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Sie darf ihn nicht lieben – doch ihr Herz verlangt nach ihm: Das Romance-Highlight »In den Armen des Fürsten« von Rebecca Michéle jetzt als eBook bei dotbooks. Frankreich, 1788: Ist es ein grausamer Scherz – oder ein Wink des Schicksals? Charlotte, die schöne Tochter eines ebenso reichen wie gefühlskalten Weinhändlers, sollte außer sich vor Freude sein, als der charmante Comte de Montrouant um sie wirbt. Und doch nimmt sie seinen Antrag nur widerstrebend an, hat sie doch immer davon geträumt, sich einem Mann hinzugeben, für den sie wahre Leidenschaft empfindet. Zu ihrer größten Überraschung erlebt sie die in ihrer Hochzeitsnacht – aber nicht mit dem Mann, dem sie das Ja-Wort gab! Ist sie einer schrecklichen Täuschung zum Opfer gefallen … oder ist der attraktive Jean-Michel der Mann, auf den sie ihr Leben lang gewartet hat? Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der Historische Liebesroman »In den Armen des Fürsten« von Rebecca Michéle. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 401
Über dieses Buch:
Frankreich, 1788: Ist es ein grausamer Scherz – oder ein Wink des Schicksals? Charlotte, die schöne Tochter eines ebenso reichen wie gefühlskalten Weinhändlers, sollte außer sich vor Freude sein, als der charmante Comte de Montrouant um sie wirbt. Und doch nimmt sie seinen Antrag nur widerstrebend an, hat sie doch immer davon geträumt, sich einem Mann hinzugeben, für den sie wahre Leidenschaft empfindet. Zu ihrer größten Überraschung erlebt sie die in ihrer Hochzeitsnacht – aber nicht mit dem Mann, dem sie das Ja-Wort gab! Ist sie einer schrecklichen Täuschung zum Opfer gefallen … oder ist der attraktive Jean-Michel der Mann, auf den sie ihr Leben lang gewartet hat?
Über die Autorin:
Rebecca Michéle, 1963 in Rottweil in Baden-Württemberg geboren, eroberte mit ihren historischen Liebesromanen eine große Leserschaft. In ihrer Freizeit trainiert die leidenschaftliche Turniertänzerin selbst Tänzer.
Bei dotbooks erschienen bereits Rebecca Michéles Romane:
»Die Melodie der Insel«
»Irrwege ins Glück«
»Heiße Küsse im kalten Schnee«
»Rhythmus der Leidenschaft«
»Der Ruf des Schicksals«
»Heiße Küsse im kalten Schnee«
»Die zweite Königin«
Die Website der Autorin: www.rebecca-michele.de
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Aktualisierte eBook-Neuausgabe März 2020
Dieses Buch erschien bereits 2008 unter dem Titel »In den Armen eines Fremden« bei CORA und 2014 unter dem Titel »Der Fürst ihrer Sehnsucht« bei dotbooks.
Copyright © der Originalausgabe 2008 by CORA Verlag GmbH & Co. KG
Copyright © der Neuausgabe 2014 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © Period Images © shutterstock / wjarek / Zenith Pictures / Digiselector / Alex-popov
ISBN 978-3-95520-639-0
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Rebecca Michéle
In den Armen des Fürsten
Roman
dotbooks.
Paris, im Frühjahr 1788
Beschwingt trat Charlotte aus der Tür und hielt ihr Gesicht den Sonnenstrahlen entgegen. Nach Wochen, in denen es fast ohne Unterlass geregnet hatte, zeigte sich endlich die Sonne am Himmel und bescherte der Stadt einen Hauch von Frühling. Bunt gekleidete Menschen eilten geschäftig hin und her, Händler stellten Stände vor ihren Geschäften auf, und an jeder Ecke wurden frische, köstlich duftende Backwaren feilgeboten. Charlotte lief die Gasse hinunter und bog rechts ab in Richtung der mächtigen Kirche Notre-Dame. Auf dem Kirchenvorplatz wimmelte es von Menschen, denn heute war wie jeden Freitag Markt. Fröhliche Grußworte flogen Charlotte zu, als sie zielstrebig einen Fischstand ansteuerte. »Guten Morgen, Yves. Herrliches Wetter heute, nicht wahr?«
Der Alte schmunzelte, und seine Augen verloren sich in einem Gewirr von Falten. »Du bist spät dran, Charlotte, aber ich habe dir den besten Fisch aufgehoben, wie du ihn bestellt hast.« Er holte unter dem klapprigen Brettertisch ein besonders großes Exemplar eines Hechts hervor.
Charlotte entnahm ihrem Lederbeutel, den sie sich um ihr linkes Handgelenk gebunden hatte, ein paar Münzen und gab sie Yves. »Ich danke dir. Leider fühlt sich Claudine nicht wohl, so habe ich heute Morgen die Hausarbeit allein machen müssen. Deshalb konnte ich nicht früher kommen.«
Yves nickte verständnisvoll. Charlotte kannte den alten Händler schon seit vielen Jahren. Woche für Woche kam er mit seinen Fischen auf den Markt und war durch seine zuvorkommende Art für sie zu einem väterlichen Freund geworden.
»Du arbeitest zu viel, Charlotte! Ein Mädchen in deinem Alter sollte tanzen gehen und sich amüsieren«, mahnte er.
Mit einem Seufzer hob sie die Schultern. »Ach, ich mache es ja gerne, schließlich ist es für meine Familie. Aber nun muss ich mich beeilen, sonst kommt der Gast, bevor der Fisch überhaupt im Ofen ist.«
Freundlich lächelnd wandte sie sich ab, um gleich wieder von einem jungen Mann mit einer Lederschürze vor der einfachen Kleidung aufgehalten zu werden.
»Claudine ist krank? Was fehlt ihr denn?« In seinen Augen flackerte Besorgnis.
Beruhigend legte Charlotte eine Hand auf den Arm des kräftigen Burschen. »Keine Sorge, Pierre, nur eine harmlose Erkältung. Meine Schwester klagte heute Nacht über Halsschmerzen, und sie hustet ein wenig, deshalb riet ich ihr, den Tag über im Bett zu bleiben.«
Doch Pierre schien immer noch in Sorge zu sein. »Wenn es aber schlimmer wird, dann rufst du einen Arzt, ja? Auch wenn es deinem Vater unnötig und zu teuer erscheint. Ach, wenn ich doch nur ...«
»Ich werde Claudine von dir grüßen. Darüber freut sie sich bestimmt.«
Pierres Augen leuchteten, und Charlotte, die keine weitere Zeit vertrödeln durfte, wandte sich zum Gehen. Der junge Mann tat ihr leid. Seit einem Jahr verehrte er ihre jüngere Schwester Claudine, aber er war nur ein einfacher Schustergeselle, lebte in einem kargen Raum über der Schusterei und erhielt von seinem Meister statt Lohn in klingender Münze nur einmal täglich ein warmes Essen. Somit konnte er Claudine nicht heiraten; außerdem würde ihr Vater es niemals zulassen, dass eine seiner Töchter einem armen Handwerksgesellen die Hand reichte. Für ihren Vater, den vermögenden Weinhändler Joseph Tronchat, wäre es ein Leichtes, Claudine und Pierre die entsprechende Starthilfe für ein gemeinsames Leben zu geben, ebenso seinen anderen vier Töchtern. Aber auch wenn er seine Kinder liebte – eines liebte er noch mehr: sein Geld, das er sorgsam hortete und von Jahr zu Jahr vermehrte.
Charlottes Mutter war vor zwölf Jahren bei der Geburt von Louise, der jüngsten Schwester, gestorben, und seitdem kümmerte sich Charlotte als Älteste um die Familie. War ihr Vater schon zuvor ein Mann gewesen, der seine Gefühle schlecht zeigen konnte, hatte er sich nach dem Tod seiner Frau noch mehr verschlossen. Er hatte den Verlust auch nach Jahren noch nicht verwunden, denn die Liebe zwischen Charlottes Eltern war etwas ganz Besonderes gewesen. Seitdem lebte Joseph Tronchat für sein Geschäft, dessen Einnahmen er von Jahr zu Jahr steigern konnte. Charlotte wüsste, dass er jedes seiner Kinder liebte, aber nur selten zeigte er eine Gefühlsregung. Léonard Tronchat, ein Jahr jünger als Charlotte, war der einzige Sohn unter den sechs Geschwistern. Seit er laufen konnte, hielt er sich im Weinlager seines Vaters auf, und es war keine Frage, dass er eines Tages das Geschäft übernehmen würde.
In Gedanken versunken, bog Charlotte um die Ecke in ihre Straße und prallte so heftig mit jemandem zusammen, dass ihr Korb zu Boden fiel und der Fisch in der Gosse landete. »Können Sie nicht aufpassen?«, fauchte sie verärgert. Durch den tagelangen Regen waren die Straßen matschig geworden, und das Prachtexemplar von Fisch lag nun, über und über mit grauem Schlamm bedeckt, im Dreck.
Der Mann, dem Charlotte das Malheur zu verdanken hatte, hob bedauernd die Hände. »Es tut mir schrecklich leid. Es lag nicht in meiner Absicht ...«
Erst jetzt blickte Charlotte hoch und sah in zwei haselnussbraune, von dichten Wimpern gesäumte Augen. Es war ein noch recht junger Mann, der vor ihr stand, und Charlotte meinte, selten ein so fein geschnittenes Gesicht gesehen zu haben. Man konnte ihn zweifellos als schön bezeichnen, wenngleich sein Kinn zu weich war, um männlich zu wirken. Schnell bückte er sich, und ohne sich zu kümmern, dass er dabei seine Finger beschmutzte, hob er den Hecht auf und legte ihn wieder in den Korb.
Seufzend fuhr sich Charlotte über die Stirn und strich eine Strähne ihrer kastanienbraunen Locken, die nur notdürftig von der schlichten Haube gehalten wurden, aus dem Gesicht. Es war der letzte Fisch gewesen, und ihr Vater hatte ausdrücklich auf einem Hecht zum Abendessen bestanden. Er erwartete einen wichtigen Gast, einen Winzer aus Burgund, und für seine Gäste war Joseph Tronchat das Beste gerade gut genug. Sparen tat er nur bei seiner Familie. »Wissen Sie, was Sie da angerichtet haben? Was soll ich jetzt bloß machen?«
Das Gesicht des Fremden drückte ehrliches Bedauern aus. »Ich werde Ihnen den Schaden selbstverständlich ersetzen.« Er griff nach Charlottes Arm. »Kommen Sie, wir werden etwas anderes finden.«
Charlotte machte sich frei und schüttelte so heftig den Kopf, dass sich weitere Strähnen unter ihrer Haube lösten.
»Sie verstehen nicht. Wenn mein Vater sagt, er möchte einen Hecht, dann akzeptiert er nichts anderes. Zudem bin ich spät dran und habe keine Zeit mehr, noch einmal auf den Markt zu gehen.«
»Ich weiß nicht, wie ich mein Bedauern über meine Ungeschicklichkeit zum Ausdruck bringen kann ...«
»Reden Sie nicht so gestelzt«, unterbrach Charlotte unwirsch und starrte verzweifelt auf den schmutzigen Fisch. »Was serviere ich jetzt nur unserem Gast?«
»Sie können den Hecht abwaschen. Wenn er gekocht oder gebraten ist, sieht keiner mehr, dass er im Schmutz der Pariser Straßen gelegen hat.«
»Es wird mir wohl nichts anderes übrig bleiben«, seufzte sie, nahm ihren Korb und wandte sich zum Gehen. Sie musste sich nun wirklich beeilen; bestimmt war ihr Vater schon wütend, weil sie so lange ausblieb.
»Einen Augenblick noch.« Erneut griff er nach ihrem Arm. »Wie ist Ihr Name? Wann kann ich Sie wiedersehen?«
Charlotte lächelte, ihr Sinn stand nicht nach einem Flirt. »Manchmal ist Paris wie ein Dorf. Überlassen wir es dem Zufall.«
Mit raschen Schritten eilte sie davon. Zugegeben, der Fremde war äußerst attraktiv und freundlich, aber seine elegante Kleidung wies ihn als Mann von Stand aus, für den sie, die Tochter eines Weinhändlers, nicht mehr als ein Abenteuer sein würde. Es mangelte Charlotte nicht an Verehrern, doch zu mehr als ein paar netten Worten war sie nicht bereit. Sie träumte ohnehin nicht von der großen, der einzigen Liebe, nicht von dem Mann, dem sie sich mit Haut und Haaren verschreiben würde, dazu war sie einfach zu realistisch und von ihrem bisherigen Leben zu sehr geprägt worden. Joseph Tronchat hatte ihnen stets deutlich klargemacht, dass er nicht gewillt war, seinen Töchtern für deren Verheiratung eine entsprechende Mitgift zu geben. Aber welcher Mann nahm schon eine Frau, die außer einem netten Äußeren und hausfraulichen Qualitäten nichts mit in die Ehe brachte? Außerdem wer sollte dann den Haushalt führen? Claudine etwa? Unvorstellbar; die Schwester schaffte es sogar, Wasser anbrennen zu lassen. Adelaide und Thérèse waren Träumerinnen, lasen Gedichte und Theaterstücke und konnten nur mit Mühe ein Kleid säumen. Und Louise war noch viel zu jung. Nein, ihr Platz würde wohl, bis sie alt und grau war, in dem schmalen Haus in der Rue Chanoinesse sein.
Hatte Charlotte gehofft, ungesehen ins Haus gelangen zu können, so wurde sie schnell eines Besseren belehrt. Sie öffnete im Untergeschoss gerade die Tür zur Küche, als Joseph Tronchat ihr den Weg versperrte.
»Wo hast du dich herumgetrieben?«, fuhr er sie an. »Hast du vergessen, dass ich heute Abend einen wichtigen Gast erwarte? Und wie sieht es hier überhaupt aus?« Er machte eine umfassende Handbewegung in die Küche, in der noch kein Feuer im Kamin brannte. »Wie konnte mich Gott nur mit fünf Töchtern strafen? Die eine fauler als die andere.«
Schnell stellte Charlotte den Korb unter den Tisch, in der Hoffnung, ihr Vater möge keinen Blick auf das schmutzige Etwas werfen, das ein wohlschmeckendes Abendessen geben sollte. Joseph Tronchat stand unter großer innerer Anspannung; offenbar war der Gast für ein lukratives Geschäft wichtig, daher reagierte er derart ungehalten und barsch. Charlotte nahm es ihm nicht übel, denn sie hatte sich längst an sein oft widersprüchliches Verhalten gewöhnt und wusste, dass er seine harten Worte hinterher meist bereute.
»Es wird alles zu deiner Zufriedenheit fertig sein«, murmelte sie und machte sich sogleich daran, das Feuer zu entzünden. Glücklicherweise verzichtete ihr Vater darauf, den Fisch näher in Augenschein zu nehmen, und ließ sie allein. Ihr würde nichts anderes übrig bleiben, als den Hecht zu säubern und so zuzubereiten, dass man ihm das Bad im Schlamm nicht ansah. Nun, weder sie noch ihre Schwestern würden in den Genuss des weißen Fleisches kommen, denn der Fisch war ausschließlich ihrem Vater, ihrem Bruder und dem Gast vorbehalten. Für die Schwestern würde es wieder einmal nur Graupensuppe und dunkles Brot geben.
Joseph Tronchat war einer der gefragtesten Weinhändler in Paris. Sein Großvater hatte das Geschäft aufgebaut und sogar eine Zeit lang den Hof des Sonnenkönigs beliefert. Trotzdem gab es im Haus Tronchat keine Dienstboten, und Schmalhans war Küchenmeister. Joseph Tronchat sah keine Veranlassung, fremde Leute für Arbeiten zu bezahlen, die seine Töchter erledigen konnten. Da er ein- bis zweimal in der Woche Gäste hatte, war sein Teller stets gut gefüllt. Seine Meinung, gehaltvolle Nahrung würde Frauen nur zu einem lasterhaften und faulen Leben verleiten, schonte sein Gewissen – und seinen Geldbeutel.
Trotzdem war Charlotte nicht unglücklich, sie kannte ja kein anderes Leben. Als ihre Mutter starb, war sie zehn Jahre alt gewesen. Sie konnte sich noch gut an die stille Frau erinnern, die ihren Mann von ganzem Herzen geliebt hatte. Beinahe jedes Jahr hatte sie ein Kind geboren, bis ihr Körper zu schwach geworden war, die Geburt von Louise zu überleben. Wie selbstverständlich war Charlotte damals in die Rolle der Hausfrau geschlüpft und, hatte versucht, ihren jüngeren Geschwistern die Mutter zu ersetzen. Ihr Vater hatte nie wieder geheiratet. Auch wenn er es niemals zugeben würde: Er liebte seine verstorbene Frau immer noch und würde das bis zu seinem eigenen Ende tun.
Charlotte scheuchte die trüben Gedanken fort und machte sich beherzt an die Arbeit. Es gab viel zu tun, und die Stunden verrannen unter ihren Händen. Nachdem alle Räume, in die der abendliche Gast geführt würde, geputzt und gebohnert waren, bereitete sie das Essen vor. Sie filetierte den Hecht in mundgerechte Stücke, bereitete eine raffinierte Soße mit Thymian und Zitrone und legte ihn in einer Bratform in die heiße Asche des Kamins. Dann machte sie sich an die Zubereitung der Beilagen.
Es war bereits später Nachmittag, als ein blasses Mädchen in die Küche kam. »Kann ich dir helfen, Charlotte?«
»Claudine! Du sollst doch noch nicht aufstehen! Fühlst du dich besser?«
Die Schwester nickte, taumelte aber sogleich und griff Halt suchend nach einer Stuhllehne.
»Du gehst sofort wieder ins Bett«, befahl Charlotte. »Nicht, dass sich die Erkältung verschlimmert. Ich habe übrigens Pierre auf dem Markt getroffen und soll dich herzlich von ihm grüßen.«
In Claudines bleiches Gesicht trat ein Lächeln. »Wenn Vater es doch nur zulassen würde, dass ich mir eine Anstellung suche. In einem Haushalt oder einem Ladengeschäft zum Beispiel. Dann würde ich eigenes Geld verdienen, und Pierre und ich könnten ...«
»Du weißt ganz genau, dass nicht nur Vater, sondern auch Pierre es niemals zulassen würde, dass du für fremde Leute arbeitest. In dieser Hinsicht ist dein Pierre wie alle anderen Männer: Nichts verletzt ihren Stolz mehr als die Tatsache, nicht selbst für ihre Herzallerliebste sorgen zu können.« Charlottes Stimme klang schärfer als beabsichtigt, und schnell wechselte sie das Thema: »Wo sind eigentlich Adelaide, Thérèse und Louise? Vielleicht könnte sich eine der Damen mal in der Küche blicken lassen und mir etwas zur Hand gehen?«
Spöttisch verzog Claudine die Lippen. »Warum beklagst du dich? Du bist in allen Dingen dermaßen perfekt, dass in deiner Gegenwart jedem seine eigene Unzulänglichkeit bewusst wird. Es ist nicht einfach, dir etwas recht zu machen.«
Betroffen hielt Charlotte beim Kartoffelschälen inne. Sicher, sie bestimmte, wer wann welche Aufgaben zu erledigen hatte, aber was sollte daran auszusetzen sein? In diesem Haushalt würde nichts seinen normalen Gang gehen, wenn nicht sie, Charlotte, das Zepter in der Hand hielt. »Geh bitte zurück ins Bett, Claudine, damit du in ein, zwei Tagen wieder gesund bist«, bat sie, da sie die Jüngere nicht noch mehr aufbringen wollte.
»Nichts lieber als das«, murmelte die Schwester, denn in diesem Augenblick betrat ein hochgewachsener Mann die Küche. Schnell drückte Claudine sich an ihrem Bruder vorbei, der ihr nur einen kurzen Blick schenkte. Auch Léonard Tronchat war angespannt und nervös. Offenbar hatte Charlotte recht gehabt mit ihrer Vermutung: Der heutige Abend musste für das Weinhaus von großer Bedeutung sein.
»Was trödelt ihr hier herum?« Seine Stimme war tief und kehlig, und er musterte Charlotte kritisch. »In einer Stunde kommt unser Gast. Ich hoffe, das Essen wird bis dahin fertig und zu unser aller Zufriedenheit sein.«
»Keine Sorge, ich werde euch nicht enttäuschen«, murmelte Charlotte und warf die geschälten Kartoffeln in das kochende Wasser. Es war heiß geworden in der Küche, und ihr schlichtes Leinenkleid klebte am Rücken.
Léonard wartete, bis Claudine die Tür hinter sich geschlossen hatte, dann trat er dicht an Charlotte heran. »Du musst nachher noch einen Blick in die Bücher werfen«, flüsterte er, obwohl nur seine Schwester ihn hören konnte. »Vater will morgen mit mir die Bilanz der letzten drei Monate durchgehen.«
Charlotte seufzte und hob die Schultern, ein müdes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Ihr Bruder war kein schöner Mann im landläufigen Sinn. Sein Körper war zu massig, die Augen standen zu dicht beieinander, und die schwarzen Brauen waren zu buschig. Dennoch zog er durch sein strahlendes Lächeln und seine freundliche Art die Frauen an und nutzte seine Wirkung auf das andere Geschlecht weidlich aus. Nicht selten ging er mit zwei oder drei Frauen gleichzeitig aus, die selbstverständlich nichts voneinander wussten. An der Buchhaltung, die ihm sein Vater vor rund zwei Jahren übertragen hatte, zeigte er allerdings nicht halb so viel Interesse. Obwohl Charlotte diesbezüglich nie gefördert worden war und nur sechs Jahre lang die Schule besuchen durfte, hatte sie sich zu einem Rechengenie entwickelt. Und so kam es, dass sie und nicht Léonard die Bücher führte und sie daher ganz genau über die finanziellen Verhältnisse im Hause Tronchat Bescheid wusste. Natürlich durfte ihr Vater nichts davon wissen. Offiziell kümmerte sich Léonard gewissenhaft um all diese, Dinge und steckte ihr als Gegenleistung immer wieder heimlich ein paar Münzen zu. Damit konnte sie für sich und ihre Schwestern einen neuen Stoff öder ein buntes Band kaufen, sonst wären die Mädchen allesamt in Sack und Asche herumgelaufen. Da der Vater wegen seiner Geschäfte kaum Zeit hatte für seine Töchter, bemerkte er es nicht. »Ich kümmere mich um die Bilanzen, wenn ihr mit dem Gast beim Essen sitzt«, bot sie an. »Liegen die Bücher in deinem Zimmer?«
Léonard nickte und berührte Charlotte kurz an der Schulter. »Ich danke dir.« Er wandte sich zum Gehen. »Jetzt muss ich aber den besten Wein aus dem Keller holen, schließlich bewirten wir einen echten Comte aus Burgund. Das ist eine große Ehre für unser Haus.«
Einen Comte? Charlotte hatte bisher nicht gewusst, was für einen hohen Gast ihr Vater erwartete. »Was hat ein Comte mit uns zu schaffen? Ich dachte, der Mann wäre Winzer.«
»Es gibt auch Adlige, die wissen, wie man köstliche Tropfen keltert. Offenbar hat es zwischen ihm und dem Händler, der bislang seine Produkte in Paris vertrieben hat, Streit gegeben. So sucht der Comte einen neuen, vertrauenswürdigen Mann. Nun, wie du weißt, ist unser Angebot an Burgundern nicht sehr reichhaltig, sodass Vater das Sortiment gerne in diese Richtung erweitern würde.«
Charlotte nahm die Bratform mit dem Fisch aus der heißen Asche, und ein köstlicher Duft durchzog die Küche. Sie hob den Deckel, stach vorsichtig in das zarte Fleisch und stellte fest, dass die Garzeit noch nicht beendet war. Lachend zeigte sie mit dem Kopf zur Tür. »Jetzt aber raus mir dir, sonst wird unser Herr Hochwohlgeboren doch noch auf das Essen warten müssen!«
Vorsichtig balancierte Charlotte das Tablett eine Stunde später ins Speisezimmer.
»Das wurde auch Zeit! Du hast uns warten lassen, wir sind beinahe am Verhungern!«
Charlotte ging auf die Worte ihres Vaters nicht ein. Sie war an seine Kritik gewöhnt, auch wenn sie fehl am Platze war, denn sie servierte auf die Minute pünktlich.
Der hohe Gast saß mit dem Rücken zu ihr, und sie erkannte ihn erst, als sie den Fisch abstellen wollte. Vor Schreck rutschte ihr die Platte aus den Händen und krachte scheppernd auf den Tisch. Da saß der Fremde, der dafür verantwortlich war, dass der Fisch auf der Straße gelegen hatte, und der ihr geraten hatte, ihn trotzdem zu verwenden! Charlotte taumelte und stieß dabei mit dem Ellbogen die Karaffe mit dem Aperitif um. Der Comte konnte gerade noch aufspringen, bevor sich der Wein über sein beigefarbenes Beinkleid ergoss. Rot wie Blut breitete sich die Flüssigkeit auf dem Tischtuch und dem Fußboden aus.
Ehe Charlotte reagieren konnte, war ihr Vater ebenfalls aufgesprungen und herrschte seine Tochter erneut an.
»Aber Monsieur!«, rief der Fremde entsetzt. »Es ist doch nichts geschehen!«
Joseph Tronchat beachtete seinen Einwand nicht. »Was fällt dir ein, unseren Gast in eine derartige Situation zu bringen?«
Charlottes Gesicht brannte vor Scham und Schmerz. Nun würde ihr Vater erfahren, was mit dem Fisch geschehen war, und der Comte würde fluchtartig das Haus verlassen. Wie ihr Vater darauf reagieren und was für Folgen das für sie haben würde, konnte sie sich leider nur zu gut, ausmalen. Geschäftliche Misserfolge machten Joseph Tronchat unberechenbar.
Der Gast jedoch trat zu dem Weinhändler und legte eine Hand auf dessen Arm. »So ein kleines Unglück kann jedem passieren, Monsieur. Bitte, lassen Sie uns jetzt essen, sonst wird dieses Gericht, das so köstlich riecht, kalt, und darum wäre es doch schade, oder?«
Aus den Augenwinkeln zwinkerte er Charlotte zu, die ihn nur sprachlos anstarren konnte. Endlich gelang es ihr, stotternd hervorzupressen: »Es ... es tut mir leid ... Ich wollte nicht ...«
»Geh jetzt!«, sagte ihr Vater verärgert. »Aber vorher wisch hier auf. Nein, warte, schick lieber jemand anderen, sonst richtest du noch mehr Schaden an.«
»Möchten Sie mir das Mädchen nicht vorstellen, Monsieur Tronchat? Ist es Ihre Magd?«, fragte der Adlige und ließ Charlotte dabei nicht aus den Augen.
Joseph Tronchat lachte spöttisch, »Es wäre schön, wenn sie eine Magd wäre, denn dann könnte sie auf der Stelle ihre Sachen packen und das Haus verlassen.« Betrübt schüttelte er den Kopf. »Nein, es ist meine Tochter Charlotte.«
Der Comte ging auf seine Worte nicht ein; vielmehr lag sein offener Blick immer noch auf Charlotte, die am liebsten in ein Mauseloch verschwunden wäre. »Mademoiselle Charlotte, ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen,«
Galant verbeugte er sich, ganz so, als wären sie sich gerade bei einem offiziellen Empfang im Königspalast vorgestellt worden. Dabei war Charlotte alles andere als elegant gekleidet, hatte einem Angehörigen der Aristokratie einen Fisch serviert, der Stunden zuvor noch im Dreck lag, und hatte beinahe seine elegante Kleidung mit Wein ruiniert. Eine brennende Röte schoss in ihre Wangen, und sie verbarg ihre zitternden Hände hinter dem Rücken. »Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Mahl«, presste sie hervor und bewegte sich rückwärts zur Tür. »Ich werde Adelaide schicken, damit sie das Malheur beseitigt.«
»Aber Mademoiselle, speisen Sie als Tochter des Hauses denn nicht mit uns?« Erstaunt runzelte der Comte die Stirn.
»Mitnichten!«, warf Charlottes Vater donnernd ein, bevor sie selbst ein Wort sagen konnte. »Wir haben eine geschäftliche Angelegenheit zu besprechen. Da ist kein Platz für eine Frau, die von derlei Dingen nichts versteht.«
Die abfällige Bemerkung trieb Charlotte die Tränen in die Augen, obwohl sie sonst nicht weinerlich reagierte, war sie von ihrem Vater doch einiges gewöhnt. Dass er sie vor dem adligen Gast aber derart unfreundlich behandelte, verletzte sie doch sehr. Schnell drehte sie sich um und lief aus dem Speisezimmer. Im Flur traf sie auf Adelaide und herrschte diese barscher als beabsichtigt an: »Hol einen Lumpen und putz im Speisezimmer den verschütteten Wein auf. Sofort, hörst du?«
Ohne eine Antwort der verdutzten Schwester abzuwarten, hastete Charlotte die Treppe in ihr Zimmer hinauf. Am liebsten hätte sie sich auf ihr Bett geworfen, den Kopf in den Kissen vergraben und geweint. Dann aber erinnerte sie sich an ihr Versprechen, die Buchführung zu prüfen. Seufzend ging sie ins nächste Stockwerk, wo sich Léonards Arbeitszimmer befand. Obwohl sie müde und erschöpft war, würde ihr die Arbeit vielleicht helfen, ihre Gedanken in eine andere Richtung zu lenken. Offenbar hatte der Comte de Montrouant nicht vor, ihrem Vater die Sache mit dem Fisch zu erzählen; dennoch hoffte sie, ihm niemals wieder zu begegnen.
Es war schon weit nach Mitternacht, als Charlotte schließlich das letzte Buch zuschlug. Sie hatte endlose Zahlenkolonnen nachgerechnet, alle Ein- und Ausgänge überprüft und keinen Fehler gefunden. Kein Wunder, denn die Berechnungen hatte ausschließlich sie gemacht, Léonard hatte sie dann nur in seiner Handschrift in die Bücher übertragen. Mit dem Kerzenleuchter in der Hand ging Charlotte nach unten. Bestimmt war der Gast schon fort, und ihr Vater und, der Bruder lagen längst in ihren Betten. Für sie galt es nun, aufzuräumen und das Geschirr zu spülen, auch wenn es mitten in der Nacht war. Joseph Tronchat mochte es nicht, am nächsten Morgen in ein Zimmer zu kommen, in dem noch Spuren des vergangenen Abends zu finden waren.
Das Speisezimmer lag fast völlig im Dunkeln, einzig im Kamin schimmerte die verglimmende Asche. Charlotte stellte den Leuchter auf den Tisch und machte sich daran, die benutzten Teller aufeinanderzustapeln.
»Behandelt Ihr Vater Sie immer so grob?«
Mit einem Schrei fuhr Charlotte herum, beinahe hätte sie die Teller fallen lassen. Im flackernden Kerzenschein erkannte sie erst jetzt, dass in einem Sessel vor dem Kamin der Gast saß. »Sie? Was machen Sie noch hier?« In ihrem Schreck vergaß sie, höflich zu sein.
»Ich konnte nicht einschlafen. Deshalb kam ich herunter, einen Schlummertrunk zu nehmen.« Er deutete auf das halb gefüllte Weinglas in seiner Hand. »Darf ich Ihnen auch einen Schluck einschenken?«
Verwirrt strich sich Charlotte über die Stirn. »Sie übernachten hier? In diesem Haus?«
Der Comte lächelte. »Es scheint, Sie haben hier nicht einmal die Stellung einer Dienstmagd, denn eine solche wäre über Übernachtungsgäste unterrichtet worden. Ihr Vater hat mich eingeladen, in der Zeit, die ich in Geschäften in Paris verbringen werde, hier zu logieren. Und ich fand diesen Gedanken sehr verlockend, wenngleich unsere Familie ein Stadthaus besitzt. Es ist aber sehr groß und unpersönlich, und in Ihrem Haus habe ich mich vom ersten Augenblick an wohlgefühlt.« Obwohl Charlotte nur sprachlos dastand und ihr keine Erwiderung einfiel, stand er auf und schenkte ihr ein Glas Wein ein. »Sie müssen diesen Tropfen unbedingt kosten, Mademoiselle Charlotte. Er ist eine neue Kreuzung von unserem eigenen Weinberg und wurde im letzten Herbst gekeltert.«
Zögernd nahm Charlotte das Glas und nippte an der hellen, etwas herben Flüssigkeit. Obwohl sie die Tochter eines Weinhändlers war, kannte sie sich mit dem Saft des Bacchus nicht aus. Für die Töchter des Hauses gab es nur selten Wein zu trinken, Wasser war billiger. Aus den Büchern kannte Charlotte zwar die klangvollen Namen wie Cabernet Sauvignon, Beaujolais oder auch Pinot Gris. Sie wusste auch, dass manche Namen die Rebsorte, andere wiederum die Gegend, in der sie angebaut wurden, bezeichneten, aber sie war nicht in der Lage, einen Wein von einem anderen zu unterscheiden. »Ich wollte Sie nicht stören, Monsieur le Comte«, sagte sie leise und stellte das Glas zur Seite. »Ich werde dann morgen früh aufräumen.«
»Sagen Sie Jean-Michel zu mir.«
»Wie bitte?«
Das Angebot kam so überraschend und widersprach allen Konventionen, dass Charlotte meinte, sich verhört zu haben, doch er nickte ihr wohlwollend zu.
»Warum sollen wir nicht Freunde werden, Charlotte? Schließlich teilen wir ein kleines Geheimnis, nicht wahr?« Verschwörerisch zwinkerte er ihr zu. »Der Fisch war übrigens ausgezeichnet. Mein Kompliment, Sie sind eine ausgezeichnete Köchin.«
Zum Glück war es im Zimmer recht dunkel, so konnte der Comte nicht sehen, wie Charlotte das Blut in die Wangen schoss. Ach, wenn er doch endlich das Geschäft mit ihrem Vater abschließen und das Haus und Paris so schnell wie möglich verlassen würde! Sie murmelte eine höfliche Entschuldigung und flüchtete regelrecht aus dem Raum. In ihrem Zimmer, das sie mit Claudine und Adelaide teilte, drehte sie den Schlüssel im Schloss um.
»Dummes Ding«, schalt sie sich leise, da sie ihre Schwestern nicht wecken wollte. »Als ob er sich in dein Zimmer schleichen würde!«
Der Comte de Montrouant war zwar ein gut aussehender und offenbar auch freundlicher Mann, und Charlotte kam nicht umhin, eine gewisse Sympathie für ihn zu empfinden, aber er brachte ihr Herz nicht dazu, schneller zu schlagen. Eine solch romantische Vorstellung gab es nach ihrer Meinung ohnehin nur in drittklassigen Theaterstücken, die ihre Schwester Thérèse so gerne las. Mit dem realen Leben hatte dies nichts zu tun.
De Montrouant hatte keineswegs vor, so schnell, wie Charlotte es sich wünschte, wieder aus ihrem Leben zu verschwinden. Er war nach Paris gekommen, um den Absatzmarkt der Weine des Châteaus Montrouant zu erweitern und einen neuen Lieferanten für die Hauptstadt zu finden. Joseph Tronchat war ihm persönlich zwar wenig sympathisch, aber sein Ruf als Händler war untadlig und über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Das erste Gespräch über die Konditionen war vielversprechend verlaufen, und de Montrouant war überzeugt, mit Tronchat in wenigen Tagen handelseinig zu werden und bald nach Burgund zurückzukehren.
Nun aber war etwas geschehen, das er in seinen Reiseplänen nicht berücksichtigt hatte. Charlotte Tronchat, die älteste Tochter, war nicht nur sehr hübsch, sie schien auch über eine gewisse Bildung zu verfügen. Das Essen war exquisit gewesen, was für ihre hausfraulichen Qualitäten sprach. Offensichtlich litt sie unter ihres Vaters Regiment, wenngleich sie sich ihre Verletzbarkeit nicht anmerken ließ. Kurz und gut – Charlotte Tronchat war genau die Frau, nach der er seit Monaten Ausschau gehalten hatte. Zwar stammte sie nur aus dem Kaufmannsstand, aber er war nicht so vermessen anzunehmen, eine Dame aus dem Adel für seine Pläne und Vorstellungen gewinnen zu können. Auf jeden Fall würde er viel Fingerspitzengefühl und eine gewisse Raffinesse aufbringen müssen, Charlotte die Sache schmackhaft zu machen.
In den folgenden Tagen hatte Charlotte allen Grund, sich über den seltsamen Gast zu wundern. Nicht nur, dass ein Comte, der ein Haus im eleganten Viertel von St.-Germain-des-Près sein Eigen nannte, nach wie vor in der eher schlichten Behausung eines Kaufmanns logierte, nein, der junge Mann war von einer zurückhaltenden Höflichkeit, die beinahe schon an Schüchternheit grenzte. Längst waren die Verträge zwischen Joseph Tronchat und dem Comte de Montrouant unter Dach und Fach, aber er machte keine Anstalten, die Stadt zu verlassen.
Nicht nur Charlotte, auch ihr Vater war mehr als verblüfft, als er sie zu einem Theaterbesuch einlud.
»Es wäre mir eine große Ehre, Sie, Ihren Sohn und die reizende Mademoiselle Charlotte ausführen zu dürfen. Vielleicht möchte uns auch Ihre Tochter Claudine begleiten, damit Mademoiselle Charlotte sich nicht allein in männlicher Begleitung befindet?«
Charlotte war noch nie in einem Theater gewesen. Davon abgesehen, dass ihr Vater dafür niemals auch nur einen Sou übrig gehabt hätte, war es für eine Frau schlichtweg unmöglich, ohne männliche Begleitung eine solche Stätte aufzusuchen, von Damen der unteren Gesellschaftsschicht einmal abgesehen.
So besuchten sie also zu fünft eine Aufführung im ehrwürdigen Theater Comédie Francaise. Für Charlotte wurde es ein aufregender Abend, doch nicht wegen des mittelklassigen Stücks. Auf dieser Bühne hatte vor über hundert Jahren der herausragende französische Dichter und Komödiant Molière selbst die Rolle des Eingebildeten Kranken gespielt und war kurz nach der Vorstellung gestorben. Charlotte, die in ihrer knapp bemessenen Freizeit ihre Nase am liebsten in unterhaltsame Bücher steckte, fühlte sich von der Atmosphäre des traditionsreichen Theaters sofort angezogen.
Nach der Aufführung lud der Comte sie zu einem kleinen Souper in ein nahe gelegenes Restaurant ein. Charlotte meinte, sich in einem Traum zu befinden, aus dem sie jeden Moment wieder erwachen könnte. Also holte sie sich selbst in die Realität zurück, indem sie sich sagte: Bald wird er abreisen, dann geht dein Leben weiter wie zuvor. Hüte dich davor, allzu viel Gefallen an dieser Welt, die dir für immer verschlossen bleiben wird, zu finden.
Charlotte war nicht eitel, obwohl sie wusste, dass sie mit ihren kastanienbraunen Locken, den dunklen Augen und dem schmalen Gesicht recht hübsch war. Natürlich wünschte sie sich schöne Kleider und den einen oder anderen Zierrat, aber sie war nie über den Platz, den das Schicksal ihr zugewiesen hatte, unzufrieden gewesen. Durch den Comte lernte sie jetzt ein Stück von der Welt kennen, die sie bisher nur aus Büchern kannte. Charlotte verschloss ihr Herz davor, zu viel Gefallen an Theater- und Restaurantbesuchen zu finden, dann würde die Rückkehr in ihr alltägliches Leben nicht schmerzhaft sein.
Niemandem blieb in den folgenden Tagen verborgen, dass der Comte de Montrouant begann, um Charlotte zu werben. Also erhielt er die Erlaubnis, einen Nachmittag mit ihr allein im Jardin des Tuileries zu verbringen. Die Sonne strahlte vom Himmel, die Vögel zwitscherten und wohin Charlotte auch sah, blickte sie stets in fröhlich strahlende Gesichter. Sie hatte ihre Hand auf den rechten Arm des Comte gelegt, und sie plauderten über Belanglosigkeiten. Ab und zu wagte Charlotte einen Seitenblick auf ihren Begleiter und fühlte sich an das Abbild eines Engels erinnert: edle Züge, lange dichte Wimpern und ein schmaler Mund, der oft und gerne lächelte. Sein dunkelbraunes, glattes Haar glänzte in der Sonne, und die Blicke so mancher Damen, die den schönen Tag ebenfalls für einen Spaziergang im Park nutzten und ihnen entgegenkamen, verweilten länger als nötig auf der Gestalt ihres Begleiters. Stolz erfüllte Charlotte. Nie zuvor hatte ein Mann sie so zuvorkommend und höflich behandelt. Auch wenn seine gesellschaftliche Stellung weit über der ihren lag – nicht alle Adligen schienen anmaßende Snobs zu sein.
An diesem Abend kroch Claudine zu Charlotte ins Bett, nachdem Adelaide eingeschlafen war. »Wirst du ihn heiraten?«, flüsterte sie kichernd.
»Was redest du denn da? Das ist völlig unmöglich!«
»Warum? Es sieht doch ein Blinder, wie der Comte um dich herumscharwenzelt. Und da er es so offen unter Vaters Augen macht, glaube ich kaum, dass seine Absichten nicht ehrenwert sind.«
Charlottes Herz schlug ein wenig schneller. Ja, sie mochte Jean-Michel de Montrouant, fühlte sich in seiner Gesellschaft wohl, und er war ein angenehmer und gebildeter Gesprächspartner. Bisher hatte er aber nichts gesagt oder getan, was darauf schließen ließ, er könnte von Charlotte mehr als nur Freundschaft erwarten. »Er hat mich noch nicht gefragt.«
»Wenn er es tut, dann wirst du Ja sagen, oder?«
Charlotte holte tief Luft. Zu abwegig war der Gedanke, ein Adliger würde sie, die Tochter eines Weinhändlers, bitten, ihn zu heiraten. Das würde auch bedeuten, Paris und ihre Familie zu verlassen, denn er hatte wiederholt berichtet, dass er sich nur selten in der Hauptstadt aufhielt. Die meiste Zeit lebte er im Château de Montrouant, das irgendwo in der Nähe des Städtchens La Clayette in der Provinz Burgund lag. »Wir sollten nicht über Dinge spekulieren, die nie eintreten werden«, antwortete sie entschieden. Der Comte würde sicher bald abreisen und dann nur noch eine schöne Erinnerung sein.
Selten hatte Charlotte ihren Vater so ernst und feierlich erlebt wie an diesem Vormittag, als er sie in sein Arbeitszimmer bat. Er saß hinter dem wuchtigen Schreibtisch, und zu Charlottes Erstaunen war auch Jean-Michel de Montrouant anwesend.
Joseph Tronchat redete nicht lange um den heißen Brei herum und kam gleich zur Sache: »Tochter, Monsieur Comte de Montrouant hat mich um deine Hand gebeten. Ich habe zugestimmt, die Hochzeit wird am kommenden Sonntag stattfinden.«
Hörbar schnappte Charlotte nach Luft. Der Antrag kam nicht völlig überraschend, doch hätte der Comte nicht erst sie fragen müssen, bevor er zu ihrem Vater gegangen war? »Ich fühle mich sehr geehrt, aber ...«
»Papperlapapp! Du bist meine Tochter und wirst tun, was ich dir sage.«
Der Comte trat zu Charlotte und nahm ihre Hand. Seine war weich, aber kalt. »Ich bitte Sie, Monsieur Tronchat, seien Sie nicht zu hart zu Ihrer Tochter. Ein Heiratsantrag ist im Leben einer jeden Frau ein ganz besonderer Moment. Vielleicht hätten wir es ihr etwas schonender beibringen sollen.«
Charlotte fühlte sich wie in einem schlechten Theaterstück. Hier wurde über ihre Zukunft verhandelt, als wäre sie eine Zuchtstute und kein Mensch mit eigener Meinung. »Monsieur le Comte, Ihr Antrag ehrt mich über alle Maßen, aber ein Mann Ihres Standes kann doch nicht die Tochter eines Weinhändlers heiraten! Was wird Ihre Familie dazu sagen?«
Nun lächelte er und erinnerte Charlotte eher an einen spitzbübischen Jungen als an ein Mitglied eines alten Adelsgeschlechts. »Meine Eltern sind vor einigen Jahren verstorben, ich habe nur einen Bruder, und dieser wird es nicht wagen, meine Entscheidungen zu kritisieren. Aber vor allen Dingen möchte ich zum Ausdruck bringen, welche Ehre es für mich ist, eine Mademoiselle mit Ihren Qualitäten als meine Frau heimführen zu dürfen.«
Die gedrechselten Worte entlockten nun auch Charlotte ein Lächeln. Ja, er sah gut aus, der Comte de Montrouant. Er war nett, freundlich und zuvorkommend, und er war bestimmt vermögend. Charlotte, die ihr Leben lang jeden Sou dreimal umgedreht hatte, bevor sie ihn ausgab, fand die Aussicht, nicht mehr von ihrem geizigen und oft zu strengen Vater abhängig zu sein, mehr als verlockend.
»Wie kannst du es wagen, meine Entscheidung in Zweifel zu ziehen?« Mit donnernder Stimme unterbrach Joseph Tronchat ihre Überlegungen. Er kam um den Schreibtisch herum und blieb vor Charlotte stehen. »Ich habe dich lange genug durchgefüttert, jetzt ist es an der Zeit, dass du auf eigenen Füßen stehst. Du wirst tun, was ich dir befehle!« In seinen Augen aber blitzte kurz ein bittender Ausdruck auf, und Charlotte kannte ihren Vater lange genug, um zu wissen, dass er seine Freude über diese Hochzeit nicht zeigen konnte. Wieder einmal verbarg er seine Gefühle unter einer harten Schale und wollte vor dem Gast zeigen, dass ausschließlich er das Sagen hatte. Nie würde er zugeben, dass er sich mit all der Verantwortung, die er trug, seit dem Tod der über alles geliebten Frau manchmal überfordert fühlte. Da ließ er die anderen lieber in dem Glauben, ein kalter und berechnender Mann zu sein. Doch Charlotte ahnte, was ihren Vater umtrieb. Und sie dachte daran, was sie als Comtesse de Montrouant nicht nur für ihre Familie Gutes tun konnte und wie stolz ihr Vater darüber wäre. In diesem Moment war ihre Entscheidung gefallen. »Vater ... Monsieur le Comte ... ich nehme Ihren Antrag an. Ja, ich möchte Ihre Frau werden.«
Aufgeregt schnatternd scharten sich die Mädchen um ihre älteste Schwester. Der Comte war gegangen, um dringende Geschäfte in der Stadt zu erledigen, und Charlotte hatte den anderen mitgeteilt, dass sie in wenigen Tagen heiraten und Paris verlassen werde.
»Wie romantisch!«, seufzte Claudine und verdrehte träumerisch die Augen. »Der Comte sieht aber auch zu gut aus! Du musst schrecklich verliebt in ihn sein und er in dich, weil ihr nach so kurzer Zeit schon heiratet.«
Charlotte lächelte und verzichtete auf eine Antwort.
»Dann wird es wohl nur eine kleine Hochzeit geben?«, warf die praktisch veranlagte Adelaide ein. »Kommenden Sonntag schon! Da bleibt keine Zeit, entsprechende Vorbereitungen zu treffen. Ich verstehe diese Eile nicht. Und es wird auch niemand von Jean-Michels Familie dabei sein?« Die Missbilligung stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben.
Charlotte zuckte mit den Schultern. »Jean-Michel hat nur noch einen Bruder, und dieser scheint nicht viel zu sagen zu haben. Seine Eltern sind schon viele Jahre tot.«
Die kleine Louise hüpfte auf dem Bett umher. »Aber ich darf deine Schleppe tragen. Darf ich? Darf ich?«
»Ja, natürlich mein Schatz.« Einer plötzlichen Gefühlswallung nachgebend schloss Charlotte die jüngste Schwester in die Arme und drückte sie. Ein Kloß bildete sich in ihrer Kehle. Auch wenn zwischen den Geschwistern nicht immer völlige Harmonie geherrscht hatte, so waren sie doch ihre Familie und ihr Leben. Bald schon würde Charlotte sie verlassen, und wer wusste, wann sie die Schwestern wiedersehen würde.
Nicht sehr begeistert über die Hochzeit zeigte sich Léonard. Weniger, weil er der Ältesten das Glück, eine Comtesse zu werden, nicht gönnte, sondern vielmehr aus eigennützigen Gründen. »Und wer macht jetzt die Buchhaltung?«, seufzte er. »Vater vertraut mir in dieser Angelegenheit. Wie soll ich ihm denn erklären, dass ich überhaupt keine Ahnung von Aktiva und Passiva habe?«
Charlotte schmunzelte und klopfte dem Bruder wohlwollend auf die Schultern. »Es ist gar nicht so schwer. Du musst eben auf ein paar deiner amourösen Abenteuer verzichten und dich stattdessen hinter die Bücher klemmen. Wenn du willst, gehen wir heute Abend alles zusammen durch.«
Geknickt willigte Léonard ein. Was blieb ihm anderes übrig? Es verletzte seinen männlichen Stolz, zu erkennen, wie abhängig er von seiner Schwester war, denn sie war schließlich nur eine Frau. Aber sein Stolz würde es ebenfalls niemals zulassen, dem strengen Vater zu beichten, dass Charlotte seit Jahren für die Verbindlichkeiten des Geschäftes zuständig gewesen war. Spontan umarmte er sie und drückte ihr einen brüderlichen Kuss auf die Wange. »Du wirst mir fehlen, Schwester. Nicht nur, weil ich deine Hilfe sehr schätze, sondern auch, weil unsere Familie nun zum ersten Mal getrennt werden wird.«
Gerührt strich Charlotte über seine Hand. »Plötzlich so sentimental, Léonard?«, sagte sie frei von jeglichem Spott in der Stimme. »Ihr werdet mir auch fehlen, Du, die Schwestern und selbst Vater.« Sie seufzte, lächelte jedoch dabei. »Ja, auch Vater werde ich vermissen. Aber jetzt geh an deine Arbeit, bevor wir hier vor lauter Sentimentalität noch in Tränen ausbrechen.«
»Ganz bestimmt nicht! Als ob du mich schon jemals hast weinen sehen.« Léonard war wieder ganz Herr seiner Gefühle. Trotzdem beeilte er sich, das Zimmer zu verlassen, damit Charlotte nicht merkte, wie traurig es ihn stimmte, dass sie bald fortgehen würde. Sie war immer der ruhende Pol gewesen und diejenige, die auch ohne viel Worte die Familie zusammenhielt. Instinktiv ahnte Léonard, dass keine der verbliebenen Schwestern Charlotte würde ersetzen können.
Charlotte und Jean-Michel saßen im Salon zusammen. Da sie nun offiziell verlobt waren und in drei Tagen vor den Altar treten würden, durften sie sich allein, ohne eine Aufsichtsperson, in einem Zimmer aufhalten.
»Ich bin sicher, Château Montrouant wird dir gefallen. Das Anwesen liegt in einer Talsenke inmitten von Weinbergen.«
Charlotte rückte näher an ihren Verlobten heran, legte eine Hand auf die seine und drückte sie leicht. »Ich werde es lieben«, sagte sie schlicht. Tatsächlich freute sie sich auf Burgund. Sie hatte ihr ganzes Leben in der hektischen Betriebsamkeit von Paris zugebracht und war nur ein- oder zweimal über den Stadtrand hinausgekommen, sodass sie der ländlichen Ruhe und Abgeschiedenheit mit Vorfreude entgegensah. Langeweile befürchtete sie keine, denn die Mithilfe bei der Führung eines Weingutes war eine neue, reizvolle Aufgabe, die sie ganz und gar beanspruchen würde.
Im Kamin flackerte ein Feuer, und hinter den Fenstern senkte sich langsam die Abenddämmerung. Charlotte blieb noch eine halbe Stunde, bevor sie den Tisch für das Abendessen decken musste. Obwohl sie in drei Tagen das Haus verlassen würde, hatte sich an der Aufgabenverteilung nichts geändert. Neu war, dass Claudine und Adelaide kochten, und Charlotte fragte sich nicht zum ersten Mal, wie es mit dem Haushalt weitergehen würde, wenn sie fort war.
Es war eine romantische Stimmung, die selbst die sonst meist nüchterne Charlotte nicht unberührt ließ. Der Feuerschein spiegelte sich auf Jean-Michels dunklem Haar, das sich schimmernd wie Seide um sein Haupt legte. Bisher hatte er keine Anstalten gemacht, sie zu küssen. Außer ein paar flüchtigen Berührungen ihrer Hände hatten sie noch keine Zärtlichkeiten ausgetauscht. Sie erinnerte sich, dass sie vor einigen Monaten ihre Schwester Claudine erwischt hatte, wie sie mit Pierre in einer Seitengasse verschwunden war, um sich dort ausgiebig zu liebkosen und zu küssen. Claudine war es keinen Moment lang peinlich gewesen, von Charlotte überrascht zu werden. Stolz hatte sie den Kopf in den Nacken geworfen und gesagt: »Na und, was ist schon dabei? Wenn man sich liebt, dann möchte man den anderen immer berühren und küssen. Man kann gar nicht anders. Es ist wie ein Zwang, dem man machtlos ausgeliefert ist.«
»Aber hier mitten auf der Straße!« Charlottes Augen funkelten entrüstet. »Du benimmst dich wie ein billiges Frauenzimmer!«
»Keine Sorge, meine sittenstrenge Schwester, ich werde als Jungfrau in die Ehe gehen, wenn ich überhaupt jemals heiraten werde. Solange Vater so geizig ist, wird es für Pierre und mich nie eine gemeinsame Zukunft geben.«
An dieses Gespräch musste Charlotte denken, als sie Jean-Michel verstohlen von der Seite betrachtete. Nein, sie verspürte keinen inneren Zwang, ihn zu küssen oder von ihm geküsst zu werden. Sie konnte sich vorstellen, dass es ganz angenehm wäre, seine Lippen auf den ihren zu spüren, aber sie sehnte sich nicht danach. Jean-Michel war ruhig und zurückhaltend, man konnte ihn fast schon als schüchtern bezeichnen. Auch hatte er bisher nie von Liebe zu ihr gesprochen. Charlottes Vorstellungen von einer Ehe waren ohnehin nüchtern und realistisch. Was nützen einer Frau heiße Liebesschwüre und erregende Küsse? So schnell wie Leidenschaft kam, verflog sie häufig auch wieder. Was blieb, waren zwei Menschen, die nebeneinander lebten und sich nichts mehr zu sagen hatten. War es da nicht besser, eine Beziehung auf Sympathie und Freundschaft aufzubauen?
»Jean-Michel, warum willst du mich heiraten?«, entfuhr es Charlotte, bevor sie über die Worte nachgedacht hatte.
Überrascht drehte er sein schönes Gesicht zu ihr. »Hast du Zweifel, das Richtige zu tun? Das ist so kurz vor der Trauung normal«, wich er der Frage aus.
Aber Charlotte wollte nicht lockerlassen. »Warum ausgerechnet ich? Du, ein Adliger mit einem großen Besitz, hättest doch leicht ein Mädchen aus deinen Kreisen finden können. Wird dein Bruder eine Verbindung mit einer Bürgerlichen nicht ablehnen?«
Jean-Michels Züge verschlossen sich. »Ich will nicht über meinen Bruder sprechen.«
Seine Worte ließen Charlotte vermuten, dass es um das Verhältnis zwischen den Brüdern offenbar nicht zum Besten stand. »Um wie viele Jahre ist er jünger?«
»Wie kommst du darauf, dass er jünger ist?«
Erstaunt runzelte Charlotte die Stirn. »Nun, wenn du nicht der Ältere wärst, hättest du doch nicht den Besitz geerbt, oder? Wie heißt dein Bruder eigentlich?«
Plötzlich schlossen sich Jean-Michels Arme um sie, und er zog sie an seine Brust.
»Ach, lass uns nicht über meinen Bruder sprechen. Er ist unwichtig. Sag mir lieber, ob dir dein Hochzeitskleid gefällt.«
Charlotte hätte gerne mehr über diesen Bruder und Jean-Michels Gründe, ausgerechnet sie zu heiraten, erfahren. Sie spürte aber, dass er das Thema wechseln wollte, und sagte sich, dass sie bald das Château und den mysteriösen Bruder selbst kennenlernen würde. So erzählte sie Jean-Michel bereitwillig, wie gut die Schneiderin mit ihrem Hochzeitskleid vorankam, was in der Kürze der Zeit bemerkenswert war.
Die Zeremonie in der kleinen Kirche war nüchtern und schnell vorbei. Außer Charlottes Familie waren nur ein paar von ihren Nachbarn anwesend, zwei von ihnen fungierten als Trauzeugen. Als der Priester ihre Hände ineinander legte und sie zu Mann und Frau erklärte, beugte sich Jean-Michel vor und hauchte Charlotte einen Kuss auf den Mund. Seine Lippen waren kalt und berührten nur für den Bruchteil einer Sekunde die ihren. Danach wurde im Hause von Joseph Tronchat gegessen und getrunken. Als Brautvater war er nicht umhingekommen, die kleine Feier auszurichten. Charlotte konnte sich lebhaft vorstellen, wie diese Geldausgabe ihn schmerzte, aber immerhin war seine Tochter jetzt eine echte Comtesse. Einmal nahm er sie zur Seite und raunte ihr ins Ohr: »Ich hoffe, du weißt, wie dankbar du über deine neue Stellung in der Gesellschaft sein kannst. Du hast mehr erreicht, als ich es mir jemals für eine meiner Töchter erträumt hätte.«
Für einen Moment lehnte Charlotte sich zärtlich an ihren Vater. »Ich weiß es zu schätzen; Vater, und ich verspreche, dir keine Schande zu machen.«
Täuschte sie sich, oder schimmerte da tatsächlich eine Träne in seinem Augenwinkel? Aber Joseph Tronchat drehte sich schnell um und ging davon, so war der kleine, rührselige Moment vorbei.
Als es Zeit war, sich zur Nachtruhe zu begeben, erhob sich Charlotte zögernd und folgte ihrem Mann. Zwar war sie behütet aufgewachsen, aber weder taub noch blind, und sie lebte in einer großen Stadt. Obwohl sie nicht genau wusste, was sich im Detail zwischen Mann und Frau im Bett abspielte, hatte sie oft genug gehört, dass es für die Frau eine peinliche Angelegenheit war. Da Charlotte ihr Zimmer bisher mit den Schwestern geteilt hatte, Jean-Michel jedoch ein eigenes bewohnte, stand es für sie außer Frage, dass sie nun ihrem Mann folgen würde. Sehr zu ihrem Erstaunen führte er sie jedoch zu ihrem alten Zimmer. Vor der Tür schloss er sie kurz und leidenschaftslos in die Arme und hauchte ihr einen Kuss auf den Scheitel.
»Wir brechen morgen sehr früh auf. Daher sollten wir jetzt schnell schlafen gehen, damit wir frisch und ausgeruht sind.«