Imaginäre Brücken - Jakob Wassermann - E-Book

Imaginäre Brücken E-Book

Jakob Wassermann

0,0

Beschreibung

Dieser Band enthält die folgenden Aufsätze und Essays: Was ist Besitz? Faustina Der Literat Der Literat als Dilettant Der Literat als Psycholog Der Literat als Tribun Der Literat als Schöngeist Der Literat als Apostel Die Frau als Literat Ergebnisse Die Kunst der Erzählung

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 187

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Imaginäre Brücken

 Studien und Aufsätze

Jakob Wassermann

Inhalt:

Jakob Wassermann – Biografie und Bibliografie

Was ist Besitz?

Faustina

Der Literat

Der Literat als Dilettant

Der Literat als Psycholog

Der Literat als Tribun

Der Literat als Schöngeist

Der Literat als Apostel

Die Frau als Literat

Ergebnisse

Die Kunst der Erzählung

Imaginäre Brücken, Jakob Wassermann

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849619275

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Frontcover: © Vladislav Gansovsky - Fotolia.com

Jakob Wassermann – Biografie und Bibliografie

Schriftsteller, geb. 10. März 1873 in Fürth, gestorben am 01.01.1934 in Altaussee/Steiermark. Wassermann machte nach Absolvierung der Realschule notreiche Wanderjahre durch und lebte lange in Wien, dem Kreise Schnitzlers und Hofmannsthals nahe stehend. Er schrieb die Romane: »Melusine« (Münch. 1896), »Die Juden von Zirndorf« (das. 1897, neubearbeitete Ausg. 1906), »Die Geschichte der jungen Renate Fuchs« (Berl. 1900, 9. Aufl. 1906), »Der Moloch« (das. 1902), »Alexander in Babylon« (das. 1904) und »Caspar Hauser« (Stuttg. 1908); ferner die Novellen: »Schläfst du, Mutter?« (Münch. 1897), »Die Schaffnerin« u. a. (das. 1897). »Der niegeküßte Mund. Hilperich« (das. 1903), »Die Schwestern« (Berl. 1906) und die theoretische Schrift »Die Kunst der Erzählung« (das. 1904). Weitere Werke sind z.B. "Caspar Hauser oder die Trägheit des Herzens" (Roman, 1908), "Das Gänsemännchen" (Roman, 1915), "Christian Wahnschaffe" (Roman, 1919),  "Laudin und die Seinen" (Roman, 1925) und "Der Fall Maurizius" (Roman, 1928). W. zeichnet sich durch moderne Auffassung und scharfe Beobachtung des Lebens aus.

Wichtigste Werke:

Melusine (Roman, 1896)Die Juden von Zirndorf (Roman, 1897)Schläfst du, Mutter? (Novelle, 1897)Die Geschichte der jungen Renate Fuchs (Roman, 1900)Der Moloch (Roman, 1902)Der niegeküßte Mund (Erzählungen, 1903)Die Kunst der Erzählung (Abhandlung, 1904)Alexander in Babylon (Roman, 1905)Donna Johanna von Castilien (Erzählung, 1906)Caspar Hauser oder Die Trägheit des Herzens (Roman, 1908)Die Gefangenen auf der Plassenburg (Erzählung, Erstausgabe 1909)Der goldene Spiegel (Novellenband, 1911)Geronimo de Aguilar (Erzählung, 1911)Faustina (1912)Der Mann von vierzig Jahren (Roman, 1913)Das Gänsemännchen (Roman, 1915)Christian Wahnschaffe (Roman, 1919)Die Prinzessin Girnara, Weltspiel und Legende (Schauspiel, 1919)Mein Weg als Deutscher und Jude (Autobiographie, 1921,)Imaginäre Brücken (Studien und Aufsätze, 1921)Sturreganz (Erzählung, 1922)Ulrike Woytich (Roman, 1923)Faber, oder die verlorenen Jahre (Roman, 1924)Laudin und die Seinen (Roman, 1925)Der Aufruhr um den Junker Ernst (Novelle, 1926)Das Gold von Caxamalca (Erzählung, 1928)Christoph Columbus, eine Biographie (1929)Selbstbetrachtungen. 1931Engelhart RatgeberDer Fall Maurizius (1928)Etzel Andergast (1931)Joseph Kerkhovens dritte Existenz (1934)

Was ist Besitz?

Geschrieben 1919

 Die Zeit erschüttert die Begriffe und wühlt den Boden auf, dem sie entwachsen sind.

Es hebt eine Geschichtsepoche an, in der es sich vor allem darum zu handeln scheint, den Wert, das Ausmaß und die Rechtsgrundlagen von dem, was bisher Eigentum hieß, zu revidieren und umzuformen.

Der Anspruch des einzelnen auf sein Gut, den er bisher mit unwiderlegbaren Argumenten verteidigen konnte, ja der geradezu ein Gesellschaftsgesetz war, wird ihm plötzlich streitig gemacht mit Gründen, denen, wollte man sie auch nicht gelten lassen, Nachdruck verliehen wird durch Drohung von Gewalt. Gewalt ist nicht zu widerlegen.

So tief hat kein Vorgang der Geschichte in die private Existenz gegriffen, daß der Bürger, das Mitglied einer Gemeinschaft, die nur zum Schutz ihrer selbst besteht, von einem andern Teil dieser Gemeinschaft in seinen durch Gewohnheit, Brauch und Gesetz geheiligten Lebensbedingungen entrechtet werden soll, und daß ihm zugemutet wird, die anscheinende Willkür und Unbill nicht bloß geduldig zu ertragen, sondern auch eine Notwendigkeit, eine neue, bessere Ordnung darin zu erblicken.

Hier ist nicht die Absicht, diese neue Ordnung gegen die alte wissenschaftlich zum Vergleich zu stellen; dazu fehlt mir die Befugnis und die Kompetenz. Es soll auch nicht von Schlagworten des Tages die Rede sein: Imperialismus, Sozialismus, Kapitalismus, Kommunismus; sie haben die Köpfe genug verwirrt, die Leidenschaften genug erregt. Ich möchte das Wesen des Besitzes untersuchen, seine Wirkungen nach verschiedenen Seiten, auf das innere und auf das äußere Leben, das soziale und das individuelle, seine Legitimität und seine Schädlichkeit, seine Fruchtbarkeit und seine Unnatur.

 I

Wer darbt, dessen Seele wird von Bitterkeit erfüllt gegen den, der Überfluß hat. Es gibt Verstoßene, die durch keine Anstrengung dahin gelangen können, wo die Lieblinge des Glückes sich am ersten Tage befinden. So entsteht in Hunderttausenden, Millionen Gemütern Bitterkeit, Haß, Neid und Auflehnung.

Für den, der darbt, ist das geringste Mehr, das der andere hat, schon Überfluß. Wer nur ein einziges Hemd besitzt, für den ist der Besitzer von zwei Hemden ein mit Glücksgütern Gesegneter. Wer sich nicht sattessen kann, für den ist der sorgenvollste Satte ein Krösus. Wer kein Bett sein eigen nennt, in dem er schlafen kann, für den ist der auf dem Strohsack Ruhende beneidenswert.

Die gegenwärtige Gesellschaftsordnung hat so unendlich viele Abstufungen der Armut, wie sie Abstufungen des Besitzes hat. Zwischen dem in einer Tonne oder Kiste verborgenen blinden Passagier im Frachtraum eines Luxusdampfers und dem amerikanischen Nabob in der ersten Kajüte mit Bade- und Speisesalon dehnt sich eine Skala aus, auf der alle Leidenschaften, Begierden, Niedrigkeiten, Verbrechen, alle Sehnsucht und Verzweiflung und fast alle ausdenkbaren Schicksale der modernen Welt spielen.

Irgendwo in der Mitte dieser Skala ist eine scharf trennende Linie. Sie scheidet diejenigen, die ihre Lebensnotdurft nicht stillen können, von denen, die in der Befriedigung ihrer natürlichen Bedürfnisse eine selbstverständliche Voraussetzung erblicken. An dieser Linie teilt sich die moderne Welt in zwei Lager. An ihr wütet der soziale Kampf in seiner ganzen Furchtbarkeit.

Da aber die Gesellschaftsordnung, wie sie heute besteht, ein Jahrhunderte, vielleicht Jahrtausende altes Gefüge ist, so muß man sich fragen, weshalb das eine Lager der Menschheit in seinem Jammer, seiner Bedrückung, seinem Leiden die bevorzugte Situation des andern so lange erduldet hat, ohne einen nachhaltigen, allgemeinen, gewaltsamen Eingriff vorzunehmen. Ein Zustand, der so offensichtlich den Charakter der Ungerechtigkeit an sich trägt, mußte doch umsomehr zum Umsturz herausfordern, als die zahlenmäßige Übermacht zu allen Zeiten auf Seite der Entrechteten lag. Waren sie nicht genug durchdrungen von ihrem Recht, dem Recht auf Brot und Wärme, auf Luft und Licht? Hat man ihnen Schaustellungen des Prunkes erspart? Wußten sie nicht, was erreichbar war? Kannten sie nicht die Bevorzugten in ihrem Übermut und ihrer Härte? Warum also die Geduld?

Einige werden antworten: darum, weil die Gewalt auf Seite der Reichen war; sie konnten die Gewalt bezahlen, und unter denen, die bezahlt wurden, befanden sich die aus dem feindlichen Lager, die ihre Brüder verrieten, eben weil sie bezahlt wurden.

Andere werden sagen: darum, weil ein tiefbedachtes, raffiniertes und uraltes System von Einschüchterung, Betäubung und Verdummung die Masse der Unterdrückten in Bann gehalten hat, und weil zudem die Sorge für den Tag, die dringende Notwendigkeit, Obdach, Nahrung und Kleidung zu beschaffen, den größten Teil der verfügbaren Kräfte absorbierte.

Es ist ein Stück der Wahrheit, aber es ist nicht die ganze Wahrheit. Es ist die äußerliche Wahrheit, aber nicht die innere.

Nehmen wir an, es fände heute eine vollkommen gerechte und gleichmäßige Verteilung aller vorhandenen Güter statt, beweglichen und unbeweglichen; jedem wäre so die Unabhängigkeit gesichert, die Arbeitsfreiwilligkeit, die Möglichkeit, seinen Anteil nach seinen Gaben und Kräften nutzbar zu machen. Dieser paradiesische Zustand würde genau so lange dauern wie ein Tüchtiger braucht, um einen Trägen aus dem Feld zu schlagen, ein Listiger, um einen Dummkopf zu betrügen, ein Glückspilz, um über einen Pechvogel zu triumphieren, eine talentvolle und feurige Persönlichkeit, um Anhänger für eine Sache oder Idee zu gewinnen, der sie sich versprochen hat.

Daß in der von Menschen (so wie Menschen einmal sind) bevölkerten Welt eine Besitznivellierung stattfinden kann, halte ich für denkbar, obgleich ich fürchte, daß sie ohne Raub, Bedrückung, Gewalt und Ungerechtigkeit nicht durchzuführen ist. Daß sie aber auch nur auf kurze Dauer rechnen kann, halte ich bei einer Gemeinschaft, die nicht ausschließlich aus Ackerbauern, Fischern, Jägern und Viehzüchtern besteht, für undenkbar. Und auch hier würden sich die Schlauen, die Tätigen, die Erfinderischen bald absondern, und Herren würden Sklaven finden. Eine Binsenweisheit im übrigen.

Freilich, die Forderung, die eine verzweifelte Kaste von allzulange hörig Gewesenen erhebt, ist auf den katastrophalen Moment dieser Epoche gestellt; sie lautet: Anrecht auf das Lebensmindeste. Die Ungleichheit hat den Charakter krankhafter, ja verbrecherischer Hypertrophie erreicht. Das über und über gehäufte Mehr auf jener Seite soll abgetragen werden zu gunsten derer, die das Mindeste entbehren. Ich weiß nicht, wie das geschehen soll, ich weiß nicht, ob es geschehen kann, auf eine vernünftige, ersprießliche, rettungversprechende Art nämlich. Daß es wichtig, daß es würdig und menschlich wäre, wenn es geschähe, weiß ich, auch wenn mir die Sachverständigen mit klugen und wahrscheinlichen Berechnungen vor Augen führen, daß es den Zusammenbruch der gegenwärtigen Gesellschaft bedeute, und sich dieser in Rußland ja bereits vollzogen habe. Kein Bestand irgendeiner Ordnung vermag dafür zu entschädigen, daß lebendige Seelen dadurch zugrunde gehen, daß sie besteht.

Es fragt sich nur, ob sie gerade dadurch zugrunde gehen. Eine Wut der Materie hat sich des Zeitalters bemächtigt, die gegen alle Einflüsse des Geistes, der Seele, des Schicksals blind macht. Kurzfristige Nutzanwendung wirft überall die Logik der Dinge und der Geschehnisse aus der Bahn. Forderung überschreit Entwicklung und Gesetz. Ein Hexentanz der Zahl ist im Schwange, der Praktiken und der Theorien, beide gleich seicht und unfruchtbar. Jeder steht beziehungslos zu sich selbst, in einer durch die Materie getrübten Beziehung zum andern und zur Welt, abgetrennt vom sittlichen Verlauf, weil völlig geblendet oder erschreckt vom sinnlichen. Niemand will zu einer Sache geboren sein, alle wollen sich ihrer bemächtigen.

Jede Tätigkeit, wie jede Errungenschaft, hat ihre unverbrüchliche Legitimität. Diese Legitimität ruht nicht in der Materie, sondern im Geiste.

Die Drohnen seien preisgegeben. Fluch dem Leben und Andenken der gierigen und unempfindlichen Raffer und Wächter toten Eigentums, die das Blut schaffender Geschlechter vergiftet haben. Die denkfaul und achselzuckend sich auf die gottgewollte Institution beriefen, wenn die Lohnsklaven im Dunst der Schwefelgruben erstickten, wenn schlagende Wetter ihre Leichname zerfetzten, wenn der Hunger sie zur Selbsterniedrigung zwang; die sich in ihren gesicherten Asylen verschanzten, beschützt von Polizei und Militär, wenn die Not zu ihnen schrie, das tausendfältige Elend der Städte sich verzweifelnd erhob, der tausendfältige Schmerz seine fahlen Züge zeigte. Wehe den Aktienparasiten, den gelangweilten Müßiggängern, den Spielern mit Menschenseelen und Wucherern mit Menschenkräften, den Petrefakten und dem schillernden Geschmeiß einer untergehenden Welt!

Aber diese Schädlichen und Hinderlichen haben und hatten von jeher im Lager der Armen und Geknechteten ein unabsehbares Heer von Lakaien, Agenten, Anwälten, Profitmachern, Kulis, bestochenen und ergebenen Kreaturen, die, gefällig jedem Wink, auf das Erträgnis ihrer Dienste angewiesen, in Schranken gehalten durch die Stimme des Eigennutzes, zitternd vor der Macht- und Rachebefugnis ihrer Auftraggeber, durch die Zwangsmittel des Staates zum Gehorsam, die nach wirkende Zucht der Kirche und der Schule zur Indolenz und Scheinüberzeugung gebracht, stützendes Element auf der einen, hemmendes auf der andern Seite der Linie waren.

Daraus jedoch schließen zu wollen, als hätte die Stabilität der bisherigen Gesellschaftsverfassung nur in unreinen Gesinnungen und niedrigen Interessen, in der Trägheit und Knechtseligkeit der Massen ihre Ursache, hieße der billigen Demagogie das Wort reden, die heute die Straße und die politische Schaubühne beherrscht und die die menschliche Natur und das Wissen von ihr entweder berechnend ausschaltet oder sie überhaupt nicht in den Bereich der Argumente zu ziehen vermag. Was ebenfalls ein Merkmal geistigen Abstiegs ist.

 II

Dem Menschen, sei er, wer er sei und wie er sei, gut oder böse, ist Achtung vor dem Besitz des andern Menschen angeboren.

Am Recht des fremden Besitzes zu zweifeln, ist bereits eine anarchische Seelenstimmung, die unmittelbar in die Verzweiflung mündet. Ehe solcher Zweifel Wurzel faßt, muß der Glaube an die eigene Kraft verschwunden sein; es kann keine Idee mehr vorhanden sein, die der Brutalität der Wirklichkeit entgegentritt und sie unter sich läßt; das persönliche Wertgefühl ist ertötet.

Fremder Besitz: das ist in diesem Zusammenhang Idee. Nicht das, was mir vorenthalten wird, ist der fremde Besitz, sondern das, was mir unerreichbar ist; nicht das, worum ich durch Fügung oder Tücke betrogen worden bin, sondern das, was außerhalb meiner Sphäre liegt.

Recht und Unrecht kommt gar nicht in Frage. Die Norm der sittlichen Verfassung vorausgesetzt, kommt es nicht in Frage, ob der Nachbar, der Freund, der beliebige Andere Vorrat und Anhäufung von Dingen hat, an denen ich Mangel leide. Auch seine Würdigkeit kommt nicht in Frage, sein Wagnis nicht, seine Leistung nicht. Nichts, was ihn betrifft, den Andern, sondern nur, was mich betrifft.

Dein und Mein ist so verschieden wie Welt und Ich. Was ich von der Welt erringe, um meinen leiblichen oder geistigen Bezirk zu erweitern, ist Besitz. Besitz ist Ware, Gegenstand, Anschaubares, Faßbares, Brauchbares; Besitz ist Ding, das durch das Medium meiner Person und innerhalb ihres Wirkungskreises irgend Leben erhält.

Geld ist nicht Besitz. Geld ist Symbol, Fiktion von Besitz, ein Unschaubares, Unfaßbares, Unbrauchbares, das Unding schlechthin. Deshalb entsteht Täuschung und Lüge, wo es für Besitz genommen wird, Haß und Gier, Leere und Stagnation. Verwandelt es sich nicht in das Ding, gibt es seinen Charakter als Vorwand nicht auf, bleibt es als häßliche Illusion, als Irrbild bestehen, lediglich Begriff, ganz und gar Gespenst von Besitz, so ist es verzeihlich und logisch, daß unter denen, die von seinem widrig-geheimnisvollen Zauberring ausgeschlossen sind, die in Not verkommen, weil sie sich eines Wesenlosen, eines Schattens, einer Formel nicht bemächtigen können, eine Gereiztheit und Unruhe entsteht, eine finstere Erbitterung, schließlich ein Wahnsinn, Massenwahnsinn, der genau das Bild unserer Tage malt.

Es ist der am Unding entfesselte Wahnsinn. Und das Unding ist eines mit dem Ungeist.

Das Ding hat stets eine Art von Heiligkeit, mindestens die Würde seines Seins. Am Ding kann ich mich messen, ich kann mich ihm stellen, ich kann es mir inkarnieren, es kann mich nähren, kleiden, schützen, tragen, fördern; es ist, je nachdem, Schmuck oder Lehre, Lohn oder Geschenk, Waffe oder Trophäe, Beute oder Erwerb.

Die ursprüngliche, unverbildete Haltung jedes Menschen dem Ding gegenüber ist die Ehrfurcht vor seiner Bestimmung. Und davon ging ich aus. Es knüpft sich hieran von selbst der Glaube an die persönliche Leistung des Besitzers und die Bejahung dieser Leistung. Das quälende Mißverhältnis in der sozialen Wirtschaft, die unüberbrückbare Kluft zwischen den aufs äußerste gesteigerten Extremen fällt allein dem Dämon zur Last, dem Unding, das Scheinwerte aufstapelt, denen trotzdem Tauschgeltung eignet, das den Sinn des Besitzes verdunkelt, die Leistung entwertet und infolgedessen Verwirrung, Verzweiflung und Zersetzung der sozialen Kräfte herbeiführt.

Besitz in seiner reinen Form ist etwas zugleich Einmaliges und Individuelles. Wie es ein Grad- und Artmesser ist für den, der besitzt, kennzeichnet es auch die Beschaffenheit dessen, der darnach strebt. Es sind dies, tiefer betrachtet, zwei völlig verschiedene Gattungen von Menschen und demgemäß zwei völlig verschiedene Eigenschaftsgruppen, die zu betrachten sind.

Es ist ein seltsames und oft wahrzunehmendes Phänomen, daß zwischen dem Verlangenden und dem verlangten Gegenstand eine ganz bestimmte Beziehung herrscht, eine mehr oder minder heftige Affinität, die auf die Schnelligkeit der Erfüllung Einfluß hat, ein seelisches Fluidum, das mit größerer oder geringerer Gewalt das Zueinandergehörige zueinander bringt. Wie vom Schicksal zwischen Mensch und Mensch, kann man auch vom Schicksal zwischen Mensch und Ding sprechen.

Ob im Ding ein hinstrebender Wille vorhanden ist, das zu entscheiden, ist nicht einfach. Das Erwägen solcher Möglichkeit freilich fordert bereits die Entrüstung der Rationalisten heraus, und ich möchte in diesem Punkt nicht weiter gehen. Die Existenz und Wirkung eines Magnetismus dürfte auch von Grobnervigen nicht geleugnet werden; er kommt ja in alltäglichen und trivialen Vorgängen oft genug zur Erscheinung. Bemerkbar ist natürlich das Verhalten des Menschen, der zum Ding steht.

Um zum Besitz zu gelangen, hat er Kraft einzusetzen, Fähigkeit, Überlegung, Ausdauer, Arbeit. Der vorgestellte Wert, der Wert im Bewußtsein der andern und die Weite des trennenden Wegs bringen die Summe des Müheaufwandes hervor und ergeben die moralische Schätzung für ihn. Ehrgeiz entfaltet sich; Pläne werden erdacht; Anstrengungen wiederholen sich beständig; der Geist wird gebunden und auf ein Ziel gerichtet; Wetteifernde tauchen auf, die besiegt werden müssen; Hindernisse erheben sich außen, Zweifel innen: die Geduld erlahmt, der Wunsch trübt sich, erglüht wieder; alles dies in niedriger wie in hoher Form, bei der Jagd nach einem Wild wie bei dem Ringen um ein kostbares Gut. Das Bild dessen, was errungen werden soll, ist das fortwährend verjüngende und erneuernde Movens, der Kräftespeicher, der Feuerspender; es diktiert den Rhythmus, die Flughöhe, schafft die Züge und die Gestalt des Lebens, es ist das Leben geradezu.

Alle mit uns Lebenden, sofern sie unter dem gleichen Lebensgesetz stehen, sind hiervon in gleicher Weise umschlossen. Wo das Unding nicht die Herzen und Hirne gemordet, das sich selbst bestimmende Geschöpf einerseits zur Maschine oder gar zum Teil einer Maschine erniedrigt hat, andererseits die, die sich ihm ergaben, indem es sich ihnen ergab, in feige, stumme, stumm-bebende, gespenstisch-vegetierende, nur menschenähnliche Hüter und Zuchtmeister verwandelte, überall dort ist Spiel freier Kräfte, Spannung und Ausgleich, Begehren und Befriedigung, Verlust, Wechsel und neues Ergreifen, von unteren Stufen auf obere, von oberen auf untere, Aufstieg und Fall, edle Sucht und gemeine, eigennütziger Trieb und weltfreundlicher, Sturz im Wettlauf, Hoffnung in der Niederlage, und immer ist Besitz und Art des Besitzes die Deutung und der Inbegriff der vitalen Bewegung.

Sogar jene Unglücklichen, die Hingewürgten und ihre Würger, kennen sie auch nicht den Besitz als schöpferisch treibendes Element, so kennen sie ihn doch als Fetisch und Stimulans; dies eben ist das Verhängnis des Zeitalters: bei den entseelt Besitzenden der Fetischismus, bei den entseelt Besitzlosen die Rauschillusion und Aufpeitschung durch das Stimulans.

Die opfervolle Bemühung, das engverstrickte Maschenwerk von Interessen und Leidenschaften, das erschütternde Theater des Empor und Hinab der Existenzen nennt man sozialen Kampf. Es ist, näher besehen, der Kampf des einzelnen um sich, um das, was er liebt, um den Boden, um die Luft, um das, was er braucht, damit er sein kann, was er ist.

Geprüft wird die Leistung; Leistung wird anerkannt durch die Prämie. Je spezifischer, persönlicher, einmaliger, einzigartiger die Leistung, desto höher die Prämie, sei sie nun von materieller, moralischer oder geistiger Beschaffenheit. Manchmal bleibt sie lange vorenthalten, auf lange Sicht gebucht, und wird, in ihrer letzten Entmaterialisation als Ruhm, als Kult bezahlt; völlig unterschlagen kann sie nur in seltenen, tragischen Fällen werden.

Darum löst die Prämie, wenn sie im harmonischen oder wenigstens annähernd harmonischen Verhältnis zur Leistung steht, das Gefühl vollzogener Gerechtigkeit aus. Da jeder in seinem Sinn und nach seiner Betätigung Anspruch auf sie erhebt, da der Blutkreislauf des ganzen Gesellschaftsorganismus in ihr seinen Herzpunkt hat, ist auch jeder irgendwie für sie in Haftung. Im besonderen mag anarchischer Eifer das System befehden, mögen List, Betrug, Verbrechen die Prämie verdrängen, verkleinern, abwendig machen, den natürlichen Gang beeinflußt es nicht.

Der Fähige fordert und wird bezahlt. Im Unfähigen schlummert neben der Traurigkeit des Unbelohnten auch ein heimliches Bewußtsein von Schuld.

 III

Das Buch, das ich erworben habe, ist mein Eigentum. Derjenige Teil meiner Arbeit, der den Kaufpreis repräsentiert, ist die Leistung.

Somit wäre der Prozeß ein- für allemal erledigt: ich kaufe ein Buch, stelle es ins Regal und bin Besitzer. Ob ich es gelesen oder nicht gelesen, benützt oder nicht benützt, verwertet oder nicht verwertet habe, das ändert an meinem Besitzrecht nichts.

In der Tat ist dies der Vorgang bei allem bürgerlichen Besitz: die Leistung ist erledigt und bewiesen durch den Kauf, wobei ich nach dem bisher Gesagten unerörtert lassen kann, ob sie legitim oder illegitim ist. Es kommt das weiter nicht in Betracht.

Nun leuchtet es ein, daß es keineswegs dasselbe ist, ob ich einen Sack Mehl kaufe, um ihn zum Kochen und Backen zu verwenden, oder ob ich Bücher kaufe, um sie ins Regal zu stellen. In dem einen Fall ist meine Leistung zweckhaft, im andern anscheinend zwecklos.

Man nehme jedoch an, ich sei Sammler von Büchern, es sei meine Passion und mein Entzücken, seltene Ausgaben, kostbare Exemplare oder eine möglichst vollständige Reihe der über eine Wissenschaft erschienenen Werke zu besitzen, so tritt bereits eine Zweckhaftigkeit hervor, auch dann, wenn ich mich niemals mit einem von ihnen beschäftige, ihren Inhalt nicht kenne, nicht verstehe, nicht schätze.

Oder man nehme an, ich hätte eine umfangreiche Bibliothek ererbt und obwohl ich lieber faulenze oder Forellen fische oder Blumen züchte, sei ich durch Pflicht der Pietät, stille Abmachung von Geschlechtern her verbunden, sie unangetastet, unverwertet in meinem Hause zu verwahren, selbst auf die Gefahr hin, daß sie mir zur Last falle.

Und schließlich nehme man an, die Bücher seien mir unentbehrlich, weil ich mir eine bestimmte Einsicht, eine Erkenntnis verschaffen will, weil sie Hilfsmittel zu meiner Arbeit sind, weil ich zu jedem einzelnen in einer besonderen Beziehung stehe, die beständig wechselt, beständig fluktuiert und infolgedessen sich beständig erneut, meine Persönlichkeitsgrenze erweitert und die Fähigkeit zur Leistung erhöht, so liegt der Zweck offensichtlich am Tage.

Demgemäß sind vier Kategorien des Besitzes zu unterscheiden: Verbrauchsbesitz, Schmuckbesitz, Erb- und Anhäufungsbesitz und Produktionsbesitz.

Das Merkmal des Verbrauchsbesitzes ist der Abbruch der Leistung mit dem Nutzgenuß; des Schmuckbesitzes: die Leistung zum Phantasiegenuß; des Erb- und Anhäufungsbesitzes: die brachliegende Leistung; des Produktionsbesitzes: die Verwandlung der Leistung in höherer Sphäre zu höherer Gestalt.

 IV

In Bernard Shaws "Candida" sagt der Pastor Morell: Wir haben so wenig das Recht, Glück zu verbrauchen, ohne es zu erzeugen, wie Reichtum zu verbrauchen, ohne ihn zu erwerben.

Dies trifft das Wesentliche. Ich lege den stärksten Nachdruck auf die Begriffe: Glück erzeugen und Glück verbrauchen. Einen um so stärkeren Nachdruck, als diese scheusälig entwürdigte und besudelte Welt um uns so glücklos geworden ist, so zerfetzt und entstellt und in den Morast geschleift, daß sie in unserm beleidigten Bewußtsein nicht mehr froh gemacht werden kann, und wenn Gott die Heerscharen seiner Engel als Gärtner und Baumeister schickte.

Wer sind die, die mehr Glück erzeugen, als sie verbrauchen? Seltene Menschen, die seltenen Weisen, seltenen Dichter, seltenen Lehrer und Versöhner, Former der Herzen, die Ausjäter, Wahrheitskünder, Gestaltenbildner, die oft im verborgenen stehen, ins verlorene gehen, in der Tiefe hinschwinden, der sie entstammen. Und je mehr Glück sie erzeugen, je weniger sind gerade sie begabt oder gesonnen, es zu verbrauchen. Sie produzieren den Überschuß, der der Menge der zur Produktion minder Befähigten zugute kommt.