Im Schatten des Mondsteins - April Morgan - E-Book

Im Schatten des Mondsteins E-Book

April Morgan

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Beschreibung

Ziu hört in einer Bar einen alten Mann von einem wertvollen Mondstein sprechen und sieht darin die Chance, seine Freiheit von Kirean zu erkaufen. Im Sumpf, bei der Hütte des alten Mannes, findet er jedoch keinen Mondstein. Stattdessen entdeckt er das eigentliche Geheimnis: die Tochter des Mannes, die jahrelang versteckt gehalten wurde. Da er keinen anderen Ausweg sieht, entführt Ziu die elfenhafte Frau und plant, Kirean zu überzeugen, sie gegen die Edelsteine des alten Mannes einzutauschen. Doch Kirean verfolgt andere Pläne. Er erkennt den wahren Wert der Frau und hat bereits einen Käufer: einen Hexenmeister, der die Körperteile von Albinos für Tränke und Rituale benötigt. Um seine Freiheit zu erlangen, muss Ziu sie zu diesem Hexenmeister bringen. Auf der Reise lernt Ziu die sonderbare Frau, die in nichts und niemandem das Schlechte sieht, besser kennen und beginnt, an seinem Gewissen zu zweifeln. Er weiß jedoch auch, dass Kirean kein Erbarmen haben wird, sollte er sie nicht ans Ziel bringen. Werden Ziu und Lumiel einen Ausweg finden, oder wird sie Opfer eines grausamen Rituals? Eine Geschichte, die wie ein Fantasymärchen wirkt, ohne Fantasy zu sein.

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Seitenzahl: 275

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Im Schatten des Mondsteins
April Morgan
Triggerwarnung
In diesem Buch werden sexuelle Inhalte, Gewalt und Missbrauch eindeutig beschrieben.
Alle Orte, Charaktere und Handlungen sind frei erfunden, dennoch empfehle ich das Buch nicht, wenn man sich mit einem dieser Themen nicht wohlfühlt.
Vielen Dank, dass du dich getraut hast, mein Buch zu holen.
Wenn du dir ein Bild von den  Charakteren
machen möchtest, findest du am Ende die Abbildung von ihnen.
Viel Spaß beim Lesen.
In Liebe
April
Prolog
Trotz des leichten Nebels sehe ich sie. Sehe Lumi, wie sie hellerleuchtet vor dem spiegelnden und glitzernden Wasser steht, das Mondlicht reflektiert.
Sie sieht fast aus, als würde sie tanzen, dreht sich rhythmisch im Takt zu einer Melodie, die nur sie kennt. Was macht sie dort? Frage ich mich unweigerlich.
Ihre Haare schwingen mit jeder Drehung, als wäre sie unter Wasser. Sie scheinen beinahe zu schweben, sie scheint zu schweben. Man kann gar keinen anderen Eindruck haben, als dass sie eine Elfe ist, der Mondstein, der die Magie der Nacht in sich trägt. Und ich bin im Schatten von ihr, kann mich als glücklich und auserkoren schätzen, dieses Schauspiel zu beobachten. Nur ein zu lautes Geräusch oder eine unbedachte Bewegung, und das Wesen wird sich in Luft auflösen. Ich bin völlig gebannt von ihren hypnotischen Bewegungen. Steige aus, die Nacht ist kühl, aber nicht kalt. Überall um uns herum sind die Klänge des Sumpfes, es muss sich für sie wie zu Hause anfühlen.
Noch einen Moment möchte ich diesen Anblick auskosten, schleiche mich an sie heran, beobachte ihre harmonischen Bewegungen. Dann entdeckt sie mich, lächelt mich tief von ganzem Herzen an, unterbricht jedoch nicht ihren Tanz.
„Was machst du da?“, frage ich sie.
„Tanzen“, sagt sie so offensichtlich.
„Ja, das sehe ich, aber wieso?“
Ihr Grinsen wird noch breiter. „Wieso nicht? Es ist eine so herrliche Nacht. Kannst du es denn nicht hören? Du musst nur genau hinhören, der Sumpf singt sein Lied für uns.“
Ich höre genauer hin: Kröten, Plätschern, Fauchen, Schmatzen des Schlamms. Es klingt tatsächlich fast wie eine Melodie. Sehe mich um, alles ist beleuchtet vom Licht des Mondes. Glühkäfer fliegen, scheinen mit ihr den Rhythmus zu fühlen und zu tanzen.
Es fühlt sich magisch an. Ob Lumi es ist, die die Magie an diesen Ort bringt, oder wäre es auch ohne sie so? Noch nie habe ich den Sumpf so gesehen, habe ihn nur immer als gutes Versteck für einen Hinterhalt gehalten. Als etwas, wo man jemanden problemlos verschwinden lassen kann.
Es muss Lumi sein, die die Magie hergebracht hat. Sie nimmt meine Hand in ihre, dreht sich unter meinem Arm hindurch. Ein Lachen ertönt von ihr, als wäre diese Welt in Ordnung, ein guter und sicherer Ort, als würde niemals etwas Schlimmes passieren. Als sie fertig ist mit ihrer Drehung, schlingt sie die Hände um meinen Rumpf, legt den Kopf auf meine Brust. Lauscht wohl wieder den Schlägen meines Herzens. Meine Arme habe ich noch von meinem Körper abgespreizt, kann mich der Situation jedoch auch nicht mehr weiter verwehren und lege meine Arme um den oberen Teil ihres Rückens. Sie ist so zierlich und klein, man hat das Gefühl, wenn man nur etwas zu fest zudrückt, wird sie wie eine fragile Porzellanfigur zerbrechen und zu Staub zerfallen.
Der Gedanke, dass sie sich jetzt hier in Luft auflösen könnte, versetzt mir einen Kloß im Hals.
„Danke, dass du mit hierhergekommen bist und mir das gezeigt hast. Es ist so schön hier, und ich reise gerne mit dir.“
Der Kloß wird größer.
Ich beuge mich vor, gebe ihr einen Hauch von einem Kuss auf den Haaransatz, rieche ihren lieblichen Duft. „Wenn ich könnte, würde ich dir die ganze Welt zeigen.“
Sie drückt mich noch etwas fester. „Das wäre so schön“, klingt sie begeistert.
„Ja, wäre es“, sage ich mit brüchiger Stimme. Ich würde nichts lieber tun, als ihr die Welt zu zeigen, aber ihre Welt wird in ein paar Tagen enden und meine vielleicht mit ihr. Wie kann ich in dieser Welt weitermachen, in der einem Wesen wie ihr so schlimme Dinge angetan werden? Einer Welt, in der ich dazu beigetragen habe, dieses Geschöpf auszulöschen.
Ich löse mich aus ihrer Umarmung, sie gibt mich nur widerwillig frei. „Wir müssen weiter, kleine Elfenfrau“, sage ich zu ihr.
⫸☼⫷
Der Tag
Die Nacht ist still, als ich mich durch die dunkle Landschaft schleiche. Das feuchte Gras dämpft meine Schritte, während die Grillen unermüdlich ihr Lied singen. Jeder meiner Schritte ist wohlüberlegt; ich gleite wie ein Schatten durch die Welt, unsichtbar und unbemerkt. Die tief sitzende Kapuze meines schwarzen Mantels verbirgt mein Gesicht, und ein Schal bedeckt meinen Hals und einen Teil meines Mundes. Die sumpfige Gegend stellt bei jedem Schritt eine Herausforderung dar, und ich muss wachsam sein, um nicht in ein Schlammloch zu treten oder in einen der zahlreichen Flüsse zu fallen.
Die Flüsse wimmeln von Alligatoren, und die Sümpfe sind voller Schlangen und anderer giftigen Kreaturen. Doch sie flößen mir keine Angst ein; wir sind Freunde, schon immer gewesen. Ich respektiere Ihren Raum und halte Abstand. Tief in den Wäldern wurde ich hingeschickt, wo ein altes Haus steht, und in diesem Haus soll etwas Wertvolles verborgen sein.
Der alte Mann, der dort lebt, führt ein zurückgezogenes Leben und gibt nicht viel über sich preis. Niemand kennt ihn gut, doch wir alle sind überzeugt, dass er wertvolle Schmuckstücke verborgen hält. Einst war er ein Juwelier und Händler, der die kostbarsten und schönsten Edelsteine der Welt besaß, verkaufte oder sammelte.
Alle paar Wochen fährt der alte Mann in die Stadt und bleibt über Nacht. Vor einigen Monaten hatte er ein paar Gläser zu viel getrunken und wurde gegenüber dem Barmann ungewöhnlich gesprächig. Er sprach von seinem tief im Sumpf versteckten Haus, seiner Vergangenheit und davon, dass all der Reichtum für ihn seit dem Tod seiner Frau und Tochter vor 21 Jahren keine Bedeutung mehr hat. Sie starben beide im Kindbett und seitdem ist sein Leben leer geworden.
Als der Barmann ihn fragte, ob noch etwas von all dem Reichtum übrig geblieben sei, erzählte der alte Mann von einigen Edelsteinen, die er als Notreserve auf der Bank behalten habe, aber betonte, dass sie für ihn keine Bedeutung mehr hätten. Sein Interesse an materiellem Besitz sei längst erloschen. Das Einzige, was ihm noch wichtig sei, sei der Mondstein, den er zu Hause aufbewahre – sein wertvollster Besitz, den er niemals hergeben würde.
Diese Worte ließen mich aufhorchen. Ein Schatz, den ich mir auf keinen Fall entgehen lassen wollte. Auch ich saß an jenem Abend in dieser Bar, verborgen im Schatten, unbemerkt. Der alte Narr hätte besser darauf achten sollen, was er sagt.
Ein Mondstein kann mehrere tausend Dollar wert sein, und in einwandfreiem Zustand sind sie selten. Dieser Stein ist mein Ticket in die Freiheit. Zu lange habe ich unter Kierans Fuchtel gestanden. Es wird Zeit, dass ich meinen eigenen Weg gehe.
Kieran nahm mich als kleinen Jungen aus einem Waisenhaus auf. Doch man sollte nicht denken, dass er es aus Nächstenliebe tat. Liebe und Zuneigung sind ihm fremd. Er betritt das Waisenhaus, sucht sich die Kinder mit Potenzial aus und bildet sie zu Dieben, Mördern und Betrügern aus. Wir alle sind seine Werkzeuge, dienen ihm. Seine Rechnung ist einfach: Da er uns großgezogen hat und wir bei ihm leben, schulden wir ihm jahrelangen Unterhalt. Es ist für uns nahezu unmöglich, diesem Leben zu entkommen – es sei denn, in einem Leichensack.
Nur wenn wir ihm etwas ganz Besonderes bringen, haben wir eine Chance auf Freiheit. Dieser Mondstein wird mein Ticket sein. Ich bin es leid, seine Drecksarbeit zu erledigen und kaum etwas dafür zu bekommen. Ich will mein eigener Herr sein und endlich das tun, worauf ich Lust habe. Ich mache mir nichts vor – ein gutbürgerliches Leben werde ich nie führen, denn außer der kriminellen Welt habe ich nie etwas anderes kennengelernt.
Meine Eltern müssen Versager gewesen sein, denn man fand mich als Baby in einem Müllcontainer. Ich habe wohl gerade so überlebt und hatte großes Glück – wenn man das überhaupt so nennen kann. Weder meine Mutter noch mein Vater konnten je ausfindig gemacht werden. Mit fünf Jahren kam ich dann in Kierans Obhut. Zuerst dachte ich, es sei der beste Tag meines Lebens. Nicht viele Kinder haben das Glück, adoptiert zu werden, denn die Waisenhäuser platzen aus allen Nähten. Wer will da schon das Müllbaby?
Richtig, niemand.
Neunzehn Jahre sind vergangen, in denen ich diesem Dreckskerl diene. Neunzehn Jahre voller Qualen, Schläge, Training und Ausbeutung. Es reicht. Bei ihm wird niemand besonders alt; die meisten sterben, bevor sie zwanzig sind. Ich habe mich bisher gut geschlagen. Immerhin bin ich schon vierundzwanzig und gehöre damit zu den alten Eisen bei uns.
An Flucht braucht niemand zu denken, denn Kieran hat ein weitreichendes Netz und ist gut darin, Leute wiederzufinden. Mein Freund Hugo kam ungefähr zur gleichen Zeit wie ich unter seine Fittiche. Wir haben viele Dinger zusammen gedreht. Irgendwann kam Hugo auf die bescheuerte Idee, dass er fliehen wollte. Wochenlang redete er auf mich ein, ich solle ihn begleiten. Beinahe hätte ich es auch getan. Zum Glück war ich klug genug, Hugo nicht zu begleiten. Er schaffte es bis zum Bahnhof, doch Kierans Augen und Ohren verrieten ihn. Wer genau es war, weiß ich nicht. Viele von den Kindern sind absolute Arschkriecher, die glauben, dass sie besser dastehen und mehr Ansehen genießen, wenn sie sich gegenseitig ausspionieren und verraten. Doch das stimmt nicht. Kieran hasst Verräter, lässt uns aber alle im Glauben, dass er sie bevorzugt, um mehr Kontrolle über uns zu haben.
Zurück zu Hugo: Sie haben ihn am Bahnhof geschnappt und zurück zum Anwesen gebracht. Er weinte und bettelte, flehte darum, verschont zu werden, und versprach, es nie wieder zu tun. Aber wer Kieran einmal enttäuscht, bekommt keine zweite Chance. Das wäre ein Zeichen von Schwäche – und Schwäche duldet er weder bei sich noch bei einem von uns.
Hugo wurde in einen Käfig gesperrt und festgebunden, nur seine Beine und Arme ragten aus den Gittern heraus. Dann ließ man die Schweine zu ihm. Niemals werde ich die grauenvollen Schreie von Hugo vergessen, vermischt mit den grunzenden und schmatzenden Lauten der Eber. Sie rissen immer neue Stücke aus seinem Fleisch. Diese Biester machten nicht einmal vor den Knochen halt, sie zermalmten alles und ließen nichts übrig. Hugo war ein Exempel für uns alle, was passiert, wenn man es wagt, Kieran zu hintergehen. Sein Todeskampf dauerte lange, es war wie aus einem Horrorfilm.
Wir alle waren erleichtert, als er endlich starb und die unerträglichen Schreie verstummten. Armer Hugo, ich mochte ihn wirklich. Er kam einem Freund am nächsten, soweit wir überhaupt so etwas wie Freunde haben konnten.
Seitdem ist mir der Appetit auf Fleisch vergangen, und ich habe mich für eine vegetarische Lebensweise entschieden. Jedes Mal, wenn ich irgendwo einen Braten sehe, denke ich an Hugo, an all das Blut und die Geräusche. Ich kann es einfach nicht mehr essen; es widert mich an.
Zumindest hat die Demonstration an Hugo gewirkt. Niemand von uns hat sich seitdem gewagt, auch nur einen Schritt ohne Kierans Erlaubnis zu gehen.
Hugo war ein Idiot, zu glauben, er hätte eine Chance gehabt.
Es gibt Schlimmeres, als dort zu leben. Das Anwesen ist groß, ein altes Herrenhaus im typischen Südstaaten-Stil. Säulen zieren den Eingang und die massive Bauweise verleiht ihm eine beeindruckende Präsenz. Rundherum stehen weitere kleinere Häuser, als würde Kieran auf seinen scheinbar endlosen Ländereien eine eigene kleine Stadt errichten. Überall ragen Zypressen empor, die das Bild perfekt abrunden. Wenn man sich ein altes Haus in den Südstaaten vorstellt, dann genau so eines. Wie wir bereits wissen, hat er Farmtiere, die einen großen Teil der Selbstversorgung ermöglichen.
Er beackert seine Ländereien, doch nicht er selbst, sondern wir tun es für ihn. Er ist gerne unabhängig und möchte dem Staat kein unnötiges Geld in den Rachen werfen – außer natürlich, wenn es um Staatsangestellte geht, die er schmieren und kaufen kann. Solch ein Mann wie Kieran braucht Freunde in den höchsten Rängen, um seine Machenschaften ungestört fortführen zu können.
Tief in Gedanken an Hugo und die ersehnte Freiheit versunken, erreiche ich schließlich das Haus. Es ist ein schlichtes, zweistöckiges Holzhaus, dessen weiße Farbe bereits abblättert. Der Zugang zum Fluss vervollständigt die Szene, doch die Atmosphäre ist düster, als würde das Haus einer verborgenen Hexe gehören oder von Geistern bewohnt werden.
Der Vollmond taucht die Nacht in ein sanftes, silbernes Licht und enthüllt das alte Haus in all seiner finsteren Pracht. Trotz der Dunkelheit habe ich einen klaren Blick auf das Gebäude. Überall um mich herum schweben Glühwürmchen, die mit ihrem Flimmern allem einen mystischen Hauch verleihen.
Ich beobachte das Haus aufmerksam und prüfe jede Bewegung. Der alte Mann hat seine Routine, und er wird mit ziemlicher Sicherheit nicht da sein, aber ich will kein Risiko eingehen. Es wäre fatal, wenn er sich anders entschieden hätte und ich eine Ladung Blei abbekomme. In den Sümpfen gilt ein einfaches Gesetz: Erst schießen, dann fragen.
Ich greife an meinen Gurt und taste nach dem Messer mit der gebogenen, schmuckvollen Klinge und dem perlmuttfarbenen Griff. Es ist perfekt ausbalanciert und meine Waffe der Wahl. Schießen ist so unpersönlich und laut; ich schleiche lieber nah heran, überrasche mein Opfer aus der Dunkelheit und stoße die Klinge tief ins Fleisch. Bevor es überhaupt weiß, was los ist, ist es schon vorbei. Mit dem Messer verfehle ich nie mein Ziel. Ich weiß genau, wo ich treffen muss, damit es schnell vorbei ist oder ich genügend Schmerzen verursachen kann, um die Informationen zu bekommen, die ich benötige.
Ich bin der Schatten, der dich verschlingen wird.
Dass ich mich so gut in der Dunkelheit bewegen kann, liegt an meinen angeborenen Genen. Meine Haut ist schwarz wie die Nacht; als wäre ich dazu geboren, mich in den Schatten zu bewegen. Meine Haut ist dunkler als die der meisten meiner Ethnie. Vielleicht hat Kieran mich deswegen damals ausgewählt, aber ich habe mich nie getraut, ihn zu fragen. Er hat Kinder aus jeder Bevölkerungsgruppe und spezialisiert sich nicht, also kann es auch einfach nur Zufall oder Pech gewesen sein.
Eigentlich bin ich kein Nachtmensch und bevorzuge den Tag, die Sonne, das Licht. Aber wir haben nicht viel Mitspracherecht, und die Nacht liegt mir. Ich habe gelernt, sie zu lieben und zu nutzen. Sollte ich jemals freikommen, dann gehört der Tag wieder mir.
Immer weiter bewege ich mich durch die hohen Gräser in Richtung Haus, schleiche zur Rückseite und suche Deckung hinter dichtem Gestrüpp, als ich sie sehe.
Sie sieht aus wie eine Elfe, ein Wesen aus einer anderen Welt. Wer oder was ist sie? Ihr weißes Haar reflektiert das Mondlicht wie eine edle Perle. Es fließt und wellt sich bis zur Mitte ihres Rückens. So zart und zerbrechlich wirkt sie, ein kleines, weißes Geschöpf.
Ihre Haut könnte Marmor sein, und ich bin mir sicher, dass sie glatt und kalt ist. Das weiße Kleid scheint aus Leinen zu sein, im Boho-Stil, mit kleinen, filigranen Mustern bestickt.
Ich bin vollkommen gebannt von diesem Anblick. Was hat sie hier draußen im Haus des alten Mannes verloren?
Man erzählt sich überall, er lebt alleine hier, sei nach dem Tod seiner Frau zu einem verrückten Einsiedler geworden.
Ganz behutsam ziehe ich das Gestrüpp ein Stück auseinander, bin aber zu sehr abgelenkt von dieser Gestalt, sodass einer der Äste knackt. Augenblicklich hält die Frau inne und blickt in meine Richtung.
Verflucht, ich darf mich nicht verraten.
Ihre Augen – irgendetwas stimmt nicht mit ihnen; im Mondlicht wirken sie rot. Können Menschen wirklich rote Augen haben?
„Hallo? Ist da jemand?“, höre ich ihre engelsgleiche, zarte Stimme.
Natürlich antworte ich ihr nicht. Als sie sich sicher ist, dass niemand in der Dunkelheit lauert, geht sie weiter in ihren Garten und bewundert die blühenden Mondblumen, deren große, weiße Blüten so wunderbar zu dieser Elfenfrau passen. Es fühlt sich an, als wäre ich in ein Märchen gelandet, mit Fabelwesen, die durch die Nacht gleiten. Wenn ich sie nur nett genug darum bitte, wird sie mir vielleicht einen Wunsch erfüllen. Aber das hier ist kein Märchen. Ich bin aus einem bestimmten Grund hier und werde mich nicht durch irgendeine Illusion davon abhalten lassen.
Der Plan hat sich durch ihre Anwesenheit etwas geändert, also verharre ich in meinen schützenden Schatten. Ich werde warten, bis sie schläft, um mir den Schatz des alten Narren zu schnappen.
⫸☼⫷
☽ ☆ ☾
Die Nacht
Kurz dachte ich, etwas gehört zu haben, aber es wird wohl nur einer der vielen Sumpfbewohner gewesen sein, die nachts durch das Dickicht schleichen. Menschen verirren sich hier nie her, besonders nicht in der Nacht. Der Sumpf ist viel zu gefährlich, und man läuft jederzeit Gefahr, von einem der Alligatoren in die Tiefe gerissen zu werden oder im tiefen Schlamm stecken zu bleiben, aus dem man sich nicht mehr alleine befreien kann.
Vater ist unterwegs, seine üblichen Besorgungen für uns machen. Ich genieße die Zeit alleine. Ich liebe meinen Vater über alles, aber er macht sich immer so viele Sorgen um mich. Am liebsten würde er, dass ich das Haus nie verlasse, dass ich immer sein kleines Kind bleibe. Die Welt da draußen sei nicht sicher; überall gibt es schlechte Menschen, die mir sicher etwas antun würden, sollten sie mich sehen. Ich glaube nicht, dass sie schlecht sind, sondern dass mein Vater vielleicht einfach Pech hatte und auf schlechte Menschen getroffen ist, was sein Bild verzerrt hat. Ich glaube, in jedem steckt etwas Gutes, und es gibt nicht nur Schlechtes oder nur Gutes. Es muss immer ausgewogen sein, so wie alles ein gewisses Gleichgewicht erfordert.
Er hat so eine riesige Angst, mich zu verlieren, dass er mich hier versteckt hält. Meine Mutter ist bei meiner Geburt gestorben, und das konnte er nie wirklich verkraften. Seitdem schützt er mich wie seinen wertvollsten Schatz, und ich schaffe es nicht, ihm das Herz zu brechen und fortzugehen. Dabei würde ich so gerne die Welt sehen, einmal raus aus diesen Sümpfen kommen, mit anderen Menschen sprechen und einfach ein ganz normales Leben führen, soweit es mit meiner Erkrankung möglich ist. Ich habe eine besonders stark ausgeprägte Form von Albinismus, wodurch meine Haut enorm sonnen empfindlich ist. Meine Augen sind rot, und ich weiß mittlerweile, dass Menschen normalerweise keine roten Augen haben. Auch meine Haare sind vollständig weiß und ohne jegliche Pigmentierung. Mein Vater sagt, Menschen, die so besonders sind wie ich, sind dort draußen nicht sicher. Also tut er sein Bestes, mir hier ein Leben zu schenken, bei dem es mir an nichts fehlt. Doch mir fehlt der Kontakt zu anderen Menschen. Da ich die Sonne nicht vertrage, bewege ich mich beinahe ausschließlich in der Nacht draußen, bewundere den Sternenhimmel und die verschiedenen Mondphasen. Heute ist Vollmond, und der Mond leuchtet so hell, dass es beinahe wie Tag erscheint. Das sind meine liebsten Nächte, und diese Nacht ist besonders schön, da sie mild ist und meine geliebten Mondblumen blühen.
Morgen Nachmittag kommt Vater wieder. Ich hoffe, er hat mir die Bücher und Filme mitgebracht, die ich mir so sehr gewünscht habe, auch diese durchlaufen seinen strengen Anforderungen, da er nicht akzeptieren kann, dass ich mittlerweile eine erwachsene Frau bin und kein kleines Kind mehr. In den frühen Morgenstunden gehe ich zurück in das Haus; der Tag wird bald anbrechen, die Zeit, in der ich normalerweise schlafe.
Ich liebe den Tag und wünschte, ich könnte mehr Zeit mit ihm verbringen. Aber ich gehöre der Nacht an und kann den Tag nur aus der Ferne bewundern.
Als ich bereits im Bett liege und etwas in meinem Buch lese, höre ich ein leises Knarren.
Ob mein Vater bereits da ist? Das kann eigentlich nicht sein. Ich hebe die Decke an und gehe barfuß über den rauen, hölzernen Boden, setze einen Fuß vor den anderen und öffne die Tür. Noch einmal horche ich in die Dunkelheit, doch es ist nichts zu hören. Ein Frösteln überkommt mich, trotz der milden Temperaturen.
Da ich keine weiteren Geräusche ausmachen kann, möchte ich schon wieder zurück ins Bett, als mich grob eine Hand von hinten packt. Eine Hand wird über meinen Mund gelegt, und in der anderen blitzt ein Messer auf – eine gebogene Klinge, in der ich mein schreckverzerrtes Gesicht sehe. Rote Augen blicken mich an, dahinter Dunkelheit, ein schwarzer Umriss und Augen voller Finsternis.
„Ganz ruhig, kleine Elfe, ich möchte dir nicht weh tun. Wenn ich meine Hand von deinem Mund nehme, wirst du nicht schreien, hast du mich verstanden?“ sagt die raue, tiefe, dunkle Stimme, die trotz der Bedrohung irgendwie melodisch klingt.
Schwer atmend in seiner Hand nicke ich, und er nimmt wie versprochen die Hand herunter. Doch dann umschließt sein fester Griff meinen Hals, was mich schwer schlucken lässt.
„Wo hat dein Vater den Mondstein?“, fragt die Stimme fordernd.
Mondstein? Welchen Mondstein frage ich mich unweigerlich.
„Wir haben keine Mondsteine hier. Er hat alle Schmuckstücke in der Bank und bewahrt nichts im Haus auf“ sage ich voller Aufrichtigkeit.
Er schnaubt: „Ich weiß, dass er seinen wertvollsten Besitz hier aufbewahrt. Lüg mich nicht an. Er hat davon gesprochen.“
Mit zittriger Stimme wiederhole ich, was ich bereits gesagt habe. Seine Hand drückt weiter meinen Hals zu, nimmt mir die Möglichkeit, ungehindert zu atmen.
„Du lügst. Muss ich dir erst weh tun, damit du ehrlich zu mir bist?“
Er drückt noch fester zu, was mich aufkeuchen und husten lässt.
„Wo ist sein Schatz? Ich frage dich das letzte Mal freundlich, ansonsten kannst du Bekanntschaft mit meinem Freund machen.“
Demonstrativ wedelt er mit der Klinge vor meinem Gesicht, die im schwachen Licht bedrohlich aufblitzt. Die Dunkelheit um uns herum scheint sich zu verdichten, als ob sie seine finsteren Absichten verstärken würde.
Eine Träne sammelt sich in meinem Auge und fließt über mein Gesicht. Ich möchte diese Klinge nicht spüren, kann ihm aber auch nicht das geben, was er hier zu finden meint. Es ist nicht gelogen, dass alles Wertvolle in einem sicheren Tresor auf der Bank ist. Das Einzige und Wertvollste, was mein Vater hier in den Sümpfen sicher verwahrt, bin ich. Ich bin sein Mondstein.
„Es gibt keinen Schatz, du hast das missverstanden. Ich bin es, über das du ihn hast reden hören. Nur mich verbirgt er hier, sicher weggeschlossen vor der Außenwelt. Es tut mir leid, ich kann dir nicht geben, was du suchst.“
Ein kurzer, unverständlicher Fluch verlässt seine Lippen, und ich bete, dass er gehen wird. Ich habe sein Gesicht nicht gesehen, noch kann er dieses Haus verlassen und ohne Angst vor einer Strafe in den tiefen Sümpfen verschwinden.
„Bitte, kannst du das Haus jetzt verlassen. Ich habe dich nicht gesehen, nichts ist passiert, niemand wird dich verfolgen. Ich verspreche es dir, wir vergessen beide einfach, was hier passiert ist, und gehen unsere Wege“, krächze ich.
Seine Hand lockert sich, und endlich kann ich genügend Sauerstoff inhalieren. Nur für einen flüchtigen Moment bin ich sicher, dass er vernünftig ist und gehen wird. Doch dann packt er mich fest am Arm, dreht mich mit Schwung um, sodass ich ihm direkt gegenüberstehe und in sein Gesicht sehe. Seine Haut ist wie Ebenholz, so dunkel und das absolute Gegenteil von mir. Seine Augen sind schwarz, wirken jedoch, als wäre ein dunkler blauer Schimmer in ihnen – als wäre die Nacht darin gefangen. Seine Gesichtszüge sind hart und markant, seine Lippen dunkel und voll.
Er trägt einen schwarzen Umhangmantel mit Kapuze, die seine Haare bedeckt. Sein ganzes Aussehen wirkt wie das eines Assassinen. Als wäre er geradewegs aus einer meiner geliebten Fantasygeschichten in meinem Haus gelandet. Doch dies ist kein Fantasyroman, sondern die Realität, und dieser Mensch wird mich nicht einfach gehen lassen.
„Zieh dir etwas an, wir werden jetzt gehen. Eine falsche Bewegung und du wirst mein Messer besser kennenlernen. Glaube nicht, dass ich irgendwelche Gnade walten lassen werde. Du bist für mich zu wertvoll, weil du für den alten Mann wertvoll bist. Wenn ich hier im Haus schon nicht an seine Edelsteine komme, dann wird er sie sicher bereitwillig gegen dich eintauschen“, sagt er ohne das geringste Anzeichen von Mitgefühl.
Da ich mein Glück nicht herausfordern möchte, tue ich, wie er es mir befohlen hat. Ich ziehe mir Socken und Schuhe an, packe einen langen Mantel zum Schutz vor Tageslicht und eine Sonnenbrille ein.
Er steht im Türrahmen und beobachtet jede meiner Bewegungen, mustert mich so gründlich, dass es mir unangenehm ist. Er hat sicher noch nie jemanden wie mich gesehen.
Vielleicht hatte mein Vater doch recht, und die Welt dort draußen ist zu gefährlich. Vielleicht gibt es doch diese schlechten Menschen, und einer hat den weiten Weg durch den tiefen Sumpf zu mir gefunden.
Ich schultere meinen alten, grauen Rucksack, in dem das Nötigste für eine Reise gepackt ist – eine Reise, die ich mir immer gewünscht hatte und mir nun wünschte, ich müsste sie nicht antreten.
„Schreib deinem Vater eine Nachricht“, befiehlt er mir und beginnt zu diktieren.
Hallo Vater,
sie haben mich mitgenommen. Keine Polizei, keine unüberlegte Rettungsaktion, ansonsten werden sie mich in Stücken zurückschicken. Wir wollen den Tresorinhalt, besorge ihn und bald wird sich jemand bei dir melden.
Es tut mir leid.
In Liebe dein Mondstein
Der Zettel wird auf den Tisch platziert, sodass er ihn schnell finden wird. Ein letzter Blick zurück auf das Heim, das ich immer verlassen wollte und zu dem ich nun nur so schnell wie möglich zurückkehren will.
Der Tag bricht langsam an, und die ersten Sonnenstrahlen dringen durch die dichte Bewaldung, schimmern auf der Wasseroberfläche und verleihen dem Sumpf ein geisterhaftes Glühen. Ein leichter Nebel liegt über dem Sumpf, und die Luft ist erfüllt vom leisen Summen der erwachenden Natur. Alles erwacht zum Leben; die Geräusche des Sumpfes sind ein Chor der geheimnisvollen Kreaturen, die in dieser unwirklichen Landschaft zuhause sind. Die Morgenstunden sind magisch, die Dunkelheit weicht der leisen Dämmerung, während die ersten Vögel zu singen beginnen. Doch dieser Zauber ist für mich von einem beklemmenden Gefühl der Angst überschattet. Der Tag bricht mit aller Gewalt herein und reißt mich aus der schützenden Umarmung der Nacht.
Er schleift mich querfeldein, mitten durch den Sumpf, und jede meiner Bewegungen wird von einem ständigen Gefühl der Bedrohung begleitet. Er scheint den Weg gut zu kennen, weiß genau, wo er laufen kann, und fürchtet sich nicht vor dem, was unter der trügerischen Oberfläche des Sumpfes lauert. Sein Griff an meinem Arm ist fest und unerbittlich, seine Augen starr nach vorne gerichtet, als könnte nichts und niemand ihn aufhalten. Der Boden unter unseren Füßen ist weich und heimtückisch, und bei jedem Schritt drohe ich zu stolpern oder im Schlamm zu versinken. Doch er zieht mich unbarmherzig weiter, unbeirrt von den Gefahren, die uns umgeben.
Die Schatten der Bäume bilden groteske Muster auf dem moosbewachsenen Boden, und die Luft ist schwer von der Feuchtigkeit des Sumpfes. Kleine Insekten schwirren um uns herum, doch er scheint sie nicht zu bemerken. Ich wage es kaum zu atmen, aus Angst, seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Mein Herz schlägt wild in meiner Brust, und ich kann das leise Rascheln der Blätter und das ferne Plätschern des Wassers hören, das von den Bewegungen der unsichtbaren Kreaturen gestört wird. Der Nebel hüllt uns in eine fast surreale Stille.
Mit jedem Schritt entferne ich mich weiter von der Sicherheit meines Zuhauses, hineingezogen in eine Welt, die mir absolut unbekannt ist. Doch inmitten dieser Dunkelheit spüre ich auch eine seltsame Entschlossenheit aufsteigen. Ich werde nicht zulassen, dass meine Geschichte hier endet, nicht so.
Als wir eine gefühlte Ewigkeit gelaufen sind, kommen wir auf einem kleinen, kaum einsehbaren Weg an. Ein schwarzes Auto steht dort, vermutlich ein Muscle-Car. Die Marke kenne ich nicht, da ich mich nie besonders für Autos interessiert habe. Er entriegelt das Schloss, und ich will mich schon auf den Beifahrersitz setzen, als er spöttisch lacht.
„Meinst du wirklich, ich kutschiere dich gut sichtbar für alle herum? Steig in den Kofferraum.“
Erschrocken sehe ich ihn an, hoffe, dass er scherzt. Doch er meint es todernst. Er öffnet den Kofferraum und weist mit der Hand in den kleinen Raum.
Widerwillig hole ich meine Jacke aus meinem Rucksack, breite sie dort drinnen aus, um wenigstens einen Hauch von Polsterung zu haben, und lege mich mit meinen schlammigen, modrig riechenden Schuhen in den beengten Raum. Er schließt die Klappe, und Dunkelheit umhüllt mich.
Das endlose Gerüttel beginnt.
☽ ☆ ☾
⫸☼⫷
Der Tag
Der alte, dumme Mann ist noch ein größerer Idiot, als ich befürchtet habe.
Mit der Elfenfrau im Kofferraum bin ich nicht besonders glücklich. Aber sie wird ihren Zweck erfüllen. Sobald ich sie gegen die Schmuckstücke eingetauscht habe, werde ich genügend Geld haben, um mich endlich bei Kieran freizukaufen. Ich warte schon mein Leben lang darauf, frei zu sein.
Wer bin ich, wenn ich nicht der Schatten bin? Eine Frage, deren Antwort ich kaum erwarten kann.
Die kleinen, verwinkelten Wege sind unliebsam und schwer zu befahren. Ein Geländewagen wäre hier wesentlich besser geeignet. Aber mein Dodge Charger 1969 ist mein stetiger Begleiter, ein treuer Freund. Er hat mich nie im Stich gelassen, auch nicht in den finstersten Stunden.
Ich habe ihn vor einigen Jahren als verrostete Schrottkarre gekauft, niemand glaubte, dass ich den jemals zum laufen bekomme. Jede freie Minute habe ich an den Wagen geschraubt und ihn restauriert, mir jeden Cent zusammengespart und dort reingesteckt. Bis er irgendwann tatsächlich ansprang. Er ist perfekt, der schwarze glänzende Lack, die verchromten Verzierungen und Felgen. Die weichen Sitze, die sich schon fast wie ein Sessel anfühlen, und der Sound, wenn das Baby anspringt. Er ist mein ganzer Stolz und von Kieran kam ein anerkenndes pfeifen, als er endlich fertig war. Einen kurzen Moment habe ich befürchtet er wird ihn mir wegnehmen, für sich beanspruchen. Aber ich durfte ihn behalten, er ist mein einziger Besitz. Einmal hat jemand es gewagt Hand an ihn anzulegen, ein betrunkener Penner, der meinte seinen Frust an meinen Baby auszulassen, er hat den Spiegel dabei abgebrochen und anschließend Bekanntschaft mit meinem Messer gemacht. Mit den Stümpfen die nach der Begegnung übrig geblieben sind, kann er nirgends mehr Hand anlegen, denn er hat keine Hände mehr.
Der Gedanke an die bevorstehende Freiheit gibt mir Kraft. Diese Elfenfrau wird mir den Weg dorthin ebnen. Ich weiß, dass sie für den alten Mann wertvoll ist. Wenn ich ihm hier im Haus schon nicht um seine Juwelen erleichtern kann, wird er sie sicher bereitwillig gegen seine Tochter eintauschen.
Während ich durch die unebenen, sumpfigen Pfade manövriere, denke ich über mein Leben nach. Ein Leben im Schatten, immer auf der Flucht, immer auf der Suche nach dem nächsten großen Coup. Doch das hier könnte mein letzter großer Coup sein. Danach werde ich endlich frei sein, frei von den Fesseln meiner Vergangenheit.
Der Morgen umhüllt das Auto, und der leichte Nebel des frühen Morgens verleiht der Umgebung eine surreale Atmosphäre. Die ersten Sonnenstrahlen brechen durch die dichten Bäume, und das Licht spiegelt sich auf der Wasseroberfläche des Sumpfes. Es ist ein beinahe verzauberter Anblick, doch ich habe keine Zeit, ihn zu genießen. Mein Fokus liegt ganz auf der Straße vor mir und auf dem wertvollen Gepäck, das ich im Kofferraum transportiere.
Der Gedanke an den bevorstehenden Austausch erfüllt mich mit einer seltsamen Mischung aus Aufregung und Angst. Ich muss vorsichtig sein, darf keinen Fehler machen. Doch die Aussicht auf die Freiheit treibt mich weiter an. Bald wird dieses Kapitel meines Lebens vorbei sein, und ein neues, freieres Kapitel wird beginnen.
Um mich etwas abzulenken, lege ich Musik von „The Devil Makes Three“ ein, und das Lied "Old Number Seven“ startet. Im Takt tippe ich mit dem Finger gegen das Lenkrad.
Guter Dinge fahre ich weiter Richtung Anwesen. Es sind noch einige Stunden, bis ich dort sein werde und die Verhandlungen mit Kieran beginnen können. Er muss mir eine Summe nennen, und diese Summe werde ich mir von dem Narren besorgen.
Als wir die halbe Strecke geschafft haben, suche ich mir einen kleinen Parkplatz. Eine kurze Pause wird guttun, da ich bereits 24 Stunden nicht geschlafen habe und keinen Unfall bauen möchte.
Ich schnappe mir eine Flasche Wasser vom Rücksitz und steige aus dem Auto, strecke mich und dehne meine Muskeln. Die Luft ist schwül und stickig, wie so oft an diesen Tagen hier.
Als ich die Klappe des Kofferraums öffne, blicken mir ein paar rote Augen entgegen. Sie blinzeln gegen das Licht und müssen sich erst an die Helligkeit gewöhnen. Ich stehe im Schatten, aber sie war schon eine ganze Weile in dem dunklen, engen Raum gefangen. Ihre Haut ist blass und fast durchscheinend, während ihre weißen Haare im Licht nahezu leuchten.
„Darf ich herauskommen?“, fragt sie mit ihrer zarten, dünnen Stimme, die kaum mehr als ein Flüstern ist.
Skeptisch schaue ich mich um. Weit und breit ist niemand zu sehen. Der Platz ist abgelegen, und vermutlich wird hier tagelang niemand vorbeikommen. Ich nicke schließlich.