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Irland 1812: Seit Jahren ist Lizzie heimlich in den skandalumwitterten Tyrell de Warenne verliebt. Jede Nacht träumt sie von diesem Mann, der so gefährlich, so unerreichbar wirkt. Aber wie soll eine unerfahrene junge Dame wie sie einen echten Frauenhelden für sich gewinnen? Lizzies einzige Hoffnung ist der Maskenball im fernen London, auf dem sie Tyrell zu erobern hofft. Tatsächlich kommt es im Rausch der Ballnacht zum lang ersehnten, leidenschaftlichen Kuss. Doch Lizzie hat die Rechnung ohne ihre Schwester Anna gemacht: die hat seit jeher eine Schwäche für hinreißend attraktive Männer wie Tyrell - und verfügt über die Waffen einer Frau …
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Seitenzahl: 633
Alle Rechte, einschließlich das der vollständigen oder auszugsweisen Vervielfältigung, des Ab- oder Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten und bedürfen in jedem Fall der Zustimmung des Verlages.
Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.
Brenda Joyce
Im Rausch der Ballnacht
Roman
MIRA® TASCHENBUCH
MIRA® TASCHENBÜCHER
erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,
Valentinskamp 24, 20354 Hamburg
Geschäftsführer: Thomas Beckmann
Copyright © 2012 by MIRA Taschenbuch in der Harlequin Enterprises GmbH
Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:
The Masquerade
Copyright © 2005 BY BRENDA JOYCE
DREAMS UNLTD., INC.
erschienen bei: Mira Books, Toronto
Übersetzt von Bärbel Hurst
Published by arrangement with
HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Umschlaggestaltung: Birgit Tonn
Redaktion: Bettina Lahrs
Titelabbildung: Harlequin Books S.A.
ISBN eBook 978-3-95576-209-4
www.mira-taschenbuch.de
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eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmundwww.readbox.net
Ein Prinz und Held
Ihre Mutter stand direkt hinter ihr und sprach so laut, dass Lizzie unglücklicherweise jedes ihrer Worte mit anhören musste. Sie beugte sich tiefer über das Buch und versuchte, sich auf den Text zu konzentrieren. Aber das gelang ihr nicht, denn sie wurde beobachtet. Das kleine Mädchen errötete heftig.
“Ja, sie ist anders als die anderen, aber nur, weil sie schüchtern ist. Natürlich denkt sie sich nichts dabei. Und sie ist doch erst zehn! Ganz bestimmt wird sie in ein paar Jahren genauso entzückend sein wie meine liebe Anna. Anna ist doch wirklich eine Schönheit, nicht wahr? Und Georgina May, meine Älteste, ist schon so vernünftig. Immer geht sie mir bei allem zur Hand”, erklärte Mama. “Und wie pflichtbewusst sie ist!”
“Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie Sie das schaffen mit drei Töchtern, die im Alter so nahe beieinander sind”, erklärte die Dame, mit der Mama plauderte. Sie war die Schwester des Pfarrers und zu einem kurzen Besuch aus Cork angereist. “Aber Sie haben Glück. Anna wird sicher eine gute Partie machen, wenn sie das entsprechende Alter erreicht hat, bei so viel Schönheit können Sie ganz unbesorgt sein. Und bei Georgina May sehe ich durchaus noch Möglichkeiten. Ich könnte mir vorstellen, dass aus ihr eine sehr anziehende Frau wird.”
“Oh, davon bin ich überzeugt!”, rief Mama, als würden sich ihre Wünsche erfüllen, wenn sie nur fest genug daran glaubte. “Und ganz bestimmt wird sich auch Lizzie noch herausmachen. Den Babyspeck wird sie bald ablegen, glauben Sie nicht auch?”
Einen Augenblick lang herrschte Stille. “Nun, gewiss wird sie schlanker werden, vorausgesetzt, sie lässt die Finger von Süßigkeiten. Aber falls sie sich zu einem Blaustrumpf entwickelt, wird es Ihnen schwerfallen, für sie einen passenden Ehemann zu finden”, meinte die Schwester des Pfarrers. “Ich würde sie lieber im Auge behalten. Ist sie nicht noch etwas zu jung für Bücher?”
Lizzie gab den Versuch auf, etwas lesen zu wollen. Sie presste ihr kostbares Buch an sich und hoffte, dass Mama nicht herüberkam, um es ihr wegzunehmen. Inzwischen glühten ihre Wangen vor Verlegenheit, und sie wünschte sich nichts sehnlicher, als dass sich das Gespräch einem anderen Thema zuwandte. Aber dann schlenderten Mama und die Schwester des Pfarrers zurück zu den übrigen Erwachsenen, und Lizzie seufzte erleichtert auf.
Vielleicht bot ein sommerliches Picknick am See einfach nicht die richtige Gelegenheit zum Lesen. Eine große Gesellschaft war hier zusammengekommen, zu der ihre Familie gehörte, die nächsten Nachbarn sowie der Pfarrer mit seiner Familie. Sieben Erwachsene waren dabei und sechs Kinder, sie selbst eingeschlossen. Gerade jetzt spielten ihre Schwestern mit den Freunden Piraten. Rufe und Gelächter störten die Stille dieses beschaulichen Juninachmittags. Lizzie warf einen flüchtigen Blick auf die Szenerie. Anna spielte die Rolle der Jungfer in Not und tat so, als weine sie über irgendetwas. Der älteste Sohn des Pfarrers versuchte, sie zu trösten, während der jüngere Sohn und der Nachbarjunge mit Stöcken bewaffnet auf die beiden zuschlichen – offensichtlich waren sie die Piraten. Georgie lag am Boden, als Opfer irgendeines schrecklichen Ereignisses.
Niemand hatte Lizzie zum Mitspielen aufgefordert, und sie hätte es auch nicht gewollt. Seit sie die ersten Worte entziffern konnte, war sie vom Lesen fasziniert gewesen. Vor sechs Monaten war das Wunder geschehen, dass sie einen Satz ansehen und darin einen Sinn erkennen konnte. Schnell war das Lesen zu ihrem Lebensinhalt und ihrer Leidenschaft geworden. Dabei war es ihr egal, was sie las, obwohl sie Geschichten mit kühnen Helden und schluchzenden Heldinnen am liebsten hatte. Gerade hatte sie sich einen der Romane von Sir Walter Scott vorgenommen. Dass er ihn für Erwachsene geschrieben hatte und sie für eine einzige Seite mindestens eine Stunde brauchte, war ihr vollkommen egal.
Erneut sah Lizzie sich um und stellte fest, dass sie ganz allein war. Die Erwachsenen hatten sich auf Decken niedergelassen und öffneten gerade ihre Picknickkörbe. Die Schwestern spielten noch immer mit den Jungen. Gespannt vor Erwartung schlug sie ihr Buch auf.
Aber ehe sie den Absatz, bei dem sie vorhin aufgehört hatte, noch einmal lesen konnte, kam eine Gruppe von Reitern ans Ufer getrabt, gut ein Dutzend Schritte von ihrem Sitzplatz entfernt. Sie hörte jungenhafte, übermütige Stimmen, und als Lizzie den Kopf hob, sprangen die Ankömmlinge von ihren Pferden.
Augenblicklich war sie gebannt, als sie erkannte, dass es fünf Jungen waren. Lizzies Interesse und ihre Neugier waren geweckt. Sie waren auf edlen Vollblutpferden gekommen und trugen gut geschnittene und teure Kleidung, also waren sie ganz bestimmt von Adel. Lachend zogen sie ihre Jacken und Hemden aus und entblößten dabei ihre schlanken, gebräunten Oberkörper. Offensichtlich wollten sie schwimmen gehen.
Lizzie fragte sich, ob sie wohl von Adare gekommen waren. Der Earl of Adare war der einzige Adlige hier in der Gegend, und er hatte drei leibliche und zwei Stiefsöhne. Das Buch fest an die Brust gepresst, sah sie zu, wie ein großer blonder Junge ins Wasser tauchte, gefolgt von einem schlanken, kleineren mit dunklem Haar. Unter Geschrei und Gejohle sprangen noch zwei weitere Jungen ins Wasser. Die Rufe und das Lachen wurden lauter, als sie begannen, einander nass zu spritzen. Lizzie lächelte.
Sie konnte nicht schwimmen, aber es schien Spaß zu machen.
Dann blickte sie hinüber zu dem einen Jungen, der es nicht so eilig hatte und noch am Ufer stand. Es war sehr groß, mit einer Haut so dunkel wie die eines Spaniers und mit nachtschwarzem Haar. Er schien nur aus Sehnen und Muskeln zu bestehen – und er sah neugierig zu ihr herüber.
Lizzie versteckte sich hinter ihrem Buch und hoffte, dass er sie nicht auch für dick halten würde.
“He, Dickerchen, gib das her!”
Als der jüngere Sohn des Pfarrers ihr das Buch aus den Händen riss, schreckte Lizzie hoch. “Willie O’Day!”, rief sie und sprang auf. “Gib mir das Buch zurück, du Schuft!”
Er kicherte nur. Lizzie konnte ihn nicht leiden, weil er böse war. “Komm her, und hol’s dir, wenn du es haben willst”, höhnte er.
Er war drei Jahre älter als sie und mindestens acht Zentimeter größer. Lizzie wollte nach dem Buch greifen, aber er hielt es sich einfach über den Kopf, und sie konnte es nicht mehr erreichen. “Bücherwurm!”, höhnte er und lachte über sie.
Es hatte Tage gedauert, bis sie die ersten zehn Seiten gelesen hatte, und jetzt fürchtete sie, er würde das Buch behalten. “Bitte! Bitte gib es mir wieder!”
Da hielt er ihr das Buch hin – und als sie danach fassen wollte, warf er es in den See.
Lizzie stockte der Atem, als sie sah, wie ihr Buch direkt am Ufer im Wasser trieb. Tränen stiegen ihr in die Augen, und Willie lachte auf. “Wenn du es haben willst, dann hol es dir, Dickerchen”, sagte er und ging davon.
Ohne zu überlegen, rannte Lizzie die wenigen Schritte zum Seeufer und versuchte, nach dem Buch zu greifen.
Urplötzlich verlor sie das Gleichgewicht und fiel hinein.
Wasser umfing sie, es drang ihr in den Mund, und als sie hustete, schluckte sie noch mehr davon und begann zu würgen. Dann sank sie tiefer hinab, bekam keine Luft mehr und geriet in Panik.
Während sie noch entsetzt um sich schlug, fühlte sie, wie sie von starken Händen gepackt wurde, und dann war ihr Kopf wieder über der Oberfläche, und sie lag in den Armen eines Jungen. Lizzie klammerte sich an ihn, presste ihr Gesicht an seine feste Brust, hustete und schluchzte zur gleichen Zeit. Als er aus dem Wasser watete, bekam sie wieder Luft. Augenblicklich verschwanden Panik und Entsetzen. Ohne seine nassen, starken Schultern loszulassen, sah Lizzie zu ihm hoch.
Nie zuvor hatte sie in so auffallend dunkelblaue Augen gesehen.
“Geht es dir gut?”, fragte ihr Lebensretter, ohne den Blick von ihr abzuwenden.
Lizzie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch sie brachte keinen Ton heraus. Ihre Blicke begegneten sich, und da geschah es.
Auf den ersten Blick, Hals über Kopf und unsterblich verliebte sie sich.
Ihr Herz gehörte ihm.
“Lizzie! Lizzie! Oh mein Gott, Lizzie!” Aus weiter Ferne erklangen Mamas Schreie.
“Bist du ein Prinz?”, flüsterte Lizzie.
Er lächelte. Ihr Herz schien stillzustehen, um dann umso schneller weiterzuschlagen. “Nein, Kleines, ein Prinz bin ich nicht.”
Aber ganz bestimmt ist er ein Prinz, dachte Lizzie und konnte ihren Blick nicht von seinem schönen Gesicht abwenden. Er ist mein Märchenprinz.
“Lizzie! Geht es ihr gut? Geht es meinem kostbaren Schatz gut?” Mama befand sich am Rande der Hysterie.
Ihr Prinz legte sie auf eine Decke. “Ich denke schon. Ein bisschen nass ist sie, aber an einem so schönen irischen Tag wird sie im Nu wieder trocken sein.”
“Lizzie!” Neben ihr kniete Papa, vor Schreck ganz bleich. “Mein Liebling, was hast du dir nur dabei gedacht, so nahe ans Wasser zu gehen?”
Lizzie lächelte. Allerdings galt das Lächeln nicht ihrem Papa, sondern ihrem Prinzen. “Es geht mir gut, Papa.”
Das Lächeln des Prinzen verschwand.
“Wie können wir Ihnen nur danken, Lord Tyrell?”, schluchzte Mama. Indem sie seine Hände ergriff, zog sie seine Aufmerksamkeit auf sich.
“Da gibt es nichts zu danken, Mrs. Fitzgerald. Sie ist gerettet, nur das allein zählt”, erwiderte er.
Da begriff Lizzie, wer er war: Der älteste Sohn des Earl of Adare, Tyrell de Warenne, der Erbe. Die Arme um ihre Knie geschlungen, betrachtete sie ihn noch immer voll Staunen. Aber hatte sie nicht gewusst, dass er ein Prinz war – oder zumindest so etwas Ähnliches? Denn im Süden Irlands galt der Earl of Adare so viel wie ein König.
Inzwischen hatten sich Tyrells Brüder und Stiefbrüder neugierig und besorgt um sie geschart. Tyrell drehte sich um, und sofort wichen alle vor ihm zurück. Am liebsten hätte Lizzie ihn wieder zu sich gerufen, wagte es aber natürlich nicht – bis sie begriff, was er vorhatte. Fasziniert sah sie zu, wie er ins Wasser watete und ihr Buch holte. Gleich darauf brachte er es ihr und lächelte sie an. “Du wirst ein neues Exemplar brauchen, Kleines.”
Zu schüchtern, um sich bei ihm zu bedanken, biss Lizzie sich auf die Lippen.
“Lord Tyrell, wir stehen in Ihrer Schuld”, erklärte Papa mit ernster Miene.
Tyrell winkte ab. Suchend wandte er sich um, und Lizzie sah, wie er Willie O’Day musterte.
Willie machte kehrt und wollte davonlaufen.
Mit einem Satz war Tyrell bei ihm und packte ihn am Ohr. Ohne auf Willies Schmerzensschreie zu achten, zerrte er ihn zu Lizzie zurück. “Knie nieder, und entschuldige dich bei der kleinen Lady”, verlangte er. “Oder ich werde dir die Seele aus dem Leib prügeln.”
Und zum ersten Mal in seinem Leben tat Willie, was man ihm befahl, und bat Lizzie unter Tränen um Verzeihung.
Eine schicksalhafte Begegnung
Elizabeth Anne Fitzgerald starrte auf den Roman in ihren Händen, aber die Worte ergaben keinen Sinn. Genau genommen erschienen ihr die Buchstaben so verschwommen, als würde sie ihre Lesebrille gar nicht tragen. Vielleicht war das ganz gut so. Mama hasste es, wenn sie bei Tisch las, und sie hatte sich mit ihrem Liebesroman schon vor einiger Zeit hier hingesetzt, um das Frühstück einzunehmen, das jetzt vergessen vor ihr stand. Seufzend schlug Lizzie das Buch zu. Sie kam zu dem Schluss, dass sie wegen des morgigen Tages zu aufgeregt war, um sich auf irgendetwas zu konzentrieren.
Aufgeregt und ängstlich.
Am Kopf der Tafel saß Papa mit dem gestrigen Exemplar der Dublin Times. Die Zeitung raschelte, als er nach seiner Teetasse griff, vollkommen vertieft in einen Artikel über den Krieg. Ein Stockwerk höher befand sich der Haushalt in Aufruhr. Lizzie hörte, wie ihre Mutter und die beiden älteren Schwestern in den Schlafzimmern hin und her eilten, hin und her, hin und her, mit hektisch klappernden Absätzen. Und sie hörte auch Annas Klagen und Georgies kurze, vernünftige Einwände. Mama rief Kommandos wie ein Soldat. Papa schien nichts davon zu bemerken, aber ein derartiges Chaos war im Hause der Fitzgeralds nichts Ungewöhnliches.
In der Hoffnung, einen Blick von ihm zu erhaschen, sah Lizzie ihn an. Gern hätte sie geredet, aber sie war nicht sicher, ob sie sich jemandem anvertrauen sollte.
“Du starrst mich an”, sagte er, ohne aufzusehen. “Was ist los, Lizzie?”
Sie zögerte. “Ist es normal, so nervös zu sein?”
Über den Rand seiner Zeitung hinweg blickte Papa zu ihr hin und lächelte liebevoll. “Es ist nur ein Ball”, sagte er. “Es mag dein erster sein, aber ganz gewiss nicht dein letzter.” Er war klein von Wuchs, frühzeitig ergraut, trug einen grauen Backenbart und stets eine freundliche Miene zur Schau. Genau wie Lizzie benötigte er eine randlose Brille, allerdings nicht nur beim Lesen. Das Einzige, was Lizzie je daran bedauert hatte, war, so schlechte Augen von einem so wundervollen Vater geerbt zu haben.
Sie fühlte, wie sie errötete, und versuchte, dem gütigen Blick ihres Vaters auszuweichen, damit er nicht erriet, wie aufgeregt sie war. Schließlich war sie inzwischen sechzehn Jahre alt, eine erwachsene Frau oder doch jedenfalls beinah. Niemand in ihrer Familie sollte wissen, dass sie noch überaus kindliche Fantasien hegte – die, genau betrachtet, in den stillen Stunden der Nacht gar nicht mehr so kindlich waren.
Sie errötete noch mehr.
Unter dem Tisch strich eine streunende Katze, die sie im vergangenen Jahr aufgenommen hatte, um ihre Knöchel und schnurrte.
Aber Papa durchschaute sie. Er legte die Zeitung beiseite und betrachtete sie aufmerksam. “Lizzie, es ist nur ein Ball. Und du bist schon vorher in dem Haus gewesen.” Damit meinte er das Haus des Earl of Adare. “Weißt du, meine Liebe, keinem von uns ist entgangen, wie merkwürdig du dich in den letzten Tagen verhalten hast. Du hast sogar deinen Appetit verloren, und wir wissen doch alle, wie gern du isst! Was bedrückt dich, Liebes?”
So gern hätte Lizzie ihn angelächelt, wirklich, aber es gelang ihr einfach nicht. Was sollte sie dazu sagen? Als sie ein Kind von zehn Jahren gewesen war, hatte man sich amüsiert darüber, dass sie ihr Herz an einen jungen Mann gehängt hatte, der nicht einmal etwas von ihrer Existenz ahnte. Als sie ein erblühender Backfisch von dreizehn Jahren gewesen war, hatte man deswegen die Stirn gerunzelt und sich gesorgt. Ein Jahr später hatte Lizzie ihn in der Stadt mit einer schönen Dame von Adel gesehen und begriffen, wie lächerlich ihre Gefühle waren. Eine solche Schwärmerei war einfach unpassend, und das wusste Lizzie, vor allem da sie jetzt zusammen mit ihren älteren Schwestern in die Gesellschaft eingeführt werden sollte.
Aber auf diesem Maskenball würde auch er sein, wie in jedem Jahr an Allerheiligen, denn er war der Erbe des Earls. Die älteren Schwestern wussten zu berichten, dass er stets höflich und charmant war zu den Gästen der Familie – und dass viele weibliche Wesen ihn umschwärmten. Jede Mutter, die auf eine gute Partie aus war, hegte insgeheim die unsinnige Hoffnung, ihn für ihre Tochter einfangen zu können, obwohl alle Welt wusste, dass er sich bei einer Heirat pflichtgemäß nach den Wünschen seiner Familie richten würde. Lizzie musste nur die Augen schließen, und sofort sah sie Tyrell de Warennes dunkles, vornehmes Antlitz und seinen eindringlichen Blick vor sich.
Die Vorstellung, ihn morgen auf dem Ball zu sehen, nahm ihr den Atem. Aus unerfindlichen Gründen schlug ihr Herz schneller. Aus ebenso unerfindlichen Gründen sah sie genau vor sich, wie er sich vor ihr verbeugte und ihre Hand nahm – und dann saß sie plötzlich mit ihm auf seinem weißen Ross, und gemeinsam ritten sie in die Nacht hinaus.
Lächelnd ertappte sie sich dabei, wie sie Tagträumen nachhing, und kniff sich in den Arm. Obwohl sie als Maid Marian verkleidet auf den Ball gehen würde – Robin Hood gehörte zu ihren Lieblingsgeschichten –, würde er sie niemals bemerken. Aber eigentlich wollte sie das auch gar nicht. Sie wollte nicht, dass er sie so ohne jegliches Interesse ansah, wie es Annas Verehrer zu tun schienen. Mit den übrigen Mauerblümchen wollte sie an der Wand stehen und ihm unauffällig dabei zusehen, wie er tanzte und flirtete. Und dann, wenn sie wieder zu Hause in ihrem eigenen Bett lag, würde sie von seinen Blicken träumen, von seinen Gesten, seinen Worten und sogar seinen Berührungen.
Plötzlich hielt er sein Ross an, schlang die Arme um sie, und sie spürte seinen Atem auf ihrer Wange …
Lizzies Puls schlug noch schneller, und ihr Körper schmerzte auf jene besondere Weise, an die sie sich gewöhnt hatte, obwohl sie sie nicht verstand.
“Lizzie?” Papa unterbrach ihre Gedanken.
Sie biss sich auf die Lippe, öffnete die Augen und brachte ein Lächeln zustande. “Ich wünschte …”, begann sie und stockte.
“Was wünschst du dir, mein Liebling?”
Ihrem Papa fühlte sie sich weitaus enger verbunden als ihrer Mama, was vielleicht daran lag, dass auch er ein begeisterter Leser war und eine Neigung zu Träumen hatte. An vielen kalten, verregneten Tagen konnte man Lizzie und ihren Vater im Salon finden, wo sie vor dem Kamin saßen, ein jeder in ein Buch vertieft. “Ich wünschte, ich könnte so wunderschön sein wie Anna”, hörte sie sich selbst flüstern. “Nur einmal – nur morgen Abend.”
Verblüfft sah er sie an. “Aber du bist doch so hübsch!”, rief er aus. “Du hast so schöne graue Augen!”
Lizzie schenkte ihm ein mattes Lächeln. Es war ihr bewusst, dass es sonst nichts Bemerkenswertes an ihr gab. Und dann hörte sie, wie Mama die Treppe heruntereilte und nach ihr rief: “Lizzie!”
Lizzie und Papa sahen sich an. Mamas durchdringender Ton war unmissverständlich. Etwas stimmte nicht, und Mama wollte, dass Lizzie sich darum kümmerte. Konflikte aller Art waren Lizzie verhasst, und mehr als einmal hatte sie schon Streit in der Familie geschlichtet. Jetzt glaubte sie zu wissen, was passiert war, und erhob sich.
Beinah im Laufschritt und mit geröteten Wangen stürmte Mama in den Salon. Über ihrem gestreiften Tageskleid trug sie eine Schürze. Wie Lizzie, so hatte auch sie rotblondes Haar, aber während sie es modisch kurz à la Victime trug, hatte Lizzie ihres zu einem widerspenstigen Knoten aufgesteckt. Sie waren beide mittelgroß, und zu Lizzies Kummer waren sie einander in ihrer Rundlichkeit so ähnlich, dass man sie aus der Ferne kaum zu unterscheiden vermochte. Als Lydia Jane Fitzgerald ihre sechzehnjährige Tochter jetzt erblickte, blieb sie so abrupt stehen, dass sie um ein Haar gestolpert wäre. “Lizzie! Du musst mit deiner Schwester reden, denn auf mich hört sie nicht. Sie ist so eigensinnig und undankbar. Georgina hat beschlossen, nicht auf den Ball zu gehen. Ein Skandal! Und die Schande! Das würde die Countess – gesegnet sei sie – niemals verzeihen. Und Georgina ist die Älteste. Wie soll sie jemals einen Verehrer finden, wenn sie sich weigert, das gesellschaftliche Ereignis der Saison zu besuchen? Oder will sie etwa einen Fleischer heiraten oder einen Schmied?”
Als Georgie mit hochrotem Gesicht und entschlossener Miene langsam die Treppe herunterkam, unterdrückte Lizzie einen Seufzer. Georgie war groß und schlank, und sie hatte dunkelblondes Haar. Jetzt warf sie Lizzie einen Blick zu, der deutlich sagte, dass sie zu keinerlei Kompromissen bereit war. Nun seufzte Lizzie doch. “Ich werde mit Georgie sprechen, Mama.”
“Das wird nicht genügen!”, rief Mama aus, als wäre Georgie gar nicht anwesend. “Exakt zweimal im Jahr sind wir beim Earl eingeladen! Es wäre ein Affront, wenn nicht meine gesamte Familie dort erschiene.”
Das Erste stimmte. Der Earl und die Countess of Adare luden zweimal im Jahr zu sich ein, an Allerheiligen zu einem Kostümfest und am St. Patrick’s Day, wenn sie ein großes Gartenfest veranstalteten. Für Mama waren diese beiden Anlässe überaus wichtig, boten sie doch Gelegenheiten für ihre Töchter, der Elite der irischen Gesellschaft zu begegnen, und alle in der Familie wussten, dass sie zu Gott betete, wenigstens eine ihrer Töchter möge einen reichen irischen Adligen heiraten, vielleicht sogar einen der Söhne der Adares. Aber Lizzie wusste nur zu gut, dass ihre Mutter einem Traum nachhing. Zwar erklärte Mama, ihre Familie stamme von einer königlichen keltischen Linie ab, aber die de Warennes standen so hoch über den Fitzgeralds wie die königliche Familie über den Bauern. Es würde niemanden interessieren, ob Georgie erschien oder nicht.
Lizzie wusste aber auch, dass ihre Mutter es nur gut meinte und ihre Töchter hingebungsvoll liebte. Sie wusste von ihrer Angst, sie würden vielleicht keine vorteilhafte Verbindung eingehen können – und von ihrem Entsetzen bei der Vorstellung, sie könnten überhaupt nicht heiraten. Und sie wusste, wie sehr Mama sich anstrengte, um ihre Töchter mit Papas begrenztem Einkommen so zu ernähren und zu kleiden, als gehörten sie nicht zum verarmten Adel. Und alles das wusste auch Georgie.
Georgies Stimme klang wie immer fest entschlossen. “Niemandem wird meine Abwesenheit auffallen, Mama. Alles andere wäre Illusion. Und bei Papas Einkünften und dem Umstand, dass Anna sicher als Erste heiraten und das ganze Geld als Mitgift bekommen wird, werde ich es kaum besser treffen als mit einem Fleischer oder Hufschmied.”
Georgies Direktheit verblüffte Lizzie, und rasch verbarg sie ein Lächeln. Mama war sprachlos, was selten vorkam.
Papa hustete hinter vorgehaltener Hand, um nicht zu zeigen, dass auch er belustigt war.
Mama brach in Tränen aus. “Mein ganzes Leben habe ich dafür geopfert, um für dich und deine Schwestern Ehemänner zu finden. Und jetzt weigerst du dich, nach Adare zu gehen! Jetzt redest du von einer Heirat mit …”, sie erschauerte, “… mit der niedrigsten Sorte von Männern! Georgina May!” Weinend lief Mama aus dem Frühstückszimmer.
Es wurde still.
Georgie sah schuldbewusst aus.
Papa warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu. “Ich lasse euch beide jetzt allein, damit ihr das klären könnt”, sagte er zu den beiden Schwestern. Und zu Georgie gewandt, fügte er hinzu: “Ich weiß, du wirst das Richtige tun.” Damit ging er hinaus.
Seufzend sah Georgie die Jüngere an. Sie wirkte verstimmt und resigniert. “Du weißt, wie sehr ich diese Festlichkeiten in der Gesellschaft hasse. Ich dachte, ich könnte versuchen, mir wenigstens diese hier zu ersparen.”
Lizzie ging hinüber zu ihrer geliebten älteren Schwester. “Aber Liebes, hast du mir nicht neulich gerade gesagt, dass eine Ehe einem wichtigen sozialen Zweck dient?”
Georgie schloss die Augen.
“Soweit ich mich erinnere, sagtest du außerdem, dass die Ehe beiden beteiligten Parteien zu gleichen Teilen nützt”, fügte Lizzie hinzu, wohl wissend, dass dies genau die exakten Worte ihrer Schwester waren.
Georgie sah sie an. “Wir sprachen über die Verlobung von Helen O’Dell mit Sir Lunden, diesem alten Gecken.”
“Mama nimmt ihre Pflichten uns gegenüber sehr ernst”, sagte Lizzie leise. “Ich weiß, manchmal ist es dumm und ein wenig albern, was sie tut, aber sie meint es immer nur gut.”
Georgie ging hinüber zum Tisch und setzte sich. Sie wirkte bedrückt. “Ich fühle mich ohnehin schon schlecht, du musst mich nicht noch mit der Nase darauf stoßen.”
Lizzie setzte sich neben sie und nahm ihre Hand. “Du bist doch sonst immer so gelassen! Worum geht es wirklich?”
“Ich wollte nur diesen einen Anlass vermeiden. Ich hatte die Hoffnung, den Abend mit Papas Zeitung verbringen zu können. Das ist alles.”
Lizzie wusste, dass das bestimmt nicht alles war. Aber es konnte auch unmöglich daran liegen, dass Georgie sich Mamas Versuchen, eine Ehe zu schmieden, entziehen wollte, weil Mama zweimal einen Heiratskandidaten mitgebracht hatte, bei dem jede andere Frau entsetzt gewesen wäre. Denn Georgie war trotzdem sehr höflich geblieben.
Georgie seufzte. “Auf Adare werde ich niemals jemanden kennenlernen, wenn sie das glaubt, ist Mama verrückt. Wenn jemand dort einen Ehemann findet, dann Anna. Sie lenkt ohnehin die ganze Aufmerksamkeit auf sich.”
Das stimmte. Anna war so schön und so heiter und kokett außerdem. “Du bist doch nicht eifersüchtig?”, fragte Lizzie überrascht und wusste auf einmal, dass genau das der Fall sein musste.
Georgie verschränkte die Arme vor der Brust. “Natürlich nicht. Ich bewundere Anna, genau wie jeder andere. Aber es stimmt. Morgen Abend ist es Anna, die vornehme Verehrer finden wird, nicht ich und auch nicht du. Was soll das also alles?”
“Wenn du wirklich zu Hause bleiben wolltest, dann hättest du eine Migräne vortäuschen sollen oder so etwas”, meinte Lizzie.
Endlich lächelte Georgie. “Ich habe niemals Migräne und außerdem die Konstitution eines Ochsen.”
“Ich glaube, du irrst dich. Es stimmt schon, dass Anna kokett ist, aber du bist so klug und stolz. Außerdem siehst du gut aus, und ich bin sicher, dass du eines Tages die wahre Liebe finden wirst.” Sie lächelte. “Vielleicht sogar auf Adare.”
Georgie schüttelte den Kopf. “Du hast zu viele Groschenromane gelesen. Was bist du doch für eine Romantikerin! Die wahre Liebe gibt es nicht. Außerdem bin ich größer als jeder Mann, dem ich bisher begegnet bin, und das ist ein echter Nachteil, Lizzie.”
Lizzie lachte. “Ja, vermutlich ist es das, aber nur, bis du den Richtigen getroffen hast. Vielleicht wird er einen Kopf kleiner sein als du, aber glaub mir, es wird ihn nicht stören.”
Georgie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. “Wäre es nicht wunderbar, wenn Anna eine richtig gute Partie machen würde?”
Die Schwestern sahen einander an, und Lizzie wusste, was die andere dachte. “Du meinst, einen schrecklich reichen Mann heiraten?”
Georgie biss sich auf die Lippe und nickte. “Mama wäre so glücklich, und wir hätten keine Geldsorgen mehr. Mir würde es nicht so viel ausmachen, wenn ich eine alte Jungfrau bliebe. Dir?”
“Ich weiß, dass du eines Tages jemanden finden wirst”, rief Lizzie und glaubte ganz fest daran. “Ich bin nicht hübsch und außerdem zu dick, ich muss ohnehin unverheiratet bleiben. Nicht, dass es mir etwas ausmachte”, fügte sie schnell hinzu. “Jemand muss sich um Mama und Papa kümmern, wenn sie älter werden.” Sie lächelte wieder, aber jetzt dachte sie an Tyrell de Warenne. “Über mein Schicksal hege ich nicht die geringsten Zweifel – genauso wenig wie über deines.”
Georgie widersprach sofort. “Du bist nicht dick – nur ein kleines bisschen rundlich –, und du bist sehr hübsch! Du machst dir nur nichts aus Mode. In dieser Hinsicht sind wir uns sehr ähnlich.”
Aber Lizzie dachte an Tyrell de Warenne und an sein Schicksal. Er verdiente es, die wahre Liebe zu finden, und gewiss würde es ihm eines Tages gelingen. Sie wünschte sich so sehr, dass er glücklich werden möge.
Ihre Gedanken schweiften ab. Sie hatte gehört, dass Tyrell de Warenne sich im vergangenen Jahr als arabischer Scheich verkleidet hatte, und sie fragte sich, welches Kostüm er wohl diesmal tragen würde.
“Nun ja, eigentlich habe ich nie daran geglaubt, dem Ball entgehen zu können”, sagte Georgie.
Lizzie sah sie an. “Gefällt dir mein Kostüm?”
Georgie blinzelte einen Moment, dann lächelte sie verschmitzt. “So manche Frau würde sterben für eine Figur, wie du sie hast, Lizzie.”
“Was soll das heißen?”, fragte Lizzie hitzig. Sie wusste, dass ihre schlanke Schwester damit auf ihre üppigen Rundungen anspielte.
“Mama wird der Schlag treffen, wenn sie dich in dem Kostüm sieht.” Georgie kicherte und nahm Lizzies Hand. “Ganz reizend siehst du darin aus.”
Lizzie hoffte, dass Georgie die Wahrheit sagte, und sie erinnerte sich daran, dass Tyrell sie nicht einmal ansehen würde, kein einziges Mal. Aber falls er es doch tat, dann wollte sie keinesfalls wie ein Trampel aussehen.
“Und? Willst du mir nicht sagen, warum du errötest?”, fragte Georgie und lachte.
“Mir ist warm”, erwiderte Lizzie und erhob sich abrupt. “Ich erröte überhaupt nicht.”
Georgie sprang auf die Füße. “Wenn du glaubst, ich habe mich auch nur einen Moment von dir täuschen lassen, dann irrst du dich. Ich weiß, dass du wie auf Kohlen sitzt, weil du zu deinem ersten Ball nach Adare gehst.”
“Ich bin nicht mehr verliebt”, behauptete Lizzie.
“Natürlich nicht. Ich meine, am letzten St. Patrick’s Day hast du Tyrell de Warenne ja auch nicht stundenlang angestarrt. Oh nein! Du spitzt auch nicht die Ohren und wirst jedes Mal rot, wenn sein Name irgendwo erwähnt wird. Und du siehst auch nicht aus dem Kutschenfenster, wenn wir an Adare vorbeifahren, als wärst du daran festgewachsen. Natürlich ist dieser Schulmädchenunsinn vorbei.”
Im Stillen musste Lizzie zugeben, dass Georgie recht hatte.
Georgie umarmte die Schwester. “Ehe du noch behauptest, du wärst nicht verliebt in Tyrell de Warenne, überlege es dir lieber noch einmal. Mama und Papa glauben vielleicht, dass deine kindische Schwärmerei vorüber ist, aber Anna und ich wissen es besser. Wir sind deine Schwestern, Liebes.”
Lizzie gab das Leugnen auf. “Ich bin so aufgeregt!” Sie rang die Hände. “Was soll ich machen? Werde ich in meinem Kostüm nicht lächerlich aussehen? Besteht die Möglichkeit, dass er mich bemerkt? Und wenn er mich bemerkt, was wird er von mir denken?”
“Lizzie, ich habe keine Ahnung, ob er dich unter den hundert Gästen dort bemerken wird, aber wenn er das tut, dann wird er denken, dass du die hübscheste sechzehnjährige Debütantin dort bist”, erklärte Georgie entschieden und lächelte dabei.
Lizzie glaubte ihr nicht, aber genau in diesem Augenblick betrat Mama das Zimmer. “Nun, hat deine Schwester dich zur Vernunft gebracht, Georgina May?”
Georgie erhob sich. “Es tut mir leid, Mama. Natürlich werde ich auf den Ball gehen.”
Mama stieß einen Schrei des Entzückens aus. “Ich wusste, dass ich mich auf Lizzie verlassen kann!” Sie schenkte Lizzie ein strahlendes Lächeln und trat dann zu Georgie, um sie zu umarmen. “Du bist die beste Tochter der Welt, meine liebe Georgina. Und jetzt müssen wir über dein Kostüm sprechen – und Lizzie muss sich sowieso fertig machen und in die Stadt gehen.”
Erschrocken stellte Lizzie fest, dass die Zeit im Nu verflogen und es schon beinah zehn Uhr war. Fünf oder sechs Stunden in der Woche verbrachte sie mit den Schwestern von St. Mary’s, obwohl die Fitzgeralds schon seit zwei Generationen nicht mehr katholisch waren. Sie arbeitete dort mit den Waisen, und weil Lizzie Kinder gernhatte, freute sie sich darauf. “Ich muss fort!”, rief sie und eilte aus dem Zimmer.
“Frag Papa, ob er dich fährt”, rief Mama ihr nach. “Das erspart dir einen Weg.”
Lizzie war unterwegs nach Hause. Es hatte tagelang geregnet, und auf den Straßen stand knöcheltief der Schlamm. Wie sie aussah, war ihr egal, aber der Heimweg war fünf Meilen lang, und sie würde doppelt so lange brauchen wie gewöhnlich. Die Familie konnte sich nur ein einziges Pferd leisten und besaß nur eine einzige zweirädrige Kutsche. In die Stadt hatte Papa sie gefahren, aber auf dem Rückweg konnte er sie nicht mitnehmen, weil Anna am Nachmittag einige Besuche zu machen hatte. Statt mit ihrer Schwester darum zu streiten, wer an der Reihe war, oder einen kostbaren Schilling für eine Mietdroschke auszugeben, ging Lizzie lieber zu Fuß.
Jetzt klarte der Himmel auf, und Lizzie war überzeugt, dass das Wetter morgen wunderschön sein würde – genau richtig für den Maskenball. Gerade wollte sie zum Überqueren der Straße einen Fuß in den Morast setzen, als sie fühlte, wie jemand am Saum ihres Kleides zupfte.
Schon ehe sie nach unten sah und die durchnässte und frierende alte Frau erblickte, wusste sie, dass es sich nur um einen Bettler handeln konnte.
“Miss? Einen Penny?”, flehte die Frau.
Lizzie brach es beinah das Herz. “Hier.” Sie leerte ihre Börse aus und gab der Frau sämtliche Münzen, ohne sich darum zu kümmern, was Mama deswegen für ein Theater machen würde. “Gott segne Sie”, flüsterte Lizzie.
Die Frau machte große Augen. “Gott segne Sie, Mylady!”, rief sie und presste die Münzen an ihre Brust. “Gott wird Sie segnen, denn Sie sind ein Engel der Barmherzigkeit!”
Lizzie lächelte sie an. “Die guten Schwestern von St. Mary’s werden Ihnen ein Bett und etwas zu essen geben, wenn Sie zu ihnen gehen”, sagte sie.
“Ja”, nickte die Frau. “Danke, Mylady, danke.”
In der Hoffnung, dass die Frau das auch wirklich tun würde und nicht die nächste Kneipe aufsuchte, um ein Pint zu trinken, trat Lizzie auf die Straße. In genau demselben Augenblick bog eine Pferdekutsche um die Ecke. Lizzie hörte sie kommen und hob rasch den Kopf.
Mit halsbrecherischer Geschwindigkeit zogen zwei schwarze Pferde ein sehr luxuriöses Gefährt. In dem offenen Wagen saßen drei Gentlemen, zwei weitere standen auf dem Kutschbock und trieben die Pferde an. Sie alle lachten, riefen durcheinander und schwenkten Weinflaschen. Die Kutsche raste direkt in Lizzies Richtung. Sie stand wie erstarrt da und sah staunend zu.
“Passt auf!”, rief jemand.
Aber der Fahrer jauchzte, als hätte er nichts gehört und nichts gesehen, und peitschte die Pferde weiter. Sie galoppierten nur noch schneller.
Endlich begriff Lizzie, was geschah. Entsetzt trat sie zurück in Richtung Gehsteig.
“Ausweichen!”, rief plötzlich einer der Gentleman. “Ormond, du musst ausweichen!”
Doch die Kutsche raste weiter auf sie zu. Fassungslos vor Angst sah Lizzie das Weiße in den Augen der Pferde und ihre geblähten, rosigen Nüstern. Sie machte kehrt, um davonzulaufen – doch stattdessen stolperte sie.
Mitten auf der schlammigen Straße stürzte sie auf Hände und Knie.
Räder quietschten, ein durchdringendes, schrilles Geräusch, Hufe trommelten. Auf ihren Rücken prasselten Schlamm und Steine. Während Lizzie auf dem Bauch lag, hob sie den Kopf und sah die eisenbeschlagenen Hufe und Räder, beides bedrohlich nah. Angst durchzuckte sie, und selbst als sie sich verzweifelt bemühte, von der Kutsche wegzukriechen, war sie fest davon überzeugt, dass sie sterben würde. Plötzlich wurde sie von starken Händen gepackt.
In demselben Augenblick, als die Kutsche vorbeiraste, riss jemand sie zurück auf den Gehsteig und in Sicherheit.
Lizzie vermochte sich nicht zu rühren. Ihr Herz schlug so hart und schnell, dass es ihr fast unmöglich war zu atmen. Vor Entsetzen wie betäubt, schloss sie einen Moment lang die Augen.
Sie wurde von kräftigen Armen sicher gehalten. Lizzie blinzelte. Jetzt lag sie auf dem Gehsteig, deutlich fühlte sie den harten Stein an ihrer Wange, auf Augenhöhe mit den Knien eines Mannes, der neben ihr kauerte. Endlich begriff sie. Soeben bin ich dem sicheren Tod entronnen! Und dieser Fremde hat mich gerettet!
“Bewegen Sie sich nicht.”
Lizzie hörte den Mann kaum, der ihr das Leben gerettet hatte. Noch immer fiel ihr das Atmen schwer, und ihr Herz schlug nach wie vor viel zu schnell. Außerdem hatte sie Schmerzen, ihre Arme fühlten sich an, als hätte man sie aus den Gelenken gerissen. Ansonsten aber, so stellte sie fest, schien sie unversehrt zu sein. Dann legte jemand seinen Arm um ihre Schultern. “Miss? Können Sie sprechen?”
Lizzies Verstand begann wieder zu arbeiten. Aber das war gewiss unmöglich! Die Stimme dieses Gentleman kam ihr sehr bekannt vor, eine tiefe und kräftige Stimme, die gleichzeitig sanft und beruhigend klang. Auf jeder Gartenparty an St. Patrick’s Day hatte sie Tyrell de Warenne belauscht, und natürlich hatte sie ihn auch in der Stadt bei verschiedenen politischen Anlässen sprechen hören. Nie würde sie seine Stimme vergessen.
Zitternd und vollkommen ungläubig begann sie, sich aufzurichten. Er beeilte sich, ihr dabei behilflich zu sein, und dann sah sie zu ihm auf.
Sah in seine Augen, die so blau waren, dass sie beinah schwarz wirkten. Einen Moment lang schien ihr Herz stillzustehen, um dann umso schneller weiterzuschlagen.
Auf der Straße neben ihr kniete Tyrell de Warenne. Tyrell de Warenne hatte ihr noch einmal das Leben gerettet!
“Sind Sie verletzt?”, fragte er ernst und hielt sie noch immer in seinem festen Griff.
Unfähig, auch nur ein einziges Wort herauszubringen, sah Lizzie ihm in die Augen. Wie ist das möglich? Sie hatte davon geträumt, ihm eines Tages zu begegnen, aber in ihren Vorstellungen war sie so schön gewesen wie Anna, befand sich auf einem Ball und trug ein wundervolles Kleid. Keinesfalls hatte sie stumm und starr auf einer schlammigen Straße gesessen.
“Sind Sie verletzt? Können Sie sprechen?”
Lizzie kniff fest die Augen zu, als sie zu zittern begann – allerdings nicht vor Furcht. Sein Arm lag um ihre Schultern. Er presste sie an sich.
Jetzt durchströmten sie ganz andere Gefühle, warm und wunderbar, herrlich und beschämend, die Art von Gefühlen, die sie in ihrem Schlafzimmer empfand, in den mondhellen Stunden der Nacht. Seine Berührung hatte ihre Glut entfacht.
Lizzie wusste, dass sie irgendetwas sagen musste. Sie bemerkte seine Hose aus feinstem Rehleder und seine muskulösen Beine, und ihr wurde noch heißer. Dann wagte sie es, einen Blick auf seine Jacke aus feiner Wolle zu werfen, die von demselben Blau war wie seine Augen. Die Jacke stand offen, und darunter waren eine taubenblaue Brokatweste und ein weißes Hemd zu erkennen. Rasch wandte Lizzie den Blick ab und sah abrupt zu ihm auf. “Ja … ja, ich kann sprechen – einigermaßen.”
Ihre Blicke begegneten sich. Er war ihr so nah, dass sie jede Einzelheit seines schönen Gesichts sehen konnte, das sie sich vor so langer Zeit eingeprägt hatte. Man konnte Tyrell de Warenne nur als außerordentlich gut aussehenden Mann bezeichnen. Seine Augen waren dunkelblau mit sehr langen Wimpern, die jeder Kurtisane zur Ehre gereicht hätten, er besaß hohe Wangenknochen und eine vollkommen gerade Nase. Den Mund mit den eigentlich vollen Lippen hielt er jetzt fest zusammengepresst, entweder vor Ärger oder vor Missbilligung. Seine Haltung war die eines Königs.
“Sie haben einen Schock erlitten. Können Sie aufstehen? Sind Sie verletzt?”
Lizzie musste sich zusammennehmen. Sie schluckte und konnte doch den Blick nicht von ihm abwenden. “Ich glaube nicht.” Sie zögerte. “Ich bin nicht sicher.”
Jetzt ließ er seinen Blick über ihren Körper schweifen, ihre Brust, ihre Hüften, ihre Röcke. “Wenn etwas gebrochen wäre, so wüssten Sie es.” Dann sah er ihr wieder in die Augen, und seine Miene wurde noch finsterer. “Gestatten Sie mir, Ihnen aufzuhelfen.”
Lizzie war vollkommen unfähig, sich zu bewegen. Ihre Wangen glühten. Um ein Haar wäre sie überfahren worden, doch ihr Herz schlug so schnell, weil sie Dinge empfand, die keine junge Dame jemals fühlen sollte. Auf einmal sah sie ihn an einem gänzlich anderen Ort, in einer gänzlich anderen Situation – sie sah sein weißes Ross, einen dunklen Wald, zwei Liebende in leidenschaftlicher Umarmung. Lizzie sah sich selbst in Tyrells Armen und holte tief Luft.
“Was ist?”, fragte er.
Mühsam versuchte Lizzie, das Bild zu verdrängen, in dem sie in seinen Armen lag und er sie küsste. “Ni…nichts.”
Fragend sah er sie an. Ihr kam der entsetzliche Gedanke, dass er ahnte, wie sehr sie sich zu ihm hingezogen fühlte, und – schlimmer noch – ihre schamlosen Empfindungen erriet. Dann legte er die Arme um sie und hob sie hoch, sodass sie fürchtete zu verbrennen, so heftig war das Verlangen, das sie jetzt erfüllte. Lizzie wusste nicht, was sie tun sollte. Nicht einmal atmen konnte sie mehr, obwohl sie es wirklich versuchte.
Sie roch das Holz, die Erde, die Düfte, die ihm anhafteten. Sanft war sein Kuss, zärtlich ruhten seine Hände auf ihrer Taille. Überall berührten sich ihre Körper, Hüfte an Hüfte, Brust an Brust.
“Miss?”, sagte er leise. “Wäre es Ihnen möglich, mich loszulassen?”
Augenblicklich wurde Lizzie in die Wirklichkeit zurückgeholt und erkannte, dass er sie auf die Füße gestellt hatte. Gemeinsam standen sie auf dem Gehsteig – und sie klammerte sich an ihn. “Mylord!”, stieß sie entsetzt hervor und wich zurück. Dabei sah sie aus dem Augenwinkel, wie er lächelte.
Sie errötete heftiger. Hatte sie sich soeben Tyrell de Warenne an den Hals geworfen? Wie hatte sie das nur tun können? Gerade eben war sie mit ihm in den Wäldern gewesen und nicht hier auf der Hauptstraße, und eben noch hatte sie seinen Kuss gespürt. Und jetzt, jetzt lachte er sie aus.
Lizzie bemühte sich um Haltung. Keinen einzigen klaren Gedanken konnte sie fassen, so verstört war sie. Wusste er, wie sehr sie in ihn verliebt war? Am liebsten wäre sie auf der Stelle gestorben vor Verlegenheit.
“Wie gern würde ich diese Rabauken einfangen und jedes einzelne ihrer Gesichter in den Schlamm tauchen”, sagte Tyrell plötzlich. Er griff in seine Tasche und zog ein strahlend weißes Leinentuch hervor, das er ihr reichte.
“Sie … Sie wissen, wer das war?”
“Ja, ich habe das Pech, mit jedem von ihnen persönlich bekannt zu sein. Es sind die Lords Perry und O’Donnell, Sir Redmond, Paul Kerry und Jack Ormond. Eine Bande von Tunichtguten allerersten Ranges.”
“Meinetwegen müssen Sie ihnen nicht nachjagen”, brachte sie heraus. Der Themenwechsel kam ihr sehr zupass. “Ganz bestimmt war es nur ein Unfall.” Jetzt erst bemerkte sie, wie schlimm es um sie stand. Überall war sie mit Schlamm bedeckt – er war auf ihren Röcken, ihrem Mieder, ihren Handschuhen und sogar auch im Gesicht. Sie fühlte sich immer elender.
“Sie verteidigen diese Kerle? Um ein Haar hätten die Sie umgebracht!”
Sehr verlegen über ihren verschmutzten Zustand, sah sie auf. “Natürlich war es äußerst verwerflich von ihnen, in diesem Tempo durch die Stadt zu rasen, aber es bleibt ein Unfall.” Am liebsten hätte sie jetzt geweint. Warum musste das überhaupt passieren? Warum konnte er ihr nicht morgen auf dem Ball begegnen, wenn sie ihr schönes Kostüm als Maid Marian trug?
“Sie sind zu schnell bereit zu verzeihen”, entgegnete er. “Ich fürchte, man muss sie auf ihr Fehlverhalten aufmerksam machen. Aber zuerst werde ich mich darum kümmern, dass Sie nach Hause kommen.” Die Andeutung eines Lächelns spielte um seine Lippen. “Darf ich Sie begleiten?”
Seine Worte verwirrten sie vollends. Wären sie in einem anderen Zusammenhang gefallen, hätte es sich angehört, als wolle er ihr den Hof machen. Ihre Gedanken überschlugen sich. Zum einen hätte sie das Ende dieser Begegnung gern noch eine Weile hinausgezögert, aber zum anderen sehnte sie sich verzweifelt danach, davonzulaufen. Sobald sie allein war, würde sie von dieser Begegnung träumen und sie sich so ausmalen, wie es ihr gefiel. Aber jetzt musste sie einen klaren Kopf bewahren. Wenn er sie nach Raven Hall brachte, würde Mama herauskommen, eine große Szene machen und sie schrecklich in Verlegenheit bringen. Vermutlich würde sie darauf bestehen, Tyrell zum Tee ins Haus zu bitten, und da er ein Gentleman war, würde er ihre Einladung nicht ablehnen können. Es würde unangenehm und peinlich sein, vor allem sobald Mama anfing, von ihren drei Töchtern zu erzählen, die alle im heiratsfähigen Alter waren.
Dies war kein Märchen. Sie war nicht auf einem Ball, war nicht so schön wie Anna, tanzte nicht gekonnt den Walzer. Sie war eine rundliche, mit Schlamm bedeckte, durchnässte Person, die auf der Straße mit einem Mann zusammen war, der im Rang so weit über ihr stand wie ein Prinz über einer Stallmagd.
“Verzeihen Sie”, sagte er rasch. Offensichtlich missverstand er ihr Schweigen. Er verneigte sich. “Lord de Warenne, zu Ihren Diensten, Mademoiselle.” Während er das sagte, setzte er eine sehr ernste Miene auf.
“Vielen Dank, Mylord, aber ich finde allein nach Hause. Vielen Dank für alles. Sie waren so galant und so freundlich.” Sie sah, wie er die Brauen hob, und wusste, sie hatte genug gesagt, aber sie konnte einfach nicht aufhören. “Ihr Ruf eilt Ihnen voraus. Jedermann weiß doch, wie edel Sie sind. Sie haben mir das Leben gerettet. Ich stehe tief in Ihrer Schuld. Ich würde mich gern erkenntlich zeigen, aber wie könnte ich das? Ich danke Ihnen von Herzen.”
Jetzt bestand kein Zweifel mehr darüber, dass er sich amüsierte. “Sie müssen sich nicht erkenntlich zeigen, Mademoiselle. Und ich werde Sie sicher geleiten, wohin immer Sie wollen.” Er sagte das sehr entschieden, und niemand konnte bezweifeln, dass er durch und durch ein Aristokrat war und daran gewöhnt, Anweisungen zu erteilen, die sogleich befolgt wurden.
Wie gern hätte sie ihm erlaubt, sie nach Hause zu bringen. “Ich bin unterwegs nach St. Mary’s”, sagte sie stattdessen. “Es ist nur die Straße hinunter.”
“Ah ja. Trotzdem werde ich dafür sorgen, dass Sie sicher dort hineingelangen – und keine Widerrede.”
Sie zögerte, aber sein Blick sagte ihr, dass ihr keine Wahl blieb, daher nahm sie seinen Arm. Erneut wurde sie von Erregung erfasst, die stärker war als alle Furcht und Scheu. Eigentlich gehörte es sich, dass sie mit gesenktem Blick neben ihm herging, doch stattdessen blickte sie zu ihm auf. Er war so schön – nie zuvor hatte sie einen derart gut aussehenden Mann gesehen. Es lag ihr auf der Zunge, ihm genau das zu sagen – das und vieles andere mehr.
“Sie starren mich an”, sagte er leise und beinah verführerisch.
Rasch wandte sie den Blick ab, während sie zurück zum Kloster gingen. “Es tut mir leid. Es liegt nur daran, dass Sie so gut … ich meine, dass Sie so gut zu mir waren”, hörte sie sich sagen und brachte es gerade noch fertig, nicht zu erwähnen, was sie wirklich empfand.
Er wirkte überrascht. “Einer Dame in einer Notlage zu helfen wäre für jeden Gentleman eine Selbstverständlichkeit.”
“Das glaube ich nicht”, erwiderte sie und wagte es noch einmal, ihn anzusehen. “Nur wenige Gentlemen würden in den Schlamm springen, um auf der Straße eine fremde Frau zu retten.”
“Demnach haben Sie von Männern wohl keine allzu gute Meinung? Aber nach dem heutigen Tage kann ich Ihnen deswegen wohl keinen Vorwurf machen.”
Es gefiel ihr, jetzt so mit ihm zu plaudern. “Nie zuvor, Sir, hat mich jemand von Ihrem Geschlecht so gut behandelt.” Lizzie zögerte und entschied sich dann, die Wahrheit zu sagen. “Um ehrlich zu sein, die meisten Männer bemerken meine Gegenwart nicht einmal. Wären Sie nicht da gewesen, hätte mich vermutlich niemand gerettet.”
Er musterte sie entschieden zu gründlich. “Dann entschuldige ich mich dafür, dass man Sie in der Vergangenheit so schlecht behandelt hat. Es ist mir völlig unerklärlich.”
Er konnte doch unmöglich meinen, dass sie ihm in jedem Fall aufgefallen wäre? Sicher wollte er nur höflich sein. “Sie sind ebenso galant wie freundlich und heldenhaft – und gut aussehend”, hörte sie sich sagen. Erst dann bemerkte sie, was sie da in ihrem Eifer geredet hatte, und war entsetzt.
Er lachte leise.
Lizzie fühlte, wie sie errötete, und sah zu Boden.
Schweigend gingen sie auf die Vordertür des Klosters zu. Am liebsten hätte sich Lizzie für ihr kindisches Verhalten selbst einen Tritt versetzt.
Höflich wie immer brach er das Schweigen. “Und Sie sind eine mutige Frau. Die meisten Damen hätten nach einem solchen Abenteuer hysterisch geweint”, sagte er und tat netterweise so, als hätte er ihre Schmeicheleien gar nicht gehört.
“Weinen wäre sicher keine passende Reaktion gewesen”, meinte Lizzie. Obwohl sie gerade jetzt gern geweint hätte. Aber mittlerweile waren sie vor der Tür stehen geblieben, und sie fühlte, dass er sie ansah. Langsam hob sie den Kopf.
“Wir sind da”, sagte er und betrachtete sie unverwandt.
“Ja”, bestätigte Lizzie und sehnte sich plötzlich verzweifelt danach, die Begegnung zu verlängern. Sie biss sich auf die Lippe und stieß dann atemlos hervor: “Danke für meine Rettung, Mylord. Sie haben mich vor dem sicheren Tod bewahrt. Ich wünsche mir wirklich, dass ich es eines Tages irgendwie wiedergutmachen kann.”
Sein Lächeln verschwand. “Das ist nicht nötig. Es war meine Pflicht – und es war mir ein Vergnügen.”
Er sagte es viel zu leise, und das Feuer in ihr, das sie beherrschen, aber nicht löschen konnte, flackerte höher. Nur wenige Zentimeter von ihr entfernt, stand er ihr direkt gegenüber. Die Häuser aus Stuck und Holz zu beiden Seiten der Straße verblassten. Lizzie schloss die Augen. Er umfasste ihre Arme und zog sie an sich. Dann hielt sie den Atem an, als er sich über sie beugte, um sie zu küssen.
Hoch über ihren Köpfen begann die Glocke der Kapelle den Nachmittag einzuläuten. Ihr Klang brachte Lizzie zurück in die Wirklichkeit. Sie erkannte, dass sie mit Tyrell auf dem Gehweg stand, ganz wie es sich gehörte, und auch diesmal sah er sie so eindringlich an, als könne er ihre geheimsten Gedanken erraten.
Sie betete, dass dem nicht so war. “Ich muss jetzt gehen. Vielen Dank!”, rief sie, drehte sich um und zog die große Hoftür auf.
“Mistress! Einen Augenblick noch!”, rief er ihr nach.
Aber Lizzie war in Windeseile in das sichere Kloster geflüchtet und bedauerte diese Begegnung bereits ein wenig, wenn auch nicht ganz.
Der Maskenball
Anna war bereits für den Ball angekleidet, als Lizzie ihr gemeinsames Schlafzimmer betrat. Sie befand sich in einem Zustand äußerster Erregung. Noch hatte sie sich von der Begegnung mit Tyrell de Warenne am Tage zuvor nicht erholt, und sie vermochte kaum zu glauben, was da geschehen war. Nachdem sie den Nachmittag im Geiste wohl mindestens hundert Mal erneut durchlebt hatte, war sie zu dem Schluss gelangt, dass sie sich wie eine Närrin benommen hatte, wie ein dummes Kind, und dass er genau wusste, wie verliebt sie in ihn war. Ob sie es jetzt überhaupt noch wagen konnte, auf den Ball zu gehen? Aber natürlich konnte sie Mama unmöglich im Stich lassen.
Als Lizzie am Vortag nach Hause gekommen war, hatte sie Kopfschmerzen vorgetäuscht, um sich in ihr Zimmer zurückziehen zu können, ohne jemandem von der Begegnung erzählen zu müssen. Jetzt blieb sie an der Tür stehen, in der Absicht, Anna um Rat und Unterstützung zu fragen, aber die Schwester sah so unglaublich reizend aus, dass sie ihre eigenen Sorgen für den Augenblick vergaß.
Anna stand vor dem Spiegel und betrachtete sich kritisch. Sie trug ein tief ausgeschnittenes rotes Samtkleid im elisabethanischen Stil mit einer weißen Rüsche und einem Granatanhänger um den Hals. Nie hatte sie hübscher ausgesehen. Es war nicht einfach gewesen, neben einer so wunderschönen Schwester aufwachsen zu müssen. Schon in ihrer Kindheit wurde Anna ständig umschmeichelt, während man Lizzie ignorierte oder ihr schlicht den Kopf tätschelte. Mama war natürlich sehr stolz auf ihr schönes Kind gewesen und hatte Anna jedem gegenüber gelobt, der es hören wollte. Eifersüchtig war Lizzie nicht – sie liebte ihre Schwester und war ebenfalls sehr stolz auf sie –, aber sie hatte sich unscheinbar gefühlt und, was noch schlimmer war, ausgeschlossen.
Auch für eine junge Frau war es nicht immer einfach, Annas Schwester zu sein, denn wenn sie gemeinsam durch die Stadt bummelten, geschah genau dasselbe. Britische Soldaten liefen Anna nach und versuchten, ihren Namen zu erfahren, aber Lizzie blieb für sie unsichtbar – außer wenn einer von ihnen sich an sie wandte, um Annas Aufmerksamkeit zu erregen. So oft, dass sie es gar nicht mehr zählen konnte, hatte Lizzie für ihre Schwester die Vermittlerrolle gespielt.
Das Ironische dabei war, dass Lizzie große Ähnlichkeit mit ihrer älteren Schwester besaß, aber jeder Zug, der bei Anna einfach perfekt wirkte, schien bei Lizzie irgendwie schlichter ausgefallen zu sein. Anna besaß honigblondes, welliges Haar, Lizzie widerspenstiges rotblondes. Annas Augen leuchteten strahlend blau, während Lizzies grau waren. Annas Wangenknochen waren ausgeprägter, ihre Nase gerader und schmaler, ihre Lippen voller. Und ihre Figur war perfekt, schlank und doch kurvenreich. Jeder Mann drehte sich nach Anna um, niemand hatte bisher für Lizzie mehr als einen flüchtigen Blick übrig gehabt. Sie schien mit jeder Menschenmenge einfach zu verschmelzen.
Mit der hohen weißen Rüsche, die ihr Gesicht umrahmte, und der unglaublich schmalen Taille sah Anna atemberaubend aus. Sie war gerade dabei, ihr Mieder zu richten, als Lizzie das Zimmer betrat.
Manche Frauen bezichtigten Anna der Eitelkeit. Lizzie wusste, dass das nicht stimmte, obwohl Anna diesen Eindruck erwecken konnte, vor allem wenn andere Frauen ohnehin schon eifersüchtig waren wegen der Aufmerksamkeit, die sie auf sich zog. Ein paar von Mamas Freundinnen nannten sie hinter ihrem Rücken sogar leichtfertig. Aber auch sie waren eifersüchtig, denn Anna konnte jeden Verehrer haben, den sie wollte, was ihren Töchtern nicht gelang. Das lag daran, dass sie so heiter und sorglos war, keineswegs aber wild oder unmoralisch.
Jetzt hatte Anna die Stirn gerunzelt, offensichtlich gefiel ihr irgendetwas an ihrem Kostüm nicht. Lizzie konnte sich nicht vorstellen, welchen Makel sie da entdeckt haben mochte. “Es ist perfekt, Anna”, sagte sie.
“Meinst du wirklich?” Anna drehte sich um, und augenblicklich schwand ihr Interesse an ihrem Kostüm. “Lizzie! Du hast nicht einmal begonnen, dein Haar zu frisieren. Ach, wir werden viel zu spät kommen”, rief sie ärgerlich. Dann hielt sie inne. “Bist du aufgeregt?”
Lizzie biss sich auf die Lippen und brachte dann ein Lächeln zustande. Wenn sie auf dem Ball erschien, würde Tyrell sie bemerken. Immerhin waren sie nun bekannt miteinander. Würde er wieder über sie lachen? Was dachte er wohl von ihr? “Es geht mir gut.” Mühsam holte sie Luft. “Dieses Kostüm ist perfekt, und du siehst darin so schön aus, Anna. Vielleicht wird Mamas Wunsch heute Abend erfüllt, und du findest einen Beau.”
Anna wandte sich wieder dem Spiegel zu. “Macht diese Farbe mich nicht blass? Ich finde sie zu dunkel.”
“Gar nicht”, erklärte Lizzie. “Du hast nie hinreißender ausgesehen.”
Anna betrachtete noch einen Moment lang ihr Spiegelbild und sah dann Lizzie an. “Ich hoffe, du hast recht. Lizzie? Du siehst blass aus.”
Lizzie seufzte tief. “Ich weiß nicht, ob ich zum Ball gehen kann. Ich fühle mich nicht gut.”
Anna sah sie ungläubig an. “Nicht? Du würdest deinen ersten Ball versäumen? Lizzie! Ich werde Georgie holen.” Erschüttert lief sie aus dem Zimmer.
Anna war nur anderthalb Jahre älter als Lizzie, und die beiden Schwestern standen einander sehr nahe, aber nicht nur wegen ihres Alters. Lizzie bewunderte die Schwester, weil sie alles das war, was Lizzie eben nicht war. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie es sein musste, wenn man so schön war und alle einen bewunderten. Und von den drei Schwestern war Anna die einzige, die schon geküsst worden war, und das nicht nur einmal. Viele Nächte waren sie schon aufgeblieben, um über Annas schockierende Erfahrungen zu sprechen, Anna sehr lebhaft, Georgie missbilligend, und Lizzie hatte sich gefragt, ob auch sie jemand küssen würde, ehe sie eine alte Jungfer war.
Lizzie betrachtete das smaragdgrüne Samtkleid, das auf dem Bett lag. Ihr Kostüm. Es war ein schönes, aber schlichtes Kleid mit langen Glockenärmeln und einem kleinen, eckigen Ausschnitt. Dennoch schmiegte es sich sehr kleidsam an ihren Körper. Lizzie ließ sich daneben nieder. Sie zog ein frisch gewaschenes Leinentuch aus ihrem Mieder und betrachtete die Initialen, die darauf gestickt waren: TDW. Dann umklammerte sie das Taschentuch, schloss die Augen und wünschte sich, die Begegnung vom Tag zuvor noch einmal durchleben zu können. Aber wie sehr sie sich das auch wünschte, es würde nichts ändern, das wusste sie. Eine einzige Chance war ihr gegeben worden, um Tyrell de Warenne zu beeindrucken, und obwohl sie nicht sehr erfahren war, wusste sie immerhin, dass ihr das nicht gelungen war.
Als Anna ins Schlafzimmer zurückkehrte, wurde sie von Georgie begleitet. Als Normannin verkleidet, trug Georgie eine lange lilafarbene Tunika mit einer goldenen Schärpe, das Haar zu einem einzigen Zopf geflochten. Prüfend sah sie Lizzie an. “Anna sagt, du führst dich seltsam auf. Aber das hast du schon getan, seit du gestern aus St. Mary’s zurückgekommen bist. Worum geht es? Dass du krank bist, glaube ich nicht.”
Lizzie schob das Tuch zurück in ihr Mieder. “Vor St. Mary’s hat er mich gestern gerettet”, flüsterte sie.
“Wer hat dich gerettet?”, wollte Georgie wissen. “Und wovor?”
Während Lizzie sprach, setzte Anna sich neben sie. “Ich wäre um ein Haar von einer Kutsche überfahren worden. Tyrell de Warenne hat mich gerettet.”
Beide Schwestern starrten sie ungläubig an.
“Und das erzählst du uns erst jetzt?”, rief Georgie aus.
Anna war genauso verblüfft. “Tyrell de Warenne hat dich gerettet?”
Lizzie nickte. “Das hat er getan. Und er war so freundlich! Er hat geschworen, die Schurken zu stellen und ihnen die Meinung zu sagen. Er wollte mich nach Hause bringen.” Lizzie sah ihre ungläubigen Schwestern an. “Ich habe mich vollkommen kindisch aufgeführt. Ich habe ihm gesagt, er sei liebenswürdig, heldenhaft und so gut aussehend.”
Vorsichtig erkundigte sich Georgie: “Was genau ist jetzt das Problem? Hast du nicht dein ganzes Leben lang auf eine Begegnung mit ihm gewartet?”
“Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe?”, rief Lizzie. “Er weiß genau, was ich empfinde!”
“Na ja, etwas diskreter hättest du sein können”, stimmte Georgie zu.
Lachend stand Anna auf. “Männer hören gern, wie stark und tapfer und attraktiv sie sind. Ich kann nicht fassen, dass er dich gerettet hat. Du musst uns alles erzählen!”
“Du könntest einem Gentleman sagen, dass ihm der Himmel auf den Kopf fällt, und er würde schwören, dass du die Wahrheit sagst”, meinte Lizzie. “Du könntest einem Mann sagen, dass seine Pockennarben anbetungswürdig sind, und er würde vor dir auf die Knie sinken. Ich habe Tyrell de Warenne nicht gerade geschickt geschmeichelt. Ich habe sogar gesehen, wie er anfing, über mich zu lachen. Ich habe mich benommen wie ein Kind.”
“Er hat über dich gelacht?”, fragte Anna und fügte hinzu: “Er muss doch gesehen haben, dass du erst sechzehn bist.”
Georgie machte es sich zur Aufgabe, sie zu retten. Sie setzte sich auf Lizzies andere Seite und legte den Arm um sie. “Bestimmt übertreibst du maßlos, Lizzie. Sicher hat es ihm nichts ausgemacht, wenn man ihm sagt, dass er gut aussieht. Anna hat es ja schon erzählt – Männer lieben es, wenn man sie bewundert. Denk doch nur – er hat dich gerettet! Das ist genau der Stoff, aus dem deine Romane sind.”
Lizzie stöhnte. “Ich muss euch noch das Schlimmste erzählen. Ich war voller Schlamm, Georgie. Mein Kleid war voll Schlamm und sogar mein Haar!” Das Allerschlimmste verschwieg sie – dass sie sich vorgestellt hatte, in seinen Armen zu liegen, und fürchtete, dass er das wusste. “Wie ein perfekter Gentleman hat er sich benommen, aber ich bin sicher, dass er nicht gerade eine sehr hohe Meinung von mir hat.”
“Kein Gentleman würde einer Frau ihre Erscheinung zum Vorwurf machen, nicht unter diesen Umständen, Lizzie”, sagte Georgie ruhig.
Lizzie sah sie an. “Ich habe mich so albern benommen wie Mama, indem ich einfach drauflosgeplappert habe. Vielleicht bin ich eine alberne Person – immerhin bin ich ihre Tochter.”
“Liz! Du bist überhaupt nicht wie Mama”, widersprach Georgie entsetzt.
Lizzie wischte sich die Augen. “Tut mir leid, dass ich jammere. Aber er war so heldenhaft! Er hat mir das Leben gerettet! Was soll ich bloß tun, wenn ich ihm heute Abend begegne? Wenn ich nur den Mut hätte, Mama zu sagen, dass ich nicht hingehe, aber ich kann sie doch nicht im Stich lassen.”
“Hast du uns auch alles gesagt?”, fragte Anna.
“Natürlich!” Lizzie verschränkte die Arme. Auf keinen Fall würde sie ihren Schwestern gestehen, welch schamlose Gedanken sie gehegt hatte.
“Hat er dich geküsst?”, wollte Anna wissen, die offenbar ahnte, dass Lizzie etwas verheimlichte.
Lizzie sah sie ungläubig an. “Er ist ein Gentleman!”
Anna musterte sie. “Ich verstehe nicht, warum du dich so aufregst.”
Schließlich ergriff Georgie wieder das Wort und sagte energisch: “Lizzie, ich sehe, dass dich das in eine tiefe Krise gestürzt hat, aber wie man so sagt – es nützt nichts, zu klagen, wenn das Kind erst in den Brunnen gefallen ist. Was immer du auch gesagt haben magst, du kannst es nicht zurücknehmen. Ich bin sicher, dass er gar nicht mehr an deine Worte denkt.”
“Da hast du hoffentlich recht”, meinte Lizzie.
Anna erhob sich. “Wir sollten Lizzie mit ihrem Haar helfen. Georgie, was meinst du, ist diese Farbe zu dunkel für meinen Teint?”
“Sie ist passend”, gab Georgie zurück. “Lizzie, wie aufregend seine Rettung auch gewesen sein mag, er ist ein de Warenne, und du bist eine Fitzgerald.” Ihre Stimme klang sanft.
Anna stemmte die Hände in die Hüften. “Und du bist sechzehn”, fügte sie hinzu und lächelte. “Wir meinen es nicht böse, aber wenn ein Mann wie er überhaupt an eine Frau denkt, dann an eine schöne Kurtisane, die er gerade umwirbt. Und wir werden alle zu spät kommen.”
Lizzie erstarrte. Annas Worte trafen sie wie ein Eimer voll kaltem Wasser. Und plötzlich begriff sie, dass ihre Aufregung ganz umsonst gewesen war. Ihre Schwestern hatten recht. Er war ein de Warenne und sie eine verarmte irische Adlige – und erst sechzehn, während er schon vierundzwanzig war. Zweifellos hatte er ihre ganze Begegnung bereits vergessen, als er sie vor St. Mary’s verlassen hatte. Vermutlich würde er sie nicht einmal wiedererkennen, wenn er ihr noch einmal begegnete. Er würde einer wunderschönen Adligen nachlaufen oder einer berüchtigten und verführerischen Kurtisane.
Seltsamerweise fühlte sie sich schlechter als vorher.
“Ist alles in Ordnung mit dir?”, fragte Georgie, die ihr Unbehagen spürte.
“Natürlich”, sagte Lizzie und senkte den Blick. “Es war so dumm von mir, zu glauben, dass er auch nur einen Moment lang an mich denken könnte.” Die Vorstellung schmerzte sie sehr, aber dann nahm sie sich zusammen, stand auf und lächelte. “Es tut mir leid. Wegen meines hysterischen Anfalls musstet ihr auf mich warten, sodass wir alle zu spät kommen werden.”