In Würde Wandeln und Sterben - Veerendra H. Bühner - E-Book

In Würde Wandeln und Sterben E-Book

Veerendra H. Bühner

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Beschreibung

"Alles, was geboren wird, wird sterben", sagt Tilopa, ein Vorvater des tibetischen Buddhismus. Der Mensch altert und stirbt: Eine Tatsache, die wir allzu oft vergessen und die uns hin und wieder lediglich als flüchtiger Gedanke streift, was uns aber nicht sonderlich berührt. Wir leben weiter, als ob wir das ewige Leben besäßen. Aber dem ist nicht so. Eines Tages wird uns nämlich die Wirklichkeit einholen und uns mit der Tatsache unserer Vergänglichkeit konfrontieren. Wir müssen wieder zu dem werden, was wir waren, bevor wir geboren wurden. Wie werden wir mit dieser Tatsache umgehen, wenn sie uns trifft? Wird sie uns unvorbereitet treffen? Oder werden wir darauf vorbereitet sein? Werden wir würdelos oder in Würde altern und sterben? Solche Fragen und wie wir uns auf das unumgängliche Ende unserer Tage vorbereiten können, werden neben praktischen Anleitungen zur Meditation und Kontemplation Gegenstand dieses Buches sein. Die hier beschriebene Spirituelle Psychologie des Wandelns und Sterbens soll dem Leser eine Richtschnur sein, ein Wegweiser zu wirklicher Menschenwürde und wirklichem Sein. Sie propagiert die spirituelle Freiheit des Menschen und zeigt Wege auf, wie diese erlangt werden kann.

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Über den Autor:

Nach jahrzehntelangem Studium von unterschiedlichen spirituellen Lehren und ebenso langer Meditationsarbeit ist der Verfasser bis in die überpersönlichen und todlosen Bereiche des Bewusstseins vorgedrungen. Von diesen überpersönlichen Gefilden aus betrachtet und beschreibt er das Drama des Daseins und das des Lebens des Menschen im Besonderen.

Die Bücher des Autors gewähren eine unparteiliche und objektive Draufsicht auf die wesentlichen Dinge des Lebens. Sie propagieren die spirituelle Freiheit des Menschen und zeigen Wege auf, diese auch zu erlangen.

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Eine Spirituelle Psychologie des Wandelns und Sterbens

Die Werteordnungen des natürlichen und des spirituellen Menschen

Der Mensch aus spiritueller Sicht

Ursprüngliches und geformtes Bewusstsein

Der Lebenswille

Identifikation

Der Lebenskreislauf des Menschen

Die Phasen des menschlichen Lebenskreislaufs

Die Phase der Formung und des Wachstums

Die Formierung der Persönlichkeit und die Folgen

Die Phase der Erhaltung

Der Persönlichkeitskult

Die Phase der Degeneration und Auflösung

Dissoziation und Sterben der Persönlichkeit

Die inneren Erlebensräume des Menschen

Der Erlebensraum des Ichbewusstseins

Der Erlebensraum des Halbbewusstseins und des Unterbewussten

Der Erlebensraum des Unbekannten und Unkennbaren oder des Überbewussten

Über die wahre Würde des Menschen

Das Wunder des Lebens

Lebensqualität aus spiritueller Sicht

Über die Aufrechterhaltung des menschlichen Leidens

Die Perspektiven

Spiritual Ethik und Praktisches zur Pflege und Betreuung sterbender Menschen

Eine spirituelle Sterbeethik und philosophische Grundlagen

Über die bedürfnisgerechte Ernährung alternder und sterbender Menschen

Die Endphase des Sterbens

Die Unvermeidbarkeit des Sterbens

Der Beginn des Sterbens

Der Todeskampf

Das Aufhören des Todeskampfes

Spezielle pflegerische Maßnahmen

Anhang

Methoden zur Sammlung des Bewusstseins im Formlosen

Entspannte Körperhaltung

Meditation

Kontemplation

Vor dem Spiegel

Wer bin „Ich“?

Die Gegenwart des Todes

Selbstbeobachtung

Schweigen

Der Einstrom von Sinnesreizen

Die „Zügel“ spannen

Der Kontakt zur Leere

Schusswort

Literaturverzeichnis

Einleitung

„Alles, was geboren wird, wird sterben“, sagt Tilopa, ein Vorvater des tibetischen Buddhismus.

Der Mensch altert und stirbt: Eine Tatsache, die wir allzu oft vergessen und die uns hin und wieder lediglich als flüchtiger Gedanke streift, was uns aber nicht sonderlich berührt. Wir leben weiter, als ob wir das ewige Leben besäßen. Aber dem ist nicht so. Eines Tages wird uns nämlich die Wirklichkeit einholen und uns mit der Tatsache unserer Vergänglichkeit konfrontieren. Wir müssen wieder zu dem werden, was wir waren, bevor wir geboren wurden. Wie werden wir mit dieser Tatsache umgehen, wenn sie uns trifft? Wird sie uns unvorbereitet treffen? Oder werden wir darauf vorbereitet sein? Werden wir würdelos oder in Würde altern und sterben? Solche Fragen und wie wir uns auf das unumgängliche Ende unserer Tage vorbereiten können, werden Gegenstand dieses Buches sein.

Um in Würde Altern und Sterben zu können, müssen wir zuerst verstehen und begreifen, dass dem Menschen, in spiritueller Hinsicht, wahre Menschenwürde nicht schon von vorneherein gegeben ist, sondern, dass er seine Würde im Laufe seines Lebens erst erwerben muss. Auch wenn diese Tatsache nicht der allgemeinen und sogar im Grundgesetz niedergeschriebenen, schon dogmatisierten Meinung entspricht, der Mensch besäße bereits von vorneherein eine „angeborene, unantastbare Menschenwürde“.

Besäßen nämlich alle Menschen solch eine schon angeborene, unantastbare Würde, dann wäre das aktuelle Weltgeschehen sicherlich ein anderes. Wir sehen immer und immer wieder sich wiederholende, von den angeblichen „Trägern der unantastbaren Menschenwürde“ begangene Gewaltakte, wir sehen Korruption, Terror, Kriege, Not, Elend, Flüchtlingsströme und Bestialitäten der schrecklichsten Art. Was das mit „unantastbarer Menschenwürde“ zu tun haben soll, ist mehr als fraglich. Kurz: Besäße der Mensch bereits echte Menschenwürde, dann könnte er nicht so sein, wie er aktuell ist.

Ferner müssen wir uns unserer wirklichen Lage innerhalb von natürlichen, kosmischen Prozessen bewusst werden und bis zu den Wurzeln unserer oft selbst geschaffenen, subjektiven, illusionären Welt vordringen, um uns schließlich von allem Irrglauben, Aberglauben und allen anerzogenen Meinungen und Haltungen dem Leben, dem Altern und dem Sterben gegenüber zu befreien.

Wir müssen zu der Einsicht gelangen, dass wir nicht mehr und nicht weniger als Bedienstete und manchmal auch Opfer von natürlichen, kosmischen Prozessen, die wir „Leben“ nennen, sind. Erst dann können wir uns auf den Weg begeben, der uns einer echten Menschenwürde, die über Leben und Tod erhaben ist, näherbringt. Und erst wenn wir solche echte Menschenwürde erlangt haben, können wir wirklich würdevoll altern und sterben.

Der Leser sei an dieser Stelle davor gewarnt, dass dieses Buch keine Unterhaltungslektüre im herkömmlichen Sinn ist, die ihn von der Wirklichkeit und den Tatsachen ablenken soll, um seine illusionäre Welt aufrechtzuerhalten. Es soll ihn vielmehr mit unumstößlichen Tatsachen konfrontieren und seine subjektive, illusionäre Welt, die er nicht selten für die einzige Realität hält, erschüttern, damit sein falsches Selbstbild einige Risse bekommt, durch die er seine Wirklichkeit erkennen und seinem wahren Sein oder auch seinem Nichtsein näherkommen kann. Denn erst dann, wenn die Mauern unseres subjektiven Gefängnisses, das wir oft „Persönlichkeit“ nennen, zu bröckeln beginnen und wir durch die entstehenden Risse einen Blick über unsere subjektiven Grenzen hinaus ins Grenzenlose werfen können, können wir erkennen, dass wir Bedienstete unserer physiologischen Triebe der Art- und Selbsterhaltung sind, und, dass wir Gefangene unserer anerzogenen Meinungen, Haltungen, Denkweisen und emotionalen Gegebenheiten sind.

Dann werden wir auch erkennen können, dass unsere sogenannte „Selbstbestimmung“ nicht mehr als eine Phrase ist, die wir zu unserer eigenen Selbstberuhigung und zur Aufrechterhaltung unserer illusionären Welt gebrauchen.

Des Weiteren soll uns die im Folgenden beschriebene Spirituelle Psychologie des Wandelns und Sterbens helfen, einen Blick hinter die Kulissen unserer gesellschaftlichen Sozialstrukturen und unserer Persönlichkeitskultur zu werfen, die uns eher daran hindern menschenwürdig zu altern und zu sterben, als dass sie dies fördern. Denn durch die gesellschaftlichen und familiären Sozialgefüge als auch durch seine Persönlichkeitskultur hat sich der Mensch so weit von seiner wirklichen Natur und seinem wahren Sein entfernt, dass er das Falsche und Unechte für das Wahre und Echte hält und das Wahre und Echte für das Falsche und Unechte.

In spiritueller Hinsicht werden wir nämlich alleine geboren, alleine altern und auch alleine sterben. Gesellschaftliche sowie familiäre Sozialgefüge und unsere Persönlichkeit sind lediglich vorübergehende Phänomene, die durch den Kontakt des Bewusstseins mit der Welt der Formen und Strukturen zustande kommen. Sobald sich das Bewusstsein beim Tod des physischen Körpers von seinen angenommenen Formen und Strukturen löst, werden diese Phänomene auch wieder verschwinden.

Durch die von den Trieben der Art- und Selbsterhaltung bestimmten und regulierten Sozialgefüge – seien sie gesellschaftlicher, familiärer oder auch egoistischer Natur – sowie durch seine Persönlichkeitskultur hat der Mensch eine falsche Haltung gegenüber seinem Altern und Sterben entwickelt und eingenommen. Altern und Sternen sind sozusagen zu seinen „Feinden“ geworden, die er nun mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu bekämpfen versucht.

Anti-Aging-, Fitness-, Leistungstrends und Schönheitsoperationen, aber auch übertriebene medizinische und pflegerische Versorgung alternder und sterbender Menschen, usw., gehören zu solchen Versuchen, seine „Feinde“, das Altern und Sterben, zu bekämpfen oder sie zumindest aus seinem Gesichtsfeld zu drängen.

Dabei hat er vergessen, dass diese seine „Feinde“ untrennbare Bestandteile seines Daseins sind. Und wenn er diesen untrennbaren Bestandteilen seines Daseins in seinem Leben nicht den gebührenden Platz zukommen lässt und ihnen nicht die gebührende Achtung entgegenbringt, dann wird sein „Leben“ zu etwas Unechtem und Imaginärem. Er beginnt dann mehr und mehr in Vorstellungen, statt in der Wirklichkeit zu leben. Er spaltet sich dadurch von der Wirklichkeit ab, was dann gegen Ende seines Lebensweges, wenn ihn die Wirklichkeit wieder einholt, oft zu verheerenden Folgen, wie Senilität, Starrsinn, Altersschwachsinn, notorische Unzufriedenheit, innere Zerrissenheit oder sogar zur Demenz führt. Wie anders könnte ein Mensch das Aufeinanderprallen seiner imaginären Welt mit der wirklichen Welt sonst ertragen und aushalten, als sich immer weiter und tiefer im Imaginären, im Absurden und im Wahnhaften zu verkriechen? Solche Kreaturen können nur durch ihren Tod wieder zur Wirklichkeit, zu ihrer wahren Natur finden. Und weil sie ihren Tod nicht wollen können, können sie auch nicht wirklich in Würde sterben. Auch wenn sie glauben, die Würde des Menschen sei „unantastbar“. Denn seinen eigenen Tod wollen zu können, wenn die Zeit dafür gekommen ist, ist ein Bestandteil wirklicher Menschenwürde.

Wir werden in diesem Buch die Dinge vom spirituellen Standpunkt aus, das heißt, von einem leeren, unparteilichen Bewusstsein aus betrachten. Unparteilich bedeutet in diesem Zusammenhang, dass wir weder für das Leben, noch für den Tod Partei ergreifen werden. Wir werden anders wie unsere todesverneinende Gesellschaft und deren Vertreter – die ungeachtet der Tatsache, dass Leben ohne Sterben nicht möglich ist, immer Partei für das „Leben“ ergreifen – das Dasein als eine Einheit betrachten, in der Leben und Tod das gleiche Gewicht und den gleichen Stellenwert haben.

Die Spirituelle Psychologie des Wandelns und Sterbens soll dem Leser eine Richtschnur sein, ein Wegweiser zu wirklicher Menschenwürde und wirklichem Sein. Dabei ist es vollkommen gleichgültig welcher Religion er angehört, ob er überhaupt einer Religion angehört, oder ob er gar keiner Religion angehört.

Im Grunde ist die Spirituelle Psychologie des Wandelns und Sterbens die Grundlage und das Wesentliche aller wirklichen Religion.

Wir müssen aber auch in Betracht ziehen, dass Religion, Theismus, Atheismus und Egoismus, oder jeder andere Ismus, verbunden mit blindem Glauben oder Unglauben, mit Dogmatismus oder sogar Fanatismus, den Blick ins Offene Weite verhindert und den Menschen in seiner illusionären, subjektiven Welt festhält.

Deshalb sollte der Leser dieses Buches immer wieder hinterfragen, ob und an was er festhält, ob seine Ansichten, Meinungen und Haltungen den Dingen, dem Leben und dem Tod gegenüber etwas Anerzogenes und unhinterfragt Angenommenes sind, oder ob sie durch eigene Erkenntnisse und eigenes Verstehen entstanden sind.

Jedenfalls sollte er über das Gelesene nachsinnen, darüber „brüten“, es hinterfragen und manche Kapitel auch studieren, um einen bleibenden Nutzen für sich daraus ziehen zu können.

Vieles kann aber erst dann in seinem Gesamtzusammenhang verstanden werden, nachdem das Buch vollständig und eventuell auch mehrmals gelesen wurde.

Besonders durch mehrmaliges Lesen können sich immer wieder neue Perspektiven und andere Zusammenhänge auftun. Manchmal dauert es eben eine Weile bis es einem dämmert, was da eigentlich steht.

Das Folgende soll den Leser nicht nur auf seinen eigenen Tod vorbereiten, sondern es soll ihm auch die spirituell psychologischen und praktischen Mittel in die Hand geben, dem Altern und Sterben gegenüber eine wirklichkeitsnahe Haltung einzunehmen, um auch anderen Menschen in ihrem letzten Lebensabschnitt und ihren letzten Stunden beistehen zu können. Es richtet sich daher auch an diejenigen, die sterbende Menschen pflegerisch und medizinisch betreuen oder betreuen wollen.

Außerdem soll die Spirituelle Psychologie des Wandelns und Sterbens dem allgemeinen Trend unserer todesverneinenden Gesellschaft – dessen Auswüchse wir in der fortschreitenden Zunahme von Demenzerkrankungen sehen und der dazu geführt hat, dass immer mehr Menschen im Siechtum und geistiger Umnachtung einen menschenunwürdigen Tod sterben müssen – etwas entgegensetzen, durch das der Mensch wieder Zugang zu seiner wirklichen Menschenwürde finden und auch wieder einen menschenwürdigen Tod sterben kann.

Auch wenn in diesem Buch inhaltlich vieles aus anderen Büchern des Verfassers enthalten ist, so ist es doch in einen anderen Kontext gestellt, was die dargelegten Erkenntnisse noch besser verstehbar und nachvollziehbar machen kann.

Eine Spirituelle Psychologie des Wandelns und Sterbens

Wir nennen diese Psychologie eine Spirituelle Psychologie, weil sie sich in einigen wesentlichen Punkten von der Schulpsychologie und der Alltagspsychologie unterscheidet – obwohl sie vieles aus der Schulpsychologie enthält.

Während sich die Schul- und Alltagspsychologie mit den Verhaltens-, Anpassungs- und Erlebensmechanismen innerhalb der Psyche und innerhalb des Sozialgefüges eines Menschen befasst, ohne zu fragen, woher der Mensch kommt und wohin er geht, bezieht die Spirituelle Psychologie noch einige zusätzliche Dinge mit ein:

Sie betrachtet den Menschen als spirituelles Wesen, wodurch auch philosophisches und religiöses Gedankengut mit ins Spiel kommt.

Sie fragt, woher der Mensch kommt, wohin er geht und an welcher Stelle er sich innerhalb der Stufenleiter des sich entwickelnden Lebens auf unserm Planeten befindet. Sie fragt, was seine Funktion und Aufgabe an dieser Stelle ist.

Sie betrachtet Altern und Sterben nicht im herkömmlichen Sinn von „Altwerden“ und „Vergehen“, sondern im Sinne eines Alternierens, eines sich Wandelns und Verwandelns der Dinge – als einen endlosen, kosmischen Prozess, den wir Leben nennen.

Und nicht zuletzt: Sie betrachtet nicht die Psyche, das heißt die emotionalen und intellektuellen Gegebenheiten des Menschen als seine Seele, sondern das ursprüngliche, reine in ihm verkörperte Bewusstsein oder Gewahrsein.

Als Menschen sind wir dem Altern und Sterben, das heißt, dem Prozess des sich Wandelns und Verwandelns der Dinge unterworfen.

Um diesen Prozess in seiner Tiefe zu verstehen und um erkennen zu können, welche Bedeutung er für uns Menschen hat, müssen wir einige Dinge näher betrachten und definieren. Dazu gehören unter anderem:

Woraus besteht der Mensch? Was ist seine Funktion und Aufgabe im Gesamtprozess des Lebens? Welche Möglichkeiten hat er? Was ist ein natürlicher Lebenskreislauf? Was ist der Unterschied zwischen Wesen und Persönlichkeit? Was ist ursprüngliches, formloses Bewusstsein und was ist geformtes Bewusstsein? Was ist Identifikation? Was ist Identität? Was ist wirkliche Menschenwürde? Und so weiter.

Wir müssen diese Dinge hinterfragen und dürfen sie nicht etwa aus einem auswendig gelernten, anerzogenen, blindgläubigen „Wissen“ und halbbewussten, vagen Vorstellungen beantworten.

Die Werteordnungen des natürlichen und des spirituellen Menschen

Weil der Mensch die Dinge wertet und bewertet, schafft er sich je nach seiner Verständnisfähigkeit und seiner Verständnistiefe bestimmte Werteordnungen existenzieller Dinge.

Wenn wir die Werteordnung des natürlichen Alltags- oder Massenmenschen betrachten und sie der Werteordnung des spirituellen Menschen gegenüberstellen, dann können wir feststellen, dass die niedrigsten Werte des natürlichen Menschen die höchsten Werte des spirituellen Menschen sind und umgekehrt.

So wird zum Beispiel für den natürlichen Menschen die Rangordnung seiner Werte von der Selbst- und Arterhaltung bestimmt, während die Werterangordnung des spirituellen Menschen vom Verlangen bestimmt wird, zu seinem Urgrund zurückzukehren.

Vom Standpunkt des spirituellen Menschen aus ist der natürliche Mensch mehr oder weniger ein „Tier“ mit einer aufgesetzten, übergestülpten Kultur und Zivilisation. Vom Standpunkt des natürlichen Menschen aus ist der spirituelle Mensch mehr oder weniger ein „Spinner“ oder „Fantast“.

Wir können zwischen der Selbst- und Arterhaltung und dem Urgrund oder „Gott“ eine grobschematische Stufenleiter von Werten platzieren, die sich dann folgendermaßen darstellt:

1. Die Selbsterhaltung

2. Die Arterhaltung

3. Die Persönlichkeitskultur oder „Ich“-Kultur

4. Das Leben oder der Wandel

5. Die Würde

6. Reines, ungeformtes Bewusstsein

7. Der Urgrund

Die Selbsterhaltung, die Arterhaltung und die Persönlichkeits- oder „Ich“-Kultur bestimmen die Werteordnung des natürlichen Menschen.

Die Würde, reines, ungeformtes Bewusstsein und der Urgrund bestimmen die Werteordnung des spirituellen Menschen.

Das Leben, oder der Wandel ist als verbindender Faktor in der Mitte platziert. In ihm fließen die „unteren“ und die „oberen“ Werte zusammen und werden miteinander verbunden.

Diese Werteordnung stellt sozusagen eine Stufenleiter dar, auf der sich der Mensch während seines Lebens entwickeln kann und auf der er verschiedene Stufen des Verstehens und des Seins erlangen kann.

Auf den unteren Stufen spielt sich das ganz „normale Leben“ des Menschen mit seinem sozialen, familiären und kulturellen Kontext ab. Es ist der Ort gesellschaftlicher Normen und der Persönlichkeitskultur. Hier wird der Mensch von Geburt an, entsprechend seines sozialen, familiären sowie kulturellen Kontextes und seiner Neigungen, geprägt. Im Laufe seines Lebens nimmt er dann, ebenfalls entsprechend seines Kontextes und seiner Neigungen, den existenziellen Dingen des Daseins gegenüber, seinen ganz „persönlichen“, subjektiven Standpunkt ein und kann die Dinge nur von diesem Standpunkt aus verstehen.

Weil auf dieser Stufe alles von der Grundströmung der Selbst- und Arterhaltung bestimmt wird, werden auch die „persönlichen“ Standpunkte und Meinungen eines auf dieser Entwicklungsstufe lebenden Menschen gefärbt und bestimmt. Die Triebe der Selbst- und Arterhaltung bestimmen hier auch das Verständnis und die Rangordnung von Werten:

An erster Stelle steht hier die Selbsterhaltung oder die Ernährung, weil es ohne Ernährung weder eine Selbsterhaltung, noch eine Arterhaltung gibt.

An zweiter Stelle steht die Arterhaltung, oder die Sexualität, welche auf dieser Stufe, neben der Erzeugung von Nachkommen, vorwiegend auch dazu dient, den größtmöglichen, persönlichen Lustgewinn daraus zu ziehen.

An dritter Stelle steht die Persönlichkeitskultur oder „Ich“-Kultur, durch die sich der Mensch innerhalb seines Sozialgefüges seine sogenannte persönliche „Identität“ schafft und annimmt – ein Konstrukt, das er „Ich“ nennt, es mit allerlei Eitelkeiten ausschmückt und – wenn auch fälschlicherweise – als sein „wahres Sein“ empfindet. Hier entsteht für den Menschen eine subjektive, illusorische Welt, eine Welt der Selbstverherrlichung, an die er glaubt und die er für „bare Münze“ hält. Und innerhalb dieser Welt entstehen dann neue und ebenfalls illusorische „Werte“ wie das Streben nach Anerkennung, Ruhm, Ehre, Macht und exzessivem Reichtum, usw.

An vierter Stelle kommt das Leben, oder der Wandel. Sie liegen schon außerhalb des Verstehens des auf den unteren Stufen lebenden Menschen, werden aber als ganz selbstverständlich erachtet. „Leben“ wird hier nur insofern respektiert, als es persönlichen Zwecken dient. Ansonsten wird es mit Füßen getreten, missachtet, geopfert und zerstört. Denn der auf den unteren Stufen unserer Werteskala lebende Mensch kann die Einheit der Gegensätze, die das Leben in sich vereinigt, nicht erkennen oder verstehen. Er lebt in einer Welt der getrennten Gegensätze, in der er zum Beispiel Leben und Tod, Tag und Nacht, Mann und Frau, Liebe und Hass, Ich und Du, Oben und Unten, usw. als jeweils getrennte und oft sich gegenseitig als feindlich gegenüberstehende Einheiten wahrnimmt. Und weil er sich immer nur für einen Teil eines Gegensatzpaares entscheiden kann, wird der andere Teil zu etwas Feindlichem, das er zu bekämpfen beginnt. Auf diese Weise wird er parteilich oder teilhaft und, vom spirituellen Standpunkt aus gesehen, in einen nie enden wollenden Kampf, den er „Leben“ nennt, verstrickt und so lebenslang, bis zu seinem Tod, keine Ruhe finden.

Nebenbei sei hier noch bemerkt, dass seine Teilhaftigkeit auch die Ursache dafür ist, Kriege größeren oder kleineren Ausmaßes zu führen und die schrecklichen Folgen dieses grausamen Geschehens hinzunehmen. Solange er teilhaft bleibt, bleibt er unerfüllt, und solange unerfüllt bleibt, wird sich seine Unerfülltheit auch gegen Seinesgleichen richten – in der Hoffnung sein Unerfüllt Sein würde durch deren Vernichtung ein Ende finden.

Erst wenn der natürliche Mensch seine Teilhaftigkeit und Parteilichkeit überwunden hat, wenn er die Gegensätze in sich selbst, das heißt, innerlich vereinigt hat und zu einem ganzen Menschen geworden ist, kann er diese oft mit Schrecken behaftete Entwicklungsstufe verlassen und zu einem spirituellen Menschen werden. Erst dann kann er wahre Menschenwürde, die jenseits oder über allen Gegensätzlichkeiten und allen Wandels liegt, erlangen.

An fünfter Stelle steht die Würde. Auf den unteren Entwicklungsstufen des Menschen ist „Würde“ ein vages Wort am fernen Horizont und er träumt oder bildet sich ein, sie zu besitzen. Die „Würde des Menschen“ wird hier als „unantastbar“ bezeichnet, während ihre „Träger“ unaufhörlich menschenunwürdige Handlungen begehen, Ihresgleichen missachten, betrügen, missbrauchen, quälen, foltern oder sogar ermorden und abschlachten.

Für den spirituellen Menschen hingegen ist Würde eine gelebte Tatsache.

An sechster Stelle steht das reine, ungetrübte, formlose und ursprüngliche Bewusstsein. Hier erreicht der Mensch seine wahre Freiheit oder die Freiheit von sich selbst.

Für den Menschen der unteren Entwicklungsstufen ist reines und ungetrübtes Bewusstsein etwas vollkommen Unbegreifliches. Für ihn dient „Bewusstsein“ lediglich dazu, in seiner subjektiven Welt die persönlichen Eigeninteressen seines sogenannten „Ichs“ durchzusetzen. „Bewusstsein“, besteht für ihn lediglich aus „Schlussfolgerungen“. Ansonsten ist es für ihn nichtexistent.

Reines, ungeformtes, ursprüngliches Bewusstsein oder spirituelle Freiheit ist untrennbar mit wahrer Menschenwürde verbunden: Ohne spirituelle Freiheit gibt es keine wirkliche Menschenwürde und ohne wirkliche Menschenwürde gibt es keine spirituelle Freiheit.

Und an oberster Stelle auf der Stufenleiter der Werteordnungen kommt der Urgrund oder das Wahre Sein.

Echte Menschenwürde und ursprüngliches Bewusstsein liegen sehr nahe am Urgrund und erlauben dem spirituellen Menschen sich dahin rückzuverbinden. Die Rückverbindung zum Urgrund ist das Wesentliche jeder wahren Religion.

Der allgemeine, teilhafte, in seiner subjektiven „Identität“ und einer Welt der „Ich“-Haftigkeit befangene, natürliche Mensch der unteren Entwicklungsstufen interessiert sich kaum oder gar nicht für seinen Ursprung, seine Herkunft, seine wahre Natur oder für sein wahres Sein.

Das Interesse für seine Herkunft beschränkt sich allerhöchstens auf seine Ahnenreihe.

Religion und Spiritualität, welche eigentlich dafür gedacht waren, den Menschen zu seinem wahren Sein und seinen Urgrund zurückzuführen, werden zur Etikette, zur „Sonntagsreligion“, zum blinden Glauben, starrsinnigen, fanatischen Dogmatismus und abergläubischer Wellnessesoterik degradiert.

Von den Trieben der Selbst- und Arterhaltung bestimmt, bleibt der natürliche, teilhafte Mensch in seiner Entwicklung auf der Stufe eines Tieres stehen, während er sich als „Krone der Schöpfung“ wähnt.

Es ist das spirituelle Wesen eines Menschen, das ihn vom Tier unterscheidet.

Wenn er seine spirituelle Seite verkümmern lässt, bleibt er ein Tier, lebt wie ein Tier und stirbt wie ein Tier. Dabei ist es vollkommen gleichgültig, wie weit er seine Persönlichkeit kultiviert hat und welche Stellung er innerhalb seines Sozialgefüges einnimmt.

Der natürliche Mensch ist mehr nach außen, auf äußere Dinge gerichtet. Er selbst und sein sogenanntes „selbstbestimmtes Leben“ wird von äußeren Umständen und inneren Trieben bestimmt und dirigiert. Sein Handeln wird von gelernter, anerzogener Moral oder Unmoral, von Angst, Eitelkeit, Stolz, Eifersucht, Neid, Ehrgeiz, Habsucht, Abneigung, Zuneigung und Gier usw., angetrieben.

Lob, Anerkennung, Ehre und Schmeicheleien erfüllen ihn mit Freuden und Glücksgefühlen, während ihn Gegenteiliges schmerzt, ihn kränkt, ihn erniedrigt, ihn resignieren lässt und mit Trauer oder Wut erfüllt. Ähnlich wie der Hund, der freudig mit dem Schwanz wedelt, wenn er von seinem Herrn belohnt und gelobt wird, oder, der seinen Schwanz einzieht und auf dem Boden kriecht, wenn er getadelt wird.

Der spirituelle Mensch hingegen ist mehr nach innen, auf sein inneres Wesen, auf die Tiefe des Seins gerichtet. Sein Handeln wird eher von Verständnis und Mitgefühl bestimmt als von äußeren Umständen.

Aus tiefem Mitgefühl und Verständnis für die schreckliche Lage des auf den unteren Entwicklungsstufen lebenden Menschen haben spirituelle Lehrer und große Religionsstifter über Jahrtausende immer wieder versucht, den Menschen der unteren Entwicklungsstufen spirituelles Wissen und Verstehen zu übermitteln. Weil es aber in der Natur der Sache liegt, dass immer nur einzelne, empfängliche Individuen diesen Weg beschreiten können, während die große Masse davon unberührt bleibt, wird der größte Teil dieses übermittelten, spirituellen Wissens und Verstehens auf den unteren Entwicklungsstufen immer wieder verwässert, zu blindem Glauben oder zu sentimentaler Wellnessesoterik umgebaut und degradiert.

Aus diesem auf den unteren Entwicklungsstufen verzerrten und oft teilhaften spirituellen Wissen entstehen dann verschiedene Glaubensgemeinschaften und religiöse Gruppierungen, die, aufgrund einiger unwesentlichen Unterschiede in ihrem Glauben oder in ihren religiösen Schriften, früher oder später beginnen, sich gegenseitig zu bekämpfen. Im schlimmsten Fall wird ihr sogenanntes „religiöses Wissen“ sogar so fehl- und umgedeutet, dass es als Rechtfertigung dient, ihre schlummernde Bestialität auszuleben und andersdenkende Wesen und Gemeinschaften zu vernichten.

Der natürliche auf den unteren Entwicklungsstufen teilhafte, in der Welt der getrennten Gegensätze lebende Mensch kann eben nicht anders, als immer nur einen Teil zu bejahen und den anderen Teil zu verneinen.

Das heißt, solange sich der Mensch nicht verändert und die unteren Entwicklungsstufen in Richtung wirklicher Spiritualität verlässt, wird sich an seiner Situation nichts ändern. Er wird weiter Kriege führen und sich selbst und andere in bitterste Not und bitterstes Elend stürzen.

Die unteren Entwicklungsstufen sind der Ort der „Ich“- und Persönlichkeitskultur, der vielfältigen, persönlichen Standpunkte und Meinungen, der Ort des Geborenwerdens, Erhaltens und Sterbens, der Ort der Freude und des Leidens, kurz, der Ort der getrennten Gegensätze.

Die oberen Entwicklungsstufen sind der Ort des Wesentlichen, der Ort des Seins und der Einheit, der Ort des Ursprungs, der Ort des Urgrundes. Hier gibt es keine gegensätzlichen Standpunkte oder persönliche Meinungen. Hier hat das Denken aufgehört, hier gibt es nur erfülltes Sein, hier vereinigen sich Tag und Nacht, Freude und Leid, Geburt und Tod zu einer einzigen untrennbaren Einheit.

Der Mensch aus spiritueller Sicht

Der Mensch ist eine Maschine, ein Automat, der Stoffe aufnimmt und umwandelt, sagt Gurdjieff.1

Um die Maschine Mensch zu verstehen, müssen wir zuerst feststellen, aus was er besteht, aus welchen Bestandteilen er zusammengesetzt ist. Wir müssen ihn sozusagen in seine einzelnen Bestandteile zerlegen, um sie am Ende wieder zu einer Ganzheit zusammenzufügen.

Aus spiritueller Sicht zählen neben seinem physischen Körper mit seinen Organsystemen, seinem Gehirn und seinem Nervensystem auch noch seine Umgebung, seine emotionalen und intellektuellen Gegebenheiten sowie sein Bewusstsein zu seinem Bestand:

Der Mensch besteht aus einem physischen Körper mit ineinandergreifenden Organsystemen, der in eine Umgebung eingebettet ist. Seine Umgebung stellt sozusagen eine Erweiterung seines physischen Körpers dar. Dass er seinen physischen Körper als von seiner Umgebung abgetrennt erfährt, liegt wohl an seiner Wahrnehmung, die durch seine Sinne und sein begrenztes Bewusstsein beschränkt wird. In tiefer Meditation ist es nämlich durchaus möglich die gesamte physische Existenz als einen einzigen Körper zu erfahren, in welchen unser physischer Körper eingebettet ist, wie etwa eine einzelne Zelle in unseren eigenen Körper.

Genetische und typologische Dispositionen zählen in spiritueller Hinsicht ebenfalls zur Umgebung des Menschen, weil er als Bewusstsein in diese hineingeboren wird.

Die an seinen physischen Körper und an sein Nervensystem gekoppelten Sinne sind die Tore, durch die Reize und Eindrücke aus seiner Umgebung in ihn eintreten.

In seinem Nervensystem und in seinem Denken werden die eintretenden Reize und Sinneseindrücke verarbeitet, beurteilt und zuordnet.

Auf die eingetretenen Reize und Eindrücke lassen ihn dann seine Emotionen positiv oder negativ reagieren.

Des Weiteren besteht der Mensch aus einem Lebenswillen, der sich in den Trieben der Selbst- und Arterhaltung äußert.

Und nicht zuletzt besteht der Mensch auch aus Bewusstsein. Sein Bewusstsein stellt das Erlebende und Erleidende in ihm dar, oder seine „Seele“. Wie wir später sehen werden, ist das Bewusstsein der wesentlichste und wichtigste Bestandteil eines Menschen. Denn mit dem Grad seines Bewusstseins steht oder fällt der Mensch.

1 Ouspensky, Peter D.: Auf der Suche nach dem Wunderbaren: Perspektiven der Welterfahrung und der Selbsterkenntnis.

Ursprüngliches und geformtes Bewusstsein

Die spirituelle Psychologie betrachtet Bewusstsein als ein allkosmisches Phänomen oder als eine aus dem Urgrund stammende, organisierende Substanz, die bei der Entstehung des Universums und der Verdichtung von Materie in die materiellen Strukturen miteingeschlossen wurde und jetzt zurück zu ihrem ursprünglichen, ungeformten Zustand, zurück zu ihrem Urgrund drängt. Das nun in materiellen Strukturen eingeschlossene, ursprünglich formlose Bewusstsein nennen wir „Information“. Diese „Information“ ermöglicht es, dass sich Materie organisieren kann. Und dass sie sich organisiert, ist offensichtlich; denn sonst würden wir nicht existieren. Wir sind nicht mehr und nicht weniger als „ORGANISIERTER KOSMISCHER STAUB“, wie es uns namhafte Astrophysiker sagen.

Was mit organisierender Kraft