In geheimer Mission - Tino Keller - E-Book

In geheimer Mission E-Book

Tino Keller

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Beschreibung

Vier spannende Fälle von Detektiv Gummimann. Der Detektiv mit der Fähigkeit, sich gross und kleinzumachen. Nur wenige wissen davon und das ist auch gut so! Fall eins: 'Der arabische Falke'. Die goldene Statue eines Falken wird aus einem Museum gestohlen. Der Falke ist sehr gefährlich, er kann bei falscher Handhabung zum Tode führen. Seinen Auftrag, ihn zu wiederzufinden. Fall zwei: 'In geheimer Mission'. Aus Fort Knox verschwindet Gold. Da es nur nachts geschieht, bekommt er den Auftrag den Dieb zu finden. Nachts kann man sich nur als kleine Person im Goldlager aufhalten. Er macht dabei eine verrückte Entdeckung. Fall drei: 'Es geschah bei Micky'. Bei seinem Besuch in Disney World beobachtet er, wie ein Junge entführt wird. Er verfolgt die Entführer. Da alles schnell gehen muss, hat er keine Möglichkeit, Hilfe zu holen. Beim Verfolgen kommt er zu einem einsamen alten Fort. Erreichen kann er niemand mehr, aber den Jungen will er befreien. Vierter Fall: 'Nächtliche Diebe'. In einem Geschäft muss er in einem Lager Diebstähle in der Nacht aufklären und gerät dabei in schwierige Situationen. Die Geschichten sind für jedes Alter lesenswert, spannend und humorvoll.

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Tino Keller

 

In geheimer Mission

Vier Fälle von Detektiv Gummimann

 

 

 

 

Der arabische Falke

Israel

 

 

In geheimer Mission

USA Kentucky

 

 

Es geschah bei Micky

USA Florida

 

 

Nächtliche Diebe

Schweiz

 

 

Ein grosses Dankeschön an alle, die 2014 die Geschichten korrigiert und lesbar gemacht haben.

 

Wer ist Detektiv Gummimann

Wie sein Name, so ist auch er besonders! Kennt man seine Fähigkeit, weiss man, warum er so heisst. Er kann seine Grösse verändern, sich gross und klein machen. Klein wie eine Maus und ungefähr drei Meter gross. Er muss es nur wollen, schon schrumpft oder wächst er. Doch lange kann er nicht in der veränderten Grösse bleiben, denn je kleiner oder grösser er sich macht, desto anstrengender wird es für ihn. Er selbst beschreibt es so: Es ist, wie wenn man dringend aufs Klo muss und nicht kann, und es braucht Kraft.

Detektiv Gummimann hält seine Fähigkeit geheim und nur seine engsten Kollegen wissen davon. Würde es publik werden, würde das Interesse an ihm so gross, er könnte seinen Beruf als Privatdetektiv nicht mehr ausüben. Aber das Kennen seiner Fähigkeit wird auch geschützt, sollte ihn jemand beobachten und will es weitererzählen, so vergisst er es wie ein Traum. Nur wenn man das Geheimnis nicht weitergibt, bleibt es.

Diese vier Geschichten gehören zu den ersten, die es in schriftlicher Form gibt, vorher hatte ich sie nur erzählt. Detektiv Gummimann ist eigentlich nicht meine Erfindung. Als ich im Alter von zehn Jahren in das Pfingstlager der Wölfli ging, das ist die jüngste Pfadfinderstufe, erzählten uns die Leiter vor dem Einschlafen eine Gummimanngeschichte. Sie handelte von Fort Knox, im Buch heisst sie ‘In geheimer Mission’. Ich habe sie dann noch erweitert. Die Geschichte gefiel mir, gerade Gummimann mit seiner Fähigkeit sich gross- und kleinzumachen, war spannend.

Lange vergass ich sie wieder. Als ich selbst mit Kindern zu tun hatte, begann ich Geschichten von ihm zu erzählen. Ich erfand Hunderte, kann mich aber nur noch an wenige erinnern. Viele waren vielleicht nicht so gut, aber die Grundidee machte das Erzählen spannend.

Als ich mit der Jugendarbeit aufhörte, hörte ich auch mit dem Erzählen auf, bis 2011 Bekannte heirateten. Die Braut wünschte sich von mir die Geschichte, ‘der arabische Falke’ in geschriebener Form und machte es zur Bedingung für die Teilnahme an der Hochzeit. Es wurde die erste Geschichte, die ich schrieb.

Das Schreiben fiel mir am Anfang schwer. Beim Erzählen konnte ich Wiederholungen machen, konnte Fehler im Ablauf durch geschicktes Erklären ausbessern und auch unlogische Sachen wurden problemlos geschluckt. Beim Schreiben ging das nicht mehr, alles musste stimmen, die Orte mussten immer gleich sein.

Die vier Geschichten habe ich in diesem Buch überarbeitet und falls nötig gekürzt, vereinfacht, Unnötiges weggelassen, gestrafft und Teile neu geschrieben. So wurden sie noch spannender und besser lesbar. Ich hoffe, sie gefallen. In der ersten Ausgabe ‘Gummimann legt los’, ist noch die Geschichte ‘Das Preisausschreiben’ dabei. Die kann man jetzt auf meiner Homepage: tinokeller.ch, als PDF gratis herunterladen.

Es gibt noch mehr Bücher mit Gummimann: Die Geschichten ‘Das Geheimnis der Bilder und ‘Nachtjäger’, sind überarbeitet im Buch ‘Der Herr des Lichtes’ zu finden. Sehr spannend sind die Gummimannbücher ‘Zeitspiele’, ‘Pferde im Nebel und ‘Das Labyrinth von Grubenberg’. Als letztes Buch mit Gummimann schrieb ich ‘Das Versprechen’, doch ich habe es ohne Gummimann umgeschrieben und heisst jetzt ‘Verkauft’. Das Thema der Geschichte war für eine Gummimanngeschichte ungeeignet.

Ob es noch weitere Bücher mit Detektiv Gummimann geben wird, steht noch in den Sternen.

 

Tino Keller Therwil, Oktober 2024

 

 

 

 

 

 

 

 

Der arabische Falke

 

 

Bei Gummimann zu Hause

Gibt es etwas Schöneres, als nach einem langen Arbeitstag nach Hause zu kommen, sich ein kleines Bier zu gönnen und sich gemütlich vor den Fernseher zu setzen? Detektiv Gummimann genoss diesen Augenblick.

Mit seiner Fähigkeit sich gross- oder kleinzumachen, war er ein gefragter Detektiv. Sein Fingerring war daran schuld, mit dem konnte er seine Körpergrösse ändern. Aber er brauchte ihn immer seltener und bald überhaupt nicht mehr. Er war durch und durch Detektiv, hatte viele Fälle gelöst und sich oft in gefährlichen Situationen befunden, aber es machte ihm Spass.

Zuerst wollte er sich ein paar Krimis ansehen und sich dann aufs Schlafen freuen. Mit der Fernbedienung wählte er den gewünschten Sender und liess sich in seinen TV-Sessel sinken. Noch fünf Minuten, dann beginnt CSI New York.

Doch sein Handy meldete sich, mit der Melodie von Axel F.

»Oh nein, muss das sein? Ich will einfach meine Ruhe haben!« Gummimann nahm ab: »Detektiv Gummimann am Apparat«.

»Sie müssen sofort kommen! Es ist etwas Schlimmes geschehen. Ich…«

»Hallo, wer spricht?«, unterbrach Gummimann den aufgeregten Anrufer.

»Entschuldigung Herr Gummimann, ich bin ausser mir. Ich bin es, Dr. David Donken, Direktor des Völkermuseums. Sie müssen sofort kommen! Mir ist bewusst, es ist schon spät, aber ich weiss nicht, was ich tun soll.«

Gummimann merkte, Direktor Donken war ziemlich durcheinander und aufgeregt.

»Alles mit der Ruhe Dr. Donken. Erzählen Sie, was geschehen ist?«, versuchte er ihn zu beruhigen.

Er hörte den Direktor tief Luft holen: »Der arabische Falke ist gestohlen worden, Wert 500‘000.- Franken. Bitte kommen Sie schnell. Der Falke ist sehr gefährlich und ich möchte keine Polizei im Haus.«

 

Direktor Donkens Panik

Gummimann fuhr sofort los und konnte schon bald das grosse Gebäude des Völkerkundemuseums sehen. Er parkte seinen Wagen direkt davor. Direktor Donken wartete schon auf der Treppe beim Eingang auf ihn. Aufgeregt winkte er Gummimann, sich zu beeilen.

Er hetzte die Treppe hinauf, und der Direktor zog ihn in die Eingangshalle des Museums.

Der kleine etwas mollige Mann, fand kaum Worte: »Es ist schrecklich, ich bin… Ich weiss nicht, oh es ist schrecklich!«

»Beruhigen Sie sich Dr. Donken! Guten Abend, übrigens. Jetzt bin ich ja da.«

»Vielen Dank, dass Sie so schnell kommen konnten, Herr Gummimann. Es ist eine grosse Katastrophe, der arabische Falke wurde gestohlen und das in meinem Museum. Keine Ahnung, wie das möglichwar. Einfach weg, 500‘000 Franken, echt Gold, unersetzlich und gefährlich. Kommen Sie, ich zeig es Ihnen!«

Gummimann konnte nichts fragen, der Direktor rannte fast durch die Gänge, er hatte Mühe, ihm zu folgen. Vor einem grossen Lift, der mit einem Zahlencode gesichert war, mussten sie einen Moment warten.

»Gefährlich, wieso gefährlich? Der lebt nicht, ist keine Bombe. Sie übertreiben doch nicht etwa, Dr. Donken?«

Der Direktor verwarf seine Hände. »Sie haben ja keine Ahnung!«

Sie fuhren mit dem Lift einige Stockwerke nach unten.

»Ich werde es Ihnen zeigen und erklären!«

»Da bin ich ja mal gespannt.«

Durch eine grosse, sicher zwanzig Zentimeter dicke Tresortür betraten die beiden den Hochsicherheitsraum, der mit wertvollen Museumsstücken gefüllt war, die wegen ihres Wertes nicht ausgestellt werden konnten.

Der Direktor ging zielstrebig auf einen Metallschrank zu und öffnete ihn mit zwei verschiedenen Schlüsseln. Dann holte er eine kleine, circa dreissig Zentimeter grosse Statue eines Falken heraus.

»Das ist der arabische Falke. Im Original aus echtem Gold und mit einem echten Diamanten bestückt.«

Der Direktor zeigte auf den Diamanten, der zwischen den Augen beim Falken in das Gold eingelassen war.

»Und der soll gefährlich sein?«, staunte Gummimann.

»Schauen Sie in den Diamanten, spüren Sie etwas?«

Gummimann schüttelte den Kopf: »Sollte ich etwa?«

»Das ist es ja, bei diesem spürt man nichts, darum kann es nicht der Echte sein. Er ist zwar mit Gold überzogen, aber nur Blattgold in sehr schlechter Qualität? Die Kanten sind nicht geschliffen und er ist an vielen Stellen zerkratzt. «

Der Direktor setzte sich schwer auf einen Stuhl neben dem Metallschrank. Er stellte den falschen Falken auf einen kleinen Tisch, wischte sich den Schweiss aus dem Gesicht, holte tief Luft und erklärte: »Der richtige Falke ist durch einen Fluch geschützt. Wenn jemand in das mittlere Auge, den Diamanten, blickt, dann spürt man zuerst nur ein Zerren oder Surren im Kopf, dann, nach kurzer Zeit wird das Denken immer schwieriger, man wird immer verwirrter und am Schluss stürzt man sich in einen Fluss oder springt von einer Brücke oder erschiesst sich, was immer man sich aussucht. Darum ist der Originalfalke so gefährlich.«

Gummimann betrachtete den Falken etwas genauer.

»Aber wie konnten Sie die Fälschung feststellen? Sie hätten ja direkt in den Diamanten blicken müssen!«

Der Direktor nickte: »So war es auch. Es gibt oft Besucher, die sich hier diese Stücke ansehen wollen, und so war das auch heute. Ein Archäologe aus Indien wollte den Falken unbedingt sehen. Ich stellte ihn hier auf diesen Tisch. Das Auge war mit einem Klebeband verdeckt, doch der Inder war davon so begeistert, dass er den Schutz wegriss, bevor ich ihn zurückhalten konnte. Er schaute in das mittlere Auge und nichts geschah. Mir wurde beinahe schlecht. Ich führte die Besucher sofort wieder hinaus. Dann habe ich festgestellt, dieses Ding hier, war nur vergoldet, der Diamant falsch. Ja, den Rest kennen Sie.«

Gummimann sah sich um, keine Fenster, keine Lüftungsschächte, und eine zwanzig Zentimeter dicke Sicherheitstür.

Er schüttelte verständnislos den Kopf: »Wie war das möglich? Hat noch jemand Zugang zu diesem Raum?«

»Ja schon, aber Dr. Ballmer ist seit zwei Wochen in den Ferien.«

»Dann muss es ein Besucher gewesen sein, aber das hätten Sie eigentlich merken müssen.«

Dem Direktor konnte man die Verzweiflung ansehen.

»Eigentlich schon, richtig, aber ich habe es trotzdem nicht bemerkt.«

»Wer war denn der letzte Besucher, der den Falken ansehen wollte?«

Dr. Donken überlegte kurz: »Eigentlich waren da nur die Israelis. Sie kamen zu zweit. Sie sagten, sie seien Archäologen des Völkerkundemuseums in Jerusalem. Sie wollten den Falken unbedingt sehen. Aber ich war etwas verwirrt. Einer sah nicht wie ein Israeli aus, obwohl sein Pass das bestätigte, aber es gibt natürlich auch osteuropäische Juden, die in Israel wohnen.«

»Denen haben Sie den Falken gezeigt, richtig?«

»Richtig, der Ältere mit Schnauz, dieser Papadopoulos oder wie er hiess, drehte ihn sogar um und meinte, es würde »Made in China« draufstehen. Was für eine Beleidigung und das in unserem Museum! Doch dieser hier ist vermutlich tatsächlich ‘Made in China’. Vielleicht war es dann schon der Falsche, was ich aber nicht glaube.«

Gummimann betrachtete den Falken genauer.

»Sieht tatsächlich etwas billig aus. Sogar ich kann erkennen, dass er nicht echt ist.«

»Sehen Sie? Schande über Schande! In meinem Museum! Sie müssen den richtigen Falken finden, die Kosten sind egal, Hauptsache, ich bekomme ihn wieder, und niemand erfährt etwas von dieser Blamage.«

Gummimann schmunzelte: »Jetzt brauche ich alle Infos über die Besucher, über den Falken und ein Flugticket nach Jerusalem. Haben Sie die Namen der Israeli?«

»Hier sind die Namen, aber ob sie wirklich stimmen, ist fraglich. Der eine nannte sich Papadopoulos, der andere, Kaiser, Shlomo Kaiser. Er sagte, er sei der Direktor des Völkerkundemuseums von Jerusalem. Auf unseren Überwachungskameras kann man sie sogar sehen.«

In einem kleinen Raum nahe dem Eingang sahen sie sich die Aufzeichnungen an. Shlomo Kaiser sah man nur von hinten, er trug eine jüdische Kippa, wie man die Kopfbedeckung bei den Juden nennt, und hatte wenige, sichtbare graue Haare. Papadopoulos war besser zu sehen, mit seinem grossen, schwarzen Schnauz. Er war ein typischer Grieche, kräftig gebaut und elegant gekleidet.

Gummimann machte sich Notizen und meinte dann: »Bald fliege ich nach Israel, und werde mich mit Herrn Kaiser in Verbindung setzen.«

 

Israel

Eigentlich sollte er vom Direktor des Museums hier am Flughafen in Tel Aviv abgeholt werden. Eigentlich! Er wartete seit einer Stunde, doch niemand kam. Sicher, am Telefon war dieser Shlomo Kaiser etwas seltsam, er schien verunsichert zu sein, aber er versprach, ihn abzuholen. Gummimann suchte das nächste Telefon.

»Hallo, hier Detektiv Gummimann. Ich möchte mit Shlomo Kaiser sprechen. Was? Ich verstehe Sie nicht. Shlomo Kaiser bitte. Was?«

Die Dame am anderen Ende sprach nur Hebräisch.

Bald knackste es und ein Mann meldete sich: »Sie wollen mit Shlomo sprechen? Leider ist er im Moment nicht erreichbar, kann ich ihm etwas ausrichten?«

»Ich habe mit ihm abgemacht, dass er mich am Flughafen abholt.«

»Davon weiss ich nichts. Wie gesagt, er ist im Moment nicht erreichbar. Versuchen Sie es später noch mal.« Das Gespräch wurde abrupt abgebrochen.

Gummimann kochte vor Wut. Was sollte das? Es schien doch alles perfekt. Kaiser hatte ihm noch genau erklärt, wo er warten soll. Unverständlich.

Er nahm sein weniges Gepäck und suchte sich ein Sherut-Taxi nach Jerusalem.

Die Fahrt dauerte lang und war unbequem. Das Sammeltaxi war bis auf den letzten Platz und noch darüber hinaus gefüllt. Gummimann kämpfte mit seinem Magen. Auch hätte er am liebsten seine Nase draussen gelassen, irgendwer hatte Blähungen und Knoblauch und Zwiebeln schienen hier sehr beliebt zu sein.

»Halten Sie bitte beim Völkerkundemuseum!«

Der Fahrer nickte, er schien ihn verstanden zu haben und hielt an. Endlich frische Luft!

Das Museum war ein supermoderner Bau. Ein grosses, rundes Fenster beim Eingang verband zwei runde Gebäude. Es gab keine rechten Winkel, mindestens sah es so aus. Auch die Treppe war rund, mit Stufen in verschiedenen Abständen. Und die Farbe, ein leuchtendes Gelb, endete an einem Kupferdach. Ein bisschen erinnerte ihn das Gebäude an die Farbeimer, die er beim Renovieren seiner Wohnung brauchte, nur viel grösser. Nach seinem Geschmack etwas zu viel des Guten. Ein kleiner, künstlicher Wasserfall rauschte vor dem Eingang und ein paar Vögel tummelten sich um das Wasser. Interessant war das Kunstwerk auf dem Vorplatz, grosse viereckige Stangen, die entfernt an ein Klettergerüst erinnerten und sich in alle Richtungen drehen liessen. Jeder konnte so das Kunstwerk nach seinem Geschmack gestalten.

Die Eingangshalle war leer. Sanfte, orientalische Musik spielte. Eine Empfangstheke, die im Moment nicht bedient wurde, stand in der Mitte und an der Wand hingen Bilder von wichtigen Museumsmitarbeitern, angeschrieben mit deren Namen. Auch Shlomo Kaiser war dabei. Doch irgendetwas irritierte Gummimann an diesem Bild, aber er konnte nicht erkennen, was es war. Normalerweise müsste es hier von Touristen wimmeln.

»Sie wünschen?«

Gummimann erschrak, er hatte niemanden kommen sehen. Ein älterer Herr kam auf ihn zu.

»Ich bin doch hier im Völkermuseum?«, fragte Gummimann unsicher.

Der Mann schmunzelte: »Richtig, Sie sind hier im Völkermuseum. Aber heute ist ein Feiertag, da kommen nicht viele Leute. Wir sind am Fasten, Jom Kippur.«

»Gummimann, mein Name, ich will zu Shlomo Kaiser und habe hier mit ihm abgemacht.«

Auch der ältere Herr trug eine traditionelle jüdische Kippa. Er rieb sich die Hände und schmunzelte. »Goldstein«

»Wie bitte?«

»Goldstein, mein Name. Ich vertrete Herrn Kaiser. Er ist leider heute nicht hier.«

Gummimann schüttelte den Kopf: »Das verstehe ich nicht, Herr Goldzahn.«

»Stein« korrigierte der Grauhaarige, leicht genervt.

»Entschuldigung Herr Zahnstein, ich…«

»G O L D S T E I N ist mein Name.«

Gummimann war es peinlich, doch er liess nicht locker: »Shlomo Kaiser hatte mir zugesagt, hier zu sein. Es geht um den arabischen Falken. Herr Kaiser war mit einem anderen Herrn, vermutlich ein Grieche, im Museum bei uns in der Schweiz und hatte sich über den arabischen Falken informiert und ihn sich auch angesehen, darum hätte ich ein paar Fragen an ihn.«

Goldstein wirkte für einen Moment unsicher, ein wenigerschrocken. Er wusste etwas, aber er hatte sich sofort wieder unter Kontrolle: »Es tut mir leid, ich kann Ihnen wirklich nicht weiterhelfen, Shlomo ist vielleicht morgen wieder da. Wenn Sie Pech haben, erst übermorgen. Es steht mir nicht zu, ihnen Auskunft zu geben, ich bin nur sein Stellvertreter. Sie entschuldigen mich, Sie müssen jetzt gehen, ich will schliessen. Kommen Sie morgen wieder.«

Er wollte Gummimann loswerden, darum komplimentierte er ihn höflich, aber diskussionslos hinaus.

Irgendetwas musste faul an der Geschichte sein, überlegte Gummimann, Shlomo war nett am Telefon, aber dieser Zahnstein oder wie er hiess, ist ein komischer Kauz… Was weiss er? Als ich den Falken erwähnte, war er erschrocken.

Auf Biegen und Brechen wollte er herausfinden, was sich hier abspielte.

Ein schmaler Weg führte um das Gebäude. Gummimann suchte nach einem offenen Fenster oder einer anderen Möglichkeit ins Museum zu kommen. Ein gelbes Auto fuhr die Strasse hinauf und hielt vor einem Seiteneingang. Ein Mann stieg aus und brachte eine Pizza. Eigentlich durfte man um diese Zeit nicht essen, erst um 18.00 Uhr war das Fasten zu Ende. Wie auch immer, Gummimann nutzte die Gelegenheit und versteckte sich in der Nähe des Lieferanteneingangs. Der Fahrer klopfte dort an die Tür. Er war jetzt höchstens zwei Meter von ihm entfernt. Gummimann berührte seinen Fingerring und machte sich kleiner.

Noch brauchte er den Ring, um seine Körpergrösse zu verändern, doch immer öfter gelang es ihm nur mit Gedanken. Es wird nicht mehr lange dauern und der Fingerring verschwindet für immer.

»Die Pizzas!«, rief der Fahrer.

Die Tür öffnete sich. »Sind Sie verrückt, hier so in der Gegend herumzuschreien? Es muss niemand wissen, dass wir Pizzas bestellt haben. Was bin ich ihnen schuldig?«

Der Fahrer entschuldigte sich und nannte einen Betrag.

Gummimann ging leise in klein näher zu den Männern. Während die noch um den Preis verhandelten, schlich er an ihren Beinen vorbei durch die Tür.

»Vielen Dank und bis zum nächsten Mal!«, verabschiedete sich der Pizzafahrer, der andere murmelte etwas, schloss die Tür und verschwand in einem Zimmer.

Gummimann kannte ihn nicht, es musste ein Angestellter des Museums sein. Noch immer hörte er ihn über das laute Rufen des Pizzafahrers schimpfen.

Wieder in normaler Grösse ging er dem Gang entlang zu einer Treppe. Er stieg hinauf und kam ein Stockwerk höher in einen weiteren Gang. Er suchte einen Computer. Dort war es ruhig, dafür musste er sich auf Kameras achten. Doch er sah keine. Der Gang ging in die grosse Eingangshalle und zu weiteren Räumen.

Um zu einem Computer zu kommen, musste er in ein Büro. Da die Türen in Hebräisch angeschrieben waren, war es ein Glücksspiel, zu wissen, was sich dahinter befand. Zuerst horchte er, dann versuchte er, die Tür aufzumachen. Die Erste war abgeschlossen, und bei der Zweiten stiess er auf Besen, Eimer und Gestelle mit Putzmittel. Es war nicht das, was er suchte. Bei der nächsten Tür hörte er nichts und er konnte sie öffnen. Es war ein Büro und es war niemand da. Ein eingeschalteter Computer stand auf einem Schreibtisch und mehrere Schubladen waren offen, als ob jemand etwas gesucht hätte. Die Rollläden waren heruntergelassen, vermutlich der Hitze wegen. Er wollte sich vor den Computer setzen, da hörte er rasch näherkommende Schritte. Die Tür sprang auf, und er konnte sich gerade noch klein in einer offenen Schublade verstecken. Als er über den Rand schaute, erkannte er Goldstein, der sich vor den Computer setzte. Um den Bildschirm zu sehen, musste sich Gummimann ziemlich weit aus der Schublade lehnen. Doch Goldstein bemerkte ihn nicht. Er sah, Goldstein suchte nach dem arabischen Falken und das erstaunte ihn. Es war ein englischsprachiges Programm des Museums, sodass es auch für Schweizer Detektive lesbar und verständlich war. Genau danach wollte er suchen. Er musste sich noch weiter hinauslehnen und hoffte, nicht bemerkt zu werden, doch Goldstein war so in seine Sucherei vertieft, dass er wenig zu befürchten hatte. Dort las er, der arabische Falke kam ursprünglich aus einem Felsenkloster in der Nähe von Jericho. Für Goldstein war die Suche damit beendet, für Gummimann auch. Goldstein stellte den Computer aus, schloss sämtliche Schubladen und ging.

Durch das heftige Schliessen der Schublade war Gummimann hinter ein paar Gummis und Ausweise geschleudert worden. Es war ihm leicht schwindlig, aber nach ein paar Sekunden hatte er sich erholt und rappelte sich auf. Er zwängte sich durch Gummis, Bleistifte und Papiere nach vorne. Dort hielt er sich an der oberen Kante der Schublade fest und konnte sie so mit den Beinen aufstossen. Als er wieder in normaler Grösse auf dem Boden stand, untersuchte er die Ausweise, die er, als er durch die Schublade flog, gesehen hatte. Alle waren von Shlomo Kaiser.

Er fragte sich: Was hatte Goldzahn mit dem Verschwinden Shlomo Kaisers zu tun. Weiss er, wo er ist? Gut informiert war er sichtlich nicht, sonst hätte er nicht nach dem arabischen Falken gesucht, doch er war erschrocken, als er ihn erwähnte.

Das Verlassen des Gebäudes war zum Glück einfach. Der Mitarbeiter im unteren Stock hatte sich beruhigt, und schaute lautstark irgendein Fussballspiel oder was Ähnliches. Gummimann, bestellte ein Taxi und machte sich auf den Weg ins Hotel. Sein nächster Besuch galt dem Felsenkloster.

 

Das Felsenkloster

›1120 Stufen führen zum Eingang des Klosters‹, so stand es gross auf einer Tafel am Beginn des Aufstiegs. Gummimann seufzte. Das könnte anstrengend werden, vierzig Grad im Schatten und er kein super Sportler. Aber es musste sein. Mit einer grossen Wasserflasche im Gepäck stand der Besteigung eigentlich nichts mehr im Wege.

Das Kloster wurde vor langer Zeit in mehreren Hundert Meter Höhe in die Felsen gebaut. Er bewunderte die Leistung der damaligen Erbauer. Von unten konnte man verschiedene Gebäude und kleine Türme mit blauen Dächern sehen und aus einem Kamin stieg Rauch.

Es wäre nicht einfach, hineinzukommen, sagte man ihm an der Empfangstheke im Hotel, doch er könnte es ja versuchen. Auch wusste er nicht, welcher Religion das Kloster angehörte.

Also auf gehts! Schon nach den ersten zweihundert Stufen musste er eine kurze Pause einlegen und trinken. Viel trinken, wurde ihm nahegelegt.

Er ging weiter, kam an Statuen und gemalten Bildern vorbei, die den Weg illustrierten. Zeit, sie gross zu betrachten, hatte er nicht, er musste sich auf den Weg konzentrieren. An einigen Stellen gab es kein Geländer, sodass man ungeschützt Richtung Jericho blicken konnte. Doch der Weg war breit, man musste einfach nahe den Felsen entlang gehen. Nach fünfhundert Stufen, eine weitere Rast.

»Wäre dumm, wenn man erst oben merken würde, dass man die Schlüssel für das Tor, im Auto vergessen hat«, sagte er laut zu sich und musste lachen, und quälte er sich weiter den Weg hinauf.

Die Stufen wurden zu einem steilen Weg, der wieder in Stufen endete. Nach einer Dreiviertelstunde konnte er endlich den Eingang sehen. Ein schweres Eichentor versperrte den Weg ins Kloster. Davor war eine grosse Glocke angebracht. Gummimann musste zuerst zum Atmen kommen, dann läutete er mehrmals und wartete.

Nichts geschah. »Darf doch nicht wahr sein, dieser Stress und das für nichts!«, er fluchte leise.

Nochmals läutete er, dann hörte er endlich Schritte. Ein kleines, im Tor eingelassenes Fenster wurde geöffnet und ein alter, bärtiger Mann mit Augen, die von den Brauen beinahe überdeckt wurden, blickten ihn ungläubig an.

»Ich bin Detektiv Gummimann. Ich würde gerne etwas über den arabischen Falken erfahren, da…«

Das Fenster wurde zugeschlagen, die Schritte entfernten sich. Gummimann klopfte und läutete nochmals und nochmals, aber nichts geschah, die Audienz war vorbei und das extrem kurz.

Doch aufgeben wollte er auf keinen Fall. Es musste einen anderen Weg in dieses Kloster geben. Über das Tor war nicht möglich, da es zwischen den Felsen eingeklemmt war. Das Gebäude zur Linken war genauso unüberwindlich und auf der rechten Seite waren, wie konnte es anders sein, Felsen. Doch unterhalb des Gebäudes schaute eine etwa zwanzig Zentimeter lange Steinrinne aus der Mauer, bei der Wasser ins Tal tropfte. Der Gedanke dorthin zu klettern, um durch diese ins Gebäude zu kommen, liess Gummimann erschaudern. Er blickte entsetzt in die scheinbar bodenlose Tiefe. Seine Höhenangst machte sich bemerkbar.

Anderthalb Meter bis zur Rinne sollten eigentlich zu schaffen sein, versuchte er sich zu überzeugen. Doch dazwischen war der Abgrund, ein Katzensprung würde es nicht werden. Sein Herz flatterte.

Er kletterte über das Holzgeländer, machte sich etwas grösser und konnte so mit einer Hand die Rinne erreichen und mit der anderen, sich am Geländer festhalten. Dann machte er sich kleiner, liess das Geländer los und hing nun an der Rinne über dem Abgrund. Zu klein durfte er sich nicht machen, sonst hätte er sich dort nicht mehr festhalten können. Er zog sich auf die Rinne. Ohne einen Blick nach unten zu werfen, setzte ersich hin, lehnte sich an die Wand des Gebäudes und schloss die Augen.

Entspannen, einfach entspannen, es gibt kein Zurück, ich muss weiterkommen.

Nach einigen Minuten war er so weit. Er machte sich noch kleiner und kletterte ins Rohr, das ins Gebäude führte. Es war dunkel und feucht, seine Schuhe waren sofort nass. Aber was solls bei vierzig Grad im Schatten, waren sie schnell wieder trocken. Zuerst ging es mehrere Meter steil nach oben. Dabei musste er sich so gross machen, damit das Berühren der Wand, das Rutschen verhinderte. Dann teilte sich das Rohr in mehrere Rohre in verschiedenen Richtungen auf. Gummimann wählte das Rohr, das weiter nach oben ging. Sehen konnte er nichts, er vermisste die Taschenlampe, die mit seinen Sachen vor dem Tor lag.

Doch dann sah er eine helle Stelle und etwas später erreichte er einen Raum, mit einem offenen Zugang zum Kloster. Er kletterte aus dem Abflussrohr und rutschte erschöpft auf den Boden und machte sich gross. Er war in einer Waschküche.

Nach einer kurzen Erholungspause sah er sich um. Im Raum stand ein noch warmer Holzofen für heisses Wasser und ein Waschzuber. Einige Kutten lagen auf einem Tisch nahe dem Eingang unter einem kleinen Fenster für Licht und Lüftung. Eigentlich braute es das nicht, es gab keine Tür.

Gummimann vergewisserte sich, nicht entdeckt worden zu sein, nahm eine Kutte und zog sie an. Die Kapuze über den Kopf gezogen, machte er sich auf den Weg durchs Kloster. Es war niemand zu sehen. Alles war ruhig. Das Kloster war grösser, als es von unten aussah. Der Weg war schmal und auf beiden Seiten waren Gebäude. Die, auf der Seite des Felsens, waren in den Stein gebaut. Aber es gab auch Stellen, von wo man ins Tal und über die Ebene blicken konnte.

Die Sonne stand schon tief am Horizont und würde bald untergehen, er musste sich beeilen. Nur, wo ist der Mönch, der muss ihm doch Auskunft geben? Er lief der schmalen Gasse entlang und versuchte ergebnislos, jede Tür zu öffnen. Der Weg endete an einer kleinen, in den Fels gebauten Kapelle. Hier war das Tor offen. Gummimann blickte vorsichtig hinein. Auch hier war niemand, doch er sah einen Altar, auf dem neben einer brennenden Kerze ein Buch lag. Es war offen, als ob erwartet würde, dass man darin liest. Er vermutete eine Bibel. Vorbei an vier Holzbänken ging er näher. Das Buch war alt. Die Kerze hell genug die aufgeschlagenen Seiten zu lesen. Und was er dann dort las, liess sein Herz höherschlagen: Der Fluch des arabischen Falken.

Wie kann das sein, ist es Zufall oder hatte man mich erwartet?

Er studierte die Seite lange. Sie war erstaunlicherweise auf Deutsch! Nicht Hebräisch, nicht Englisch, nein Deutsch!

Einige Sätze schienen die Wichtigsten zu sein:

 

Blinzeln in die Viertelssonne,

bringt zurück verlorene Wonne.

Ohne Sonne, ohne Glück.

wandert er zum Ort zurück!

 

Gummimann war verblüfft, obwohl er nicht verstand, was die Worte aussagen wollen. Er war ins Lesen vertieft, als ihn ein Geräusch aus seinen Gedanken riss.

Er blickte sich um, jemand musste in der Kapelle sein.

»Hallo, ist da jemand?«

Aus dem Dunkeln löste sich ein Schatten.

»Es wird Zeit, das Kloster zu verlassen«, der alte Mönch mit den grossen Augenbrauen kam auf ihn zu. »Ich habe dich erwartet, aber ich musste sicher sein, dass du der Richtige bist.Nur Gummimann kann durch die Waschküche in unser Kloster klettern. Ich hatte alles vorbereitet und du weisst jetzt alles, was du zu wissen brauchst.«

Der Alte nahm Gummimann die Kutte ab und führte ihn, ohne ein weiteres Wort zu sagen, zum Ausgang.

Nun wusste er zwar mehr, aber noch immer nicht, wo der arabische Falke zu finden war. Warum der Mönch ihn erwartet hatte und ihn kannte, würde er wohl nie erfahren.

Es wurde langsam dunkel. Hungrig und müde fuhr er mit dem gemieteten Auto in sein Hotel in Jerusalem.

Ein seltsamer Tote

Das Frühstück war reichhaltig, es gab alles, was das Herz begehrte. Sogar die Jerusalem Post lag auf seinem Tisch bereit.

Gummimann nahm gerade den ersten Bissen seines Brötchens, als dieser ihm schon beinahe im Halse stecken blieb. Auf der Titelseite stand in grossen Lettern:

 

Selbstmord von Shlomo Kaiser in der Wüste!

Der Direktor des Völkerkundemuseums von Jerusalem, Shlomo Kaiser, wurde tot in der Wüste Negev aufgefunden. Es wird Selbstmord vermutet.

 

Shlomo Kaiser tot! Ein Selbstmord! Gummimann konnte es kaum fassen. Sicher, er hatte am Telefon etwas seltsam geklungen. Aber Selbstmord, unmöglich! Vielleicht hatte er Probleme, von denen niemand wusste. Der Hunger war ihm vergangen, er packte die Zeitung ein und ging zur Rezeption.

»Können Sie mir sagen, wo das in der Negev Wüste ist?« Gummimann wies auf den Zeitungsartikel hin, dort war der Ort angegeben.

Der junge Mann schaute es sich an und meinte: »Wir waren schon mal dort, das heisst meine Frau und ich, aber damals waren wir noch nicht verheiratet. Sie wissen schon, wir hatten dort Ruhe gesucht. Ich hole eine Karte. Einen Moment.«

Bald erschien er wieder, und legte eine grosse Karte auf dem Tresen. Mit einem Kugelschreiber kennzeichnete er die ungefähre Stelle.

»Nun, die Wüste ist gross, aber etwa in dieser Gegend sollte es sein. Ganz genau kann ich es nicht sagen. Sie können die Karte behalten, wir haben noch andere.«

»Vielen Dank, Sie haben mir sehr geholfen. Ach ja, ist es dort kalt in der Nacht?«

Der Portier lachte: »Sie wollen dort schlafen? Da würde ich mich warm anziehen, es wird schnell sehr kalt.«

Gummimann bedankte sich und ging in sein Zimmer.

Was er aus der Zeitung erfahren hatte, machte ihn stutzig. Er legte die Karte auf den Boden und studierte den Weg durch die Wüste. Er hatte Mühe mit allem. Wer fährt schon zwei Stunden mit dem Auto durch die Wüste, um Selbstmord zu begehen? Wäre doch einfacher zu haben. Er hätte sich erschossen, stand in der Zeitung. Sein Auto hätten sie einen Kilometer entfernt vom Todesplatz gefunden. Warum das? Es hätte doch auch neben dem Auto geklappt. Es ergab keinen Sinn. Auch wurden keine Spuren von anderen Personen entdeckt, die auf einen Mord hindeuten würden. Am Telefon hörte sich Shlomo nicht Selbstmord gefährdet an. Er wollte noch einiges erklären. Sicher, er war etwas überrascht von seinem Anruf, ob das der Grund gewesen war, glaubte er nicht. Er faltete die Karte wieder zusammen. Die ungefähr achtzig Kilometer würde er mit dem Mietauto wohl hinbekommen.

Er nahm noch einige Decken mit, sowie Wasser und den ganzen Proviant, den er für den Notfall für nächtliche Fressattacken mit aufs Zimmer genommen hatte. Natürlich durften seine Taschenlampe und der Indiana-Jones-Hut nicht fehlen.

Die Fahrt durch die Wüste war keineswegs angenehm. Die Sonne brannte unbarmherzig. Es war drückend heiss, kaum vorstellbar, dass man in der Nacht frieren würde. Der aufgewirbelte Sand drang auch ins Auto, bald hatte erihn in den Augen, in den Kleidern und Schuhen. Und weit und breit keine Bäume, nur die improvisierte Strasse, die durch das unwirtliche Gelände führte. Oft war der Weg kaum zu erkennen. Aber interessant waren die ausgebrannten oder angeschossenen Panzerleichen, die am Wegrand standen, Zeugen der Kriege, die hier geführt wurden. Sie verrosteten nicht, es regnete praktisch nie in dieser Gegend. Ab und zu sah er Spuren von Tieren, Kot oder Knochen, und immer wieder Stellen mit Abfall, hier wurde nie aufgeräumt.

Ich könnte mich als Strassenwischer melden, Gummimann schmunzelte: Der Wüstenwischer.

Bei einer kleinen Oase legte er eine kurze Pause ein. Dort gab es einen kleinen Brunnen und einige Bäume und Büsche. Die Weiterfahrt wurde schwieriger, es ging in die Berge. Manchmal war es so steil, er hatte Angst, der Wagen könne sich nach hinten überschlagen. Es gab nur Felsen, kaum Sand. Der Wind hatte das Wischen des Weges übernommen. Das war gut, denn der Wagen hatte so bessere Bodenhaftung und kam auch beim steilen Stück nicht ins Rutschen.

Bald erreichte er die Hochebene, dann noch ein paar Kilometer, und das vermutliche Ziel war erreicht. Nach langem Suchen fand er die Stelle, aber viel zu sehen gab es nicht, nur noch die Markierungen der Polizei. Unweit der Stelle gab es einen grossen Felsen. Gummimann parkte in dessen Schatten und begann die Gegend zu inspizieren.

Sein grosser Indiana-Jones-Hut schützte ihn vor Sonne und Staub und er sah dabei noch cool aus.

Vielleicht fand er Spuren, die die Polizei übersehen hatte.

Doch in der näheren Umgebung waren nur welche der Polizei und deren Autos. Er erweiterte seinen Suchbezirk auf mehrere Hundert Meter und untersuchte jeden Stein und die einsamen Gebüsche.

Shlomo war von seinem Auto, dass er vermutlich an der gleichen Stelle wie er, geparkt hatte, zum Sterbeplatz gegangen.

Er folgte den Reifenspuren der Polizeiwagen, die noch leicht auf dem harten Boden zu sehen waren. Ein gebrauchtes Heftpflaster lag auf dem Weg, noch nicht sehr alt. Aber Blut war daran keines.

Gummimann sammelte alles ein, was er finden konnte, ob es Sinn machte oder nicht. Er kam zum Platz, wo der Tote gefunden wurde. Der war mit einer Fahne markiert. Aber ausser dieser Fahne und wenig Blut, das meiste war wohl von der Polizei entfernt worden, gab es dort nichts und er ging wieder zurück.

Es wurde kühler, die Sonne war am Untergehen. Er setzte sich vor sein Auto und schaute dem Sonnenuntergang zu. Doch kaum war die Sonne verschwunden, wurde es kalt undinnerhalb Minuten sank die Temperatur um zwanzig Grad. Bald waren es höchsten noch zehn Grad, der Sand hielt die Wärme nicht zurück, einzig die Felsen waren noch warm. Mit zwei Pullovern und einer leichten Jacke bekleidet, schlotterte Gummimann im Dunkeln ums Auto. Ein Feuer zu machen wäre toll, aber es gab kein Holz. Sand brennt leider nur am Tag, wenn man barfuss versucht, darauf zu gehen. Etwas wärmer war es im Auto. Er machte es sich so bequem wie möglich und versuchte zu schlafen.

Ein lautes Geräusch riss ihn aus seinem endlich gefundenen Schlaf. Durch die Frontscheibe konnte er ein Licht am Himmel sehen, das mit grosser Geschwindigkeit über das Gebiet flog. Dem Geräusch nach würde er auf einen Helikopter schliessen.

Die spinnen, um diese Zeit! Wo kann ich mich beschweren?

Er zog seinen Hut tiefer ins Gesicht und schlief bald wieder ein.

 

Die Sonne schien durch die Frontscheibe und weckte ihn sanft. Gähnend und sich streckend, stieg er aus seinem Auto. Ein bekanntes, aber entferntes Geräusch, liess ihn den Himmel absuchen. Tatsächlich konnte er einige Kilometer entfernt wieder einen Helikopter sehen.

»Es muss in der Nähe ein Nest geben«, Gummimann lachte.

Der Helikopter blieb in der Luft stehen und etwas wurde heruntergelassen. Was es war, konnte er aus dieser Distanz nicht erkennen. Nach ein paar Minuten wurde es wieder heraufgezogen und der Helikopter flog weiter, die Stille kehrte zurück. Gummimann grübelte, er versuchte, etwas zu essen, aber das, was er soeben gesehen hatte, ging ihm nicht aus dem Sinn. Er nahm ein paar Bissen, verstaute sein restliches Frühstück wieder in der Kühlbox und fuhr sich auf den Weg zur Stelle, wo er glaubte, den Helikopter gesehen zu haben.

Die Sonne schien nun nicht mehr so sanft, sondern brannte rücksichtslos auf seinen Wagen. Zum Glück war er weiss und wurde so weniger heiss, doch viel machte es nicht aus. Er schwitzte und träumte von einer Klimaanlage, doch die Wagenmiete wäre damit wesentlich teurer gewesen. Jetzt bereute er es, sparen ist nicht immer gut. Oft musste er Umwege fahren, weil Sandhügel, Steine oder Gräben den Weg versperrten. So war es auch schwierig, die Richtung beizubehalten.

Fast eine Stunde dauerte die Fahrt, obwohl es höchstens zehn Kilometer waren, bis er glaubte das Ziel erreicht zu haben. Doch da war nichts. Aber bei einem Hügel blitzte etwas auf. Je näher er kam, umso häufiger spiegelte sich das Licht. Dann sah er den Jeep, ein altes Militärmodell. Er hielt daneben an und schaute durch die Scheiben hinein. Sehr lange konnte er dort noch nicht gestanden haben, es hatte kaum Sand im Innenraum. Auf dem Beifahrersitz lag eine offene Ledertasche und auf dem Rücksitz stand eine Kiste.

»Hallo, ist da jemand?«, rief er.

Keine Antwort.

Um mehr Übersicht zu haben, ging er etwas weiter den Hügel hinauf.

»Hallo, hallo!«, rief er wieder.

Immer noch keine Antwort.

Zurück bei den Autos entdeckte er im Sand Fussspuren. Sie mussten frisch sein, jeder kleine Windzug hätte sie weggeblasen. Er folgte den Spuren, bis sie sich im hohen Sand verloren. Der Helikopter musste den Sand hierher geblasen haben. Dann sah er etwas am Boden liegen. Als er näher kam, erkannte er einen Toten. Es war ein Mann, der einen Revolver in der Hand hielt undder Sand um seinen Kopf war rot. Mit weit geöffneten Augen starrte er in den Himmel, es sah aus, als hätte er die Hölle gesehen. Vermutlich ein Selbstmord, wie Shlomo Kaiser.

Er war mittleren Alters und seine Militärhosen und das weisse T-Shirt mit der Aufschrift »Make Love Not War« passten überhaupt nicht zusammen. Eine Baseballcap der New-York-Yankees hatte sich einige Meter weiter in einem blätterlosen Busch verfangen. Weitere Spuren konnte er nicht finden.

Sofort versuchte Gummimann die Polizei zu informieren, doch er hatte keinen Empfang.

Ein seltsamer Ort sich umzubringen. Wie bei Shlomo Kaiser waren es mehrere Stunden Autofahrt bis zum Ort des Todes. Während Gummimann zu seinem Auto rannte, prüfte er immer wieder den Empfang. Aber erst nach fünfzehn Minuten Fahrt, konnte er mit der Polizei sprechen. Gut war auch hier der Empfang nicht. Dann wartete er weitere zehn Minuten, bis er jemand am Apparat hatte, der mit ihm in einer verständlichen Sprache reden konnte. Er erklärte in Englisch, dass er in der Wüste einen Toten gefunden habe.

»Sie sprechen Deutsch?«, fragte der Israeli am anderen Ende der Leitung.

»Ja, ich komme aus der Schweiz.«

Der Wachmann begann zu lachen, »Schweiz, ich weiss, das cheibe Chuchichäschli chlemmt, lustig! Ich war vor drei Jahren in…«

Gummimann unterbrach ihn: »Okay, bestens, aber ich möchte trotzdem einen Selbstmord melden.«

Er versuchte zu erklären, wo der Tote zu finden war, doch sein Gesprächspartner schien kaum zuzuhören, er war so in die schönen Erinnerungen der Schweizerberge vertieft.

Als es Gummimann endlich gelang, sich Gehör zu verschaffen, reagierte der Beamte sofort: »Ich weiss, wo das ist. Ich werde ein Kommando hinsenden. Warten Sie dort!«

Gummimann war erleichtert. Er kennt, das cheibe Chuchichäschtli chlemmt, nicht zu glauben. Er schüttelte den Kopf. Was es nicht alles gibt.

Zwei Stunden wartete er, dann kamen zwei Autos, ein Polizeiwagen und ein Kastenwagen zum Abtransport der Leiche. Vier Männer stiegen aus.

»Haben Sie es gemeldet?« Ein grosser, mit schicker Uniform gekleideter Mann kam auf Gummimann zu.

»Ja, das war ich. Ich heisse Gummimann und habe den Toten zufällig entdeckt.«

»Kommissar Levi ist mein Name. Zufällig, sagen Sie? Was suchten Sie denn hier in dieser verlassenen Gegend? Ist nicht gerade der Ort, um Ferien zu machen. Und wo ist der Tote?«

»Es ist noch ein Stück, aber der Jeep gehört vermutlich dem Toten.«

Levi nickte und folgte Gummimann mit den beiden Wagen.

Er betrachtete die Leiche lange, während ein anderer Mann, sie zu untersuchen begann.

Dann wandte er sich an Gummimann: »Sie fahren also einfach so zum Spass in die Wüste und finden dann zufällig eine Leiche«, kommentierte Levi die Situation.

»Ich übernachtete nicht weit von hier in meinem Wagen. Dann sah ich am Morgeneinen Helikopter, der kurz über dieser Stelle schwebte und etwas herunterliess, und das machte mich neugierig. Was genau geschah, kann ich Ihnen nicht sagen, es war zu weit entfernt, deshalb machte ich mich auf den Weg und suchte die betreffende Stelle und fand dabei diese Leiche.«

Der Kommissar umrundete den Toten.

»Das ist der zweite Selbstmord in kurzer Zeit in dieser Wüste, Sie haben sicher von Shlomo Kaiser gehört. Unbegreiflich, was ist mit diesen Menschen los? Haben Sie sonst noch etwas gesehen?«

Gummimann schüttelte den Kopf: »Nein, nur den Helikopter. In welche Richtung er dann flog und von wo er gekommen ist, weiss ich nicht.«

»Ich nehme an, der gehört dem Griechen.«

»Dem Griechen?«

Der Kommissar nickte: »Papadopoulos heisst er, glaube ich, hat irgendein Anwesen mitten in der Wüste. Wir werden nachfragen. Es sei ein Forschungsinstitut, aber was dort geforscht wird, weiss niemand so genau. Wir müssen noch ihre Aussage aufnehmen. Halten Sie sich weiter zur Verfügung!«

Der Name Papadopoulos machte Gummimann hellhörig. Ist das jener, der im Museum war? Haben die Selbstmorde mit dem arabischen Falken zu tun?

Er machte die Aussage und gab die Angaben zu seiner Person zu Protokoll. Dann fragte er, wo dieser Papadopoulos zu finden sei. Die Polizisten konnten ihm nur die ungefähre Richtung angeben. Das genügte ihm und er machte sich auf die Suche nach Papadopoulos.

Papadopoulos

Mehrere Stunden fuhr Gummimann auf der Hochebene herum, bis er weit unten in einem Tal, eine grössere Ansammlung Gebäude sah, die mit hohen Mauern und Elektrozäunen gesichert waren. Auch ein Helikopterlandeplatz war auszumachen. Es war ein grosses Gebiet, inmitten steiler Felswände. Er sah bewaffnete Männer, und Hunde, die er, je nach Windrichtung, bellen hörte. Noch war er weit davon entfernt, aber das musste Papadopoulos’ Reich sein.

Aber ins Tal zu kommen war nicht einfach, es war tief und durch die Felsen fast unzugänglich. Hinunterzuklettern, war nur für sehr gute Kletterer eine Möglichkeit und dabei wurde alles streng bewacht. Aber im Westen sah er eine Strasse, die durch hohe, enge Felswände, der Zugang in das Gebiet war.

Gummimann fuhr bis zur Abfahrt zum Durchgang. Sein Auto versteckte er hinter ein paar Felsen und ging zur Strasse. Zuerst war sie normal breit, wurde dann immer schmaler, bis sie beim Eingang durch die Felsen, gerade noch breit genug für einen Lastwagen war. Die Strecke war mit mehreren Kameras abgesichert.

Um möglichst nicht entdeckt zu werden, schlich Gummimann klein nahe den Felsen hinunter, in der Hoffnung, die Kameras würden ihn so übersehen. Dann kam er zur heikelsten Stelle, den Weg durch die Felsen. Dort gab es kein Ausweichen, keine Verstecke. Am Anfang ging alles gut, er blickte in die Höhe und sah das Sonnenlicht, das den etwa fünfzig Meter langen Durchgang begleitete. Hier hatte es keine Kameras. Gegen Ende der Strecke hörte er ein Motorengeräusch. Ein grosser Lastwagen zwängte sich durch die enge Durchfahrt und er war mittendrin. So klein wie möglich presste er sich an die Felswand, um ihn vorbeizulassen. Doch der Lastwagen stoppte hinter ihm. Der Fahrer schrie etwas aus dem Seitenfenster. Ein Wachmann trat aus einem Felsenraum auf die Strasse und blieb in der Mitte des Weges stehen. Er fuchtelte mit seiner Maschinenpistole herum, und schrie etwas.

Gummimann verstand nur ›lo, lo, lo‹, (nein, nein, nein) das der Fahrer unendlich oft wiederholte.

Im Laufe der Verhandlungen blickte der Wachmann mehrmals Richtung Gummimann. Obwohl er klein war, befürchtete er, er könnte entdeckt worden sein. Er schloss die Augen, als ob das was nützen würde und glaubte, sich geschlagen geben zu müssen. Noch wartete er. Wieder blickte die Wache in seine Richtung, gab ein Zeichen und der Lastwagen fuhr los. Von ihm wollte sie nichts wissen. Der Wachmann verschwand wieder in seinem Raum und begann eine Illustrierte zu lesen. Er war so damit beschäftigt, Gummimann wäre sogar in Gross nicht entdeckt worden. Trotzdem blieb er vorsichtig und ging fast normalgross, geduckt an ihmvorbei.

Vor ihm lag das Tal, das er von oben gesehen hatte. Jetzt sah er die mit Elektrozäunen gesicherten Gebäude von Nahem und er konnte die Hunde bellen hören. Aber schon von Weitem erkannte er, dass durchschlüpfen durch die Elektrozäune auch für ihn sehr schwierig, bis fast unmöglich war.

Das Gebiet selbst war trostlos: Nur dürre Gebüsche, einige wenige, knorrige Bäume und viele Steine. Hier schien es wenig bis nie zu regnen, kein Ort, den man für gemütliches Wohnen wählen würde. Aber das war Gummimann egal.

Klein, im Schutz der Gebüsche und Steine, konnte er sich an den Zaun heranpirschen. Für die Kameras, die an den hohen Beleuchtungsmasten alles überwachten, war er zu klein, unsichtbar.

Er schlich dem Zaun entlang und kam bald zu einer Schranke, der Eingang zu den Gebäuden. In einem Häuschen sass ein Wachmann und kontrollierte alle Ein- und Austritte.

Auch klein durchzugehen, war für Gummimann ein zu grosses Risiko. Hunde hatte es zum Glück keine, die würden ihn auch in klein riechen.

Die Wache wurde plötzlich aktiv, der Mann verliess sein Häuschen und trat auf die Strasse. Mehrmals blickte er auf die Uhr, sprach dann über Funk mit jemandem, und beobachtete mit einem Feldstecher die Gegend.

Ein alter, lauter Militärjeep kam und hielt vor dem Wachmann. Das war die Gelegenheit. Als die Wache sich mit dem Fahrer unterhielt und seine Papiere prüfte, rannte er, in klein zum Jeep, und kletterte auf die hintere Stossstange. Indem er sich hinlegte, hoffte er, nicht bemerkt zu werden. Die Stelle zum Mitfahren war schlecht, das merkte er sofort, er war genau über dem Auspuff. Zu wechseln war nicht mehr möglich, der Jeep fuhr schon los. Der Auspuff qualmte stark, er kämpfte mit seinem Magen.

Glücklicherweise war die Fahrt nur kurz, der Fahrer stieg aus und wurde von jemandem begrüsst. Eine Tür war zu hören, die Stimmen verstummten. Gummimann liess sich von der Stossstange herunter, er hatte das Gefühl, alles stinke an ihm nach Abgasen.

Es war niemand da, auch Kameras gab es keine. Er war erleichtert, sich wieder gross machen zu können, denn längere Zeit in veränderter Grösse zu sein, war äusserst anstrengend. Innerhalb des Geländes vermutete er weder Hunde noch Wachen. Um herauszufinden, ob der arabische Falke wirklich hier war, musste er ins Gebäude. Es war wie ein grosses Wohnhaus gebaut. Vermutlich wurde es von Papadopoulos auch als das benutzt. Wie eine Forschungsstation sah es auf jeden Fall nicht aus. Es hatte zwei Stockwerke, umgeben von viel Grün, sogar ein kleiner Teich war nahe beim Eingang. Der schöne Garten machte es gemütlich und liess das karge Gebiet ausserhalb der Absperrung etwas vergessen. Gummimann wunderte sich, wo sie das Wasser hernahmen für all das hier. Ein Plattenweg führte zu einer grossen Terrasse auf der Rückseite des Hauses. Dort gab es Sonne am Morgen und Schatten am Abend.

Er versteckte sich hinter einem Strauch und konnte durch die offene Balkontür zwei Personen sehen, die miteinander diskutierten. Um das Gesprochene zu verstehen, war er zu weit entfernt. Eine Person drehte sich um und Gummimann erkannte Zahnstein oder wie immer der auch hiess. Vom anderen sah er nur den Rücken, doch es könnte Papadopoulos sein. Er beobachtete, wie sie eine hölzerne Kiste auf einem Tisch öffneten und eine glänzende Figur herausnahmen. Für ihn kein Zweifel, es war der arabische Falke! Gummimanns Herz schlug höher, er hatte recht, der Falke war hier.

Plötzlich riss ihn ein Geräusch aus seinen Gedanken, und er spürte eine Hand auf seiner Schulter. Auch dieses Gebiet wurde bewacht. Zwei bewaffnete Wachmänner mit einem Hund standen hinter ihm. Sie schrien ihn an, doch Gummimann verstand sie nicht. Er wurde mit festem Griff gepackt, ohne Möglichkeit zu flüchten, und zerrten ihn zum Hauseingang. Papadopoulos erschien. Gummimann erkannte den Griechen sofort von den Überwachungsvideos. Erstaunt und wütend zugleich, schrie Papadopoulos den Wachmännern Befehle zu. Diese nickten und schleppten Gummimann durch das Haus und stiessen ihn unsanft in ein kleines, fensterloses Zimmer. Die Tür fiel hinter ihm zu. Eine Pritsche, eine frei stehende Toilette und ein Lavabo waren das ganze Inventar. Durch einen kleinen Spalt oberhalb der Türdrang etwas Licht, sonst war es dunkel. Er sass in einer Gefängniszelle, auf einer Pritsche und musste sich von seinem Schock erholen. Es nervte ihn, sich so unprofessionell verhalten zu haben.

Langsam gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit und er konnte etwas erkennen.

Die Tür schloss oben und unten dicht ab, also keine Möglichkeit sich durch einen Spalt zu quetschen. Vielleicht ginge es durch das Abwasserrohr der Toilette, aber das war keine Superidee. Es gab auch keine Belüftung, die sich für eine Flucht geeignet hätte.

Irgendwann wird Papadopoulos mit ihm sprechen wollen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass er ihn einsperrte, ohne etwas von ihm zu erfahren.

Da kam ihm eine Idee, aber er brauchte Geduld.

Ausbruch

Zwei Stunden später hörte er Schritte, die sich seiner Zelle näherten. Sofort machte er sich klein und stellte sich neben die Tür. Ein Schlüssel wurde gedreht, die Tür aufgestossen und ein Wächter trat ein. Er liess die Tür offen und Gummimann konnte unbemerkt in den Gang flüchten. Durch das er sehr klein war, bekam es der Wächter nicht mit. Sofort versteckte er sich hinter dem nächsten Schrank. Sekunden später hörte er die panischen Rufe des Wächters.

Papadopoulos war sofort zur Stelle. Er schrie die Wachmänner an und drückte einen Knopf neben der Tür. Ein lauter Alarm ging los. Grosse Hektik kam auf, mehrmals wurde die Zelle durchsucht, dann das ganze Haus. Es wurde gerufen und geflucht. Immer wieder erschienen neue Wachen, Gummimann wunderte sich, wie viele es gab. Um sicherer zu sein, kletterte er auf der Rückseite des Schranks höher hinauf, die Streben des Schrankes, halfen ihm dabei.

Dann hörte er vor dem Schrank das Hecheln eines Hundes, der kurz darauf wild zu bellen begann. Er musste seine Witterung aufgenommen haben. Gummimann wusste, Hunde waren für ihn gefährlich, sie riechen ihn in jeder Grösse. Der Wachmann lachte, er glaubte, Gummimann gefunden zu haben. Es kam noch ein zweiter Wachmann dazu und gemeinsam öffneten sie den Schrank. Aber dort war er natürlich nicht. Hinter dem Schrank zu suchen, darauf kamen sie nicht, denn sie wussten nichts von Gummimanns Fähigkeit. Er konnte alles akustisch mitverfolgen.

Schimpfend wurde der noch immer bellende Hund weggezogen. Sein Herrchen schrie ihn an, ruhig zu sein, und der Arme schwieg.

Aber es waren noch andere da. Gummimann erkannte die Stimmen von Papadopoulos und Goldstein.

»Ich lasse alle Wachen verdoppeln«, sagte Papadopoulos. »Er muss noch hier sein. Er hat keine Chance, das Gelände zu verlassen. Aber wie konnte er fliehen?«

Gummimann hörte, wie sie den Schrank aufmachten.

»Vielleicht hatte er Helfer? Einer deiner Wachen, die mit ihm gemeinsame Sache macht. Ich habe ihn nur kurz gesehen, als sie ihn in die Zelle sperrten, aber ich glaube, ich kenne ihn, er war bei uns im Museum.«

»Was wollte er dort?«, hörte er noch, dann waren auch sie verschwunden.

Vorsichtig kletterte Gummimann aus seinem Versteck. Er machte sich grösser, damit er die Zimmer besser auskundschaften konnte. Einzig vor den Hunden musste er sich in Acht nehmen, die würden ihn wittern. Die Suche nach ihm konzentrierte sich jetzt ums Haus. Im Haus selbst war er im Moment relativ sicher. Die Tür zum ersten Zimmer war offen. Es war das Wohn- und Arbeitszimmer, wo er die zwei Männer von der Terrasse aus beobachtet hatte. Es war schön eingerichtet, mit bequemen Polstersesseln, Pflanzen am Fenster, Büchergestelle, ein grosser, sauber aufgeräumter Schreibtisch und der kleine Beistelltisch, bei dem sie den Falken betrachteten. Aber es gab noch eine weitere, sehr interessante Tür mit einem elektronischen Nummernschloss. Die Terrassentür war zu, einige Wachen liefen draussen vorbei. Trotzdem wollte er es wagen, zu dieser Tür zu gehen. Im schlimmsten Fall konnte er sich immer noch klein verstecken. Dort untersuchte er die Tastatur des Schlosses, manchmal kann man an den Tasten erkennen, welche Zahlen oft gedrückt wurden. Doch diese schien neu zu sein.

Plötzlich waren Stimmen zu hören, Papadopoulos und Goldstein betraten das Zimmer. Gummimann machte sich klein und versteckte sich in einem Büchergestell neben der Sicherheitstür. Das Versteck war alles andere als ideal, aber etwas Besseres fand er in der Kürze nicht.

Die beiden waren in Gespräche vertieft, sie hätten ihn auch an einem noch schlechteren Versteck nicht bemerkt. Papadopoulos schien sich beruhigt zu haben.

»Die Ladung ist angekommen, wir können sie kontrollieren«. Papadopoulos ging auf die gesicherte Tür zu.

»Ich freue mich, die Stücke aus dem Museum von Kairo zu sehen. Verkaufen können wir sie im Moment noch nicht, aber betrachten!« Goldstein faltete seine Hände, blickte zu Decke und kam richtig ins Schwärmen, »ein Wunschtraum von mir.« Er kicherte und rieb sich dann genüsslich die Hände.

Papadopoulos tippte den Code ins Nummernschloss ein, während Goldstein höflich den Kopf wegdrehte.

So schlecht war das Versteck doch nicht, Gummimann sah die Tastatur und was Papadopoulos eingab: 300411.

Die Tür öffnete sich automatisch und die beiden gingen hinein. Gummimann konnte lediglich eine Treppe nach unten erkennen, dann schloss sich die Tür wieder.

Jetzt hiess es warten. Geduld war normalerweise nicht seine Stärke, aber es musste sein. Er kam aus seinem Versteck, machte sich gross, und setzte sich hinter einem Polstersessel auf den Boden. Wie lange er warten musste, wusste er nicht. So konnte er sich etwas entspannen.

---ENDE DER LESEPROBE---