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Seitenzahl: 172
KÖNIGS ERLÄUTERUNGEN
Band 416
Textanalyse und Interpretation zu
Günter Grass
IM KREBSGANG
Rüdiger Bernhardt
Alle erforderlichen Infos für Abitur, Matura, Klausur und Referat plus Musteraufgaben mit Lösungsansätzen
Zitierte Ausgabe: Günter Grass: Im Krebsgang. Eine Novelle. München: DTV, 6. Aufl. 2011 (seitenidentisch mit der gebundenen Ausgabe des Steidl-Verlags). Über den Autor dieser Erläuterung: Prof. Dr. sc. phil. Rüdiger Bernhardt lehrte neuere und neueste deutsche sowie skandinavische Literatur an Universitäten des In- und Auslandes. Er veröffentlichte u. a. Studien zur Literaturgeschichte und zur Antikerezeption, Monografien zu Henrik Ibsen, Gerhart Hauptmann, August Strindberg und Peter Hille, gab die Werke Ibsens, Peter Hilles, Hermann Conradis und anderer sowie zahlreiche Schulbücher heraus. Von 1994 bis 2008 war er Vorsitzender der Gerhart-Hauptmann-Stiftung Kloster auf Hiddensee. 1999 wurde er in die Leibniz-Sozietät gewählt.
Hinweis: Die Rechtschreibung wurde der amtlichen Neuregelung angepasst. Zitate von Günter Grass müssen auf Grund eines Einspruches in der alten Rechtschreibung beibehalten werden. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52 a UrhG: Die öffentliche Zugänglichmachung eines für den Unterrichtsgebrauch an Schulen bestimmten Werkes ist stets nur mit Einwilligung des Berechtigten zulässig.
3. Auflage 2015
ISBN: 978-3-8044-6992-1
© 2008, 2013 by C. Bange Verlag, 96142 Hollfeld Alle Rechte vorbehalten! Titelbild: KdF-Schiff Wilhelm Gustloff © ullstein bild – Teutopress
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INHALT
1. Das Wichtigste auf einen Blick – Schnellübersicht
2. Günter Grass: Leben und Werk
2.1 Biografie
2.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund
Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft
Familiengeschichte als Nationalgeschichte
Der Untergang der Wilhelm Gustloff am 30. Januar 1945
Heimatverlust, Antisemitismus und die Debatte um Günter Grass
2.3 Angaben und Erläuterungen zu wesentlichen Werken
3. Textanalyse und -Interpretation
3.1 Entstehung und Quellen
3.2 Inhaltsangabe
3.3 Aufbau
Eine klassische Novelle
Möglichkeiten des Erzählens
Erzählen im Krebsgang
3.4 Personenkonstellation und Charakteristiken
Tulla Pokriefke
Paul Pokriefke
Konrad Pokriefke
Jenny Brunies
Wolfgang (David) Stremplin
Jemand (bzw. der Alte)
3.5 Sachliche und sprachliche Erläuterungen
3.6 Stil und Sprache
Der erste Satz
Dichtung und Journalismus
Die Unzulänglichkeiten der sprachlich-stilistischen Gestaltung
Symbol- und Motivgeflecht, Internet-Vokabular, Reste der Mundart und LTI-Begriffe
3.7 Interpretationsansätze
Verschiedene Lesarten möglich
Literarische Bezüge
Kritik am Sensationsjournalismus
Ein Text über deutsche Opfer oder über den wieder erstarkenden Antisemitismus?
4. Rezeptionsgeschichte
Wertungen nicht literarischer, sondern politischer Natur
Darstellung deutscher Opfer – ein Tabubruch?
Die Leistung von Günter Grass
Lagerbildungen in der Literaturkritik
Internationale Reaktionen (Updike, Coetzee)
Tiefpunkte der Debatte (Heidenreich, Beutin)
Literarische Qualität bestätigt
5. Materialien
6. Prüfungsaufgaben mit Musterlösungen
Aufgabe 1 *
Aufgabe 2 ***
Aufgabe 3 **
Aufgabe 4 ***
Literatur
Zitierte Ausgabe
Hörbuchausgabe
Weitere Primärliteratur
Lernhilfen und Kommentare für Schüler
Sekundärliteratur
Literatur zum Untergang der Wilhelm Gustloff:
Verfilmungen der Schiffskatastrophe
Damit sich jeder Leser in diesem Band sofort zurechtfindet und das für ihn Interessante entdeckt, folgt hier eine Übersicht.
Im 2. Kapitel wird Günter Grass‘ Leben beschrieben und auf den zeitgeschichtlichen Hintergrund verwiesen:
Grass wurde 1927 in Danzig geboren. Am 1. September 1939 ging der selbstständige Freistaat „Freie Stadt Danzig“ zu Ende. 1945 musste die Familie Grass die Heimat Danzig verlassen. Grass war in den letzten Kriegsmonaten Soldat, lernte nach Zwischenstationen Steinmetz, studierte Malerei und wurde einer der bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Er starb 2015 in Lübeck.
Die Novelle Im Krebsgang korrespondiert mit Grass‘ Hauptwerk, der Danziger Trilogie (Titel nach John Reddick). Endgültiger Heimatverlust ist das zentrale Thema.
Im Krebsgang widmet sich dem Thema Flucht, Umsiedlung und Vertreibung.
Günter Grass hat Entwicklungen in der deutschen Nachkriegsgeschichte erfasst, in denen Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit in rechtsradikale Aktionen umschlagen.
Er enthüllt den latent vorhandenen Antisemitismus und den aggressiven Rechtsradikalismus um die Jahrtausendwende.
Im 3. Kapitel findet der Leser eine Textanalyse und -interpretation.
Im Krebsgang – Entstehung und Quellen:
Das Thema des Heimatverlustes geht bis in die Anfänge des Schaffens von Grass zurück. Tulla Pokriefke, bekannt aus der Danziger Trilogie, bekommt nun eine eigene Geschichte. Entstanden ist die Novelle in neun Monaten seit dem ersten Entwurf vom 17. Februar 2001. Materialien zum Untergang der Wilhelm Gustloff lagen vor und wurden von Grass ausgiebig genutzt.
Inhalt:
Der Journalist Paul Pokriefke soll im Auftrag seiner Mutter Tulla und eines „Jemand“ sein Leben, das mit dem Schiff Wilhelm Gustloff verknüpft ist, erzählen. Beim Recherchieren im Internet entdeckt er nationalsozialistische Propaganda und dass sein eigener Sohn Konrad dafür verantwortlich ist. Konrad schlüpft virtuell in die Rolle Wilhelm Gustloffs und sieht sich dem Vermächtnis des Schiffes verpflichtet, engagiert sich entsprechend und erschießt schließlich einen philosemitischen Gymnasiasten, der sich als Jude ausgegeben hat.
Chronologie und Schauplätze:
Die Handlung spielt von 1936 bis 1945 im nationalsozialistischen Deutschland, nach 1945 in den Besatzungszonen und den beiden deutschen Staaten sowie im vereinten Deutschland von 1990 bis 2000. Details reichen bis ins ausgehende 19. Jahrhundert zurück. Der umfangreiche Zeitraum wird auf drei (vier) Generationen einer Familie projiziert: Familiengeschichte wird zur Nationalgeschichte.
Personen:
Die Pokriefkes: Tulla, Paul – geboren am Tag des Untergangs der Wilhelm Gustloff – und seine geschiedene Frau Gabi, Konrad. Sie stehen für deutsche Geschichte von 1927 bis 2000.
Jenny, eine Schulfreundin Tullas, ist Zeugin der Entwicklung der Pokriefkes.
Wolfgang (David) Stremplin ist ein philosemitisch eingestellter Gymnasiast, Sonderling und Gegenspieler von Konrad.
Jemand, der Auftraggeber, trägt Züge von Günter Grass.
Stil und Sprache:
Der erste Satz formuliert den Unterschied zwischen Erzähler und Auftraggeber.
Dichtung und Journalismus geraten nebeneinander; dem Erzähler ist mit literatur- und sprachwissenschaftlichen Begriffen nicht gerecht zu werden.
Die sprachlich-stilistische Gestaltung mit ihren Unzulänglichkeiten ist Ausdruck der Bildung des Erzählers/Journalisten Paul Pokriefke.
Eine Beurteilung der sprachlichen Mittel ist eine Beurteilung journalistischer Mittel.
Symbol- und Motivgeflecht, Internet-Vokabular, Reste der Mundart (Danziger Platt) und Begriffe der LTI (Lingua Tertii Imperii, Sprache des Dritten Reichs) werden verwendet.
Verschiedene Interpretationsansätze:
Die Novelle Im Krebsgang lässt sich als Kriminalgeschichte, als Geschichtsroman, als Gegenwartserzählung, als Familientragödie und als Seegeschichte lesen. Dominierend ist der ereignisreiche Vorgang der Nationalgeschichte.
Mehrere Vergleiche – u. a. mit Thomas Mann oder Heinrich Böll – machen entstehende Gewalt deutlich, um sie zu verhindern, sie weisen aber auch den Unterschied von Dichtung und Journalismus aus.
Vergleichbar mit Grass‘ Novelle sind Uwe Timms Am Beispiel meines Bruders (2003) und Hans-Ulrich Treichels Erzählung Der Verlorene (1998): Die drei Erzähler fragen nach den Gründen für die Entwicklung des Faschismus/Nationalsozialismus und nach den Lehren, die daraus gezogen oder nicht gezogen wurden.
Der Text über Flucht und Vertreibung ist auch ein politisch-moralischer Text: Trotz der zahlreichen Opfer reaktivierten sich nationalsozialistisches und antisemitisches Denken. Die Novelle ist ein Beitrag zur Diskussion um den Antisemitismus in Deutschland.
Günter Grass (1927–2015) © Cinetext/Bruder
JAHR
ORT
EREIGNIS
ALTER
1927
Danzig
Günter Grass wird am Sonntag, dem 16. Oktober, in Danzig-Langfuhr als Kind eines deutschen protestantischen Vaters und einer kaschubischen katholischen Mutter geboren. Er wird katholisch erzogen. Die Eltern haben ein Kolonialwarengeschäft.
1933–44
Danzig
Besuch der Volksschule, 1937 des Real-Gymnasiums Conradinum. Seit 1937 im Deutschen Jungvolk (DJ)
6–16
1939
Danzig
1. September: Den Kriegsausbruch betrachtete Grass als das Ende seiner Kindheit.
12
1943/44
Danzig
Luftwaffenhelfer, Reichsarbeitsdienst
17
1944
Dresden
September: Den Marschbefehl zur Waffen-SS verstand Grass, begeistert vom Dritten Reich, als Kommando in eine „Eliteeinheit“ (Zwiebel, 126). Ausbildung zum Panzerschützen auf einem Truppenübungsplatz in Böhmen
17
1945
Ende Februar: Vereidigung; Verlegung nach Weißwasser
18
Cottbus
Als Soldat (Panzerschütze) in der Waffen-SS-Division „Jörg von Frundsberg“ am „Kriegsgeschehen“ (Zwiebel, 150) beteiligt, „als Freiheit von der Schule mißverstanden“[1].
Marienbad
April: Verwundet, in Meißen und Marienbad medizinisch versorgt Lazarett
Grafenwöhr Bad Aibling
In der Oberpfalz und in Bayern in amerikanischer Gefangenschaft; besucht einen Kochkurs. Überstellt nach Munster-Lager.
1946–47
Köln Saarland
Landarbeiter, Koppeljunge unter Tage in einem Kali-Bergwerk. Er ist unterwegs in verschiedenen Besatzungszonen, trifft seine Familie wieder, die Danzig verlassen musste. Die Nürnberger Prozesse öffnen ihm die Augen über den Nationalsozialismus, ohne „haltbar Partei zu ergreifen“ (Zwiebel, 256).
19–20
1947
Düsseldorf
Auf Rat Prof. Enselings Lehre als Steinmetz
20
1948–52
Düsseldorf
Studium an der Kunstakademie (Bildhauerei und Graphik; Lehrer: Sepp Mages und Otto Pankok)
21–25
1951–52
Reisen nach Italien und Frankreich. Bekanntschaft mit der Schweizer Bal- lettstudentin Anna Schwarz
24–25
1953–56
Berlin
Studium an der Hochschule für Bildende Künste (Schüler Karl Hartungs, hält ihn für einen seiner „begabtesten Schüler“[2]) 18. 1. 53: Anna Schwarz in Berlin. Er heiratet sie 1954 und hat mit ihr vier Kinder (1957–65). Tod der Mutter am 24. 1. 1954
26–29
1955
Berlin
Erste Veröffentlichungen. Auszeichnung: 3. Preis in einem Lyrikwettbewerb des Süddeutschen Rundfunks. Wird zur Gruppe 47 eingeladen, liest dort erstmals (Lyrik) und gewinnt Walter Höllerer zum Freund.
28
1956
Paris Stuttgart
Umzug: Grass besucht mehrfach Heines Grab, Freundschaft mit Paul Celan. Erste Ausstellung von Plastiken und Grafiken
29
1958
Großholzleute/Allgäu
Preis der Gruppe 47 für Die Blechtrommel
31
Danzig
Reise nach Polen
1959
Bremen
Die Blechtrommel erscheint. Der Senat der Stadt Bremen verweigert den von einer Jury zuerkannten Literaturpreis.
32
1960
Berlin
Rückkehr von Paris, erneut Reise nach Polen Grass hat großen Anteil an der Veröffentlichung des Stroop-Berichtes[3] in der Bundesrepublik, ein nachdrücklicher Beleg für den Völkermord an den Juden.
33
1961
Leipzig
Grass liest am 21. März als Gast Hans Mayers aus Die Blechtrommel im berühmten Hörsaal 40 der Leipziger Universität. „Es war gut, dass er zu uns gekommen war.“[4] Grass nimmt im Mai am V. Schriftstellerkongress der DDR teil. Novelle Katz und Maus erscheint.
34
Neuwied
Begegnung mit Willy Brandt, Beginn des Engagements für die SPD. Gemeinsam mit Wolfdietrich Schnurre protestiert Grass beim Schriftstellerverband der DDR gegen die Schließung der Grenze am 13. August 1961.
1963
Berlin
Aufnahme in die Akademie der Künste. Mit dem Roman Hundejahre wird die Danziger Trilogie abgeschlossen.
36
1964
USA
Reise. 1965 Ehrenpromotion durch das Kenyon College
37
1965
Bundestagswahlkampf für die SPD in 52 Veranstaltungen
38
Darmstadt
Georg-Büchner-Preis
Düsseldorf
Am 3. 10. werden am Rheinufer von Mitgliedern des „Evangelischen Jugendbundes für entschiedenes Christentum“ mit Genehmigung des Ordnungsamtes Bücher verbrannt, darunter Bücher von Erich Kästner, Camus und Grass.
Berlin
Brandanschlag auf Grass’ Wohnung
1966
USA
Tagung der Gruppe 47 in Princeton
39
1967
Israel
Reise
40
Nürnberg
Rede auf dem SPD-Parteitag
1968
Meißen
Mai: Im Dom wird das Meißener Tedeum des Komponisten Wolfgang Hufschmidt mit einem ‚ketzerischen Antitext‘ von Günter Grass aufgeführt.
41
Lübeck
28. 9.: Grass stellt die von ihm gegründete „Stiftung zugunsten des Romavolkes“ vor.
1968–69
Fontane-Preis u. a. Preise. Mehrere Reisen. Wahlkampfreise für die SPD mit 190 Veranstaltungen
41–42
1970
Warschau
Reise mit Willy Brandt zur Unterzeichnung des Deutsch-Polnischen Vertrages
43
1971
Nürnberg
Rede zum Dürer-Jahr
44
Tansania/Israel
Reisen
1972
Wewelsfleth
Trennung von Anna Grass. Kauf eines Hauses in Schleswig-Holstein Bundestagswahlkampf für die SPD mit 129 Veranstaltungen
45
1973
Israel
Reise mit Willy Brandt
46
1974
Austritt aus der katholischen Kirche
47
1975
Indien
Reise
48
1976
Teilnahme am Bundestagswahlkampf der SPD
49
1978
Stiftung des Alfred-Döblin-Preises „aus einem überschüssigen Teil“ der Buchhonorare[5] Scheidung von Anna Grass. Reisen in Asien
51
1979
Cannes
Auszeichnungen, darunter die Goldene Palme der Filmfestspiele für den Film Die Blechtrommel Sommer: Tod des Vaters Eheschließung mit der Hiddenseer Organistin Ute Grunert
52
1982
Eintritt in die SPD
55
1983
Berlin
Präsident der Akademie der Künste
56
1984
Hamburg
Umzug, ohne sich in Hamburg wohlzufühlen.
57
1986
Behlendorf
Kauf einer Gründerzeitvilla in Holstein
59
1986–87
Indien
Aufenthalt in Kalkutta
59–60
1989
Berlin
Austritt aus der Akademie der Künste wegen deren mangelnder Solidarität mit Salman Rushdie
62
1990
Gdańsk
4. Mai: Fahrt „mit einem Marineminenleger zur Westerplatte“ (D, 93), besucht Orte der Danziger Trilogie (Brösen, Oliva usw.).
63
Poznan
Ehrendoktor der Universität
Frankfurt a. M.
Wintersemester: Gastdozentur für Poetik, Schreiben nach Auschwitz
1992
Austritt aus der SPD
65
1993
Danzig/Gdańsk
Ehrendoktor der Universität, Ehrenbürger der Stadt, u.a. Ehrungen durch die Kaschubisch-Pommersche Vereinigung
66
1994
Auszeichnungen, darunter den Großen Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste
67
1995
Der Roman Ein weites Feld erscheint und löst einen Streit in der Literaturkritik aus.
68
1996
Auszeichnungen, darunter der dänische Sonning-Preis, der Fallada-Preis, die Hermann-Kesten-Medaille und im Mai der Thomas-Mann-Preis der Stadt Lübeck
69
1997
Göttingen
Februar: Samuel-Bogumil-Linde-Literaturpreis für Verdienste um die deutsch-polnische Verständigung
70
Frankfurt a. M.
Oktober: Laudatio auf den Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels Yaşar Kemal; Angriffe konservativer Kräfte
Oklahoma City
Die Polizei beschlagnahmt Videos der Blechtrommel (Film), die als pornografisch eingestuft wurde; 1999 deshalb 575.000 Dollar Entschädigung.
1998
Berlin
10. Mai: Wiederaufnahme in die Akademie der Künste
71
1999
Göttingen
Mein Jahrhundert Grass nimmt aus moralischen Gründen und aus Treue zur SPD Partei für den Krieg der NATO unter Beteiligung der BRD gegen Jugoslawien[6] und wird von Kriegsgegnern kritisiert.
72
Oviedo
Als erster nicht-spanischer Autor erhält Grass den Prinz-von-Asturien-Preis für seinen Einsatz für Freiheit und Demokratie.
Stockholm
Nobelpreis
2000
Hamburg
Theaterfassung Mein Jahrhundert (Regie: Horst Königstein)
73
Bremen
Gründung der Günter-Grass-Stiftung: Sammelt Bild- und Tonbeiträge
2001
Frankfurt/O.
Viadrina-Preis der Viadrina-Universität
74
Berlin
Herbst: Gemeinsam mit zahlreichen Künstlern veröffentlicht Grass eine Erklärung gegen den Einsatz deutscher Truppen in Afghanistan und gegen einen „Totalitarismus neuer Art“.
2002
Die NovelleIm Krebsgangerscheint.
75
Halle (S.)
21. März: Grass hält die Rede zur Gründung einer Nationalstiftung, die er 1973 angeregt hatte: „Gut Ding braucht Weile heißt eine Schneckenweisheit.“[7]
Leipzig
21. März: erstmalige Verleihung des von Grass geschaffenen Bücher-Butts, des Deutschen Bücherpreises (2002–2004).
Lübeck
20. Oktober: Eröffnung des Günter-Grass-Hauses, in dem das Werk (Wort- und Bildkunst) zugänglich gemacht werden soll.
2003
Halle (S.
Grass erhält den Bürgerpreis „Der Esel, der auf Rosen geht“. Grass verurteilt den Krieg der USA im Irak, zumal die USA aus den „Niederlagen nichts lernt, etwa aus dem Vietnam Krieg“[8].
76
Göttingen
Letzte Tänze, Gedichte und Zeichnungen
2004
Göttingen
Fünf Jahrzehnte. Ein Werkstattbericht
77
2005
Indien
Erneuter Aufenthalt, u. a. in Kalkutta
78
Berlin
Ehrendoktor der FU
Stuttgart
28. November: Eckart-Witzigmann-Preis der Deutschen Akademie für Kulinaristik
Lübeck
1. Treffen der „Lübecker Gruppe 05“ nach dem Vorbild der „Gruppe 47“ für jüngere Schriftsteller
2006
Lübeck
Grass‘ Autobiografie Beim Häuten der Zwiebel enthält u. a. das Bekenntnis, in der Waffen-SS gedient zu haben. Heftige Reaktionen zahlreicher Kollegen und eines polarisierten Publikums: „Hoch geehrt und heiß umstritten – Günter Grass polarisiert.“[9] Grass erwägt, Deutschland zu verlassen.
79
Chemnitz Görlitz
15. 12.: Lesung statt der Auszeichnung mit dem Internationalen Brückenpreis (Görlitz und Zgorzelec), den Grass abgelehnt hatte. Sonderausstellung „Grafiken und Skulpturen“ im Schlesischen Museum
2007
Lübeck
Im Günter Grass-Haus wird die Ausstellung „Der liebe Gott“ Otto Pankok. Ein Lehrer von Günter Grass gezeigt. Der Gedichtband Dummer August erscheint und reagiert auf die Angriffe des Vorjahres.
80
Hiddensee
Grass engagiert sich für die Edition Hiddensee.
Lübeck
Festakt der Stadt mit dem Bundespräsidenten Horst Köhler. Veranstaltungen und Fernsehsendungen zum 80. Geburtstag
Göttingen
Geburtstagsparty, organisiert vom Verlag Steidl, mit 2000 Gästen
Danzig
Konferenz, Ausstellung u. v. a. m. anlässlich des 80. Geburtstages
2008
St. Petersburg Göttingen
Mai: Auf Grass‘ Anregung findet ein deutsch-russisches Autorentreffen statt. 29. August: Die Box, ein weiteres autobiografisches Buch
81
2009
Göttingen
Januar: Grass‘ Tagebuch 1990 erscheint: Unterwegs von Deutschland nach Deutschland. September: Grass ist für die SPD im Wahlkampf in Ostdeutschland unterwegs.
82
2010
Istanbul
Grass ruft die Türkei auf, die im Ersten Weltkrieg an den Armeniern begangenen Verbrechen anzuerkennen.
83
Berlin
Günter Grass im Visier. Die Stasi-Akte (hrsg. von Kai Schlüter) erscheint.
Göttingen
Mit Grimms Wörter. Eine Liebeserklärung schließt Grass seine autobiografische Trilogie ab.
2011
Braunschweig
Januar: In der Jakob-Kemenate werden Zeichnungen und Plastiken von Grass ausgestellt. Er besucht die Jüdische Gemeinde.
84
Göttingen
28. April: Grass und sein Verleger Steidl enthüllen ein von Grass entworfenes Denkmal für die Göttinger Sieben (darunter Jacob und Wilhelm Grimm).
2012
4. April: In Zeitungen erscheint Grass‘ Gedicht Was gesagt werden muss, in dem er das „behauptete Recht auf den Erstschlag“ israelischer Politiker kritisch bewertet und vor einem Krieg warnt. Eine polarisierte Diskussion bricht los, die weder Grenzen noch Sachlichkeit wahrt. Das Gedicht erhält internationale Beachtung und löst Diskussionen über Israel als Atommacht aus. Israel erlässt ein Einreiseverbot gegen Grass. 26. Mai: In der Süddeutschen Zeitung erscheint das Gedicht Europas Schande mit zahlreichen Anspielungen auf Kunst und Kultur und löst eine erneute Diskussion aus. Grass beklagt „ein kaum noch geduldetes Land“, das die Wiege Europas sei und nun an den Pranger gestellt werde und leide (gemeint ist Griechenland). Herbst: Eintagsfliegen (Lyrik) Dezember: Grass führt, nach einer Cicero-Liste, die Liste der 500 wichtigsten deutschen Intellektuellen an, gefolgt von Peter Handke, Martin Walser und Alice Schwarzer. Die dänische Europa-Bewegung ernennt Grass zum „Europäer des Jahres“.
85
2013
Bad Elster
Januar-März: Über 60 Grafiken werden in der Wandelhalle des berühmten Bades ausgestellt.
86
2015
Lübeck
Am 13. April stirbt Grass in seinem 88. Lebensjahr
87
Göttingen
Vonne Endlichkait (Prosatexte, Gedichte, Zeichnungen) erscheint posum.
ZUSAMMENFASSUNG
Die Handlung spielt im nationalsozialistischen Deutschland von 1936 bis 1945, nach 1945 in den Besatzungszonen und den beiden deutschen Staaten sowie im vereinten Deutschland von 1990 bis 2000. Details reichen bis ins ausgehende 19. Jahrhundert zurück. Außerdem wird die Geschichte des Freistaates „Freie Stadt Danzig“ erörtert.
Der umfangreiche Zeitraum wird auf drei (vier) Generationen einer Familie projiziert: Familiengeschichte wird zur Nationalgeschichte.
Der autobiografische Hintergrund, die Behandlung des Themas Flüchtlinge, Vertriebene, Umsiedler sind Teil der Novelle.
Günter Grass hat seismografisch Stimmungen und Entwicklungen in der deutschen Gegenwart erfasst, in denen Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit in rechtsradikale Aktionen umschlagen.
Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft
Der zeitgeschichtliche Hintergrund von Im Krebsgang ist ein doppelter: Einmal geht bei Günter Grass allgemein in jedes Werk ein Stück der Autobiografie des Schriftstellers ein, d. h., unabhängig von dem behandelten Thema sind Verbindungen zwischen biografischen Umständen des Autors und seinen Werken mitzudenken. Zweitens ist der zeitgeschichtliche Hintergrund nicht mit dem beschriebenen Geschehen oder auch dem Erscheinungsjahr des Textes abgeschlossen, sondern setzt sich in der Gegenwart fort und stellt Beziehungen zur Zukunft her. Eine besondere Wirkung von Literatur wird deutlich, die zeitgeschichtliche Vorwegnahme: Intuitiv leitet sie aus ihrer jeweiligen Gegenwart Entwicklungen ab, die ahnbar und möglich, real aber erst im Kommen sind. Diese Wirkung haben Grass‘sche Texte mehrfach bewiesen: So geht es in Im Krebsgang um die Vergangenheit von Nationalsozialismus/Faschismus, aber auch um den Rechtsradikalismus in den Jahren der Jahrtausendwende 2000. Dieser Rechtsradikalismus hat sich in der von Grass beschriebenen Weise fortentwickelt: Zu dem literarischen Mord des Konrad Pokriefke 1997 sind zwischen 2000 und 2007 zehn reale Morde, die der Zwickauer Terrorzelle (NSU) zugeschrieben werden, gekommen. Aktuelle Dokumentationen weisen aus, dass die rechte politische Gewalt straff organisiert war; Anschläge, darunter der Nagelbombenanschlag des Zwickauer Trios 2004 in Köln, Keupstraße, um „die türkischstämmigen Kleinunternehmer in der Straße“[11] zu treffen, weisen eine Aktualität von Im Krebsgang