Im Zauber der Berge - Andrea Eichhorn - E-Book

Im Zauber der Berge E-Book

Andrea Eichhorn

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Beschreibung

Sophie durchlebt den absoluten Alptraum - sie wird von ihrem Exfreund Sven verfolgt und bedroht. Da eröffnet sich ihr eine Chance: Ein verwitweter Bauer in den Tiroler Bergen sucht eine Kinderbetreuung. Obwohl ihr jegliche landwirtschaftliche Kenntnisse fehlen, bewirbt sie sich und fängt auf Michael Hafners Hof ein neues Leben an. Sophie verliebt sich sofort in die beiden Kinder, und auch zwischen ihr und Michael beginnt es ordentlich zu knistern. Sehr zum Leidwesen seiner Verlobten Katrin, die ihr Revier mit kalter Berechnung verteidigt. In Sophie bricht ein Gefühlschaos aus und stets begleitet sie die Angst, dass Sven sie findet … Dennoch gibt sie nicht auf und kämpft weiter für ihr Glück und die große Liebe.

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Die nachfolgende Geschichte spielt größtenteils in Ellmau, einem realen Ort im Brixental in Tirol, und der umliegenden Gegend. Die Personen und Handlungen sind jedoch rein fiktiv. Übereinstimmungen mit lebenden oder toten Personen wären rein zufällig und sind nicht beabsichtigt.

LESEPROBE zu

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2015

© 2015 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim

www.rosenheimer.com

Titelfoto: © Bernhard Angerer – Fotolia.com (oben) und 4FR – iStockphoto.com (unten)

Lektorat: Beate Decker, München

Worum geht es im Buch?

Andrea Eichhorn

Im Zauber der Berge

Sophie durchlebt den absoluten Alptraum – sie wird von ihrem Exfreund Sven verfolgt und bedroht. Da eröffnet sich ihr eine Chance: Ein verwitweter Bauer in den Tiroler Bergen sucht eine Kinderbetreuung. Obwohl ihr jegliche landwirtschaftliche Kenntnisse fehlen, bewirbt sie sich und fängt auf Michael Hafners Hof ein neues Leben an. Sophie verliebt sich sofort in die beiden Kinder, und auch zwischen ihr und Michael beginnt es ordentlich zu knistern. Sehr zum Leidwesen seiner Verlobten Katrin, die ihr Revier mit kalter Berechnung verteidigt. In Sophie bricht ein Gefühlschaos aus, und stets begleitet sie die Angst, dass Sven sie findet … Dennoch gibt sie nicht auf und kämpft weiter für ihr Glück und die große Liebe.

1

Mit raschen Schritten, den Kopf leicht eingezogen, überquerte Sophie Möller den Münchner Viktualienmarkt. Dabei merkte sie kaum, dass ihr durch den immer stärker werdenden Regen bereits das Wasser von der Nasenspitze tropfte. Normalerweise hätte sie sich darüber amüsiert, wie eben noch die Sonne frühsommerlich warm geschienen hatte und es jetzt, keine zwei Minuten später, vom dicht bewölkten Himmel goss. Wie hatte sie vorhin mit den Kindern aus ihrer Wichtelgruppe gesungen: »April, April, der weiß nicht, was er will …« Total niedlich hatten auch die Kleinsten mit Begeisterung mitgekräht. Doch daran dachte sie jetzt nicht. Auch die vielen Stände auf dem Markt, an denen äußerst dekorativ Obst, Gemüse und Käse ausgelegt waren, würdigte sie mit keinem einzigen Blick. Nicht mal eine duftende Brezn vom Bäckerstand konnte sie heute aufhalten, sie wollte einfach nur nach Hause. Schnell huschte sie mit aufgestelltem Mantelkragen weiter, entgegenkommenden Fußgängern ängstlich ausweichend. Diese Hektik entsprach eigentlich gar nicht ihrer Art – gerade sie, die es doch immer so geliebt hatte, gemütlich über den Markt zu schlendern und Leckereien fürs Abendessen zu besorgen. Wie aus einem früheren Leben kam ihr nun diese Zeit vor, in der sie sich unbeschwert und frei gefühlt hatte. War diese fröhliche Frau, die oft und herzhaft gelacht hatte, so, dass andere meist auch nicht umhin konnten, als einfach mitzulachen, tatsächlich sie selbst gewesen? Kaum zu glauben … Mit einer fahrigen Bewegung schob sie sich eine lange hellblonde Strähne hinters Ohr, die vollen Lippen fast zu einem Strich zusammengepresst. Oh, sie keuchte ja wie eine alte Dampflok, nur noch stoßweise ging ihr Atem. Fast so, als ob sie einen immens hohen Berg erklimmen würde. So stellte sie, die das letzte Mal in ihrer Kindheit wandern war, sich das zumindest vor. Ja, sie würde tatsächlich lieber jeden Gipfel stürmen, als noch länger diese Angst auszustehen. Eine Panik, die langsam ihren Rücken hochkroch, um dann wie mit eiserner Riesenfaust ihren Brustkorb zusammenzudrücken. Auch jetzt, obwohl doch längst alles gut sein sollte … Doch die Furcht, dass Sven heimlich hinter ihr herlief, jede Bewegung, jede Mimik von ihr beobachtete, ließ sie einfach nicht los. Vielleicht sah er ja gerade in diesem Augenblick, wie sie sich mit der Hand über die Augen fuhr, den Tränen nahe.

»Ihr Exfreund Sven Hohlbaum darf Ihnen nicht näher kommen als bis auf fünfzig Meter«, hatte ihr drei Wochen zuvor ein Kriminalbeamter versichert. »Wir haben ihn aufgeklärt, dass er, falls er mit seinem bisherigen Verhalten weitermacht, eine längere Gefängnisstrafe riskiert.« Der freundlich wirkende Endvierziger mit dem kleinen Bauchansatz hatte Sophie aufmunternd den Arm getätschelt. »Glauben Sie mir, heutzutage nimmt man Stalking nicht mehr auf die leichte Schulter …«

»Wie? …«, stammelte Sophie. »Was er bis jetzt getan hat, wird nicht bestraft?«

Mit ihren großen hellblauen Augen starrte sie den Polizisten entgeistert an. Dabei musste sie wieder und wieder an die schrecklichen Situationen denken, in denen Sven sie bedrängt und beschimpft hatte. Einmal war es besonders schlimm gewesen: Unten in ihrem Hausflur hatte er ihr aufgelauert, sie dann mit seinem Körpergewicht an die Wand gepresst. Eine Hand an ihrem Hals, während die andere ihre verzweifelt rudernden Arme herunterzudrücken versucht hatte. »Merk dir das, Fräulein«, waren seine Worte fast zärtlich an ihr Ohr gedrungen, was die Situation noch gespenstischer gemacht hatte. »Einen Sven Hohlbaum verlässt man nicht, das ist absolut keine gute Idee, die für dich nur schlecht ausgehen kann …«

Danach irres Gelächter, das sie auch auf dem Polizeirevier noch zu hören glaubte. So laut, dass sie die letzten Worte des Polizisten zuerst gar nicht richtig wahrnehmen konnte. »Entschuldigung, was haben Sie bitte gesagt?«

»Die Anzeige gegen Ihren Exfreund läuft, aber da im Moment keine Gefahr im Verzug ist, kann er nicht festgehalten werden, so einfach geht’s dann leider auch nicht …« Danach wieder ein offenbar mitfühlend gemeintes Tätscheln, das ihr jedoch mittlerweile gehörig auf die Nerven ging. »Glauben Sie mir, Kindchen, Hohlbaum war sehr einsichtig. Als ihm klar geworden ist, was für einen Schrecken er ihnen eingejagt hat, sind ihm die Tränen gekommen.«

Sophie holte tief Luft. Einen Schrecken eingejagt! So, als ob er mal im Spiel hinter einem Baum hervorgesprungen wäre und übermütig »Buh!« geschrien hätte.

Jetzt blinzelte sie wie verrückt, versuchte die aufsteigenden Tränen herunterzuschlucken. Falls Sven tatsächlich hier irgendwo in der Nähe war, sollte er sie nicht auch noch heulen sehen – und sich darüber scheckig lachen. Sie konnte sich wirklich lebhaft vorstellen, wie ihr Exfreund auf der Polizeiwache den reumütigen, unglücklich verliebten Mann markiert hatte. Einen von der Sorte, der einfach ein bisschen länger braucht, um zu verstehen, dass die Frau, die er doch so abgöttisch liebt, ihn tatsächlich in die Wüste geschickt hat … Dass hinter der Maske des zerknirschten Häufchen Elends ein gefährlicher Psychopath steckte, war den Polizeibeamten offenbar verborgen geblieben. Nur sie hörte sie wohl ticken – diese Zeitbombe, von der man nicht wusste, wann sie hochging. Und dennoch, vielleicht hatte sie sich vorhin beim Verlassen des Kindergartens ja wirklich eingebildet, ihn an der Straßenecke zu sehen. Den großen schlaksigen Mann mit den hellbraunen Haaren, ein bisschen lang im Nacken, aber ihm stand das. In seiner typischen lässigen Körperhaltung an einen Fahrradständer gelehnt. Dabei den leichten Anflug eines Grinsens im Gesicht … »He, das kannst du doch auf die Entfernung gar nicht erkannt haben!«, redete sie sich selbst ins Gewissen.

Ganz bestimmt musste es sich um einen Fremden gehandelt haben. Nachdem sie jedenfalls einige Male panisch nach Luft geschnappt und sich dabei hilfesuchend nach einer Kollegin umgesehen hatte, war dort nur noch der Fahrradständer gewesen – und der Mann einfach verschwunden … Vermutlich sah sie wirklich schon Gespenster …

In der nächsten Sekunde, gerade nachdem sie sich ein wenig entspannt hatte, spürte sie eine schwere Hand auf der Schulter. »Jetzt ist es soweit«, durchfuhr es sie, während ihr Herzschlag aussetzte. Zumindest kam ihr das so vor. »Renn weg! So schnell, du kannst!«, befahl eine innere Stimme.

Ja, das allein wäre die richtige Reaktion gewesen. Doch was tat sie? Wie ein Kaninchen in der Falle, unfähig zur Flucht sich nur noch tot stellend, verharrte sie.

»Sophie …«, hörte sie hinter sich eine männliche Stimme, die gleichzeitig fragend und auch ein wenig verwirrt klang.

Langsam drehte sie sich um, versuchte sogar ein Lächeln, als sie Johannes Reichelt, den Vater der kleinen Hanna aus ihrer Wichtelgruppe, vor sich stehen sah. Ein gut aussehender mittelgroßer Mann im dunklen Anzug, der fast ein bisschen wirkte, als sei er eine Figur aus dem US-Film Wall Street mit Michael Douglas und just der Leinwand entstiegen. Dabei war Reichelt weder Schauspieler noch Banker, sondern Lebensmittelchemiker. Ob er wohl den Felsbrocken gehört hatte, der gerade von ihrer Brust gekullert war? »Hallo …«, murmelte sie, noch immer um ein Lächeln bemüht, das nicht so richtig gelingen wollte.

Johannes Reichelt sah sie besorgt an. »Jetzt habe ich Sie wohl erschreckt, tut mir leid.«

»Alles gut, ich war nur völlig in Gedanken versunken …«

Okay, das hatte zumindest schon mal recht locker geklungen. Einfach entspannen und nicht mehr an Sven denken, der in ihrem Leben keine Rolle mehr spielte.

»Ich habe Sie zufällig gesehen und wollte mich noch mal bei Ihnen bedanken. Echt entzückend, wie besonders lieb Sie gestern zu unserer Hanna waren, als die Kleine im Kindergarten Fieber bekommen hat.« Er warf ihr einen warmherzigen Blick zu. »Meine Frau hat es mir erzählt …«

»Danke …« Sie war ehrlich gerührt. Natürlich erachtete sie es als selbstverständlich, sich fürsorglich um »ihre Wichtel« zu kümmern, aber es gefiel ihr auch sehr, wenn ihre Arbeit anerkannt wurde. Denn direktes Lob erntete man bei den doch recht anspruchsvollen Eltern, die ihre Kinder in den kleinen Privatkindergarten schickten, nicht allzu häufig. »Keine Ursache, ich hatte gestern einfach das Gefühl, der Hanna tut es gut, wenn ich ihr in der Kuschelecke ihr Lieblingsmärchen vorlese.«

Als sie Johannes Reichelt nun zuzwinkerte, blitzte ihr sogar der Schalk aus den Augen. »Und Sie können mir glauben, beim ›Schneewittchen‹ macht mir jetzt niemand mehr so leicht etwas vor.«

»Glaube ich Ihnen! Bei mir ist es aber auch nicht anders …« Johannes Reichelt lachte laut auf, wirkte nun gar nicht mehr wie ein kühler Banker von der New Yorker Wall Street, sondern fast jungenhaft. Sie konnte sich bildlich vorstellen, wie er daheim hingebungsvoll mit Hanna und ihren Puppen spielte. Oder – Hannas neuestes Lieblingsspiel – sich von ihr als Ärztin unzählige Male die Lunge abhören und die Hand verbinden ließ. Oh, hoffentlich hatte sie ihn jetzt nicht zu lange angestarrt.

»Geht es Hanna wieder besser?«, fragte sie rasch, einigermaßen verärgert darüber, dass ihr diese Frage nicht gleich zu Beginn ihrer Begegnung eingefallen war. Offenbar hatte ihre Angst nicht nur ihren Körper, sondern auch ihr Gehirn gelähmt.

»Ja, nur noch ein bisschen erhöhte Temperatur, morgen bleibt sie noch zu Hause, auch wenn sie unbedingt zu ›ihrer Sophie‹ will.«

Verlegen verzog die Kindergärtnerin das Gesicht. Ein wenig Lob tat ja gut, jedoch allzu viel Honig ums Maul geschmiert zu bekommen, da wurde es zunehmend peinlich. »Die Süße …«, sagte sie schließlich lächelnd. »Ich wünsche ihr gute Besserung und liebe Grüße an Ihre Frau!«

Johannes Reichelt blieb nun nichts anderes übrig, als Sophie einen schönen Nachmittag zu wünschen, bevor er in einem überdachten Stand mit bayrischen Wurstwaren verschwand.

Sie schaute ihm ein letztes Mal nach, atmete einige Male tief ein und aus. Und danach wagte sie es sogar, sich unauffällig umzusehen. Keine Spur von Sven. Auch keine Gestalt, die blitzschnell hinter einem Sichtschutz verschwand. Nirgends diese braunen Augen, die sie vor einer kleinen Ewigkeit noch interessant gefunden hatte. Die Gefahr schien gebannt. »Jawohl!«, sagte sie halblaut mit Nachdruck, so, als ob sie sich selbst tapfer überzeugen wollte.

Schließlich war es auch schon über zwei Wochen her, seit Sven das letzte Mal angerufen und sie mit Schimpftiraden überzogen hatte. »Du miese Schlampe, du wirst es büßen und mich anflehen, dass ich dir ganz schnell dein Licht ausblase.«

Ein Frösteln überfiel sie, als sie an Svens widerliche Worte dachte. Schnell schüttelte sie sich wie ein nasser Hund. Es war vorbei, daran musste sie fest glauben. Und sich gleichzeitig eingestehen, dass es wohl noch eine Weile dauern würde, bis sie kein Angstbündel mehr war, sondern die alte Sophie, die gerne lachte und dem Schicksal mit einem Augenzwinkern begegnete. Der letzte Gedanke gefiel ihr, und mit einem Lächeln auf den Lippen ging sie zögerlich weiter. Es hatte aufgehört zu nieseln, sogar die Sonne linste ein wenig zwischen zwei Wolken hervor. Ein gutes Zeichen, wie Sophie dachte. Ihre eben noch so düstere Stimmung war zwar nicht völlig verflogen, trat jetzt jedoch hinter einem winzigen Anflug von Optimismus zurück. Alles würde gut werden, und Sven schließlich zu einer winzigen Fußnote in ihrer Vergangenheit schrumpfen – wenn auch einer sehr unangenehmen. Sie blieb stehen, überlegte kurz – um gleich darauf kehrtzumachen. Auf einmal hatte sie einen Riesenappetit auf eine duftende Brezn von ihrem Lieblingsbäcker.

Als sie kurz darauf die Treppen – immer zwei Stufen auf einmal – zu ihrer Wohnung im zweiten Stockwerk eines Altbaus nahm, plante sie schon wieder mit dem ihr eigenen Elan den Nachmittag. Wäsche waschen war unbedingt fällig, außerdem wollte sie zwei Rosenstöcke umtopfen, die darauf warteten, wieder auf den Balkon gestellt zu werden. Und vielleicht waren auch schon die neuen Musikbücher für den Kindergarten mit der Post gekommen, die der Buchladen um die Ecke für sie bestellt hatte. Sophie schnalzte leise mit der Zunge, fast hätte sie über sich selbst geschmunzelt, weil sie neugierig wie ein kleines Kind kaum erwarten konnte, die darin beschriebenen Singspiele genauer unter die Lupe zu nehmen.

»Kindergärtnerin mit Leib und Seele«, hatte ihre Chefin Jana Horwath anerkennend gemeint, als sie letztens in den Gruppenraum gekommen war.

Sophie war eben dabei gewesen, mit den Kleinen ein Märchen nachzuspielen. Da diesmal Hanna bestimmen durfte, wunderte sich keiner der Wichtel, dass die Wahl auf »Schneewittchen und die sieben Zwerge« fiel, und weil niemand die böse Stiefmutter sein wollte, hatte sich Sophie dazu breitschlagen lassen.

Nun war sie fast am letzten Treppenabsatz angekommen, kramte bereits nach ihrem Schlüsselbund. Sollte sie gleich bei ihrer Nachbarin Lisa klingeln und nach der Büchersendung fragen oder erst mal in Ruhe den Mantel ausziehen und sich kurz auf dem Sofa ausstrecken?

Lisa, die als Illustratorin für Kinderbücher daheim arbeitete, war die Anlaufstelle aller Paketboten. Gutmütig wie sie war, sträubte sie sich nie, auch die sperrigsten Lieferungen anzunehmen. Was im letzten Jahr vor Weihnachten dazu geführt hatte, dass ihr Flur wie die Lagerhalle der Post ausgesehen hatte. Sophie kicherte leise in ihren Mantelkragen hinein. Am besten sie klingelte gleich mal, vielleicht hatte Lisa auch Lust, auf einen Kaffee mit rüberzukommen. Sogar selbst gebackene Marmeladenkekse vom Wochenende konnte Sophie ihr anbieten.

Gerade als sie den Arm hob, um auf den Klingelknopf zu drücken, ging die Wohnungstür auf, und Lisa, deren wilde dunkle Locken ein Eigenleben zu führen schienen, hielt ihr breit grinsend ein Paket entgegen. »Servus! Wenn das mal nicht Gedankenübertragung war …«

Sophie lachte auf. »Kann man sagen, und, he … danke, dass du wieder mal Lagerhalle gespielt hast.«

»Kein Problem.« Die hoch gewachsene Frau, die die zarte Sophie um einen halben Kopf überragte, zuckte mit den Schultern. »Wenn man den ganzen Tag allein zu Hause arbeitet, ist man für ein bisschen Abwechslung hin und wieder sogar recht dankbar.«

»Und was hältst du zur Abwechslung von Kaffee und Marmeladenkeksen bei mir?«

Lisa hob eine Augenbraue. »Ich hab zwar noch einen Haufen Arbeit zu erledigen, aber mit den Keksen hast du mich gekriegt – warte mal kurz.« Sie lief in ihren Flur zurück und kam mit einer Zeitschrift in der Hand wieder zurück. »Tiroler Urlaubsorte, muss ich dir unbedingt zeigen …«

»Ja, prima!«

Sophie nickte. Lisa, ihre Nachbarin und sie, die im Lauf der Jahre gute Freundinnen geworden waren, hatten vor Kurzem beschlossen, als Singles doch mal gemeinsam Urlaub zu machen. Und Lisa, die Bergwanderungen über alles liebte, hatte Tirol vorgeschlagen. Warum eigentlich nicht? Als Kind war Sophie zuletzt in Tirol gewesen, damals als ihre Eltern noch gelebt hatten. Die alte Trauer schien sich ihrer wieder zu bemächtigen, rasch versuchte sie das Gefühl abzuschütteln. Sie schaffte es nur teilweise, denn auch heute noch, zehn Jahre später, tat die Erinnerung unheimlich weh, wie ihre Mutter und ihr Vater nur kurz hintereinander an Brustkrebs und einem Herzinfarkt gestorben waren. Sophie schluckte einige Male, dann ging es wieder. Ihre Eltern hätten sich für sie gewünscht, dass sie wieder glücklich werden möge.

»Und mit Sven ist alles okay, ich meine, lässt er dich endlich in Ruhe?«, fragte Lisa kurz danach zwischen zwei Schlucken frisch aufgebrühtem Kaffee. Sie warf Sophie quer über den Bistrotisch in der gemütlichen kleinen Küche einen prüfenden Blick zu.

Die zögerte kurz, bevor sie nicht völlig überzeugt nickte. »Ja, er hat schon eine ganze Weile nicht mehr angerufen …«

»Dann hat dieser Psychopath es ja endlich aufgegeben.«

Mit fast angeekeltem Gesichtsausdruck schüttelte Lisa den Kopf. Schon nach dem ersten Kennenlernen, ein halbes Jahr zuvor, hatte sie keinen Hehl daraus gemacht, dass ihr der Mann, der zugegeben ziemlich attraktiv aussah, einfach unsympathisch gewesen war. Mehr noch, dieser lauernde Blick, das aufschneiderische Gehabe stieß sie ab, technischer Zeichner war Sven und seinen eigenen Angaben nach wahnsinnig talentiert. So talentiert, dass er es in keinem Büro lange aushielt, weil niemand sein Können zu schätzen wusste. Aber sicher doch … Deshalb hatte er sich selbstständig gemacht, nur fehlte hinten und vorne das Geld. Worauf Sophie ihm sechstausend Euro geliehen hatte. Die jetzt natürlich weg waren. Sophie schien zu ahnen, woran ihre Nachbarin eben dachte. »Ich weiß, ich war damals bei Sven so was von naiv und blauäugig«, sagte sie leise. »Klar hast du dir gedacht, ich hab sie nicht mehr alle beisammen.«

Lisa zog eine ulkige Grimasse. »So ähnlich, aber er hat dich auch ganz schön umgarnt. Wie er dich in der Straßenbahn angesprochen hat, war bestimmt sehr süß.«

»Er sagte doch tatsächlich zu mir: ›Entschuldigung, dass ich Sie belästige, aber Sie haben die schönsten blauen Augen, die ich jemals gesehen habe.‹«

Das hatte er so natürlich und ehrlich verwundert gesagt, dass ihr damals ganz warm ums Herz geworden war und sie die Einladung zum Kaffee in einer kleinen Konditorei ohne Bedenken angenommen hatte. Total romantisch war ihr die Stimmung in der schummrigen Ecke – im Hintergrund sang Edith Piaf Chansons – vorgekommen. Wenn sie jetzt an diese erste Begegnung zurückdachte, konnte sie nichts Romantisches mehr daran finden. Alles war viel zu sehr von Svens wahrem Gesicht, einer regelrechten Fratze, die er bald zeigte, überdeckt. »Ehrlich gesagt hat er von Anfang an seine Macken gehabt …«, sagte sie leise, so wie zu sich selbst.

Sie dachte an Svens störrische Rechthaberei, selbst wenn man ihm das Gegenteil schwarz auf weiß präsentierte, hielt er noch an seiner Meinung fest. Wie ein trotziges kleines Kind. Eine Weile hatte sie Sven damit entschuldigt, einfach zu wenig Liebe im Leben erfahren zu haben. Da seine Eltern, schwere Alkoholiker, ihn vernachlässigt hatten, war er ab dem Grundschulalter von einer Pflegefamilie zur nächsten gereicht worden. Selbst als sich sein absonderliches Benehmen verstärkte, und er begann, Sophie zu kontrollieren, ihr heimlich auf dem Weg zum Kindergarten nachzulaufen, auf ihrem Handy nach Hinweisen suchte, dass sie ihn betrog, hatte sie seine Eifersucht noch auf die leichte Schulter genommen, ihn umarmt und geflüstert: »Du kannst mir vertrauen, es gibt keinen anderen.«

Doch nach zwei Monaten, die immer mehr zum Albtraum wurden, kapierte sie: Dass Sven sich wie ein Verrückter aufführte, lag nicht an ihrem eigenen Verhalten, sondern einzig und allein an seiner kranken Psyche. Dennoch litt sie unter ihrem schlechten Gewissen, als sie ihm den Laufpass gab. Vielleicht auch deswegen, weil sie plötzlich wie befreit gewesen war – während Sven regelrecht wie am Boden zerstört gewirkt hatte – nicht ahnend, dass der Horror weitergehen sollte …

Lisa, vor Kurzem dreißig geworden und nur zwei Jahre älter als Sophie, streichelte dieser nun fast mütterlich über den Rücken. »Ich bin ja froh, dass du dich recht schnell von ihm getrennt hast, stell dir mal vor, wie gestört er erst reagiert hätte, nachdem ihr Jahre zusammen gewesen wärt …«

Sophie lief bei der Vorstellung ein eiskalter Schauer den Rücken hinunter. Sie schüttelte sich übertrieben, so als ob sie fror. »Gruselig, aber jetzt schaue ich lieber optimistisch nach vorn.«

»Sehr gut! Und du wirst sehen, bald lernst du einen Traummann kennen, den du aber am besten gleich mir vorstellst. Dem verpasse ich dann das Prädikat ›wertvoll‹ oder auch nicht …«

Beide Frauen begannen zu kichern wie Teenager. Immer noch vor sich hin glucksend, schüttelte Sophie schließlich den Kopf. »Danke, sehr lieb von dir, dass du mein Liebhaber-TÜV sein willst, aber in nächster Zeit brauche ich wirklich keinen neuen Freund.« Sie seufzte leise auf. »Von Männern habe ich nämlich für die nächsten hundert Jahre die Nase voll!«

Lisa stieß sie leicht in die Seite. »Geh, du wirst es nicht glauben, aber es gibt auch nette Exemplare. Brauchst also keine hundert Jahre zu warten …«

»Meinst wirklich?«

»Absolut!«

Lisa biss herzhaft in einen Keks, nuschelte dann mit halbvollem Mund: »Jetzt zeige ich dir, welche Hotels mir besonders gut gefallen.«

Sie griff nach dem Reisekatalog, der die ganze Zeit unbeachtet hinter ihr auf der Fensterbank gelegen hatte, während Sophie ihren Stuhl näher heranrückte. »Lass mal schauen, wo wir im Sommer durchs Gebirge stapfen.« Jetzt hatte auch sie Feuer gefangen.

Bedächtig blätterte Lisa eine Seite nach der anderen um. Donnerwetter, sahen die Landschaftsaufnahmen von Tirol herrlich aus! Saftige grüne Almen mit kleinen Holzhütten im Vordergrund, dahinter hellgraues Gebirge, hoch aufragend bis zu den wenigen Wolken, die sich auf dem sonst strahlend blauen Himmel tummelten. Postkartenidylle pur!

»Traumhaft schön«, seufzte Sophie, die in Gedanken bereits ihre Wanderschuhe schnürte und fast eine frische Gebirgsbrise im Gesicht spürte. »Da würde ich gar nicht mehr wegwollen …«

Lisa nickte zustimmend, ihre dunklen Locken wippten dabei mit. »Mir geht’s genauso, aber am Anfang müssen erst mal zwei Wochen am Stück reichen.«

Sie tippte auf ein Bild mit Hotel. »Im ›Schwarzen Hirschen‹ kocht die Inhaberin selbst, hat super Internetbewertungen und ist preislich total okay. Oder hier: ›Gudruns Almhof‹ mit Blick auf den Wilden Kaiser.«

»Sehen alle schön aus …« Sophie stützte ihr Kinn auf eine Faust. »Ich glaube, die Wahl überlasse ich dir und den Internetbewertungen …«

»Mmh, ich lass dir das Heft trotzdem noch da, kannst ja zumindest mal deine Favoriten ankreuzen, dann wird’s schon einfacher.« Sie warf einen schnellen Blick auf ihre Armbanduhr. »Ups, jetzt haben wir uns aber ganz schön verquatscht. Dabei wartet doch schon Knuddel sehnsüchtig auf mich …«

Sophie guckte sie so verwirrt an, dass Lisa laut auflachte und erklärte: »Ein freches Igelkind, der Held vom neuen Kinderbuch, das ich illustriere und mit dem ich Ende der Woche fertig sein muss.«

»Ach so, und ich dachte schon ein neuer Freund mit einem extrem verführerischen Spitznamen …« Sophie kicherte auch noch, als Lisa sie durch den schmalen Flur, in dem auf der Kommode immer noch das Paket mit den Mitsingbüchern lag, zur Wohnungstür begleitete.

»Servus! Und schönen Abend noch!«, sagten die beiden Frauen fast gleichzeitig und fingen darüber wieder an zu lachen.

Bevor Lisa in ihrer Wohnung verschwand, steckte sie ihren Lockenkopf abermals zur Tür hinaus. »Und schaust vielleicht gleich heute, welches Hotel dir am besten gefällt. Am liebsten würde ich noch diese Woche buchen – ist ja nicht mehr so lange hin bis zum Sommer …«

»Mach ich, versprochen!«, antwortete Sophie, winkte Lisa kurz zu, bevor sie ihre Wohnungstür schloss.

Jetzt war aber zuerst mal ihr Paket dran …

Mit einer Schere bewaffnet ließ sie sich auf ihr gemütliches mintgrünes Sofa fallen und begann den Karton, der mit erstaunlich viel Klebeband verpackt war, aufzuschneiden. Fast ein wenig unprofessionell sah das aus, was ihr für eine Firma, die doch andauernd Pakete verschickte, recht ungewöhnlich erschien. Egal, sie wollte endlich die Bücher auspacken. Nur noch zwei, drei Schnitte, dann war das Paket geöffnet … Doch ausgerechnet jetzt klingelte es an ihrer Wohnungstür. Leicht genervt verzog sie das Gesicht … Manche Menschen hatten wohl diese Gabe, ausgerechnet im unpassendsten Moment zu stören … Egal, sie würde trotzdem öffnen, bestimmt war es Lisa, die sich noch mal von Knuddel hatte losreißen können und ihr etwas zum geplanten Urlaub sagen wollte. Und die natürlich nicht hellsehen konnte … »Na, wie geht’s dem Igelkind!«, rief Sophie aus, während sie die Tür öffnete.

Im nächsten Augenblick räusperte sie sich peinlich berührt, denn vor ihr stand nicht Lisa, sondern ein eher klein gewachsener Paketbote mit Vollbart und ansehnlichem Bäuchlein. »So hat mich bis jetzt noch niemand genannt«, maulte er.

Sophie, die ein Schmunzeln unterdrücken musste, schüttelte rasch den Kopf. »Nein … natürlich nicht … Ich dachte, es sei jemand anderes …« Weil der Mann nicht allzu überzeugt dreinschaute, fügte sie hinzu: »Wirklich!«

»Ja, ja, ist ja Ihre Sache, wenn Sie Besuch von Igeln erwarten … mir reicht schon eine einzige Unterschrift …«

Mit vielsagendem Blick deutete er auf das kleine Gerät in seiner Hand, auf dessen Display Sophie rasch etwas hinkrakelte … Besser bekam sie ihre Unterschrift auf diesem Ding einfach nie hin … »Danke … und schönen Tag noch!«, rief sie dem Mann zu, der sich zur Verabschiedung bloß kurz an den Kopf getippt und bereits die Treppe erreicht hatte.

Dann stand sie da und betrachtete unschlüssig das Paket in ihrer Hand. Buchhandlung Sommer lautete der Absender!

Plötzlich begann Sophie am ganzen Körper zu zittern. Und auch wenn sie sich dagegen wehrte, sich sagte, dass bestimmt etwas völlig Harmloses in dem soeben arglos geöffneten Päckchen stecken würde, kroch wieder die Angst ihren Rücken empor … bis in die Haarwurzeln. Wenig später im Wohnzimmer starrte sie es an, als ob gleich ein Geist herausflattern würde. »Jetzt hab’ dich mal nicht so!«, sagte sie mit fester Stimme in die Stille hinein.

Bestimmt würde sie gleich einen Lachanfall bekommen … Ganz sicher … Hatte sie doch auch schon eine Erklärung für die beiden Schachteln parat: Die Buchhandlung hatte zwei Pakete verschickt, weil nicht alle Bücher zur selben Zeit vom zentralen Lager bei ihr eingetroffen waren. Auf diese Weise hatte es eben eine Überschneidung gegeben … Kam beim Versandhandel doch alle naselang vor!

Unwillkürlich zitterten ihre Finger, als sie das letzte Stück Klebeband mit der Schere durchtrennte. »Sei nicht so ein Angsthase!«, schimpfte sie mit sich selbst, allmählich wurde es wirklich albern.

Ein gruseliges Gefühl schnürte ihr die Kehle zu … Noch mehr, als ein seltsamer Geruch dem Paket entströmte, unangenehm süßlich, … seltsam, …. aber noch konnte sie ihn nicht einordnen … So, nur noch die Deckel umgeklappt und … Vor lauter Entsetzen sprang Sophie vom Sofa, riss den Mund auf, doch kein Ton kam von ihren Lippen … Sie hätte später nicht sagen können, wie lange sie wie versteinert dastand und auf das tote, bereits verwesende Tier mit graubraunem Fell starrte, das mit leblosen Augen, nur notdürftig in Zeitungspapier verpackt, vor ihr lag. »Sven … Polizei anrufen … Sofort zu Lisa rüberlaufen …« Diese Wortfetzen schwirrten wie Fliegen in ihrem Kopf umher, ohne dass sich Sophie auch nur irgendwie regen konnte.

Erst nach einiger Zeit, die ihr wie eine Ewigkeit vorkam, schob sie das Paket mit der toten Ratte auf den Boden. Obwohl ihr ganz flau im Magen war und sich ihre Beine wie Gummi anfühlten, stand sie auf und stakste zum Telefon. Sie würde die Polizei anrufen, die mussten doch jetzt endlich etwas unternehmen. »Ja, so wie sie davor wahnsinnig viel unternommen haben«, entgegnete eine Stimme in ihrem Hinterkopf zynisch.

»Sie werden Sven vorladen, ihn befragen, … und erst wenn sie drohen, die Fingerabdrücke zu vergleichen, wird er gestehen, dass er eine schwache Minute hatte, … dass so etwas nie mehr wieder vorkommen wird …«

Ja, sie sah es bildlich vor sich, wie Sven allen vorgaukelte, ein Unschuldslamm zu sein. Ein Unschuldslamm mit Liebeskummer eben. Und verstanden das denn nicht auch die Herren Polizisten, dass es einfach unheimlich wehtat, wenn einen die Frau fürs Leben verließ? Sophies Atem ging schneller, fast stolperte ein Atemzug über den anderen. Ein Fernsehbericht, den sie vor ein paar Tagen gesehen hatte, fiel ihr wieder ein. Eine fünfundzwanzigjährige Frau war von ihrem Exfreund belästigt worden. Immer wieder, bis er sich ihr nicht mehr nähern durfte. Kam einem das nicht bekannt vor …? Was er aber dennoch tat, dummerweise mit einem Messer in der Hand, das dann in der Brust der Frau landete, die bald darauf verstarb. Auch wenn Sophie es nicht wollte, drehte sich ihr Kopf zwanghaft zu dem Karton mit der toten Ratte hin. Keine Frage, Svens Botschaft war eindeutig: Jetzt war erst die Ratte tot, sie käme als Nächste an die Reihe …

»Beruhige dich«, sagte sie halblaut. Sie würde jetzt nicht die Nerven verlieren, das allein erhoffte sich Sven doch. So hatte er sie wieder in seiner Hand, konnte sie wie eine Marionette hin und her dirigieren … Jawohl, sie würde die Polizei anrufen und daran glauben, dass die sie ab sofort beschützte. Doch als sie nach dem Telefon griff, klingelte es bereits. Ohne sich zu vergewissern, ob sie die angezeigte Nummer im Display zuordnen konnte, drückte sie die Abhebetaste am Hörer.

Zuerst hörte sie nur laute, fast erregte Atemzüge, danach Svens Stimme: »Na, du kleine Schlampe … Hat dir mein Geschenk gefallen?« Er lachte hämisch. »Du glaubst doch nicht, dass ich dich einfach so davonkommen lasse und tatenlos dabei zusehe, wie du dich mit fremden Männern am Viktualienmarkt triffst, … wie mit diesem Scheißschnösel im Anzug …«

Sophie schluckte fassungslos. Also hatte sie es sich vorhin doch nicht eingebildet, verfolgt zu werden. Und der Mann vor der Schule war natürlich auch Sven gewesen … Ein tiefer Schluchzer brach aus ihrer Kehle, dann legte sie auf. Es war hoffnungslos, er würde nicht eher ruhen, bis er sie … Ja, was? … Umgebracht hatte? Oder reichte es ihm, dass sie völlig den Verstand verlor? »Dann wären wir schon zwei …«, murmelte sie, spürte, wie neben ihrer Panik auch Wut in ihr hochstieg. »Nein, mein Herr, so leicht bin ich nicht unterzukriegen!«

Auch wenn sie selbstbewusst klingen wollte, krächzte sie die letzten Worte eher, dermaßen ausgetrocknet war ihre Kehle. Zuerst musste sie ein Glas Wasser trinken, dann überlegen, was sie als Nächstes tun würde. Die Polizei anrufen oder zu Lisa …? Auf jeden Fall zuerst trinken. Auf unsicheren Beinen stakste sie in die Küche, ließ eiskaltes Wasser in ein Glas laufen. Als sie es gegen den Küchentisch gelehnt gierig trank, merkte sie, dass etwas zu Boden glitt: der Reisekatalog aus Tirol … Geistesabwesend hob sie ihn auf und wollte ihn schon zurück auf den Tisch werfen, als die aufgeschlagene Seite ihre Aufmerksamkeit weckte … Seltsam, wo sie doch im Moment völlig andere Sorgen hatte … Sie war im Kleinanzeigenteil der Zeitschrift gelandet. Eine Anzeige sprang ihr sofort ins Auge, wieder und wieder musste Sophie sie lesen: Landwirt im Brixental sucht Kindermädchen für seinen fünf- und sechsjährigen Nachwuchs, Erzieherin bevorzugt, Kenntnisse in der Landwirtschaft sind ebenfalls Voraussetzung … Darunter der Name und eine Telefonnummer.

Wäre das eine Lösung? Einfach weg ohne irgendjemandem zu sagen, wo man ist? Alles hinter sich lassen? Würde das überhaupt funktionieren? Dann musste sie ja quasi über Nacht ihren Job, ihre Wohnung kündigen … Würde sie es schaffen, alles abzuwickeln, ohne dass Sven etwas davon mitbekam? Unwahrscheinlich … oder vielleicht doch ein Silberstreif am Horizont, … völliger Blödsinn … oder ihre letzte Chance … Sie würde ihre Freunde verlieren und ihre Wichtelgruppe, die sie alleine schon beim Gedanken ans Fortgehen vermisste. Sophie hatte noch gar keinen Entschluss gefasst, da wählten ihre Finger bereits von allein die Nummer, das Telefon hielt sie ja immer noch in der Hand. Es klingelte einige Male, während Sophie die Luft anhielt. Irgendwann musste sie wieder atmen, denn das Klingeln hörte nicht auf, bis … »Hallo hier spricht Michael Hafner …«, sie erlöste.

Oh, eine wirklich schöne, tiefe und weiche Stimme. »Hallo, Sophie Möller am Apparat«, sagte sie schnell, vor Erleichterung schossen ihr Tränen in die Augen.

Erst einen Moment später kapierte sie, dass sie gar nicht mit Michael Hafner sprach, sondern in die Ansage eines Anrufbeantworters reinplapperte. »… Im Moment sind Klara, Franz und ich nicht daheim. Aber wenn Sie wollen, hinterlassen Sie mir bitte eine Nachricht, dann rufe ich auf jeden Fall zurück.« Piep!

Sophie blinzelte kurz, fuhr sich unschlüssig mit der Zunge über die Lippen, dann sprach sie einfach drauf los: »Hallo, hier ist Sophie Möller aus München. Ich bin ausgebildete Kindergärtnerin und liebe Tirol. Es ist so einzigartig schön dort, … die frische Luft in den Bergen, die satten Almen …« Wie gut, dass Lisa ihr heute die Ohren vollgeschwärmt hatte. Dann fiel ihr Blick auf den letzten Teil der Anzeige: Kenntnisse in der Landwirtschaft sind ebenfalls Voraussetzung. Herrje, das letzte Mal, dass sie einen Bauernhof gesehen hatte – also in Wirklichkeit, nicht im Fernsehen – war bei einem Schulausflug vor ewigen Zeiten gewesen … Ehrlich gesagt, auch das einzige Mal … Und ihr Beitrag zur Landwirtschaft hatte darin bestanden, ein weiß-braunes Kälbchen mit wunderhübsch langbewimperten Augen am Kopf zu streicheln. »Außerdem habe ich schon als junges Mädchen auf dem Bauernhof meiner Großeltern mitgearbeitet … Wir hatten Kühe, Schweine …«, erklärte sie gleich darauf mit hoffentlich einigermaßen überzeugender Stimme. Was gab es noch für Tiere? Sie überlegte kurz. »… Und natürlich Hühner … Also ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mich zurückrufen! Auf Wiederhören!«

Als sie auflegte, lehnte sie sich nach Luft schnappend an den Kühlschrank, starrte unentwegt das Telefon in ihrer Hand an. Unglaublich, was sie da eben abgeliefert hatte. Gerade sie, die nicht mal am 1. April schwindeln konnte, um andere auf den Arm zu nehmen, hatte hier – offenbar von allen guten Geistern verlassen – eine Räuberpistole abgeliefert, völlig jenseits von Gut und Böse. Nur gut, dass sie diesem Mann niemals begegnen würde, denn ein Urlaub im Brixental kam für den Rest ihres Lebens auf jeden Fall nicht mehr infrage. Kurz musste sie über ihre Albernheit sogar schmunzeln, bis ihr wieder einfiel, in welcher Situation sie sich befand … In absoluter Lebensgefahr … »Sven will dir bloß Angst einjagen, das gibt ihm das Gefühl, dass er immer noch Macht über dich hat … Die wenigsten Stalker bringen ihre Opfer wirklich um«, zitierte sie die Erklärung des Kriminalbeamten, die sie wohl beruhigen sollte.

Wahnsinnig beruhigend … Doch neben ihrer Angst wurde die Wut auch immer größer. Dieser Mistkerl! Wie konnte er es wagen, ihr Leben zu zerstören! Fast hätte sie das Telefon gegen die Wand geworfen – hätte es in diesem Augenblick nicht geklingelt. Mit vor Zorn zusammengepressten Augen drückte sie die Annahmetaste. »Glaub ja nicht, dass ich mich von dir fertigmachen lasse!«, brüllte sie in den Apparat, ihre Stimme überschlug sich dabei geradezu. Doch schon nach dem ersten Satz versagte diese – und völlig entsetzt über ihren Ausrutscher starrte Sophie auf den Telefonhörer in ihrer Hand.

2

Ein wenig zitterte Svens Hand, als seine Finger den Masskrug umklammerten, der mittlerweile leer vor ihm stand. Allein der Gedanke, dass er sich nicht mal zweihundert Meter entfernt von Sophies Wohnung befand, machte ihn total kribbelig. Im Grunde musste er bloß aufstehen und losgehen, keine fünf Minuten später könnte er bereits an ihre Tür klingeln … Wenn nur diese blöde Polizeiauflage nicht wäre … Klar, irgendwann würde er sich über diesen Stuss hinwegsetzen, er musste nur den richtigen Moment abwarten. Wie ein Jäger, der das Wild eine Weile beobachtet, bevor er zum endgültigen Schlag ausholt … Obwohl er sich noch gar nicht so sicher war, welche Art von Hieb er schlussendlich landen würde. Sollte er Sophie eine Weile so richtig leiden lassen? Oder ihr lieber sofort das Licht ausblasen? Oder noch mal Gnade vor Recht ergehen lassen, wenn sie reumütig zu ihm zurückkehrte? Egal, im Moment musste er den Ball einfach flach halten. Zumindest konnte er sich schon mal herrlich über ihre Angst amüsieren. So wie vorhin, als sie sich bei seinem Anruf vor lauter Panik so richtig schön die Hosen vollgemacht hatte.

»Noch eine Mass?« Kurt, der Wirt in der kleinen Eckkneipe, in der Sven sich mehr daheim fühlte als in seiner winzigen, unaufgeräumten Wohnung, war an seinen Tisch getreten und sah ihn fragend an.

»Sicher, … oder soll ich vielleicht Luft trinken?«, entgegnete Sven unfreundlich.

Er warf Kurt einen wütenden Blick zu, nur zu gerne hätte er seine Faust in sein dumm glotzendes Gesicht gestreckt. Verdammt! Er musste dringend Dampf ablassen, wo es doch schon seit Monaten, seit Sophie, dieses Miststück, ihn verlassen hatte, in ihm brodelte. Doch so viel kapierte sogar er in seinem inzwischen recht angesäuselten Zustand:

»Mit dem Wirt seiner Lieblingskneipe sollte man es sich auf keinen Fall verscherzen … Schon gar nicht, wenn man hier bereits einige Male unangenehm aufgefallen war«, wie Kurt es ihm schon beim Reinkommen unbedingt unter die Nase hatte reiben müssen. »Wenn du hier noch mal Krawall anfängst, kriegst du Hausverbot!«

»Also, … bitte noch eine …«, fügte Sven deshalb versöhnlicher, sogar mit einem angedeuteten Lächeln, hinzu.

Der andere verdrehte kurz die Augen, dann verschwand er stumm mit dem leeren Bierglas hinter der Theke. Sven starrte ihm nach, wischte sich ein paar Mal hastig über die Augen. Was Sophie wohl gerade machte? Mit seinem putzigen Geschenk, hihi, würde sie zumindest nicht spielen, so viel stand fest. Bestimmt saß sie irgendwo in der Ecke und heulte sich die Augen aus. Diese blöde Kuh, die dachte, ihn könnte man einfach so aussortieren wie ein zerrissenes Paar Socken … Nicht so einen Kerl wie ihn! Von sich selbst begeistert schnalzte er leise mit der Zunge. Ihr das tote Viech mit der Post zu schicken, war eine geniale Idee gewesen … Fast kam er sich wie der Pate in einem Mafia-Film vor. Gut, dort legten die Mafiosi Leuten, die sie einschüchtern wollten, Pferdeköpfe ins Bett – aber schließlich war er nicht Al Capone, sondern immer noch Sven Hohlbaum. »Ein Taugenichts, der sich immer wieder selbst in den Schlamassel reinmanövriert«, hatte er die Einschätzung seines letzten Pflegevaters noch im Ohr.

Dieser Idiot! Der wusste doch rein gar nichts! Manche Menschen hatten einfach nur Pech im Leben, da konnten sie sich abstrampeln, wie sie wollten. Besserwisserische Lehrherren, eingebildete Kollegen … Und wenn einen da auch noch seine Braut verließ, die doch im Grunde froh sein konnte, einen dermaßen schnieken Kerl bekommen zu haben – ja, da konnte der Friedlichste schon mal den Kopf verlieren! Sven warf einen sehnsüchtigen Blick in Richtung Tresen. Musste Kurt erst Hopfen ernten und brauen, bevor er sein Glas füllte? Eben wollte er diesen doch wirklich irrsinnig guten Scherz loswerden, als schon ein frisch gezapftes Bier vor ihm stand. »Wohl bekomm’s!«, sagte Kurt und wandte sich, ohne eine Antwort von ihm abzuwarten, einem neuen Gast zu.

Sven schaute kurz auf, gleich darauf verzog er abschätzig den Mund. Wieder so ein piekfeiner Schnösel im teuren dunkelblauen Mantel … Schicker Schnitt, bestimmt Kaschmirwolle oder so … Auf den ersten Blick sah man doch, dass sich dieser Idiot für etwas Besseres hielt, während er selbst in seiner alten Jeansjacke hier hocken musste … Ungerechte Welt, einfach verflucht ungerecht … Sofort war ihm der neue Gast mordsunsympathisch. »Was hat der denn in einem Eckstüberl zu suchen? Dieser Boazn, die zu meinem zweiten Wohnzimmer geworden ist«, schoss es ihm durch den Kopf.

»Schön, dass Ihr noch offen habt’s«, hörte er ihn just in dem Moment zum Wirt sagen. »Nach dem elendslangen Meeting bin ich echt froh über ein kühles Bier!«

Aha, … Herr Wichtig kam von einer Besprechung und konnte dies nur auf Englisch mitteilen … Wütend beobachtete Sven, wie der Mann einen Schluck von seinem kleinen Bier nahm. Wieder musste er an Sophie denken, an den Typ, mit dem sie am Viktualienmarkt gesprochen hatte. Auch so ein feiner Pinkel, dem hier ganz ähnlich. Svens Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Ob der Viktualienmarkt-Typ Sophies Neuer war? Und sie sich in der Öffentlichkeit nur artig distanziert die Hände schüttelten, damit kein Verdacht aufkam? Vermutlich, um ihn, Sven Hohlbaum, zu täuschen. Unbeabsichtigt lachte er auf, so laut, dass einige Gäste, die meisten schon ziemlich betrunken, kurz den Kopf in seine Richtung drehten. Auch der Schnösel, der sein leeres Glas bereits auf den Tresen gestellt hatte und nun offenbar auf der Suche nach seiner Geldbörse in die Innentasche seines Mantel fasste, warf ihm einen kurzen Blick zu. Sven starrte hasserfüllt zurück. Noch im Aufspringen kam ihm in den Sinn, dass er sich lieber beherrschen sollte. Aber wider jede Vernunft konnte er einfach nicht anders. All seine aufgestaute Wut auf Sophie, diese Mistkröte, die es gewagt hatte, seine Ehre zu verletzen, wollte raus aus ihm. Wie ein brodelnder Vulkan fühlte er sich – aus dem endlich kochende Lava entweichen würde. »He, du Arsch!«, schrie er den Mann im Kaschmirwollmantel an, der sich bereits abgewandt hatte, riss ihn brutal an der Schulter zurück. »Was schaust du mich so damisch an?«

»Sven, halt dich zurück!«, mischte sich der Wirt ein.

Doch es war bereits zu spät, seine rechte Faust traf den Mann an der Nasenwurzel. Der taumelte, während immens viel Blut aus seiner Nase tropfte …

»Bist narrisch worden!«, brüllte Kurt entsetzt, auch die anderen Gäste schrien auf.

Ihm doch egal … Ein Hochgefühl durchfuhr Sven, so als ob er auf einer Bühne stehen und das Publikum ihm zujubeln würde. Kurz überlegte er, ob er noch mal zuschlagen sollte, dermaßen pfundig hatte sich das angefühlt. Schon hob er ein wenig halbherzig den Arm, … hatte jedoch nicht damit gerechnet, dass sich sein Gegner so schnell wieder aufrappelte und nun zurückboxte. Halleluja! Genau gegen die Stirn … Für eine Sekunde lang musste er weg gewesen sein, dann hörte er bloß noch Spatzen um sich herum zwitschern … oder waren es Polizeisirenen?

Zur gleichen Zeit wusste Sophie nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Michael Hafner war am anderen Ende der Leitung – und einigermaßen verwundert über ihren Aufschrei. »Alles okay bei Ihnen?«

Mmh, seine Stimme klang weich wie Samt … »Äh, … eine Freundin und ich … Wir haben uns da so ein blödes Spiel ausgedacht … Äh, total kindisch, ich weiß …«, stammelte sie, während sie mit dem Rücken die Kühlschranktür hinunterglitt.

Verflixt, hätte ihr nicht eine bessere Ausrede einfallen können? Andererseits war es ohnehin völlig egal, Michael Hafner hielt sie sicherlich für völlig gestört – und wer sollte es ihm übelnehmen? Zur Begrüßung »Glaub ja nicht, dass ich mich von dir fertigmachen lasse!« ins Telefon zu brüllen, war nun mal alles andere als vertrauenserweckend. Zweifellos wollte niemand seine Kinder von so einer Verrückten beaufsichtigen lassen. Sie schluckte. Das einzige, was sie jetzt noch tun konnte, war, sich mit einem letzten Rest von Würde aus der Affäre zu ziehen. »Also, wie gesagt, … es war ein dummes Missverständnis, und ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend«, sagte sie, bereits im Begriff aufzulegen.

Da hörte sie, wie Michael Hafner am anderen Ende der Leitung lachte. Ein volles, kehliges Lachen. Unvermittelt überlegte sie, wie der dazugehörige Mann wohl aussehen mochte. Groß stellte sie ihn sich vor, mit breiten Schultern und muskulösen Armen von der Arbeit auf dem Hof. Vielleicht mit kantigen Wangenknochen … oder doch eher mit einem runden Gesicht und Grübchen in den Wangen? Nein, sie tippte auf kantig … »He, so schnell wollte ich unser Gespräch aber nicht beenden!«, riss Michael Hafner sie aus ihren zugegeben völlig wirren Gedanken.

»Ach, nein?«

Zu blöd, dass ihr nichts Geistreicheres einfiel. Fieberhaft überlegte sie, was sie noch sagen könnte, da ihr Hirn sich aber offensichtlich in Watte verwandelt hatte, war sie froh, als Michael Hafner weitersprach: »Genau genommen habe ich das Gefühl, Sie passen perfekt auf meinen Hof … Sie sind Kindergärtnerin und kennen sich in der Landwirtschaft aus …«

»Ja, stimmt …«, sagte sie, kreuzte dabei jedoch schuldbewusst die Finger ihrer linken Hand. Gleichzeitig überlegte sie, ob sie vielleicht irgendwo ein Bauernhof-Lexikon auftreiben konnte. Im Moment fielen ihr bloß die Bilderbücher aus der Wichtel-Gruppe ein, wohl keine allzu große Hilfe …

»Bleibt nur die Frage, wie rasch Sie zu uns kommen könnten …«, überlegte Michael Hafner laut.

»Von mir aus lieber heute als morgen …« Sie blinzelte ungläubig, seufzte gleich darauf auf. Beim Gedanken, »ihre« Wichtel bald nicht mehr zu sehen, wurde ihr ganz mulmig … Abgesehen davon hatte sie keine Ahnung, wie rasch sie den Job kündigen konnte … und die Wohnung … Dann blieb immer noch Sven, der offenbar jeden Schritt von ihr mitbekam … Alleine deshalb war es ja schon unmöglich, unbemerkt aus München wegzukommen … Je länger diese Gedanken in ihrem Kopf umherwirbelten, desto klarer wurde es: Sich in Tirol als Kindermädchen zu bewerben, war eine Schnapsidee gewesen, völlig unmöglich. »Ich glaube, …«, begann sie deswegen zögernd, »… dass ich es doch nicht schaffen werde … Mein Job, meine Wohnung … Ich habe wohl zu spontan bei Ihnen angerufen … Tut mir echt leid, dass ich Ihre Zeit gestohlen habe …« Warum stiegen ihr denn Tränen in die Augen? War sie jetzt völlig übergeschnappt? Sie kannte Michael Hafner gar nicht, genauso wenig wie seine Kinder und das Tiroler Brixental, … und trotzdem fühlte es sich fast so an, als ob sie sich für immer von einem guten Freund verabschieden musste. Keine Frage, sie sollte dieses seltsame Telefongespräch so rasch wie möglich beenden.

»Überlegen Sie einfach in Ruhe, wie Sie alles organisieren wollen«, sagte da Michael Hafner.

»Ich lasse Ihnen Zeit … und verspreche, dass ich in den nächsten Wochen niemand anderen einstellen werde.«

Mit seiner samtweichen Stimme fügte er hinzu: »Fragen Sie mich nicht warum, aber ich habe bei Ihnen ein total gutes Gefühl, so als ob es wirklich richtig gut mit uns passen könnte.«

Wieder hörte sie sein Lachen, das wie ein Sonnenstrahl direkt in ihr Herz zu leuchten schien. Gleich darauf verdrehte sie die Augen angesichts ihrer romantischen Flausen – als ob sie keine anderen Probleme hätte. »Okay, dann melde ich mich auf jeden Fall morgen bei Ihnen«, sagte sie schließlich, bevor sie sich hastig verabschiedete und auflegte.

Was für ein seltsames Gespräch, falls es überhaupt stattgefunden hatte … Irgendwie fühlte sie sich, wie aus einem seltsamen Traum erwacht, einem von der Sorte, in der sich Probleme spielend lösen ließen. Noch immer leicht benommen saß sie kurz darauf am Küchentisch und versuchte, endlich wieder, sachlich zu denken: Die Wohnung konnte sie gleich am nächsten Morgen kündigen, und ihre Chefin, da war sie sich ziemlich sicher, würde ebenfalls Verständnis haben. Jana Horwath hatte längst mitgekriegt, wie sehr sie unter Svens Nachstellungen litt. Außerdem hatten sich erst kürzlich einige Kindergärtnerinnen bei ihnen beworben, von denen zumindest zwei dem Team als sehr kompetent und sympathisch erschienen waren. Blieb noch Sven … Würde sie es wirklich schaffen, aus München wegzukommen, ohne dass der Psychopath sie verfolgte? »Du musst es versuchen!«, meldete sich eine leise Stimme in ihrem Innersten. »Sonst hat der Horror doch nie ein Ende …«

Ernüchtert stöhnte sie auf … Offen gesagt hatte sie absolut keinen blassen Dunst, wie sie das schaffen konnte …

Am nächsten Vormittag im Kindergarten überlegte Sophie hin und her, ob sie ihre Chefin Jana wegen einer Kündigung oder zumindest einer unbezahlten Beurlaubung ansprechen sollte, doch jedes Mal, wenn Jana dann vor ihr stand, biss sich Sophie auf die Lippen oder redete über vollkommen andere Dinge. Sie kriegte die Kurve einfach nicht. Aber offensichtlich benahm sie sich dennoch ziemlich seltsam, zumindest warf Jana ihr bei ihrem letzten Gespräch im Garten, als Sophie den kleinen Ben geistesabwesend auf der Schaukel anschubste, einen äußerst nachdenklichen Blick zu. »Mit dir stimmt doch etwas nicht«, stellte sie mit gerunzelter Stirn fest.

»Äh, … nein, … wieso?« Mist! Stand etwa auf ihrer Stirn geschrieben, was ihr die ganze Zeit durch den Kopf ging? Sie spürte, wie ihre Handflächen feucht wurden, zupfte nervös am Ausschnitt ihres T-Shirts rum.

»Na ja, ich weiß doch, was mit deinem verrückten Ex los ist«, sagte Jana leise.

Mitfühlend legte ihr die große, stattliche Frau eine Hand auf die Schulter. »Wenn ich dir irgendwie helfen kann, sag es mir.«

Als die andere nur stumm nickte, fügte sie leise hinzu: »Und falls du für eine Zeit raus willst aus München …« Sie ließ den Satz unvollendet, lächelte Sophie, die auf einmal stocksteif dastand, warmherzig an. Dann lief sie zum Gartenzaun, an dem eine Mutter ihr zuwinkte. Fassungslos guckte Sophie ihr nach, fühlte sich wie in Trance. Bis Ben mit leicht ungehaltener Stimme rief: »Sophie! Du schubst ja gar nicht mehr an!«

Die Angesprochene drehte sich zu ihm, musste angesichts seiner vorgeschobenen Unterlippe lachen: »He, eine alte Frau ist doch kein D-Zug!«

»Du bist keine alte Frau«, erklärte der Vierjährige mit ernster Stimme. »Alt ist man erst mit dreißig!«

Sophie prustete los. »Na, du musst es ja wissen!«

Inzwischen nahmen sie auch noch zwei andere Kinder in Beschlag, wollten ihr unbedingt zeigen, wie gut sie auf einem Bein hüpfen konnten. Sophie tat so, als ob sie aufmerksam zusah, dabei musste sie unablässig an Michael Hafner und das Gespräch mit Jana denken.

Auch später, als sie ihre Wohnung aufsperrte, drehten sich ihre Gedanken nur um eines: Sollte sie wirklich nach Tirol ziehen? Und wenn es dort nicht klappte? Eine so hübsche Wohnung für eine recht erschwingliche Miete fand sie in München doch nie wieder … Plötzlich hörte sie, wie jemand die Treppe hochkam, fast schon am Treppenabsatz angekommen war. Blitzschnell drehte sie sich um, riss instinktiv die Arme vors Gesicht. Adrenalin strömte durch ihren Körper und ihren Puls hörte sie in ihren Ohren rauschen.

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