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Es gibt viele Möglichkeiten, Weihnachten zu verbringen. Im Kreise der Familie und der Liebsten. Besinnlich, fröhlich, genussfreudig. Oder allein. Ganz entspannt. Oder so halb allein. Eher nicht so entspannt. Im Schrank, zum Beispiel. Nachdem man gerade eine wichtige Zeugin verführt hat. Und deren Ehemann dummerweise früher zurückkehrt. Dann hockt man, wie Kriminalpsychologe Sebastian Bergman, Weihnachten im Schrank. Und wartet. Hofft, dass es bald vorbei ist. Aber wenn man Bergman ist, wenn man brillant ist, weiß man auch die Zeit im Schrank halbwegs sinnvoll zu nutzen …
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Seitenzahl: 80
Michael Hjorth • Hans Rosenfeldt
Im Schrank
Aus dem Schwedischen von Ursel Allenstein
Ihr Verlagsname
Hans Rosenfeldt, Jahrgang 1964, schreibt Drehbücher, zuletzt für die ZDF-Koproduktion «Die Brücke – Transit in den Tod». In Schweden ist er ein beliebter Radio- und Fernsehmoderator.
Michael Hjorth, geboren 1963, ist ein erfolgreicher schwedischer Produzent, Regisseur und ebenfalls Drehbuchautor. Er schrieb u.a. Drehbücher für die Verfilmungen der Romane von Henning Mankell.
Ihr gemeinsames Krimidebüt «Der Mann, der kein Mörder war» wurde ein Riesenerfolg, das Buch erschien in 22 Ländern und stand monatelang auf den internationalen Bestsellerlisten. Der zweite und dritte Band der Reihe um den Stockholmer Kriminalpsychologen Sebastian Bergman, die von Sveriges Television in Kooperation mit dem ZDF verfilmt wird, befanden sich wochenlang unter den Top 10 der Spiegel-Bestsellerliste. Im Oktober 2014 erscheint Band vier, «Das Mädchen, das verstummte», im Wunderlich Verlag.
«Der beste Schwedenkrimi des Jahres.» (Die Welt über «Der Mann, der kein Mörder war»)
«Ein Krimi, wie er besser nicht sein kann.» (NDR Info über «Die Frauen, die er kannte»)
«Wer die beiden Vorgänger gelesen hat, der wird in die Buchhandlung stürzen und sich den dritten Band holen.» (NDR Kultur über «Die Toten, die niemand vermisst»)
Weitere Veröffentlichungen
Der Mann, der kein Mörder war
Die Frauen, die er kannte
Die Toten, die niemand vermisst
Im Schrank war es kalt. Viel kälter als erwartet. Es zog aus irgendeiner Ecke, und die Tatsache, dass er nackt war, machte die Situation nicht gerade angenehmer. Sebastian sah sich um.
Ein Kleiderschrank.
Wie erniedrigend.
Es war zwar eines dieser etwas größeren, begehbaren Modelle, aber dennoch …
Er streckte sich vorsichtig und zog das Kleidungsstück vom Bügel, das am nächsten hing. Irgendeine Strickjacke, die ihm viel zu klein war. Es war ihr Schrank. Sebastian legte sich die Jacke über die Oberschenkel. Viel half es nicht, aber immerhin fühlte er sich weniger nackt.
Er hörte die beiden draußen reden. Vermutlich saßen sie in der Küche, das Klirren der Kaffeetassen ließ darauf schließen. Am vorausgegangenen Abend hatte Sebastian sich knutschend und ohne Umwege ins Schlafzimmer vorgearbeitet, weshalb er keine Ahnung hatte, wie der Rest der Wohnung aussah. Die Frau lachte gelöst, es klang wie ein ganz normaler Vormittag im Leben eines verheirateten Paares. Nichts deutete darauf hin, dass sie erst vor wenigen Minuten einen nackten Liebhaber in ihrem Schlafzimmerschrank versteckt hatte.
«Musst du heute gar nicht zur Arbeit?», fragte sie ihren Mann.
Sebastian spürte, wie sein linkes Bein allmählich einschlief, und er wechselte vorsichtig die Sitzposition. Dann rückte er näher an die Schiebetür und öffnete sie behutsam einen kleinen Spaltbreit, damit er besser lauschen konnte.
«Nein, brauche ich nicht», antwortete der Mann, der laut dem Polizeibericht, den Sebastian gelesen hatte, Ove Wiktorsson hieß, 54 Jahre alt war und als Wirtschaftsprüfer bei der Kommune beschäftigt. «Die Stockholmer haben die Besprechung abgesagt. Deshalb konnte ich ja auch schon heute früh wieder zurückfliegen. Hat die Polizei sich noch einmal gemeldet?»
«Ja, gestern waren welche da und haben nach dir gefragt.»
«Aha. Kannst du dich an ihre Namen erinnern?»
«Nein, tut mir leid.»
Sie war eine gute Lügnerin, diese Helen oder Helena, Sebastian konnte sich nicht erinnern, ob ihr Name auf a endete oder nicht. Die Schreibweise ihres Vornamens war für ihn zweitrangig gewesen, als er, einige Stunden nachdem Ursula und er die Wohnung verlassen hatten, zurückgekehrt war. Bei ihrer ersten Begegnung hatte Helen/Helena neugierig mit ihm geschäkert, als wäre es ihr nicht recht gewesen, dass es nur um ihren Mann ging. Und Sebastian Bergman hatte ihr natürlich seine volle Aufmerksamkeit geschenkt.
«Dann könnten wir ja was unternehmen», fuhr sie dort draußen fort. «Wie wäre es mit einem Spaziergang?»
Sebastian konnte förmlich hören, wie ihr Mann den Kopf schüttelte. «Vielleicht heute Nachmittag. Ich muss noch ein bisschen was arbeiten. Aber geh du doch ruhig, dann können wir anschließend zusammen Mittag essen.»
Der Stuhl scharrte über den Boden, als Ove aufstand und in den Flur ging. Für eine Sekunde konnte Sebastian ihn durch den schmalen Spalt hindurch erspähen. Er sah durchschnittlich, aber nett aus. Auf jeden Fall sportlicher als Sebastian, sein Äußeres konnte sie also nicht in Versuchung geführt haben.
«Nein, eigentlich muss ich auch noch ziemlich viel erledigen», antwortete die Frau mit oder ohne a am Ende des Namens.
Sebastian seufzte leise und schloss die Augen. Das konnte ein langer Vormittag werden. Es war nicht das erste Mal, dass er von einem Ehemann überrascht wurde. Allerdings war er bislang gar nicht erst auf den Gedanken gekommen, sich zu verstecken. Er hatte sich lediglich angezogen, versucht, sich tätlichen Angriffen zu entziehen, und die Wohnung und das aufgebrachte Geschrei hinter sich gelassen. Die Konsequenzen hatte stets die Frau tragen müssen. Schließlich war sie ja untreu gewesen, nicht er. Aber diesmal war es anders. Diesmal konnte die Nummer auch für ihn Folgen haben.
Er hatte mit der Frau des Hauptzeugen geschlafen.
Während einer laufenden Ermittlung.
Nicht genug damit, dass die Zeugenaussage des Mannes dadurch womöglich unbrauchbar wurde. Torkel Höglund würde ihn diesmal definitiv aus der Reichsmordkommission feuern. Noch eine Chance würde er nicht bekommen. Nicht diesmal. Es gab schließlich Grenzen dafür, was man sich leisten konnte. Und so hockte er jetzt also in einem Kleiderschrank in der Ljunggatan 32 in Hässleholm und wartete. Er hoffte, dass der ahnungslose Ehemann plötzlich auf die Idee käme, eine Dusche zu nehmen, ein Nickerchen zu machen, auf den Balkon zu gehen oder irgendetwas anderes zu tun, was Sebastian fünf Minuten Zeit gab. Länger würde er nicht brauchen, um sich hinauszuschleichen und die potenzielle Katastrophe hinter sich zu lassen.
Ursula, die noch immer allein am Frühstückstisch im Stadshotellet saß, wurde allmählich ungeduldig. Torkel hatte ihr um 5.35 Uhr eine SMS geschickt:
Bin auf dem Weg nach Trelleborg.
Mit ihm hatte sie also auch nicht gerechnet. Aber Sebastian und sie hatten ein Treffen für 8 Uhr vereinbart, um die erste Vernehmung vorzubereiten. Jetzt war es schon Viertel nach, und noch immer keine Spur von ihm. Sie seufzte. Dabei war es sogar Sebastians Idee gewesen, zuerst Lena Hansson zu befragen, die Frau des Ermordeten. Er war der Meinung, sie sollten ihr die Bilder von der Überwachungskamera zeigen, die sie gestern erhalten hatten. Das war typisch Sebastian Bergman. Völlig schizophren. Zu Beginn war er vollkommen desinteressiert an dem Fall. Beschwerte sich. Fühlte sich unterfordert. Dann plötzlich machte er eine Kehrtwende und wollte jeder Idee nachgehen, die ihm kam. Versuchte, Motive und Möglichkeiten fernab des Wahrscheinlichen zu erkennen.
Nur weil es wahrscheinlich ist, muss es noch lange nicht wahr sein, pflegte er zu sagen.
Ursula glaubte, dass er sich im Grunde genommen nur langweilte und zeigen wollte, wie gut er war. Seine Notwendigkeit unter Beweis stellen, obwohl er eigentlich keine Funktion erfüllte. Was das anging, konnte Ursula ihn beinahe verstehen. Für Torkel hätte eigentlich kein Anlass bestanden, einen Kriminalpsychologen einzuschalten. Seine offizielle Begründung war Personalmangel – Billy hatte er an die Polizei in Norrbotten ausgeliehen, und Vanja feierte ihre Überstunden ab und war mit ihrer Familie im Skiurlaub –, aber Ursula war sich ziemlich sicher, dass Torkel eigentlich ein Zeichen hatte setzen wollen. Wenn Sebastian ein ständiges Mitglied des Teams sein wollte, musste er auch zur Verfügung stehen. Selbst wenn alles an diesen Ermittlungen für ihn in die falsche Richtung zeigte.
Nämlich in Richtung Osten, auf eine Bande auf Raubzug.
Sebastian hasste Fälle, in denen es um osteuropäische Diebesbanden ging. Ursula konnte das nachvollziehen. Natürlich konnte es in diesen Gruppen ebenfalls interessante Charaktere geben, die zu Gewalt und Brutalität fähig waren, aber das eigentliche Motiv war immer Geld. Und was noch viel schlimmer war: Sie redeten grundsätzlich nicht mit der Polizei und erst recht nicht mit einem Kriminalpsychologen. Um sie zu überführen, war ganz klassische polizeiliche Ermittlungsarbeit erforderlich. Und deshalb tat Sebastian natürlich alles dafür, etwas zu finden, was in eine andere Richtung wies. Das Wahrscheinliche war ihm zu langweilig.
Es hatte am vergangenen Freitag begonnen. Tord Hansson, ein 52-jähriger Antiquitätenhändler, war gefesselt und erschlagen in seinem Laden in der Storgatan im südschwedischen Nest Hässleholm aufgefunden worden. Ziemlich bald bemerkte Roland Tapper, der zuständige Kommissar, dass die Vorgehensweise an einen Raub in Malmö vor einigen Monaten sowie an einen Einbruch bei einem anderen Antiquitätenhändler in Varberg in der vergangenen Woche erinnerte. Beide Male waren die Überfallenen gefesselt und körperlich misshandelt worden, aber diesmal waren die Verletzungen so schwer gewesen, dass das Opfer daran gestorben war. Tapper hatte die Verstärkung der Reichsmordkommission angefordert. Nicht immer meldete sich die Polizei vor Ort so schnell, aber Ursula hielt Tapper für einen sehr kompetenten Kollegen, insbesondere nachdem sie gesehen hatte, wie sorgfältig er die Zeugenaussagen aufgenommen hatte.
Tord Hansson war mit schwarzen Kabelbindern hinter dem Ladentresen gefesselt und anschließend mit wiederholten Schlägen auf den Kopf getötet worden. Im Obduktionsbericht war von mindestens zweiundzwanzig Verletzungen infolge stumpfer Gewalt die Rede. Noch hatte man am Tatort keinen Gegenstand gefunden, der mit den festgestellten Quetschungen übereinstimmte, und neigte daher zu der Annahme, dass der Täter die Mordwaffe mitgenommen hatte.