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Gerhart Hauptmanns literarisches Testament, inspiriert von William Shakespeares "Der Sturm".Nachdem Prospero auf einer entlegenen Insel in einem fernen Ozean gestrandet ist, wird er von den Indigenen zum König ernannt. Sie fordern von ihm ein Menschenopfer, um die Götter zu besänftigen, doch Prospero weigert sich. Gleichzeitig streben andere Mächte nach seinem Thron.-
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Seitenzahl: 104
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Gerhart Hauptmann
Dramatische Dichtung
Saga
Indipohdi
Coverbild/Illustration: Shutterstock
Copyright © 1920, 2021 SAGA Egmont
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 9788726956962
1. E-Book-Ausgabe
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.
Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.
www.sagaegmont.com
Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.
Die Handlung vollzieht sich auf einer entlegenen Insel im Ozean.
Ruinen eines mächtigen, vielleicht toltekischen Palastes auf einer Insel im Ozean. Große Landschaft, von dem Schneegipfel eines Vulkans überragt. Die Ruinen umgibt beinahe tropische Vegetation. Das Meer, einen Golf bildend, ist sichtbar. Die Ruinenansicht ähnlich dem Mayapalaste von Mitla. Breite und hohe Stufen führen zu drei quadratisch ausgeschnittenen Eingängen. Es ist voller Tag, brütende Sonne.
Auf den Stufen sitzen zwei indianische Priesterknaben, geflochtene blauschwarze Zöpfe ums Haupt: Huemac und Matzatzin.
Huemac.
Sie treiben's heute lange, Matzatzin.
Was will dein Meister bei dem großen Magus?
Matzatzin.
Wüßt' ich's! Es kann des Opfers wegen sein.
Das Volk drängt sehr, es wiederum zu halten.
Huemac.
Nie wird der Magus widerrufen das
Verbot des Jünglingsopfers.
Matzatzin. Niemals, sagst du?
Huemac.
Ich sagte: niemals!
Matzatzin. Wenn das dumpfe Rollen
im innern Erdreich sich nicht legt, der Berg
nur immer dichteres Gewölk hervorstößt
und so des goldnen Himmelsvaters Zorn
durch deutlichere Zeichen stets verrät,
wird man auch dann nicht ihn versöhnen dürfen?
Huemac.
Mein Magus selbst versöhnt ihn, der sein Sohn ist.
Matzatzin.
Du glaubst an seine Macht und seine Herkunft?
Huemac.
Fragst du, der Oro seinen Meister nennt? –
Und Oro liegt dem weißen Mann zu Füßen.
Hüte dich, Matzatzin! Wer Sterne lästert,
muß bis zum Wahnsinn Sterne zählen. Wer
den Mond beleidigt, den erschlägt der Mond
mit einem Stein. Und wer den Sohn der Sonne
kränkt durch Unglauben, er verfällt in Blindheit.
Matzatzin.
Ich weiß.
Huemac. Der Heilige entstieg dem Meer:
Zehn Jahreskreise haben sich indes
geschlossen, seit der Tonatiuh, die Woge
des Ozeans aus goldnen Haaren schüttelnd,
die heilige Sohle in den Inselstrand
zuerst mit segenschwerem Tritt gedrückt.
So kam er, nach den Büchern der Verheißung,
die Himmelsfrau als Kind auf seinem Arm.
Dies ist! Was wäre da wohl zu bezweifeln?
Matzatzin.
Kein Zweifel rührt mich an. Schon die Belehrung,
die mir durch Oro, meinen Meister, ward,
hält Zweifel fern. Allein, er selber sagt,
es habe der erlauchte Magus nie
der heiligen Sonnenabkunft sich gerühmt
noch sie durch Worte irgendwie bestätigt.
Huemac.
Und glaubt an sie dein Meister weniger drum?
Matzatzin.
Nein, aber wenn ich scharf hinsehe und
sein Tun beachte oder hinter das
mit meinem innren Ohr zu dringen suche,
was seine Zunge lehrt, wird eins mir klar:
der Magus hat sich ihm nicht ganz enthüllt,
und Oro müht sich ab an einem Rätsel.
Huemac.
Stets bleibt das Göttliche geheimnisvoll,
auch wenn es nah ist. Und so muß es bleiben.
Das Göttliche verhüllt sich selbst das Haupt,
sein Feuer würde sonst den Priester schmelzen;
und auch der Priester schützt sein Angesicht,
wenn er im allerheiligsten Geheimnis
des Opfers steht, mit einem Tempeltuch.
Wir Dienerknaben tun es wiederum,
wenn wir die heiligen Worte wechseln müssen
nur mit dem Priester: weil auf diesem dann
der Abglanz Gottes ruht.
Matzatzin. Allein, der Urahn
des Hohenpriesters Oro, meines Meisters,
ist auch der goldne Mann im Taggestirn.
Oro ist gleichen Blutes als der Magus:
braucht einer da dem andern sich verhüllen?
Huemac.
Du grollst ein wenig, scheint's, dem Tonatiuh.
Matzatzin.
Das nicht! Allein, ich liebe meinen Meister.
Tehura, eine hochgewachsene junge Indianerin, tritt aus dem Innern der Ruine auf die Treppenplattform. Sie trägt ein rotäugiges, weißes, lebendiges Kaninchen im Arm. Blauschwarz und schlicht fällt ihr Haar über Rücken und Brust.
Huemac.
Sieh dort Tehura, deines Meisters Tochter!
Wohl muß die Tochter Oros ihrem Vater
noch inniger verbunden sein als du.
Und doch blickt sie dem Magus nach der Braue.
Untrennbar, wie sein Schatten, folgt sie ihm.
Matzatzin.
Komm, laß uns tiefer in das Dickicht rücken.
Wie klein bin ich, wie häßlich bin ich, oh!
Fern ist mir Lästerung. Doch frag' ich wieder:
Warum verbietet uns der Tonatiuh
des Jünglingsopfers altehrwürdigen Blutbrauch
und sperrt uns so den seligen Pfad des Lichts?
Huemac.
Seit Jahren hängst du diesem Wunsche nach,
dich als Versöhnungsopfer preiszugeben.
So mancher dränget sich dazu. Es ist soviel,
als, hier auf Erden schon zum Gott erhoben,
die irdene Schale vollen Weltgenusses
ausschlürfen! durch das Tor des Todes schreiten,
bekränzt, als Gott! beim Klang der Pauken und
Flöten als Gottheit zu den Göttern eingehn!
Wie kannst du, eines armen Töpfers Sohn,
erhoffen, daß man solcher Ehre dich
vor andern würdige?
Matzatzin. Der Himmel kann
am Ende alles, was er will, gewähren
dem Beter, der ihn unermüdlich anfleht.
Huemac.
Dort steht Tehura: wie sie lächelnd herblickt
ob deiner überstiegenen Gedanken.
Sie gleicht der Mondesmutter. Dunkel rollt
die Nacht um ihrer Stirne blasses Licht.
Verwirrend sind die Grübchen ihrer Wangen.
Geschnitten aus dem heiligen Obsidian,
schwarz, so nach außen wie nach innen sehend,
erscheinen ihre Augen. Ihre Hand
streicht sinnend übers weiche weiße Fell
des heiligen Kaninchens, das ihr Arm hält. –
Nein, nicht für uns ist diese Königin
des dunklen Himmels!
Matzatzin. Warum sagst du das?
Huemac.
Weil dem, den man des Opfertodes würdigt,
kein Wunsch versagt wird, keiner: wär's auch der,
des Hohenpriesters Tochter zu besitzen.
Tehura.
Nun, ihr bezopften Dienerknaben, was
beschwatzt ihr dort so wichtig miteinander?
Huemac erhebt sich zugleich mit Matzatzin. Sie stehen mit gesenkten Köpfen, wortlos. Tehura fährt fort
Man fragt euch. Warum schweigt ihr also? Sprecht!
Huemac.
Wenn Lehrlinge sich unterhalten, o
Erlauchte, wovon anders kann es sein
als dem, was ihrer Meister Sinn beschäftigt?
Tehura.
Ihr Hähnlein! Was beschäftigt diese denn?
Huemac.
Des großen Jahresopfers nahe Feier.
Tehura.
Mehr! Höheres! Doch schweigt! Der Heilige kommt.
Durch den mittleren Eingang treten Prospero und Oro auf die Treppenterrasse. Prospero, bartlos, mit weißem Gelock, Ehrfurcht gebietend, Oro, ein Indianer, dunkelbärtig, um ein reichliches Jahrzehnt jünger als Prospero.
Prospero.
Nein, alles möge bleiben wie bisher.
Laßt mich in meiner Abgeschiedenheit:
Dem Leben fern, bin ich dem Leben näher.
Als Fremder bleib' ich heimisch unter euch,
als Gast! Ich bin nicht mehr, nicht mehr,
so hier wie irgendwo auf weiter Erde.
Wohl war ich einst ein Herrscher: damals hielt
mein Szepter Lebenslust und Menschenliebe.
Die schwere Last der Krone ward mir leicht,
weil Jugend sie mit Kränzen flücht'ger Rosen
üppig durchflocht. Allein, der Hoffnung und
des Glaubens Blumen welkten allesamt.
Die Macht des Guten auf der Erde hieße
besser des Guten Ohnmacht: des war ich
auf meinem Thron ein fürchterliches Beispiel.
War es bestimmt im ewigen Rate, Oro,
daß dennoch, spät, noch Gutes von mir ausging –
du bist's, der es behauptet! –, so erwies
sich mächtiger der Bettler als der König.
Und dann laßt Bettler bleiben, dann
erst recht!
Oro. Was du, o Hocherhabener,
Sohn und Gesandter Gottes, von dir sagst,
vermag den Strahlenlimbus nicht zu trüben,
der weiß dein lichtes Angesicht umsprüht.
Wir wissen's wohl, ich und die Meinen, was
Menschwerdung heißt. Die Kraft der Gottheit zieht
sich in des Menschenleibes enge Schranken,
ja, heuchelt Demut und Bedürftigkeit.
Dies war der großen Liebe kleiner Weg
von je. Der einzige von Gott zum Menschen.
Prospero.
Wenn dies dein Glaube ist: ich will ihn dir
nicht rauben, Oro. Überlieferungen
verwandter – oder sag' ich gleicher? – Art
sind mir aus einer andern Welt nicht fremd.
In diesen Resten deines alten Volks,
das mich Schiffbrüchigen und meine Tochter,
als uns der Ozean nackt und arm ans Land spie,
so herzlich aufnahm, lebt die Sage fort
vom weißen Heiland. Man erwartet ihn,
das eingeborne Kind des Himmelsvaters,
der kommen soll, das auserwählte Volk
ins angestammte Reich zurückzuleiten.
Nicht bin ich der, den ihr erwartet, nein!
Meinst du indes, daß ich empfangnes Gutes
ein wenig zu vergelten fähig war:
bleib, Oro, du auch fernerhin der Mittler!
Oro.
Herr, Herr, es neigt sich mein Beruf als Mittler
zum Ende. Und die meisten unterm Volk
verlangen mit fast wildem Ungestüm,
von deiner Stirn beglänzt, von deinem Munde
belehrt, von deiner Hand regiert zu sein.
Dein Rat, der mir Gebot war, trennte sie
von manchem Brauch, durch Alter heilig. Doch
noch sind sie solcher Bräuche nicht entwöhnt.
Und Aberglaube, der einst Glaube war,
geht bänglich in den Hütten um und raunet
von Unterlassungsfreveln und von Strafe.
Und wirklich pocht der fürchterliche Geist
der Tiefen unterm Boden, ganz als ob
er mahnen oder drohen wollte, an.
Im heiligen Berge aber rollt's und poltert's,
und Zorngewölke stößt er brausend aus.
Prospero.
Trotzdem, trotz alledem, ich will nicht, Oro!
Wenn sich der Berg beruhigt und die Tiefen,
so wird sich auch das Volk beruhigen.
Oro.
Dein Nein, Herr, wirst du mir noch einmal sagen,
wenn ich mit klar bestimmtem Antrag dir
zu nahen mit den Ältesten des Volkes
verursacht, ja gezwungen bin. Und dann
erwäge dieses auch vor deiner Antwort:
nicht angsterfüllte Lämmer schreien nur
nach Schutz und Leitung eines starken Hirten:
es gehen Wölfe in der Herde um,
die deinen Diener, o Erhabener,
und dich sogar belauern und befeinden.
Oro beugt mit Ehrerbietung ein Knie und entfernt sich dann, würdevoll, gefolgt von Matzatzin.
Prospero.
Du wirst mir eine letzte Liebe tun,
Tehura.
Tehura. Deine Dienerin, o Herr,
wird hören und gehorchen.
Prospero. Mit der Binde
der Priesterin bedecke deine Augen,
und so, als Seherin, sicher wandelnd, finde
den letzten Ort mir aus, der mir bestimmt ist.
Tehura.
Wie meinst du das?
Prospero. Ich weiß, der Ort ist nah,
obgleich ich selbst ihn nicht zu finden wüßte.
Und keine höhre Wohltat wäre mir
in allen Himmeln auszudenken, als
das mir am ersten Tage meines Daseins
vorherbestimmte letzte Erdenziel
von dir gesetzt zu sehn.
Tehura. Ehrwürdiger,
die Erde hat kein Ziel für deinesgleichen.
Prospero.
O doch! Und mich verlangt danach! Den Tod!
Sieh an: ich bin nun müde, müde, müde!
Huemac entfernt sich ins Palastinnere.
Tehura.
Du bist nicht müde, Herr. Der Tonatiuh
ist niemals müde. Seine Müdigkeit
gleicht der des heiligen Vogels Phönix, wenn
ihn seine mächtige Götterschwinge juckt
und ein gewaltiges Drängen ihn befällt,
durch alle Himmel sich emporzuschrauben,
um sich im Sonnenbrande zu erneuern.
Prospero.
Du weichst mir aus, Tehura, willst den lieben Dienst,
den ich von dir ersehne, mir nicht leisten.
Du Gläubige meines Tuns und meiner Kraft,
sieh auch mein Leiden an und meine Schwäche.
Tehura.
Wie dieses heiligen Kaninchens Augen
rotglühnde Fenster sind in eine Seele
voll Flammen, so bist du voll wacher Glut.
Glut will zu Glut. Ihr bebendes Gefäß
will im Urbade schmelzen und vergehn
und dann, vom glühnden Rad des Sonnentöpfers
gedreht, als köstlicherer Krug hervorgehn.
Prospero.
Erst Phönix, dann ein Krug voll Feuer. Nein!
Du irrst, Tehura. Nenn mich Aschenkrug,
so triffst du, was ich bin und was ich sein will.
Ich habe friedlich hier bei euch gelebt,
versteckt, fast abgeschieden und fast glücklich.
In diesen großen Trümmern ging ich um
als Geist. Den Bildnereien dieser Steine
und andrer, die nie Menschenhand berührt,
löst' ich die Zunge. Oft durchrauschte nachts
die Trümmerhallen dieses Königshauses
des Ballspiels Jubel und des Tanzes Jauchzen,
betörender Gesang und Saitenspiel.
Mein Leben ward Magie. Ich ward zum Magier.
Es lag bei mir, Gestalten aufzurufen,
gastlich sie zu bewirten oder sie
mit einem Wink zu scheuchen in das Nichts.
Beinahe alle waren so gehorsam.
Von einem, dem, der ungerufen kam
und nur dann wich, wann er es selber wollte,
der jeden Zauberkreis und Bann durchschritt,
sollst du, nur du, am Trennungstag erfahren
und an dem Orte, den du ausgesucht.
Tehura.
Es kann nicht sein, daß du jetzt von uns gehst,
wo so viel Zeichen düster uns umdrohen.
Prospero.
Das ist es ja: die Zeichen gelten mir.
Du selbst hast es gefühlt, daß ich gemeint bin.
Der Ozean drang hoch den Fluß hinauf,
trug Hütten fort, brach tausendjährige Stämme.
Das Erdreich selber fing zu wogen an,
Wasser und Dämpfe quollen aus den Äckern.
Im heiligen Berge gärt es, aus dem Schnee
des Gipfels hebt sich nachts ein glühnder Baum,
rotbrünstig wogend in dem breiten Wipfel,
und spendet unsern Nächten Höllenlicht.
Tehura.
Und all die Zeichen willst du nicht beschwören?
Prospero.
Das Ungewitter wird vorübergehn