In unseren Träumen das Glück - Virgil Kane - E-Book

In unseren Träumen das Glück E-Book

Virgil Kane

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Beschreibung

Victors Digiverse scheint eine echte Alternative zum irdischen Leben zu sein. Und ist es doch auch wieder nicht. Phil landet nach einer Odyssee über Casablanca, Lissabon und Berlin schließlich in Tansania. Dort stellt sich für ihn die Frage, ob die Digitalisation der Sprung in eine neue Evolutionsstufe der Menschheit ist oder einfach nur ein riesiger Bluff. In unseren Träumen das Glück erzählt von den Verlockungen digitaler Welten, wie sie aktuell durch Meta oder Google geschürt werden, und vom Zwiespalt der Menschen, sich auf derartige Optionen einzulassen oder ihnen zu widerstehen. In unseren Träumen das Glück ist der dritte Band der Trilogie rund um Victor Van Pelt. Wer sich mehr Hintergrundwissen wünscht, sollte zunächst die ersten beiden Bände lesen. Sie legen den Grundstein für das Verständnis mancher Details. Nach In unseren Herzen das Glück und In unseren Seelen der Schmerz entführt entführt uns Virgil Kane ein weiteres Mal in eine Welt am Scheideweg. Am Ende der wie immer akribisch recherchierten Geschichte um reale und virtuelle Welten steht ein Lagerfeuer in der Wüste. Ob dies ein Happy End ist, muss jede Leserin [m/w/d] allerdings für sich selbst entscheiden.

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Bereits erschienen:

In unseren Herzen die Welt, 2019, ISBN 9783732241521

In unseren Seelen der Schmerz, 2021, ISBN 9783753454412

In unseren Träumen das Glück, 2023, ISBN 9783757802875

Finally … natürlich für Dich.

Inhaltsverzeichnis

Phil - Vorwort - 23.12.2022

Phil - Genesis - März bis Mai 2021

Phil - Zwischenwort I - 24.12.2022

Katy Exodus Juni bis November 2021

Phil - Zwischenwort II - 24.12.2022

VPK Leviticus 07.01.2022

Phil - Zwischenwort III - 25.12.2022

Steve Numeri Februar bis August 2022

Pete Zwischenwort IV 24.12.2022

Phil - Deuteronomium - September bis Dezember 2022

Phil - Zwischenwort V - 25.12.2022

Katy Somnium 01.01.2023

Phil - Transcendentia - 15.01.2023

Katy Finis 20.01.2023

Lisa Redemptionis 23.03.2029

1. Phil – Vorwort

Freitag, 23. Dezember 2022, Tansania, Afrika, 2.300 m über dem Meeresspiegel, NGORONGORO WILDLIFE LODGE, am Rande des Ngorongoro-Kraters, Phils Suite 101, früher Morgen.

Der Ngorongoro-Krater in Tansania gilt als eines der Naturwunder dieser Welt. Bei Naturwundern denkt man meist an den Grand Canyon oder an die Niagarafälle – doch das ist zu kurz gedacht, zu nordhemisphärisch, zu weiß. Mit einer Tiefe von rund sechshundert Metern beherbergt der Krater ein weltweit einmaliges Ökosystem. Wie die Regenwälder Südamerikas spielt er eine entscheidende Rolle bei der Aufrechterhaltung des globalen ökologischen Gleichgewichts. Das – verglichen mit anderen Parks – sehr kleine Ngorongoro-Schutzgebiet ist ein ehemaliger Vulkankrater mit einem Durchmesser von ungefähr zwanzig Kilometern. Dieser Krater beherbergt nach inoffiziellen Angaben die weltweit größte Ansammlung von Flamingos, Flusspferden, Nashörnern, Elefanten, Zebras, Gnus und natürlich Löwen. Man kennt das alles aus dem Fernsehen, klar. Und der interessierte Leser weiß auch, dass die Überreste von Bernhard und Michael Grzimek hier ihre letzte Ruhe fanden, wie man so sagt.

Vor ein paar Tagen sind wir dort gewesen, am Grabmal der Grzimeks. Michael kam anno 1959 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Er wurde vierundzwanzig Jahre alt. Ich denke an die Jahreszahl und schüttele den Kopf. Länger als ein halbes Jahrhundert ist das jetzt her. Die heutige Welt scheint mit der damaligen nichts mehr zu tun zu haben. Es sind die Gräber, die von damals noch bis in unsere Zeit reichen. Ein Plädoyer für Grabsteine. Ich dachte dort an die Gräber von Achmed und von Rachel1 und es scheint mir unmöglich, vorauszusehen, was in einem halben Jahrhundert geschehen sein wird. Und was nicht.

Über dem Grab der Grzimeks wurde eine Steinpyramide errichtet. Die Inschrift darauf lautet:

HE GAVE ALL HE POSSESSED

INCLUDING HIS LIFE

FOR THE WILD ANIMALS OF AFRICA.

Den offiziellen Untersuchungen nach kam Michael Grzimek bei einer Kollision seines Flugzeuges mit einem Geier ums Leben. Es passierte während der Dreharbeiten zu Serengeti darf nicht sterben. Michaels Vater stellte den Film fertig und der Streifen gewann 1960 als erster deutscher Film einen Oscar. Bernhard Grzimek starb 1987 bei einer Zirkusvorführung während der Tigerdressur. So etwas kann man sich nicht ausdenken, das ist großes Kino.

Die Ngorongoro Wildlife Lodge befindet sich auf einem Höhenzug am Kraterrand und bietet einen spektakulären Blick aus zweitausenddreihundert Metern Höhe hinunter auf den Grund des Kraters. Für den Bau der eleganten Lodge wurden laut der Hausbroschüre hauptsächlich Naturstein und einheimisches Holz verwendet, wodurch sich der Bau in die natürliche Umgebung einfügen soll. Kann man mit großem Wohlwollen so sehen, ist aber doch etwas weit hergeholt. Alle achtzig Zimmer der Lodge sind zum Krater hin ausgerichtet und bieten eine ungehinderte Aussicht in die Natur. Von der offenen Terrasse der Rhino Lounge Bar ist der Ausblick sogar noch spektakulärer. Dort entlang der Reling installierte Ferngläser gestatten den ein oder anderen Blick auf entfernte Details.

Man sagt, der Himmel über Afrika sei einmalig. Ein leuchtendes Blau. Unendlich weit gespannt über das Land. Höher, weiter, prächtiger als überall sonst auf Erden. Nicht zu vergleichen mit anderen Himmeln über anderen Kontinenten. Inzwischen glaube ich, dass das stimmt. Er scheint weiter zu sein, dieser Himmel hier, höher gewölbt, eine sonnenblaue Halbkugel, an deren innerer Schale Wattewolkenfetzen sorgfältig angeordnet und abgehängt worden sind. Ein Himmel, nicht von dieser Welt.

Aber die Welt ist dennoch da. Schon knapp unterhalb des Horizonts, einen Fingerbreit unter der immerwährenden messerscharfen Linie der Vereinigung der Luftwesen mit den Erdenwesen, hat die Welt das Sagen. Savannenstaub wälzt sich windgetrieben böig von einem Ort zum anderen und bedeckt in kurzer Zeit alles, was ungeschützt im Freien steht. Sogar in dieser Höhe auf über zweitausend Metern. Zahlreiches einheimisches Personal ist ständig damit beschäftigt, den Staub zu beseitigen. Er legt sich auf die Terrasse mit ihren Outdoor-Polstern, auf Dächer und Fensterbänke. Die großen Panoramafenster der Zimmer sind daher auch nicht zu öffnen. Der Staub würde in kürzester Zeit im ganzen Raum zu finden sein. Eine Klimaanlage kümmert sich stattdessen um den Luftaustausch im ganzen Hotel und erledigt diese Arbeit dezent und unauffällig.

Seit gut sechs Wochen habe ich mich hier häuslich eingerichtet. Der Aufenthalt ist ein Deal zwischen Van Pelt To-baccos & Liquids und mir. Der Konzern finanziert den Aufenthalt hier in der afrikanischen Abgeschiedenheit und ich habe mich im Gegenzug dazu bereit erklärt, die Ereignisse der letzten beiden Jahre aufzuarbeiten und einen Bericht darüber zu verfassen. Ich habe mich dafür entschieden, diesen Bericht als eine Reihe von Tagebüchern zu gestalten.

Die Sonne wird gleich aufgehen. Im Minutentakt verändert sich jetzt das Leben im Krater. Die nachtaktiven Tiere werden ihre Schlafplätze aufsuchen und diejenigen, die im Tageslicht nach Nahrung und Paarung suchen, fahren ihre Kreisläufe hoch. Yin und Yang tauschen ihre Plätze wie seit Tausenden von Jahren. Man sagt, hier in Afrika liege die Wiege der Menschheit. Von hier aus begann der glorreiche Siegeszug des Homo erectus und seiner weiterentwickelten Variante Homo sapiens – quasi die S-Klasse aller Hominiden – über den ganzen Globus. Ob diese Laune der Evolution ein Fluch oder ein Segen für den Planeten ist, kann man nicht eindeutig beantworten. Ich sowieso nicht. Selbst bei den einfachsten Fragen fällt es mir schon schwer, mich für Ja oder Nein zu entscheiden. Wenn mich jemand fragt, wie spät es ist, ist mein erster Gedanke: Es ist kompliziert. Wie komme ich darauf? Ach ja, die Wiege der Menschheit … ausgerechnet in Afrika.

Wenn ich den Blick schweifen lasse und sehe, wie die ersten Strahlen der Sonne sich ins Tal unter mir vorantasten, wie sie durch die Zweige der Bäume blinzeln und entlang der Hügelkanten, wie sie mit Licht und Schatten vor meinen Augen eine Landschaft modellieren, die ihresgleichen sucht, dann kann man schon auf den Gedanken kommen, hier das Paradies vor sich zu haben. Zwar liegen die Löwen nicht sanft neben den Antilopen und die Hyänen haben auch ihre eigenen Vorstellungen von Milch und Honig, aber aus der Ferne, am Beginn des Tages, wenn noch keine Hetzjagden im Gange sind, fühle ich mich tatsächlich für Augenblicke so, als würde ich hier an den Gates of Eden sitzen und darauf warten, dass sie sich für mich auftun. Ohne Adam und seine Eva allerdings. Sich hier die First Family herkömmlicher Bauart, schlank, schön und weiß vorzustellen, ist völlig unmöglich. Die biblisch überlieferten Bilder der ersten Menschen orientieren sich genauso an nordhemisphärischen Idealen wie die anfangs erwähnten Listen der Naturwunder und passen überhaupt nicht hierher. Der Kreis schließt sich.

Ich nippe an meiner Kaffeetasse und höre Paul Simon zu. Die Playlist seines Albums Rhythm of The Saints läuft in Dauerschleife aus der kleinen, portablen Bluetooth-Box auf dem Sideboard hinter mir. Schöne Stimmen und jede Menge Schlaginstrumente. Rhythmen. Melodien. Die Lieder stammen von hier, füllen den Krater in mir mit positiver Energie, wenngleich auch nicht wirklich nachhaltig. Mein innerer Krater leckt beständig und den Riss zu kitten, ist mir noch nicht gelungen. Dafür liegen manche Dinge noch nicht weit genug zurück. Ob Zeit allein hier helfen wird, ist dabei nicht einmal sicher. Ich hatte lange Gespräche mit Pete über diese Sache. Darüber, dass ich keine Ruhe mehr finde, dass ich morgens regelmäßig schweißnass vor Angst erwache und nicht mehr schlafen kann und darüber, dass die unüberwindlich scheinenden Anforderungen der Tage selbst an den Wochenenden immer mehr zu werden scheinen. Was passiert mit mir? Wer spielt mir hier Streiche? Mein Körper? Mein Geist? Unwillkürlich fahre ich mit den Fingern der rechten Hand über die kleine Plastikkappe auf der rechten Seite meines Schädels. Sie verschließt die Bohrung der mikroinvasiven Operation, bei der ein drohendes Aneurysma im rechten Frontallappen mittels der Clipping-Methode neutralisiert worden ist. Seitdem sich meine Persönlichkeit mindestens zweimal in den letzten sieben Jahren durch eine solche Blutung grundlegend verändert hat, bin ich skeptisch bei allem, was mit Charaktereigenschaften, mit dem eigenen Ich oder gar mit so etwas wie einer Seele zu tun hat. Warum sollten nicht auch Angstzustände organisch bedingt sein und als solche durch Medikamente therapierbar? Auf Petes Empfehlungen hin habe ich schon manches ausprobiert. Atem- und Meditationstechniken genauso wie hanf-befeuerte CBD-Tropfen. Aus heutiger Sicht alles Placebos. Das Seltsame ist, dass ich in dieser Woche hier im Resort jede Nacht tief und erholsam schlafe wie ein Baby. Die Wiege der Menschheit – in einer völlig anderen Bedeutung.

Die Sonne steigt jetzt so schnell auf ihrer Bahn empor, dass man ihr beinahe dabei zusehen kann, und das Licht läuft so behände durch die Bäume und Sträucher am anderen Ende des Kraters, als gelte es, ein Rennen zu gewinnen. Der März ist nicht unbedingt die beste Reisezeit für diese Gegend hier. Ende Dezember endet in Tansania die kleine Regenzeit und das Klima wird trockener. Für Europäer und alle, die tropische Verhältnisse nicht gewöhnt sind, ist das eine der angenehmeren Reisezeiten im Jahr. Langsam wird es staubtrocken und auch für heute sind wieder Temperaturen jenseits der dreißig Grad vorhergesagt. Auf dem großen Monitor unten im Foyer ziehen erst wieder im Februar neue Regengebiete herauf und drohen damit, innerhalb von Tagen hier alles unter Wasser zu setzen. Im März wird sich die Niederschlagsmenge gegenüber dem Februar mal kurz verdreifachen, bevor sie sich im April, zur Hauptregenzeit, nochmals verdoppelt, um im Mai wieder abzuschwellen. Rechtzeitig bevor die heißen, trockenen Sommermonate ins Land ziehen. Was den Dezember zu einem bevorzugten Reisemonat macht, sind die großen Herdenwanderungen, die man jetzt beobachten kann. Tausende von Tieren ziehen in riesigen Gruppen auf immer gleichen Pfaden durch das Land und wiederholen den scheinbar ewigen Zyklus aus Werden und Vergehen. In Afrika, so scheint es, kann man nicht nur die Wiege der Menschheit verorten, sondern auch den Ursprung des Lebens selbst. Ich weiß, dass man dafür tendenziell eher die Ozeane im Verdacht hat, die Ursuppe des frisch geschlüpften Planeten, in der winzige Einzeller irgendwann vor Millionen von Jahren auf die Idee kamen, etwas zu beginnen, das wir Leben nennen. Aber selbst wenn es so war – und ich bin bei Weitem nicht der Experte, um das zu beurteilen – bin ich mir doch sicher, dass die erste Lebensform, die damals versucht hat, festen Boden zu erobern, in Afrika an Land gegangen sein muss. Nirgendwo sonst erlebt man die Natur so dominant, so kraftvoll und unbeugsam wie hier. Und nirgendwo sonst wird der Mensch dagegen klein und unbedeutend. Trotz all der Städte und Eisenbahnen und Flugzeuge.

Apropos Flugzeuge. Heute Mittag wird mich ein kleiner Flieger abholen und wir werden über die angrenzenden Savannen schweben, um die Ströme der Tierherden zu beobachten. Es ist eine restaurierte Gipsy Moth, ein zweisitziger, offener Doppeldecker, der hier liebevoll hergerichtet und in unsichtbaren Details auf den neuesten technischen Stand gebracht in Erinnerung an den legendären Denys Finch Hatton seine Runden mit betuchten Touristen dreht. Finch Hatton war ein britischer Abenteurer adligen Geblüts, der um 1900 lebte. Bekannt wurde er durch seine Liaison mit der dänischen Farmerin Karen Blixen und schließlich berühmt durch den Hollywoodstreifen Jenseits von Afrika aus dem Jahre 1985, der eben diese Beziehung stark thematisiert und in dem Hatton durch keinen Geringeren als den unerreichten Robert Redford verkörpert wird. Anders als im Film hoffe ich, dass wir nicht zu nahe über den Tieren fliegen, um sie nicht zu stören. Und anders als im Film und in Finch Hattons wahrem Leben hoffe ich auch, dass die Gipsy Moth nicht mit Motorschaden abstürzen wird. Er starb 1931 und liegt hier in den Ngong-Bergen begraben. Man sagt, Karen Blixen hätte die Grabstelle damals so gewählt, dass sie sie von ihrer Farm aus sehen konnte. Mehr Abenteuergeist und Pathos sind kaum vorstellbar. So ist es kein Wunder, dass Finch Hattons Leben und Schicksal im Laufe der Jahrzehnte eine gewisse Verklärung erfahren haben und heute neben zahlreichen Biografien2 eine Modemarke seinen Namen trägt und Flugzeuge in seinem Gedenken fliegen. Und ich erinnere mich an die Flugszenen im Film. Ein kleines, gelbes Flugzeug dicht über riesigen, grünen Landschaften, wie eine winzige, sirrende Eintagsfliege über der üppig modellierten Haut des grenzenlosen afrikanischen Kontinents.

Ich denke mit gemischten Gefühlen an den bevorstehenden Ausflug. Mir wird schnell übel auf schwankendem Boden und meine Knie fangen schon beim Erklimmen von Haushaltsleitern an, zu schlottern. Aber der Flug ist Teil des Programms, das man hier für mich auf die Beine gestellt hat, und es wäre ganz einfach unhöflich, Nein zu sagen. Selbst nach allem, was ich bisher über das Leben und über mich selbst weiß, gelingt es mir oft nicht, einfachste Mechanismen auszuhebeln, selbst dann nicht, wenn sie mich Überwindung kosten und den Magen schon Stunden vorher durcheinanderbringen. Ich gehe ins Badezimmer und nehme ein paar Tropfen Iberogast. Wenigstens die Eingeweide sollen sich beruhigen, wenn schon alles andere verrückt spielt. Dann sehe ich vorsichtig auf und betrachte mein Gesicht im Spiegel. Es gab Zeiten, da war es unmöglich für mich, meinem Spiegelbild zu begegnen. Eine Mischung aus Ekel und Scham überkam mich jedes Mal, wenn ich es versuchte. Glücklicherweise hat das etwas nachgelassen und ich wage es immer öfter, zu betrachten, was andere von mir zu sehen bekommen. Ich schaffe es sogar, mit Wasser, Rasierer und Cremes dafür zu sorgen, dass dieses Gesicht eine Andeutung von Pflege erfährt. Heute blicken mich meine Augen leicht flackernd an, unschlüssig, ob sie den Tag begrüßen oder fürchten sollen, und scheinen eine Spur tiefer in ihren Höhlen zu liegen als sonst. Dann spüre ich wieder diesen ziehenden Schmerz an meinem linken Handgelenk und drehe es nach oben. Die Narbe spannt schmerzhaft, aber sie ist inzwischen gut verheilt.

„Wird schon“, sage ich und nicke meinem Spiegelbild zu, „eins nach dem anderen. Lass dich nicht fertig machen.“

Ich werfe mir eine Handvoll kalten Wassers ins Gesicht, trockne die Haut mit einem Wildlife Lodge Handtuch ab und gehe wieder zurück in meine Suite.

Als es an der Tür klopft, weiß ich, dass es der Frühstücksservice ist. Der junge Mann kommt täglich pünktlich auf die Minute, grüßt freundlich und stellt den messingfarbenen Servierwagen in der Mitte des Raumes ab. Er trägt wie immer keine Maske, jedoch makellose weiße Handschuhe. Wie an vielen Touristenorten gelten auch in diesem Hotel wieder die 2G-Regeln. Das bedeutet, man trifft hier ausschließlich auf Menschen, die entweder Corona hinter sich haben oder geimpft sind, auch aufseiten des Hotelpersonals. Dadurch kann der Betrieb beträchtlich vereinfacht werden und schon fast als normal gelten. Maskenpflicht gibt es nicht, dafür große Buffets zu den Mahlzeiten und alle Freizügigkeiten im riesigen Spa-Bereich. Man kommt sich vor wie auf einem anderen Planeten. Nach dem letzten Sommer, als es nirgendwo mehr irgendwelche Maßnahmen gab außer in Krankenhäusern und Arztpraxen, gingen die Infektionszahlen im Herbst nach oben und man sah wieder mehr Leute, die sich im Alltag mittels Masken vor dem Virus schützten.

Das Frühstück nehme ich gern in meiner Suite ein. Ein kostenloser Service des Hotels. Ich kann jetzt noch keinem Menschen begegnen, geschweige denn mit jemandem sprechen oder ihm zuhören. Keine Ahnung, wann genau das begonnen hat, es war wohl ein schleichender Prozess. Frühestens am späten Vormittag fühle ich mich dazu bereit, anderen in ihre Gesichter zu sehen, und das auch nur dann, wenn ich meine Sonnenbrille trage. Es ist eine VP-X und sie verdunkelt mir die Welt außerhalb der Grenzen meiner Haut auf ein therapeutisch erträgliches Maß.

Ich gebe dem Jungen das übliche Trinkgeld und sehe ihm zu, wie er, ohne sich umzudrehen, das Zimmer verlässt. Kein schlechter Body, denke ich noch und wundere mich sofort über diesen Gedanken. Und dann fällt mir auf, wie schwer ich daran vorbeikomme, in kolonialistischen Tendenzen zu denken. Seit über einer Woche geht das nun schon so und noch keinen Tag habe ich es geschafft, nicht an die dunklen Zeiten zurückzudenken, in denen die schwarzen Boys den weißen Herren dienten. Es scheint noch immer so zu sein. Tatsächlich habe ich hier noch keinen dunkelhäutigen Gast getroffen. Europäer, Russen, Asiaten, Araber sind als Gäste in Lobby, Bar oder Pool-Landschaft anzutreffen. Aber Afrikaner? Eher nicht. Mir fällt bei diesen Gedanken auf, dass Afrika und dunkle Haut in meinem Kopf quasi synonym verwendet werden. Und das, obwohl ich weiß, dass auch Marokko oder Algerien, Libyen oder Ägypten zu Afrika gehören. Irgendwie scheint die große Wüste der Sahara eine Grenze der Zuordnung zu bilden. Alles südlich davon ist das wahre Afrika, während der Norden gefühlt schon fast zu Europa zählt.

Das Frühstück ist üppig und lecker. Man kann hier wählen zwischen European, American und Traditional. Aus Neugier, Abenteuerlust und froh darüber, endlich hier angekommen zu sein, hatte ich am ersten Tag mutig das traditionelle Gedeck gewählt. Danach bin ich recht schnell wieder auf die europäische Art zu Frühstücken umgeschwenkt und bislang dabeigeblieben. Seltsamerweise finden sich sogar beim afrikanischen Frühstück diese starken Differenzen zwischen den Gegebenheiten nördlich und südlich der Saharazone wieder. Während in Algerien und Marokko gern Baguette oder Croissants gereicht werden und Kaffee serviert wird, bevorzugen die Menschen in Zentral- und Südafrika morgens Hirsebrei, Maisfladen oder Bohnen-Pfannkuchen. Maisbrei mit saurer Milch ist vor allem in Südafrika beliebt. Alles in allem Ingredienzien, die meinem nervösen Magen nicht sonderlich gut bekommen.

Auch das Klima hier ist im Grunde nichts für mich. Zu heiß und zu feucht am Tag, ist es mir nachts oft zu kühl. Dazu ein tückischer, böiger Wind, der einen abends auf der Terrasse frösteln lässt. Immerhin sind wir hier auf über zweitausend Metern Höhe, das darf man nicht außer Acht lassen. Insgesamt sechs Wochen soll mein Aufenthalt hier dauern. Van Pelt Tobaccos hat alles im Voraus bezahlt und dazu noch ein Spesenkonto eingerichtet, von dem sich gut zehren lässt. Anfangs war ich skeptisch, ob ich diese Zuwendung annehmen sollte, und fühlte mich auf irgendeine Art von Katy und den Tabakleuten gekauft. Janis war es schließlich, die mir die Bedenken nahm.

„Freu dich drüber“, hatte sie gesagt, als wir an einem der letzten gemeinsamen Abende am Lagerfeuer ihrer Aussteigerclique saßen und der Gitarrenmusik lauschten, „das wird sicher eine tolle Sache.“

Und dann sagte sie noch: „Das Leben ist jetzt, Philipp Techno Beethoven Deckert van Pelt. Nicht gestern, nicht morgen und nicht nächste Woche.“

Und sie gab mir einen Kuss. Ich muss an sie denken, wie sie jetzt wohl gerade in ihrem Tiny-House-Camper schläft und Zooey in ihren Armen hält. Es gab eine Zeit, in der ich zu ihr zurückkehren und ein gemeinsames Leben mit ihr beginnen wollte. Nicht in Kalifornien, nicht in einer Kommune. Nein, ich träumte damals noch von den Keys und von Hemingways altem Haus mit dem großen umlaufenden Balkon und den hundert streunenden Katzen, friedlich ruhend Seite an Seite im üppigen, palmenbestandenen Garten. Aber es war eben nur ein Traum.

Es ist jetzt fast zwei Jahre her, dass ich damals genau einen Tag nach Lisas zehntem Geburtstag zurück in die Staaten geflogen bin. Die geltenden Gründe, um die Corona bedingte Einreisesperre umgehen zu können, waren sehr überschaubar gewesen. Damals ging das nur, weil ich in Lisa und Zooey sehr enge Verwandte dort hatte. Die Tagebücher, die ich hier für Van Pelt Tobaccos verfasse, beginnen genau zu diesem Zeitpunkt. Selbsterlebtes habe ich nach bestem Wissen niedergeschrieben und was anderen widerfahren ist aus langen Telefonaten und E-Mails zusammengetragen. Die letzten Tage hatte ich Besuch hier. Pete machte sich die Mühe, herzukommen. Aber es gelang uns nicht, an die alten Zeiten anzuknüpfen. Wenn ihr die Wahrheit hören wollt, empfand ich seinen Besuch eher als Stress oder als Störung, anstatt als Bereicherung. Und er hat das sicher bemerkt, Pete ist schließlich Psychologe und kann sehr gut in anderen Menschen lesen. Aber ich kann es nicht ändern: Die Welt, die Zeit, das Leben machen mit uns Dinge, die niemand vorhersehen kann, geschweige denn beeinflussen. Pete ist nach zwei Tagen wieder abgereist.

Ich habe meine Aufzeichnungen so gut wie abgeschlossen. Sie beginnen mit dem ersten Buch und ich möchte es euch nicht vorenthalten. Ich bin kein gläubiger Mensch. Für mich gibt es keinen Himmel, sondern only Sky. Die Hölle, das sind die anderen, und Gott ist für mich eine Chiffre für das Universum und den ganzen Rest. Machen wir uns nichts vor: Solche Dinge wie Seelen und Götter und Transzendenzen in wie auch immer gestaffelten Zyklen aufeinander abfolgender Leben sind nette Versuche, das irdische Dasein zu überhöhen und das Leben der Menschen mit irgendeiner Bedeutung aufzuladen. Schön durchkonstruiert, hier und da mit ein paar logischen Lücken, alles in allem jedoch hanebüchen. Sorry, Jesus. Kris Kristofferson hatte recht, als er dich in seinem Broken Freedom Song am Kreuz porträtierte – von allen verlassen, blutend und in Todesangst hoch über einer riesigen Stadt voller fremder Menschen. Nein, Leute. Gebt den Göttern, was den Göttern ist. Und damit meine ich bestenfalls eure kalte Schulter.

Warum ich dennoch die Form der fünf Bücher Mose für meine Aufzeichnungen wähle, hat einen einfachen Grund. Sie passt einfach perfekt. Fast könnte man denken, der Chronist der alten Tage hätte die Struktur seiner Aufzeichnungen damals so angelegt, damit sie ein paar Tausend Jahre später eine perfekte Vorlage ergeben würden. Ich glaube allerdings eher an Zufälle als an Wunder und belasse es dabei. Ihr werdet sehen, dass ich hier in mehreren Zungen spreche. Manche Kapitel wurden von anderen verfasst. Ich habe sie nur in die richtige Reihenfolge gebracht und entsprechend markiert. Ich kann nicht alles wissen, daher waren diese Berichte essenziell für den kompletten Blick auf alles, was geschehen ist. Inwieweit die anderen Mitautoren sich an die Wahrheit gehalten haben, kann ich allerdings nicht beurteilen. Für manche lege ich meine Hand ins Feuer. Für andere nicht. Beginnen werde ich mit mir selbst, sicher ist sicher.

1 Wem diese Namen unbekannt sind, empfehle ich, zunächst Band I (In unseren Herzen die Welt) und II (In unseren Seelen der Schmerz) dieser Trilogie zu lesen. Zu vieles wird hier im Folgenden vorausgesetzt, um die Story zu verstehen, und für entsprechende Wiederholungen und Erklärungen habe ich leider weder die Nerven noch die Zeit oder den Raum.

2 Besonders erwähnt sei hier Sara Wheeler: Too Close to the Sun. The life and times of Denys Finch Hatton, Vintage Books, London 2007, ISBN 978-0-09-945027-6, for those of you …

2. Phil – Genesis

März bis Mai 2021

„Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“

Genesis 1,1

Ende März 2021, als Himmel und Erde schon lange erschaffen waren und die Boeing mich sicher von einem Medium ins andere verfrachtet hatte, landete ich wohlbehalten in San Francisco, dem ehemaligen Garten Eden der Hippies und der Aussteiger.

Erst einen Tag zuvor hatte ich W. S. Walcott eine schmale Nachricht geschickt und ihn darüber informiert, dass ich unterwegs war. Das war recht kurzfristig gewesen und ich rechnete nicht damit, dass er die Zeit finden würde, darauf zu reagieren. Umso erfreuter war ich, als ich sein rundes Gesicht mit der viel zu kleinen FBI-Maske schon von Weitem jenseits der Sperre im Ankunftsterminal erkannte. Walcott stand im Pulk der anderen Wartenden und überragte sie alle um einen halben Kopf. Ich schnappte mir meinen Rucksack vom Kofferband und ging in Richtung der Scannerschranke. Es dauerte eine Weile, bis alle Formalitäten der Einreise geklärt waren. Dann trat ich durch die Sperre und ging auf ihn zu.

„Schön, dich zu sehen!“, sagte ich und erwiderte die Corona-Faust als Willkommensgruß.

„Ganz meinerseits“, sagte Walcott, „welcome back!“

Wir gingen hinaus auf den Parkplatz und nahmen unsere Masken ab. Es war früher Nachmittag und die Westküste Amerikas lag unter strahlendem Sonnenschein. Der Frühling hatte begonnen und überzuckerte die Welt mit dem süßen Gift von Neuanfang und Aufbruchsstimmung. So ähnlich muss Noah sich gefühlt haben, als er der ausgesandten Taube den frischen Ölzweig aus dem Schnabel nahm und endlich seine Arche verlassen konnte. Nur war die Welt, die er damals vorfand, leer gefegt und blank geputzt. Frisco dagegen pulsierte von Leben und Farben und Tausenden von Stimmen. Für mich war es dennoch wie ein Neustart, auch weil ich den vielen Überwachungskameras und Sonnenbrillen, die um uns herum waren, keine bösen Absichten mehr unterstellen musste. Keine Ahnung, wer sich jetzt die Kamerabilder reinzog, eines war sicher: Victors KI steckte nicht mehr dahinter.

„Ihr habt ihn also tatsächlich kleingekriegt“, sagte Walcott, als hätte er meine Gedanken erraten. „Respekt, mein Freund, das hat mich wirklich beeindruckt, als ich davon gelesen habe.“

„Am Ende war Blut dicker als Wasser“, sagte ich. „Seine Tochter hat das Finale eingeleitet.“

Walcott nickte. Auch das schien er mitbekommen zu haben. Kein Wunder, die Nachricht vom Sieg über die VPK-Software war durch sämtliche Gazetten gegangen. Die einschlägigen Society-Blätter hatten sich insbesondere auf die menschlichen Dramen gestürzt. Zum einen bezüglich Rachels Tod und zum anderen auf die Szene, als Lisa ihren virtuellen Vater gebeten hatte, seine Aktivitäten einzustellen, sprich, sich selbst zu deaktivieren. Ich hatte damals nicht erwartet, dass so etwas passieren konnte. Schließlich hatten wir es mit einer hochkomplexen, äußerst leistungsfähigen KI zu tun und seit Kubricks Space Odyssee wissen wir, dass KIs keine Gefangenen machen, wenn es ihnen ans Leder geht. Bei Victor war das offenbar anders und entweder war da ein wunder Punkt im System, den Lisa intuitiv getriggert hatte, oder die VPK war tatsächlich das, was Victor immer postuliert hatte: eine andere, eine weitere, eine alternative Lebensform, die auch ihre schwache Seite hatte und dazulernen konnte und Konsequenzen trug, wenn es welche zu tragen gab. Am Vorabend meiner Abreise hatte ich mit Pete darüber gesprochen und er war genauso überrascht von Victors Verhalten gewesen wie wir alle. Wir hatten auf dem Holzsteg, der im Garten von Lake House in den See hinausragte, gesessen und den Wellen zugesehen, wie sie sanft und regelmäßig gegen das Ufer liefen.

„Weißt du“, hatte er gesagt, „mit Gefühlen innerhalb einer Gruppe ist das so eine Sache. Ich hatte schon viele Familienaufstellungen in meiner Praxis und wenn es Spannungen gab, dann immer rückwärtsgerichtet, selten nach vorn.“

„Wie meinst du das?“, hatte ich gefragt.

„Die meisten Menschen hegen komplett andere Gefühle gegenüber ihren Vorfahren als gegenüber ihren Kindern“, hatte er gesagt. „Die Kinder stehen über allem, die Großeltern werden bei Bedarf verkauft – zumindest in manchen Kulturkreisen.“

Ich hatte darüber nachgedacht und irgendein Resort in meiner Großhirnrinde hatte Informationen an die Oberfläche der Gedankensuppe gespült, die zu Petes Aussage zu passen schienen. Eskimos, die ihre betagten Verwandten in kleinen Booten im Eis aussetzen. Entmündigung der Eltern, um an ein Erbe zu kommen. Die ganzen Alten- und Pflegeheime, die das Menschenmaterial aufnehmen müssen, das irgendwo anders im Weg ist oder nicht mehr adäquat funktioniert. Es sind natürlich fast immer rationale Gründe, die für einen Umzug ins Altenheim sprechen. Dennoch wäre diese Praktik wohl kaum möglich, wenn die emotionale Schiene nicht ein Stück weit weggebrochen wäre. Zu leicht kann man sich einreden, dass es so für alle besser ist. Und es gibt die Ansicht, dass man die Fähigkeit einer Gesellschaft zur Empathie daran ablesen kann, wie sie mit ihren betagten Mitgliedern umgeht. Aber das gilt wohl auch für den Umgang mit Frauen und Mädchen, mit Kranken und Gebrechlichen und nicht zuletzt mit denen, die das System verändern möchten. Ich schweife ab.

Pete hatte mir jedenfalls glaubhaft vermitteln können, dass es für die KI legitim gewesen war, Rachel über die Klinge springen zu lassen und Lisa zu schonen. Und ich fragte mich, wie das Ganze damals ausgegangen wäre, wenn Lisa den Besprechungsraum in Lake House nicht verlassen hätte und ob Rachel dann noch am Leben wäre.

„Schon ’ne verrückte Sache“, sagte Walcott und deutete auf einen Streifenwagen am Straßenrand. „Steig ein, der Officer bringt uns nach Hause.“

Ich setzte mich in den Fond und Walcott nahm den Platz neben mir. Es war fast wie damals im Flugzeug, nur dass ich dieses Mal keine Fußfessel trug und Walcott keinen Auftrag hatte.

„Wir haben deine Mühle sorgfältig aufbewahrt“, sagte er und grinste. „Dein Bike steht in der Tiefgarage und mein Boss hat sogar darauf bestanden, dass wir eine Plane drüberlegen, damit das gute Stück nicht einstaubt.“ Walcott verdrehte die Augen.

Der Fahrer sah immer mal wieder zu uns nach hinten. Ich fing seinen Blick auf, immer dann, wenn ein starres Augenpaar im Rückspiegel direkt auf mich gerichtet war. Der schwere Wagen fuhr äußerst gemächlich die Ausfallstraße entlang, wechselte ab und an die Spur und schwamm im Verkehr mit wie ein Fisch in einem großen, im Sonnenlicht metallisch schimmernden Schwarm. Ich freute mich darauf, das Bike wiederzusehen. Vier Wochen war es jetzt her, dass es hier konfisziert und ich nach Deutschland ausgeliefert worden war. Jetzt wollte ich es wieder auslösen, damit nach Salinas fahren, um Janis und Zooey zu besuchen, und dann eine Passage zurück nach Europa finden. Pete konnte dank des neuen Exo-Skeletts wieder biken und wir malten uns bereits schöne gemeinsame Touren für den kommenden Sommer aus.

Die BMW stand wie von Walcott beschrieben in einer Ecke der großen Tiefgarage. Wir nahmen die Plane ab und ich ließ zur Begrüßung meine Fingerspitzen über Tank und Sitzbank laufen.

„Schlüssel und Papiere liegen oben in meinem Schreibtisch“, sagte Walcott. „Kommst du noch mit hoch auf einen Kaffee?“

Ich nickte. „Kann ich den hierlassen?“, fragte ich und deutete auf meinen Rucksack.

„Klar“, sagte Walcott, „hier kommt nichts weg.“

Wir gingen nach oben und mir fiel auf, wie anders ich die Räumlichkeiten wahrnahm, jetzt, da ich als freier Mann auftreten konnte. Die Gesichter, die mir begegneten, sahen freundlicher aus, die Wände waren heller und lichter, sogar der Kaffee, den wir uns in der Cafeteria aus dem Automaten holten, schmeckte besser, als ich ihn in Erinnerung hatte. Allerdings konnte das auch daran liegen, dass hier inzwischen wie in fast allen Behörden die 2G-Regel galt und wir uns ohne Masken bewegen konnten. Die Leute hatten plötzlich wieder komplette Gesichter und es war ein Leichtes, darin zu lesen und ein Lächeln auch als solches wahrzunehmen. Wir nahmen unsere beiden dampfenden Becher und gingen damit den Gang entlang bis zu Walcotts Büro. Er öffnete die Tür und blieb dann unvermittelt stehen, sodass ich Mühe hatte, ihn nicht anzurempeln und mein Heißgetränk in seinen breiten Rücken zu schütten.

„Verd…“, sagte ich und balancierte die schwappende Brühe gerade noch aus.

Dann sah ich erst zu Walcott und danach an ihm vorbei in den Raum. Walcotts Büro sah aus, als hätte dort eine Bombe eingeschlagen. Ich kannte den Typen nicht näher, kenne ihn auch jetzt noch nicht wirklich, aber es war offensichtlich, dass das Chaos, das in diesem Raum ausgebrochen war, nicht von ihm stammte. Der Raum war offenbar durchsucht worden und das ohne Rücksicht auf Verluste. Schubladen waren herausgerissen, Regale leer gefegt, Papiere überall verstreut. Sogar der Papierkorb war durchsucht worden und Walcotts Aktenmappe kauerte leblos in einer Ecke. Seine Thermoskanne und die Lunch-box lagen wie ausgespien unmittelbar davor.

Keiner von uns sagte ein Wort. Ich sah ihn an und beobachtete seinen Blick. Jede Freundlichkeit war daraus entwichen. Walcott hatte die Augen zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen und scannte systematisch den ganzen Raum.

„Zurück“, sagte er, ohne seinen Blick abzuwenden, „draußen bleiben.“

Er zückte seine Pistole, entsicherte sie und brachte sie in Anschlag. Dann ging er vorsichtig einen Schritt weiter in den Raum hinein. Ohne etwas zu berühren, stakste er voran und überzeugte sich, dass niemand mehr da war. Dann steckte er die Pistole wieder ein, nahm sein Handy und rief die Spurensicherung. Wir warteten draußen im Gang, bis die Kollegen anrückten. Allen voran stürmte ein Officer in Zivil mit großen Schritten auf uns zu. Walcott nahm unwillkürlich Haltung an.

„Was ist das für eine verdammte Scheiße?“, fragte der Officer, noch bevor er uns komplett erreicht hatte.

„Ich habe keine Ahnung, Boss“, sagte Walcott und zeigte auf mich, als alle schließlich beieinanderstanden. „Das ist Philipp Deckert, Boss“, sagte er. „Wir kommen gerade vom Airport. Phil, das ist Special Agent Miller.“

Miller betrachtete mich zwei Sekunden lang, nickte mir zu und deutete dann auf Walcotts Bürotür.

„Aufmachen“, sagte er zu Walcott und wurde zusehends blasser, als er die Bescherung mit eigenen Augen sah.

Drei Leute von der Spurensicherung wurden in das Büro geschickt, während Miller, Walcott und ich ins Büro des Special Agents gingen und uns an einen großen Konferenztisch setzten. Miller trat hinter seinen Schreibtisch in einiger Entfernung von uns und führte dort mehrere Telefonate, deren Wortlaut wir nicht mithören konnten. Aber auch wenn er direkt vor uns gestanden hätte, wäre wohl nicht viel von dem bei uns angekommen, was Miller sagte. Dazu waren wir noch viel zu perplex und fassungslos.

„Haben Sie gesehen, ob irgendetwas fehlt?“, fragte Miller, als er an unseren Tisch trat und sich zu uns setzte.

Walcott schüttelte den Kopf. „Es war zu unübersichtlich“, sagte er. „Ich habe zuerst die Lage gesichert und den Vorfall dann gleich gemeldet, damit nicht zu viel Zeit verstreicht.“

Miller nickte. „Gut“, sagte er, „warten wir ab, was die Untersuchung ergibt. Irgendeine Idee, wer das gewesen sein könnte und zu welchem Zweck?“

Wieder schüttelte Walcott den Kopf.

„Sie vielleicht?“, fragte Miller und sah mich an.

„Nein, Sir“, sagte ich und tatsächlich konnte ich mir keinen Reim darauf machen. Ich hatte keine Ahnung, welche Fälle Walcott gerade in Bearbeitung hatte, und dachte nicht im Traum daran, dass es mit mir zusammenhängen könnte. Erst jetzt, als Miller mich darauf ansprach, kam ich überhaupt auf einen solchen Gedanken. Uns blieb nichts anderes übrig, als auf den Bericht der Spurensicherung zu warten.

Am übernächsten Tag versuchte ich, die Zeit zu nutzen und schon mal nach einem Frachtschiff Ausschau zu halten, das mein Bike und mich über den Atlantik schippern konnte. Die Reise nach Salinas hatte ich aufgeschoben, bis die Untersuchung des Einbruchs in Walcotts Büro etwas ergeben würde. Miller hatte mich gebeten, so lange in der Stadt zu bleiben, und ich war mir nicht sicher, ob er mich, wenn auch nur am Rande und vielleicht unterbewusst, im Verdacht hatte, mit der Sache etwas zu tun zu haben.

Ich cruiste mit der BMW an der Küste entlang, überquerte die Golden Gate Bridge mindestens zehnmal hintereinander und nahm dann die Oakland Bay Bridge rüber nach Oakland. Ich wusste, dass dort der größte Ladeplatz für Frachtschiffe war und war zuversichtlich, bald eine Passage gefunden zu haben. Es war schön, in der Frühlingssonne auf dem Bike unterwegs zu sein. Langsam lockerte das Land die Corona-Maßnahmen, die Impfquote stieg und die Gouverneurs der Bundesstaaten überboten sich damit, das Leben ihrer Mitbürgerinnen und Mitbürger in ein neues altes Normal zurückzuführen. Masken sah man immer weniger, Geschäfte und Lokalitäten hatten wieder geöffnet und der Sunshine State schöpfte neue Kraft.

Als ich im Hafen ankam und die Maschine parkte, witterte ich allerdings eine andere Stimmung. Hier lag purer Stress in der Luft. Lautes Krakeelen der Schauerleute, genervt hupende Fahrzeuge und Container über Container an den Ladungsbrücken. Es sah auf den ersten Blick alles etwas unordentlich aus, übervoll, als wären viele Container nicht abgeholt worden und Schiffe schon lange überfällig. Ich traf einen der Dockarbeiter an einer Imbissbude und sprach ihn darauf an. Es konnte ja sein, dass ich mir das alles nur einbildete. Aber er bestätigte meine Beobachtungen und hatte auch die Erklärung dafür parat.

„Ever Given“, sagte er und nickte bedeutungsschwer.

Ich hatte keine Ahnung, was er damit meinte, mein Nachrichtenkonsum war in den letzten Tagen äußerst spärlich gewesen. Und dann erzählte er mir von dem havarierten Superfrachter im Suezkanal und den dreihundert anderen Schiffen, alle bis oben hin mit Containern bestückt, die nicht an der Unfallstelle vorbeikamen. Das Nadelöhr aller Asien-Transporte war verstopft und schon bekam die ganze Weltwirtschaft einen leichten Infarkt.

„Der Kapitän tut mir leid“, sagte Dan, der Dockarbeiter, „in seiner Haut möchte ich nicht stecken.“ Dan biss von seinem Hamburger ab und nickte sich selbst zu. Er schien mit dem, was er sagte, einverstanden zu sein. „Siehst du den Container da drüben?“, fragte Dan und deutete mit dem halben Hamburger in eine beliebige Richtung, „oder den da hinten oder den oder den?“

Ich nickte vage und sah ihn an.

„Zwanzigtausend davon“, sagte er, „zwanzigtausend hat die Ever Given geladen! Alle voller China-Zeug, Mann. Die Chinesen klauen unsere Patente, bauen das Zeug in mieser Qualität billig nach und schütten uns dann damit zu.“ Er trank aus einer Red Bull Dose und nickte erneut. „Jawohl, Mann“, sagte er. „Ist nicht schade drum. Ist überhaupt nicht schade. Die Araber wollen der Reederei eine Millionenstrafe aufbrummen. Schon allein, weil der Kutter ihren schönen Kanal ramponiert hat.“

Dan lachte und seine Augen funkelten in dem dunklen sonnengegerbten Gesicht. „Sollen sie ruhig machen“, sagte er, „sollen den Gelben so viel aufbrummen, dass sie bankrott gehen!“

Dann kam einer von Dans Kollegen auf uns zu und brachte die Breaking News, dass der Frachter soeben wieder freigeschleppt werden konnte. Es war der 29. März und die Fahrrinne würde wohl bald wieder befahrbar sein. Dan zuckte mit den Schultern und warf die leere Red Bull Dose in einen Mülleimer.

„Wenn schon“, sagte er, „wir haben da sowieso nichts davon. Aber ich kann euch eines sagen: Wenn das so weitergeht, dann haben uns die Gelben bald alle am Sack.“ Er hob mahnend den Zeigefinger, tippte an den Schirm seiner Basecap und wandte sich zum Gehen. „Komm, Rich“, sagte er, „lass uns weitermachen. Pause vorbei.“

Ich sah noch mal hinüber zu den Docks und versuchte, die Container zu zählen. Aber schon bei achtundzwanzig verlor ich den Überblick. Zwanzigtausend davon auf einem einzigen Schiff waren für mich völlig unvorstellbar.

Ein paar Nummern kleiner und lange nicht so imposant wie die Mega-Pötte lag ein kleinerer Frachter an einem Nebenkai fest. Es war ein Trampschiff und damit ein Überbleibsel aus einer anderen Zeit. Als ich damals vor fast anderthalb Jahren die Überfahrt hierher auf einem Passagierfrachter gemacht hatte, hatte ich genug Zeit gehabt, mich durch die schmale Schiffsbibliothek zu lesen. Eines der Bücher erzählte Kapitänsgeschichten aus der Zeit, als es noch keine Container gegeben hatte. Damals waren verschiedene Typen von Frachtern im Einsatz gewesen, um Stückgut, Öl, Massengut oder gekühlte Frachten über die Meere zu bringen. Bis in die 1970er-Jahre waren diese Schiffe unterwegs gewesen. Die meisten im Linienverkehr mit festen Routen und Terminen. Manche aber auch als sogenannte Trampschiffe. Sie hatten keinen festen Fahrplan gehabt. Man konnte sie chartern, mit allem möglichen Frachtgut füllen und auf die Reise schicken. Diese Schiffe waren so ausgestattet gewesen, dass sie beinahe alles transportieren konnten. Sie hatten einen Kran an Bord gehabt, um das Zeug auch dann laden oder löschen zu können, wenn der Zielhafen nicht dafür ausgelegt war. So ähnlich wie diese Trucks, die ihren eigenen Gabelstapler am Hintern mit sich führen. Und es war auch genau dieser Kran, der mir sagte, dass das Schiff da Steuerbord voraus ein Relikt aus dieser alten Zeit sein musste. Genauer gesagt waren es zwei riesige Kräne. Sie standen mit ihren Türmen nahe beieinander wie zwei gute Kumpels und streckten ihre Ausleger entgegengesetzt voneinander über das ganze Schiff, ungefähr so als wollten sie zeigen, dass sie jede Stelle an Bord erreichen konnten. Gleichzeitig konnten sie sich eng zueinander drehen und sich so quasi gemeinsam um besonders schwere Lasten kümmern. Wie toll wäre es, dachte ich, wenn dieses Ding zufällig nach Europa unterwegs wäre!

Ich ging vor ans Kai und sah mir das Schiff genauer an. Es war zwar alt und hatte schon ein paar Schrammen abgekriegt, aber es sah intakt aus und gut in Schuss.

Offenbar fuhr es unter einer soliden Mannschaft mit einem guten Kapitän. Da kein Mensch zu sehen war, ging ich am Kai entlang zum Heck des Schiffes. Dabei zählte ich meine Schritte und kam bis zum Heck auf knapp hundertfünfzig. Es war kein kleines Schiff, durchaus tauglich für die hohe See und ich rechnete mir erste echte Chancen aus. Am Heck dann, beim Blick nach oben, sah ich eine belgische Flagge in der leichten Brise wehen und war sofort wie elektrisiert. Das Schiff stammte offensichtlich wirklich aus Europa oder fuhr zumindest unter europäischer Flagge. Nach wie vor war niemand an Bord zu sehen. Zwar waren drei Gangways auf das Kai herabgelassen worden, aber sie waren mit Ketten und Verbotsschildern gesichert und ich war weit davon entfernt, diese Hindernisse zu missachten. Schließlich wollte ich etwas von den Leuten und da sollte ich sie nicht vergraulen.

Es war früher Nachmittag und es sah nicht so aus, als ob sich hier bald etwas tun würde. Die Arbeit in solchen Häfen richtet sich nicht so sehr nach der Uhr oder nach der Tageszeit. Es sind andere Parameter, die hier zählen. Die Gezeiten zum Beispiel, das Wetter, der Biorhythmus des Kapitäns. Noah bekam damals von Gott persönlich den Befehl zum Auslaufen und als die große Flut kam, saß er sicher in seiner Arche. Irgendwie hat sich diese Art der Zeitrechnung bis heute bewahrt. Kommt einem Kapitän nicht mit Uhren, behelligt ihn nicht mit eurem Tand. Er weiß selbst am besten, wann er durch die Untiefen kommt und wann es an der Zeit ist, irgendwo vor Anker zu gehen. Ich beschloss, am frühen Abend wiederzukommen, in der Hoffnung, dann jemanden zu treffen, der hier die Aufsicht hatte und bei dem ich mich nach einer Überfahrt erkundigen konnte.

Gerade als ich aufgesessen war und den Motor starten wollte, kam ein großes Yellow Taxi um die Ecke und rollte gemächlich auf den Frachter zu. Ich sah zu, wie der Wagen auf seinen dicken Ballonreifen über das Kai eierte, die Schienen der Frachtzüge genauso ignorierend wie Schlaglöcher, Teerflicken oder irgendwelchen Müll. Dann hielt das Taxi direkt an einer der Gangways meines auserkorenen Frachters und ein nicht mehr ganz junges Paar stieg aus. Sie holten mehrere Gepäckstücke aus dem wohnzimmergroßen Kofferraum, bezahlten die Fahrt und winkten dem Taxi nach, als es sich wieder auf den Weg zurück in die Stadt machte. Großartig, dachte ich, die sehen aus wie Passagiere. Der Kahn nahm also Leute mit. Ich klappte den Seitenständer der BMW wieder aus und stieg ab. Wenn mir jemand sagen konnte, ob es möglich war, hier an Bord zu gehen, dann diese beiden, dachte ich. Ich ging auf sie zu und sie unterbrachen ihr Gespräch, als sie mich kommen sahen.

„Hi, sagte ich, „kann ich euch etwas fragen?“

„Klar“, sagte der Typ. „Wie können wir helfen?“

„Fahrt ihr auf diesem Frachter mit?“, fragte ich.

Die beiden sahen sich an und nickten.

„Großartig!“, sagte ich. „Könnt ihr mir vielleicht sagen, wo die Reise hingeht?“

„Europa“, sagte der Typ, „Lissabon, genauer gesagt.“

„Gut“, sagte ich, „und wann wird das Schiff auslaufen?“

Der Typ sah die Frau an, aber sie erwiderte seinen Blick nicht. Dann zuckte er mit den Schultern. „Ungefähr in vier Wochen, denke ich“, sagte er. „Genau wissen wir das noch nicht, hängt von der Charter ab.“

„Meint ihr, ich kann mich da noch anschließen?“, fragte ich und deutete dann auf das Bike. „Also wir beide?“

„Schon möglich“, sagte der Typ, „aber das muss der Kapitän entscheiden, denke ich.“

„Wo kann ich den finden?“, fragte ich.

„Komm morgen früh wieder“, sagte die Frau und es war das erste Mal, dass sie sprach. „So gegen zehn. Dann kannst du mit dem Kapitän sprechen.“

Ich nickte und machte ein Thumbs-up-Zeichen. Irgendetwas in ihrer Stimme klang seltsam, eine Mischung aus Überheblichkeit und Sorge, aber ich dachte nicht länger darüber nach. Ich war froh, eine Möglichkeit gefunden zu haben, mit dem Bike nach Europa zurückzukehren.

Einigermaßen euphorisch stieg ich auf die BMW und verließ die riesige Anlage. Am Tor winkte mir jemand aus der Ferne zu und ich glaubte, Dan zu erkennen, wie er im Karo-Flanellhemd und mit Basecap unterwegs zu einem neuen Auftrag war. Ein Polizeiwagen kam mir entgegen und sofort dachte ich wieder an meinen Kumpel W. S. Walcott und den Schlamassel um sein durchsuchtes Büro. Was auch immer irgendjemand dort gesucht hatte, die Schlüssel meiner Maschine waren es nicht gewesen. Ich hatte sie an mich nehmen dürfen, nachdem die Spurensicherung fertig gewesen war, und es war eine Freude gewesen, den alten Boxermotor wieder zum Leben zu erwecken. Als klar gewesen war, dass ich noch ein paar Tage in der Stadt bleiben musste, hatte Walcott mir angeboten, bei ihm unterzukommen. Er lebt mit Frau und Hund in einer dieser Vorstädte, wie man sie aus den Filmen kennt und die tatsächlich genauso aussehen. Ewig lange Straßen mit immer denselben Häusern, Vorgärten, Briefkästen. Kein Bürgersteig, kein Laden. Jeder, der sich hier zu Fuß bewegt, macht sich verdächtig. Jeder, der keinen amerikanischen Wagen fährt, ist ein gemeiner Verräter.

Glücklicherweise stehen die Amis auf Oldtimer und so komme ich mit meiner Mühle, immerhin Baujahr 1976, also die Latest Edition, ganz gut durch. Ein durchgeknallter Beagle ist für die Walcotts der Ersatz für menschlichen Nachwuchs, der sich aus irgendwelchen Gründen nie eingestellt hat. Zwar hatten W. S. und seine Frau ein paar Tricks aus einschlägigen Ratgebern ausprobiert, irgendwann aber hatten sie es aufgegeben. Und die richtig großen Sachen wie künstliche Befruchtung oder In-vitro-Fertilisation waren dann doch nicht ihr Ding gewesen. Jetzt streunte Alpha Centauri über das Anwesen der Walcotts und wurde von beiden nach allen Regeln der Kunst verhätschelt und gepflegt.

„Alpha Centauri?“, hatte ich gefragt, als ich zum ersten Mal den Namen des Hundes vernahm.

Walcott hatte sich ein wenig gewunden und die Augen verdreht. Offenbar war es ihm unangenehm, zum tausendsten Mal diese Frage beantworten zu müssen.

„Das ist ein sonnennahes Sternensystem“, hatte Wendy Walcott gesagt und dabei so ernst ausgesehen, als würde sie den Eid auf die Verfassung leisten.

„Das stimmt“, hatte ich gesagt, „aber es ist kein Hundename.“

„Kennst du die Band Tangerine Dream?“, hatte Walcott gefragt.

„Nein“, hatte ich unsicher gesagt, überrascht von dem Themenwechsel und in Sorge darüber, wo das hinführen würde.

„Solltest du aber. Ist ’ne deutsche Band. Und ihr zweites Album, 1971 erschienen, heißt Alpha Centauri. Ich mag die Musik. Und ich mag den Hund. Noch Fragen?“

Wer war ich, über Hundenamen zu urteilen? Zumal A. C. um uns herumgetollt war, als hätte er das Fest seines Lebens. Alles okay, alles prima, jeder wie er mag.

Ich hatte das Gästezimmer der Walcotts im ersten Stock des Hauses bezogen und hatte dort sogar ein eigenes, kleines Bad. Überall im Haus roch es nach frischem Putzmittel und ich machte mir schon Sorgen, wenn ich beim Ausziehen meiner Bikersocken eine Wollfluse auf dem gewachsten Parkettboden verlor. Das Wort klinisch kam mir in den Sinn, klinisch sauber, trotz Hund im Haus. Am ersten Abend im Haus der Walcotts, als das Abendessen vorbei gewesen war, hatte ich mich zurückgezogen, um eine Nachricht an Janis zu schreiben. Zwar hatten wir keinen festen Termin für meinen Besuch ausgemacht, ich wollte ihr aber trotzdem mitteilen, dass es noch ein paar Tage dauern würde. Sie war wie immer großartig und versicherte mir, dass es überhaupt kein Problem war und dass ich mir alle Zeit der Welt lassen sollte. Das nahm mir natürlich den Stress, zeigte mir aber auch, wie wenig wichtig ich im Leben von Janis und vermutlich auch in dem von Zooey wirklich war. Abends im Bett hatte ich begonnen, mich nach Janis’ Körper zu sehnen. Abends im Bett wurde das Leben schwierig und unlösbar und die Flasche Southern Comfort, die ich in Walcotts Gäste-Nachtschrank deponiert hatte, wurde täglich mehr zu meinem besten Kumpel.

An diesem Abend, nach meiner Tour durch die Docks und nach dem gemeinsamen Abendessen mit Wendy und W. S., ging ich in mein Zimmer und startete den Laptop. In den Evening News wurde berichtet, dass irgendjemand herausgekriegt hatte, woher dieser Corona-Virus letztendlich stammte. Eine Gruppe Fledermäuse hielt man für die Hauptverdächtigen und sofort ging das Geseire an den digitalen Stammtischen los, worin die Übertragbarkeit von Viren zwischen Mensch und Tier – eine Differenzierung übrigens, die ich nie verstanden habe – vehement bestritten wurde. Weniger wissenschaftlich argumentativ, eher so, wie sagt man, out of the Bauch heraus. Es passte den Leuten vom Feeling her nicht rein. Dabei wissen wir seit Dracula, dass Fledermäuse nicht ganz geheuer sind. Ich klickte die News weg und sah mir die alten Fotos an. Wie gern hätte ich jetzt mit meinen Freunden gesprochen. Mit Pete, mit Katy, ja auch mit Rachel. Für Rachel war es für immer zu spät und die anderen beiden hätte ich jetzt aus ihren Betten geklingelt. In Europa war es noch dunkel. Doch gerade als ich mir etwas Aufbauendes aus der SoundCloud streamen wollte, kam ein Videocall herein und der Anrufer war kein Geringerer als Steve. Ich nahm den Anruf sofort an, richtete die Webcam aus und setzte mich gerade hin.

„Hallo, Houston“, sagte Steve und grinste hochaufgelöst aus meinem Laptop. Klar, als Computer-Nerd hatte er das beste Equipment für so etwas.

„Hallo, Deutschland!“, sagte ich und grinste in dem kleinen Kontrollfenster mit meinem Bild bis über alle Backen.

„Schön, dass Sie sich dazu schalten. Und jetzt die Punkte!“

Wir lachten beide, jeder tief erfreut, den anderen zu sehen. Seit dem K. o. der VPK hatte Steve alles darangesetzt, sein Bürgerkriegs-Game optisch wieder auf das einstige Level zu bekommen, und es war ein hartes Stück Arbeit, wie er mir berichtet hatte. Aber nach und nach kam er voran und lernte eine Menge dabei. Auch darüber, wie Victor seine KI gestrickt hatte und wie weit er damit allen anderen voraus gewesen war.

„Wie geht es dir?“, fragte ich. „Alles okay so weit?“

Steve nickte und grinste dabei über beide Ohren. „Ich kann nicht klagen“, sagte er. „Die Publicity für das Spiel nach dem Ende der VPK war enorm. In allen Gamer-Portalen wurden die Latest News bezüglich Victors finalem Move geteilt. Und überall kamen die Hinweise auf das Game. Links, Download-Optionen, Screenshots, das ganze Programm. War of Knights kletterte in den wichtigsten Charts bis in die Top fünf. Mein Handy habe ich nach zwei Tagen voller Anfragen und Kommentare abgeschaltet und jetzt bereite ich mich gerade auf einen Online-Auftritt im Fernsehen vor. Absolut crazy!“

„Ich bin beeindruckt“, sagte ich. „Gratuliere!“

„Danke“, sagte Steve. „Das Spiel selbst ist zu seiner alten Performance zurückgekehrt. Wir konnten aus den Log-Dateien von Victors Account viele Eingriffe in das Programm rekonstruieren. Jetzt räumen wir einen Grafik-Preis nach dem anderen ab. Es fühlt sich ein wenig geklaut an, aber wirklich nur ein kleines bisschen.“ Erneut das breite Grinsen.

Ich gönnte ihm den Erfolg. Und Erfolge für den Nachbau von Victors Effekten einzuheimsen, war das wenigste, was ihm meinem Erachten nach all dem Trouble zustand.

„Ich weiß, dass das alles Victors Verdienst ist“, sagte er, „und wir stehen gewissermaßen in seiner Schuld. Aber was soll ich machen? Ich nehme es als Geschenk. Wir alle profitieren von anderen, oder nicht?“

„Mach dir darüber keine Gedanken“, sagte ich. „Du hast es dir verdient!“

Er nickte und schien dankbar und erleichtert zu sein nach meinem Zuspruch.

„Du bist früh dran, Kumpel“, sagte ich. „Sieht aus, als wäre es noch dunkel vor deinem Fenster.“

„Gut erkannt“, sagte Steve. „Ja, es ist jetzt gerade halb fünf und der Tag lässt es langsam angehen.“

„Bist du schon auf oder noch?“, fragte ich.

„Tatsächlich noch“, sagte Steve. „Hab’ mir mal wieder die Nacht um die Ohren gehauen beim Versuch, ein Problem zu lösen.“

Ich nickte. So etwas hatte ich mir schon gedacht. „Und du hast es nicht geknackt und gedacht, ruf den alten Phil an, der weiß immer alles“, sagte ich.

Steve grinste. Wir wussten beide, dass ich wohl der letzte Joker war, den man in solchen Dingen anrufen würde.

„Willst du darüber sprechen?“, fragte ich. „Zuhören kann ich, auch wenn das dann vermutlich alles sein wird, was ich dazu beitragen kann.“

Steve rutschte auf seinem Stuhl hin und her. Er schien nicht genau zu wissen, ob es eine gute Idee gewesen war, mich anzufunken. Das überraschte mich. Ich hatte nie den Eindruck gehabt, in meiner Hood als schwierig oder kompliziert zu gelten.

„Spuck’s aus, Junge“, sagte ich. „Ich bin zwar zwanzig Jahre älter als du, aber trotzdem dein Kumpel. Hat es mit dem Spiel zu tun?“

„Auch“, sagte Steve. „Ich zeige dir mal was, aber du musst mir versprechen …“

„Steve!“, sagte ich und verdrehte demonstrativ die Augen.

„Sobald wir hier auflegen, werde ich geblitzdingst3 und weiß von nichts, okay?“

Steve teilte seinen Bildschirm und ich sah einen Webbrowser, in dem ein Dokument geöffnet war. Es sah aus wie ein Kontoauszug und in der obersten Zeile war Steves Name vermerkt.

„Was siehst du?“, fragte Steve.

„Bin mir nicht sicher“, sagte ich. „Könnte dein Bankkonto sein. Obwohl … Dschiessas!“ Ich hatte die Kontobewegungen gelesen und war am Ende beim Saldo hängen geblieben. Steves Konto war derzeit in einem gesunden Plus. Wenn ich das mit den Nullen richtig im Kopf hatte, waren da schlappe zwei Millionen Euro auf seiner äußerst hohen Kante gestapelt.

„Da fallen mir spontan die 3G-Regeln ein“, sagte ich, „gespart, geerbt oder geklaut. Was zum Geier …?“

„Frag mich nicht“, sagte Steve. „Ich habe das gestern Abend entdeckt und die ganze Nacht damit verbracht, rauszukriegen, ob die Kohle echt ist und wie sie zu mir aufs Konto gekommen ist.“

„Und?“, fragte ich.

„Es ist kompliziert“, sagte Steve.

Eine Pause entstand. Ich erinnerte mich an zahlreiche Begebenheiten in der jüngeren Vergangenheit, bei denen wir vor unlösbaren Fragen oder rätselhaften Vorgängen gestanden hatten und es am Ende immer ein und dieselbe Antwort für deren Ursache gab: Victor van Pelt. Unter den damaligen Umständen hätte ich auch jetzt auf ihn getippt. Aber wir alle hatten ihn sterben sehen und niemand, nicht wir, nicht Katy, nicht Lisa, nicht das FBI oder die Sternenflotte, hatte seitdem je wieder etwas von ihm gehört.

War das ein erstes Anzeichen, dass der Spuk noch immer nicht vorbei war? Es war nicht auszudenken und doch …

Steve hatte entweder meine Gedanken gelesen oder er war zu einem ähnlichen Schluss gekommen.

„Weißt du“, sagte er, „vor einem Vierteljahr noch …“

„… wäre die Antwort klar gewesen“, sagte ich. „Das habe ich auch gerade gedacht. Hast du irgendwelche Hinweise? Oder hast du gecheckt, ob wir das wenigstens ausschließen können?“

„Können wir nicht“, sagte Steve und traf damit irgendetwas in meiner Magengrube.

Ich schenkte Whisky ins Glas und nahm einen Schluck aus der Flasche. Meine Hände begannen, zu zittern. „Wie meinst du das?“, fragte ich.

Und dann erzählte Steve davon, was er während der letzten Stunden herausbekommen hatte. Und er fing ganz vorn an, um es mir leicht zu machen. „Programme und Apps sicher und vollständig aus einem System zu löschen, ist beinahe unmöglich“, sagte er. „Jedes Programm legt bei der Installation kleine Dateien in irgendwelchen Verzeichnissen ab, deren Existenz niemand kennen kann. Bei der Deinstallation wird das Löschen solcher Dateien dann oft vergessen. In manchen Fällen macht das sogar Sinn. Immer dann, wenn man ein Dreißig-Tage-Demoprogramm nutzt und es dann löscht und wieder neu laden will für die nächsten dreißig Tage, um so die Beschränkung zu umgehen, zum Beispiel. Das Programm trifft bei der erneuten Installation auf eine schon vorhandene Restdatei und bricht ab. Zwar gibt es Hilfsprogramme zur Deinstallation, irgendwelche Cleaner und Ähnliches, aber auch diese Dinger sind nicht frei von Viren oder Spam. Der einzig wirklich sichere Weg ist eine komplette Formatierung der Hardware, tabula rasa. Natürlich macht das kein Mensch.“

Steve trank einen Schluck aus einer Wasserflasche und richtete seine Kamera neu aus. Ich sah die dunklen Ringe um seine Augen und ich sah durch das große Fenster hinter ihm, dass es draußen langsam hell wurde.

„Bist du noch da?“, fragte er.

„Ja“, sagte ich, „obwohl ich nicht weiß, ob ich das Nächste hören möchte.“

Er nickte. „Kann ich verstehen“, sagte er, „aber ich brauche einfach eine zweite Meinung. Kann ja sein, dass ich völlig falsch liege oder etwas übersehen habe. Einverstanden?“

„Geht klar“, sagte ich.

Steve fuhr fort: „Was ich mit dem Vorherigen sagen wollte, ist, dass die VPK sich zwar deinstalliert haben mag. Die Behörden können sie nirgendwo mehr orten, Freaks weißes Spinnennetz ist verschwunden. Aber mehr eben auch nicht. Die vielen Tausend Rechner, die befallen waren, die Smartphones und Tablets, die die VPK kontrolliert hat, das Game, die Brillen … überall können noch versprengte Reste des Programms vor sich hin dümpeln und drauf warten, durch irgendein Ereignis wieder aktiviert zu werden. Entweder einzeln oder in Gruppen oder alle gleichzeitig. Hier ist alles denkbar. Ein Timecode, zum Beispiel, ein Datum, eine chiffrierte Meldung auf Facebook. Der Fantasie sind hier weniger Grenzen gesetzt als Verschwörungstheoretikern oder James Bond Regisseuren.“

„Und dann?“, fragte ich. „Was hat das mit deinem Kontostand zu tun?“

„Ich habe mich immer gefragt, woher die VPK oder Victor van Pelt die ganze Kohle hatte, um diesen Datenkraken zu finanzieren“, sagte Steve. „Er war jetzt von Haus aus nicht mittellos, schon klar, aber allein die Serverlandschaft, die er gemietet hatte, die immensen Entwicklungs- und Programmierressourcen und nicht zuletzt die Herstellung der Hardware wie Brillen oder Drohnen – das muss zusammen weit mehr Geld verschlungen haben, als sein Tabakladen für ihn persönlich abwarf. Woher hatte die VPK diese Unsummen, um am Laufen zu bleiben?“

„Hast du es rausgekriegt?“, fragte ich und bemerkte dabei, wie trocken meine Kehle war.

„Wie gesagt, es ist alles nur vage zusammengereimt“, sagte Steve, „aber es könnte tatsächlich so sein und mein einziger Proof in dieser Sache ist diese Zahl auf meinem Kontoauszug.“ Noch immer hatte ich nicht den geringsten Schimmer, worauf er hinauswollte. „Erst dachte ich an Spenden oder Mitgliedsbeiträge, an einfache Gebühren zur Nutzung der App“, sagte er, „aber das war alles negativ. Es gab keine Gebühren, es gab keine Zuwendungen von außen. Und dann gab ich irgendwann heute Nacht völlig frustriert Internetgeld? in die Suchmaschine ein und es war, als hätte mir jemand einen dicken Klaps auf den Hinterkopf gegeben: Kryptowährung! Klarer Fall: Die VPK mit ihrer riesigen Rechnerkapazität scheffelte nebenbei Bitcoins! Und das im großen Stil.“

Steve nahm einen erneuten Schluck aus der Wasserflasche und sah mich erwartungsvoll an. Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Mit Kryptowährung hatte ich mich noch nie beschäftigt, ich wusste nicht mal genau, was das war und wie solches Geld hergestellt wurde oder in Umlauf kam.

„Was denkst du?“, fragte Steve.

„Puh“, sagte ich, „ich glaube, du fragst den Falschen. Ich habe von solchen Dingen nicht den Hauch einer Ahnung.“

Er ließ sich seine Enttäuschung nicht anmerken. Im Gegenteil. Steve war wie elektrisiert, so als hätte ihm sein eigener Vortrag die Bestätigung gegeben, die er eigentlich von mir erwartet hatte.

„Hör mir noch kurz zu“, sagte er, „und dann sag mir, ob da etwas dran sein könnte. Mein Online-Game muss zur Benutzung als App installiert werden. Jeder, der spielen möchte, benötigt die App, egal, auf welchem Endgerät. Es wäre technisch möglich, einen Programmteil in die Installationsroutine einzubauen, der mit dem Spiel an sich gar nichts zu tun hat. Sein einziger Zweck ist es, die Endgeräte fremdzusteuern und zwar so, dass ich einen Teil der Rechenleistung dieser Geräte abzweige und für mich nutzen kann. Hast du dich manchmal darüber gewundert, dass beim harmlosen Surfen im Netz plötzlich der Lüfter in deiner Kiste angesprungen ist, so als ob der Rechner gerade Höchstleistung vollbringen muss?“

„Ja, tatsächlich ist mir das schon …“, sagte ich.

Steve nickte. „Siehst du?“, sagte er. „Da hat dann vermutlich jemand anderer kurz mit deiner CPU gespielt und vielleicht ein wenig Kohle damit gemacht.“

Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Das Thema war bislang so weit weg von mir gewesen wie der Mars oder Alpha Centauri. Aber Dinge kamen manchmal schneller näher, als man dachte. „Und die zwei Millionen?“, fragte ich, noch immer nicht vollständig on Track bei dieser Geschichte.

„Ich habe das mal getestet“, sagte Steve, „aber nur aus wissenschaftlichen Gründen, versteht sich! Ich werde die Kohle nicht für mich behalten. Wenn sie morgen überhaupt noch da ist.“ Und dann erzählte er mir, dass er die Accounts seiner Abonnenten angezapft hatte, besser gesagt deren Rechner, und dieses Mining-Programm dazu benutzte, neue Bitcoins zu schürfen. Er sprach von Block-chain und von Proof-of-Work und dem Schürfen neuer Coins und ich war schon ziemlich bald nicht mehr in der Lage, ihm zu folgen. Die Quintessenz war wohl, dass man mit genügend Rechnerleistung durch diese Technologie ziemlich schnell ziemlich reich werden konnte.

„Und Rechnerleistung war für die VPK noch nie ein Problem“, sagte Steve, „und ist es auch heute nicht.“

„Du meinst, sie existiert noch?“, fragte ich. „Irgendwo in verborgenen Dateien irgendwelcher Rechner?“