In Portugal gehen die Uhren anders - Ben Keissup - E-Book

In Portugal gehen die Uhren anders E-Book

Ben Keissup

3,8

Beschreibung

Ich bin vor 25 Jahren zum ersten Mal nach Portugal gereist, da ein alter Schulfreund zu dieser Zeit in Portugal arbeitete und ich ihn mit einigen Freunden besuchen wollte. In diesen 25 Jahren habe ich insgesamt 15 Reisen nach Portugal unternommen, meist mit meiner Frau, einer Portugiesin, die ich vor 22 Jahren geheiratet habe, bzw. mit meiner Familie. Dadurch habe ich Land und Leute, insbesondere die Familie meiner Frau, gut kennengelernt und viele interessante, oft witzige Erlebnisse gehabt. Auch konnte ich beobachten, wie sich das Land im Verlauf von 25 Jahren entwickelt hat. Vor einigen Jahren habe ich begonnen, einige Episoden, die ich während meiner Reisen erlebt habe, aufzuschreiben und nun ist ein Buch daraus geworden. In 15 Kapiteln erzähle ich von meinen Erlebnissen, ich versuche aber auch zu ergründen, worin sich Portugal und Deutschland unterscheiden, gebe ein paar touristische Hintergrundinformationen und ergänze das Ganze durch einige Rezepte portugiesischer Spezialitäten.

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Für meine Frau und meine Söhne, mit denen ich die meisten Reisen nach Portugal unternommen habe.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1990 - Meine erste Portugal-Reise wäre fast meine letzte gewesen

1991 - Die liebe Verwandtschaft

1993 - Eine Hochzeit mit kleinen Hindernissen

1995 - Eine portugiesische Reise

1997 - Vergebliches Warten

1999 - „Aqui nasceu Portugal“

2000 - Ein Junge überlebt

2002 - Taufen oder nicht taufen, das ist hier die Frage

2004 - Portugal - Land des Weines

2006 - Wo ist der Ball geblieben?

2008 - Wo ist der Strand geblieben?

2010 - Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen

2012 - Noch eine Hochzeit mit kleinen Hindernissen

2013/2014 - Sechs Männer und ein Hund

2014 - Eine Geduldsprobe

Vorwort

Mein erstes Buch wollte ich bereits im Alter von 13 Jahren schreiben. Zwei Jahre zuvor hatte ich bei meinen Eltern in einem Polyglott-Reiseführer von Thorshavn, der Hauptstadt der Färöer, gelesen und war neugierig, mehr über diesen Ort zu erfahren. Also schrieb ich eine Postkarte an die im Buch angegebene Adresse des dortigen deutschen Konsulats. Einige Wochen später erhielt ich einen Brief vom Konsul persönlich, der mir einige Prospekte zusandte und gleichzeitig mich und meine Eltern einlud, ihm einen Besuch abzustatten, sollten wir vorhaben, zu den Färöern zu reisen. Er reise auch mehrmals im Jahr nach Deutschland, schrieb er, und vielleicht ergäbe sich auch einmal die Gelegenheit sich in Deutschland zu treffen.

Nach einigen weiteren Briefen trafen wir den Konsul tatsächlich. Nachdem er geschäftlich in Hamburg zu tun gehabt hatte, war er in meine Heimat im westlichen Münsterland gereist, um uns zu besuchen. Er rief uns eines Nachmittags an und wir holten ihn vom örtlichen Bahnhofshotel ab und gingen zusammen essen. Beim nächsten Mal übernachtete er dann bei uns zu Hause und ein halbes Jahr später machte ich mich mit meinen Eltern auf die Reise nach Dänemark und von dort mit dem Schiff zu den Färöern. Wir hatten den Konsul mittlerweile so gut kennengelernt, dass er uns anbot, 10 Tage bei ihm zu Hause zu übernachten und von dort aus Thorshavn und den Rest der Inselgruppe zu erkunden. Manchmal war ich mit meinen Eltern allein auf den 18 Inseln im Nordatlantik unterwegs, manchmal begleitete er uns auf unseren Ausflügen. Gute Reisetipps bekamen wir von der örtlichen Tourist-Information, einen Reiseführer hatten wir jedoch zuvor in Deutschland vergeblich gesucht.

Zwei Jahre später war ich dann noch einmal allein zu Besuch bei den Wikingern und wieder konnte ich mich nicht mit einem Reiseführer auf meinen Besuch vorbereiten. Also beschloss ich, vor Ort ein Reisetagebuch zu führen und viele Informationen zu sammeln. Zurück in Deutschland begann ich dann, alles zu sortieren und ein Manuskript zu schreiben. Nach einiger Zeit merkte ich jedoch, dass ich mir zu viel vorgenommen hatte und es blieb bei einigen Skizzen.

Einige Jahre später, ich war inzwischen zum Experte in Sachen Pop-Musik geworden, hatte ich die Idee, ein Pop-Musik-Lexikon zu veröffentlichen. Ich bat Plattenfirmen, mir Bilder und Informationen von Sängern und Gruppen zuzusenden, musste dann aber beim Gang in die Stadtbibliothek feststellen, dass mir andere Autoren schon zuvorgekommen waren. Immerhin konnte ich später als Student einige Jahre lang als freier Mitarbeiter für die Jugendseiten einiger Tageszeitungen und Magazine arbeiten, die regelmäßig Artikel von mir abdruckten.

Jetzt ist mein erstes Buch endlich fertig. Die Idee zu diesem Buch kam mir, als ich vor einiger Zeit wieder einmal von einer Reise nach Portugal zurückgekehrt war. Ich saß mit meiner Familie bei meinen Eltern und immer wenn ich von einer interessanten Begebenheit erzählte, wurde ich entweder von meiner Frau oder von einem unserer beiden Söhne unterbrochen. Das Gleiche passierte mir, wenn wir uns mit Freunden unterhielten. Daraufhin beschloss ich, mich an meinen Schreibtisch zu setzen und ungestört die spannendsten Geschichten aufzuschreiben, damit sie jeder in Ruhe nachlesen kann. Das Ergebnis ist dieses Buch, mit dem ich von meinen Abenteuern am südwestlichen Rand Europas berichte.

1990 - Die erste Portugal-Reise wäre fast meine letzte gewesen

„Meine Damen und Herren, hier meldet sich noch einmal ihr Kapitän aus dem Cockpit. Wir haben unsere Reiseflughöhe bereits verlassen und befinden uns nun auf dem Anflug auf Porto. Das Wetter in Porto ist sonnig, die Temperatur beträgt 25°C. Wir werden in etwa 20 Minuten landen, also um 16.40 Uhr.“ Mit diesen Worten informiert uns der Pilot über die bevorstehende Ankunft in Portugal.

Es ist meine 15. Reise in das Land im Südwesten Europas. Ein Blick auf die Armbanduhr zeigt, dass es spätestens jetzt Zeit ist, die Uhr eine Stunde zurückzustellen, denn in Portugal gehen die Uhren anders. Bis auf Großbritannien und Irland ist Portugal das einzige EU-Land, in dem die westeuropäische Zeit gilt, d.h. hier ist es immer eine Stunde früher als in Deutschland. Aber auch viele andere Erlebnisse in den vergangenen 25 Jahren haben mir gezeigt, dass man in Portugal oft andere Maßstäbe anlegen muss als in Mitteleuropa.

Aber ich will von Anfang an erzählen. Die Geschichte beginnt im Sommer 1989 in einem kleinen Dorf an der Grenze zwischen Münsterland und Niederrhein. Boris Becker und Steffi Graf haben gerade die Einzeltitel bei den Offenen Englischen Tennis-Meisterschaften in Wimbledon gewonnen, Tausende Bürger der DDR versuchen über Ungarn nach Westdeutschland zu gelangen und ich bin gerade dabei, mich auf die Abschlussprüfungen meines Studiums an der Universität Osnabrück vorzubereiten. Während meines Studiums habe ich mich entschieden, den Wehrdienst zu verweigern und muss mir nun eine Zivildienststelle suchen. Willi, mein Volleyball-Trainer beim TV Phönix hat seinen Dienst bei einer Heimvolkshochschule fast beendet und berichtet, dass man es dort ganz gut aushalten könne. Man habe nicht zu viel zu tun und die Arbeitsatmosphäre sei okay.

Ich sitze also im Büro des Personalchefs der Heimvolkshochschule und erkläre, dass ich meinen Zivildienst gern dort ableisten würde. „Sie haben Glück, denn bald wird hier ein Platz frei, sie könnten also im Dezember anfangen.“ Nach kurzer Bedenkzeit erkläre ich mich einverstanden und begebe mich wieder auf den Weg nach Hause, um mich auf meine letzten Prüfungen vorzubereiten.

Am 2. Dezember ist es dann soweit: mein Zivildienst beginnt. Ich treffe die Hausmeister sowie meine Zivi-Kollegen, mit denen ich in den kommenden 18 Monaten zusammenarbeiten soll.

Die Heimvolkshochschule bietet vor allem Deutsch-Kurse für angehende ausländische Studenten sowie Kurse zur Verbesserung der Integration ausländischer Jugendlicher in Deutschland an. Sie gehen ein Jahr lang zur Schule und wohnen meist in Zwei-Bett-Zimmern im Internat auf dem Gelände der Akademie. Meine Aufgabe als Zivi ist es, bei der Pflege der Grünanlagen zu helfen, Fahrdienste zu übernehmen, in den Zimmern der Kursteilnehmer defekte Glühlampen auszuwechseln oder verstopfte Abflüsse zu reinigen oder dafür zu sorgen, dass in den Kursräumen Tische und Stühle in ausreichender Zahl vorhanden sind.

Schon an meinem zweiten Diensttag treffe ich in einem dieser Räume eine Gruppe von ausländischen Jugendlichen, die hier ihren deutschen Haupt- oder Realschulabschluss nachholen wollen. Sie haben mich als neuen Zivi identifiziert und wollen sofort wissen, wie ich heiße, wo ich wohne und wie alt ich bin. Die Jugendlichen erzählen mir, dass sie aus Italien, Griechenland, der Türkei, Spanien und Portugal stammen. Eine von ihnen heißt Linda - sie ist eine der Portugiesinnen, ungefähr 1,65m groß und etwas mollig, hat lange, wellige, dunkelbraune Haare und wunderschöne braune Augen. Als wir uns das erste Mal treffen trägt sie eine lilafarbene Daunenjacke, farblich dazu passende Handschuhe, Jeans und Sportschuhe.

Die Arbeit die ich zu verrichten habe ist meist nicht so besonders interessant, daher freue ich mich immer besonders, wenn ich ihr über den Weg laufe, wenn sie von der Schule zur Cafeteria oder zu ihrem Zimmer unterwegs ist. Oft lacht sie mich fröhlich an, wenn wir uns sehen und dann reden wir ein bisschen miteinander.

Nachdem ich nun ein halbes Jahr als Zivi gearbeitet habe, erzähle ich ihr irgendwann im Frühling 1990, dass mein Freund Gerd bei Siemens in Évora im Süden Portugals eine Stelle bekommen habe und ich ihn mit ein paar Freunden in den Sommerferien besuchen wolle. Sie hat vor, im Sommer mit ihrer Freundin Ingeborg zu ihren Eltern nach Arouca in Nordportugal zu fahren.

„Vielleicht treffen wir uns irgendwo in Portugal und wenn nicht, dann können wir uns nach den Ferien gegenseitig erzählen, was wir gesehen und erlebt haben“, sage ich.

Im Juni 1990 beginnen die konkreten Reisevorbereitungen. Ich habe überprüft, ob mein Personalausweis noch gültig ist, etwas portugiesisches Geld besorgt, zusammen mit meinen Freunden Ludger, Klaus und Rainer einen Flug nach Lissabon gebucht und ein transportables Volleyball-Set, bestehend aus Netz und schraubbaren Stangen, gekauft.

In Lissabon angekommen nehmen wir am Flughafen unser Gepäck in Empfang und werden in der Ankunftshalle schon von Gerd erwartet. Wir zwängen uns zu fünft in Gerds Fiesta (ein relativ schwieriges Unterfangen für fünf Erwachsene, die alle so etwa 1,90m lang sind) und ich ergattere den Platz hinten rechts. Das ist mein Glück, denn hinten rechts ist immer noch besser als hinten in der Mitte. Unsere Reisetaschen passen gerade eben in den Kofferraum, nur das Volleyball-Set müssen wir auf den Schoß nehmen.

Es geht zunächst auf der A1 in Richtung Norden. Kurz hinter Vila Franca de Xira endet die Autobahn und wir fahren auf der Nationalstraße 1 weiter, vorbei an Rio Major und Batalha nach Leiria. Gerd hat sich in den Jahren, in denen er in Portugal wohnt, den portugiesisch-sportlichen Fahrstil angewöhnt und so sind es nur noch ein paar Minuten rasante Fahrt auf engen Straßen und Ortsdurchfahrten meist ohne Bürgersteige nach Praia da Vieira. Mir wird schnell klar, warum Portugal eine der höchsten Verkehrsunfallraten in Europa hat. 1990 starben dort bei Verkehrsunfällen 2646 Menschen. Diese Zahl hat sich seither zwar auf weniger als ein Drittel verringert, trotzdem lag die Unfallrate mit 73 Verkehrstoten auf 1 Million Einwohner auch im Jahr 2009 noch deutlich über der von Deutschland (51 pro 1 Million Einwohner).

In Praia da Viera hat Gerd für uns für zwei Wochen eine Ferienwohnung gemietet. Nachdem wir unsere Sachen ins Haus gebracht und die Zimmerverteilung geklärt haben, bleibt gerade noch Zeit für einen kleinen Bummel durch den Ort und einen Snack in einem der kleinen Cafés. Praia da Viera ist einer von vielen kleinen Ferienorten an der portugiesischen Westküste. Von Caminha im Norden bis zum Cabo Sao Vicente im Süden reiht sich hier ein Badeort an den nächsten.

Tock! Tock! Tock! Am nächsten Morgen werde ich gegen sieben Uhr durch merkwürdige Klopfgeräusche geweckt. Ich frage mich, ob sich irgendjemand an unserem Haus zu schaffen macht; ein Blick aus dem Fenster offenbart jedoch, dass draußen die Stände für den örtlichen Markt aufgebaut werden, auf dem vor allem Fisch, Fleisch, Obst und Gemüse angeboten werden. Kurze Zeit später herrscht dort hektische Betriebsamkeit mit portugiesischem Flair. Wir kaufen aber erst einmal frische Brötchen in einer nahe gelegenen Bäckerei ein. Butter, Käse und Konfitüre gibt es in einem kleinen Laden, in Portugal „Mini-Mercado“ genannt. So gestärkt wollen wir uns auf den Weg zum Strand machen, der nur etwa 100 m entfernt ist. Aber es ist noch sehr dunstig und wir warten lieber noch eine Stunde ab, bis sich die Sonne durch den Morgendunst gekämpft hat.

An der Strandpromenade wird Fisch in der Sonne getrocknet; am Strand haben sich schon die ersten Familien mit Handtüchern, Sonnenschirm und Windschutz ein Plätzchen gesucht. Ein Volleyball-Feld gibt es jedoch nicht. Gut, dass wir unsere eigene Anlage mitgebracht haben. Da wir für das Feld etwas mehr Platz brauchen, gehen wir ein Stück den Strand entlang, bis wir eine geeignete Stelle finden. Die Stangen sind schnell zusammengeschraubt, das Netz montiert. Für die Begrenzung des Feldes haben wir rot-weiß gestreiftes Flatterband dabei, mit dem wir, ganz nach deutscher perfektionistischer Manier, die beiden 9 mal 9 m großen Feldhälften markieren. Nachdem wir uns ein wenig eingespielt haben, ist es Zeit für einen ersten Test. Aufschlag, Annahme, Zuspiel, der erste Angriff landet im Netz und die ganze Anlage bricht zusammen! OK, das war dann wohl weniger erfolgreich. Wir müssen die Haken an den beiden Leinen, die jeweils eine Netzstange stabilisieren sollen, tiefer im Sand eingraben. Nach wenigen Minuten landet das Netz aber schon wieder im Sand. Eine effektivere Lösung muss gefunden werden! Da hat Klaus, seines Zeichens angehender Ingenieur, glücklicherweise eine glänzende Idee. Er befestigt Stöcke an die Haken, die dafür sorgen, dass die Netzstangenseile fest im Boden verankert werden. Jetzt kann unser Volleyball-Turnier endlich beginnen: Es spielt jeder mit jedem gegen jeden, wir stellen einen Spielplan auf und verteilen die Spiele gleichmäßig auf die nächsten 10 Tage.

In den Spielpausen baden wir im Atlantik, der mit ca. 17°C fast schon zu erfrischend ist. Zur Stärkung haben wir immer Obst, Joghurt und Wasser in einer Kühlbox dabei und, damit wir es mit den Vitaminen nicht zu sehr übertreiben, gibt es ab und zu auch mal ein portugiesisches Bier der Brauerei „Super Bock“, mit Zitronenlimonade gemischt oder pur. Die nahe liegende Vermutung, es handele sich dabei um ein Starkbier, bestätigt sich nicht. Der Alkoholgehalt liegt bei ungefähr 5% und entspricht damit in etwa dem von in Deutschland gebrautem Pils. (Wir haben den Volleyball also nicht doppelt gesehen.) „Super Bock“ ist allerdings weniger stark gehopft und wird daher als Lagerbier bezeichnet.

Nach einigen Tagen kommt eine Gruppe von Portugiesen vorbei und fordert uns zu einem internationalen Vergleich heraus. Die Portugiesen halten einigermaßen mit, aber nachdem wir schon seit einigen Tagen im Sand gespielt haben und entsprechend gut in Form sind, gewinnen wir das Spiel am Ende doch recht klar. Weniger klar war uns am Anfang, dass der Kanarenstrom, der an der portugiesischen Küste von Nord nach Süd vorbeizieht, nicht nur für die ziemlich kühlen Wassertemperaturen verantwortlich ist, sondern insbesondere bei Ebbe auch für geübte Schwimmer gefährlich werden kann. Gerd und ich haben eine Spielpause genutzt, um uns im Meer etwas abzukühlen. Nachdem wir einige Minuten geschwommen sind, blicken wir zum Strand und stellen fest: „Guck mal, wir sind ganz schön weit weg vom Strand.“

Wahrscheinlich sind wir durch die Meeresströmung etwas abgetrieben worden.

„Komm, wir schwimmen besser zurück.“

Nach einigen weiteren Minuten haben wir den Eindruck, dass wir immer noch genauso weit vom Strand entfernt sind wie zuvor. Gleichzeitig beginnen unsere Kräfte langsam zu schwinden. Rainer und Klaus können wir am Ufer gerade noch erkennen.

„Ich bin schon ziemlich erschöpft, ich weiß nicht ob wir das alleine schaffen“, stöhne ich. „Ich winke mal Rainer und Klaus zu. Dann können die Hilfe holen.“

Wir winken und unsere Freunde begreifen, dass wir in Not sind. Rainer läuft los, um die Rettungsschwimmer zu alarmieren. Wir schwimmen mit letzter Kraft weiter und weiter und ganz allmählich kommen wir dem Strand doch näher und schließlich haben wir wieder festen Boden unter den Füßen und schleppen uns die letzten Meter mit letzter Kraft zurück zum Strand.

„Rainer ist losgelaufen, um Hilfe zu holen“, begrüßt uns Klaus, holt eine Flasche Wasser und Kekse aus der Kühlbox. Jetzt hätten die Portugiesen eine bessere Chance gehabt, uns im Volleyball zu besiegen.

Wir setzen uns, essen und trinken etwas und versuchen uns von dem Schreck zu erholen. Eine Minute später kommt Rainer mit einem Rettungsschwimmer angelaufen. Ganz außer Atem fragen sie: „Tudo bem? - Alles in Ordnung?“

„Ja, danke, wir haben es doch noch alleine geschafft.“

“Wir haben uns richtig Sorgen um euch gemacht und jetzt sitzt ihr hier gemütlich rum“, meint er dann etwas vorwurfsvoll.

„Wir wussten ja nicht wie stark die Strömung ist und wie lange wir durchhalten würden“, antwortet Gerd. Und vor allem sind wir froh, dass wir nicht zu den schätzungsweise 20000 Menschen gehören, die in Europa jedes Jahr bei Badeunfällen ums Leben kommen.

Am Nachmittag gehen wir zurück zu unserer Ferienwohnung. Unterwegs kommen wir wieder an unserer Bäckerei vorbei und kaufen ein paar „pasteis“ (Gebäckstücke), die wir zusammen mit einer Tasse „café com leite“ (Milchkaffee) genießen. Nachdem wir uns geduscht und umgezogen haben, ist es Zeit an das Abendessen zu denken. Am Abend zuvor hatten wir ein nettes Restaurant an der Strandpromenade, das „Flor do Liz“ gesehen, das gut besucht war und so begeben wir uns wieder dorthin. Als wir gegen 19 Uhr eintreffen, sind alle Tische leer. „Komisch, gestern waren hier doch viele Leute zum Essen“, wundert sich Rainer.

„Warte mal ab“, antwortet Gerd, „das wird sich gleich ändern.“

Wir bekommen einen schönen Tisch mit Meerblick im ersten Stock und erhalten die Speisekarte. Gut, dass Gerd seit ein paar Jahren in Portugal lebt, denn so kann er uns erklären welche Köstlichkeiten hier angeboten werden.

„Also zunächst mal müsst ihr wissen, dass es immer eine Seite mit Fleischgerichten und eine Seite mit Fischgerichten gibt. Hier an der Küste isst man am besten Fisch, der ist in der Regel ganz frisch, im Landesinneren ziehe ich Fleisch vor.“

Gerd ist nicht nur ein halber Portugiese geworden; da sein Bruder Koch ist, kennt er sich auch in kulinarischen Dingen bestens aus. So erläutert er uns die Unterschiede zwischen „Robalo“ (Seebarsch) und „Linguado“ (Seezunge), „Sardinha“ und „Carapau“.

„Thunfisch gibt es nicht nur aus der Dose, sondern auch als Steak. Und es gibt auch noch die ‚Caldeirada’. Das ist ein leckerer Fischeintopf, mit verschiedenen Fischsorten, Kartoffeln, Tomaten und Zwiebeln.“

Bei den Fleischgerichten haben wir die Auswahl zwischen „Bife“ (Rindersteak), „Costeleta“ (Koteletts) und „Entrecosto“ (Rumpsteak). „Dazu gibt es Reis, Pommes frites und Salat. Wenn ihr euer Fleisch gut durchgebraten wollt, bestelle ich es euch ‚bem passado‘".

Nachdem wir unsere Auswahl getroffen haben, stellt uns der Kellner Brötchen, Butter, Oliven, Käse und eine Thunfischpastete auf den Tisch. „Wir haben das doch gar nicht bestellt“, beschwert sich Ludger.

„Das ist in portugiesischen Restaurants so üblich“, erläutert Gerd.

„Wenn wir die Sachen stehen lassen, müssen wir sie auch nicht bezahlen. Es wird nur das berechnet, was gegessen wurde.“

Nach und nach kommen weitere Gäste und dann auch unser Essen. Alles schmeckt vorzüglich, was sicherlich auch daran liegt, dass wir den ganzen Tag Beach-Volleyball gespielt und ein unfreiwillig ausgedehntes Bad genommen haben. Zum Abschluss bestellen wir noch alle einen Nachtisch: Gerd empfiehlt „Arroz doce“ (süßen Reis mit Zimt), Klaus bestellt „Pudim flan“ (Vanillepudding mit Karamellsauce) und Rainer und ich entscheiden uns für „Mousse de chocolate“.

„Was sagt man, wenn man bezahlen will?“, erkundige ich mich, denn es stört mich schon ein bisschen, dass ich seit unserer Ankunft in Portugal nichts von dem verstanden habe, was ich gehört oder gelesen habe.

„A conta, se faz favor“, antwortet Gerd. Wenn ich schon nicht das Essen bestellen konnte, kann ich dann wenigstens um die Rechnung bitten. Als wir das Restaurant gegen 21.00 Uhr verlassen, sind nicht nur alle Tische voll, es hat sich sogar eine Schlange von Menschen gebildet, die darauf warten, vom Kellner einen Tisch am Fenster zugewiesen zu bekommen. Gut, dass wir es aus Deutschland gewohnt sind, etwas früher zu Abend zu essen.

Die folgenden Tage gestalten sich ähnlich wie der erste: Das Wetter und die Volleyball-Anlage halten sich, unser Turnier macht riesigen Spaß (lediglich Ludger muss wegen einer Rückenverletzung passen und bleibt an den letzten Turniertagen entweder in der Ferienwohnung, um sich auf eine Mathematik-Klausur vorzubereiten oder steht nur noch als Schiedsrichter zur Verfügung) und bald haben wir viele Leckereien im Café und im Restaurant probiert.

An einem anderen Abend fahren wir zum Abendessen ins nahe gelegene Sao Pedro de Moel.

„Hier gibt’s ein Restaurant das heißt ‚Pai do frango‘ (Vater des Hähnchens)“, erklärt Gerd. „Die Spezialität hier ist ‚Arroz de Marisco“ (Reis mit Meeresfrüchten).“

Wir bestellen also eine Portion für fünf Personen und während wir warten, geht es am Nebentisch, wo eine vielköpfige portugiesische Familie sitzt, immer lauter zu. Insbesondere das Familienoberhaupt erzählt mit einer solch kräftigen Stimme, dass wir uns kaum noch unterhalten können. Wir machen unter uns einige Kommentare, nicht ahnend, dass jemand von der Familie Deutsch verstehen könnte. Nach einer Weile steht am Nebentisch eine junge Frau auf und entschuldigt sich in lupenreinem Deutsch für ihren Vater. Sie studiere in Deutschland Germanistik und verbringe mit ihrer Familie die Sommerferien an der Küste. Wir entschuldigen uns für unsere Kommentare und wünschen uns gegenseitig noch einen schönen Abend. Danach geht es an beiden Tischen etwas ruhiger zu.

Am vorletzten Tag unseres Aufenthalts hat sich das Wetter geändert. Es ist so windig, dass an Volleyball-Spielen nicht zu denken ist. Wir nutzen den Tag aus, um einige Sehenswürdigkeiten in der Umgebung zu besuchen. Wir besichtigen die Ruinen der Römerstadt „Conimbriga“ und die Universitätsstadt Coimbra am Rio Mondego. Mein Reiseführer empfiehlt einen Abstecher in den Wald von Bucaco, in dem sich das „Palace Hotel“ befindet. Im Wald versetzen uns 70 Meter hohe Eukalyptus-Riesen aus Australien, mächtige Douglasien aus Amerika und Zedern aus Goa in ungläubiges Staunen. Dem vermeintlichen Wunder der Natur haben im 17. Jahrhundert Mönche auf die Sprünge geholfen. Sie nutzten das feuchtwarme Klima und pflanzten exotische Bäume aus den Kolonien. Rund 700 Arten bilden heute die grüne Kulisse für das bombastische Palace Hotel, das Ende des 19. Jahrhunderts im neomanuelinischen Stil anstelle des einstigen Klosters errichtet wurde. Auch Anfang des 19. Jahrhunderts spielte sich unweit des Hotels ein wichtiges Ereignis ab: 1810 wurde hier ein napoleonisches Heer von einer portugiesisch-englischen Streitmacht unter Wellington geschlagen.

Von Bucaco aus geht es in südlicher Richtung wieder nach Leiria. Bevor wir nach Praia da Vieira zurückkehren, besuchen wir aber noch Batalha mit seinem Kloster Santa Maria da Vitoria, das schon aus einiger Entfernung am Horizont aufragt. Die Klosterkirche mit dem Kreuzgang und den unvollendeten Kapellen ist sehr beeindruckend. Fast genauso hübsch finde ich jedoch die Obststände in unmittelbarer Nähe, wo es von Pfirsichen über Bananen, Äpfel, Pflaumen und Melonen bis hin zu Nüssen und „tremocos“ (in Salzwasser eingelegte Lupinensamen) alles gibt, was mein Fast-Vegetarier-Herz höher schlagen lässt.

„Bevor wir hier wegfahren müssen wir unbedingt noch in ein Restaurant, das sich an der Straße von Vieira nach Marinha Grande befindet“, meint Gerd am Abend. Und tatsächlich werden wir nicht enttäuscht. Die Vorspeisen werden auf einem Buffet präsentiert, wo man sich das passende aussuchen kann. Die Karte mit den Hauptgerichten ist noch etwas umfangreicher als in Praia da Vieira, aber die Krönung ist das Nachtisch-Buffet. Der Kellner kommt mit einem Wagen zu unserem Tisch, auf dem sich verschiedene Puddings, Kuchen, Aufläufe und Cremes türmen; alles verdammt süß aber auch alles verdammt lecker. Ich bestelle „Queijo do paraiso“, eine Mischung aus Zucker, gemahlenen Mandeln, Eiern und Butter, gewürzt mit Zimt und Zitronenschale, die im Ofen kurz gebacken wird; Rainer bleibt wie gewohnt bei seiner „Mousse de chocolate“. Bestens gesättigt geht es danach zum letzten Mal zurück zu unserem Ferienquartier.

Am nächsten Tag fahren wir über Nazaré wieder nach Lissabon. Als wir vor knapp zwei Wochen angekommen waren, hatten wir von der Stadt noch nichts gesehen. Gegen Mittag parkt Gerd seinen Wagen in der Nähe der Praca da Figueira.

„Was ist das für eine Burg?“ will Ludger wissen.

„Das Castelo São Jorge“, sagt Gerd.

„Von dort soll man einen tollen Blick auf die Altstadt haben. Lasst uns mal testen, ob das stimmt“, schlage ich vor und so beginnen wir in der Mittagshitze den Weg nach oben. Und tatsächlich bietet sich uns von dem 120 m hohen Burgberg ein perfekter Panoramablick über die Kathedrale, die Unterstadt bis hinunter zur Mündung des Rio Tejo in den Atlantik wo die Ponte 25 Abril hinüber nach Almada führt, wo seit 1959 die „Cristo-Rei“-Statue auf den Rio Tejo und Lissabon blickt. Wir wandern zurück zur Praca da Figueira und schlendern durch die Rua da Prata zur Praca do Comercio bis zum Rio Tejo.

„Jetzt müssen wir aber mal was essen“, bemerkt Klaus und wir bestellen fünf „finos“ (kleines Bier vom Faß) und tostas mistas (Toastbrot mit Schinken und Käse) in einem Café an der Rua Augusta. Danach zeigt uns Gerd noch wie nah Vergangenheit und Zukunft in Portugal beieinander liegen. Wir kommen mit dem Auto an dem römischen „Aqueduto dos Àguas Livres“ vorbei und kurz darauf sehen wir die drei Türme des nagelneuen Amoreiras-Komplexes, die von dem portugiesischen Architekten Tomas Tavira geplant und 1985 fertiggestellt wurden. Unter den drei Türmen befindet sich das erste Einkaufszentrum Portugals, über das 1986 sogar die „New York Times“ berichtete:

“The Amoreiras shopping mall is said to be the largest one on the Iberian Peninsula and the fourth largest in Europe. There are 325 shops with the best Portuguese clothing, leather goods, jewelry, crystal, herbs and chocolates. There are gift shops, bookstores, a supermarket, health center and a wide variety of restaurants and snack bars. (…) The two-level shopping center, which forms a broad base for the towers, was opened at the end of September and has attracted an average of 120,000 people daily - shoppers and tourists as well as the curious.”

(MARVINE HOWE: “SHOPPER'S WORLD; LISBON GETS A MALL, AND MORE”, NEW YORK TIMES, 4.5.1986)

Auch wir bummeln freiwillig noch etwas durch die Läden (kaum zu glauben, bei männlichen Deutschen), bevor wir wieder ins Auto steigen um nach Évora weiter zu fahren. Am nächsten Morgen bewundern wir zunächst den Diana-Tempel in der Altstadt. Danach wollen wir die Umgebung erkunden. Gerd kennt einen kleinen Stausee in der Nähe.

„Bei der ‚Barragem do Divor’ gehe ich manchmal Wind-Surfen“, erzählt er. Nun, zum Wind-Surfen ist es heute nicht windig genug, aber bei 36°C im Schatten kommt eine Erfrischung in Form einer Badepause gerade recht. Ich habe Zeit meine Portugal-Karte zu studieren und etwas im Reiseführer zu blättern.

„Hier ganz in der Nähe gibt es einen riesigen Menhir, also einen Hinkelstein, und an der Straße von Montemor-O-Novo nach Évora soll es den bedeutendsten Steinkreis der iberischen Halbinsel geben. Den könnten wir uns doch auf dem Rückweg mal anschauen!“ Die Begeisterung meiner Mitreisenden hält sich in Grenzen, aber schließlich willigen sie ein bei der Suche mitzumachen. Den Menhir entdecken wir nach dem Schwimmen sofort; die Steinkreise sind etwas schwieriger zu finden. Wir fahren zunächst zur Hauptstraße zurück und biegen Richtung Évora ab.

„Der Steinkreis muss jetzt gleich auf der rechten Seite auftauchen“, erkläre ich mit einem Blick auf die Straßenkarte, doch außer vertrockneten Feldern und einigen Korkeichen taucht nichts Besonderes auf. Als wir schon wieder die Silhouette Évoras vor uns erblicken, wissen wir, dass wir irgendwo hätten abbiegen müssen.

„Vor ein paar Minuten habe ich da eine kleine Straße gesehen; vielleicht sollten wir es da mal versuchen“, schlage ich vor.

Allgemeines Stöhnen ist die Antwort. Dann aber meint Rainer: „Na gut, wir können es ja mal versuchen.“

Gerd dreht also und nach etwa zwei Kilometern geht es halblinks Richtung Guadalupe. Am Ende des Ortes verwandelt sich die Straße in eine Sandpiste. Wir werden ganz schön durchgeschüttelt und wir fühlen uns wie bei der Rallye Portugal. Nach einigen Minuten ruft Klaus: „Ich glaube, ich habe da hinten einen großen Stein gesehen.“

Gerd parkt das Auto und wir gehen zu Fuß weiter. Nach etwa 200 m taucht nicht nur ein Stein sondern es tauchen etwa 50 riesige Steine auf, die sich kreisförmig um einen größeren Felsen gruppieren. Wir haben doch den „Cromeleque dos Almendres“ gefunden, der sich hier bereits seit etwa 5000 Jahren befindet. Ich bin begeistert und mache noch schnell ein paar Fotos bevor die Sonne untergeht; die anderen sind vor allem froh, dass wir nicht vergeblich gesucht haben. Müde fahren wir in der Abenddämmerung wieder nach Évora.

Für den letzten Tag hat Gerd noch ein besonderes Highlight für uns in Petto. Wir gehen noch einmal ganz schick essen in einem kleinen Restaurant in der Nähe der Praca do Giraldo, wo er auch schon mal bei einem Geschäftsessen war.

„Bevor ihr abreist solltet ihr unbedingt noch ‚Carne de Porco a Alentejana’ probieren“, rät uns Gerd.

„Das ist die Spezialität des Hauses.“ Obwohl ich fast kein Fleisch esse, mache ich eine Ausnahme und probiere auch einmal. Es handelt sich dabei um Schweinefleisch mit Muscheln, die in einer Marinade aus Wein, Zwiebeln, Knoblauch, Petersilie, Tomatenmark, Paprika, Olivenöl, Lorbeer, Salz und Pfeffer eingelegt und gebraten werden. Dazu gibt es Bratkartoffeln und einen trockenen Rotwein aus dem Alentejo. Wenn es kein Fleischgericht wäre, könnte es auch meine persönliche Spezialität werden. Zum Glück sind alle Zutaten frisch und wir können nach dem Abendessen gut schlafen. Am nächsten Morgen bringt uns Gerd in gewohnt sportlichem Tempo wieder zurück nach Lissabon, von wo aus uns unser Flieger wieder nach Deutschland bringt.

Als ich wieder bei meiner Zivildienststelle ankomme, sind die Sommerferien der Schülerinnen und Schüler noch nicht zu Ende. Aber eine Woche später kommen die Schüler wieder und auch Linda ist zum Glück wieder da. Sie bleibt noch ein weiteres Jahr, um ihren Kurs abzuschließen. Natürlich unterhalten wir uns als erstes über unsere Reisen nach Portugal.

„Wie hat es dir gefallen?“ will sie wissen.

„Es war toll“, antworte ich, „das Wetter war super und das Essen und der Wein – unheimlich lecker und die Landschaft ist sehr schön und die Menschen sind unheimlich freundlich. Nur leider habe ich nichts von dem verstanden was sie gesagt haben. Es war das erste Mal seit langer Zeit, dass ich im Ausland Urlaub gemacht habe und mich nicht verständigen konnte. Und wie war es bei dir?“

„Oh, schön, aber auch sehr anstrengend. Erst einmal die Fahrt: Wie du weißt, bin ich mit Ingeborg gefahren und sie musste natürlich ihren Hund mitnehmen. Wir haben in Frankreich und Spanien fast an jeder Raststätte angehalten, weil ihr Hund ständig Pipi machen musste. Und in Portugal war es auch nicht wirklich die Erholung: Ingeborg kann kein Portugiesisch und ich musste ständig für sie übersetzen. Bei meinen Eltern war das nicht so ein großes Problem, denn die können noch ein bisschen Deutsch, aus der Zeit, in der sie in Deutschland gelebt haben, aber wir waren ja auch noch bei meinem Onkel in Porto und bei meiner Tante in Rio Tinto und bei meinem Onkel in Seia. Er hatte auch gerade Urlaub und ist mit uns in die ‚Serra da Estrela’ gefahren. Das ist das höchste Gebirge in Portugal. Nachdem wir den ganzen Tag unterwegs waren, waren sie und ihr Hund schon ziemlich geschafft. Der Hund ist auch krank geworden hat nichts mehr gegessen und getrunken. Als wir dann wieder bei meinem Onkel zu Hause waren, hatte meine Tante schon für uns gekocht und auf dem Tisch standen Fleisch und dampfende Kartoffeln, da konnte Ingeborg bloß noch weinen, so fertig war sie. Sie machte sich Sorgen um den Hund. Danach haben wir es etwas ruhiger angehen lassen. Was habt ihr euch denn so in Portugal angesehen?“ erkundigt sie sich dann.

„Oh, wir waren in Évora und Lissabon, Coimbra und Batalha“, erzähle ich.

„Batalha – da waren wir auch! Da hätten wir uns ja doch fast getroffen! Na ja, vielleicht können wir ja irgendwann mal zusammen nach Portugal fahren.“

„Sehr gerne, aber vorher muss ich etwas Portugiesisch lernen, damit ich mich dort auch etwas verständigen kann. Vielleicht könntest du …?“ frage ich etwas zögerlich.

„… dir etwas Portugiesisch beibringen?“ vollendet sie meine Frage. „Ich weiß nicht, aber ich kann es versuchen. Dann musst du mir aber auch helfen. Bei mir steht in diesem Schuljahr Englisch auf dem Stundenplan. Und du hast doch Englisch studiert!“

„OK, abgemacht“, antworte ich.

Zwei Wochen später habe ich mir das Buch „30 Stunden Portugiesisch“ besorgt und Linda und ich treffen uns nach der Schule bzw. meinem Dienst in ihrem Zimmer, das sie in diesem Schuljahr mit Klara aus Jugoslawien teilt. Wir treffen uns von nun an einmal in der Woche und reden miteinander: eine Stunde Portugiesisch und eine Stunde Englisch. Ich versuche jetzt immer, mir meine Arbeit so einzurichten, dass ich meist in der Nähe der Schule oder in der Nähe des Wohngebäudes, in dem Linda ihr Zimmer hat, zu tun habe, wenn die Schule aus ist, so dass wir an den anderen Tagen Zeit haben, uns auf Deutsch zu unterhalten. Nach und nach bekomme ich immer stärkeres Herzklopfen wenn wir uns treffen.

Einmal erzählt sie, dass sie im Sportunterricht Volleyball gespielt haben. „Ich spiele in der Nachbarstadt Volleyball in einem Verein“, erwidere ich. „Einmal in der Woche trainiere ich auch die Damen-Mannschaft. Wenn du Lust hast, kannst du ja mal mitkommen.“

Von nun an treffen wir uns meistens an zwei Abenden in der Woche, zum Sprachen lernen und zum Volleyball-Spielen – und irgendwann gehen wir am Wochenende auch mal ins Kino oder auf die Kirmes, wo sie mich das erste Mal küsst.

1991 - Die liebe Verwandtschaft

Eigentlich sollte mein Zivildienst 18 Monate dauern. Im Winter 1990/91 entschied die Bundesregierung jedoch, die Dienstzeit auf 15 Monate zu verkürzen. Nun musste ich mich schnell um eine Stelle als Studienreferendar kümmern, denn ich konnte ja schon im Frühjahr mit meiner Ausbildung am Studienseminar beginnen. Ich hatte in Niedersachsen studiert und dort wurden zum 1. Mai neue Referendare eingestellt. Eine ehemalige Kommilitonin hatte bereits im November 1990 am Studienseminar Meppen angefangen und so entschied ich mich, meine Lehrerausbildung ebenfalls dort fortzusetzen. Ein weiteres Argument sprach für dieses Seminar: Es liegt wie meine Heimatstadt ganz in der Nähe der niederländischen Grenze und ist nur etwa 100 km von dort entfernt. Auf diese Weise hatte ich am Wochenende nicht eine so weite Fahrt zu meinen Freunden und zu Linda. Wir zwei hatten nach und nach immer mehr Zeit miteinander verbracht, uns ineinander verliebt und wollten uns daher möglichst jedes Wochenende sehen.

„Bevor wir uns verloben, muss ich dich aber erst meinen Eltern vorstellen“, sagt sie eines Tages.

„Die wohnen aber 2300 km entfernt von hier“, bemerke ich. „Das stimmt, aber wir können sie ja im Sommer besuchen.“

Ein Blick in meinen Lehrerkalender zeigt, dass sich die Sommerferien von Nordrhein-Westfalen, wo Linda zur Schule geht und Niedersachsen, wo ich mein Referendariat begonnen habe, um vier Wochen überschneiden.

„Das gibt uns genügend Zeit für eine Reise nach Portugal“, meint Linda begeistert. Wie sich herausstellen wird, lerne ich auf dieser Fahrt nicht nur ihre Eltern kennen, sondern auch ihre drei Schwestern und die meisten der neun Geschwister ihres Vaters, also Lindas Onkel.

So brechen wir am 20. Juli in einem kleinen roten Fiat Ritmo, voll bepackt mit Taschen, Schlafsäcken, Iso-Matten und Zelt im Kofferraum, auf. Da Linda noch keinen Führerschein hat, habe ich die Aufgabe, uns wohlbehalten in ihr Heimatland zu chauffieren. Wir haben uns vorgenommen, die Strecke in drei Tagen zu absolvieren, damit auch noch etwas Zeit bleibt, um sich unterwegs etwas anzuschauen. Am ersten Tag durchqueren wir die Niederlande und Belgien und erreichen am frühen Nachmittag die Vororte von Paris. Linda kennt die französische Hauptstadt noch nicht und so wollen wir die Stadt gemeinsam erkunden. Wir parken in der Nähe einer Metro-Station und fahren bis zur Place Charles de Gaulle. Der Anblick des Arc de Triomphe überwältigt uns beide. Wir spazieren zum Tour Eiffel und von dort zu den Tuileries, wo ich sogar noch Zeit für ein paar „Model“-Fotos von Linda habe. Nachdem wir zu unserem Auto zurückgekehrt sind, fahren wir noch etwas weiter, bis mir um 22 Uhr fast die Augen zufallen und wir uns entscheiden, die Nacht auf einem Rastplatz im Auto zu verbringen.

Kurz nach Sonnenaufgang bin ich wieder bereit zur Weiterfahrt. Vorbei an schier endlosen Sonnenblumen- und Weizenfeldern erreichen wir am späten Nachmittag endlich die Pyrenäen und überqueren die französisch-spanische Grenze. In der Nähe von San Sebastian verlassen wir die Autobahn und finden einen kleinen Campingplatz direkt am Golf von Biskaya. In einem Restaurant essen wir abends gebratenen Fisch mit Kartoffeln und Salat und bei einem Glas spanischen Rotwein und dem Blick aufs Meer träume ich von einer Kreuzfahrt rund um Europa. Das Abendlicht ist sehr schön und wir erblicken am Horizont tatsächlich ein Schiff in weiter Ferne. Wir haben uns lieb und uns fehlt nichts; wir spazieren noch ein bisschen den Strand entlang und genießen die einmalige Atmosphäre.

Am nächsten Morgen geht es weiter an der spanischen Küste entlang. Wir passieren Bilbao und Santander und bei Torrelavega ist die Autobahn zu Ende und wir fahren auf einer Landstraße weiter, auf der wir das kantabrische Gebirge überqueren wollen. Je höher die Straße die Berge hinaufführt, desto nebliger wird es. Dann geht erst einmal gar nichts mehr: eine Kuhherde, die plötzlich vor uns auf der Straße auftaucht, sorgt für eine ungeplante Pause. Kurze Zeit später erreichen wir den Pass und nach einigen weiteren Kilometern bricht die Sonne durch die Wolken und schnell wird es immer wärmer. Die Landschaft ist karg und braun. Wir machen unsere Mittagspause in Salamanca und bewundern das Rathaus an der Plaza Mayor. Es ist schon dunkel, als wir bei Elvas endlich Portugal erreichen. Wir machen uns schon Sorgen, dass wir erst gegen Mitternacht in Évora sein werden, aber wir müssen ja noch unsere Uhren um eine Stunde zurück stellen und gewinnen so unverhofft etwas Zeit. Um kurz vor 23 Uhr erreichen wir schließlich das Haus meines Freundes Gerd in Évora. Er hat uns eigentlich etwas früher erwartet, aber nach über einem Jahr in Portugal ist er an späten Besuch gewöhnt.

Zum Glück ist man in Portugal nie sehr weit vom Meer entfernt und so fahren wir am nächsten Tag nach einem, insbesondere für portugiesische Verhältnisse, ausgiebigen Frühstück in Richtung Küste. Später erlebe ich, dass viele Portugiesen entweder gar nicht frühstücken, oder nur schnell einen Kaffee und ein Croissant in einer Konditorei verdrücken.

Nach etwa einer Stunde Fahrzeit erreichen wir den Strand von Comporta, am Rand der „Reserva Natural do Estuario do Sado“ gelegen. An dem endlosen Sandstrand können wir uns nach drei Tagen Autofahrt so richtig erholen. Abends gehen wir mit Gerd ins „Restaurante O Fialho“ und lassen uns dort so richtig verwöhnen.

Als nächste Station für unsere Portugal-Reise haben wir uns Lissabon ausgesucht. Ein Onkel und eine Tante Lindas leben dort und Linda hat vor unserer Abfahrt Kontakt mit ihrer Tante Emília aufgenommen. Wir fahren also, nachdem wir die „Ponte 25 Abril“ überquert haben vorbei an der „Praca Marques Pombal“ in den Stadtteil Arroios und finden dort in einer ruhigen Seitenstraße das Haus ihres Onkels. Als wir eintreffen, ist Onkel Alfredo arbeiten, nur Tante Emília und Lindas Cousine Sara sind zu Hause.

„Kommt, ich zeige euch unser Stadtviertel“, schlägt sie vor.

Wir spazieren also zur „Praca do Chile“ mit dem Denkmal des Seefahrers Fernando Magellan, die „Avenida Almirante Reis“ entlang zur „Alameda Dom Afonso Henriques“ mit dem „Fonte Luminosa“ (leuchtender Brunnen) an seinem östlichen Ende. Hier verzehren wir einige „pasteis“, die wir zuvor in einem Café gekauft haben und kehren zum Haus ihrer Eltern zurück. Mittlerweile ist auch Onkel Alfredo eingetroffen und Tante Emília bereitet das Abendessen zu.

„Ihr habt Glück gehabt, dass ihr einen Parkplatz für euer Auto gefunden habt“, erklärt uns Onkel Alfredo bei einem Glas Whisky, dass den Abschluss eines opulenten Mahles bildet. Ein Blick aus dem Fenster zeigt uns, dass nicht nur alle Parkplätze entlang der Straße belegt sind. Fast überall wird außerdem in zweiter Reihe geparkt. Falls jemand von den regulär parkenden Fahrern sein Auto braucht, heißt es: in der Nachbarschaft klingeln, bis man den Fahrer des blockierenden Wagens gefunden hat.

Uns zieht es weiter in Richtung Norden und so brechen wir schon am nächsten Morgen wieder auf. Wir kommen zum Glück gut aus unserer Parklücke heraus und fahren in Richtung A1. Die Autobahn ist seit dem vorigen Jahr etwas weiter gebaut worden und wir kommen bis Torres Novas, fahren auf der IC 3 bis Condeixa und kehren dort wieder auf die A1 zurück, die nach Porto führt. Etwa 10 km nördlich von Porto liegt Maia. Hier ist in den vergangenen Jahren ein Wohnblock nach dem anderen gebaut worden, um Wohnraum für die wachsende Bevölkerung der Metropole Nordportugals zu schaffen. Während die Stadt Porto im Jahr 1991 nur 309.485 Einwohner zählte, lebten im gesamten Ballungsraum der Stadt 1,7 Millionen Menschen. Das ist fast ein Fünftel der gesamten Einwohnerzahl Portugals.

In einem dieser Wohnblöcke wohnt Lindas Schwester Paula. Sie hat vor einem halben Jahr ihren Freund João geheiratet und drei Monate später ist ihre Tochter Emilia geboren. Als wir eintreffen, ist Lindas jüngste Schwester Conceicão zu Besuch. Sie ist acht und hat gerade eine Woche ihrer Sommerferien bei Paula und João verbracht. Wie sich schnell herausstellt, ist João ein ziemlich durchgeknallter Typ: Er zeigt uns ganz stolz seine Wohnung inklusive Mini-Bar im Wohnzimmer, hört aber gar nicht richtig zu, wenn wir etwas von Deutschland erzählen. Gemeinsam wollen wir zum Ferienhaus von Joãos Eltern in Resende am Rio Douro fahren. Unterwegs machen wir aber noch Halt bei Lindas ältester Schwester Isabel, die gemeinsam mit ihrer Familie in einer kleinen Wohnung in Entre-os-Rios, das auf halber Strecke zwischen Porto und Resende etwa 30 km östlich von Porto am Zusammenfluss von Tamega und Douro liegt. Wir suchen uns ein schattiges Plätzchen und unterhalten uns ein wenig. Dank Lindas Portugiesisch-Stunden kann ich der Unterhaltung recht gut folgen und das eine oder andere zum Gespräch beitragen. Da die ganze Familie meiner Freundin Anfang der 70er Jahre für einige Zeit in Deutschland gelebt hat, können die beiden älteren Schwester noch ein paar Wörter Deutsch, aber ich erzähle dann doch auf Portugiesisch über mich.

Nachdem ich ein paar Fotos von den vier Schwestern gemacht habe, machen wir noch einen kleinen Bummel durch das Dorf. In einem Café gibt es ein Eis für die Kinder und einen „bica“, einen kleinen, schwarzen Kaffee, vergleichbar mit dem italienischen Espresso, für die Erwachsenen. Der ist so stark und heiß, dass es einem beim Trinken fast die Kehle zerreißt, hat aber den Vorteil, dass er in etwa 15 Sekunden getrunken ist und man wieder weiter gehen kann.

Schließlich fahren wir weiter, zunächst zum Mittagessen in einem Restaurant an der Hauptstraße und dann sind wir am frühen Nachmittag in Resende. Paula zeigt uns stolz das Ferienhaus, das allerdings noch nicht ganz fertig und eingerichtet ist. Wir verbringen den Rest des Nachmittags am Fluss.

„Wir haben hier auch ein Motorboot“, sagt João. „Kommt mit, wir fahren eine Runde auf dem Douro!“

Und wenige Minuten später geht es in rasanter Fahrt den Fluss hinab, Paula folgt uns auf einem Motorscooter.

„Hier in diesem Haus wurden neulich einige Folgen einer bekannten ‚telenovela’ abgedreht“, berichtet João und zeigt auf ein Haus, das direkt über uns an einem Steilhang steht.

Nach einer Viertelstunde ist unsere Fahrt beendet und ich bin ziemlich froh, dass wir die Fahrt heil überstanden haben. Danach setzt sich die nächste Gruppe der Familie ins Boot und João braust wieder davon. Linda und ich erkunden ein wenig das Ufer, dann hat sie eine Idee: „Meinst du, wir schaffen es, ans andere Ufer zu schwimmen?“

Ich hatte im vergangenen Jahr ja schon meine Erfahrungen mit dem Schwimmen im Meer gemacht, aber hier gab es keine Strömung und keine Wellen; größere Schiffe hatte ich auch nicht gesehen, also sage ich: „OK, ich bin dabei.“

Wir ziehen also unsere T-Shirts und Jeans aus und schwimmen los. Das Wasser ist relativ warm und so gelangen wir ohne Probleme an das gegenüberliegende Ufer des Flusses, der hier etwa 100 m breit ist. Auf der anderen Seite ruhen wir uns etwas aus und schwimmen dann zurück nach Resende, wo wir schon von Paula und Conceicão erwartet werden. Das Abendessen nehmen wir an einer langen Tafel im Ferienhaus ein, dann suchen wir uns einen guten Platz, um in der Nähe des Hauses unser Zelt für die Nacht aufzubauen.

Am nächsten Tag fahren wir zusammen mit Paula und João über die „Serra de Montemuro“ nach Alvarenga, wo ich endlich Lindas Eltern kennen lerne. Sie waren 1967 nach Deutschland gekommen, wo Lindas Vater Arménio zunächst Arbeit in der Textilfabrik Kettelhack und später eine Stelle in einer Tischlerei in Mesum bei Rheine gefunden hatte. Fünf Jahre später war die Sehnsucht nach ihrem Heimatland allerdings wieder so groß, dass sie nach Portugal zurückkehrten, so dass Linda dort mit ihren beiden älteren Schwestern Paula und Isabel aufwuchs.

Mittlerweile ist Arménio 51 Jahre alt und arbeitet in Portugal als Schreiner. Obwohl es Hochsommer ist, trägt er eine lange Hose, ein langärmeliges kariertes Hemd und eine braune Schiebermütze. Er begrüßt mich mit einem kräftigen Händedruck und einem freundlichen „Guten Tag!“ Lindas Eltern wohnen eigentlich seit einigen Jahren im 20 km entfernten Arouca, aber hier stehen die beiden Elternhäuser von Lindas Eltern. Arménio hat hier in Alvarenga noch viel Land, wo Obstbäume, Weinreben und Esskastanien wachsen und so kommt er meist ein- oder zweimal in der Woche hierher, um nach dem Rechten zu schauen. Auch Mutter Laurinda ist dieses Mal mitgekommen, um Grünfutter für die heimische Kuh zu holen.