Pferde im Nebel - Tino Keller - E-Book

Pferde im Nebel E-Book

Tino Keller

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Beschreibung

Ein zufällig gemachtes Foto und die Suche nach einem verschollenen Buchautor werden zu einem schrecklichen Albtraum, der nicht enden will. Dabei geraten sie immer tiefer in einen Sumpf aus Entführungen und Lügen. Ferien werden zu harter Arbeit. Ein Krimi, der in den USA an bekannten und unbekannten Orten spielt. Ein Krimi der an Spannung keine Wünsche offen lässt.

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Tino Keller

Pferde im Nebel

Montagmorgen. Das Gewitter über Washington hatte etwas nachgelassen. Special Agent Walker schaute vom zweiten Stock des J. Edgar Hoover Building, FBI, auf die belebte Pennsylvania Avenue herunter und beobachtete den langsam schwächer werdenden Regen.

»Zum Glück regnet es, das bringt etwas Abkühlung«, bemerkte er so nebenbei, und wandte sich dann mit einer nachdenklichen Miene an Special Agent Cooper: »Und ich bin fast hundert Prozent sicher, dass er es ist. Ich glaub nicht, dass ich mich irre.« Er macht eine kurze Pause und setzte sich wieder an seinen Arbeitsplatz. »Wir müssen sicher sein, dass es wirklich in Wellington-Brazos Texas aufgenommen wurde. Ich habe Chief Blackett schon deswegen informiert.«

»Bis jetzt sind es nur Vermutungen, es kann auch jemand sein, der ihm ähnlichsieht.« Agent Cooper sass in weissem Hemd und locker um den Hals gebundener Krawatte, nach hinten gelehnt, mit den Füssen auf dem Schreibtisch, auf seinem Stuhl. Elegant sah es nicht aus. Sein etwas korpulenter Körper, wirkte so noch unförmiger. Seine Weste hatte er über die Lehne gehängt. Es war immer noch drückend heiss und die Klimaanlage funktionierte wieder einmal nicht, er schwitzte. In kürzeren Abständen wischte er sich mit dem Taschentuch den Schweiss aus Stirn und Nacken. »Aber ich muss zugeben, die Ähnlichkeit ist frappierend!« In der Hand hielt er das Foto und betrachtete den Mann, der einen grossen, rechteckigen Gegenstand trug und der Montenegro glich. Dann nahm er seine Füsse vom Tisch. »Ob das Bild auch in Wellington aufgenommen wurde, ist die grosse Frage? Doch es scheint so. Das hier im Hintergrund könnte das Thomson Building sein.« Er schob das Bild auf den gegenüberliegenden Schreibtisch zu Agent Walker.

Dieser nickte. »Ja, das habe ich auch gesehen. Aber ob das wirklich das Thomson Building ist, wissen wir erst, wenn Miller mit seinen Ergebnissen kommt. Die Towers sehen alle ähnlich aus und auch die Städte. Miller wird es herausfinden, er ist geschult, im Orte erkennen.«

Walker lockerte seine Krawatte, und betrachtete das Foto aufs Neue. Auch er trug einen Anzug und ein weisses Hemd, behielt aber trotz der Hitze seine Weste an. Im Gegensatz zu seinem Kollegen, war er gross und schlank, währen der etwas kleinere Cooper immer mit seinem Gewicht zu kämpfen hatte. Nochmals betrachtete er auch die anderen Bilder.

»Was hat Clearwater gesagt: Wer hat die Fotos gemacht?«, fragte Cooper.

»Er hat nichts gesagt, nur, dass in dieser Stadt Spionage betrieben wurde, aber sie wüssten nicht, in welcher Stadt das sei.« Er nahm das Bild mit den Hangars. »Hier sieht es sehr nach einem ehemaligen Flugplatz aus. Vermutlich ist es Wellington, aber warum hat er nicht den Fotografen gefragt, der sollte es doch eigentlich wissen?«

»Ja, das ist wirklich eigenartig«, meinte Cooper, »könnten Sie nicht nochmals Clearwater anrufen und ihn fragen?«

»Könnte ich, aber warten wir zuerst den Bericht von Miller ab, dann habe ich einen guten Grund für diesen Anruf. Dieser Sergio Montenegro ist oder war ein eigenartiger Schriftsteller, seit fast drei Jahren gilt er als verschollen. Plötzlich hatte niemand mehr etwas von ihm gehört, weder seine Frau, noch seine Kinder, noch seine Freunde, noch sein Verlag. Wo haben wir nicht überall nach ihm suchen lassen! Seine Leiche, sollte er tot sein, wurde bis jetzt nicht gefunden. Und jetzt: Jetzt sehen wir ihn auf einem Foto, in einer Stadt, die wir noch nicht einmal mit Sicherheit identifizieren konnten.« Walker schüttelte den Kopf. »Ich kann es kaum glauben.«

»Aber, wenn er noch lebt und seinen Aufenthalt so geheim halten will, warum liess er sich dann fotografieren? Er müsste sich doch dagegen gewehrt haben.

Ich kenne seine Bücher: Eine Mischung aus Stephen King und Dean Koontz: Horror mit viel Fantasie, die zum Teil aber ziemlich brutal sind. Ich habe versucht einige zu lesen, und schnell gemerkt: Sie gehören definitiv nicht zu meiner Lieblingslektüre! Aber viele seiner Geschichten wurden teilweise Realität, das ist das Verrückte, und bald kommt sogar ein weiteres Buch heraus. Auch bei dem könnten Teile der Geschichte Wirklichkeit werden.«

Die Tür ging auf, und der Geruch eines kalten Aschenbechers strömte herein, Miller kam. Als Kollege schätzte man zwar, aber seine Raucherei machte die Zusammenarbeit mit ihm schwierig. Im FBI-Gebäude durfte er nicht rauchen, trotzdem blieb der Geruch an ihm haften, man roch ihn schon von weitem, bevor man ihn sah. Miller liess sich aber nichts anmerken.

»Ich habe die Bilder ausgewertet.«, sagte er. »Es ist tatsächlich Wellington-Brazos Texas, eine wichtige Base für das Militär. Wer hat die Bilder gemacht?« Miller legte die Kopien auf Walkers Schreibtisch.

»Ein Kollege aus der Schweiz«, antwortete Walker.

»Aus der Schweiz? Und der weiss nicht, wo er sie aufgenommen hat? War er bekifft oder wie?«

»Nein, das hatte vermutlich andere Gründe. Was haben Sie herausgefunden, Miller?«

Cooper war aufgestanden und öffnete diskret das Fenster, das war aber nur einen Spaltbreit möglich, er hoffte trotzdem, die wenige frische Luft würde Millers Gestank etwas erträglicher machen.

Miller kümmerte das nicht weiter und er begann zu erklären: »Hier auf den Bildern«, er breitete alle Bilder auf Walkers Schreibtisch aus, »die Hangars«, er zeigte darauf, »die waren einst militärisch und gehörten zu einer Air Force Base. Ende des 2. Weltkriegs gab man die Base auf. Hier wurden Flugzeuge instandgesetzt gewartet. Danach wurden die Hangars zum Autofriedhof für Busse und Lastwagen der Stadt Wellington. Jetzt rostet alles langsam vor sich hin, es kümmert sich niemand darum.« Er zeigte auf das nächste Bild. »Hier sieht man die Skyline der Stadt.« Dann auf zwei weiteren Bildern. »Das Hochhaus hier, ist das Thomson Building mit seinen fünfzig Stockwerken, ist auch schon vierzig Jahre alt. Man sieht das Gebäude nochmals bei dem Typen mit dem Paket. Wer das ist, weiss ich nicht, auch nicht, warum es aufgenommen wurde. Und dann wäre noch der Fluss – halt ich habe die Anwaltspraxis vergessen: Die ist in einem Gebäude am Maritim-Platz, ich habe den Namen und die Adresse hier«, und er gab Walker einen Zettel. »Jetzt noch der Fluss: Das ist der Brazos River. So, das wär’s: Ich hoffe ich konnte Ihnen etwas weiterhelfen.«

»Gut gemacht, Kollege Miller, vielen Dank«, sagte Walker, und Cooper unterstützte ihn mit einem Kopfnicken.

Lächelnd und stolz meinte Miller: »Wenn Sie noch weitere Infos brauchen, stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung. Brauchen sie die Bilder oder darf ich sie bei mir archivieren?«

Walker zeigte ihm seinen Kopien. »Nein, wir brauchen sie nicht, wir haben selbst welche.«

Mit einem kurzen Winken verabschiedete sich Miller und ging zurück in sein Büro.

»Miller ist gut in solchen Situationen. Wenn nur das starke Rauchen nicht wäre.« Cooper liess sich wieder in seinen Stuhl fallen. »Jetzt brauchen wir wieder eine Woche, bis es hier nicht mehr stinkt.«

»Jetzt übertreiben Sie aber, Kollege! Ich werde jetzt Clearwater anrufen und ihm die Resultate unserer Recherchen mitteilen. Was denken Sie: Soll ich ihn auch über Montenegro ausfragen, bringt das was?«

»Es schadet nicht. Vielleicht weiss er mehr, auch wieso er ihn fotografieren konnte. Die haben jetzt 2:00 p.m., sie sollten also schon gegessen haben.«

Noch etwas unschlüssig, was er ihn fragen sollte, wählte er Clearwaters Nummer. Es klingelte nur kurz, dann hatte er ihn in der Leitung.

»Clearwater.«

»Hallo Sir Clearwater, hier Agent Walker. Ich wollte Sie informieren, was wir herausgefunden haben.«

»Agent Walker: Wunderbar, das ging aber schnell, da bin ich mal gespannt«, sagte Clearwater mit seinem besten Englisch.

Und Walker gab ihm alle Informationen, die Clearwater haben wollte, von Montenegro erzählte er ihm jedoch noch nichts.

»Ja genau: Das ist das, was ich brauche, jetzt kann ich die Anwaltskanzlei informieren und sie bitten, neue Passwörter und Zugangscodes einzurichten.«

»Noch etwas Sir Clearwater, kennen Sie Montenegro?«

»Ich war noch nie dort, das ist ein Staat an der südöstlichen Adriaküste, aus dem ehemaligen Jugoslawien. Warum fragen Sie?«

»Nein, nicht der Staat, den Schriftsteller Sergio Montenegro.«

»Ach so! Ja, ein Krimi-Autor, ich habe von ihm gehört, er sei verschwunden, heisst es, aber seine Bücher kenne ich überhaupt nicht. Warum, sollte er mir bekannt sein?«

»Montenegro ist sein Künstlername, einst war das sein Pseudonym, doch als er berühmt wurde, hat er den Namen beibehalten. Sein richtiger Name ist Alf Knielog. Er ist auf einem Foto, das Sie mir geschickt haben, zu sehen. Haben Sie die Bilder gemacht?«

»Alf Knielog, kein Wunder hat er einen Künstlernamen bei so einem Namen, gewählt. Nein, ich habe die Fotos nicht gemacht, das war Detektiv Gummimann bei seinem letzten Einsatz.«

»Detektiv Gummimann, der Detektiv mit seinen speziellen Fähigkeiten?«, Walker klang freudig überrascht. »Der war hier bei unseren Einsätzen bei Fort Knox und bei der Entführung des Jungen, ich glaub, er hiess Oliver McDawn. «

»Ja, genau, der Detektiv Gummimann.«

»Ich glaub’s nicht. Aber wie kommt es, dass er nicht weiss in welcher Stadt er die Fotos gemacht hat, und warum liess sich Montenegro von ihm fotografieren? Hat Montenegro ihn gesehen?«

»Montenegro konnte ihn nicht sehen, es wäre also gut möglich, dass er damit nicht einverstanden gewesen wäre. Und weshalb Gummimann nicht weiss, wo er die Fotos gemacht hatte, hat spezielle Gründe, die ich am Telefon nicht erläutern möchte.«

»Ich sehe, Sie sprechen in Rätseln, fast so rätselhaft wie das Auftauchen und Verschwinden von Montenegro selbst. Das wäre im Moment alles. Sollte ich noch mehr Informationen brauchen, werde ich mich wieder melden. Vielen Dank, Sir Clearwater.«

Sie verabschiedeten sich. Walker hängte auf und schüttelte lächelnd den Kopf.

»Mr. Gummimann hat die Bilder gemacht, aber Sir Clearwater meinte, Montenegro hätte ihn nicht gesehen.«

»Gummimann? Ein äusserst fähiger Detektiv, und er soll nicht wissen, in welcher Stadt er die Fotos gemacht hat? Er muss ihn heimlich fotografiert haben, aber warum? Es wird immer rätselhafter.«

Walker suchte alle Unterlagen zusammen. »Wir müssen zum Meeting.«

Cooper nickte stumm, klemmte seine Berichte unter den Arm und beide machten sich auf den Weg.

Den Telefonhörer noch in der Hand haltend, stand Clearwater neben dem Schreibtisch in seinem Büro in Basel. Seine Gedanken drehten sich um das Gespräch mit Agent Walker. Warum nur wollte er wissen, wer die Fotos gemacht hatte, und ob Gummimann von dem Mann, der Sergio Montenegro sein soll, gesehen wurde? Langsam hängte er auf.

Clearwater arbeitete beim Schweizer Geheimdienst und ist ein guter Freund von Detektiv Gummimann. Seine weissen Haare, sein kurzer grau melierter Bart und sein weisser Anzug, mit dem weissen Panama Hut sind seine Markenzeichen. Er ist schon älter, aber sein wahres Alter kennt niemand, man schätzt ihn auf vielleicht sechzig Jahre.

Es klopfte.

»Herein«, rief Clearwater, und Frau Miserez trat ein.

»Hier sind noch die Unterlagen, die Sie gewünscht haben.« Frau Miserez war seit Jahren die gute Seele der Abteilung, zuverlässig und meist gut aufgelegt. Sie hatte ein gutes Gespür, für die Stimmungen ihres Gegenübers. »Beschäftigt Sie etwas, Sir Clearwater, kann ich Ihnen behilflich sein?«

»Nein, nein – doch, bitte bringen Sie mir die Berichte von Gummimann in der fremden amerikanischen Stadt, als er auf unseren Wunsch dort war.«

»Mach ich, kommt sofort!« Damit verliess sie sein Büro wieder.

Aus der Schublade seines Schreibtisches holte Clearwater Gummimanns Amerika-Bilder heraus.

»Gummimann war also in Wellington«, sprach er leise mit sich. »Und der Mann auf diesem Bild soll Sergio Montenegro sein, alias Alf Knielog.« Er schüttelte lachend den Kopf. »Dieser Montenegro sieht eigentlich ganz sympathisch aus: gut gekämmt, schlank, normale Strassenkleidung, könnte jeder sein, völlig unauffällig.«

Mit einer Lupe untersuchte er das Bild etwas genauer. Was er zu finden hoffte, wusste er nicht. Bis jetzt hatte er das Bild kaum beachtet. Er wusste, Gummimann hatte es nur so aufgenommen, ohne irgendwelchen Grund, und jetzt wurde es plötzlich wichtig. Auch das Paket, das Alf trug – Clearwater musste wieder schmunzeln – es hätte ein Bild sein können, oder eine Tischplatte, oder sonst ein grosser Gegenstand, verpackt in buntem Packpapier. Er legte das Bild auf die Seite und nahm ein nächstes. In dem Moment klopfte es, und die Tür ging auf.

»Hier, die gewünschten Berichte«, sagte Frau Miserez lächelnd, legte ihm die Akten auf den Tisch und ging zurück in ihr Arbeitszimmer.

Nochmals studierte er die Aussagen von Gummimann zur Stadt und deren Bewohnern. Doch diesen Montenegro hatte er mit keinem Wort erwähnt, er schien auch damals nicht wichtig für ihn gewesen zu sein. Möglicherweise ist es gar nicht Montenegro, vielleicht sieht er ihm nur ähnlich.

Er liess Gerber kommen, einer seiner Mitarbeiter, Spezialist für Internet und Computer: Er war jetzt der richtige Mann. Nur selten setzte sich Clearwater an so ein modernes Ding, wie er es nannte. Er arbeitete noch nach alter Schule und war dabei nie schlecht gefahren.

»Herr Gerber, könnten Sie möglichst alles über Montenegro heraussuchen?«

»Wollen Sie in die Ferien fahren?«, Gerber schaute ihn verdutzt an.

»Nicht das Land, sondern den Schriftsteller Sergio Montenegro. Gummimann soll ihn bei seinem Einsatz in Amerika fotografiert haben.«

Gerber nickte: »Mach ich. Eilt es?«

»Immer!« Clearwater schaute ihn lachend an.

Gerber nickte. »Okay, ich melde mich, sobald ich etwas habe.«

Als er wieder alleine war, studierte er nochmals die Bilder. Vielleicht mass er der Geschichte eine zu grosse Bedeutung zu. Sicher hatten Walker und Cooper lediglich damit die Hoffnung, Montenegro endlich zu finden. Am besten sprach er heute noch mit Gummimann, bevor die FBI-Leute sich auch mit ihm in Verbindung setzten. Er legte die Bilder wieder in die Schublade und nahm die Akten, die er noch bearbeiten musste. Aber er hatte noch eine andere Idee…

Im leicht abgedunkelten Besprechungsraum in Washington warteten zwölf Personen auf Walker und Cooper. Alle sassen auf ihren Stühlen und beobachteten sie, als sie eintraten. Wie üblich waren sie die Letzten, aber niemand beschwerte sich, nur die Bemerkung von Chief Brandon Blackett, »Haben Sie den Weg auch noch gefunden«, zeugte von feiner Kritik.

»Die Agent Walker und Agent Cooper haben Interessantes zu berichten, wie Sie mir am Telefon mitteilten«, begann Blackett das Meeting. »Ich übergebe das Wort an Agent Walker«, und setzte sich.

»Anhand von Fotos, die vor circa zwei Wochen in Wellington-Brazos, Texas, gemacht wurden, vermuten wir, Sergio Montenegro gefunden zu haben.«

Ein Raunen ging durch die versammelte Mannschaft, und Walker machte eine kurze Pause, bis sich die Aufregung wieder gelegt hatte.

»Und Sie sind sicher, dass er es ist?«, meldete sich jetzt ein Mann aus den hinteren Reihen.

»Nein, das Ganze ist noch vage, es könnte auch jemand sein, der ihm gleicht, aber es müsste fast sein Zwillingsbruder sein. Aber soviel ich weiss, hat er keinen.«

Agent Cooper legte das Foto unter den Beamer, und es erschien an der Wand. Ein weiteres Raunen ging durch die Zuschauer. Alle kannten Montenegro: Er hatte sie bis jetzt ziemlich auf Trab gehalten. Sie kannten seine Bücher und wussten von den Teilen, die Wirklichkeit geworden waren. Ob er tatsächlich dahintersteckt, weiss niemand mit Sicherheit, man weiss nur, dass er verschollen ist und trotzdem immer wieder Bücher auf den Markt bringt. Das nächste soll in ein paar Tagen erscheinen. Der Verlag hat ihn nicht persönlich gesehen, die Manuskripte bekamen sie anonym. Von wem, konnte bis jetzt nicht festgestellt werden. Das Finanzielle wurde über ein Nummernkonto abgewickelt. Auch konnte man eine Veröffentlichung nicht verhindern. Es fehlten die Beweise, dass die Taten wirklich mit den Büchern zu tun hatten. Unter den Taten, die Wirklichkeit wurden, gab es Bilder-Diebstähle in einem Museum in NY, durch Superman Gestalten. Dann Einbrüche von einem monsterähnlichen Geschöpf, das abends Häuser von reichen Familien besuchte und einiges mehr. Auch bei seinen letzten Büchern, Wolfsgeheul und Tage der Vergessenheit war es ähnlich. Es hätten jedes Mal Zufälle sein können, doch so viele Zufälle waren eher unwahrscheinlich.

»Er könnte es sein, und was er da trägt, ist vielleicht ein Bild. Noch wissen wir es nicht mit Sicherheit«, erklärte Walker.

»Und wer hat die Fotos gemacht?«, fragte eine Mitarbeiterin von Walker und Cooper in der vordersten Reihe.

»Ein Schweizer Kollege!«, Walker schaute leicht amüsiert in die Runde, er wusste, was jetzt kommen würde.

Plötzlich redeten alle gleichzeitig, alle wollten etwas fragen, und erwarteten Antworten darauf.

Walker hob die Hand und zeigte damit, dass er weiterreden wollte. Es wurde ruhiger, bis er zum Schluss tatsächlich etwas sagen konnte: »Nein, der Schweizer kennt Montenegro nicht, und er wurde von ihm nicht gesehen. Er hat nichts damit zu tun, das Foto hat er wirklich nur zufällig gemacht.«

»Vielen Dank für die Erklärungen«, sagte Chief Blackett. »Ich denke, Sie und Agent Cooper sollten sich mal in Wellington umsehen. Sollte es wirklich Montenegro sein, dann werde ich noch mehr Leute zur Verstärkung dorthin beordern. Aber ich denke, zuerst müssen Sie dort diskret Erkundigungen einholen. Montenegro soll noch nicht wissen, dass wir eine mögliche Spur haben.

Agent Harris, sobald Sie das neue Buch haben, analysieren Sie es zusammen mit Ihrem Team auf alle möglichen und unmöglichen Szenarien. Bei Montenegro weiss man nie. Sind noch Fragen?«

»Noch eine Frage an Agent Walker«, es war wieder ihre Mitarbeiterin aus der vordersten Reihe die fragte, »Wie kamen Sie zu diesen Bildern?«

»Wir mussten für in einem anderen Zusammenhang für die Schweizer Kollegen herausfinden, wo die aufgenommen wurden, und darunter war zufällig das Foto von Montenegro.«

»War der Fotograf ein Alzheimer-Patient? Der sollte doch eigentlich wissen, in welcher Stadt er Fotos macht!«

Allgemeines Gelächter. Die Dame schaute sich wichtig lächelnd um.

»Agent Ariola, Sie haben recht, das sollte er normalerweise wissen. Aber warum er es trotzdem nicht wusste, wissen wir noch nicht.«

Agent Ariola gab sich etwas widerwillig mit der Antwort zufrieden. Chief Blackett wartete noch auf weitere Fragen, da aber keine Auskünfte mehr verlangt wurden, schloss er das Meeting.

Detektiv Gummimann kam gerade von seiner Joggingrunde nach Hause, als Clearwater ihm am Telefon mitteilte, er käme noch kurz vorbei. Sofort duschte Gummimann und zog sich bequem an. Clearwaters Besuch war nicht ungewöhnlich, doch meistens kam er nicht grundlos. Gespannt, was es diesmal sein würde, stellte Gummimann zwei Gläser und einen Teller mit Basler-Läckerli auf den Küchentisch. Ungefähr 35 Minuten braucht man bis nach Wallgisdorf – bei den Einheimischen Wallgis genannt.

Gummimann war Privatdetektiv und hatte Eigenschaften, die ihn aussergewöhnlich machten. Es war ihm möglich, für eine gewisse Zeit sein Aussehen zu verändern. Das heisst, er konnte sich klein und gross, sowie dick und dünn machen. Das war ihm aber nur begrenzt möglich, er kannte aber genau seine Grenzen. Nur die engsten Kollegen wussten davon. Andere, die ihn erlebt hatten und ihr Wissen weitergeben wollten, bei denen verblasste es, ähnlich einem Traum.

Nach seinem Einsatz bei der Entführung von Oliver in Amerika, war Gummimann hier aufs Land gezogen, etwas abseits der belebten Stadt Basel: Schnell in der Natur, viel Ruhe, gute Jogging-Strecken. Seine Wohnung im Parterre des dreistöckigen Hauses hatte einen direkten Zugang zu einem kleinen Garten, wo er oft seine geliebten Krimis las. Eigentlich wäre der Garten für alle Parteien im Haus gedacht, aber Frau Änishänslin im zweiten Stock nutzte ihn nur wenig, und der Hausbesitzer im dritten Stock war selten bis nie da. All das liebte er hier. Er hatte den Umzug nie bereut. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder mit seinem Peugeot 107 war er schnell in der Stadt. Im Dorfladen war das Wichtigste zu kaufen, und brauchte er mehr, hatte es gute Geschäfte im nächst grösseren Ort, Liestal.

Es klingelte: Das musste Clearwater sein. Schon durch die Haustür konnte er seine Konturen erkennen und freute sich auf das Wiedersehen.

Er öffnete. Ganz in weiss, mit seinem Panamahut in der Hand, begrüsste ihn Clearwater herzlich: »Hallo, Herr Gummimann, schon sehen wir uns wieder. Haben Sie sich von Ihren Strapazen erholt? Der letzte Einsatz war ja ziemlich happig!«

»Guten Abend Sir Clearwater. Ja, danke, ich bin wieder ganz erholt.« Er führte ihn in die Wohnung, nahm ihm den Hut ab und hängte ihn im Gang an den Kleiderständer. Dann bat er Clearwater, in der Küche Platz zu nehmen. »Ich bin ja gespannt, was Sie zu mir treibt. Kann ich Ihnen etwas anbieten: Mineralwasser, Kaffee, Tee?«

Clearwater lachte und winkte ab: »Vielen Dank, aber ich möchte im Moment nichts trinken. Ja, Sie haben mich durchschaut, ganz grundlos komme ich selten.« Er setzte sich und fragte Gummimann: »Möchten Sie nicht gemütliche Ferien in Wellington-Brazos machen?«

»Wellington in den USA: Ist das die Stadt, in der ich war?«

Gummimann setzte sich auch an den Tisch und füllte sein Glas mit Mineralwasser.

»Genau, Agent Walker vom FBI hat es mir heute mitgeteilt. Das ist das Resultat der Analyse Ihrer Fotos vom letzten Einsatz. Sie haben sogar einen vermissten Schriftsteller mitfotografiert: Sergio Montenegro.«

»Habe ich? Das war aber unabsichtlich. Ja, diesen Montenegro kenne ich, und den soll ich fotografiert haben? Einmal begann ich ein Buch von ihm zu lesen, aber es war überhaupt nicht mein Stil, zu brutal, zu viel Fantasy. Und, was soll mit ihm sein?« Er nahm sich ein Basler-Läckerli und zeigte darauf. »Bedienen Sie sich, Sir Clearwater.«

Doch Clearwater schüttelte den Kopf: »Vielen Dank, nicht im Moment. Nun, dieser Montenegro war lange Zeit verschollen. Man glaubte, er sei umgebracht worden, doch jedes Jahr gab es weitere Bücher von ihm. Schon eigenartig, oder nicht? Er heisst eigentlich Alf Knielog – ich begreife schon, warum er sich einen anderen Namen zugelegt hat. Walker und Cooper suchen ihn jetzt in Wellington, und ich habe mit beiden ein Treffen dort abgemacht.«

Clearwater nahm sich trotzdem ein Läckerli und schmunzelte.

»Aha, Sie gehen also davon aus, dass ich mitkomme. Und wenn ich nein sagen würde?«

»Das tun Sie nicht, dazu kenne ich Sie zu gut«, er lachte und Gummimann auch.

»Sie haben recht, klar komme ich mit! Und wann soll es denn losgehen?«

»Morgen gegen Mittag. Das Flugzeug geht von Zürich nach Atlanta, dann nach Fort Worth und mit einer weiteren Maschine nach Wellington, Texas.«

Gummimann konnte es kaum glauben, ein Ausflug nach Amerika!

Kurz vor Mittag am nächsten Tag kamen Walker und Cooper in Wellington-Brazos an. Das was sie vorhatten, war nicht ganz einfach: Jemanden in einer Stadt zu finden, ohne zu wissen wo sie mit dem Suchen überhaupt beginnen sollen. Zuerst wollten sie in ihr Hotel, anschliessend auf die Zulassungsbehörde bei der Stadtverwaltung, um sich nach Montenegro zu erkundigen.

»Es wird schwierig werden, ich nehme nicht an, dass er sich in Wellington mit seinem richtigen Namen angemeldet hat«, meinte Cooper.

»Das glaube ich auch nicht, aber vielleicht erkennen sie ihn auf den Fotos«, und Walker lud vor der Wartezone des Flughafens das Gepäck in das Taxi. Als alles eingeladen war, schloss der Fahrer den Kofferraum und Cooper und Walker stiegen ein.

»Hotel Sheraton Wellington bitte«, sagte Cooper nach vorne zum Fahrer, der nickte, und sie fuhren los. »Ich denke, wir bringen, wie besprochen, zuerst das Gepäck auf unsere Zimmer und gehen dann zur Zulassungsbehörde.« Er schaute aus dem Fenster. »Ich muss sagen, Wellington ist eine schöne Stadt, schöne Parks und noch viele alte Häuser, ein bisschen wie Washington.«

»Nur nicht so gross«, bemerkte Walker. »Aber immer noch gross genug, dass es schwierig sein dürfte Montenegro ausfindig zu machen, ausser, sie kennen ihn dort.«

»Wann haben Sie mit Clearwater und Gummimann abgemacht?«

»Zum Dinner im Hotelrestaurant. Sie kommen am späten Nachmittag an und haben auch im Sheraton gebucht. Ich nehme an, die werden noch etwas durcheinander sein mit der Zeitverschiebung, es sind immerhin sieben Stunden.«

Beim Hotel stiegen sie aus, und Cooper bezahlte. Nachdem sie eingecheckt und ihr Gepäck ins Zimmer hochgebracht hatten, machten sie sich zu Fuss auf den Weg zur Stadtverwaltung. Im Hotel hatten sie zwar ein Auto gemietet, doch die Vermietung konnte es ihnen erst am Abend liefern. Aber Wellington war auch für Fussgänger eine angenehme Stadt, und bis zur Stadtverwaltung war es nicht weit. Sie beschlossen, die zuständige Polizei erst morgen über ihre Anwesenheit zu informieren. Erst einmal wollten sie sich unauffällig umsehen.

Die Stadtverwaltung war ein für Amerika typisches Gebäude, das dem Capitol von Washington glich, mit einer Kuppel und vielen Steinsäulen, nur wesentlich kleiner. Es war zugleich auch das Regierungsgebäude von Wellington. Über eine grosszügige Treppe gelangten sie zum Eingang. Eine grosse Halle mit vielen Türen, einem kleinen Brunnen mit einer Steinfigur in der Mitte und einer breiten Treppe am Ende in die obere Etage, empfing sie. Die Zulassungsbehörde war die erste Tür auf der linken Seite. Dort wollten sie hin.

Im Vorraum hatte es fünf Schalter, wobei nur einer geöffnet war. Ausser einer einfachen Holzbank vor dem Fenster gab es nichts, sie war das einzige Mobiliar. Der Raum wirkte spartanisch und kalt, was schlecht zum äusseren Eindruck des Gebäudes passte. Sie gingen zum Schalter, aber im Office war niemand zu sehen.

Walker rief: »Hallo, ist da jemand?!«

Keine Reaktion. Nochmals versuchte es Walker, doch niemand meldete sich.

Da wurde es Cooper zu bunt, und er hielt sich die Hände zu einem Trichter geformt vor den Mund und schrie: »Sollte niemand kommen, werden wir selbst die Computer checken!«

Walker schaute amüsiert zu ihm, er kannte Coopers Art: Sie war manchmal etwas ruppig, aber wirkungsvoll. Und tatsächlich erschien eine ältere Dame am Schalter, mit langen, leicht grauen Haaren. Sie hatte noch Krümel von ihrem Mittagessen am Mund und roch nach Kaffee.

»Den Computer können Sie nicht einsehen, der ist mit einem Passwort geschützt«, sagte sie und wischte sich mit dem Ärmel die restlichen Krümel weg. »Warum dieser Stress, Sie hätten auch etwas warten können.« Sie war unsicher, ob sie erbost oder entschuldigend wirken soll.

»Nein, können wir nicht«, bemerkte Cooper. »Ich glaube, ich muss mal mit dem Gouverneur, meinem Onkel Greg Abbott sprechen …«

»Ja, ja, ist ja gut, womit kann ich helfen?« Man merkte, es war ihr reichlich unangenehm.

»Wir suchen einen Mann namens Alf Knielog«, sagte Walker.

»Alf Knielog? Sind Sie sicher, dass der Name stimmt?«, fragte sie verwundert.

»Sind wir«, antwortete er bestimmt.

Sie gab den Namen auf ihrem Computer ein. »Einen Alf Knielog finde ich nicht.«

»Dann suchen Sie nach Sergio Montenegro!«

Sie suchte erneut. »Den gibt es auch nicht. Ist das nicht der Schriftsteller?«

»Nein, er heisst nur so ähnlich.« Dann holte er aus der Tasche, das Foto, das Gummimann gemacht hatte. »Oder erkennen Sie diesen Mann auf dem Bild?«

Sie studierte es lange und gab es kopfschüttelnd zurück. »Nein, noch nie gesehen.« Sie wandte sich an Agent Cooper: »Ich wäre froh, Sie würden ihrem Onkel nichts sagen.«

»Ist schon gut, vergessen wir’s, aber behandeln Sie unsere Anfrage äusserst diskret, Sie wissen, Greg wäre nicht erfreut, wenn das in aller Munde wäre. Aber danke für Ihre Auskunft«, meinte Cooper lächelnd.

Sie nickte. »Wir behandeln alle Auskünfte diskret, das versteht sich doch.«

Als sie wieder auf der Strasse standen, fragte Walker Cooper: »Und dieser Greg Abbott ist wirklich Ihr Onkel?«

»Ein Republikaner? Nein niemals, aber es hat gewirkt.«

Walker schüttelte lachend den Kopf. »Cooper, Sie haben verrückte Ideen! Nun, ich denke, als nächstes klappern wir die Galerien ab. Sollte es wirklich ein Bild gewesen sein, das Montenegro auf dem Foto trägt, stehen die Chancen gut, so weiter zu kommen.

»Komischerweise bin ich noch nicht sehr müde, obwohl es in der Schweiz fast drei Uhr morgens sein müsste. In Flugzeugen kann ich nicht schlafen«, sagte Gummimann zu Clearwater, als sie im Taxi vom Flughafen zum Hotel nach Wellington fuhren, und schaute zum Fenster hinaus. »Es kommt mir vieles sehr bekannt vor, ich war wirklich hier – nur wusste ich damals nicht, wo ich war. Dort ist das Hochhaus, von dem ich hinunterspringen musste.« Er zeigte darauf. »Schon beim Gedanken daran, läuft es mir kalt den Rücken hinunter.«

»Das würde es mir auch, das war schon eine verrückte Geschichte!« Clearwater wischte sich mit dem Taschentuch den Schweiss von der Stirn. »Wir werden das heute Abend unbedingt den Agents Walker und Cooper erzählen müssen.«

»Ja, das werden wir müssen. Die werden es nicht weitererzählen, da bin ich mir sicher.« Er musste gähnen. »Jetzt beginne ich die Müdigkeit zu spüren, vielleicht ist es die Wärme. Warum heisst es überhaupt Wellington-Brazos, alle sprechen doch nur von Wellington?«

»Vielleicht gibt es noch andere Wellingtons, so gibt es keine Verwechslung.«

»Sie haben recht«, sagte Gummimann und gähnte nochmals.

Der Weg zum Sheraton war lang, doch dann fuhr das Taxi eine kurze Auffahrt hinauf und hielt vor dem Hotel an. Sie stiegen aus. Clearwater zahlte und der Chauffeur holte das Gepäck aus dem Kofferraum.

Nach dem Anmelden führte sie ein Hotelangestellter zu ihren Zimmern im fünften Stock. Die kleinen Rollkoffer zogen sie selbst.

Gummimanns Suite war gross, mit einem Schreibtisch, einer Polstergruppe mit einem gläsernen Beistelltisch, und an der Wand gab es einen grossen 4K Fernseher und Bilder mit moderner Kunst. In einem weiteren Zimmer stand ein zwei Meter Bett, mit an der Decke aufgehängtem Fernseher und ein grosser Kleiderschrank. Das Badezimmer mit Sprudelbad, Dusche und Toilette war vom Schlafzimmer her zugänglich. Die Zimmer waren mit Klimaanlage ausgerüstet, aber Gummimann hatte nicht vor, sie zu benützen. Überrascht von dieser luxuriösen Suite, stellte er seine Tasche auf den Beistelltisch im Wohnzimmer und legte den Koffer aufs Bett.

Es klopfte an der Tür, Gummimann schaute durch den Spion und liess Clearwater eintreten.

»Sind Sie zufrieden mit Ihrem bescheidenen Apartment?«, fragte er und lachte.

»Bescheiden? Ich bin überwältigt!« Gummimann konnte es noch immer fast nicht glauben. »Ich wäre auch mit einem einfachen Zimmer zufrieden gewesen.«

»Ich weiss«, meinte Clearwater, »aber Sie haben es sich verdient. Auch dass Sie mitgekommen sind, ist nicht unbedingt selbstverständlich, nach all dem, was Sie hier alles durchgemacht haben.«

Gummimann winkte ab: »Alles halb so wild.«

»Haben Sie Ihre Arbeitsutensilien dabei?«

Gummimann nickte lachend. »Klar, ich würde nie ohne meine grosse und kleine Taschenlampe, mein Schweizer-Messer und den Ibiskus, meinem Talisman, auf Reisen gehen.«

»Schön, hab ich es mir doch gedacht. Wenn wir so weit sind, essen wir etwas und danach treffen wir uns mit Walker und Cooper. Anschliessend können wir versuchen, ein wenig zu schlafen.«

»Ich weiss gar nicht, ob ich wirklich Hunger habe«, sagte Gummimann. »Mal sehen, vermutlich kommt der Hunger mit dem Essen. Aber auf die beiden Agents bin ich gespannt. Es scheint, sie sind aufgestiegen, sie sind jetzt Special Agents, was immer das heissen mag.«

Nach einem üppigen Dinner trafen sie sich in einem Hinterzimmer des Hotels mit den Agents Walker und Cooper. Die Jahre zwischen ihrer letzten Begegnung in Florida, hatte sie kaum verändert. Vielleicht etwas mehr Bauch bei Cooper und etwas spärlichere Haare bei Walker. Die Begrüssung war herzlich. Gummimann suchte sein bestes Englisch zusammen. Clearwater war in dieser Hinsicht ein kleines Genie, er sprach nebst Deutsch, fast perfekt Französisch, Spanisch und Englisch.

Nach ein paar einführenden Höflichkeiten kam Walker schnell zur Sache: »Ich möchte Ihnen erklären, warum wir hier sind. Wir hoffen, Sie können uns dabei unterstützen.« Und er erzählte vom verschwundenen Montenegro, den sie auf Gummimanns Foto erkannt hatten, von den Verbrechen, die grosse Ähnlichkeiten mit seinen Geschichten haben, und erwähnte das neue Buch von Montenegro, das am Donnerstag erscheinen sollte. »Jetzt suchen wir Montenegro hier in Wellington und Sie, Mr. Gummimann, können uns dabei helfen und zeigen wo das war, und wie es Ihnen gelang, ihn unbemerkt zu fotografieren.«

»Unsere Erklärung ist kompliziert«, begann Clearwater. »Unsere Geschichte klingt zwar unglaublich, aber wir müssen die Gewissheit haben, dass sie unter uns bleibt.«

»Selbstverständlich bleibt sie unter uns«, versprach Cooper, und Walker stimmte zu.

»Nun, am besten erzählen Sie, Herr Gummimann«, meinte Clearwater.

Gummimann nickte. »Bei uns war es einer Gruppe von drei Forschern gelungen, in die Vergangenheit an einen beliebigen Ort zu reisen. Nur waren die Beweggründe nicht die Forschung, sondern das Geld, das sie mit Spionage und Manipulationen der Vergangenheit machen wollten. Um das zu verhindern, wurde ich im Auftrag der Polizei und einigen Wissenschaftlern, ebenso in die Vergangenheit, an den gleichen Ort wie die Forscher geschickt, hierher nach Wellington. Doch ich stellte bald fest, dass es in der Vergangenheit unmöglich war, etwas zu verändern oder Kontakt zu den Menschen dort aufzunehmen. Für die waren wir nicht sichtbar, existierten wir gar nicht, und es war unmöglich, eine Tür oder einen Schrank zu öffnen oder etwas vom Boden aufzuheben. Ich konnte zwar die Umgebung und die Menschen fotografieren, aber sie sahen mich nicht. Und so fotografierte ich zufällig diesen Montenegro, ohne dass er etwas davon merkte. Da ich durch die Zeitreise der Forscher mitgerissen wurde, wusste ich nicht in welcher Stadt ich angekommen war.«

Die beiden Agents sassen mit offenem Mund da und wussten zuerst nicht, was sie sagen sollten. Doch dann fragte Walker: »Weiss man, was die drei auskundschaften wollten?«

»Jein«, antwortete Clearwater, »bis jetzt nicht. Der eine, dieser Steven, ist in der Psychiatrie, von dem ist nichts zu erwarten. Der Chef schweigt und die Frau machte nur Andeutungen. Wir wissen, dass die Reise in die Vergangenheit nicht ihren Vorstellungen entsprach. In ihren Unterlagen fanden wir drei mögliche, von ihnen aufgestellten theoretische Szenarien. Das erste: Beim Zurückreisen in die Vergangenheit kommt man in eine Zeitspalte. Das heisst, es ist eine Zeit innerhalb eines Zeitpunktes, in dem niemand ist, weil es diesen für die Menschen dort gar nicht gibt, die Forscher hätte sich frei bewegen und alles manipulieren können, für sie wäre das der Idealste gewesen. Die zweite Theorie: Sie hätten sich frei bewegen und die Vergangenheit manipulieren können, wären aber nicht gesehen worden. Und das dritte Szenario wäre gewesen, dass sie sich frei bewegen und mit den Leuten hätten sprechen können und von diesen auch gesehen würden. Wie in Back to the Future. Das letzte Szenario hätte aber bedingt, dass sie zeitlich noch weiter zurückmüssten, um dann zum Beispiel Lottozetteln mit den in der Gegenwart bekannten Gewinn-Zahlen, auszufüllen. Aber, wie das Leben so spielt: Keines dieser erhofften Szenarien ist eingetreten. Sie waren zwar unsichtbar, aber es war ihnen unmöglich, etwas zu verändern, zu manipulieren, oder mit den Menschen Kontakt aufzunehmen. Sie mussten improvisieren und konnten so nur spionieren, Passwörter und Zugangsberechtigungen auskundschaften, bei Vertragsabschlüssen zusehen und so fort. Ich denke, Wellington ist ideal dafür, weil es hier auch viele militärische Einrichtungen gibt.«

»Das Ganze ist mir etwas zu hoch, ganz begreife ich es nicht«, meinte Cooper. »Aber das muss ich zum Glück auch nicht.«

»Aber Sie verstehen sicher, warum wir das geheim halten wollen«, fuhr Clearwater weiter. »Die Gefahr für einen Missbrauch ist einfach zu gross.«

»Ich verstehe. Wow! Das ist wirklich eine schwer zu glaubende Geschichte«, staunte Walker.

»Es bin sprachlos«, nickte anerkennend Agent Cooper, »was bei mir selten ist.

Jetzt verstehe ich, warum Sie die Auskünfte brauchten. Was haben Sie jetzt vor?«

»Ich denke, wir zeigen Ihnen, wo Herr Gummimann das Foto gemacht hat und sehen uns hier in Wellington etwas um«, antwortete Clearwater, »und dann gehen wir noch zur Anwaltspraxis, damit die Bescheid wissen und die Passwörter ändern. Und Sie suchen weiter?«

»Ja, wir werden noch ein paar weitere Galerien abklappern.« Cooper schaute zu Walker, der zustimmend nickte. »Wir hoffen, ihn so zu finden. Klappt das nicht, wird es schwieriger. Und dann wollen wir uns am Donnerstag noch diskret unters Publikum in der Buchhandlung Simon & Smith mischen, wo Montenegros neues Buch vorgestellt wird.«

»Konnten Sie anhand der Verpackung des Gegenstands, welche der vermutliche Montenegro trägt, die Galerie oder das Warenhaus nicht ausfindig machen? Ist es wirklich eine Galerie?«, wollte Gummimann wissen.

»Anhand der Verpackung, was meinen Sie damit?«, fragte Cooper erstaunt.

Gummimann holte aus seiner Jackentasche den Fotoapparat, und suchte darauf das Bild. Er hatte viele seiner damals aufgenommenen Bilder noch nicht gelöscht.

»Hier, auf der Verpackung«, und er vergrösserte den Ausschnitt. »Sie hat ein Muster, leicht rot mit bunten Streifen, das könnte vielleicht ein Hinweis sein.«

Walker nahm die Kamera, studierte das Bild kurz und sagte erfreut: »Sie haben recht, das ist mir bis jetzt nicht aufgefallen, das ist die Verpackung der Wellington Shopping Mall. Ich erkenne es, weil auf einem Werbeprospekt der Mall eine Einkaufstasche mit diesem Muster zu sehen ist.«

Nun studierte es auch Cooper. »Auf die simpelsten Sachen sind wir nicht gekommen, wir haben uns nur auf die Person konzentriert. Wir müssten uns schämen.« Er schüttelte den Kopf. »Um dorthin zu gehen ist es jetzt zu spät, die schliessen um 10.00 Uhr abends, und jetzt ist es«, er schaute auf seine Armbanduhr, »zehn vor, bis wir dort sind, haben die geschlossen.«

»Wollen Sie morgen mitkommen?«, fragte Agent Walker. »Wir könnten um 7.30 Uhr im Hotel zusammen frühstücken und dann als erstes in dieShopping Mall gehen.«

Clearwater und Gummimann sagten zu, und verabschiedeten sich. Beide waren froh, endlich ins Bett zu kommen, und hofften, trotz des Jetlags, schlafen zu können.

Gegen 8:30 Uhr am nächsten Morgen fuhren alle zusammen mit dem Mietwagen zur Shopping Mall. Cooper sass am Steuer, Walker auf dem Beifahrersitz. Gummimann, der mit Sir Clearwater hinten sass, gähnte noch immer, während Clearwater ziemlich wach wirkte. Beim Frühstück im Hotel, hatte Clearwater ein komplettes Frühstück genossen, während Gummimann nur einen Kaffee getrunken hatte. Aber langsam erwachten auch bei ihm die Lebensgeister, was zur Folge hatte, dass er Hunger bekam.

Er schaute durch das Fenster und betrachtete die ihm zum Teil bekannten Strassen und Quartiere, auch sah er die Kirche, wo er die unangenehme Begegnung mit Steven hatte. Alles kam ihm vor, als wäre es gestern gewesen. Auch die schlechten Gefühle kamen wieder hoch, aber er wusste, er durfte sich damit nicht den Urlaub verderben lassen.

»Das muss die Shopping Mall sein«, sagte Cooper, »das Navi zeigt an, dass wir bald da sind.«

Sie fuhren langsamer und bogen bald in die Tiefgarage der Shopping Mall ein. Nachdem sie geparkt hatten, gingen sie zuerst zum war Kundendienst. Walker zeigte dort das Foto von Montenegro. Die aber kannten den Mann nicht und verwiesen sie an den Einpack-Service.

Auch die hatten den Mann noch nie gesehen. »Er kommt mir zwar irgendwie bekannt vor, aber hier bei mir war er nicht«, sagte die kleine, etwas korpulente Dame mit kurzen, leicht rosa gefärbten Haaren. Sie wollte das Foto Agent Walker zurückgeben, als ihr etwas auffiel. »Halt: Was ist das, was er da trägt? Es sieht aus, wie ein Bild.«

»Ja, das vermuteten wir auch«, meldete sich jetzt Cooper. »Es könnte ein Bild sein, relativ gross, darum sieht der Typ darauf so komisch aus.«

»Sollte es ein Bild sein, versuchen Sie es doch in der zweiten Etage. Dort verkaufen wir Kunst. Nicht sehr wertvolle, ist gedacht für den einfachen Mann. Schön, nicht unbedingt echt, aber es gibt da gute Drucke, und sogar handgemalte Bilder.«

Sie bedankten sich bei ihr und fuhren mit der Rolltreppe in den zweiten Stock. Es war ein grosses Einkaufscenter, aber im Moment hatte es noch nicht viele Besucher. Über Lautsprecher wurden nebst den neusten Aktionen, auch, dass ein kleiner Junge nach seiner Mutter suche, durchgegeben.

Zwei Schaufensterpuppen mit den neuesten Sommerkleidern, begrüssten sie am Eingang der zweiten Etage. Dann ging es durch die Damenkleider-Abteilung, zur Abteilung für Kunst und Nippes. Ein gut gekleideter Mann mit perfekt gestylten blonden Haaren kam ihnen entgegen. Die Hände leicht in der Luft, den kleinen Finger abgespreizt, fragte er, womit er ihnen dienen könne. Seine etwas affektierte Sprechweise liess vermuten, dass er mehr an Männern als an Frauen interessiert war.

Walker begrüsste ihn und fragte: »Kennen Sie zufällig diesen Mann auf dem Bild? Wir müssten ihm etwas zurückgeben, ich denke er wäre uns sehr dankbar dafür.«

Clearwater schmunzelte, Walkers Begründung war nicht schlecht und unverfänglich.

Der Mann studierte das Bild kurz, dann schien er zu überlegen. »Ich kenne ihn, der war schon öfter hier. Nicht sehr attraktiv, schlecht angezogen, aber interessiert. Er hatte sich, das war vor einem Monat oder so, ein etwas kitschiges Bild ausgesucht. Ich fand es nicht besonders schön. Das Bild war kein Druck, es war richtig gemalt. Fünf Pferde waren darauf zu sehen, die friedlich auf einer Weide grasen und ein Hengst, der alles beobachtet. Wir bekommen oft gemalte Bilder, die sind etwas teurer, aber wirken natürlich besser.« Während er sprach, hielt er sich den Zeigefinger an die Backe. »Es war das erste Mal, dass der Typ etwas gekauft hat. Dabei hatte er sich ein sehr schlecht gemaltes Bild ausgesucht, die Perspektiven waren falsch und auch die Farben, fast zu süss. Das will bei mir etwas heissen.« Er kicherte und sah sich verstohlen um.

»Wissen Sie, wie er heisst?«, wollte Cooper wissen.

Der Mann schüttelte den Kopf: »Nein, aber der Name sollte auf der Quittung stehen, bei solchen Bildern machen wir das meistens, so zur Sicherheit, wenn Sie verstehen.«

Cooper hatte keine Ahnung warum, und es war ihm auch egal. »Könnten Sie für uns die Quittung heraussuchen?« Er sagte es sanft und lächelte ihn bittend an.

»Ja, das kann ich, aber so schnell geht das nicht. Sie könnten in der Zwischenzeit unsere schönen Drucke bewundern oder die kleinen griechischen Statuen mit den hübschen, nackten Sportlern. Ich werde Sie rufen«, und er verschwand in einem Hinterraum.

Gummimann lachte: »Warten wir und sehen uns die Statuen und die Bilder an.«

Die Auswahl war gross, aber Gummimann war nur an den Pferdebildern interessiert. Im hinteren Teil der Abteilung fand er Tierbilder und darunter hatte es auch welche mit Pferden. Da gab es Pferdeportraits, Pferde im Stall, galoppierende und grasende Wildpferde und ein gemaltes mit fünf Pferden in einer Koppel. Gummimann nahm es aus dem Gestell und rief die Kollegen.

»Das dürfte ein solches Pferdebild sein«, sagte er und deutete darauf. »Fünf Pferde, aber gut gemalt.«

Clearwater schaute es sich genauer an. »Aber so kitschig ist es nicht, wie der Verkäufer sagte. Also ich finde es schön.«

»Sie haben recht«, bestätigte Cooper. »So etwas würde ich sogar in meiner Wohnung aufhängen.«

Auch Walker nickte, als er es betrachtete. »Vielleicht entspricht es nicht dem von Alf Knielog, anders kann ich es mir nicht vorstellen.«

»Hier sind Sie meine Herren! Ich habe es mir gedacht, dass Sie bei den Bildern sind. So wie es scheint, haben Ihnen die griechischen Statuen nicht so zugesagt: Schade.« Der Verkäufer kam kichernd auf sie zu. »Hier habe ich den Namen und die Adresse. – Oh, Sie interessieren sich für das Pferdebild? Ein schönes Bild, auch eines der Handgemalten.«

»Sieht so das Bild von dem Mann aus, den wir suchen?«, fragte Walker.

»Sie meinen das von Mister Britten, Benjamin Britten? Es war ähnlich, aber schlechter, fast schlampig gemalt. Eigentlich wollte ich es dem Lieferanten zurückgeben, Aber Britten wollte es unbedingt haben.«

»Benjamin Britten heisst er?«, fragte Gummimann erstaunt. »Hiess nicht ein englischer Komponist so?«

»Ja, richtig«, antwortete der Verkäufer und kicherte. »Ich habe mich auch gewundert. Hier ist noch die Adresse. Ich habe noch Kundschaft, die wartet, wenn Sie mich bitte entschuldigen.«

Er verabschiedete sich und ging.

»Eines wissen wir jetzt«, sagte Walker, »Britten ist unser Montenegro oder könnte sein Doppelgänger sein. Zur Sicherheit, ob er sich nur einen anderen Namen zugelegt hat oder er wirklich Britten ist, sollten wir ihn trotzdem befragen. Trifft das zu, dann ist unser Aufenthalt hier schon fast beendet.« Er studierte seine Notizen. »Ob die Adresse wirklich stimmt? Fragen wir das Navi und sehen uns dort um. Wenn Sie, Sir Clearwater und Mr. Gummimann etwas anderes vorhaben, können wir auch alleine hingehen. Sehr spannend wird es wohl nicht werden.«

»Vielleicht wäre es gut, wenn wir mitkommen«, meinte Clearwater, »schliesslich ist Mr. Gummimann der einzige, der Monte… nein Britten gesehen hat.«

»Sie haben recht, Sir Clearwater. Eventuell wäre es sogar besser, Mr. Gummimann, wenn nur wir zwei den Mann besuchen würden. Ich denke, wenn vier Personen vor der Tür stehen, kann das einschüchternd wirken und das wollen wir nicht. Was meinen Sie, Mr. Cooper?«

»Mir soll es recht sein. Sir Clearwater und ich stehen aber bereit, sollte etwas Unvorhergesehenes eintreten.«

Auf der Fahrt – das Navi machte seine Arbeit gut – sagte Cooper immer noch schmunzelnd und den Kopf schüttelnd: »Ich begreife nicht, dass man ein Kind nach einem berühmten Komponisten nennen kann, der ist doch sein ganzes Leben damit bestraft. Man hätte ihn auch Thomas Britten oder Steven taufen können.«

Gummimann, der auf dem Rücksitz sass, lachte. »Ich hatte einen Kollegen der hiess Dustin Hoffmann, nur weil seine Mutter für den Schauspieler Dustin Hoffmann schwärmte. Mütter haben oft seltsame Ideen.«

Sie kamen in eine Gegend etwas ausserhalb von Wellington, mit vielen, ziemlich heruntergekommen kleinen Einfamilienhäusern aus Holz. Viele der Häuser waren nicht mehr bewohnbar und deren Gärten verwildert, die Strassen waren in einem schlechten Zustand und am Strassenrand lag viel Abfall.

Cooper kontrollierte, ob seine Pistole geladen war, er machte ein nachdenkliches Gesicht. »Hier soll dieser Montenegro wohnen? Ein Erfolgsautor, der im Geld schwimmt? Das kann ich mir nur schlecht vorstellen. Vermutlich ist Britten wirklich nur sein Double, und eventuell weiss er das nicht einmal. Es müsste mir enorm schlecht gehen, bis ich da wohnen würde.«

Vor dem Haus der College Road Nummer 99 hielten sie an und stiegen aus. Etwas erstaunt sahen sie sich um. Das Haus schien dem Zerfall nahe, überall war die Farbe abgeblättert. Viele Stellen in der Holzwand waren morsch, und es hatte schon grosse Löcher, die zwar nicht bis durch die Innenwand gingen, aber das würde nur eine Frage der Zeit sein, bis das geschah. Der Garten bestand, da es lange nicht mehr geregnet hatte, nur noch aus dürrem Gras, und der Weg zum Eingang war mit Unkraut überwuchert und nur noch ansatzweise vorhanden.

Walker und Gummimann näherten sich dem Haus, während Clearwater und Cooper beim Auto warteten und ihr Tun verfolgten. Ein komisches Gefühl beschlich Gummimann: Etwas stimmte hier nicht.

Zwei Stufen führten zum Hauseingang, der unter einem ziemlich verlotterten Vordach lag. Ein nur noch spärlich vorhandenes Fliegengitter versperrte den Zugang zur Tür. Die Hand zur Sicherheit an der Pistole, zog Walker das Fliegengitter auf und klopfte. Keine Reaktion.

Er versuchte es nochmals, aber diesmal mit der Faust und rief: »Hallo Herr Britten, sind Sie zuhause?!«

Noch während er rief, sprang die Tür auf. Erstaunt sahen sich Walker und Gummimann an, dann blickten sie zu Clearwater und Cooper, die beim Auto warteten und zuckten erstaunt die Schultern. Mit dem Finger gab Gummimann der Tür einen Stoss und sie öffnete sich ganz.

»Hallo, ist wer da? Herr Britten, hallo!« rief Gummimann und schaute vorsichtig in den Raum.

Walker hatte seine Pistole gezogen, ging an Gummimann vorbei. Der Raum war leer. Sich nach allen Seiten absichernd trat er ein. Auch Cooper war inzwischen dazu gekommen und folgte ihm. Mit der Hand deuteten sie Gummimann, er solle bei der Tür noch warten. Sie gingen zu weiteren Zimmern im hinteren Hausteil und kamen wieder zurück.

»Es ist niemand da«, sagte Walker. »Aber kommen Sie doch mit, da gibt es etwas Interessantes zu sehen.«

In der Zwischenzeit war auch Clearwater bei Gummimann, und sie betraten das Haus. Was Gummimann auffiel: Alle Zimmer waren sauber, es gab wenig Staub und es lag, ausser ein paar Zeitungen, nichts am Boden. Es ging durch einen schmalen Gang, vorbei an den offenen Türen von Bad, Küche und einem kleineren Zimmer, zu einem grösseren Zimmer, welches die ganze Hausbreite einnahm. Auch dort stand die Tür offen, es war leer, bis auf eine Staffelei in der Zimmermitte. Darauf stand ein Bild, auf dem fünf Pferden und ein weisser Hengst zu sehen waren.

»Das scheint das Bild zu sein, das Britten gekauft hatte. Schlecht gemalt, wie es der Verkäufer beschrieben hatte, auch farblich nicht gut.« Walker trat näher zu dem Bild. »Aber warum steht es in einem leeren Haus?«

»Vielleicht will uns jemand verarschen?«, sagte nun Cooper.

»Aber niemand wusste, dass wir hierher wollten!«, Gummimann machte eine erstaunte Geste.

»Doch«, meldete sich jetzt Clearwater: »Der schwule Verkäufer, er hat uns auch die Adresse gegeben.«

»Aber warum dieser Aufwand?« Gummimann wollte es nicht glauben. »Vielleicht ist es nur Zufall, oder das Bild ist für jemand anderes bestimmt. Oder, es hat für diesen Britten einen symbolischen Wert. Nur: Wo wohnt er wirklich? Einfach so verschwinden kann er nicht.«

Alle standen sinnierend vor dem Bild.

Walker nahm es von der Staffelei. »Es ist doch schon einige Wochen her, als er dieses Bild gekauft hatte, und das Haus wurde sauber gehalten, obwohl es niemand bewohnt. Es könnte sogar eine Gedenkstätte für einen Verstorbenen sein.« Er stellte es wieder zurück.

»Was machen Sie hier?«, sagte eine Stimme aus dem Hintergrund.

Sie drehten sich um und blickten zur Tür. Dort stand ein alter Mann, mit dunkler Hautfarbe und kurzen, fast weissen Haaren.

»Suchen Sie etwas, warum sind Sie hier eingedrungen? Das ist privat. Ich werde die Polizei holen!« Der Alte kam näher.

»Die Polizei ist nicht nötig, wir sind vom FBI«, und Cooper zeigte seine Marke. »Ich bin Special Agent Cooper und das sind meine Kollegen, Special Agent Walker, Sir Clearwater und Detektiv Gummimann. Wir suchen eigentlich Benjamin Britten, er soll hier wohnen.«

Der alte Mann beruhigte sich. »Sorry, ich wusste nicht, dass Sie von der Polizei sind. Ich muss nur auf das Haus aufpassen und alles in Ordnung halten. Herr Britten will das so, es ist sein Haus, aber er wohnt nicht hier. Er bezahlt mich dafür, nicht viel, aber einen Zuschuss zur Rente ist immer gut.«

»Und wo wohnt Herr Britten?«, fragte Walker.

Aber der Alte zuckte nur die Schultern: »Ich weiss es nicht. Er bezahlt mich, wenn er hier auftaucht. Das kann manchmal einmal pro Woche sein, dann aber dauert es wieder mehrere Monate. Eine grosse Hilfe werde ich ihnen da nicht sein.«

Aus seiner Jackentasche holte Walker eine Visitenkarte und einen Notizblock. »Sagen Sie mir noch Ihren Namen und geben Sie mir Ihre Adresse, falls wir noch Fragen haben. Und hier noch unsere Karte, sollte Ihnen noch etwas einfallen.«

»Also ich bin Andrew Winthrop, College Road 97.« Walker notierte alles.

Als sie wieder auf dem Rückweg waren meinte Cooper: »Wir sind genauso weit wie zuvor. Eine komische Sache: Ein schlecht gemaltes Bild in einem verlotterten alten Haus in einer heruntergekommenen Gegend, das von diesem Winthrop gegen Bezahlung in Schuss gehalten wird, aber keine Adresse von Britten. Ich weiss nicht, es scheint mir ein bisschen eigenartig. Nun, uns kann es egal sein, vermutlich ist das nicht unser Montenegro. Ich weiss nicht, ob es wirklich Sinn macht, weiter nach ihm zu suchen.«

»Was haben Sie noch vor, Sir Clearwater und Mr. Gummimann?«, fragte Walker, der am Steuer sass.

»Ich würde gerne zum Fluss gehen und mir die Promenade ansehen, und dann einfach durch die Stadt bummeln«, antwortete Gummimann. »Was meinen Sie, Sir Clearwater?«

»Ja, machen wir das, ich finde das eine gute Idee! Ich möchte doch sehen, wo Sie überall waren. Irgendwann muss ich noch zur Anwaltskanzlei, aber das hat Zeit.«

»Morgen«, sagte Cooper, »stellen sie im Mysterious Bookshopbei Simon & Smith, das neue Buch von Montenegro vor: Das dürfte sicher sehr interessant werden. Ich schlage vor, Sie kommen auch und begleiten uns. Montenegro wird sicher nicht anwesend sein, aber dann erfahren wir, was auf uns zukommen könnte, sollte jemand seine Geschichten wieder real werden lassen wollen.«

»Klar ich komme gerne mit. Ich denke, Sie kommen auch mit, Sir Clearwater.« Gummimann schaute zu ihm und er nickte ihm bestätigend zu. »Sie können uns da vorne aussteigen lassen, bis zum Fluss sollte es nicht mehr weit sein, soweit ich mich erinnern kann.«

Am Tag danach, Donnerstagnachmittag, 4:00 Uhr. Die Buchhandlung war gut besucht, viele Leute mussten stehen, es hatte zu wenig Sitzplätze. Heute war die Vorstellung von Montenegros neuem Buch. Gummimann stand zusammen mit Clearwater, Walker und Cooper nahe dem Eingang. Der Raum war für solch grossen Anlässe nur bedingt geeignet. Für kleinere Lesungen kein Problem: Dreissig Personen hatten gut Platz, aber für das neue Buch von Montenegro waren sicher mehr als doppelt so viele Interessenten gekommen, und es wurde richtig eng. Die Buchhandlung war sehr mystisch eingerichtet: Mit Hexen auf Besen, die an der Decke hingen, Elfen und Trolls, die als Figuren zwischen den Büchern standen und Bildern von Harry Potter und seinem Widersacher Voldemort an den Wänden, die aussahen aus wie alte, zerfallene Mauern, aus Gips und Holz.

Das Licht wurde gedimmt, ein Spot ging an und beleuchtete ein kleines Stehpult. Die Gespräche verstummten sofort und alle blickten gespannt dorthin. Lange geschah nichts: Dann trat, begleitet von unheimlicher Musik, aus einer seitlichen Tür eine junge Dame, die wie eine Hexe gekleidet war. Sie kicherte, legte ein Buch auf das Pult und musterte mit einem fiesen Lachen die Zuschauer – die Musik verstummte.

»Vielleicht bin ich schon ein Teil dieses Buches«, begann sie. »Vielleicht ist das euer letzter freier Moment in eurem Leben! Denn, sobald ich vorlese, seid ihr so gefesselt, dass ihr unbedingt die ganze Geschichte lesen müsst.« Sie lachte wieder auf gemeine Art, und liess erneut ihren fiesen Hexen-Blick über das Publikum gleiten. »Das neue Buch heisst …« sie machte eine Pause, »es heisst: Pferde im Nebel!«, wieder liess sie Zeit verstreichen, und ihre Augen wanderten über die Leute, sie machte es super spannend. »Pferde im Nebel: Es klingt so harmlos, so sanft«, dann eine längere Pause. »Ist es aber nicht«, sagte sie jetzt betont langsam, und lautes, bösartig klingendes Gelächter aus den Lautsprechern unterstrich ihre Worte. Manche der Zuschauer zuckten zusammen. Ein Raunen ging durch die Menge, bald aber beruhigten sie sich wieder, und die Hexe fuhr fort. »Wie Ihr euch vorstellen könnt, kann ein Buch von Montenegro nicht harmlos und sanft sein, wieder einmal werdet ihr in das Reich der Bösen versetzt. Hexen, die als solche nicht zu erkennen sind, bringen die Menschen in scheinbar ausweglose Situationen. Abgrundtiefe Schlünde tun sich auf, und harmlos wirkende Pferde, die aus dem Nebel erscheinen, terrorisieren ganze Städte. Ich werde nur einen kurzen Ausschnitt vorlesen, aber schon der wird vielen von euch die Haare zu Berge stehen lassen.« Und sie begann zu lesen.

Kopfschüttelnd hörte Gummimann zu. »Die zieht eine tolle Show ab, das muss man ihr lassen«, flüsterte er Clearwater ins Ohr und Clearwater nickte lächelnd anerkennend.

Unheimliche Geräusche und Blitze begleiteten ihre Lesung. Ein Donner und zwei von der Decke herunterschwebende Plakate mit Werbung für das Buch, beendeten die Vorstellung. Das Licht ging an, sie verneigte sich und das Publikum zwängte sich durch die schmale Tür zum Verkaufsstand, der im vorderen Teil der Buchhandlung eingerichtet war. Alle wollten das Buch, auch Walker stellte sich geduldig in die Reihe. Gummimann, Clearwater und Cooper warteten vor der Buchhandlung auf ihn.

»Diese Art Bücher liegt mir nicht«, sagte Clearwater. »Zu viel Mystik und Unwahrscheinliches. Hexen und Pferde, die Menschen terrorisieren. Das ist mir zu viel Fantasie.«

Gummimann schüttelte den Kopf: »Das ist auch nicht mein Ding, aber dem Publikum scheint es zu gefallen.«

»Und trotzdem müssen wir es lesen«, Cooper blies den Rauch von der vorher angezündeten Zigarette aus. »Ihnen ist es natürlich freigestellt, ob Sie das auch machen wollen, aber wir versuchen herauszufinden, was als nächstes auf uns zukommen wird.«

»Ich hoffe mein Englisch ist gut genug, um es lesen zu können«, meinte Gummimann etwas betreten.

»Das geht schon, sonst unterstütze ich Sie dabei«, lachte Clearwater.

Sie mussten eine halbe Stunde warten, bis Walker mit vier Bücher wieder herauskam. Er wischte sich mit dem Taschentuch den Schweiss von der Stirn.

»Dort war es heiss, so viele Leute wollten ein Buch«, er verteilte die Bücher. »Sehen Sie sich den Umschlag an: Was fällt Ihnen auf?«

Gummimann betrachtete den Umschlag genauer. »Es sind fünf Pferde und ein Hengst zu sehen, das Bild gleicht dem von Britten.«

Cooper nickte. »Richtig. Ob das ein Zufall ist, kann ich mir kaum vorstellen.«

»Aber: Ob dieser Britten wirklich Montenegro ist, wissen wir immer noch nicht. Er könnte ihm auch nur sehr ähnlichsehen.«

»Das haben wir uns auch schon gedacht«, sagte Walker. »Aber für was soll das gut sein? Auch sein verwahrlostes Haus, ein Mausoleum, wofür, für wen? Vielleicht machen wir uns auch zu viele Gedanken, und es ist nichts. Vielleicht sieht ihm Britten wirklich nur ähnlich und sein Bild mit den Pferden ist wirklich nur ein Zufall. Ich schlage vor, wir gehen wir ins Hotel oder an einen ruhigen Ort, und stürzen uns in das Böse und zu den Hexen. Später können wir darüber diskutieren.«

Im Hotel zurück, sassen Gummimann und Clearwater in einem bequemen Polstersessel in Clearwaters Zimmer. Beide waren in die Pferde im Nebel vertieft. Zwischendurch verglich Gummimann die Fotos von der Kamera mit den Orts-Beschreibungen im Buch, während Clearwater immer wieder gelangweilt ein Gähnen unterdrücken musste.

»So wirklich spannend ist die Geschichte nicht. Etwas verrückt vielleicht!«, Clearwater zupfte sich am Bart: »so viel Fantasy nimmt viel von der Spannung der Story. Man ahnt immer, dass eine neue Gemeinheit kommen wird, welche die die Superhelden bekämpfen müssen. Und die Helden hinken immer einen Schritt hinterher, obwohl sie viele Fähigkeiten besitzen. Die angeblichen Hexen kommen dauernd in einer anderen Gestalt daher. Warum der Nebel mit den Pferden immer wieder auftaucht, ist mir noch nicht ganz klar, und zum Teil ist es auch unlogisch.«

Gummimann lachte. »Das ist Montenegro: Deshalb lieben ihn seine Leser! Bis zum Schluss weiss man nicht genau – und ich denke auch der Autor nicht – was da vor sich geht. Dann löst sich alles auf – oft etwas an den Haaren herbeigezogen. Auch sein Buch Die Brückenmalerin war ähnlich aufgebaut.«

»Und so etwas lesen Sie?«

»Ja, ich hatte damals gerade kein anderes Buch zur Hand«, antwortete Gummimann entschuldigend. »Was mir aufgefallen ist: Die Gegenden die er beschreibt, könnten hier sein. Namen nennt er nie. Aber ich kann mich an die Hangars erinnern, die ich damals gesehen habe. Und so ähnlich beschreibt er auch das Hauptquartier der fantastischen Helden. Die müssen wir uns ansehen – nicht die Helden, die Hangars – nicht nur wegen Montenegro, sondern: Mein möglicher Ankunftsort, hier in den Staaten.«

Clearwater schaute auf die Uhr. »Es ist Zeit für das Dinner, Herr Gummimann. Im Speisesaal treffen wir noch Walker und Cooper, dann können wir mit ihnen über das tolle Buch diskutieren und uns austauschen.«

Kaum hatten sie den Speisesaal betreten, da winkte ihnen Cooper zu, der mit Walker an einem Tisch bei der Fensterfront sass. Sogar zwei zusätzliche Gedecke waren für sie aufgedeckt.

»Wir dachten, dass Sie nächstens kommen werden und waren so frei, für Sie zu reservieren. Agent Walker hat diesen Platz ausgesucht, ich hoffe Sie sind damit einverstanden.«

»Bestens«, meinte Clearwater und Gummimann nickte anerkennend. Sie setzten sich und bestellten sogleich. Gummimann und Agent Cooper wählten ein NY Sirloin Steak und Clearwater und Walker entschieden sich für Country Style Spareribs, die hier in Texas sehr beliebt waren.

Für Gummimann machte die Menge Fleisch, die er dann bekam, fast sprachlos. Ein so grosses Stück, hatte er in seinem Leben noch nie auf dem Teller. An den American Style of Life musste er sich zuerst gewöhnen. Hier ist eben alles grösser.

»Und, wie gefällt Ihnen das Buch?«, fragte Walker mit einem ironischen Lächeln.

Gummimann winkte ab. »Ist nicht mein Geschmack: Fast wie ein Märchenbuch, nur brutaler«, antwortete er zwischen zwei Bissen Fleisch. »Ich sehe auch den Sinn der Story noch nicht.«

»Sehr viel Sinn gibt die Story wahrscheinlich nicht her«, sagte Cooper, der mit sichtlichem Appetit die grosse gefüllte Kartoffel auslöffelte. »Aber interessant ist der Teil mit dem Diamanten des Lebens, den die Hexen suchen, und der dann immer mehr zum eigentlichen Inhalt der Geschichte wird.«

»Soweit seid Ihr also schon mit dem Lesen: Mehr als dreissig Seiten hab ich noch nicht geschafft, und da kommt noch kein Diamant vor«, staunte Gummimann.

- Ende der Buchvorschau -

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Texte © Copyright by Martin Keller im Wilaker 10 4106 Therwil [email protected]

Bildmaterialien © Copyright by Martin Keller

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ISBN: 978-3-7394-1364-8