklassen, was vorher war!

Immer fester wurde sie umklammert, immer dicker von einer Rinde bedeckt, die sie von der Luft abschloss, vom Himmel und von allem, was wichtig war. Und das Hexenholzei an ihrer Brust würde nicht mehr lange leben, sie spürte es.

Beschütze es!, befahl die Stimme. Es muss wachsen!

Wer bist du?, rief Tanahaya. Sie sprach nicht mit den Lippen, atmete keine Luft in ihre Lungen. Ihr Mund war mit Rinde verschlossen, ihre Gliedmaßen im Holz erstarrt. Hilf mir! Ich kann mich nicht befreien!

Und dann spürte sie plötzlich, dass jemand bei ihr war. Sie konnte im Dunkeln nichts sehen, aber sie nahm eine Gegenwart wahr wie einen kühlen Luftzug auf fieberheißer Haut.

Du gehst auf der Straße der Träume, Tochter meines Herzens, wenn schon nicht meines Leibes. Die Stimme war leise und schien wie ein Echo von einem fernen Ort zu kommen. Du kannst nur die hören und von denen gehört werden, die ebenfalls auf dieser Straße gehen oder an ihrem Rand stehen. Aber du musst aus deinen Träumen von der Vergangenheit aufwachen – nur das ist wichtig. Du musst retten, was dir geschenkt wurde – und hüte dich vor dem Werkzeug der Königin!

Tanahaya hatte die Stimme im ersten Moment für die ihrer Mutter gehalten, aber jetzt war ihr klar, dass die grimmige Entschlossenheit, mit der die Stimme sprach, nicht zu Siriayas gebrochenem, der Hoffnung beraubten Gemüt passte.

Wer bist du?

Mein Name spielt keine Rolle, sagte die Stimme, ich weiß ihn auch gar nicht mehr. Gegenwärtig bin ich lediglich Erinnerung – die Erinnerung an unser Volk, etwas, das nur durch das Nichtsein zerstört werden kann. Du musst dich retten und helfen, unser Volk zu retten, sonst wird auch noch die Erinnerung an uns sterben. Nur du kannst es! Die Stimme wurde schwächer, als stürzte sie einen Abgrund hinunter. Aber denk dran – hüte dich vor dem Instrument der Königin!

Und damit war Tanahaya wieder allein. Sie war weiter von undurchdringlicher Nacht umgeben, aber etwas regte sich in ihr.

Meine Mutter ist zerbrochen und hat aufgegeben – ich werde das nicht tun. Ich darf es nicht.

Und sie kämpfte an diesem Nichtort, ob nun Traum oder das Ende ihres Lebens, so erbittert, wie sie noch nie gekämpft hatte, gegen einen Feind, der kein Geräusch machte, kein Wort sprach.

Es ist der Tod, dachte sie, während sie sich gegen das erstickende Dunkel stemmte. Mein Feind ist der Tod. Irgendwann holt er alle – sogar die unsterbliche silberne Königin. Wir können ihn nur in Schach halten, solange wir kämpfen.

Und ich werde nicht aufhören zu kämpfen, solange die, die ich liebe, in Gefahr sind. Ich darf es nicht – wage es nicht!

Der einzige Unterschied zwischen Träumen und Wachzustand (der mit einem Schauder schlagartig zurückkehrte) waren zunächst die Schmerzen. Alles tat ihr weh. Tanahaya begriff mit wachsender Panik, dass sie genauso eingesperrt war wie im Traum, nur nicht mehr in einem Dickicht aus Bäumen, sondern unter einer unvorstellbar schweren Last herabgestürzter Steine.

Sie konnte das Bein nicht bewegen und spürte es anfangs auch gar nicht. Als sie die Hand danach ausstreckte, stellte sie fest, dass es im Riss einer steinernen Säulentrommel festklemmte. Die Säule hatte einst vor langer Zeit die kristallene Kuppel der Stätte der Himmelsbeobachtung in Da’ai Chikiza getragen. Sie berührte das Bein und spürte etwas Nasses. Als sie die Hand zurückzog, leuchtete es rot auf. Ein Sonnenstrahl war auf die Hand gefallen und die Hand war blutig. Doch war der durch den Anblick des Bluts verursachte Schreck nicht so stark wie ihre Erleichterung darüber, dass die Sonne an ihrem rechtmäßigen Ort am Himmel stand und sie selbst nicht im endlosen Dämmerzustand des Traumlands feststeckte. Sie wusste nicht einmal sicher, ob das Blut von ihr stammte.

Ganz langsam und vorsichtig begann sie sich mit dem ganzen Körper zu drehen, um ihren Fuß zu befreien. Alles tat ihr weh, aber Knöchel und Fuß schmerzten besonders heftig. Sie ignorierte die Schmerzen, so gut sie konnte. Der Traum hing ihr zumindest in der Erinnerung noch nach und die Verzweiflung, die er in ihr ausgelöst hatte, war mit der Rückkehr in die Welt nicht geringer geworden.

Das Hexenholz, das Traumei und die warnende Stimme. Viel mehr als nur ihr Leben hing von ihrer Flucht ab. Geheimnisse mussten aufgedeckt und verstanden werden – einige davon trug sie sogar mit sich selbst herum.

»Hüte dich vor dem Instrument der Königin«, hatte die Stimme gesagt. Was sollte das bedeuten? Hatte auf der Traumstraße wirklich jemand mit ihr gesprochen oder hatte nur die Erinnerung sie aufgefordert, sich zu retten?

Endlich konnte sie mit einem scheuernden Geräusch, von dem sie eine Gänsehaut bekam, den Fuß so drehen, dass sie ihn freibekam. Aber sie war immer noch zwischen geborstenen Säulentrommeln eingesperrt und womöglich schwer verletzt. Langsam zwängte sie sich durch die Trümmer, bemüht, trotz ihrer schlimmen Schmerzen nicht zu schreien. Ihr fiel ein, dass sie in der Ruinenstadt Da’ai Chikiza nicht allein gewesen war. Sie, Vinyedu und die anderen Reinen waren von Soldaten der Opfermutigen Königin Utuk’kus angegriffen worden. Von einer Niederlage bedroht, hatte Tanahaya die Decke zum Einsturz gebracht. Vielleicht waren ihre Verbündeten und der arme Sterblichenprinz Morgan alle tot. Und die Hikeda’ya, die sie überfallen hatten, lauerten womöglich ganz in der Nähe auf Geräusche von Überlebenden.

Sich wie ein Regenwurm windend und bis auf den einen Lichtspalt blind, kroch sie in Zeitlupe durch Zwischenräume, die so eng und schmerzhaft waren, dass ihr die Luft wegblieb. Endlich spürte sie Regen im Gesicht. Wenig später tauchte sie mit dem Kopf aus dem Trümmerhaufen auf. Über der zertrümmerten Kuppel sah Tanahaya brodelnde graue Wolken. Ansonsten rührte sich in den Ruinen der Stätte der Himmelsbeobachtung nichts.

Sie stieg vollends heraus und lauschte auf ein Geräusch ihrer Feinde oder überlebenden Verbündeten, doch vernahm sie nur das leise Plätschern des Regens auf den Steinen. Wenn in den Tunneln unter Da’ai Chikiza noch gekämpft wurde, dann so weit weg, dass man hier nichts hörte. Totenstille umgab sie und ihr war kalt und schwindelig. Die Trümmer zu verschieben, um nach Morgan oder den Reinen zu suchen, war aussichtslos, aber bestimmt hatte auch niemand den furchtbaren Einsturz überlebt. Ohnmacht und Bedauern erfüllten sie. Sie hatte den jungen Sterblichen verloren, den sie mit solcher Mühe beschützt hatte, ja, sie hatte ihn wohl geradewegs in den Tod geführt und jetzt konnte sie nicht einmal seine Leiche bergen.

Traurig ging sie ihre Wunden durch. Es war schwer zu sagen, welche die schlimmsten waren, weil sie an so vielen Stellen Kratz- und Schürfwunden hatte. Knöchel und Fuß taten jedenfalls am meisten weh. Erleichtert stellte sie fest, dass sie beides noch bewegen konnte, auch wenn sie bei jeder Bewegung vor Schmerzen keuchte. Sie riss ein Stück von ihrem zerfetzten Kittel ab und verband den Knöchel, so fest sie konnte. Dann zog sie den blutigen Stiefel wieder an und begann, den Trümmerhaufen hinunterzuklettern, stets darauf bedacht, ihre empfindlichsten Stellen zu schützen. Dabei musste sie ständig an die Worte denken, die sie im Traum gehört hatte.

»Du musst dich retten und helfen, unser Volk zu retten, sonst wird auch noch die Erinnerung an uns sterben.«

Was hatte das zu bedeuten? Waren die Worte nur von ihrem träumenden Selbst an den Teil von ihr gerichtet, der schon aufgewacht war? Oder hatte jemand anders zu ihr gesprochen – ein Geist oder verirrter Reisender auf der Straße der Träume?

Sie rutschte von einer Säule hinunter und zuckte zusammen, als sie mit dem verwundeten Fuß auf dem Boden aufkam. Erst dann bemerkte sie, dass sie beim Hinunterklettern nicht den verletzten Knöchel geschont, sondern schützend den Arm um den Bauch gelegt hatte.

Bei meinem Clan und dem Garten, dachte sie. Also, davon habe ich geträumt, selbst als das Fieber mich gefangen hielt. Von dem kostbaren Ei. »Beschütze es«, hatte die Traumstimme gesagt, vielleicht ihre eigene. »Es muss wachsen! Von ihm geht unsere Rettung aus.«

Meine Träume wussten es vor mir, dachte sie. Lange Zeit konnte sie nur staunend und fassungslos neben den Trümmern sitzen. Das Ei, das ich beschützen muss. Meine Träume wussten es!

Ich trage ein Kind in mir.

Erster Teil

Zeit des Sammelns

Das Material eines Pfeils ist Holz,Aber sein Geist ist die Luft.Werde ich deshalb, wenn der Wind die Bäume schüttelt und zum Rauschen bringt,Ins Herz getroffen?

– Benhaya von Kementari

1

Die scharfe Schneide

Geduckt kauerten sie nebeneinander im tiefen Dunkel und die Person, die Morgan gefangen genommen hatte, drückte ihm mit kühler, fester Hand ein Messer an die Kehle. Jedes Mal, wenn leise Schritte an ihrem Versteck vorbeigingen, begann Morgans Herz zu klopfen. Ob sie nun von einem Sithi oder Nornen gefunden wurden, vermutlich war es beiden egal, dass er keiner der beiden Armeen angehörte.

Endlich verklang der Lärm der Verfolger. Nachdem schon längere Zeit Schweigen eingekehrt war, flüsterte er: »Da kommt niemand mehr. Du kannst mich jetzt loslassen. Ich verspreche, dass ich es niemandem sage.«

Die einzige Antwort war ein unterdrücktes Zischen, vielleicht ein Lachen, vielleicht aber auch etwas weniger Schönes. Kalt drückte die Schneide des Messers gegen seine Haut. So klein sie war, diese Schneide, dünner als der Strohhalm eines Besens und so unerheblich wie ein Spritzer Wasser oder ein kühler Luftzug, wusste er doch ganz genau, dass sie sein Leben beenden konnte.

Die, die mich festhält, ist eine Norne – ein Weißfuchs. Die haben keine Seele. Sie hassen uns und wollen die Menschen ausrotten. Aber aus einem unerfindlichen Grund lebte er trotzdem noch.

Die Norne drückte ihm einen Fuß ins Kreuz und gab ihm einen Schubs, dass er nach vorn auf Hände und Knie fiel. »Aufstehen«, befahl sie leise. »Aber ganz langsam. Wir gehen.«

Er überlegte, ob er schnell wegkriechen und rennen sollte, aber dann fiel ihm ein, dass sowohl Nornen als auch Sithi im Dunkeln viel besser sehen konnten als er. Er stand auf und stieß schmerzhaft mit dem Kopf an einen Stein über ihm.

»Los«, sagte die Norne. »Geh. Ich bin dicht hinter dir.«

»Wohin?«, fragte er und rieb sich den schmerzenden Kopf. »Weiter in die Tunnel hinein?«

Wieder ein Zischen. »Dummkopf. Ich war noch nie hier und finde mich trotzdem besser zurecht als du. Tief unter der Stadt und dem Fluss sammelt sich das Wasser. Kannst du leben, ohne zu atmen?« Er spürte, wie eine Klinge, die schwerer war als das Messer, mit der Spitze an seinen Rücken drückte. »Wir gehen jetzt, aber leise. Tu nur, was ich dir sage.«

Sprechen alle Unsterblichen Westerling?, überlegte er. Ist das Magie?

Er musste sich mit dem Gesicht nach unten auf den Stein legen, während sie über ihn stieg und die Nische verließ. Sie fühlte sich überraschend leicht an, bewegte sich aber mit einer solchen Zielstrebigkeit, dass er nicht einmal daran dachte, einen Fluchtversuch zu unternehmen. Er folgte ihr nach draußen in den Gang und wäre fast in die Spitze eines langen Schwerts gerannt.

»Muss ich erst noch sagen, dass Tricks zwecklos sind?«

Morgan schüttelte den Kopf. Jetzt wo sie ihr Versteck verlassen hatten, fiel wieder das schwache, aber stetige Licht der leuchtenden Steine auf sie. Er konnte erkennen, dass die Frau – nein, die Unsterbliche, erinnerte er sich, die womöglich schon Jahrhunderte alt war – ein wenig kleiner war als er und deutlich schlanker. Trotzdem hielt sie das Schwert so fest und ruhig in ihrer leichenblassen Hand, als wäre es leichter als eine Birkenrute. Doch besonders fesselte das schmale Oval ihres Gesichts seine Aufmerksamkeit. Sie hatte große, schrägstehende Augen wie die Sithi, die er kennengelernt hatte, allerdings nicht von der Farbe geschmolzenen Goldes, sondern schwarz wie eine sternenlose Nacht. Verstärkt wurde dieser Unterschied noch durch die kaum sichtbaren, spinnwebfeinen Augenbrauen. Er hatte noch nie eine Norne gesehen und war verblüfft, wie ähnlich sie einer sehr blasshäutigen Sterblichen sah. So schmal ihr Gesicht war, ihre Gesichtszüge hätten auch zu einem Menschen gepasst.

»Du starrst mich an«, sagte sie. Es klang fast belustigt, obwohl Morgan dafür auf keinen Fall die Hand ins Feuer gelegt hätte. »Findest du mich abstoßend? Oder hübsch?«

Er fand sie tatsächlich hübsch, auch wenn ihr Schwert nur wenige Zoll von seiner Kehle entfernt war, aber er schlug den Blick hastig nieder. »Nein, ich wusste nur nicht, wer mich da … im Dunkeln gefangen hat.« Er hob die Augen wieder, bis er auf ihre traf – grundlose tiefschwarze Brunnen. »Jetzt sehe ich dich.«

Sie schnaubte. »Dann geh weiter. Ich bleibe nicht hier, unter keinen Umständen. Bald werden die Opfermutigen die ganze Stadt besetzt haben und dann suchen sie auch solche unterirdischen Tunnel sorgfältig ab.«

Morgans Muskeln zitterten vor Erschöpfung, doch zeigte das Schwert weiter unmissverständlich auf ihn. Die graue Klinge war so dünn, dass man sie kaum sah. »Was soll ich tun?«

»Vor mir gehen. Und keine Dummheiten machen.«

Er hob schicksalsergeben die Hände. »Und mein Schwert?«

Zu seiner Überraschung lachte sie. »Trag es, wenn du willst. Aber wenn du es gegen mich ziehst, merkst du ganz schnell, was eine Opfermutige alles kann.«

»Eine Opfermutige? So nennst du dich?«

Wieder das Lachen, kurz und schroff. »Ha, früher ja, zu meinem Stolz. Jetzt nicht mehr. Geh, sterblicher Junge.«

»Kein Junge«, murmelte er, aber die Norne ließ sich nicht anmerken, ob sie ihn gehört hatte.

Die Norne bewegte sich so lautlos, dass Morgan immer wieder zurückblickte, um sich zu vergewissern, dass sie überhaupt noch hinter ihm war. Doch jedes Mal war sie nur eine Armeslänge entfernt und bedeutete ihm mit einer unwirschen Handbewegung, nicht stehen zu bleiben.

Trotz ihrer früheren Worte zwang sie ihn, zu den alten Tunneln unter Da’ai Chikiza hinunterzusteigen. Während die der oberen Ebenen noch glatte Wände hatten und mit kaum verwitterten Skulpturen und Symbolen verziert waren, waren sie weiter unten gröber zugehauen. Die wenigen Darstellungen, denen sie begegneten, waren schlichte Gebilde aus geraden Strichen. Morgan vermutete, dass es sich lediglich um eine Art Wegzeiger handelte. Jedenfalls konnte man sich in dem Labyrinth von Tunneln ganz leicht verirren, dessen Anlage ihm so planlos und willkürlich erschien wie die der oberirdischen Stadt. Hier unten lenkte freilich nichts das Auge ab außer gelegentlich einem Wurzelgeflecht an der Decke oder Pilzkolonien an den feuchten Wänden. An einigen Stellen waren Wände und Decke noch von den schwach leuchtenden Steinen durchsetzt, doch wurden sie seltener, je tiefer sie kamen, und die Böden der Tunnel waren oft durch alle möglichen von der Decke heruntergefallenen Trümmer versperrt. Verschiedentlich mussten sie auf allen vieren durch eine Engstelle kriechen. Morgan spürte dabei, wie das Schwert der Norne gegen die Sohlen seiner Stiefel stieß.

Sie waren seit mindestens einer Stunde unterwegs, wie es Morgan schien, und seine Kräfte ließen langsam nach. Überwältigt von Müdigkeit und den Schmerzen seiner geprellten Brust bei jedem tiefen Atemzug, brach er schließlich das Schweigen. »Wohin gehen wir? Weißt du es überhaupt?«

Etwas bohrte sich in seinen Nacken, unangenehm und unerwartet wie der Stich einer Biene. Morgan streckte die Hand danach aus. Als er sie wieder herunternahm, war sie blutig. Er drehte sich um und wollte wütend etwas sagen, aber der Blick der nachtschwarzen Augen der Norne brachte ihn sogleich zum Schweigen. Sie hob einen Finger an den Mund. Der Stich in den Nacken und ihr böser Blick hatten bereits klargemacht, was sie meinte: Er sollte schweigen.

Immer noch wusste er nicht, was die Norne vorhatte. Er hatte mit eigenen Augen gesehen, dass die Ruinenstadt Da’ai Chikiza an einem breiten, an manchen Stellen reißenden Fluss lag, und nachdem sie jetzt schon so lange immer tiefer gegangen waren, mussten sie inzwischen doch unter dem Fluss angelangt sein. An manchen Stellen sickerte Wasser durch Ritzen der Wände und lief eine Zeitlang neben ihnen her, bis es in einer anderen Spalte verschwand. Davon abgesehen schienen sie dem Fluss nicht näher zu sein als am Anfang.

Endlich führte die Norne ihn durch eine Reihe ansteigender Gänge wieder nach oben. Auf die grob aus dem Felsen gehauenen Tunnel folgten jetzt Gänge mit sorgfältig geglätteten Wänden und aufwändigen Steinmetzarbeiten. Sie passierten verschiedene zu Speichern vergrößerte Höhlen. In einer sah er sogar die Überreste von irdenen Krügen. Die meisten Gefäße waren allerdings schon vor langer Zeit kaputtgegangen.

Gerade als er in seiner Angst und aufgrund seiner schmerzhaft pochenden Muskeln ernsthaft erwog, sich zu Boden zu werfen und die Norne seine Qual beenden zu lassen, stieß sie ihn wieder an, diesmal allerdings sanfter. Sie waren an einer Stelle angelangt, an der drei Tunnel zusammenkamen. Die Norne huschte an ihm vorbei und betrachtete einige Kratzer an der Wand, dann zeigte sie auf einen Tunnel. Morgan ächzte leise, setzte sich aber in Bewegung.

Zuerst spürte er die Veränderung mehr, als dass er sie sah, weil der große Raum, den sie betraten, noch dunkler war als der Gang. Die Luft fühlte sich anders an und das Echo ihrer Schritte verklang. Verwirrt blieb er stehen. Über ihm ging ein schwaches Licht an, dann noch eins und noch eins, bis ein halbes Dutzend Kristallplatten an der Decke eines großen Saals ein dämmriges Licht verströmten.

Und es war tatsächlich ein Saal, auch wenn der Boden wie in anderen Teilen der Tunnel mit herabgefallenen Steinen bedeckt war, zerbrochenen Gefäßen und allem Anschein nach sogar den verrotteten Überresten hölzerner Möbel. Die Decke war dreimal so hoch wie er, die Wand auf der anderen Seite einen weiten Steinwurf entfernt.

»Eins der großen Kellergewölbe der Stadt«, flüsterte die Norne. »Hier kannst du dich eine Weile ausruhen.«

Morgans Müdigkeit war stärker als jede Neugier. Stolpernd ging er ein paar Schritte bis zu einer Stelle, an der der steinerne, von uraltem Staub bedeckte Boden nicht mit scharfkantigen Keramikscherben übersät war, und legte sich hin. Wenige Augenblicke später war er eingeschlafen.

Zuerst hast du gesagt, du wolltest nicht so nah am Fluss gehen, Snenneq.« Qina war bemüht, sich ihren Ärger nicht anhören zu lassen, aber es gelang ihr nicht ganz. »Jetzt sagst du, wir wären zu weit vom Fluss entfernt. Du bist wie der Bergwind, der mal in die eine und dann in die andere Richtung bläst.« Sie streckte die Hand aus. »Soll ich diese Spuren missachten, die alle darauf hinweisen, dass Prinz Morgan hier vorbeigekommen ist? Ich dachte, wir hätten uns vorgenommen, ihn zu suchen.«

»Du hast selbst gesagt, dass nicht alle Spuren aussehen wie von ihm.« Fast hörte es sich an, als schmollte er.

»Wir wissen nicht, wie er unterwegs ist, und auch nicht, mit wem«, sagte Qina. »Und die Nornen hinterlassen so gut wie keine Spuren. Dasselbe gilt für ihre Verwandten, die Sithi. Aber hier sehen wir die Spuren mehrerer Reisender. Vielleicht haben sie Morgan gefangen genommen und tragen ihn. Soll ich die Spuren etwa nicht beachten, weil sie sich vom Fluss entfernen?«

»Der Fluss führt uns zu der alten Sithi-Stadt«, erwiderte Klein-Snenneq. »Ich wollte dem Ufer nur nicht zu nahe kommen, weil wir Kilpa gesehen haben, die Wasserungeheuer. Vielleicht folgst du ja ihrer Spur und sie führt uns geradewegs zu ihnen.«

»Jetzt erfindest du aber Einwände«, sagte Qina ungeduldig. »Die Spuren, denen ich folge, stammen weder von Kilpa noch … was war das noch mal für eine Bestie im Baum, die wir getötet haben, mit einem Panzer wie ein Käfer? Ein Ghant? Auch von denen sind die Spuren nicht – es sei denn, sie tragen Schuhe. Sieh doch.« Sie zeigte auf den weichen Boden. »Hier zeichnen sich Nähte ab. Nähte!«

»Tochter der Berge, du bist wirklich stur!« Snenneq straffte sich und schüttelte den Kopf. »Aber du hast recht. Nein, ich glaube nicht, dass Kilpa neuerdings Schuhe tragen, auch nicht, dass sie sich so weit von ihrem Zuhause in den südlichen Gewässern entfernen. Ich fürchte nur, dass ich nicht mehr zum Fluss zurückfinde, wenn wir den Spuren zu weit folgen.«

»Sperr die Ohren auf. Ich höre ihn noch ganz deutlich.« Ob es in ihrer Ehe auch so sein würde, dass jede Meinungsverschiedenheit in eine Sackgasse führte, weil keiner den anderen überzeugen konnte? Qina wusste nicht, ob sie das ein Leben lang ertragen konnte. Sie fürchtete allerdings, dass diese Aussicht Snenneq nicht schreckte. »Worauf können wir uns einigen? Ich schlage vor, wir folgen den Spuren, solange wir den Fluss noch hören, und dann kehren wir um, wie du willst, und folgen dem Fluss in Richtung der alten Stadt.«

Snenneq überlegte. »Das ist eine gute Idee, meine Liebe. Ich bin froh, dass du einen nukapik wie mich hast, der so vernünftig ist und bereit, dir deinen Willen zu lassen. Nicht alle Männer der Qanuc sind so flexibel.«

Qina presste die Lippen zusammen. »Wenn du meinst.«

Der lange Nachmittag kam zu einem Ende. Zwar war es noch hell, aber die Sonne war bereits hinter den Baumwipfeln verschwunden. Klein-Sennneq sprach immer wieder davon, dass sie etwas zu essen finden müssten, und Qina konnte es ihm nicht verdenken. Sie waren nur langsam vorangekommen. Die seltsamen Spuren waren oft kaum zu erkennen und sie hatte ihr ganzes Können aufwenden müssen, sie wiederzufinden, manchmal nur anhand eines einzelnen geknickten Grashalms.

»Schade, dass wir so weit vom Fluss entfernt sind«, überlegte Snenneq. »Wahrscheinlich müssen wir Stockfisch essen, der so alt ist wie unsere Reise, obwohl in nächster Nähe frische Fische schwimmen, die man nur zu fangen brauchte.«

»Die ich nur zu fangen brauchte, meinst du«, sagte Qina. »Denn du kommst dem Wasser ja lieber nicht zu nah.« Müde und unzufrieden richtete sie sich auf. »Snenneq, Liebster, ich weiß, es ist manchmal schwierig …« Sie verstummte. Ihr Zukünftiger sah sie nicht einmal an. Stattdessen blickte er unverwandt auf eine seltsame Gestalt in einem Kapuzenmantel, die vor ihnen aus dem Farngestrüpp aufgetaucht war. Qina unterdrückte einen Schrei, wich einen Schritt zurück und tastete nach dem Messer in ihrem Gürtel. »Vorsicht, Snenneq!«

Der Fremde war fast doppelt so groß wie sie, etwa wie ein Sterblicher aus dem Tiefland, aber irgendwie anders. Einen Augenblick dachte sie, er könnte ein Norne oder gar Sitha sein. Stellung und Größe seiner Augen passten in etwa dazu, die Farbe von Augen und Haut war allerdings anders.

»Bei Kikkasuts Nest!«, sagte Snenneq leise und rührte sich nicht. »Was bist du für einer?«

Der Fremde hob einen Arm und sein weiter Ärmel fiel zurück und entblößte eine Hand mit langen, schlanken Fingern. Jetzt war noch klarer, dass er weder Hikeda’ya noch Zida’ya war. »Friede«, sagte er in verständlichem, wenn auch seltsam klingendem Qanuc. »Kommt mit mir.« Er winkte ihnen. »Euch wird nichts geschehen, das sei versprochen.« Er wandte sich ab und tauchte in den Wald ein.

Qina und Klein-Snenneq sahen sich eine lange Weile nur sprachlos und verunsichert an.

»Gehen wir dem schon die ganze Zeit nach?«, flüsterte Snenneq.

»Ich glaube, ja. Können wir ihm vertrauen?«

»Nein. Aber wir sollten ihm folgen, allerdings vorsichtig. Er hat unsere Sprache gesprochen und gesagt, uns würde nichts geschehen.« Er zog rasch seinen Wanderstock auseinander und steckte einen mit Wolle umwickelten Pfeil in das hohle Rohr der einen Hälfte. »Nur ein mittelstarkes Gift«, erklärte er Qina, die ihm zusah. »Genug, um jemand dieser Größe in den Schlaf zu versetzen. Hoffe ich zumindest.«

»Ich habe solche Angst, mein Lieber«, sagte Qina. »Zuerst die schrecklichen Tiere, jetzt diese seltsame Gestalt – weder ein Sterblicher noch ein Unsterblicher, soweit ich es beurteilen kann. Was ist das für ein Wahnsinn? Kreaturen, die es nicht geben sollte, Wesen, von denen ich noch nie gehört habe.«

»Es macht auch mir Angst«, gestand Snenneq. »Aber man begegnet an einem Ort wie hier nur selten jemandem und er hat vielleicht Morgan gesehen. Folgen wir ihm, aber halten wir uns bereit, jederzeit zu kämpfen oder wegzulaufen.«

»Das tue ich schon, seit ich diesen merkwürdigen dunklen Wald betreten habe«, sagte Qina.

Sie waren dem Fremden noch nicht weit gefolgt, da stieg ihnen der beißende Geruch von Rauch in die Nase. Ihr Führer legte den Kopf in den Nacken und stieß einen seltsam traurig klingenden Ruf aus, der mehr wie der Schrei eines Verrückten als der Ruf eines Sterblichen klang. Von irgendwo aus den Bäumen kam eine Antwort.

»Jetzt müssen wir uns bereithalten«, flüsterte Snenneq.

»Noch einmal, Liebster, du scheinst mir nicht zu glauben, dass ich schon die ganze Zeit so gespannt bin wie eine Bogensehne.«

Der Rauchgeruch wurde stärker und sie betraten eine von alten Linden umstandene Lichtung, auf der ein Lagerfeuer brannte. Ein rundes Mäuerchen flacher Steine schützte die Flammen. Mehrere Gestalten wie die, die sie hergebracht hatte, saßen darum herum, aber sie hatten große Köpfe und bewegten sich langsam und sahen noch weniger aus wie Unsterbliche oder Menschen.

Eine von ihnen drehte sich langsam nach den Trollen um und blickte ihnen ruhig entgegen. Ihr Gesicht sah dem des Fremden ähnlich, der sie hergebracht hatte, aber es war vom Alter eingefallen und so gut wie haarlos und die Haut war trocken und zerknittert wie altes Pergament. Qina konnte sich nicht erinnern, je eine so alte Person gesehen zu haben.

»Willkommen an unserem Feuer.« Der Alte sprach mühelos und fließend Qanuc. »Friede sei mit euch. Es tut mir leid, wenn das plötzliche Auftauchen von Tih-Rumi euch erschreckt hat.«

»Wer seid ihr?«, fragte Snenneq.

»Ich werde euch gleich alles sagen, was ihr wissen wollt«, sagte das Runzelgesicht lächelnd. »Aber zuerst möchte ich euch richtig begrüßen und dazu brauche ich eure Namen. Ich versichere euch, wir wollen euch nichts Böses.«

Die Trolle wechselten einen Blick. »Klein-Snenneq, Snenneqs Sohn bin ich«, sagte Snenneq schließlich. »Vom Berg Mintahoq. Und das ist Qina, Tochter des Singenden Mannes vom Mintahoq und außerdem Enkelin unseres Hirten und unserer Jägerin. Wie kommt es, dass ihr unsere Sprache so gut sprecht?«

»Ich entbiete euch meinen Gruß, Qina und Klein-Snenneq. Möge das geliebte Meer euer sicherer Hafen sein. Mögen eure Träume bunt sein.« Der Alte faltete die Hände wie zum Gebet – Hände, die kleiner waren als die der meisten seiner Gefährten, aber immer noch groß und langfingrig. »Um eure Frage zu beantworten: Ich spreche viele Sprachen – die der ersten Stämme der Menschen, der Qanuc, der Qo’sei, der Bewohner des Gebirges, der Wassersucher der Wüste und der Bewohner des fernen sumpfigen Wran. Außerdem spreche ich die Sprachen der Keida’ya, unserer vormaligen Herren, und aller meiner anderen, schon vergessenen Verwandten, die bei den Unsterblichen Tinukeda’ya heißen.«

»Ihr seid Tinukeda’ya?« Snenneq nickte langsam. »Ja, natürlich. Aber du und deine Gefährten, ihr seht nicht wie Niskies aus. Seid ihr die Agaki, von denen in unseren alten Bergsagen die Rede ist? Die in der Erde lebenden Gräber?«

Qina holte Luft. Wenn das stimmte, war diese Begegnung für sie sogar noch überraschender als das Auftauchen der Kreaturen aus den südlichen Sümpfen im Wald. Die in der Tiefe wohnenden Agaki waren bei ihrem Volk fast genauso legendär wie Sedda oder Kikkasut und irgendein anderer Gott, eine Göttin oder ein Geist.

»Unsere Gefährten sind Steingräber, ja«, sagte der Alte. »Oder Unterirdische, wie die Menschen sie in ihrer Sprache Westerling nennen. Ich gehöre allerdings einer älteren Art der Tinukeda’ya an und genauso mein Lehrling Tih-Rumi.« Auf den dünnen, aufgesprungenen Lippen erschien der Anflug eines Lächelns. »Ich heiße Kuyu-kun Sa’Vao. Ich bin die Stimme des Träumenden Meeres. Ich wünsche euch beiden gute Gesundheit, obwohl das jetzt, wo wir am Ende der Welt angelangt sind, wohl nicht mehr für lange gelten kann.«

Es dauerte einen Moment, bis Qina begriff, was der Fremde gesagt hatte, doch dann gefror ihr das Blut in den Adern wie das Wasser eines winterlichen Baches.

Als Morgan aufwachte, sah er das schmale, geisterhafte Gesicht der Norne direkt über sich. Mit ihrer Hand hielt sie ihm den Mund zu. Er wehrte sich, aber da setzte sie die Spitze ihres Messers an seine Wange, direkt unter dem Auge.

»Still!«, zischte sie. »Es kommen Hunde.«

»Ich höre keine …«, setzte er an, aber der Druck des Messers ließ ihn verstummen. Sie zeigte auf ihre Nase und dann zum anderen Ende des höhlenartigen Raums, den sie Kellergewölbe genannt hatte, um ihm zu verstehen zu geben, dass sie die Hunde roch.

Er stand so leise auf, wie er konnte. Hunde?, überlegte er. Was hatte das zu bedeuten?

Eine Geschichte seines Großvaters fiel ihm ein. Sie handelte davon, wie riesige weiße Hunde den jungen Simon durch den Wald gejagt hatten. An das Ende konnte Morgan sich nicht mehr erinnern, aber sein Großvater war ihnen ja offensichtlich entkommen. Ein rascher Blick auf seine Bewacherin sagte ihm, dass auch sie vielleicht entkommen konnten, dass es aber schwierig werden würde. Ihr bleiches Gesicht war wie eine Maske, aber ihrer Haltung und den gezogenen Waffen – einem langen Messer und einem silbergrauen Schwert – entnahm er, dass sie mit einem Kampf auf Leben und Tod rechnete.