Sternenlicht über den Bergen - Andrea Eichhorn - E-Book

Sternenlicht über den Bergen E-Book

Andrea Eichhorn

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Beschreibung

Verena ist rundum glücklich. Die Heirat mit ihrem Verlobten Simon steht kurz bevor und ihr neu eröffneter Laden "Die Wollfee" erfreut sich großer Beliebtheit. Die Nachricht, dass ihr Exfreund Felix wieder in der Stadt ist, kann sie also nicht aus dem Gleichgewicht bringen. Doch jemand scheint Verena dieses Glück zu neiden: Ihr Geschäft in bester Lage wird immer wieder Ziel gemeiner Attacken . Wenigstens kann sie sich auf die Unterstützung von Simon und Katja, einer alten Schulfreundin, verlassen. Als ein Unfall eine unangenehme Wahrheit ans Licht bringt, steht Verena vor einer schwierigen Entscheidung: Bleibt alles beim Alten oder wagt sie den Schritt in eine neue Zukunft?

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Die nachfolgende Geschichte spielt größtenteils in Kitzbühel, einem realen Ort in Tirol, und der umliegenden Umgebung. Die Personen und Handlungen sind jedoch rein fiktiv. Übereinstimmungen mit lebenden oder toten Personen wären rein zufällig und sind nicht beabsichtigt.

LESEPROBE zu

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2017

© 2017 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim

www.rosenheimer.com

Titelfoto: © alpegor – Fotolia.com (oben) und

4FR – iStockphoto.com (unten)

Lektorat und Satz: BuchBetrieb Peggy Sasse, Leipzig

Worum geht es im Buch?

Andrea Eichhorn

Sternenlicht über den Bergen

Verena ist rundum glücklich. Die Heirat mit ihrem Verlobten Simon steht kurz bevor und ihr neu eröffneter Laden »Die Wollfee« erfreut sich großer Beliebtheit. Die Nachricht, dass ihr Exfreund Felix wieder in der Stadt ist, kann sie also nicht aus dem Gleichgewicht bringen. Doch jemand scheint Verena dieses Glück zu neiden: Ihr Geschäft in bester Lage wird immer wieder Ziel gemeiner Attacken. Wenigstens kann sie sich auf die Unterstützung von Simon und Katja, einer alten Schulfreundin, verlassen.

Als ein Unfall eine unangenehme Wahrheit ans Licht bringt, steht Verena vor einer schwierigen Entscheidung: Bleibt alles beim Alten oder wagt sie den Schritt in eine neue Zukunft?

1

Zwei erstaunlich milde Wochen waren vergangen, und nun war es bereits Ende November. Wie eigentlich für diese Zeit üblich, war es eisig kalt geworden. Fröstelnd zog sich Verena ihren selbst gestrickten hagebuttenroten Schal enger um den Hals. Dann verschlang sie die Finger ihrer linken Hand erneut mit der Rechten ihres Verlobten Simon, mit dem sie durch die morgendliche Altstadt von Kitzbühel eilte.

Der große blonde Mann sah sie von der Seite an. »Jetzt merkt man wirklich, dass der Dezember vor der Tür steht, nicht wahr?«

»Stimmt«, grinste Verena und warf ihre langen dunklen Locken unter der ebenfalls hagebuttenroten Strickmütze in den Nacken. »Morgen ziehe ich mir am besten gleich einen Skianzug an!«

»Na, na, so schlimm wird es schon nicht gleich werden!«

Ihre Blicke trafen sich, und abgesehen davon, dass die junge Tirolerin laut auflachen musste, zog ein warmes Gefühl durch ihre Brust. Völlig egal, dass die Temperatur kaum über Null Grad betrug. Himmel, was war sie aber auch verliebt in ihren Freund! Simon Gießhübel, genau wie sie achtundzwanzig Jahre alt, arbeitete als Skilehrer und Wanderführer. »Was, du bist mit dem Simon zusammen? Der hat es doch noch nie lange mit einem Mädel ausgehalten!« Noch geraume Zeit hatten Verena die warnenden Worte ihrer besten Freundin Leni im Ohr gehallt.

Auch wenn Lenis Ausspruch sie ein wenig kränkte, sie hatte damit ehrlich gesagt so ziemlich ins Schwarze getroffen. Denn bevor Simon mit Verena zusammengekommen war, hatte er, ein fescher Typ, durchtrainiert und durch den Aufenthalt in den Bergen stets braun gebrannt, seine Freundinnen im Eiltempo gewechselt. »So schnell konnte man gar nicht schauen, dann ist die eine schon wieder passé gewesen, und die Nächste hat an seinem Arm gehangen«, hatte erst letztens ein alter Freund von Simon bei einem Glas Wein in einer gemütlichen Freundesrunde amüsiert erzählt. Um Verena danach einen durchaus bewundernden Blick zuzuwerfen: »Aber du musst wohl Zauberkräfte besitzen, da er keine andere mehr haben will.«

»Vielleicht ist er aber auch einfach verliebt in mich«, hatte sie halb belustigt, halb genervt zurückgegeben, weil sie die alten Geschichten über den »wilden, draufgängerischen Simon« nicht mehr hören konnte.

»Natürlich ist er verliebt in dich«, war es danach von ihm wie aus der Pistole geschossen gekommen. »Und jeder, der halbwegs funktionierende Augen im Kopf hat, kann das nur zu gut verstehen.«

Verena hatte das offensichtliche Versöhnungsangebot schnell angenommen und mitgelacht. Ja, offenbar passten Simon und sie fabelhaft zusammen, waren seit vier Jahren überglücklich miteinander. Mochten da seine Freunde ruhig glauben, dass sie übersinnliche Kräfte besaß, um ihren Freund an sich zu binden. Sie wusste, dass die Antwort viel einfacher war: Sie beide liebten sich und konnten sich ein Leben ohne den anderen schlicht und ergreifend nicht mehr vorstellen. Deshalb war ja auch die Hochzeit für das nächste Frühjahr geplant, und wenn der Storch, der offensichtlich im Moment schwer mit etwas anderem beschäftigt zu sein schien, dann auch endlich ein Baby bringen wollte, nur zu!

»Möchtest du noch etwas vom Bäcker?«, riss Simon sie aus ihren Gedanken.

Eben waren sie beim Moser, einer der leckersten Bäckereien der Stadt, angekommen. Verena, die nur wenig gefrühstückt hatte, lief alleine beim Anblick der köstlich ausschauenden Topfengolatschen und Mohnkipferln das Wasser im Mund zusammen. »Ja, gerne. Die nächsten Stunden komme ich bestimmt nicht aus dem Laden raus. Da wäre eine kleine Stärkung fabelhaft.«

»Meine kleine Zuckerschnecke«, raunte ihr Simon lachend ins Ohr.

In der nächsten Sekunde drückte er ihr einen Kuss auf die Lippen. »Mmh, du schmeckst jetzt schon total süß.«

Sie lachte und küsste ihn blitzschnell zurück. »Das Kompliment kann ich nur erwidern.«

Zuerst grinsend, dann jedoch ernst, schauten sie sich in die Augen. Und ehe Verena sich versah, verwandelten sich ihre Knie in Zuckerwatte. Wie gut, dass Simon seine Arme auf ihre Schultern gelegt hatte und ihr dadurch genügend Halt verlieh. Herrje, seine Augen waren aber auch verdammt strahlend blau. Mit der intensiven Farbe konnte nicht einmal der wolkenlose Himmel an diesem kalten Novembermorgen mithalten. »So, meine Schöne, jetzt hole ich uns aber ein paar Teilchen. Nicht, dass du mir später noch verhungerst«, sagte Simon jetzt.

Nachdem er ihr eine lange dunkle Locke aus dem Gesicht gestrichen hatte, ließ er sie los und sprang die drei Stufen zur Bäckerei hinauf. Nur wenig später kam er mit zwei Tüten heraus.

»Was hast du denn gekauft?«, fragte Verena übermütig. Da ihr Freund jedoch die Papiertüten hinter seinem Rücken versteckte, fügte sie rasch hinzu: »Ich möchte es sofort wissen!«

»Ist aber eine Überraschung! Du darfst erst später reinschauen!«, gab er ebenso vergnügt zurück.

Die junge Frau verdrehte gespielt entnervt die Augen, konnte aber nicht verhindern, dass sie erneut losprusten musste und gar nicht mehr aufhören konnte. Jawohl, sie beide benahmen sich gerade total kindisch. Die anderen Fußgänger, die an ihnen vorbei über das Kopfsteinpflaster liefen, mussten ja denken, dass sie geistig im Kindergartenalter stecken geblieben waren. Mindestens. Aber völlig egal. Verena liebte es, wenn Simon und sie sich gegenseitig aufzogen und einfach nur einen riesigen Spaß miteinander hatten. Doch dann warf sie einen Blick auf ihre Armbanduhr und zuckte erschrocken zusammen. »Simon, es ist gleich neun. Ich muss den Laden aufschließen.«

»Alles klar, meine Wollfee!«, sagte Simon und nahm ihre Hand.

Gemeinsam setzten sie sich in Bewegung, nur noch hundert Meter, dann waren sie bei Verenas Handarbeitsgeschäft, das tatsächlich »Zur Wollfee« hieß, angekommen.

Drei Monate zuvor hatte Verena mit der Eröffnung des Ladens ihren absoluten Traum verwirklicht. Dafür hatte sie sogar ihren sicheren Job als Angestellte in einer Bank in Kitzbühel aufgegeben – sehr zum Leidwesen von Simons Mutter Franziska.

»Wie kann man nur so unvernünftig sein, Mädel!«, hatte die von allen nur Fanny genannte Mittfünfzigerin nicht nur einmal zu ihrer zukünftigen Schwiegertochter gesagt. »Das wirst du noch ewig bereuen!«

»Ich habe mit meinem Filialleiter gesprochen, und er hat mir schriftlich zugesichert, dass ich, falls es mit meinem Laden nicht klappt, innerhalb eines Jahres wieder in der Bank arbeiten kann«, hatte Verena ihr mehrmals erklärt, dabei aber nur Kopfschütteln und weitere bissige Worte geerntet.

»Man kann nicht alles glauben, was einem erzählt wird. Und in schriftlichen Verträgen befindet sich gerne mal Kleingedrucktes, das alle Versprechungen widerruft. So absolut naiv darf man einfach nicht sein.«

Tja, wenn Fanny von etwas überzeugt war, biss man, wenn man sie vom Gegenteil überzeugen wollte, einfach auf Granit. Da konnte Verena sich insgeheim auch noch so sehr darüber ärgern, dass Simons Mutter sie als naive Spinnerin darstellte. Zugegeben, mit dem Handarbeitsladen war sie einfach ins kalte Wasser gesprungen: wie nunmal aber jeder Mensch, der sich beruflich selbstständig machte. Doch sie war nicht völlig kopflos an die Sache herangegangen. Sie hatte sich in der Umgebung erkundigt, ob denn überhaupt eine Nachfrage nach solch einem Geschäft, in dem auch Strick- und Häkelkurse stattfinden würden, bestand. Das Echo fiel überwiegend positiv aus, und jetzt waren die Kurse bei ihr immens gut besucht. Auch der Verkauf der Wolle nahm stetig zu, oft wurde Verena von Kunden und Kundinnen für ihr qualitativ hochwertiges und vielmals ausgefallenes Sortiment gelobt. Und außerdem waren Stricken und Häkeln in den letzten Jahren wieder zum trendigen Hobby geworden und hatten ihr staubiges Uroma-Image längst verloren. In Verenas Kursen tummelten sich Hausfrauen und Studentinnen neben Ärzten und Rentnern. Gerade in einer Zeit, in der man alles fertig kaufen konnte, liebten es die Menschen scheinbar wieder, Selbstgemachtes zu besitzen … oder auch zu verschenken, musste Verena denken, die sich immer noch wahnsinnig darüber freute, dass ihr Vorschlag, Schals für das Kinderheim im Ort zu stricken, bei vielen ihrer Kunden so gut angekommen war.

Sie selbst spendete die Wolle, und ihre Kunden, die oft auch Strickkurse bei ihr besuchten, investierten ihre Zeit. Sowohl im Laden als auch daheim strickten sie eifrig, und viele steckten zusätzlich noch den einen oder anderen Euroschein in die Sparbüchse, die Verena am Verkaufstresen für das Kinderheim aufgestellt hatte. Gemeinsam würden sie noch vor Weihnachten die Einrichtung besuchen und dann die bunten Schals verteilen. Klara Hell, eine pensionierte Lehrerin, hatte auch noch den Vorschlag gemacht, am Nachmittag der Geschenkübergabe mit den Kindern gemeinsam zu spielen und zu singen. Eine Idee, die von der Heimleitung begeistert angenommen worden war.

»Vom Spenden alleine verdient man aber kein Geld«, war allerdings Fannys einziger Kommentar zu der Aktion gewesen, als Simon ihr davon erzählt hatte. Wenn Verena jetzt an diese Worte dachte, musste sie unwillkürlich aufstöhnen. Tja, der guten Fanny würde sie es wohl nie recht machen können! Klar, die Skischulbesitzerin war eine fabelhafte Geschäftsfrau, die ihr Business finanziell bestens im Griff hatte. Vermutlich besser als ihr Mann August, der sich eher um die Organisation der Skistunden kümmerte. Aber so ganz dumm war Verena auch nicht. Sie hatte ihre Einnahmen und Ausgaben stets gut unter Kontrolle, war aber dennoch der Meinung, dass man auch mal uneigennützig etwas geben konnte, wenn es einem selber halbwegs gutging.

»Was schaust denn plötzlich so grantig drein?«, riss Simon sie aus ihren Gedanken. »Du hast ja lauter Falten auf der Stirn.«

Inzwischen waren sie vor der »Wollfee« angelangt, und Verenas Verlobter deutete ihre Ernsthaftigkeit falsch. »Hattest du Sorge, dass dir wieder jemand Jauche vor die Tür schüttet?«, fragte er und streichelte dabei ihre Hände.

»Ja«, schwindelte sie ausnahmsweise. Denn ganz bestimmt wollte sie nichts Schlechtes über seine Mama, die ihre beiden Söhne abgöttisch liebte, sagen. »In den drei Monaten seit der Eröffnung ist mein Geschäftseingang ja schließlich schon acht Mal zur Jauchegrube geworden.«

Dieses Problem hatte sie tatsächlich in den letzten Tagen, da zum Glück nichts Derartiges mehr passiert war, verdrängt. Die Vorstellung, von jemandem so sehr gehasst zu werden, dass er ihr das Geschäftsleben im wahrsten Sinne des Wortes »versauen« wollte, fand Verena ohnehin gruselig genug. Und so sehr sie auch darüber nachdachte, wer dieser missgünstige Mensch sein könnte, es fiel ihr keine überzeugende Antwort ein. Die einzige Möglichkeit, die als vage Vermutung in ihrem Hinterkopf umherschwirrte, war die, dass es den Besitzerinnen des Hauses, zwei Schwestern um die sechzig, nicht passte, dass Verena für das Wollgeschäft eine äußerst günstige Miete zahlte. Die Mutter der beiden Frauen, Angelika Helmbach, war zu Lebzeiten eine enge Freundin von Verenas inzwischen längst verstorbener Oma gewesen und hatte immer gestaunt, welch tolle Stücke Verena gestrickt und gehäkelt hatte. »Du solltest dich mal mit einem Atelier oder einem Geschäft, in dem du deine Kunstwerke verkaufst, selbstständig machen!«, hatte sie ihr wenige Monate vor ihrem Tod ins Gewissen geredet.

Verena, die auch nach dem Tod ihrer Oma Angelika Helmbach noch regelmäßig besucht hatte, war über diesen Vorschlag gleichermaßen entzückt wie auch erschrocken gewesen. Schon lange hatte sie genau diesen Traum gehegt, aber sich nicht getraut, auch nur ansatzweise an seine Verwirklichung zu denken. Schließlich hatte sie sich doch nicht in der Bank hochgearbeitet, etliche Fortbildungen besucht, um dann wegen einer bestimmt unsinnigen Sehnsucht ihren sicheren Arbeitsplatz aufzugeben. Aber Angelika hatte einfach nicht locker gelassen. »Tu das trotzdem!«, hatte die freundliche alte Frau, die für Verena fast wie eine liebe Tante war, immer wieder gesagt.

»Gerade, wo du dich mit Finanzen gut auskennst, würdest du ein Geschäft sicher vernünftig führen.«

Verenas Abwehr war ins Wanken geraten. Und als dann die alten Mieter, Besitzer eines Haushaltswarenladens, ein für ihre Bedürfnisse passenderes, größeres Geschäftslokal fanden, hatte sie tatsächlich begonnen, ernsthaft darüber nachzudenken. »Wie hoch würde denn die Miete sein?«, hatte sie mit zittriger Stimme gefragt.

An das erstaunlich helle Lachen der alten Frau, welches wie das Klingeln kleiner Glöckchen klang, konnte sie sich jetzt noch erinnern. »Da mach dir mal keine Sorgen!«

Und wirklich, die schon hochbetagte Angelika Helmbach hatte in ihrem Testament eine Miete für die nächsten zehn Jahre festgeschrieben, die mehr als fair war. »Unsere Mutter hat die Höhe der Miete mit uns besprochen, wir sind damit einverstanden«, hatte Josefa Helmbach im Beisein ihrer zustimmend nickenden Schwester Adelheid erklärt und Verena schelmisch zugezwinkert. »Wir würden uns wirklich sehr freuen, wenn du mit deinen Wollknäueln bei uns einziehst.«

»Vielen lieben Dank! Das mache ich!«, brachte da Verena mit einer Überzeugung hervor, die sie selbst ein wenig erstaunte.

Offensichtlich war dieser heimliche Wunsch nach einem eigenen Wollgeschäft wichtiger für sie gewesen, als sie sich je eingestanden hatte. Und nun war dieser Traum vor drei Monaten wahr geworden. Allerdings mit dem kleinen Wermutstropfen, dass ihr offensichtlich jemand dieses Glück nicht gönnte. Aber auf keinen Fall wollte sie glauben, dass Josefa oder Adelheid Helmbach etwas mit dieser Gemeinheit zu tun hatten, nur um sie rauszuekeln und das Geschäftslokal doch teurer zu vermieten.

»Vielleicht hat es ja jetzt ein Ende mit dem Dreck«, sagte sie laut und mit vorsichtiger Erleichterung in der Stimme zu Simon, während sie die Eingangstür aufschloss.

»Bestimmt!«, sagte er in aufmunterndem Ton und lächelte ihr zu.

Wieder wurde Verena ganz warm ums Herz. Auch dafür liebte sie ihren Verlobten: Simon konnte einen mit seiner optimistischen Art aus jedem noch so starken Stimmungstief herausholen. Ihre beste Freundin Leni, die leider seit einem halben Jahr bei ihrem Liebsten in Augsburg wohnte, hatte einst gesagt, dass Simon ein wenig oberflächlich wirken würde. Sofort war sie, als sie Verenas verletzten Gesichtsausdruck gesehen hatte, zurückgerudert: »Aber ist doch super, wenn jemand eine gewisse Leichtigkeit hat und nicht immer alles so bierernst nimmt!«

Diese positive Einstellung zu Simon besaß auch Verena. Sie selbst grübelte manchmal vielleicht ein wenig zu viel über Probleme, die man gar nicht so ernst nehmen sollte. Da war es genau richtig, dass ihr Verlobter die Dinge einfach lässiger sah. Wie die zwei Seiten einer Medaille ergänzten sie sich zu einem wundervollen Ganzen. Kurz dachte Verena daran, dass sie diese Worte so oder so ähnlich in ihrer kleinen Rede, die sie bei der Hochzeit vor dem Tausch der Ringe halten würde, einflechten konnte. Bei dem Gedanken machte ihr Herz sofort wieder einen kleinen Hopser. So ganz konnte sie es immer noch nicht fassen: Simon und sie würden heiraten! Sie würden eine Familie gründen! Ein, zwei, vielleicht auch drei süße Kinder bekommen. Und da es Simon sehr wichtig war, hatte sie auch kein Problem damit, seinen Nachnamen anzunehmen. So würde aus Verena Aichinger eine Verena Gießhübel werden. Klang doch gar nicht mal so schlecht. So, aber jetzt musste sie in den Laden, und Simon hatte gleich, so knapp vor Beginn der neuen Skisaison, eine Besprechung mit seinen Eltern in der Skischule.

»Mach’s gut, Liebling!«, flüsterte sie ihm ins Ohr, während sie sich an der Türschwelle kurz an ihn schmiegte.

»Soll ich uns heute Abend etwas Gutes kochen? Wiener Schnitzel mit Petersilienkartoffeln vielleicht?«

Simon wich einen Schritt zurück, ein leicht tadelnder Ausdruck legte sich über sein Gesicht. »Hast du vergessen, dass wir heute bei meinen Eltern zum Essen eingeladen sind? Lennart und Gisela kommen auch.«

»Stimmt!« Schuldbewusst schlug sich Verena mit der Hand gegen die Stirn. »Mein Hirn hat sich offenbar bereits in ein Wollknäuel verwandelt.«

»Gar kein Problem. Meins verwandelt sich im Winter ja auch immer in Pulverschnee!«, antwortete er mit einem gutmütigen Grinsen. »Ich hol dich um sechs Uhr ab, ja?«

Verena verzog den Mund. »Zwanzig Minuten länger werde ich schon brauchen, bis ich die Kasse gemacht und alles weggeräumt habe.«

»Aber meine Mutter mag es nicht, wenn man sich verspätet, das weißt du doch«, sagte Simon plötzlich mit düsterer Miene.

Seine Gutmütigkeit von eben schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Auch Verenas gute Stimmung verflog ein wenig. Immer das Gleiche mit Fanny. Die musste doch wissen, dass man als Geschäftsfrau seinen Laden nicht früher schließen konnte! Und dass man zumindest noch ein paar wichtige Handgriffe zu erledigen hatte, bevor man ging. Da hätte sie doch gleich einen späteren Zeitpunkt für das Abendessen ansetzen können. Ein wenig ärgerte sie sich nun auch über Simon, der hätte daran denken und schließlich auch ein Wort zu seiner Mutter sagen können. Gleich darauf berichtigte sie sich in Gedanken. Es war unfair von ihr, Simon die Schuld zu geben, unmöglich konnte er an alles denken. Und vermutlich unterstellte sie Fanny eine Bösartigkeit, wo gar keine vorhanden war. Simon schien ihre Gedanken lesen zu können.

»Nimm meine Mutter nicht immer so ernst! Im Grunde ist sie eine ganz Liebe, die eben nur Angst um ihre beiden Prinzen hat! Der Gisela von meinem Bruder geht es da doch auch nicht viel besser.« Spitzbübisch verzog er das Gesicht. »Und da fürchtet sich meine Mama eben vor bösen Feen, und übersieht dabei manchmal, dass zumindest ich eine wahre Prinzessin gefunden habe.«

Verena konnte einfach nicht anders, als laut aufzulachen. Ihr Schatz hatte wieder einmal die Situation gerettet. »Ich beeile mich ja«, sagte sie mit Lachtränen in den Augen. Dann fügte sie, womöglich nicht ganz ehrlich, aber das war diesmal erlaubt, hinzu: »Ich mag deine Mutter!«

»Schön«, grinste er. »Außerdem, wer weiß, wenn wir selbst mal einen Sohn haben, wirst du ihn womöglich auch nicht gerne loslassen.«

»Du hast bestimmt recht«, sagte sie, weil sie die gute Stimmung retten wollte.

Dabei war sie sich in einem sicher: So eine biestige Schwiegermutter wie Fanny, die an niemandem ein gutes Haar lassen konnte, wollte sie auf keinen Fall werden.

Die niedrigen Temperaturen, die offensichtlich große Lust auf kuschelige Wolle machten, heizten den Verkauf in der »Wollfee« tüchtig an, wie Verena eine Stunde später erfreut feststellte. Neben dem Einkauf zweier Kundinnen, die jeweils bloß ein Wollknäuel nachgeholt hatten, war bereits Wolle für drei dicke Pullover über den Ladentisch gegangen. Eben beriet Verena eine hochschwangere Frau, die für ihr ungeborenes Baby eine Decke häkeln wollte. »Vielleicht hätten wir uns doch vom Arzt sagen lassen sollen, ob es ein Bub oder ein Mädchen wird«, murmelte sie vor sich hin, während sie mit sehnsüchtigem Blick das Wollknäuel in Altrosa, einen der erst vor Kurzem eingetroffenen, nostalgisch anmutenden Pudertöne, in ihrer Hand betrachtete.

In Verena tobten derweil widersprüchliche Gefühle. Der Anblick der Frau mit dem dicken Bauch, in dem ein neues Leben heranwuchs, rührte sie. »Was für ein Wunder hier erkannt, ein kleiner Sonnenschein in eurer Hand«, fiel ihr plötzlich ein Spruch zur Geburt ein, den sie eine Woche zuvor im Papierladen auf einer Glückwunschkarte entdeckt hatte. Ja, es war tatsächlich ein unvorstellbares Wunder, das hier geschah. Und das einem womöglich erst dann so richtig bewusst wurde, wenn man dieses Wunder für sich selbst herbeisehnte. Mit einem dumpfen Druck in der Magengrube musste Verena an die letzten Monate denken, in denen sie hoffnungsvoll so manchen Schwangerschaftstest gekauft hatte, weil ihre Regel ein oder zwei Tage überfällig gewesen war. Mit zitternden Fingern hatte sie ihn dann ausgepackt und auf der Toilette genau nach Anleitung angewendet – nur um zwei Minuten später enttäuscht festzustellen, dass der zweite Strich fehlte. »Nicht schwanger« lautete die nüchterne Erklärung auf dem Beipackzettel.

»Es wird schon irgendwann klappen«, war Simons Meinung dazu.

Schließlich waren sie beide jung und, soweit sie wussten, völlig gesund. Auch ihr Gynäkologe hatte ihr erklärt, dass es absolut nicht auffällig war, nach fünf Monaten des Übens noch nicht schwanger zu sein. »Nach einem Jahr kann man nachsehen, ob es irgendwo einen Fehler im System gibt«, hatte er erklärt.

Und schnell hatte er, vermutlich, da er Verenas erschrockenes Gesicht registrierte, hinzugefügt: »… Einen kleinen Fehler im System, den man bei Frauen in Ihrem Alter meist ganz leicht beheben kann.«

»Sicher«, hatte Verena einigermaßen erleichtert gemurmelt. »Vielleicht habe ich durch den neuen Laden doch mehr Stress, als mir eigentlich bewusst ist.«

»Das ist sehr gut möglich bis wahrscheinlich sogar«, hatte der grauhaarige, etwa sechzigjährige Arzt geantwortet. »Aber Sie werden sehen: Wenn sich alles eingespielt hat, kommt Ihr Körper auch wieder zur Ruhe. Schließlich leben Sie gesund: Sie machen Sport, rauchen nicht, trinken nur wenig Alkohol.«

Beim Thema Sport war Verena ein kleines bisschen zusammengezuckt. Vor der Eröffnung der »Wollfee« war sie mindestens zweimal die Woche einen kleinen Almweg entlanggejoggt, doch jetzt kam sie nur noch selten dazu. Und ob sie diesen Winter so oft zum Skifahren kommen würde wie sie es vorhatte? Sie hoffte es doch sehr, und dachte wieder einmal dankbar an ihre Mama Gerda, die seit einem Jahr in Pension war und nun fast jeden Tag in der »Wollfee« mithalf. Da konnte Verena noch so sehr schimpfen und bitten, dass ihre Mutter ihre freie Zeit genießen und nicht arbeiten sollte. »Für mich ist das hier wie Erholung«, war jedes Mal Gerdas resoluter Kommentar dazu.

Neuerdings hatte die Fünfundsechzigjährige sogar einen Häkelkurs für Spitzendeckchen am Mittwochabend übernommen, in dem sich neben rüstigen Seniorinnen auch zwei wissbegierige achtzehnjährige Mädchen bei der gewissenhaften Arbeit bestens unterhielten.

»Mit Rosa ist es wohl doch schwierig«, riss die schwangere Frau im betrübten Ton nun Verena aus ihren Überlegungen. »Wenn es ein Bub wird, passt es einfach nicht.«

»Hm.«

Verena drehte sich zum Regal mit den Wollknäulen, holte ein vanillegelbes Knäuel und eines in einem gedeckten Minzton hervor. »Was sagen Sie zu diesen beiden Farbtönen? Ich finde, die sehen freundlich aus und passen sowohl für Mädchen als auch für Buben.«

Verena sah erfreut, wie die Augen der Schwangeren aufblitzten. Eifrig nickte die Frau. »Die minzfarbene Wolle ist perfekt. Die sieht richtig edel aus.«

Nun völlig aufgekratzt kramte sie die Handarbeitszeitschrift aus ihrer Tasche und sagte die korrekte Wollmenge an. Kurz darauf hatte sie auch schon bezahlt und winkte Verena fröhlich zu: »Zu Ihnen komme ich bestimmt bald wieder.« Sachte streichelte sie über ihren stark gewölbten Bauch. »Wenn mein Kleines nicht zu früh kommt, Termin ist ja erst Ende Januar, dann häkle ich vielleicht noch ein Jäckchen! Und einen Strampler!«

»Sehr schön! Da hat’s das kleine süße Würmchen richtig warm«, lachte Verena über die großen Pläne der sympathischen Kundin.

Dann kam sie hinter dem Verkaufspult hervor und hielt der angesichts ihrer Körperfülle ein wenig schnaufenden Frau die Tür auf. »Alles Gute für Sie und Ihr Baby!«, sagte sie und winkte zum Abschied.

Bereits auf der Straße drehte sich die Schwangere noch einmal um. »Ich werde Sie weiterempfehlen. Zwei Freundinnen von mir haben seit Kurzem auch das Stricken und Häkeln für sich neu entdeckt.«

»Ja. Das wäre toll! Lieben Dank dafür«, sagte Verena und schloss äußerst zufrieden die Eingangstür.

Ja, so wie es schien, ging es mit der »Wollfee« stetig bergauf. Verena wusste, dass Mund-zu-Mund-Propaganda oft mehr half als so manch teure Werbeaktion. Und noch eines wurde ihr klar: Der Job im eigenen Laden machte ihr von Tag zu Tag mehr Spaß. Dass sie gerne mit Menschen arbeitete, hatte sie bereits als Bankangestellte festgestellt, allerdings dort die doch zuweilen recht trockene Arbeit der Kreditberechnungen nicht so sehr geliebt. Außerdem war in der Bank natürlich wenig Zeit für längere Gespräche gewesen. Aber in der »Wollfee« fühlten sich die Leute offenbar so wohl, dass sie hier gerne mehr Zeit verbrachten. Verena genoss es, die Kunden ausführlich zu beraten, manchmal entstand auch ein kleiner Plausch, der gar nichts mit dem Handarbeiten zu tun hatte. Und mit Freude konnte sie regelmäßig beobachten, dass die Kunden auch untereinander ins Gespräch kamen. »Manchmal habe ich das Gefühl, du hast ein Kaffeehaus und keinen Wollladen«, hatte letztens erst ihre Mutter Gerda mit einem Augenzwinkern gesagt.

Plötzlich hatte Verena einen Einfall. Warum eigentlich nicht? Jetzt in der Vorweihnachtszeit konnte sie den Kunden doch Kekse und einen heißen Tee oder Kaffee anbieten! Die Mehrkosten waren nicht so gravierend, dafür würde die Atmosphäre hier noch um einiges gemütlicher werden. Und apropos Kekse! Auf einmal merkte Verena, wie ihr Magen knurrte. Natürlich, ihr rasches und nun schon einige Zeit zurückliegendes Frühstück war zu karg ausgefallen. Aber da gab es ja noch Simons Einkauf beim Bäcker. Mit eiligen Schritten lief Verena in das kleine Hinterzimmer und fasste in die Papiertüte. Mmh, ein Mohnplunderstück kam zutage – und ein kleines Schokoherz, das es in der Bäckerei ebenfalls manchmal zu kaufen gab.

»Danke, mein Süßer!«, hauchte Verena, dann biss sie herzhaft in den Mohnplunder.

Fantastisch … Doch bereits nach drei Bissen musste sie die süße Mehlspeise wieder zurücklegen – eben hatte die Ladenklingel einen neuen Besucher gemeldet. Verena wusch sich ihre klebrigen Hände ab, dann lief sie rasch in den Verkaufsraum zurück. Als sie die Frau erkannte, die bei dem Regal mit der Mohairwolle stand und ein smaragdgrünes Knäuel in der Hand wiegte, fuhr sie unwillkürlich leicht zusammen. Warum reagierte ihr Körper denn so heftig? Das verstand Verena nicht. Abwehr oder Überraschung? Genauer konnte sie allerdings jetzt nicht in sich hineinhorchen, da die zarte Frau mit den haselnussbraunen schulterlangen Haaren sie nun mit ihren stark betonten Rehaugen bereits erblickt hatte. »Verena, da bist du ja!«, rief sie erfreut aus. »Ich dachte schon, du lässt deinen Laden mutterseelenallein.«

»Nein, meine armen Wollknäuel brauchen doch ihre Mama«, versuchte die Angesprochene, einen kleinen Scherz zu machen. Dann lief sie zu der Frau, die fröhlich grinste. »Hallo Katja! Ich dachte, du bist noch im Urlaub.«

Katja, eine ehemalige Schulkameradin, mit der Verena sich erst wieder vor einigen Monaten angefreundet hatte, schüttelte den Kopf. »Ach, es war doch nur ein Besuch bei meiner Cousine in Innsbruck.« Mit einer nun völlig veränderten Miene, so als ob sie eben in eine saure Zitrone hätte beißen müssen, fügte sie hinzu: »Marion hat drei Kinder. Vier, sieben und neun Jahre alt. Ich kann dir sagen: Da wirst du wahnsinnig!«

Verena musste angesichts Katjas Theatralik laut auflachen. »Doch so schlimm? Ich dachte, du möchtest selbst mal Kinder haben.«

Die andere spielte immer noch mit dem Wollknäuel in ihrer Hand, seufzte nun dramatisch auf. »Zuerst mal eins. Und dabei sollte es dann auch bleiben.«

Erneut ein Seufzer.

»Aber wenn alle Kinder solche Monster wie die meiner Cousine sind, behalte ich wohl lieber einfach nur meine Katze. Auf jeden Fall bin ich froh, dass ich wieder in der Kanzlei sein kann. Gegen die Ungeheuer von Marion sind ja sogar die schwierigsten Klienten vom Rechtsanwalt Reimann noch zahme Lämmchen.«

Wirklich verändert hast du dich nicht, Katja, schoss es Verena unvermittelt durch den Kopf. Bereits in der Schulzeit galt die hübsche und nicht minder kecke Katja als eine, die sich unangenehmen Situationen rasch entzog. »Total egoistisch«, hatte Verenas Mutter Gerda wiederholt gemeint und es nicht gerne gesehen, dass ihre gutmütige Tochter mit Katja befreundet war.

Verena dachte an damals zurück.

So große Sorgen hätte sich Gerda gar nicht machen müssen. Denn auch, wenn Verena, welche in Gegenwart eines Jungen oft kaum ein gerades Wort hervorbrachte, die selbstbewusste Katja sehr bewunderte, so richtig passte es nicht mit ihnen. Daran änderte auch der Umstand wenig, dass Verena als gute Schülerin zwar mit mäßigem Erfolg, so doch bereitwillig in der Freizeit mit Katja lernte. »Himmel sind diese Rechenbeispiele langweilig!«, stöhnte Katja regelmäßig auf, dabei rollte sie mit den Augen. Recht rasch hörte deshalb das gemeinsame Lernen auch wieder auf, und ihre privaten Wege trennten sich weitgehend. Nicht einmal in der Schule wechselten sie mehr als nur ein paar Worte. Nur einmal, da erwies ihr Katja einen Freundschaftsdienst, auch wenn es schrecklich wehtat.

Als Verena jetzt daran dachte, musste sie gehörig schlucken. Eigentlich lächerlich, die Sache war sozusagen Schnee von vorgestern. Mit siebzehn hatte Verena ihren ersten Freund: Felix Wolters aus der Parallelklasse. Sie war bis über beide Ohren in den dunkelhaarigen Burschen mit den faszinierenden grüngrauen Augen und der liebevollen, so gar nicht machohaften Art, die andere pubertierende Jungs gerne an den Tag legten, verknallt. Da Felix mit seinen Eltern erst kurz zuvor nach Kitzbühel gezogen war, lernte sie ihn ein Jahr vor der Matura kennen. Doch ehrlicherweise, das musste sich Verena selbst heute noch immer eingestehen, war sie eigentlich gleich in dem Moment, als er sie auf dem Schulflur nach dem Weg zur Festhalle gefragt hatte, hin und weg von ihm gewesen. Ein Stromstoß war buchstäblich von den Haarspitzen bis in ihre Zehenspitzen gefahren. Verena war geradezu entsetzt über ihre überwältigenden Gefühle, die sie selbst für einen Teenager absolut lächerlich fand. Doch Felix ging ihr einfach nicht mehr aus dem Kopf. Und jedes Mal, wenn sie ihm im Treppenhaus des Gymnasiums über den Weg lief, fingen ihre Wangen an zu glühen, fast wie mit einem Brenneisen erhitzt. Höchst peinlich. Doch dann geschah der absolute Wahnsinn: Beim Sommerfest der Schule tanzten sie eng umschlungen zu einem langsamen und ziemlich schnulzigen Song. Und plötzlich küsste Felix sie. Ganz leicht, ganz sanft. Und entgegen ihrer schüchternen Art küsste sie ihn zurück, mit einer Leidenschaft, die ihr bis dahin fremd gewesen war und die sie selbst nicht wenig erstaunte.

»Ich fand dich sofort super«, flüsterte ihr Felix ins Ohr.

»Ich auch«, gab sie zurück, um sich gleich darauf verlegen zu verbessern: »Dich natürlich.«

Sie sahen sich in die Augen und lachten beide gleichzeitig los. Verena hatte das wunderbare Gefühl, dass zwischen ihnen beiden alles klar war, ohne dass man groß darüber hätte reden müssen. Auf diesen ersten Kuss folgten wunderschöne vier Wochen. Dann musste Verena dummerweise weg. Die letzte Urlaubsreise mit ihren Eltern stand an – zwei Wochen nach Italien.

»Ich werde es keine Stunde ohne dich aushalten«, sagte Felix bei ihrer Verabschiedung. »Du fehlst mir jetzt schon wie verrückt.«

Sie sagte gar nichts, viel zu dick fühlte sich der Kloß in ihrem Hals an, und ihre Zunge klebte regelrecht am Gaumen fest. Noch ein letzter Kuss, dann folgten zwei Wochen in Rimini, in denen sie kaum das Meer, den Sand, die Sonne wahrnahm. Tja, die Sonne registrierte sie zumindest indirekt, da sie wegen ihrer Träumerei vergessen hatte, sich ausreichend mit Sonnenmilch einzucremen. Währenddessen sprachen ihre Eltern mit einem halb amüsierten, halb genervten Ton in der Stimme davon, mit einem Gespenst, mit dem man kaum einen Satz reden konnte, Urlaub zu machen. Verena plagte selbst heute noch ein schlechtes Gewissen, wenn sie an ihr Benehmen von damals dachte. Schnell waren glücklicherweise die zwei Wochen vergangen, und sie konnte es kaum erwarten, Felix wiederzusehen.

Bevor sie ihn traf, klingelte jedoch Katja bei ihr zu Hause an die Tür. »Ich muss dir etwas sagen«, berichtete das junge Mädchen mit heißen Wangen. »Wäre nicht fair, wenn ich es für mich behalten würde.« Verena stand auf der Türschwelle ihres Elternhauses und verstand erst einmal gar nichts. Bis Katja weitersprach: »Beim Volksfest hat Felix mit einer anderen geknutscht. Mit der Schwester eines Kumpels aus Kufstein. Sie haben sich hinter einer Schießbude versteckt, aber ich habe die beiden trotzdem gesehen.« Entrüstet schnaufte Katja auf. »Tut mir leid für dich. Aber ich finde es nicht gerade cool, wenn man seine Freundin so fies hintergeht.«

»Ja, klar, danke«, murmelte Verena, in deren Kopf sich auf einmal alles drehte wie ein Karussell, wohl ähnlich denen auf dem Volksfest. Sie schaffte es gerade noch, ein schnelles »Bis dann« zu stammeln, dann ließ sie die Tür vor Katjas Nase ins Schloss krachen.

Was dann folgte, war der blanke Horror: ein Riesenstreit mit Felix, der alles frech abstritt, stattdessen ihr Vorwürfe machte, sich in Italien mit einem anderen amüsiert zu haben. »Ist ja auch sehr romantisch, wenn man zusammen im Sand rumknutscht, während die Wellen rauschen und die Sonne untergeht …«, sagte er in einem Ton, der nur so vor bissigem Spott triefte.

Es war nicht zu fassen, wie kaltblütig und gemein Felix sein konnte. Um von seinem eigenen Betrug abzulenken, erfand er nun das Blaue vom Himmel. Schlimmer ging es wohl echt nicht mehr! Nachdem sie sich noch gegenseitig einige Gemeinheiten an den Kopf geworfen hatten, war Schluss. Für immer und ewig. Und auch, wenn es sich für Verena noch Monate später so anfühlte, als ob ihr wehes Herz schwer entzündet wäre, es gab für sie kein Zurück mehr.

Als sie später zufällig erfuhr, dass Felix nach der Matura in Innsbruck eine Ausbildung zum Optiker machte, spürte sie unendliche Erleichterung. So war zumindest die Gefahr gebannt, ihm womöglich über den Weg zu laufen – während ihr Schmerz wie eine schlecht verheilte Wunde erneut aufriss …

Katjas Worte holten sie in die Gegenwart zurück. Verena blinzelte verwirrt. »Entschuldige, was hast du gerade gesagt?«

»Ich finde es schön, dass wir uns wieder angefreundet haben«, erklärte Katja langsam, ein wenig so, als ob die andere schwerhörig wäre. Dann grinste sie breit. »War doch gut, dass ich bei der Eröffnungsfeier deiner ›Wollfee‹ zufällig hereingeschneit bin.«

»Auf jeden Fall!«, stimmte die andere ihr ebenfalls lächelnd zu.

Sofort, als Katja den Raum betreten hatte, war die Stimmung bei der Feier nochmals gestiegen. Katja mochte vielleicht manchmal egozentrisch sein, aber sie wusste genau, wie man gute Laune verbreitete, und war deswegen bei vielen sehr beliebt.

Verena stupste sie freundschaftlich von der Seite an. »Ich freue mich natürlich auch, dass wir wieder befreundet sind.«

Kurz dachte sie an Leni in Augsburg, und ein feiner Stich drang durch ihre Brust. Nein, so eine Seelenverwandtschaft wie mit der sanften Werbegrafikerin teilte sie mit Katja nicht, aber dennoch freute sie sich, trotz deren egoistischer Neigungen, in Katja eine lustige Freundin gefunden, oder eher wiedergefunden zu haben.

Nun stemmte diese die Hände in die Hüften. »Dann wird es ja höchste Zeit, dass wir wieder mal zusammen ausgehen. Vielleicht gleich heute auf ein Glas Wein?«

Verena schüttelte den Kopf. »Das geht leider nicht. Simon und ich sind bei seinen Eltern zum Essen eingeladen.«

»Ups, bei der strengen Fanny!«

Katja, die wie viele Kitzbühler die resolute Skischulbesitzerin kannte, schlug sich gespielt entsetzt die Hand vor den geöffneten Mund. Verena verkniff sich ein Lachen, sie wollte einfach nicht illoyal gegenüber Simons Familie rüberkommen. »Kein Problem, alles gut«, winkte sie ab. Und fügte hinzu: »Was hältst du nächste Woche von einem Mädelsabend? Ich würde das gerne noch mit dem Simon abstimmen.« Mit einem Augenzwinkern fügte sie hinzu: »Und mit den Teilnehmern des neuen Strickkurses, der nächste Woche starten soll. Dienstag oder Mittwoch, ganz genau haben wir es noch nicht festgelegt.«

Katja lachte auf. »Von mir aus. Solange ich nicht mitstricken muss.« Und mit einem gespielt angewiderten Blick, so als ob sie eine Spinne in der Hand hätte, schubste sie das Mohairknäuel ins Regal zurück.

Beide lachten, dann schnappte sich Katja ihre Handtasche, die sie vorhin neben sich auf dem Boden abgestellt hatte. »So, ich muss dann wieder. Sonst fragt sich der Reimann noch, ob ich beim Semmelnkaufen in den Backofen gefallen bin.«

Die beiden Frauen lachten und umarmten sich kurz. Danach lief Katja zur Tür, bereits den Türknauf in der Hand, drehte sie sich noch einmal um. »Was ich dir noch sagen wollte: Rate mal, wer mich gestern Nachmittag auf dem Hauptplatz fast über den Haufen gerannt hat?«

»Keine Ahnung«, murmelte Verena.

Doch kaum hatte Katja den Namen genannt, stieg ein komisches Gefühl in Verena hoch.

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