In purpurner Finsternis - Michael Georg Conrad - E-Book

In purpurner Finsternis E-Book

Michael Georg Conrad

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Beschreibung

In 'In purpurner Finsternis' von Michael Georg Conrad wird die Geschichte einer Gruppe von Forschern erzählt, die in die Tiefen des Amazonas-Dschungels reisen, um ein mysteriöses Artefakt zu finden. Der Roman ist in einem fesselnden und atmosphärischen Stil geschrieben, der den Leser von der ersten Seite an in seinen Bann zieht. Conrad kombiniert gekonnt Elemente des Abenteuers, der Mystery und des Thrillers, um eine packende Erzählung zu schaffen, die sowohl konventionelle als auch Genre-Grenzen überschreitet. Das Buch hebt sich deutlich von der üblichen Literatur ab und zeigt Conrads Talent und Innovation als Schriftsteller. Michael Georg Conrad, ein ehemaliger Anthropologe, bringt seine fachliche Expertise und Leidenschaft für Abenteuer in 'In purpurner Finsternis' ein. Seine Erfahrungen aus erster Hand im Umgang mit indigenen Kulturen und archäologischen Funden fließen in die Konstruktion der Handlung und der Charaktere ein und verleihen dem Roman eine authentische Tiefe. Mit seiner fesselnden Erzählweise und seiner multidisziplinären Herangehensweise hat Conrad ein Buch geschaffen, das sowohl unterhaltsam als auch anspruchsvoll ist. 'In purpurner Finsternis' ist ein Muss für Leser, die auf der Suche nach einer einzigartigen und packenden Lektüre sind und gleichzeitig einen tiefgründigen Einblick in fremde Kulturen und geheimnisvolle Welten erhalten möchten.

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Michael Georg Conrad

In purpurner Finsternis

Science-Fiction-Klassiker

Books

- Innovative digitale Lösungen & Optimale Formatierung -
2017 OK Publishing
ISBN 978-80-272-3812-5
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25

Kapitel 1

Inhaltsverzeichnis

Grege wußte, daß kein Abmahnen fruchtete, wenn Jala ihren Willen durchsetzen wollte.

Wie tief und schmerzlich seine Wunde am Fuß, hatte er ihr verheimlicht. Immer noch sickerte Blut durch den leichten Verband. Als er die Tropfen mit dem Finger wegstrich, griff Jala nach seiner Hand, so daß an der ihrigen, an der inneren Fläche zwischen Daumen und Zeigefinger, ein rothes Blutzeichen haften blieb. Lächelnd besah es Grege, es hatte die Form eines Sterns.

— Also Du ziehst voraus, meine süße Hoffnung?

— Ja, Grege. Ich bin voll Unruhe. Und wenn ich vorzeitig raste, schwinden meine Kräfte. Kann ich irren?

— Nicht leicht, Jala. Geradeaus im versandeten Kanalbett, bis in die Dünen, die wir noch in der Nacht erreichen. Du hast die frische Brise, vom Meer herüber, immer im Gesicht. Verlaß Dich darauf. Bis die Luft wechselt, bin ich Dir wieder nahe. Ich muß, muß mich jetzt eine Weile schonen, meiner Wunde wegen.

— Schmerzt Dich die Wunde? Warum läßt Du sie mich nicht befühlen?

— Es ist nicht viel, Jala. Sie heilt, wenn ich kurze Rast halte.

— Du bist so voll Kraft und Gesundheit, mein Held. Und wir wachsen in der herrlichen Einsamkeit. Ich hätte mich nie so stark geglaubt, als in dieser Bewegung, die mich beschwingt.

— Es ist eine Flucht, Jala.

— Nie mehr zurück, nie mehr! Hinaus in unsere Welt, in unser freies Himmelreich! Säume nicht zu lange, Grege, laß Deine Jala nicht zu lange ohne Dich! Hast Du nirgends etwas wahrgenommen mit Deinem scharfen Blick, das uns bedrohen könnte?

— Nirgends. Die Luft ist vollkommen rein. O, ich muß lachen, weißt Du. Sie haben sich selbst des Mittels zu unserer Verfolgung beraubt, unsere Oberweisen von Teuta, seit sie die Luftfahrt verboten und alle Schwinggondeln in ihrem Lande zerstört. Und die Wege, die wir auf ebener Erde durch die Wüsteneien ihrer Grenze gegangen, sind der Lahmheit ihrer Häscher verschlossen. Weit, weit liegt jetzt Teuta mit seiner unterirdischen Herrlichkeit hinter uns. Kaspe, ihr wortreicher Oberrichter, ist langsamer in Entschlüssen und Bewegungen, als eine Schnecke, und Ao, ihr Oberpriester, schläft und verdaut.

— Du nennst nur Ao und Kaspe. Vergiß nicht, daß noch ein Dritter im hohen Rathe sitzt.

— Ach, Minus meinst Du? Der Dich einmal mit widerlichen Anträgen belästigte? Den hat nur Dein Anblick entzündet. Wenn Du aus seinen Augen bist, bist Du ihm auch aus den Sinnen. Der ist kein Verfolger. Der findet andere Ablenkungen. Ein schwacher Querkopf, dem es genügt, wenn er nichts Anderes haben kann, den heiligen Wortschatz von Teuta hüten zu helfen. Nein, dieser hohe Oberlehrer von Teuta wird uns nicht gefährlich. Ich kenne ihn. Er hat mich einst unterrichtet.

— Du beschwichtigst mich, Grege, dennoch bin ich voll Unruhe.

Sein Auge umfing ihren jugendlich-kräftigen Leib mit einem tiefen zärtlichen Blick.

— Die hat andere Ursache, süßes Weib.

— Also folg’ mir bald, Grege.

Dann reichte er ihr noch eine Handvoll Surro in die Tasche, ein Zehrungsmittel seiner eigenen Erfindung, das in Nußgröße die Kraft des Brodes und Weines und die labende Frische der Quelle barg, und ließ sie ziehen.

Er wußte, wie wohl und sicher ihr war, wenn sie uneingeschränkt ihren Willen hatte. Er wußte auch, daß in ihrer Einsamkeit seine Seele mit ihr war.

So legte er sich zur Ruhe nieder. Die Augen fielen ihm zu, das Bild der Wandernden einschließend. Er entschlummerte. Ein lebhaftes Jucken seiner Wunde erweckte ihn, er mußte doch eine geraume Zeit durchschlafen haben.

— Jala wird sich um mich bangen. Ach, die weite Landschaft, endlos! Aber er war so schlaftrunken und in seinen Gliedern erschlafft, daß er sich nicht zu erheben vermochte. Nein, sie hatte recht, Ruhe thut nicht gut. Er wird sich jetzt doppelt anstrengen müssen, sie einzuholen. Wer weiß, wie groß der Vorsprung ist, den sie bei der ausdauernden Stetigkeit ihres Schrittes vor ihm gewonnen, die rastlose Pilgerin.

Und in Gedanken malte er sich ihr einsames Dahinschreiten aus, ihre hoheitsvolle Haltung in der grenzenlosen Schweigsamkeit dieser unendlichen, sonnenhellen, weißen Landschaft mit der hochgewölbten Himmelskuppel. Eine schwebende Seele, die nur im Banne des Leibes mit der Fußsohle die Erde berührt. Die verkörperte Sehnsucht nach den höchsten Räthseln des Lebens und deren eigenpersönlichster Lösung. Eine wandelnde Flamme mit eigenem Gluthherd, aus sich selbst ihre Nahrung schöpfend zu immer stärkerem Glanze, unfaßbar allem Gemeinen.

— Jala, Jala, ich verbrenne an der Sehnsucht nach Deiner Schönheit, wenn ich länger säume.

Und er schnellte auf, schwang seinen Stab hoch und zwang sich, mit schmerzendem Fuße ihren Spuren zu folgen.

Er erinnerte sich genau aus alten Schilderungen, durch welche seltsamen Gegenden ihn jetzt sein Schicksal führte, die große Befreiung.

Alles in der Welt war seither ein Abstreifen, ein Tiefer-Zwingen, ein Unterdieerdebringen.

Was lag rings unter dem Sande gebettet? Städteleichen über Städteleichen. Für blühende Gemeinwesen haben sie sich gehalten, und ihre Blüthe war eine Wurzelfäule. Ihr Aufstreben war ein maskirter Niedergang. Eine Kraft schlug die andere, eine Kraft fraß die andere. So wurde immer weniger Kraft, bis sich Alles in platte Gleichheit und Unkraft wandelte und unter den Erdboden kroch. Ein unterirdisches Geschlecht. Ein naturscheues Geschlecht. Was übrig geblieben war von alten Kulturen, Künsten und Herrlichkeiten, eine Kuriosität für die Gaffer, ein Hohnlachen für die Wissenden, ein Spott für die Langeweile der Feiertage.

Aber ihr Gewimmel giebt ihnen die erstickende Macht. Ihre Vielzahl erdrückt den Einzelnen. Da winde sich Einer heraus, wenn ihm Hunderte gleich an den Beinen und Armen hängen!

— Jala, Du freilich bist ein solches Wunder! Du schreitest über Köpfe und Tröpfe weg. Du hast auch mich schreiten gelehrt. Was haben diese Nichtse aus Niemandsland und Niemandsgeschlecht aus mir gemacht, dem Sprossen alter Könige? Heiliger Gott Bimbam, ist’s denn glaublich? Und erst eine Blinde mußte mir die Augen öffnen? Ein Kind Ao’s, des frommen Komödianten, mußte mir Ernst beibringen und Selbstachtung? So oder so, jetzt stell’ ich meinen Mann.

Er vergaß seiner Wunde und der endlos sich dehnenden Länge des gleichförmigen Weges in diesen bald stillen, bald lauten Selbstgesprächen. Er zog die leichte Kapuze tiefer in’s Gesicht, die Sonnenstrahlen abzuwehren, die mit den Reflexen der Sandfläche sich verbündeten, ihn desto heißer zu stechen.

Ermüdet ließ er endlich den Kopf sinken, schloß die Augen und tastete sich mit dem Stabe weiter. Sollte er’s besser haben als Jala, sein Weib, die blinde Seherin? Ueberwindet sie nicht alles Ungemach im Purpurglanze der Finsterniß, im hellen Muthe des Alleinseins, die starke Pilgerin?

Greges Ohren summten.

Er blieb plötzlich stehen. Er bog sich nieder und befühlte seine Wunde an der Ferse. Kein Blut mehr. Aber in den Zehen und in der Wade fühlte er schmerzenden Krampf von dem ungleichmäßigen Auftreten. Instinktiv war er die lange Zeit her nicht mit der ganzen Sohle des wehen Fußes, sondern nur mit den Zehen aufgetreten. Er hinkte.

Hörte er nicht eine Stimme? Wer rief?

Er fuhr auf, spähte geradeaus, lauschend. Es war nicht Jala’s Ton.

Er schlug die Kapuze zurück, wendete sich betroffen um.

Zwei Männer entstiegen ihrem Luftschiff, einer altmodischen Schwinggondel, zweimal Stabeslänge kaum, hinter ihm.

Es durchzuckte ihn.

Fremdlinge zum Glück, ganz offenbar, ihrer Tracht nach. Also wenigstens keine Häscher aus Teuta.

— Wer bist du, Hinkender? Wohin des Weges in dieser Wüste?

Das gab ihm die Fassung wieder. Er stützte sich auf seinen Stab und blickte die Fragenden scharf an.

Hochaufgeschossene Gesellen mit schlanken Knochen, durchgearbeiteten Muskeln und Sehnen, keine Spur von Fett, mit blonden Bärten, kalten, festen Augen mit herrischem, unerbittlichem Blick gleich Stoßvögeln.

Er antwortete nicht. Mit vorgestrecktem Arm machte er eine abweisende Bewegung in dem Sinne: Was kümmert’s Euch? Laßt mich! Ich will nichts mit Euch zu schaffen haben.

— Ist Dein Mund so krank wie Dein Fuß? Hinkt auch Deine Zunge?

Und sie lachten kalt.

Der Eine näherte sich ihm, während der Andere mit dem Fuße den Anker, mit der Hand das Steuer der Schwinggondel festhielt.

— Du kannst mit uns ziehn. Unser Fahrzeug trägt drei.

Das sprach der Aeltere. Genau hingesehen, hatte er nicht ein Gesicht wie ein Todtenkopf? Wahrhaftig. Und wie er grinste! Hing sein Bart nicht leblos, wie angeklebt?

— Du gehst in die Irre, scheint es, wir bringen Dich zurück.

— Du kannst uns von Nutzen sein, wenn Du gefällig den Mund öffnen willst. Wir grüßen Dich!

Aber es klang nicht wie Gruß.

Grege biß die Zähne zusammen, ärgerlich, daß er nicht schnell den rechten Entschluß fand. Wie würde Jala handeln?

Da lachte er auf: — Ich erwidere Euren Gruß. Nun laßt mich in Frieden. Ich suche mein Weib.

Er stieß seinen Stab auf und wollte sich zum Gehen wenden.

— Er sucht sein Weib in dieser Wüstenei! lachten jetzt die Fremden.

Sie wechselten rasch verständige Blicke. Sein Weib? Wäre das auch mitzufangen? Eine doppelte Beute? Das Fahrzeug hat Raum und Tragkraft auch für vier. Oder macht er nur Flausen? Fragt sich überdieß, ob das Weib nicht eine Katze, die schwer zu bändigen. Sicher ist sicher. Schließlich ist der Teutamann doch die Hauptsache.

Nach wenigen Schritten fühlte sich Grege angehalten. Der eine Fremde, der jüngere vertrat ihm den Weg.

— Höre, Mann aus Teuta!

— Woher weißt Du das?

— Ferner sind alle bewohnten Länder. In deinem Zustande kann man nur aus dem nächsten kommen. Auch Dein Gebahren deutet darauf und Dein bartloses Gesicht. Nur in Teutas Land ist die Gleichheit so strenges Gesetz, daß sich Keiner den Bart darf sprossen lassen. Alle sind dem gleichen Willen unterthan, bartlos zu gehen mit glattgeschabtem Gesicht.

— So sieh’ doch, jetzt sproßt mir der Bart. Ich habe nichts mehr mit der glatten Gleichheit Teutas zu schaffen. Und ich eile meinem Weibe nach. In Teuta sind die Weiber Allen gemeinsam. Keiner darf dort der Ausnahme sich rühmen, eines eigenen Weibes eigener Mann zu sein länger, als die Zeit der Begattung währt.

— Köstlich, wie du Bescheid weißt!

— Gut, ich habe Dir, dem Fremden, meine Sache gesagt. Nun hindere mich nicht länger.

— Willst du Gewalt gegen unsere Wißbegierde brauchen? Setz’ Dich zu uns und belehre uns. Wir sind Forscher. Wir ziehen auf Kundschaft aus nach seltenen Sitten. Du hast eine geläufige Zunge und einen lahmenden Fuß. Dein Fuß kann in unserem Fahrzeug ruhen, Deine Zunge sich behaglich in Allem ergehen, was uns wissenswerth. Du bist uns ein guter Fund.

— Aus welchem Lande kommst Du, daß Du eine solche Sprache zu mir, dem Freien, wagst?

— Angelos sind wir, wie Du bald erfahren sollst, und Du — ein Freier gewesen.

Nach kurzem Ringen war Grege überwältigt, gefesselt und in die Gondel gelegt.

Im Nu stieg das Fahrzeug in die Luft wie ein Geier.

Kapitel 2

Inhaltsverzeichnis

Die Winde schliefen. Kein Laut in der Luft. Müdes Flimmerlicht.

Was am warmen Boden knisterte, war der feinkörnige Sand, unter Jalas Sandalen, so oft sie den Fuß hob und senkte in wachsender Ermüdung. Es waren keine Schritte mehr. Die Gelenke zitterten vor Ueberanstrengung.

Jala war heute mehr Meilen gewandert, als gestern und ehegestern, von jagender Sehnsucht gepeinigt, endlich an’s Ziel zu gelangen.

Grege, der Getreue, warum war er um Hochmittag zurückgeblieben? Bis zum Abend versprach er sie einzuholen, wenn er seine Wunde gepflegt. Jala konnte ja des Weges nicht fehlen, in der geraden Linie des übersandeten Kanales mit der leichten dünenartigen Böschung auf beiden Seiten. War das nicht seine feste Meinung?

Nun kam ihr doch der Gedanke, sie möchte irre gegangen sein. Ihr tastender Stab fühlte keinerlei Erhöhung mehr am Wege.

Jala hielt an, lauschend, den Kopf zurückgelegt, das Gesicht in der Richtung der scheidenden Sonne, die Lider tief über den blinden Augensternen. Keines Dinges wurden ihre Sinne im Verweilen inne, außer ihrer brechenden Müdigkeit.

So beschloß sie, zu rasten, bevor volle Erschöpfung sie zwänge, und Grege’s, des Getreuen, zu harren.

Ausgestreckt, in seitlicher Lage, die aufeinandergepreßten Handflächen unter die linke Wange geschoben, ruhte sie am Wege, wie entseelt.

Auf ihre Schulter senkte sich, leicht wie ein Hauch, mit bebenden Flügeln ein gelber Schmetterling.

— Wenn Grege jetzt mich so fände, seine muthige Jala! dachte sie. Dann verwehte ihr Bewußtsein, bis sich’s wieder verdichtete im Traum.

Ihr lichtgraues Wanderkleid, überstaubt, hatte die Farbe des Sandbodens, ihr aschblondes Haar, in ungeordneten Locken aus der Kapuze hervorquillend, die Farbe der verdorrten Gräser und Halme.

Das Gesicht, sonst mattweiß, hatte auf der langen Wanderung in freier Luft und Sonne sich ins Bernsteinfarbige gedunkelt. Um die weichen Umrisse der Nase, des Mundes und des Kinns wie über die geschmeidige Fläche der Wange schwebte ein Lächeln der Ergebenheit jungheißer Leibeslust in den leidvollen Sieg der Seele, gemischt mit der Erinnerung an die tiefwühlenden, schauerlich-süßen Wonnen, die sie im Zauber ihrer ersten wildfreien, sich selbstbejahenden Liebe genossen.

Immer tiefer, immer inniger schien der ausgestreckt rastende Körper in den warmen Boden zu versinken, abgeflacht zu Schemen und Schatten.

Wie eine große, selige Mattigkeit war die Dämmerung über die Welt gekommen, wie ein tiefausholendes Verschwingen in langen, lauen Rhythmen.

Am Horizonte das Meer in weingelben Streifen, veilchenblau geädert, letzte, verklingende Liebkosung aus der strahlenfeurigen Zärtlichkeit der versunkenen Sonne.

Jala sah es im Traum, ganz so. Und ihr Herz erfüllte es wie heiliger Rausch beim Kusse des Geliebten. Und wie von stummer Musik getragen, schwebte sie mit Grege im lichten Gefilde, zwischen feierlichen Sonnenblumen, um deren hohe Stengel zierliche Schlingrosen rankten, in süßen Düften die seidenweiche Luft gebadet.

Nun sah sie dies: Heilig, aus nächtiger Finsterniß tauchend, die Insel, das Ziel der Pilgerschaft, die Heimath, das freie, ungetrübte Glück, Grege’s Himmelreich und das ihre.

Ausland und Fremde war ihr die weite, feste Erde gewesen, wo die Vielzuvielen und Zusammenhängenden wohnen, der dichte, drückende Schwarm der Gleichmäßigen, die traurigen Völker, verblödet im Glück des Niemalsunglücklichseins und des stumpfgewordenen Willens.

Nie, seit sie wußte, hatte sie sich Mensch mit solchen Menschen gefühlt.

Wie war das gekommen, daß sie anders war? Ein Trotz für sich und ein Widerspruch allen Anderen? Ein drohendes Aufbäumen in ihrem Fürsichsein und eine beständige Gefahr? Ein Verdacht, der zur herrischen Ueberzeugung wuchs, daß die Ordnung rings nur ein feiges Elend sei, dem ein Held erstehen müsse, der Alles erlöse, indem er Alles aus den Fugen schlägt? Und sie die Heldin des Helden?

Wie war das gekommen?

War’s eine verborgene Erbschaft aus ihrem Stammlande Friska, die jetzt in gesammelter Kraft aus ihrem stillen Herzensschrein hervorbrach, ihre Gedanken zu feurigen Pfeilen spitzte, ihre Empfindungen mit sprengenden Elementen lud?

Oft hatte Jala nach Zeichen gesucht, sich’s zu deuten in gegenständlichen Bildern, da die erklärenden Worte versagten.

War es ihre Blindheit, darin sie das neue Sehen fand?

War das eine Deutung, daß in jener Sturmnacht des jauchzenden Frühlings, als die Reife des Weibes im Wunder der Liebe ihren Leib verwandelte, das Licht aus ihren Augen floh und die Seele so hellsichtig wurde, als schwämme sie in Blitzen?

Schuf Grege, der Heiße, Treue, Unvergleichliche, den Unterschied zur dauernden Gestalt, daraus die neue Menschheit wachsen mußte? Konnte sie darum nimmer von ihm lassen?

— Auf der Insel die Erfüllung! seufzte Jala im Traume.

So verging die Zeit.

Plötzlich erwachte Jala in süßer Erschütterung.

Langsam richtete sich ihr Oberleib vom Boden auf.

— Nicht versinken, nicht unter die Erde! In die Höhe! Grege! Grege!

Was war das Alles? Was?

Ihre Hand tastete nach dem Stabe. Sie zog sich daran empor, sie straffte ihren Körper zu voller Höhe. Fremd. Allein.

— Grege! Grege!

Es war ein Nothschrei aus tiefster Seele. Ein Schrei in’s Leere.

Das schwarze Schweigen der Nacht verschlang ihre Stimme.

Kapitel 3

Inhaltsverzeichnis

Kaspe und Ao saßen in ihrem geheimsten Berathungssaal, dreißig Klafter tiefer, als die übrigen Amtsstuben, unter der gemeinen Erde.

Es war ein weiter, magisch erleuchteter und wie ein Treibhaus durchwärmter Raum, zeltartig mit Teppichen und seidenen Geweben ausgekleidet, so daß keine Wand zu sehen. Von der Decke hingen Reihen verschiedenfarbiger Schnüre für die Luft-, Licht- und Tonleitungen. Die Mitte nahm ein kleiner runder Tisch ein mit dem Tastwerk und dem Spiegel.

Der oberste Diplomat von Teuta, Titschi und sein junger Gehilfe Soundso hielten ihnen abwechselnd den Wochenvortrag.

Ein Theil war nunmehr erledigt, der auf die allgemeinmenschliche Stimmung der Teutaleute bezügliche.

— Alle satt? fragte Ao, der dicke Oberpriester, sich auf dem fahrstuhlähnlichen Polstersitz streckend.

— Alle ruhig? fragte Kaspe, der schmächtige Oberrichter.

— Alle satt und ruhig, antwortete Titschi mit verbindlichem Lächeln.

— Also Alle glücklich, nickte Ao.

— Wie üblich, bestätigte Kaspe.

— Ist es Euch, Hoheiten, nicht um einen Zehntel Grad zu warm? fragte Soundso. Ich meine, es müßte uns um einen Zehntel Grad zu warm sein.

Ao drehte den Ring an seinem kleinen Finger der linken Hand, die mit einem feinen Faden umwickelt war, der magnetische Apparat spielte, mit einem zarten Ton entwich das Zehntel überschüssiger Wärme durch die Temperaturorgel.

Alle nickten. Soundsos Hautempfindung war unfehlbar.

— Ist es Euch, Hoheiten, nicht um eine Zehntausendstel Kerze zu hell? fragte wieder Soundso. Ich meine, es müßte uns um eine Zehntausendstel Kerze zu hell sein.

Alle stimmten bei.

Ao berührte den Ring an seinem kleinen Finger der rechten Hand, der Apparat spielte, mit einem feinen Duft kam die gewünschte Milderung der Helligkeit in den Raum. Die Talare der hohen Räthe schimmerten um die Idee einer Schattirung tiefer in ihrem purpurnen Seidenglanz. Der goldgelbe Ton der Zeltgewebe und Tücher stumpfte sich um ein kaum Merkliches. Aber die hohen Räthe empfanden die schwache Veränderung als eine Mehrung ihrer sinnlichen Behaglichkeit.

— Die Abschaffung sämmtlicher Luftfahrzeuge für das gemeine Volk hat sich bewährt? fragte Kaspe mit zirpender Stimme. Es finden keinerlei Entweichungen mehr nach oben statt, die Teutaleute halten sich zufrieden am Rücken der Erde? Es wurde keinerlei Verunreinigung der Luft durch Schwinggondeln mit Flüchtigen und Durchbrennern bemerkt?

— Die Luft ist vollkommen geschlossen, erwiderte Titschi, seine etwas geknickte Gestalt erhebend.

— Freiheit und Gleichheit herrschen im Lande innerhalb der Grenzen der gemeinen Wohlfahrt. Ungetrübt ist das gemeine Glück, dank der Idealität unserer Zustände. Gott und sein Volk sind das A und das O, und ich bin, durch beider Willen, ihrer frommen Fürsorge treuer Knecht, so lange ich im geheiligten Amte stehe — sprach der Oberpriester in schläfriger Feierlichkeit.

— Ja, Hoheit, Deiner Tugenden Lohn ist Allen sichtbar, Du verdaust gut, Du schläfst gut. Dem Volke Gottes kann es an nichts mangeln, betheuerte im weichsten Ton Titschi, der oberste Diplomat.

— Wie war das Ergebniß der letzten Zeugungsperiode? nahm Kaspe das Wort.

Titschi rieb sich die feine Schnüffelnase. Er blätterte in einem winzigen Notizbuche, das mit allerlei krausen Abbreviaturen vollgekritzelt war.

Abtheilung I zwischen Fünfzehn und Fünfundzwanzig sehr gut, Abtheilung II zwischen Achtundzwanzig und Fünfunddreißig gut, Abtheilung III zwischen Vierzig und Fünfundvierzig mäßig, Abtheilung IV zwischen Achtundvierzig und Fünfzig gut, Abtheilung V Rest ungenügend.

— Wir werden uns mit dem Oberphysikus benehmen müssen. Vielleicht, daß er eine Abkürzung der Schonperioden gutheißt und eine Erweiterung der Abtheilungen nach unten und oben vorschlägt, lallte Ao schlafsüchtig.

— Nach oben, das wird wenig nützen, bemerkte Soundso mit pfiffiger Miene, es liegt in der Natur, daß die Leute mit der Zeit flau und bequem werden und sogar angenehmeren Pflichten sich entschlagen.

Soundso hatte sich diesmal verschnappt. Niemand nickte.

Das riß Ao aus seiner Schlummerstimmung.

— Natur? rief er merklich überrascht, beinahe vorwurfsvoll, was hat in Teuta die Natur zu sagen? Ich schaudere schon vor dem Wort zurück. Größe und Glück unseres Teutalandes, seine Einzigkeit und sein Ruhm begründen sich darauf, daß wir über die Natur hinaus sind, seit Jahrhunderten, seit Jahrtausenden. Alles ist Mechanik und Mystik. Damit stehen und fallen wir. Das ist unser Lebensgeheimniß. Das ist unsere Macht. Mechanik und Mystik, das sind die beiden Pole unseres Staates, um den uns die Welt beneidet. Soundso, ich rufe Dich zur Ordnung. So lange ich hier meines Amtes walte, ich, Ao, will ich das Wort Natur in diesem Zusammenhange nicht mehr hören. Hüte Deine Lippen, Soundso. Auch Deine Werthung der Pflichten, nach ihrer größeren oder geringeren Annehmlichkeit, ist Ketzerei, wenn man der Sache auf den Grund geht. Du bist gewarnt.

Alle stutzten. So lebhaft hatten sie den würdevollen Ao schon lange nicht mehr gesehen.

— Das macht die Jugendlichkeit meines vortrefflichen Gehilfen, daß er sich so verschnappt hat, beschwichtigte Titschi, mit einem mahnenden Zwinkerblick auf Soundso.

Der junge Diplomat hatte sofort die gefügigste Lammsmiene aufgesteckt, als hätte er nie das kleinste Wässerchen getrübt.

Titschi fuhr im trockensachlichen Tone fort: Ja, Hoheiten, der Oberphysikus wird uns Bescheid sagen. Inzwischen will ich feststellen, daß keinerlei ernste Gefahr im Verzuge ist.

Nun zirpte auch Kaspe: Der Bevölkerungsrückgang ist durchaus normal und giebt zu keinen Befürchtungen Anlaß, so lange wir in der Lage sind — und wir sind es, wie seit fünfzig Jahren stets — den Slavakos die festgesetzte Zahl an jungem Tauschvolk alljährlich und pünktlich gegen die Einlieferung der bedungenen Nahrungsfrüchte zu liefern. Wir können sogar, bei der nächsten Erneuerung des Vertrages, mit der Schätzung unserer Leistung hinaufgehen und stärkere Gegenleistung fordern.

Soundso konnte hier eine sachliche Bemerkung nicht unterdrücken.

— Eines Tages möchte sich’s doch ereignen, daß Teutaland nicht mehr so viel Tauschvolk produzirte, um die genügende Nahrung geliefert zu erhalten. Und bei allen Fortschritten der Technik werden wir nicht leicht dahin kommen, das Volk mit Luft zu ernähren. Auch die Surros kriegt man auf die Dauer satt. Der Magen nimmt sie nicht mehr an. Er will natürliches Originalfutter zur Abwechslung. Unsere Vorfahren thaten nicht gut, die Landwirthschaft zu zerstören und uns ganz den Künsteleien der Techniker und Chemiker zu überliefern oder gar den dilettantischen Erfindern vom Schlage Greges. So hängen wir von den Slavakos ab. Wenn denen einmal Unheil zustößt, sind wir ohne Früchte. Es könnte sich auch ereignen, daß sie unsere menschliche Tauschwaare zurückwiesen. Womit wollten wir sie dann verpflichten? Oder sie führen ein System des Lebens ein, das ihnen selbst genügend Menschen lieferte. Was dann, Hoheiten? Gestattet meiner Jugendlichkeit diese bescheidenen Gedanken.

— Zukunftsgespenster! Die schrecken uns nicht. Die Slavakos werden im Gegentheil immer nachdrücklicher auf unsern Menschenersatz angewiesen sein.

— Wie das? fragte Ao, der seine Schläfrigkeit vollkommen bezwungen zu haben schien.

— Sehr einfach. Wie ich aus zuverlässigen Berichten weiß, sind bei den Slavakos wieder einige neue religiöse Sekten entstanden, welche es mit den Lehren ihres Heiligen, den sie unter den größten Auserwählten ihrer Rasse vor zweitausend Jahren entdeckten, noch viel strenger nehmen. Toistoji nennen sie sich. Diese Toistoji setzen ihre Seligkeit in absolute Enthaltung von jedweder Fortpflanzung aus eigenem Samen und wählen ihre Anhänger aus den jüngsten Jahrgängen . . .

— Beachtenswerth, rief Ao erbaut, das nächste Mal erbitten wir uns weitere Aufschlüsse, Kaspe. Die Zeit ist heute zu vorgerückt. Ich habe noch andere Fragen. Zunächst die: Wie stehen wir zu den Angelos? Hat sich unsere Abschließungszone gegen sie erweitert? Ist unsere Grenze genügend geschützt? Die Angelos verharren in der Barbarei ihrer alten Ordnung und sind Feinde unserer Ruhe. In jedem Blutstropfen lauert ihre Herrschgier. Liegt nichts Verdächtiges vor?

Als Titschi den Kopf schüttelte, räusperte sich Soundso, als wolle er wieder das Wort nehmen. Aber nun kam ihm Titschi zuvor, um nicht durch eine neue Verschnappung seines jungen Gehilfen umständliche Erörterungen und damit eine lästige Verlängerung der Sitzung herbeizuführen.

— Nein, es liegt nichts vor. Seit Jahren ließ sich keiner von diesen Störenfrieden an der Grenze unseres Reiches blicken. Unsere Abschließungszone gegen das Meer hat sich inzwischen um weitere bedeutende Flächen vermehrt, der Wüstengürtel hat sich verbreitert. Die sanften Slavakos, obwohl sie immer weiter nach Westen drücken, sind unsere vertragsmäßigen Freunde. Die Frankos scheinen wirklich stille Leute geworden zu sein, von liebenswürdiger Gesinnung. Weitab wohnen die kleinen Völker, die ihrer turbulenten Neigungen zwar noch nicht ganz Herr geworden sind, aber zu fernen Abenteuern jeden Anlaß verloren haben. Ich kann mir kein friedlicheres Bild unserer Beziehungen zur Umwelt denken. Je tiefer der Trieb unserer Leute im Leben und Bauen geht, desto weniger Angriffspunkte bieten wir.

— Ja, unter der Erde ist gut und sicher wohnen, zirpte Kaspe. Schade, daß wir die alten Kulturdenkmäler nicht auch unter die Erde bringen können. Das Königsschloß, das Gotteshaus, die Kaserne, das Museum, das Zuchthaus — gäbe es wirklich kein Mittel, sie tiefer zu legen? In der Luft ist ohnehin die Verwitterung so stark, daß uns die Unterhaltungskosten mit der Zeit drückend werden können. Oder wollen wir sie wie die Fabrik mit ihren neunundneunzig Schlöten ruhig dem Verfall und dem Einsturz überlassen? Sattgesehen hat man sich in den vielen Jahrhunderten auch daran. Ich glaube nicht, daß unsern Teutaleuten das Herz an diesem Gerümpel hängt. Für diesen Ausfall erfinden sie sich reichlich neue Vergnügungen.

— Neue Vergnügungen, lispelte Soundso mit lächelnder Lammsmiene, ja, das ist das herrliche Problem, neue Vergnügungen, Hoheiten!

— Mein kluger Soundso vergißt, daß bei uns Alles Eintracht und Zufriedenheit athmet. Probleme sind Keime für Umwälzungen. Diejenigen, welche Revolutionen gemacht haben, dulden nicht, daß man nach ihnen welche machen wolle. Mit Recht oder Unrecht, so ist’s.

— Der Ton wird bedenklich, sagte Ao feierlich, ich hebe die Sitzung auf.

Der Oberpriester faltete die Hände, der Saal hüllte sich in purpurne Finsterniß. Der Oberpriester drückte den Daumen an den Knopf des Riemens, der um sein linkes Knie geschnallt war, sofort spielte der Mechanismus, der die Hoheiten mit sammt ihren Polstersesseln durch die sich öffnenden Wände in die Gänge schob, wo ihrer die Fahrstühle für die privaten Gemächer in der höheren Region harrten.

Soundso flüsterte seinem Meister ins Ohr:

— Der Alte wird schwach.

— Ein Idiot.

Kapitel 4

Inhaltsverzeichnis

Minus, der Oberlehrer, zog die winzigen Hörröhrchen aus der Ohrmuschel und schlenkerte sie nervös spielerisch an dem rothen Seidenfaden. Sein Blick war seltsam unruhig.

— Na? fragte Bim, der Oberphysikus, und verzog sein längliches Gesicht zu einem neugierigen Lächeln.

— Eine Mittheilung von Ao. Soundso hat ihn gekränkt. In der Wochensitzung. Heillose Worte sind gefallen. Ich soll prüfen.

— Heillose Worte? Von Seite Aos?

— Nein. Soundso versündigte sich am heiligen Wortschatz.

— Schon wieder? Ich werde seinen Geisteszustand beobachten lassen. Mir ist er längst verdächtig. Also Frevelworte ausgestoßen?

— Hm.

Minus spitzte den Mund und blies in die hohle Hand.

— Na, Hoheit?

— Vor bald zweitausend Jahren sprach Einer das Sprüchlein: „Worte sind Schall und Rauch.“ Das wirkt fort, Bim. Man nimmt die Worte zu leicht. Viel zu leicht . . . Eine schleichende Gefahr. Auch bei uns. Gehörtes verführt . . .

Bim nickte. Sein längliches Gesicht zeigte düstere Nachdenklichkeit.

— Wie hat der vor bald zweitausend Jahren gesagt?

— „Worte sind Schall und Rauch.“

— Hab’ ich nie gehört. Ich verneige mich vor Deiner Gelehrsamkeit. Worte nicht bloß Schall? Worte auch Rauch? Also haben damals Worte geraucht, in jener primitiven Zeit? Einfach kanibalisch: Worte, die rauchen. Worte die nicht nur die Ohren, sondern auch die Augen belästigen. Die brändeln und stänkeln. Puh, Minus, kehren solche Zeiten wieder? Glaubst Du, großer Wissender?

— Wenn eine Jugend, wie dieser Soundso, in die Staatsgeschäfte hineinwächst, Bim. Gehörtes verführt, sei überzeugt.

— Jawohl, Hoheit. Wort, Aetherschwingung, Seele, Alles in eins. Furchtbare Gewalt. Wenn nun Worte auch noch schallen und rauchen! Aufruhr, Umwälzung, Umsturz, ja wahrhaftig, Umsturz! Und was — —

Bim bekam plötzlich seinen Hustenanfall und drehte seinen langen dünnen Hals verzweiflungsvoll, daß die Wirbel knackten.

— Hm, machte Minus, indem er wieder die winzigen Hörröhrchen in die Ohrmuschel steckte.

— Na? fragte Bim, nachdem er sich von seinem Anfall erholt hatte.

— Eine Mittheilung von Kaspe. Soundso scheint ihm verdächtig. Seit der Wochensitzung. Worte, Worte, Worte.

— Schon wieder? Was hab’ ich vorhin gesagt? Darf ich nun erfahren?

— Der Gehilfe unseres Oberdiplomaten erregt Aergerniß auf allen Seiten.

— Ich bitte um die Worte, zum Thatbestand.

— Aber vorläufig ganz unter uns, Oberphysikus. Amtsgeheimniß.

— Vertrauliche Mittheilung, versteht sich. Schätzbares Material unter dem Siegel der Verschwiegenheit.

Aug’ in Aug’, daß sich ihre Nasenspitzen fast berührten, dann den Mund am Ohr: Vernimm, Bim — Natur — angenehmere Pflichten im Sexualen, hörst Du? — Probleme, herrliche Probleme sogar.

Dann blickten sie sich starr an.

— Soundso?

— Soundso. Und dieser Mensch, Minus, sollte er nicht des Schlimmsten fähig sein? Ist das nicht ein keimender Entartungstypus in unserem normalen Gemeinwesen? Ist das nicht ein stetig sich aufbauender Seuchenheerd in unserem musterhaft gesunden Land?

— Ich ahne, Bim.

— Schon damals. Meine unglaubliche Entdeckung des Urstoffs, alle Geister hat sie erschüttert, ihn hat sie kalt gelassen. Mehr noch: er hat sie still verhöhnt. Und er wagt Worte, wie Natur, Probleme, angenehmere Pflichten vor dem Oberpriester auszusprechen.

— Und vor dem Oberpriester!

— Und vor dem Oberpriester. Gerade vor dem, der meine unglaubliche Entdeckung mit dem höchsten Lob auszeichnete. Weißt Du noch?

— Das Lob ja. Sehr ergreifend. Wie lautete doch gleich Deine herrliche Entdeckung? Die Worte sind mir nicht gegenwärtig.

— O Minus, Hoheit: Urstoff! Die Materie, aus welcher die Atome bestehen, ist nicht qualitativ verschieden, sondern die verschiedenen Atome sind nur verschiedene Qualitäten derselben Materie, und diese Materie ist der Urstoff.

Minus zog die Augenbrauen hoch, daß sie wie ein schwarzes Runzel-Dreieck über den erstaunten Augen standen. In seinem Sinne dachte er: O du blöder, aufgeblasener Frosch, mit deinem dummen Gequake — aber seinem Munde entschlüpften klügere Worte.

— Herrliche Entdeckung, herrliche Definition. Ja, das sind Ideen, nicht Schall und Rauch. Davon wird eine neue Entwicklung ausgehen. Neue Probleme werden hervorsprießen, neue —

Bim spreizte erschreckt die fünf Finger der linken Hand in die Höhe und legte die rechte dem Sprecher auf den Mund.

— Oh! Oh! Wenn uns ein sterbliches Wesen gehört hätte, Minus, Hoheit! Oh! Entwi— Entwicklung, gehört das nicht auch zu den verpönten Worten unseres staatlichen Sprachschatzes, so gut wie neue Probleme? Stehen wir nicht auf dem Gipfel? Wohin mit Entwi— Entwicklung? Wäre das nicht Schwindel eines Schwarmgeistes? Wir bauen aus, wir vertiefen, wir fügen hinzu, aber entwickeln? Nein. Wir haben einen Standpunkt, unser erreichtes Ziel, da ist nicht Raum für etwas Zielloses, Unübersehbares. Entwicklung — wem schauderte da nicht? Sturz in’s Bodenlose — wem — — —

Bim bekam schon wieder seinen Hustenanfall, daß die Halswirbel knackten.

Minus hatte sich bei Bim’s emphatischer Strafpredigt langsam umgewendet. Jetzt drehte er ihm das Gesicht wieder zu, mit unerschütterter Ruhe:

— Bim, ich bitte, wem sagst Du das? Mein Amt gestattet mir, mich auch einmal über meinen Standpunkt zu stellen, um — Andere zu prüfen. Du hast die Prüfung bestanden. Glänzend. Wie vorauszusehen. Der Mann des Geistes beglückwünscht den Mann der Körperlichkeit.

— Der Ebenbürtige verneigt sich, Hoheit.

Sein längliches Gesicht versuchte durch ein säuerliches Lächeln den aufsteigenden Aerger zu dämpfen.

Nein, es ist mehr als Fopperei von diesem obersten Gelehrsamkeitsverwalter, es ist ein Stich in’s Boshafte, fast in’s Größenwahnsinnige dabei, dem nichtsahnenden Oberphysikus mit solchen Scherzen zu kommen. Man könnte sich ordentlich fürchten, wenn unter Kollegen solche Neigungen herrschend werden. Das ist kein glücklicher Ton im hohen Rath des glücklichsten Volkes. Einem meuchlings mit Prüfungen zu kommen, mit hinterlistigen Gesinnungs-Erforschungen! Und gerade ihm, dem tadellosen Bim, dem unersetzlichen Physikus, der die Wissenschaften mit Fünden und Entdeckungen weitreichender Art beglückt und dabei über die Gesundheit der Teutaleute mit solchem Eifer wacht!

Was weht denn jetzt für ein Wind in den auserlesensten Köpfen, wenn ein Mann von der Gelehrsamkeit und Würde eines Minus Schabernack treibt? Kommt damit nicht eine gefährliche Unsicherheit in alle Beziehungen derer, die der Wille des Volkes auf die wichtigsten Posten gestellt?

— Ja, ich beglückwünsche Dich, Bim! begann plötzlich der Oberlehrer wieder. Du bist ein Mann von hohen Gaben. Wie viele Jahre giebst Du mir noch? Damit ich dem würdigen Teutavolke mich nützlich erweise, der Weisheit meiner hohen Kollegen immer näher komme?

— Wieso das?

— Wir wissen, oder auch nicht, je nachdem, Bim, daß die Erde nichts ist als ein erstarrter winziger Sonnenabfall, ein kleiner Dreckspritzer, ein Sandkorn in der unendlichen Wüste der Welten. Wir wissen, welche Gase an der Fläche der fernsten Sterne glühen. Macht das Dein Herz größer? Dein Leben fröhlicher? Wir wissen, daß man vor tausend Jahren, bevor die Chinesenherrschaft in Europa triumphirte, Welträthsel zu lösen im Begriffe war, von denen wir heute keine Ahnung haben. Daß man damals fast das Problem gelöst hatte, aus dem Dunstkreis der Erde hinaus und in die Sphäre des Mondes hineinzufahren. Hat dieser Aufschwung gehindert, daß dennoch ganz Europa in die Brüche gegangen? Daß all’ die großen Reiche des Kontinents verschwunden und wir nur armselige Reste sind? Wie viele Jahre noch?

— O, Hoheit.

— Wie viele Jahre giebst Du mir und Dir noch?

— Wie kommst Du auf solche Gedanken, Minus? Wir sind beide in guter Verfassung.

— Wir sind zwar die ältesten Mitglieder noch nicht im hohen Rath, Bim. Bei der nächsten Musterung, wer weiß? Dem Volke schmecken mit einem Male die Alten nicht mehr, stell’ Dir das vor! Es geht wie ein Traum der Verjüngung durch die Herzen der kleinen Teutawelt. Meine Späher und Zeichendeuter wollen sich nicht geirrt haben. Hast Du noch nichts bemerkt?

— Keinen Schimmer, hauchte der Oberphysikus ermüdet.

— Fehlt Dir etwas, Oberphysikus? Deine Lippen zittern. Hast Du Zahnweh?

— Aber, ich bitte.

— Wie viele Zähne hast Du noch? Hast Du überhaupt noch Zähne?

— Die sitzen noch ganz solide.

— Sind Deine Kiefer noch stark genug, das Gebiß zu tragen?

— Ich begreife nicht, Hoheit.

— Richtig, ich vergesse, daß man in Deinen Jahren wohl auf diesen Zierat verzichtet.

— Zierat, Minus? Zähne sind ein Instrument der Gesundheit. Erinnere Dich, daß ich einst ein vielgepriesenes Mittel erfunden, dieses Instrument zu schärfen.

— Hast Du das, Bim? Ich erinnere mich nicht. Nach Dir kam aber einer, der Speiseformen erfand, wodurch die Arbeit dieses Instruments überhaupt überflüssig wurde. Haben die Teutaleute Deiner Erfindung Ehre erwiesen, wirklich, Bim?

Der Oberphysikus biß die Zähne zusammen — es war keine vollständige Garnitur, und griff sich mit der Hand an die Stirn. Dann warf er einen hilflosen Blick auf den unbegreiflichen Frager.

Der aber fuhr unerbittlich in seiner starren Weise fort:

— Wie ein Traum der Verjüngung. Meine Späher und Zeichendeuter sind zuverlässig. Hast Du nie einen ähnlichen Traum geträumt?

— Nie, Minus.

— Hättest Du’s doch. Vielleicht hätte Dein Scharfsinn einen Sporn mehr erhalten. Du hättest uns ein durchgreifendes Verjüngungsmittel erfunden, Bim. Warum läßt Du uns sterben?

— Sterben wir? Hoheit, noch leben wir.

— Nein, wir sterben. Du irrst, Oberphysikus. Wir sterben — wir sterben an der Jugend der Anderen. Grausame Todesart. Sie macht lächerlich.

— Du quälst Dich und mich, Minus. Warum quälen wir uns mit solchen Fragen?

— Weil sie zeitgemäß sind.

— Aber sie stehen heute nicht auf der Tagesordnung, Minus, Hoheit.

— Das ist nicht ihr Fehler. Das ist unser Fehler.

— Du verschwendest Deinen Geist, Minus.

— Verschwende ich ihn?

— O, sicher an keinen Unwürdigen. Aber immerhin — —

— Bist Du so sicher, Bim? Ich habe oft zu Thoren geredet, wenn ich vermeinte, zu Weisen zu sprechen. Man nimmt die Worte zu leicht. Viel zu leicht. Daher die schleichende Gefahr. Aber vorläufig ganz unter uns. Oberphysikus, Amtsgeheimniß!

Bim wußte nicht mehr, was er denken sollte. Irgendwo und bei irgendwem stand’s nicht richtig.

Er starrte seinen hohen Kollegen vom hohen Rathe an.

Nein, da war wirklich guter Rath theuer. Aus diesen Mienen war keine Erklärung für die sonderbaren Worte zu schöpfen.

— Sollen wir uns die grausame Todesart gefallen lassen, Bim? Weißt Du? Die den Sterbenden lächerlich macht, weil er sein Gestorbenwerden nicht merkt? Die Anderen aber, an denen er stirbt, die merken’s, Bim! und lachen und weinen, die Unerbittlichen.

— Niemand stirbt so im Lande der Teutaleute. Ich fasse Deine Besorgniß nicht, Minus.

— Sie lachen und weinen, die Unerbittlichen. Mit ihren Thränen verhöhnen sie den Unglücklichen. Ihre Thränen sind Salz in offene Wunden.

— Minus, nie habe ich Jemand von unserem Volke weinen sehen. Im edlen Lande der Teutaleute kennt man keine Thränen. Man kennt sie nicht. In alten Zeiten, ja, wo es noch Fürsten gab und Soldaten, Tyrannen und Knechte. Da kam’s zu blutigen Thränen. Im Staat des Kapitalismus, der folgte, noch schlimmer. Dann der Zusammenbruch, dann die sozialistischen Quälereien. Das besserte wenig. Die Menschen verlernten das Weinen nicht. Aber in unserem Weltalter der gemeinsamen Güte! Thränen, Minus! Das ist vorbei. Das ist die Auszeichnung der Teutaleute, ihr besonderes Wesen. Ihr Gleichmuth, denke doch, ihre Sittsamkeit, ich bitte Dich, ihre Geduld. Wir können ruhig sterben, Minus.

— Warum thun wir’s nicht? So stirb doch, Bim! Schaffe Platz der Jugend! Was zögerst Du? Ich will sehen, ob Du ein Ende machst. Bestelle Dir wenigstens einen Gehilfen, wie Titschi sich einen Gehilfen bestellt hat. Nimm Dir einen Soundso. Die einzige Form, die unser Gesetz gestattet, in Staatsgeschäften unser Leben zu dehnen. Aber Alles das thust Du nicht, Du wartest ab. Du greifst nicht vor. Du läßt’s drauf ankommen. Du willst gestorben werden. Deine Feigheit wählt die grausamste Todesart.

— Minus!

— Ja, so sind wir. So seid ihr. Ich nicht. Ich mache ein Ende. Heute noch. Ich habe Sehnsucht, loszukommen, ohne Hohn.

Diese Wendung überraschte Bim mehr, als Alles Uebrige. Also darauf spielten die krausen Wendungen und Worte. Aus sich selbst heraus kam dem edlen Minus der Ueberdruß, der Unmuth.

— Bedenke doch, Minus, wer uns auf den Posten gestellt. Und da sollen wir flüchten, ohne Noth, aus trauriger Laune? Des Volkes Wohl ist uns anvertraut — —

— Des Volkes Wohl! Ich mache ihm meine Reverenz — —

— Gut denn. So sagen wir (und kost’ es mir den Kragen, wenn’s ein Späher hört), die Beherrschung des Volkes, was dasselbe ist, befriedigt Dich das nicht?

— Beherrschung? Fühlst Du das Zeug zu einem Herrscher, zu einem Gott in Dir, Bim? Ich hänge an meiner Schwäche. Ich rühme mich meiner Unvollkommenheit. Nicht die kleinste Herrgöttlichkeit reizt mich.

— Des Volkes Wohl liegt in seiner Beherrschung, Minus.

— Aber nicht mein Wohl. Und warum können wir das Volk beherrschen? Weil wir ihm die Flügel gestutzt und den Sinn verwirrt haben. Ein geistvolles Geschäft, über ein solches Volk zu herrschen!

— Das Volk ist mündig und frei in seinen Entschlüssen, Minus.

— Ist’s das? Bestellt sich der Mündige einen Vormund? Duldet der Freie Obere, die sich mit „Hoheit“ anreden lassen? Ein mündiges freies Volk jagte Dich und mich und alle Hoheiten zum Kuckuck, kröche aus der Erde heraus und liefe frei in die Sonne und allen Winden nach, wie die Thiere des Waldes, wie die Vögel des Himmels.

— Darauf sage ich, der Oberphysikus, Dir dieses: Deine Gelehrsamkeit ist Dir zu Kopf gestiegen. Das sind Alles transszendentale Theorien, die Du aus alten Poeten, Philosophen und anderen Narren aufgelesen. Ich weiß mich frei davon, drum kann ich ruhig reden.

Minus lächelte wie Einer, dem wirklich vielerlei im Kopfe durcheinander geht. Wiederholt setzte er sein Hörröhrchen ein. Alles blieb stumm. Von keiner Seite eine neue Meldung. Ist die Welt todt?

Bim hüstelte aufgeregt. Er fühlte sich der Erschöpfung nahe. Solchen unerfreulichen Sachen war er nicht gewachsen. Das Herumräthseln an unentwirrbaren Dingen ging allen seinen Fähigkeiten wider den Strich. Dieser Minus, nein, niemals hatte er ihn in einem solchen Zustande gesehen. Ein Knäuel von Widersprüchen. Eine Windsbraut von tollen Stimmungen.

— Ja, ja, Bim. Die Sonne, der Wald, der Himmel, die Thiere.

— Erlaube, das ist Alles furchtbar ungesund. Teuta aber ist gesund geblieben, weil es der Sonne, dem Himmel ausgewichen ist bei Zeiten, weil es die Wälder vertilgt, die überflüssigen Thiere beseitigt hat. Diesen vergangenen Dingen können nur zwei Menschensorten nachschwärmen: Poeten und Verliebte. Und mit ihnen haben wir seit Annodazumal in Teuta aufgeräumt, gründlich.

— Haben wir das, alter Bim?

— Eine weite, ruhige, gradlinige Fläche ist die Erde im Teutaland. Alles ist klar und bestimmt nach Maß und Gewicht. Dieser Zustand soll erhalten bleiben, er ist der denkbar glücklichste für unsere Menschen. Das empfand ich in meiner Jugend, das bestätigt mein Alter. Eine Wissenschaft, die anders lehrt, ist falsch. Sie zerstört den Frieden, unser höchstes Gut.

Minus hörte nicht mehr, in müden, schmerzlichen Gedanken versunken. Nie hätte er überhaupt den klugen, beschränkten Schwätzer so lange angehört, außer der Gewohnheit des Amtes, oder es sei denn, er spielte Komödie mit ihm, oder sich im Witz zu üben, oder in der Geduld. Aber heute! —

Die Hörröhrchen brannten förmlich im Ohr. Der Fernsprecher wußte ihm so wenig zu melden, wie der Fernseher. So oft er sich an den Spiegel wandte, es kam kein Bild. Und der Fernsprecher narrte ihn mit der Wiederholung altbekannter Dinge.

Endlich eine Nachricht, die wie ein Blitz auf seine Erwartung schlug.

— Spurlos verschwunden, stöhnte er nach einer Weile. Ao weiß nichts. Kein Mensch weiß was. Jala, Unglückliche!

— Jala, wie? Die schöne Blinde? Ich hatte sie in meiner Irren-Abtheilung zur Beobachtung. Dann entwich sie — —

— Das sagst Du mir jetzt erst?

— Fragtest Du?

— Nein, das wußte ich. Was weißt Du, daß ich nicht weiß? Berichte!

— Nichts von Belang. Ganz dem Gegenstande entsprechend. Sie entwich. Sie wird ein Ende gemacht haben. Sie war unheilbar. Unheilbar, aber still und unschädlich. Damit ist die Sache wohl erledigt. Teuta ist ruhig.

— Ich danke. Fahr’ ab, Bim, und hüte Deine Zunge.

— Eine Närrin weniger, das regt in unserem Lande keinen Menschen auf. Eine Närrin weniger, ich bitte Dich. Das stürzt keine Rechnung um.

— Fahr’ ab, Bim. Jala ist keine Närrin und — mehr als Eine. Schluß. Fahr’ ab.

Der Mechanismus spielte, der Oberphysikus saß vor der Thür.

Kapitel 5

Inhaltsverzeichnis

Schwarze Nächte folgten den dunklen Tagen. Niedrig, wolkenschwer lastete das Firmament auf der naß erkalteten Erde, ohne Sonne, ohne Mond, ohne Sterne.

Aus den Nebeln, die das Meer verhüllten, klang gedämpft der schwermüthige Gesang der Wellen am Strande.

Aus der tiefen Stille der Ferne über den Wassern kam es zuweilen wie hartes Grollen und Stoßen und Stürzen, als machte sich weit dahinten, verborgen in dichter Finsterniß, der Sturm fertig, um mit wuchtigen Schlägen bald über die Fluth hinweg in’s Land zu fallen in wüthender Heerfahrt.

Zwischen den letzten hohen Dünen, die in weitem Bogen den Strand umgürteten, lag, tief eingebettet, eine Siedlung von Schifferhütten: Eine Weltfremde in den düsteren Zeiten des verlorenen Himmels, bewohnt von wenigen Familien uralter Eingeborener, zu denen sich ab und zu von Wind und Wetter verschlagenen Insulanern oder Flüchtlingen aus den platten Hinterländern einige Neulinge gesellten, um unter dem Schutze des Gastrechts die Härte des Lebens zu überwinden. Etliche zogen wieder ab bei günstiger Wetterwende, Etliche, die sich anzufreunden und innigeres gegenseitiges Gefallen zu erwecken vermochten, blieben dauernd, Andere verschwanden spurlos, nachdem sie kurze Rast und Labung genossen.

Die Bleibenden erfrischten und vermehrten mit ihrer neuen Kunde aus entlegener Welt den Geist und mit ihrem Blute die Körperlichkeit der einsam hausenden Siedler und hüteten sie vor Erstarrung in der Einförmigkeit des Daseins zwischen den Dünen.

Dennoch blieb die Zahl der Bewohner der Schifferhütten beschränkt. Das Meer forderte beständig seine Opfer, und das Gesetz der Auslese übte seine Gewalt am schwächeren Nachwuchs.